Einleitung
Methode der Herangehensweise
Wie kann das Phänomen Gewohnheit beschrieben werden ?
Im folgenden soll versucht werden, eine Beschreibung der Gewohnheit zu liefern. Gewohnheit als sich teils offen, teils verdeckt zeigende Eigenart menschlichen Begreifens und Handelns ist behaftet mit Eigenschaften, die jede für sich vielfältig interpretiert werden können, hier werden diese Eigenschaften als Verweis auf unbewußte psychoökonomische Mechanismen verstanden. Übergreifende einer jeden Gewohnheit anhaftende Eigenschaften sind dabei von nebenrangigen zu scheiden. Um ein Wesen von Gewohnheit beschreiben zu können, soll hier im Besonderen dem Verweischarakter der wahrgenommenen Eigenschaften Rechnung getragen werden. Das heißt, daß dem wahrnehmbaren Eindruck nachgegangen werden soll, ohne ihn zu rechtfertigen oder zu verneinen und, daß sich anbietendende Interpretationsformen zur Artikulation kommen können. Die verschiedenen Deutungsmuster für das Vorhandene sollten als jede für sich verständliche Zugangsart zum Phänomen wahrgenommen werden, ohne jedoch dabei der Illusion anheimzufallen, damit eine erschöpfende Beschreibung bewerkstelligt zu haben.
Das der Wirklichkeit anhaftende Bild des Wirklichseins muß nicht mit rethorischen Stilmitteln untermauert werden. Es geht darum, den Eigenschaften inclusive der ihnen anhaftenden Interpretationsmöglichkeiten gerecht zu werden, ohne sich ihren suggestiven, versichernden Wirkungen auszuliefern. Z.B. soll, um beim Thema zu bleiben, der sich dem aufmerksamen Betrachter eventuell aufdrängende Eindruck von Verdrängungsmechanismen der Gewohnheit hier nebensächlich bleiben. Diese Eigenschaft steht bei der Identifikation der Problematik sicherlich im Vordergrund, man weiß, wovon man redet, wenn ein mit solchen Assoziationen behafteter Begriff auch als solcher der Kommunikation wegen identifiziert wird, jedoch sollte das eine eingehendere Betrachtung desselben nicht unmöglich machen. Gewohnheit besteht ja nicht nur aus Verdrängung und die zur Identifikation eines Gegenstandes herangezogenen Konstituierenden beschreiben nicht immer das Wesen dieser Sache, sondern das der Kommunikation dienliche Wesen dieser Sache, obwohl das immer wieder in Vergessenheit gerät und das eine für das andere gehalten wird. Deshalb will der Autor sich dabei nicht darauf beschränken, den verdrängenden Effekt von Gewohnheit als den Schlüssel zu ihrem Wesen zu beschreiben und davon ausgehend Rückschlüsse auf ihre Beschaffenheit zuzulassen.
[...]
Inhalt
0.1. Einleitung - Methode der Herangehensweise1.
1.1. Habit - Sicherheit der Gewohnheit
1.2. Das furchterregende Außergewöhnliche
1.3. Die Reduzierung
1.4. Gewohnheit elementar
1.5. Die Gewohnheit als grundlegende erkenntnistheoretische Gegebenheit.
1.6. Die soziale Komponente oder ”die induktive Falle”
2. Gewohnheiten etablieren sich
2.1. Gewohnheiten ändern sich
Literatur
0.1. Einleitung
Methode der Herangehensweise
Wie kann das Phänomen Gewohnheit beschrieben werden ?
