In der Geschichte des Poststrukturalismus ist eine Transformation auszumachen, die sich in keinem Text besser konturiert als in der Antrittsvorlesung am Collège de France, der sogenannten „Lektion“, die Roland Barthes 1977 vortrug: „Möge eine Sprache, welche es auch sei, keine andere unterdrücken; möge das zukünftige Subjekt ohne Gewissensbisse, ohne Verdrängung die Lust kennenlernen, zwei sprachliche Instanzen zur Verfügung zu haben, diese oder jene den Perversionen, nicht dem Gesetz gemäß zu sprechen.“ Psychoanalyse und Marxismus, zwei der im intellektuellen Klima Frankreichs seit den 50er Jahren wohl stimulierendsten Diskurse, sind für Barthes längst nicht mehr das, was sie spätestens seit der Gründung der Ecole Freudienne de Paris durch Lacan 1964 zu sein versprachen: diskursive Formationen, die an der geschichtlichen Aufgabe der Liberalisierung der Subjekte von sprachlichen und sozialen Zwanghaftigkeiten partizipieren könnten. Hinter der tendenziell hoffnungsvollen Physiognomie von Freudianismus und Marxismus hatte sich jene Fratze gezeigt, die aus nicht die historische Befreiung, sondern die institutionelle Verwissenschaftlichung der Subjekte (Humanwissenschaften) verheiß en sollte. Barthes´ Inauguralvorlesung ist mithin als ein Fanal zu verstehen, die „Lust“ an „zwei sprachlichen Instanzen“ gegen die regressive Kraft von Psychoanalyse und Marxismus ins Feld zu führen, und seit Beginn der siebziger Jahre haben in Frankreich vehemente Relektüren von Marx und Freud eingesetzt. Als Antipode in diesem Konflikt hat sich immer wieder Jacques Lacan angeboten mit seinem Theorem des Imaginären, in das die Subjekte bei dem Versuch, gegenüber dem Gesetz der sie strukturierenden symbolischen Ordnung Autonomie zu gewinnen, fortlaufend und notwendig zurückfielen.
Gliederung
Kapiteltitel
O.) Den Perversionen gemäß sprechen: Nullpunkt der Revolution.
I.) Julia Kristevas Revolution der poetischen Sprache und der Fetischismus
I.1.) Semeion, chora, Üplus-que-logiqueÛ: Grundzüge der philosophischen Semiologie von Julia Kristeva
I.2.) „Wiederkehr des Verwerfens“: Lektüren von Joyce und Bataille gemäß Julia Kristevas Revolution der poetischen Sprache
I.3.) „Eine Stase, die sich für eine These hält“. Das Fetischismusproblem in Julia Kristevas Revolution der poetischen Sprache.
II.) „Eine Art Fremdsprache“. Literaturmodell und Masochismustheorie im Immanenzdenken von Gilles Deleuze.
II.1.) Wunschmaschine und Immanenz. Fluchtlinien einer nicht-signifikativen Semiotik und der Virtualität bei Deleuze/Guattari.
