[...] Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit, die Folgen der Osterweiterung auf die Außenpolitik und die internationale Rolle der EU zu untersuchen. Dabei wird Außenpolitik im engen Sinne verstanden, so dass nur auf die diplomatischen und sicherheitspolitischen (hauptsächlich militärische) Dimensionen der EU-Handlungen, die den Inhalt der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik darstellen, Bezug genommen wird. Die Osterweiterung der EU vollzog sich am 01. Mai 2004 und wurde als symbolischer Akt gefeiert, in dem die Spaltung Europas in Ost und West endgültig überwunden wurde. Über diesen symbolischen Wert hinaus ist die Osterweiterung die bisher bedeutendste und herausforderndste Erweiterung der EU, angesichts der Staaten die aufgenommen wurden und den Rahmenbedingungen, in denen die Erweiterung stattgefunden hat. Mit der Osterweiterung nahm die Europäische Union erstmalig zehn neue Staaten zur gleichen Zeit auf. Dadurch wuchs die Bevölkerung der Union mit einem Schlag um 76 Millionen auf insgesamt 459 Millionen2. Dieser Anstieg wird in den ökonomischen Zahlen aber nicht reflektiert, denn die neuen Staaten sind relativ arm und erhöhen das Bruttoinlandsprodukt der Union um nur 5%. Dazu sind, bis auf Polen, alle Staaten Mittel- und Osteuropas3 (worauf hier Bezug genommen wird) klein und haben wenig diplomatische und militärische Ressourcen. Darüber hinaus haben die MOEs einen besonderen politischen Hintergrund, der sich auf ihre – und zukünftig auf die europäische – Außenpolitik reflektiert. Außer Polen und Ungarn haben sie erst Anfang der 90er Jahre ihre Souveränität erlangt und sie haben alle ein vierzigjähriges Dasein hinter dem eisernen Vorhang hinter sich. Dadurch bringen sie in die EU neue geopolitische Perspektiven und nationale Interessen sowie unterschiedliche Bedrohungswahrnehmungen und Sicherheitskulturen. Nach der Osterweiterung grenzt die Europäische Union an neuen instabilen Regionen, wo ein großes Wohlstandsgefälle im Vergleich zu EU besteht und wo ein stabilitätsexportierendes Handeln der Union nötig sein wird. [...] 2 Vgl. Dauderstädt, M. 2004: Das erweiterte Europa in einer bedrohlichen Welt. In: Integration, 1-2/2004, S. 28ff 3 im Folgenden durch MOE abgekürzt
Inhaltsverzeichnis:
I Einleitung
1 Problemstellung
2 Forschungsstand und Struktur der Arbeit
II Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU vor der Osterweiterung
1 Die GASP zwischen Anspruch und Wirklichkeit
2 Von der EPZ zur GASP –die Strukturen der europäischen Außenpolitik
2a Die Anfangsjahre der europäischen außenpolitischen Kooperation: die EPZ
2b Die Gemeinsame Außen- un Sicherheitspolitik: zweite Säule der Europäischen Union
2c Fazit: strukturelle Grenzen der außenpolitischen Handlungsfähigkeit der EU
3 Die GASP im Spannungsfeld nationaler Interessen
4 Bestandsaufnahme: die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU vor der Osterweiterung
III Die GASP auf dem Prüfungsstand - der Irak-Konflikt und seine intra-europäischen Folgen
IV Die Außenpolitik der Länder Mittel- und Osteuropas und die GASP
1 Die Auβen- und Sicherheitspolitik der MOEs
2 Die Mittelosteuropäischen Staaten und die GASP
2a Die MOEs und die ESVP
2b Die MOEs und die transatlantische Beziehung
2c Die Neumitglieder und der Osten: Nachbarschafts- und Ostpolitik
V Die GASP nach der Osterweiterung: ist größer auch besser?
VI Resümee
VII Bibliographie:
I Einleitung
1 Problemstellung
Die Erweiterungspolitik ist eines der wichtigsten außenpolitischen Instrumente der EU, wodurch sie ihre Interessen wahrnimmt. Gleichzeitig wirkt sie sich tiefgreifend auf die Außenbeziehungen der Union und ihre Stellung im internationalen System aus.