Im folgenden soll versucht werden, eine Beschreibung der Gewohnheit zu liefern. Gewohnheit als sich teils offen, teils verdeckt zeigende Eigenart menschlichen Begreifens und Handelns ist behaftet mit Eigenschaften, die jede für sich vielfältig interpretiert werden können, hier werden diese Eigenschaften als Verweis auf unbewußte psychoökonomische Mechanismen verstanden. Übergreifende einer jeden Gewohnheit anhaftende Eigenschaften sind dabei von nebenrangigen zu scheiden. Um ein Wesen von Gewohnheit beschreiben zu können, soll hier im Besonderen dem Verweischarakter der wahrgenommenen Eigenschaften Rechnung getragen werden. Das heißt, daß dem wahrnehmbaren Eindruck nachgegangen werden soll, ohne ihn zu rechtfertigen oder zu verneinen und, daß sich anbietendende Interpretationsformen zur Artikulation kommen können. Die verschiedenen Deutungsmuster für das Vorhandene sollten als jede für sich verständliche Zugangsart zum Phänomen wahrgenommen werden, ohne jedoch dabei der Illusion anheimzufallen, damit eine erschöpfende Beschreibung bewerkstelligt zu haben.
Das der Wirklichkeit anhaftende Bild des Wirklichseins muß nicht mit rethorischen Stilmitteln untermauert werden. Es geht darum, den Eigenschaften inclusive der ihnen anhaftenden Interpretationsmöglichkeiten gerecht zu werden, ohne sich ihren suggestiven, versichernden Wirkungen auszuliefern. Z.B. soll, um beim Thema zu bleiben, der sich dem aufmerksamen Betrachter eventuell aufdrängende Eindruck von Verdrängungsmechanismen der Gewohnheit hier nebensächlich bleiben. Diese Eigenschaft steht bei der Identifikation der Problematik sicherlich im Vordergrund, man weiß, wovon man redet, wenn ein mit solchen Assoziationen behafteter Begriff auch als solcher der Kommunikation wegen identifiziert wird, jedoch sollte das eine eingehendere Betrachtung desselben nicht unmöglich machen. Gewohnheit besteht ja nicht nur aus Verdrängung und die zur Identifikation eines Gegenstandes herangezogenen Konstituierenden beschreiben nicht immer das Wesen dieser Sache, sondern das der Kommunikation dienliche Wesen dieser Sache, obwohl das immer wieder in Vergessenheit gerät und das eine für das andere gehalten wird. Deshalb will der Autor sich dabei nicht darauf beschränken, den verdrängenden Effekt von Gewohnheit als den Schlüssel zu ihrem Wesen zu beschreiben und davon ausgehend Rückschlüsse auf ihre Beschaffenheit zuzulassen. Wenn realisiert wird, daß das Phänomen sich dem Bewußtsein gegenüber auf eine von diesem wahrnehmbare Art manifestieren muß, also der Unterschied zwischen geschautem und angenommenem Wesen eines Gegenstandes realisiert wird, kann es gelingen, eine unbewußte Identifikation des Gegenstandes mit den ihm zugordneten Konstituierenden zu vermeiden, wie Kant in seiner Beschreibung synthetischer und analytischer Urteile anschaulich erläuterte. Gerardus van der Leeuw, ein holländischer Religionsphilosoph, beschreibt das in seiner Religionsphänomenologie so: ”Das Phänomen wird vom Subjekt nicht produziert; noch weniger wird es von ihm erhärtet oder erwiesen. Sein ganzes Wesen ist darin gegeben, daß es sich zeigt, sich ”jemandem” zeigt. (. . . )Das Unmittelbare ist nie und nirgends gegeben, man muß es rekonstruieren. Zu ”uns selbst”, d.h. zu unserem eigensten Leben haben wir keinen Zutritt.”