II.2.) „Als ob die Sprache Tier werden würde.“ Organloser Körper und Passionelles Buch in Elias Canettis Roman Die Blendung
II.3.) „Nein, er ist nicht hier.“ Die Dethronisierung des Vatergesetzes und die Entdifferenzierung des Körpers in der Masochismustheorie von Gilles Deleuze
III.) Schlussbetrachtung
IV.) Bibliografie
O.) Den Perversionen gemäß sprechen: Nullpunkt der Revolution
In der Geschichte des Poststrukturalismus ist eine Transformation auszumachen, die sich in keinem Text besser konturiert als in der Antrittsvorlesung am Collège de France, der sogenannten „Lektion“, die Roland Barthes 1977 vortrug:
„Möge eine Sprache, welche es auch sei, keine andere unterdrücken; möge das zukünftige Subjekt ohne Gewissensbisse, ohne Verdrängung die Lust kennenlernen, zwei sprachliche Instanzen zur Verfügung zu haben, diese oder jene den Perversionen, nicht dem Gesetz gemäß zu sprechen.“[1]
Psychoanalyse und Marxismus, zwei der im intellektuellen Klima Frankreichs seit den 50er Jahren wohl stimulierendsten Diskurse, sind für Barthes längst nicht mehr das, was sie spätestens seit der Gründung der Ecole Freudienne de Paris durch Lacan 1964 zu sein versprachen: diskursive Formationen, die an der geschichtlichen Aufgabe der Liberalisierung der Subjekte von sprachlichen und sozialen Zwanghaftigkeiten partizipieren könnten. Hinter der tendenziell hoffnungsvollen Physiognomie von Freudianismus und Marxismus hatte sich jene Fratze gezeigt, die aus nicht die historische Befreiung, sondern die institutionelle Verwissenschaftlichung der Subjekte (Humanwissenschaften) verheißen sollte.
Barthes´ Inauguralvorlesung ist mithin als ein Fanal zu verstehen, die „Lust“ an „zwei sprachlichen Instanzen“ gegen die regressive Kraft von Psychoanalyse und Marxismus ins Feld zu führen, und seit Beginn der siebziger Jahre haben in Frankreich vehemente Relektüren von Marx und Freud eingesetzt. Als Antipode in diesem Konflikt hat sich immer wieder Jacques Lacan angeboten mit seinem Theorem des Imaginären, in das die Subjekte bei dem Versuch, gegenüber dem Gesetz der sie strukturierenden symbolischen Ordnung Autonomie zu gewinnen, fortlaufend und notwendig zurückfielen.
Ich möchte in der vorliegenden Arbeit behaupten, dass in Sonderheit in den literaturtheoretischen Schriften von Gilles Deleuze und Julia Kristeva zwei voneinander differierende Versuche anzutreffen sind, das von Lacan immer wieder sistierte Band zwischen dem Subjekt und der es gliedernden sprachlich strukturierten symbolischen Ordnung zu unterbrechen. Beiden Autoren scheint es in spezifischer Weise um den Nachweis zu gehen, dass ausgesuchte Texte der avantgardistischen Moderne keineswegs die fatale Gebundenheit ödipaler Subjekte an das sie regulierende Unbewusste illustrieren. Im Gegenteil: Für Deleuze und Kristeva treten ästhetische Subversionspraktiken auf den Plan der Literaturgeschichte, die vielmehr auf die Produktion anti-ödipaler, de-zentrierter und de-territorialisierter Formen von Subjektivität zurückverweisen und ein „sich unbekanntes Denken“ (das Lacan exklusiv im von der symbolischen Ordnung geprägten und unterlaufenen Imaginären ansiedelt) in ein „Denken des Unbekannten“ verwandeln[2].
Von dieser These ausgehend, möchte ich meine Beobachtungen zu Gilles Deleuze und Julia Kristeva jeweils in drei Schritte aufteilen. Es soll erstens um eine Skizzierung der theoretischen Hauptannahmen gehen, die in beider Lektüren literarischer Texte zu Grunde gelegt werden und zugleich den begrifflichen Rahmen dessen bilden, was unter einer dem „Anti-Logos“ verschriebenen Revolution der poetischen Sprache jeweils zu verstehen ist. In einem zweiten Schritt sollen Einzelanalysen literarischer Texte zu den im ersten Teil diskutierten theoretischen Strukturen in Beziehung gesetzt werden. Dabei sollen weniger die von den beiden Autoren selbst detailliert erörterten Quellentexte – also etwa Proust oder Kafka – im Vordergrund stehen, sondern vielmehr der Versuch, die in den Theorieabschnitten entwickelten Lektüremodelle auf andere Texte auszuweiten. Im Falle von Kristeva wäre dies der Ulysses (Joyce) und Das Blau des Himmels (Bataille), im Falle von Deleuze soll der Roman Die Blendung (Canetti) die Grundlage liefern.