Jede Erweiterung verändert „the size, geography, composition, scope and direction of the Union.”[1] Die Europäische Union wird facettenreicher und zugleich komplizierter und gewinnt an Gewicht und Bedeutung in der Welt.
Mit jeder Erweiterung hat die Gestaltung der Außenbeziehungen der EU mehr Dynamik gewonnen. Die neuen Mitgliedstaaten beeinflussen die außenpolitischen Beziehungen der EU und werden selbst von dem bestehenden politischen aquis in ihren Handlungen beeinflusst. Neue Grenzregionen entstehen mit jeder Erweiterung und zwingen die EU als Akteur aufzutreten und seine Interessen gegenüber diesen Regionen zu vertreten. Die neuen Mitglieder bringen aber auch die eigenen Interessen in die EU, ihre historisch und wirtschaftlich bedingten besonderen Beziehungen zu anderen Staaten sowie ihr diplomatisches Potential, so dass mit jedem neuen Mitglied die Außenpolitik der EU einem Wandel unterzogen wird.
Der Beitritt Großbritanniens ermöglichte der Europäischen Gemeinschaft (EG) in diesem Zusammenhang am britischen weltweiten Netzwerk diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen zu den Commonwealth-Staaten teilzunehmen und verlieh der Politik gegenüber diesen Staaten eine neue Qualität. Das gleiche gilt für den Beitritt Spaniens und Portugals, die das Interesse der EU zu den Problemen des Mittelmeerraumes wandte und zugleich die Verstärkung der europäischen Verbindungen zu Lateinamerika mit sich brachte.
Irland förderte die europäische Entwicklungs- und Hilfspolitik gegenüber den Schwellenländern und beeinflusste, zusammen mit den anderen neutralen Staaten, in einem hohen Maße die Entwicklung der sicherheitspolitischen Dimension der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Der Beitritt der nordischen Staaten führte zur Entwicklung einer nordischen Nachbarschaftspolitik, die auf das Baltikum gerichtet war und - dem finnischen Wunsch entsprechend – einen Schwerpunkt auf die Fortentwicklung der Beziehungen zu Russland legte.
Angesichts dieses stetigen Zuwachses von nationalen Interessen, die mittels der EU verwirklicht werden sollen, steigt mit jeder Erweiterung auch das Risiko der Verwässerung der europäischen Politik und der Schwächung ihrer Grundlagen. Dazu wird die Formulierung gemeinsamer Positionen schwieriger und der Entscheidungsprozess komplizierter, wodurch die außenpolitische Handlungsfähigkeit und das internationale Auftreten der EU beeinträchtigt werden.
Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit, die Folgen der Osterweiterung auf die Außenpolitik und die internationale Rolle der EU zu untersuchen. Dabei wird Außenpolitik im engen Sinne verstanden, so dass nur auf die diplomatischen und sicherheitspolitischen (hauptsächlich militärische) Dimensionen der EU-Handlungen, die den Inhalt der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik darstellen, Bezug genommen wird.
Die Osterweiterung der EU vollzog sich am 01. Mai 2004 und wurde als symbolischer Akt gefeiert, in dem die Spaltung Europas in Ost und West endgültig überwunden wurde. Über diesen symbolischen Wert hinaus ist die Osterweiterung die bisher bedeutendste und herausforderndste Erweiterung der EU, angesichts der Staaten die aufgenommen wurden und den Rahmenbedingungen, in denen die Erweiterung stattgefunden hat.
Mit der Osterweiterung nahm die Europäische Union erstmalig zehn neue Staaten zur gleichen Zeit auf. Dadurch wuchs die Bevölkerung der Union mit einem Schlag um 76 Millionen auf insgesamt 459 Millionen[2]. Dieser Anstieg wird in den ökonomischen Zahlen aber nicht reflektiert, denn die neuen Staaten sind relativ arm und erhöhen das Bruttoinlandsprodukt der Union um nur 5%. Dazu sind, bis auf Polen, alle Staaten Mittel- und Osteuropas[3] (worauf hier Bezug genommen wird) klein und haben wenig diplomatische und militärische Ressourcen. Darüber hinaus haben die MOEs einen besonderen politischen Hintergrund, der sich auf ihre – und zukünftig auf die europäische – Außenpolitik reflektiert.