[1] Den Menschen drängt es zwar, sich seine Umwelt in ihm plausibel erscheinenden Bildern zugänglich zu machen, er wird auch bemüht sein, sich der sich ihm gegenüber in phänomenalen Erscheinungen manifestierenden Welt zu bemächtigen, um so den Eindruck eines Sich-Selbst-Bemächtigen-Könnens aufrechterhalten zu können, jedoch handelt es sich bei diesem Bild um den Versuch, sich ein Abbild zu schaffen von jenem Gebilde unerhörter Komplexität, welches bestimmt ist vom Verhältnis zwischen der Vorstellungsfähigkeit des Individuums und den Welterscheinungen, es kann also nicht davon ausgegangen werden, daß das Bild welches er sich formt, das eigentlich Wirkliche ist. Der Drang nach ”Wirklichem” ist nichtssdestotrotz da, nur die Qualitäten seiner Befriedigung wandeln sich. Man mißtraut seinem Sehen, bemüht, eigene Prioritäten zu setzen, wird die unbewußte Eigendynamik des Sehens in Frage gestellt und kann so u.U. neue Ebenen erreichen. Es ist die Wirklichkeit seines Horizontes, auf die er immer wieder zurückgeworfen wird, und die ihn doch immer gleichzeitig fordert, darüber hinauszugehen. Bei dem kreirten Bild von Wirklichkeit handelt es sich doch letztendlich um eine Kreation oder Rekonstruktion von etwas Erlebtem. Dieses Erlebte soll wiederbelebt werden, wobei in nicht unerheblichem Maße auch gehabte Erfahrungen beitragen. Die Rekonstruktion soll eine Ahnung davon vermitteln, was erlebt worden ist, nicht das Erlebnis selbst.
So könnte auch eine Schau des Wesens Gewohnheit sich selbstbestätigend nur solche Bereiche beschreiben, welche durch die angewöhnte Art der Sicht auf das Phänomen und seine hinreichende Funktionalisierung im praktikablen Sinne begrenzt wäre.
Der Systematik wegen wird im Folgenden die Gewohnheit als dem kognitiven Vermögen des Menschen angehörend betrachtet, wiewohl man sich bei einer solch willkürlichen Systemerschaffung ihres vorläufigen Charakters bewußt sein muß, denn man kann nicht eindeutig davon ausgehen, daß sie diesem Vermögen untergeordnet wäre und sie schlechterdings keine Auswirkungen auf dessen Beschaffenheit hätte.
Wenn man also davon ausgeht, daß es zwischen dem Bewußtsein und der Wirklichkeit ein bestimmtes Verhältnis gibt, daß keine genaue Zuordnung und Trennung möglich ist, zwischen dem, was die Wirklichkeit ”hergibt” und dem was der kognitive Apparat daraus macht, vielmehr dieser für die grundlegende Einstellung gegenüber der Wirklichkeit verantwortlich zeichnet und, daß dieser bestrebt ist, sich selbst in der Welt widerzuspiegeln und fortzupflanzen, wird man in der weiteren Überlegung darauf stoßen, daß die Entwicklungen dieses Apparates, die dieser hierbei durchläuft, im Akt der Rekonstruktion nicht etwa hierarchisch einem fiktiven denkerischen letzten Schluß untergeordnet, sondern in Ganzheit erneut erlebt werden. Mittels einiger konstituierender Mittler zwischen Bewußtsein und Außenwelt, die Bestandteil des kognitiven Vermögens sind, wird eine Verbindung zwischen Innen und außen geschaffen. Es soll dabei gewollt offengelassen werden, ob nun vorwiegend das Innen oder das Außen die Struktur der Wahrnehmung konstituiert, vielmehr handelt es sich hier um ein Zusammenspiel der beiden. Vorstellbar wäre die Aktualisierung einer latent, sowohl im Außen als auch im Inneren vorhandenen Form, wobei das äußere die vorhandenen Anhaltspunkte für die Kreation des Inneren zu bieten scheint. Das fremde Äußere zeigt einen Anschein von Assimilierbarkeit oder auch Gewohnheitsfähigkeit, was es dann für eine Bemächtigung zu prädestinieren scheint. Durch den Akt der Formverleihung wird dem Äußeren der Anschein einer gewissen Assimilierbarkeit verliehen, es wird zu einem Inneren gemacht. Nach welchen Kriterien hier nun eine Beurteilung des Äußeren hinsichtlich seiner Kompatibilisierbarkeit für das Innere stattfindet, ab wann die Kongruenzien zwischen Innen- und Außenwelt soweit greifen, daß Abbilderstellung plausibel wirkt, bliebe zu erörtern.