Schließlich soll gezeigt werden, mit welchem Ziel sowohl Deleuze als auch Kristeva für ihre Überlegungen zur Literaturtheorie jeweils ein Pendant in psychoanalytischen Szenarien ausgearbeitet haben. Während Deleuze am masochistischen Paradigma eine ironische Entthronung des väterlichen Gesetzes entfaltet und wesentlich auf sein philosophisch-literarisches Denken zurückbezogen hat, spielt in Julia Kristevas Revolution der poetischen Sprache das Phänomen des Fetischismus eine klärende Rolle.
I.) Julia Kristevas Revolution der poetischen Sprache und der Fetischismus
I.1.) Semeion, chora, ` plus-que-logique ` : Grundzüge der philosophischen Semiologie von Julia Kristeva
Julia Kristevas Versuch, gleichsam aus dem Inneren der strukturalistischen Linguistik, d.h. unter Einsetzung ihrer Methoden, an eine Art „prädiskursive Materialität“[3] des Zeichens zu erinnern, beginnt mit einer philologischen Spekulation. Im Kapitel I.2 der Revolution der poetischen Sprache führt sie über eine großzügige Übersetzung des griechischen semeion als „Unterscheidungsmal, Spur, Kennzeichen, Vorzeichen, Beweis, graviertes oder geschriebenes Zeichen, Aufdruck, Hinweis, Gestaltung“[4] ihren Zeichenbegriff ein. Von Anbeginn eignet also gemäß Kristeva dem, was später auch die Semiotik als “Zeichen“ auffasst, eine aktivische Materialität oder Energie und eine Metaphorik der „Einschreibung“ und des „Fließens“[5]. Ihr Ziel ist es, in ihr Konzept des Zeichens funktional eine Struktur der Verlebendigung einzufügen und in ihrer Spielart der Semiotik zwei Diskurse zu verbinden: einen psychoanalytischen Diskurs „immer schon semiotisierender Körper“[6] und einen marxistischen Diskurs der Produktivität, dessen Kern das enge Verhältnis von „Text“ und sinnstiftender „Praxis“[7] bildet.
Die solchermaßen angelegte Materialität und Produktivität des Zeichens geht konform mit bekannten Überlegungen Saussures zur Sprache als relationaler Differenzstruktur. Das in Signifikant und Signifikat unterschiedene Zeichen funktioniert schon bei Saussure keineswegs als Repräsentation oder Mimese vorgängiger Wirklichkeit, sondern konstituiert umgekehrt in permanenten Transformationen „jede Möglichkeit der Präsenz und Identität – sei es des Sinnes, des Objekts oder des Subjekts“[8].
Kristevas linguistischer Ansatz liegt tatsächlich im seinerzeit von Derrida sowie den Vertretern der Tel Quel-Gruppe (der Kristeva ja angehörte) dominierten Mainstream der strukturalistischen Linguistik, und auch ihr zweiter Erklärungsschritt zu einer materialistischen Erweiterung des Zeichenbegriffs zeigt Parallelitäten zu anderen zeitgenössischen Autoren. Dieser zweite Schritt besteht in der Annahme, der beschriebene „Spur“- bzw. „Einschreibungs“-Charakter des Zeichens, der die Pluralität, Produktivität und Heterogenität der Sprache garantiert, sei internalisiert worden in Prozessen der „thetischen Setzung“, an deren Abschluss ein Verständnis vom Zeichen als Prinzip „hierarchisierender Gliederung“[9] gerinnt. Historisch gesprochen – und von Kristeva psychoanalytisch ausgearbeitet - wird mit der Genese der „transzendentalen Subjektivität“[10], die sich über den Umweg der neuzeitlichen Wissenschaft zum Prinzip der Moderne erhebt, die Heterogenität „flottierenden Signifikanten“[11] (Lévi-Strauss) still gestellt. Analog zu Lévi-Strauss auf einer von Rousseau, über Nietzsche und Freud bis zu Adorno wiedererkennbaren Traditionslinie figuriert die Moderne bei Kristeva als historische Krise, in der unter dem Diktat rationaler Subjektivität und einer symbolisch strukturierten Sprache eine als historisch ursprünglich angenommene dynamische Struktur von Lebendigkeit und Produktivität verstellt wird.