Außer Polen und Ungarn haben sie erst Anfang der 90er Jahre ihre Souveränität erlangt und sie haben alle ein vierzigjähriges Dasein hinter dem eisernen Vorhang hinter sich. Dadurch bringen sie in die EU neue geopolitische Perspektiven und nationale Interessen sowie unterschiedliche Bedrohungswahrnehmungen und Sicherheitskulturen.
Nach der Osterweiterung grenzt die Europäische Union an neuen instabilen Regionen, wo ein großes Wohlstandsgefälle im Vergleich zu EU besteht und wo ein stabilitätsexportierendes Handeln der Union nötig sein wird.
Der Beitritt der MOEs vollzog sich zu einem Zeitpunkt, in dem die EU sich inmitten eines umfassenden Reformprozesses befindet. Die Union versucht sich dadurch den eigenen Veränderungen anzupassen und ihre Handlungsfähigkeit, aber auch Transparenz und Bürgernähe zu verbessern, so dass sie den Erwartungen und Ambitionen der Mitglieder gerecht werden kann.
Die EU versucht aber auch, sich dem sich schnell verändernden internationalen Umfeld anzupassen. Neue Risiken und globale Herausforderungen stellen die EU vor eine gewachsene außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung, der sie gerecht werden muss und die ein selbstbewusstes und pro-aktives internationales Handeln Europas voraussetzen.
Die GASP wurde von den EU-Mitgliedern aufgebaut, um genau das zu ermöglichen. Der mangelhafte Beitrag der EU in den europäischen Konflikten der 90er Jahre haben aber gezeigt, dass die GASP den hohen Erwartungen, die sie hervorgerufen hatte, nicht gerecht werden konnte. Die grundlegenden außenpolitischen Differenzen zwischen den EU-Mitgliedern, die in der Irakkrise 2002-2003 offensichtlich wurden, führen in diesem Zusammenhang dazu, dass der Anspruch der „Gemeinsamkeit“ in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik hinterfragt werden muss.
In der Irakkrise wurde deutlich, dass die Handlungsfähigkeit der EU von den unterschiedlichen Sichtweisen der Mitglieder untergraben wurde. Da die MOEs, aufgrund ihrer historischen Erfahrungen, außen- und sicherheitspolitische Wahrnehmungen und Interessen haben, die sich von denen der EU-15 deutlich unterscheiden, stellt sich also die Frage, wie sich die Osterweiterung auf die GASP und implizit, der weltweiten Rolle der EU, auswirken wird
Diese Frage umfasst mehrere Dimensionen. Erstens betrifft sie die Auswirkungen der Erweiterung auf die Entscheidungsmechanismen der GASP und soll feststellen, ob die erweiterte EU fähig sein wird, außenpolitisch eine gemeinsame Position zu artikulieren.
Zweitens bezieht sie sich auf die Auswirkungen der Erweiterung auf die innere Kohäsion der GASP. Hier muss festgestellt werden, ob nach dem Beitritt der MOEs und angesichts der schwachen Leistungsfähigkeit der Strukturen, die EU-Mitglieder Interesse zum gemeinsamen Handeln zeigen, oder ob sie außenpolitische bilaterale Wege eingehen werden.
Letztlich stellt sich die Frage, ob das vergrößerte Gewicht der EU zu einem weltweiten außen- und sicherheitspolitischen Machtzuwachs der Union führen wird. Gilt also mit anderen Worten für die erweiterte EU die Beziehung, dass Größer auch Besser ist?