Ein ”einfache”Kausalstruktur ”Hier Bewußtsein, da Wirklichkeit und hier die Gewohnheit, welche ausschließlich die vom Bewußtsein empfangenen Aussenbilder plausibel erscheinen lässt”, der Gewohnheit kann ebensowenig erstellt werden, da sie sich meist in (”Tat”-) Einheit mit anderen Motiven befindet, was ein Herauskristallisieren rein gewohnheitserzeugter Momente relativ schwierig gestaltet. Das kann auch heißen, daß, da eine Unterscheidung nach gewohnheitserzeugten und anderen Motiven oft nur schwer durchführbar ist, ein vermutlich gewohnheitsmäßig motivierter Handlungskomplex nur schwer aufzuschlüsseln ist, so kann man zunächst nur versuchen, wiederkehrende Symptome ihres Vorhandenseins zu erkennen und weitestgehend zu deuten, ohne dabei davon auszugehen, bestätigt sehen zu müsssen, was man vorher dafür halten wollte ohne also irgendwelche vordergründigen Konstruktionen hineinzupflanzen.
Gewohnheit ist als solche eigentlich nicht wahrnehmbar, weil sie sich naturgemäß bewußter Wahrnehmung entzieht. Sie ist ein Handlungen in ihrer Motivation und Richtung mitgestaltendes und vielleicht manchmal dominierendes Moment, und manchmal auch nur eine Stilmittel, mittels dessen Handlungen oder Wahrnehmungsarten der praktikable Anschein einsehbarer Zweckmäßigkeit verliehen wird.
Gewohnheiten können auch Ursache für Handlungen sein, wobei erwähnt werden muß, daß oft einer vordergründig hergestellten Gewohnheitskausalität mehr Glauben geschenkt wird (werden kann) als einer tiefenpsychologisch angelegten Analyse. . . (siehe Hume die Gewohnheit zur Kausalität).
Es geht hier also darum, einerseits gewohnheitsmäßiges Verhalten zu beschreiben, ohne es künstlich zu diabolisieren oder auch zu verteidigen, da es bei einer solchen Beschreibung nicht um eine absolutes Verneinen oder Bejahen gehen kann. Gewissermaßen muß Gewohnheit als offener Begriff verstanden werden, um so ihrem Wesen näher zu kommen.
1.1. Habit - Die Sicherheit der Gewohnheit
Routine, verlässliches Funktionieren und Berechenbarkeit mittels dieser Stilmittel manifestiert sich Gewohnheit. Dies sind Eigenschaften, an denen sich zeigt, mehr oder weniger könnte Gewohnheit ein Motiv für die Handlung sein. Der Mensch möchte sich wohlfühlen mit seiner Gewohnheit, sie soll ihm Handlungsfreiheit für Lebensbereiche schaffen, für die er eine vorläufig praktikable Handlungsweise benötigt. Meist handelt es sich dabei um Lebensbereiche, bei denen ihm eine tiefgehendere Reflektion nicht notwendig erscheint oder nicht erscheinen will. (..Das sich dem ungewöhnten Auge ungewöhnlich Zeigende stellt für den daran Gewöhnten zu einem bestimmten Teil bereits einen Teil seiner Innenwelt dar. Als dieses wird es vom ”Gewöhnten” behandelt..)
Man muß nicht darauf bestehen, daß diese Sicherheit nun Sinn und Zweck der Gewohnheit darstellt, daß eventuell die Gewohnheit das Mittel zur Erstellung eines sicheren Kontextes ist, bedeutet, vielmehr ist es dieses existentielle Sicherheitsbedürfnis, welches solche Phänomene wie Gewohnheit hervorbringt - aus der Art, wie man gewohnt ist, sie (die Gewohnheit) zu relativieren, das Gefühl darum, wann man sie zur Anwendung kommen lassen kann. Was würde also fehlen, wenn dieser Sicherheitsgewinn nicht wäre, den man durch Gewohnheit hat ?