Die skizzierte Dekadenztheorie sprachlicher Zeichen bildet den Ausgangspunkt für Kristevas Revolution der poetischen Sprache, deren Leitdifferenz diejenige von Semiotischem und Symbolischem ist. Der Begriff des Semiotischen umschließt dabei ein Doppeltes: Erstens die genannte Auslegung des semeion als produktiv Lebendiges und zweitens den Bereich der chora. Mit letzterem Ausdruck adaptiert Kristeva eine Reflexionsfigur aus dem platonischen Timaios – Dialog, wo der Begriff chora als selbst nicht lokalisierbare „Eröffnung eines Ortes“[12] verwandt wird und mithin als eine Art reine Modalität, als Ermöglichungsbedingung für raum-zeitliche Ordnung schlechthin figuriert. Kristeva umschreibt den Begriff der chora darum auch als „Rhythmus“[13] oder „ausdruckslose Totalität“[14], die sich im Widerspiel von Trieben und Triebstasen konstituiert, als ein amorphes Dispositiv, das die unbedingte Bedingung seiner eigenen und jeder symbolisch-sprachlichen Repräsentation ist und darin doch niemals verfügbar wird.
Es ist kaum zu überlesen, dass Kristevas Redeweise von der chora strukturelles Analogon ihres semeion -Konzepts ist, denn beide Positionen werden zusammengehalten und vermittelt über ihre unendlich differenzielle Beweglichkeit – die Eigenschaft, das symbolische Gesetz allererst zu begründen und sich ihm zu entziehen. Mehr noch: Das Semiotische, verstanden als topologische Relation von semeion und chora, erhält in Kristevas Texttheorie letztlich den methodologischen Status des Unbewussten der symbolischen Ordnung insgesamt[15].
Von dem Ziel geleitet, die Identifizierung von Sprachlichkeit mit Subjektivität und Signifikanz durch das Produktivwerden einer somatischen Semiotik aufzubrechen, formuliert Julia Kristeva nun das Kernstück ihrer Theorie einer „Poesie, die kein Mord ist“:
„Unsere Konzeption verlangt, dass man die semiotische Funktionsweise als Teil einer signifikanten Praxis versteht, die auch die symbolische Instanz in sich einschließt. (...) Die Literatur zum Prüfstein der subjektiven Dialektik im Sinngebungsprozeß zu machen, bedeutete für die beiden Schriftsteller am Ende des 19. Jahrhunderts [ Lautréamont/Mallarmé, Anm. von TE ] vor allem Verweigerung gegenüber einer Poesie, die in den Wahn flüchtete, und Kampf gegen die Poesie als Fetischismus (Sprachspiele, Hypostasierung des Werkes, Umgang mit einer konturlosen Rhetorik). Es bedeutete gleichzeitig, den unvermeidlichen Zwang der Logik, ihrer Setzung und Allgemeinheit, zu akzeptieren und den Exzeß in sie einzuführen, der freilich mehr als logisch ist: `plus-que-logique` .“[16]
Ausgehend von diesem Zitat lässt sich die zentrale Bewegung (und dies in einem buchstäblichen Sinne) nachzeichnen, die gemäß Kristeva als Revolution der poetischen Sprache gelten kann. Der Sinn des Ausdrucks schärft sich demnach erst in der Analyse eines doppelten Genitivs. Dem genitivus subiectivus zufolge handelt es sich um eine Selbstermächtigung der poetischen Sprache, insofern sie den Unterwerfungsprozess historischer Subjekte unter die Logik des Symbolischen Ordnung im Durchgang durch das Semiotische re-inszeniert, wobei sich Unterwerfung hier vor allem als Marginalisierung der Triebe und deren Artikulationsmöglichkeiten ansprechen lässt. Dieser Prozess wird manifest in der vom Kapitalismus herbeigeführten, ideologisch zementierten Trennung der körperlichen von der geistigen Arbeit und hat sein wissensgeschichtliches Pendant in einem signifikativen Sprachkonzept in der Prägung Saussures. Auf dieser Linie bestünde die revolutionäre Strategie in einer Art backlash, einer aus der avantgardistischen Moderne heraus vollzogenen Überschreibung und Verkehrung des Gefüges von Kapitalismus/symbolischer Ordnung durch eine strukturelle Wiederholung der Trennung geistiger und körperlicher Arbeit. Es handelt sich mithin um eine Rekursion, um die Konstitution einer qualitativen Differenz durch die im Semiotischen einsetzende Neuanwendung der symbolischen Ordnung auf diese selbst, was den Effekt einer Umkehrung oder Überbietung des Symbolischen auslöst.[17].