2 Forschungsstand und Struktur der Arbeit
In der Fachliteratur wird dem Themenkomplex GASP viel Aufmerksamkeit gewidmet. Studien zahlreicher Autoren betrachten die Strukturen und Institutionen der GASP im Beziehungsgeflecht zwischen den EU-Säulen (Petersen/Sjursen 1998; Regelsberger/Wessels/de Tervarent 1999), die Entscheidungsmechanismen der GASP (Weidenfeld 1994 und 2001) und ihre Ergebnisse, sowie die Auswirkung dieser Ergebnisse auf die Staaten und Regionen, mit denen die EU Beziehungen unterhält (Smith 2003; Ginsberg 2001). All diese Studien sowie die Beschäftigung mancher Autoren mit der Frage, ob die EU über internationale Akteursqualität verfügt (Bretherton/Vogler 1999; Schubert/Brandeck-Bocquet 2000), zeigen, dass die EU durchaus kein außenpolitischer Zwerg ist. Die außenpolitischen Handlungen der EU werden aber differenziert betrachtet, denn zwischen den EU-Säulen besteht ein qualitativer Unterschied in der Wahrnehmung außenpolitischer Tätigkeiten. Dabei wird im Zusammenhang der GASP immer wieder darauf hingewiesen, dass die GASP keine einzige Außenpolitik darstellen soll (Smith 2004) und dass auch der Vergleich mit der Außenpolitik eines Staates bei der Betrachtung der GASP irreführend ist. (Ginsberg 2001). Die große Rolle, welche die EU-Mitgliedstaaten bei der Formulierung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einnehmen, wird in der Literatur berücksichtigt, wobei die außenpolitischen Grundeinstellungen der EU-Staaten, ihre Interessen und die Bedeutung ihrer Kooperation für die Weiterführung der GASP von verschiedenen Autoren dargestellt werden (Jopp/ Maurer/ Schneider 1998; Duke 2000; Müller-Brandeck-Bocquet 2002; Woyke 2004).
Die Osterweiterung ist auch in zahlreichen Studien untersucht worden. Allerdings überwiegen die Abhandlungen, die sich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen, sowohl auf die MOEs als auch auf die EU, beschäftigen, oder die, welche den Erweiterungsprozess an sich betrachten. Es gibt weniger Studien, die sich speziell mit den Auswirkungen der Osterweiterung auf die GASP beschäftigen (Lang 2004). Das mag damit zusammen hängen, dass die Überlegungen zu diesem Thema in den MOEs selbst nicht ausgereift sind, da bis zum 01.Mai die Erweiterung an sich das Ziel ihrer europäischen Anstrengungen darstellte. Vor diesem Hintergrund sind bei der Bearbeitung dieses Themas hauptsächlich Aufsätze der Zeitschriften Integration, Aus Politik und Zeitgeschichte und Internationale Politik herangezogen worden, sowie Beiträge der Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung und Zeit. Auf die Informationen und working-papers des FORNET-Netzwerkes (http:www.fornet.info) wurde hierbei auch zugegriffen.
Die außenpolitischen Grundeinstellungen der Staaten Mittel- und Osteuropas (Tschechische Republik, Polen und Ungarn) sind von Klunkert/ Lippert/ Schenider (1996) umfassend dargestellt worden, konkrete außenpolitische Interessen und Erwartungen von der GASP sind in der Zeitschrift Osteuropa und in verschiedenen anderen Beiträgen, die sich schwerpunktmäßig mit der Erweiterung beschäftigen, abgehandelt (Pradetto/ Linz 2002, Freter-Bachnak/ Grumbach 1999).
Im Zusammenhang mit der Entwicklung der ESVP und der Irakkrise ist das sicherheitspolitische Verständnis der MOEs in den Mittelpunkt der Forschung gerückt. Diesem Thema widmen sich sowohl Pradetto als auch Erhart (Pradetto 1997, Erhart 2002). Die Irakkrise und ihre intraeuropäischen, sowie transatlantischen Folgen werden von mehreren Autoren ausführlich betrachtet, (Pradetto 2003, Hacke 2003 und 2004, Kubbig 2003) wobei auf das Chaillot Paper 68/2004 hinzuweisen ist.