1.2. Das furchterregende Außergewöhnliche
Zunächst muß man um den Sinn der Sicherheit wissen und, warum das Unbekannte und Ungewohnte ein derartiges Problem für das menschliche Bewußtsein darstellt. Also sollte das Ungewohnte beschrieben werden. Das Neue und Ungewohnte ist nicht beugungswillig, es widerstrebt einer Handhabung, es will nicht über sich verfügen lassen, es löst Gefühle der Verwunderung, Angst, auch Bedrohung aus. Es steht symbolisch dafür, daß es etwas dem menschlichen Bewußtsein nicht fassbares geben muß. Der differenziert über sich selbst reflektierende Mensch weiß um die Notwendigkeit des Vorhandenseins dieses ihm nicht fassbaren. Das Neue nun ist etwas, von dem er nicht weiß, ob und wenn ja welcher praktikable Umgang mit ihm angebracht wäre. Es birgt potentiell Erlebnisse in sich, von denen Mensch nicht weiß, ob sie sein Weltbild nicht grundlegend erschüttern könnten. Alexander Berkman, ein polnisch-englischer Soziologe, etwa schreibt in seinem Buch ”Moderne und Ambivalenz” die Gefahr, welche vom Unbekannten und Ungewohnten auszugehen scheint. Er begreift hierbei die einer Gesellschaft inhärenten Assimilationsbestrebungen den Fremden gegenüber als intentional der Selbstsicherstellung zuarbeitend: ”Es gibt Freunde und Feinde. Und es gibt Fremde. Freunde und Feinde stehen in Opposition zueinander. Die ersten sind, was die Zweiten nicht sind, und umgekehrt. Das beweist freilich nicht, daß sie einen gleichen Status haben. Wie die meisten Gegensätze, die die Welt, in der wir leben, und zugleich unser Leben in dieser Welt ordnen, ist dieser Gegensatz eine Variation der obersten Opposition zwischen dem Innen und Außen. Das Außen ist die Negativität der Positivität des Innen. Das Außen ist das, was das Innen nicht ist. (. . .) Die Feinde sind entstellte Freunde; sie sind die Wildnis, die das Sich-zu-Hause-fühlen der Freunde verletzt, die Abwesenheit, die eine Verneinung der Anwesenheit der Freunde ist.”[2] Freund und Feind beschreiben einen Zusammenhang, welcher trotz scheinbarer Gegensätzlichkeit eine grundlegende Übereinstimmung manifestiert: ”Die Freund-Feind-Opposition trennt Wahres von Falschem, Gutes von Bösem, Schönes von Häßlichem. Sie differenziert auch zwischen eigentlich und uneigentlich, richtig und falsch, geschmackvoll und ungehörig. Sie macht die Welt lesbar und deshalb instruktiv. Sie zerstreut Zweifel. Sie setzt den Klugen in den Stand, ”weiterzuwissen”. Sie stellt sicher, daß man dahin geht, wohin man soll. Sie lässt die freie Wahl als Enthüllung der naturgeschaffenen Notwendigkeit erscheinen - so daß die menschengemachte Notwendigkeit immun gegenüber den Launen der Wahl sein kann.( . . .) Ein Freund zu sein und ein Feind zu sein sind die beiden Modalitäten, in denen der Andere als ein anderes Subjekt anerkannt, als ein ”Subjekt wie man selbst” konstruiert und in der Lebenswelt des Selbst zugelassen werden kann, für relevant gehalten, relevant werden und bleiben kann.”