Zugleich setzen sich literarische Texte des genannten Typs aber auch selbst als Objekt der von ihnen „in umgekehrter Richtung“[18] wiederholten „Gewalttat“[19]. Der zweite (als genitivus obiectivus verstandene) Sinn der Rede von einer Revolution der poetischen Sprache zeigt also an, dass es sich mehr noch als um die Implosion des Symbolischen um eine Selbstentgrenzung des Semiotischen handelt, dann nämlich, wenn der literarische Text gleichsam über sich hinaustreibt und mit der Destruktion der symbolischen Ordnung die Bedingungen seiner eigenen Existenz (als sprachliches Artefakt) im selben Zug liquidiert.
Keineswegs handelt es sich daher bei dem agonalen Verhältnis von Symbolischem und Semiotischem um einen rigiden Antagonismus. Das Semiotische ist von Kristeva nicht entworfen als radikale Negation der symbolischen Ordnung, als ein „ganz Anderes“, das über die Textpraktiken der Avantgarde immer erneut in den bedeutungskonstituierenden Bereich des Symbolischen (oder allgemeiner in die signifikante Praxis) infiltriert werden müsste. Vielmehr versteht man die spekulative Struktur des Semiotischen bei Kristeva recht, wenn man wie Mersch auf dessen dialektische Verschlingung mit dem Symbolischen weist[20]. Dies soll zweierlei sagen: Einerseits wird über den Begriff der chora eine topologische Ordnung gegenwärtig, die das Semiotische als die sich ständig entziehende und doch mit-teilende Kondition des Symbolischen preisgibt. Auf dieser Ebene bildet das Semiotische, gewendet als chora, einen Raum oder vielmehr eine Öffnung oder Einritzung, die stets nur in Vermittlung durch das Symbolische, „durch die Erscheinung hindurch“[21], transparent wird.
Andererseits resultiert aus der dialektischen Relation von Semiotischem und Symbolischem die Unmöglichkeit, die „thetische Setzung“ völlig zu tilgen. Immer wieder hat Kristeva an die Gebundenheit des Semiotischen an die signifikante Praxis, an die Präsenz der thetischen Phase gemahnt:
„Das Eindringen des Semiotischen ins Symbolische bleibt dennoch relativ. Das durchlässige Thetische sichert weiterhin die Setzung des Subjekts, das sich jetzt im Prozeß befindet. (...) Allerdings ist das thetische Moment Bedingung einer solchen Heterogenität, die allein den historischen Sinn zu setzen und auszusetzen imstande ist.“[22]
So sehr also das Semiotische inhärentes Element der signifikanten Praxis bleibt, so sehr muss es wenigstens die formale Präsenz des Symbolischen voraussetzen. Analog zu einer (begrifflich allerdings wohl strengeren) Negativen Dialektik in der Prägung Adornos ist hier eine dynamische Opposition angelegt, in der sich das Negative ebenso wenig aus seiner Produktivität wie das Produktive aus seiner Negativität herauslösen kann[23].