Es ist zu erwarten, dass mit der Anpassung an die Funktionsweise der GASP und ihrem Status als vollwertige Mitglieder, die Regierungen der Staaten Mittel- und Osteuropas ihre außenpolitischen Positionen und Präferenzen eindeutiger formulieren werden. Sobald sich daraus neue Handlungsmuster ergeben und das außenpolitische Profil der erweiterten EU deutlicher zu erkennen sein wird, wird die Fachliteratur den Folgen der Osterweiterung auf die GASP mehr Aufmerksamkeit widmen.
Die vorliegende Arbeit nähert sich ihrem Thema in drei Schritten an, die jeweils einen Teil der Arbeit darstellen.
Im ersten Teil wird die GASP als Teil der EU-Außenpolitik betrachtet. Ihre intergouvernementalen Strukturen und Institutionen sowie die wesentlichen inhaltlichen Determinanten – die außenpolitischen Interessen, Erwartungen und Rollendefinitionen der Mitgliedstaaten – werden als Ursachen für die Unfähigkeit der Mitgliedstaaten, durch die GASP eine gemeinsame Akteursfähigkeit – „the capacity to act with external purpose and consistency“[4] – herauszubilden, identifiziert und näher dargestellt.
Durch einen Überblick auf ihre Entwicklung wird auf die strukturellen Defizite der GASP und ihre Auswirkungen auf die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU eingegangen. Da hierbei auch die Haltung der Mitgliedstaten und das Ausmaß der Konvergenz ihrer Interessen eine bedeutende Rolle spielen, wird diesem Aspekt der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU unter Berücksichtigung der Rolle Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens, nachgegangen. Im intergouvernementalen Kooperationssystem der GASP beeinflussen alle Mitgliedstaaten die außenpolitische Weiterentwicklung und Politikformulierung. Allerdings verfügen diese drei Staaten, angesichts ihrer Größe, internationalen Status sowie ihren diplomatischen und militärischen Ressourcen, über einen entscheidenden Einfluss und Legitimität in der GASP, so dass daher der Schwerpunkt der Betrachtung auf sie fällt.
Der erste Teil der Arbeit endet mit einer kurzen Bestandsaufnahme der GASP vor der Osterweiterung.
Der zweite Teil der Arbeit verdeutlicht die eingeschränkte internationale Handlungsfähigkeit der Europäischen Union vor dem Hintergrund der strukturellen Schwächen der GASP und im Zusammenhang mit zwei maßgeblichen externen Faktoren – das Vorhandensein einer Krise mit militärischer Dimension und die (destruktive) Haltung der USA – anhand der Irakkrise 2002-2003. Die Hintergründe der außenpolitischen Positionen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens und der Staaten Mittel- und Osteuropas werden dargestellt, um danach auf ihre intraeuropäischen Folgen im Vorfeld der Erweiterung eingehen zu können.
Der dritte Teil der Arbeit widmet sich der Untersuchung der außenpolitischen Einstellungen, Determinanten und Handlungsmuster der mittelosteuropäischen Staaten, wobei hauptsächlich auf die drei Visegrad-Staaten Polen, Ungarn und die Tschechische Republik Bezug genommen wird. Die Auswahl fiel auf diese drei Staaten, da sie zu den ersten gehörten, mit denen die EU Beitrittsverhandlungen aufgenommen hat, und sie auch als erste ehemalige Staaten des Ostblocks in die NATO aufgenommen wurden. Dazu hat Polen, das als einziges unter den Neuen zu den großen EU-Staaten gehören wird, durch seine Position im Irakkrieg und während der Verhandlungen über die europäische Verfassung gezeigt, dass es globale Interessen und Ambitionen hat, die es auch lautstark verteidigen wird.
Wie die außenpolitischen Einstellungen der MOEs ihre Haltung zur GASP im Allgemeinen und zu einzelnen GASP-Bereichen beeinflussen wird, soll auch in diesem Teil angesprochen werden.
Der vierte Teil der Arbeit befasst sich mit den inhaltlichen und strukturellen Folgen der Erweiterung für die GASP und das außenpolitische Profil der EU, vor dem Hintergrund der schon dargestellten Defizite der Gemeinsamen-Außen und Sicherheitspolitik und der durch die Erweiterung dazukommenden Vielfalt von mittelosteuropäischen Erwartungen und Interessen.