[3] Das Freund-Freund und Freund-Feind-Verhältnis beschreibt also den Pool gewohnter, erlaubter Umgangsweisen mit einem als ausreichend erachteten Kontrastpotential. Differenz wird dabei durchaus für notwendig erachtet, ihr Konfliktpotential jedoch in Umgangsritualen reduziert und entschärft, angewöhnt, und so unter Umständen ihrer Intention beraubt. Dahingehend entzieht sich der Fremde diesem gewöhnungsbedürftigen Spiel, er wäre zur ehrlichen Teilnahme an diesem Spiel zunächst darauf angewiesen, mit den anderen Teilnehmern einen Austausch über seine Grundannahmen zu führen, wogegen sich die anderen eines solchen Ansinnens erwehren würden, eine solche Problematisierung würde das Fortführen des Spiels in gewohnter Weise gefährden. Er erkennt durch seine unfreiwillige Perspektive von außen die Bedingtheit der Aussagen der innerhalb des Spiels Agierenden. Hierdurch wird er zu einer exponierten und gefährlichen Größe: ”Gegen diesen behaglichen Antagonismus, dieses von Konflikten zerrissene Zusammenspiel von Freunden und Feinden rebelliert der Fremde. Die Bedrohung, die er mit sich bringt, ist erschreckender als die, die man vom Feinde fürchten muß. Der Fremde bedroht die (gewohnte -d.A.) Vergesellschaftung selbst - die Möglichkeit der Vergesellschaftung. Er stellt die Opposition zwischen Freunden und Feinden als die completa mappa mundi in Frage, als den Unterschied, der alle Unterschiede aufzehrt und deshalb nichts außerhalb seiner lässt. Da diese Opposition die Grundlage ist, auf der alles gesellschaftliche Leben und alle Unterschiede, die es zusammenflicken und zusammenhalten, beruhen, untergräbt der Fremde das gesellschaftliche Leben selbst. Und all dies, weil der Fremde weder Freund noch Feind ist, und weil er beides sein kann. Und weil wir nicht wissen, und über keine Methode verfügen, zu erfahren, was von beiden der Fall ist.”[4] Im Weiteren beschreibt der Autor diese Fremden als die Unentscheidbaren, welche den Fundus an Gewohnheiten, welche ihrer Umwelt ein scheinbar geordnetes Gepräge verleihen sollen, als bedingt und keinesfalls allumfassend gültig, wie die durch sie manifestierte, versprochene und nicht gehaltene Intention ausgesagt, wahrnehmen. Die kognitive und klassifikatorische Klarheit, welche sich die innerhalb des Spiels Agierenden zu eigen gemacht zu haben glauben, die Sicherheit der Begriffsfindung und Anwendung, sowie die durch die angewöhnte und immer oft wiederholte Bestätigung der Begriffsinhalte kann der Fremde nur als die Flucht in künstlich wahrer geglaubte Konstrukte begreifen: ”Unentscheidbare sind alle weder / noch; was soviel sagt wie, daß sie gegen das entweder / oder kämpfen. Ihre Unterbestimmtheit ist ihre Macht: Weil sie nichts sind, können sie alles sein. Sie machen Schluß mit der ordnenden Macht der Opposition und ebenso mit der ordenden Macht des Erzählers der Opposition. Oppositionen ermöglichen Wissen und Handeln; Unentscheidbare lähmen sie. Unentscheidbare exponieren brutal das Künstliche, die Fragilität, das Heuchlerische der lebenswichtigsten unter den Trennungen. Sie bringen das Außen nach Innen und vergiften das Tröstende der Ordnung durch den Argwohn gegen das Chaos. Dies ist genau das, was die Fremden tun.”[5]
[...]
[1] Siehe hierzu auch G.van der Leeuw ”Phänomenologie der Religion” S.769
[2] Alexander Berkman, ”Ambivalenz und Moderne” S.73
[3] ebd.S. 74
[4] ebd. S.75
[5] ebd. S. 77
- Citar trabajo
- Christian Ritter (Autor), 2000, Gewohnheit und ihre Auswirkungen auf das Verständnis von Wirklichkeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3341