Die bislang geschilderten theoretischen Überlegungen Kristevas sollen abschließend kurz um eine Annahme ergänzt werden, die explizit um die Funktionsweise poetischer Texte kreist. Julia Kristeva beschreibt sowohl die Interferenz des Semiotischen mit dem Symbolischen als auch die Interferenz pluraler Zeichensysteme untereinander (die ihrerseits den Kern von „Intertextualität“ auszeichnet) als „Transposition“. Gemeint ist, dass in einer signifikanten Praxis die Sprache zwischen synchron bestehenden Zeichenordnungen changiert, also Austausch- und Übergangsverhältnisse ebenso wie Unterbrechungen oder (psychoanalytisch gesprochen) Verdichtungen und Verschiebungen zwischen ihnen erzeugt. „Der Abbau des Symbolischen durch das Semiotische in der Poesie“[24] wäre ein Extremfall, aber keineswegs der exklusive Fall einer solchen „Transposition“. Die kardinale Rolle der Transposition für die Praxis der poetischen Sprache hat Kristeva in der durch sie geleisteten Gewähr auf Darstellbarkeit erkannt:
„ (...) wir werden in der Folge die Möglichkeit des signifikanten Prozesses, von einem Zeichensystem in ein anderes überzugehen, sie auszutauschen und umzustellen, eine Transposition nennen und Darstellbarkeit die spezifische Weise, in der sich Semiotisches und Thetisches innerhalb eines Zeichensystems artikulieren. Die Transposition spielt dabei eine wesentliche Rolle, weil sie zur Voraussetzung die Aufgabe eines früheren Zeichensystems hat: Übergang zu einer Triebstelle, die beide Systeme vermittelt, und Artikulation des neuen Systems mit einer neuen Darstellbarkeit.“[25]
Unter Hinweis auf den Fortbestand des Darstellbarkeitskriteriums relativiert Kristeva abermals die De-Strukturierung der signifikanten Praxis durch das Semiotische. Obwohl sie an anderen Stellen die radikale Fragmentierung von Sprachlichkeit und Subjektivität für ein Symptom des Gelingens der Revolution der poetischen Sprache zu halten scheint, begrenzt sie diesen Prozess der Selbstdestruktion durch das Gebot der Darstellbarkeit. Selbst wenn die poetische Rede par excellence aus der Analogie zum Traum gewonnen wird[26], bleibt sie als sprachliches Konstrukt aller Selbstzersetzung zum Trotz unhintergehbar auf Darstellbarkeit verpflichtet.
An Kristevas Begriff der „Transposition“ bindet sich mithin ein nahezu paradoxer Schritt: der Wechsel zwischen Zeichensystemen als deren Re-Strukturierung bleibt selbst Strukturierung und daher angewiesen auf die Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Darstellung. „Transposition“ besagt also metonymisch etwa den Überstieg aus der Sprachlichkeit zur Musikalität oder Visualität und strukturell eine gleichermaßen unterbrochene wie vermittelte Relation von Trieb und Zeichen[27].
Mit Catherine Driscoll lässt sich von den elementaren Positionen, die in diesem Kapitel für Kristevas Literatursemiotik aufgerufen wurden, folglich behaupten, dass sie die Revolution der poetischen Sprache nur unter der Bedingung einer Fortführung der signifikanten Praxis propagieren[28]. Im zweiten Teilkapitel soll nun an exemplarischen Analysen literarischer Texte der Moderne vorgeführt werden, wie Kristeva ihre philosophisch-semiologischen Theoreme für ihren stärker literaturwissenschaftlichen Ansatz nutzbar gemacht hat.