Ein Resümee fasst schließlich die dargestellten Argumente und Schlussfolgerungen der Arbeit zusammen.
II Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU vor der Osterweiterung
1 Die GASP zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Nach dem Ende des Ost-West Konfliktes und dem Zusammenbruch der Sowjetunion richteten die neuen Staaten Mittel- und Osteuropas ihre Blicke nach Westen. Schon kurze Zeit nach dem Umbruchsjahr 1989 machten sie ihren Wusch klar, Teil der Europäischen Union werden zu wollen. Der Beitrittswunsch gründete nicht nur auf dem Wunsch nach Demokratie, Wohlstand, Gleichberechtigung und Rückkehr nach Europa. Die EU wurde auch als Stabilitätsanker und Sicherheitsgarant in einer unsicheren Welt gesehen.
Die Unsicherheiten der Welt nach dem Ende der Bipolarität stellten aber auch die EG/EU vor ungeahnte Herausforderungen.
Zur gleichen Zeit, als sich die EU dem Anspruch der Ostmitteleuropäer an einer Mitgliedschaft in Europa öffnete und den Erweiterungsprozess koordinierte, versuchte sie die Konsequenzen des dramatischen weltpolitischen Wandels innerlich zu verarbeiten und den Integrationsprozess trotz veränderten Rahmenbedingungen weiter zu führen. Mehrere Faktoren sollten hierbei eine weichenstellende Rolle spielen, da sie die Notwendigkeit neuer außenpolitischer Funktionen der EU mit sich brachten[5]:
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs hatten die sicherheitspolitischen Grundlagen der europäischen Integration an Gültigkeit verloren, da von einem automatischen amerikanischen Engagement auf langer Sicht nicht mehr auszugehen war. Von den Schranken der Blockkonfrontation befreit, musste Europa mehr für seine eigene Sicherheit leisten.
Die aufflammenden ethnischen und nationalstaatlichen Konflikte auf dem Balkan zeigten zudem den EU-Mitgliedern, dass sie auch gegenüber ihren Grenzregionen eine stabilisierende Rolle annehmen mussten, wenn sie ihre eigene Sicherheit festigen wollten. Die politischen und ökonomischen Folgen der Globalisierung ließen außerdem die Grenzen des nationalstaatlichen Handelns sichtbar werden und erhöhten die internen Erwartungen an die internationale Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit der Union.
Angesichts dieser neuen Rahmenbedingungen sah sich die EU gezwungen, mehr internationale Verantwortung und eine deutlichere Ordnungsfunktion in Europa zu übernehmen. Das wurde nicht nur von den eigenen Mitgliedern erwartet, sondern zunehmend auch von den anderen Akteuren des internationalen Systems. Angesichts ihres fragmentierten außenpolitischen Aufbaus konnte die EU aber diese Erwartungen nicht gleichermaßen erfüllen.
Im Bereich der ersten Säule, wo die Kommission für die Handels- , Assoziierungs- und Abkommenspolitik sowie für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit verantwortlich ist, war die EG schon während des Kalten Krieges eine wichtige internationale Präsenz. Durch die Übernahme der Erweiterungspolitik der Union und der wachsenden Bedeutung der Außenhandelspolitik und der Entwicklungszusammenarbeit konnte die Kommission ab den 90er Jahren ihren weltweiten Einfluss weiter ausbauen. Durch einen umfassenden Politikansatz entwickelte die EG die Fähigkeit „to foster the long term conditions for peace by targeting the underlying causes of conflict and contributing to stability“[6].
Im Gegensatz dazu war die Erfolgsbilanz der Gemeinsamen Außen und Sicherheitspolitik der EU (in der zweiten Säule verortet) weniger erfolgreich. Besonders in „heißen“ Konfliktsituationen –in Jugoslawien- und im Kosovokrieg und auch im Irak – konnte die EU nicht in die Rolle eines handlungsfähigen, einheitlichen internationalen Akteurs hineinwachsen, welche die Mitgliedstaaten in dem Vertrag von Maastricht und später in Amsterdam und Nizza vorgesehen hatten.