I.2.) „Wiederkehr des Verwerfens“: Lektüren von Joyce und Bataille gemäß Julia Kristevas Revolution der poetischen Sprache
Der Erhalt der signifikanten Praxis, insofern diese über das Semiotische eine triebhaft-lebendige Körperlichkeit in das Thetische der symbolischen Ordnung hineinholt und sich qualitativ (reflexiv) wandelt, diktiert Kristevas Poetologie, die sie in zahllosen Einzelanalysen ausdifferenziert hat, sowohl deskriptiv als auch normativ als positives Ziel. Wenn Kristevas Plädoyer für eine Neufassung des Konzepts des Poetischen im Sinne eines `plus-que-logique` auf der Einsicht in die transgressiven Potenziale der modernen Avantgarde beruht, so wirkt dies zunächst wie eine literaturhistorisch eher konservative These. Immerhin konstatiert auch Iser für die Literatur der Moderne das Kriterium ihrer Selbstreferenz, der radikalen Befragung ihrer eigenen Narrativität auf der Ebene einer Metafiktion, die es dem Text gestattet, „Plastizität in eine Formbarkeit“[29] hineinzuziehen und „zum Spiegel für ein ständiges Sich-selbst-Überschreiten des Menschen“[30] zu werden. Zwar lassen sich – in Differenz zu Isers oder auch Adornos Konzeptionen der Ästhetik - kaum Belege für die Kategorie der Selbstreferenzialität moderner Literatur in Kristevas Schriften finden, doch nimmt ihr skizziertes Denken der „Transposition“ eine Art „renewal of the self by means of a displacement through sites of language“[31] in Anspruch.
Wenn schon bei Kristeva nicht länger Subjektivität und symbolische Ordnung die Instanzen einer solchen Selbstreflexion und Selbsterneuerung sein können, so doch die als unhintergehbar postulierte signifikante Praxis, in der das Semiotische den Fortbestand des Symbolischen garantiert. An dem geschilderten Abgrenzungsproblem zwischen Kristevas literatursemiotischen Positionen und methodisch unterschiedenen Überlegungen zur Moderne (Iser, Adorno) sollte deutlich werden, dass nur detailliertere und textgestützte Analysen auf den Kern der Theorie Kristevas weisen können.
Einer der Exponenten moderner Literatur, dem Kristeva eine Detailinterpretation gewidmet hat, ist James Joyce. Dessen Roman Ulysses begriff sie anlässlich einer Tagung in Frankfurt 1984 als Experiment, dem sprachlichen Text eine vehemente Körperlichkeit einzuschreiben – eine Körperlichkeit, die sich innerhalb der formalen Repräsentationsgrenzen der Romangattung zur Geltung bringt und eine Art „Transfusion“ (fr. transvasement) zwischen Unsagbarem und Sagbarem, zwischen Identität und Alterität, zwischen Autor und Werk, zwischen Text und Leser sistiert[32]. Tatsächlich entwirft Joyce im Ulysses Romanszenen, die auf eine intrinsische Verbindung menschlicher Körper mit einer symbolischen Ordnung anspielen, oder genauer: auf die von diesen Körpern betriebene wiederholende Verkehrung der Ordnung. Beispielhaft dafür wäre die bekannte „Lotusfresser“-Szene des Ulysses, in der Leopold Bloom nach der Entgegennahme eines chiffrierten amourösen Briefs auf dem Postamt einem Abendmahl in St. Andrew´s Church beiwohnt, dessen Zeremoniell ihm unverständlich und lächerlich erscheint:
„Mr Bloom put his face forward to catch the words. English. Throw them the bone. I remember slightly. How long since your last mass? Gloria and immaculate virgin. Joseph her spouse. Peter and Paul. More interesting if you understood what it was all about. Wonderful organisation certainly, goes like clockwork. Confession. Everyone wants to. Then I will tell you all. Penance. Punish me, please. Great weapon in their hands. More than doctor or solicitor. Woman dying to. And I schschschschschsch. And did you chachachachachacha?”[33]
[...]
[1] Zit. nach Altwegg, S. 195.
[2] Vgl Ott, S. 91.
[3] Bayerl, S. 135.
[4] Kristeva, Die Revolution der poetischen Sprache, S. 36.
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Vgl Ebd. Kap IV „Die Praxis“
[8] Pagel, S. 43.
[9] Bayerl, S. 134.
[10] Kristeva, Die Revolution der poetischen Sprache, S. 82.
[11] Ebd.
[12] Derrida, S. 34.
[13] Kristeva, Die Revolution der poetischen Sprache, S . 36.
[14] Ebd.
[15] Vgl Schmitz, S. 83.
[16] Kristeva, Die Revolution der poetischen Sprache, S. 90ff.
[17] Das Rekursionsmodell lässt sich sowohl zu Überlegungen Lacans als auch René Girards in Relation setzen. So beschreibt Lacan die Struktur der Poeschen Erzählung The Purloined Letter als zwangsläufige, weil imaginär-spiegelbildlich gewendete Wiederkehr und Umkehrung einer Mitteilung (eines Signifikanten) zum Sender-Subjekt (vgl Mussil, S. 138/Pabst, S. 66f.). In Girards „Sündenbock“-Hypothese bezieht sich der Opfermechanismus, aus dem der Wiedergewinn sozialer Ordnung resultieren kann, mimetisch-umkehrend auf eine ihrerseits mimetisch angelegte Ur-Gewalt aller gegen alle.
[18] Werner, S. 16.
[19] Ebd.
[20] Mersch, S. 131.
[21] Ebd., S. 128.
[22] Kristeva, Die Revolution der poetischen Sprache, S. 72.
[23] Zum Stichwort des „negativen Hegelianismus“ (Mersch, S. 131) sei ergänzt, dass Kristeva Negativität erstens nicht im Sinne einer Selbstbeziehung entwickelt, also als ein einem „Etwas“ seinslogisch universal zuschreibbares ontologisches Prädikat. Vielmehr bleibt „Negativität“ in Kristevas Konzept offensichtlich an die Aktualisierung des Semiotischen im Symbolischen gebunden und erscheint als Merkmal der Signifikanz, das ebenso gut latent bleiben wie aktual werden könnte. (Kristeva, Die Revolution der poetischen Sprache, S. 78). Hegels Position unterscheidet sich von dieser Annahme dezidiert, da sich das Sein notwendig durch die Vermittlung über immanente Negativitätsbezüge auszeichnet, also immer schon „wirklich“ und aktual ist. Zweitens entscheidet in Hegels Daseinslogik unbedingt die Figur einer „Negation der Negation“, also die Selbstaufhebung negativer Selbstverhältnisse in Positivität. Da Kristeva in einem separaten Kapitel der Revolution der poetischen Sprache Negativität exklusiv mit „Verwerfen“ bzw. „Verausgabung“ identifiziert und zudem immer wieder auf den Destruktionsvorgang zielt, der das Semiotische im Symbolischen freisetzt, entfällt für sie jener synthetische Schritt einer „Negation der Negation“, mit dem Hegel das Sein vor dem Zusammensinken in Unmittelbarkeit absichert.
[24] Ebd., S. 73.
[25] Ebd., S.70.
[26] Vgl Schmitz, S. 76.
[27] Ebd., S. 79f.
[28] Vgl Driscoll, S. 72.
[29] Iser, S. 11.
[30] Ebd., S. 12.
[31] de Nooy, How to keep your head when all about you are losing theirs: Translating Possession into Revolt in Kristeva, S. 127.
[32] Vgl de Nooy, Derrida, Kristeva and the Dividing Line. An Articulation of Two Theories of Difference, S. 242 ff.
[33] Joyce, Ulysses, S. 101f.
- Citar trabajo
- Thomas Ebke (Autor), 2004, Schwebe der Körper, Stammeln der Sprache. Strategien literarischer und sexueller Subversion bei Julia Kristeva und Gilles Deleuze, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33346
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