Die GASP erfüllte somit nicht nur die internen Erwartungen der EU-Mitgliedstaaten nicht, sondern enttäuschte auch die externen Erwartungen der Dritten, die angesichts des Erfolgs der EG auch ein verantwortungsvolles politisches Europa forderten[7].
Der Gegensatz zwischen dem ökonomischen Schwer- und außen- und sicherheitspolitischen Leichtgewicht EU verwirrt bis heute die Akteure der Weltpolitik. Mit anderen Worten stellt „the European Union’s enormous international power and frequent inability to wield it effektively in the pursuit of European interests (…) one of the most fascinating paradoxes of the ‘european Project’”[8] dar. Angesichts des (zumindest formell bekundeten) Willens der Mitgliedstaaten zur außenpolitischen Kooperation zwecks erfolgreicher europäischer Außenpolitik stellt sich die Frage nach den Ursachen, die der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit der GASP auf internationaler Ebene zugrunde liegen.
Drei fundamentale Schwächen[9] sind hierbei zu nennen:
Erstens fehlt der GASP eine wirkliche europäische Identität, deren Grundwerte sie nach Außen vertreten könnte. Damit verbunden steht der Mangel an echten europäischen Interessen, welche die gemeinsame Handlung der EU-Mitglieder motivieren würden. Wenn der Kalte Krieg hierbei fördernd gewirkt hatte, so verflüchtigte sich diese Wirkung mit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Die verschiedenen Krisen- und Konfliktsituationen, vor denen die EU heute gestellt wird, bringen zugleich unterschiedliche nationale Sichtweisen und Interessen mit sich, die schwerlich zu europäischen Interessen vereint werden können. Die dritte Schwäche der GASP bezieht sich auf ihre schwachen und wenig-kohärenten Institutionen. Ihre Entstehung führt auf die unterschiedlichen Interessen und Leitbilder der Mitgliedstaaten zurück, deren Kompromisslösungen zu „akward or unworkable institutions“[10] geführt haben. Mit den schwachen Strukturen hängen wiederum die bruchstückhaften Ergebnisse und Wirkungen der gemeinsamen Außenpolitik zusammen.
Die institutionellen und substanziellen Defizite der GASP werden im Folgenden näher betrachtet. Ihre restriktive Wirkung auf die internationale Handlungsfähigkeit der EU wird vor dem Hintergrund ihrer Entstehungs- und Bestehensgründe beleuchtet, damit später die Effekte der Osterweiterung auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik deutlich gemacht werden können.
2 Von der EPZ zur GASP –die Strukturen der europäischen Außenpolitik
Die außenpolitischen Strukturen der EG/EU entstanden im Spannungsverhältnis zwischen der supranationalen und intergouvernementalen Grundorientierung der EG-Mitglieder, welche die Außenpolitik zum „involuntary object of the battle over the type of Europe to be built“[11] machten.
Wie die GASP aus diesem Grundkonflikt entstand und warum ihre Strukturen und Institutionen die eigene Handlungsfähigkeit bis heute einschränken, wird im Folgenden durch einen Rückblick auf die Entwicklung der außenpolitischen Kooperation zwischen den EU-Mitgliedstaaten dargestellt.
2a Die Anfangsjahre der europäischen außenpolitischen Kooperation: die EPZ
Die außenpolitische Kooperation der EG Mitglieder begann in den 70er Jahren. Damals wurde eine engere Koordination der Außenpolitik notwendig, da der internationale Erfolg der EG zunehmend politische Wirkungen auf die Gemeinschaft hatte, worauf die Sechs reagieren mussten. Außerdem stand die erste Erweiterung und der Beitritt Großbritanniens vor die Tür und somit galt es, die Integration mit einem neuen Projekt weiter zu festigen.
Mit dem Luxemburger-Bericht (auch Davignon-Bericht genannt) wurde also die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) etabliert. Diese war als informeller Konsultationsmechanismus der Mitgliedstaaten angelegt, hatte keine rechtliche Basis (der Bericht hatte keinen Vertragscharakter) und war prozedural von den EG-Strukturen strikt getrennt. Diese Trennung wurde nicht nur von den intergouvernemental orientierten Mitgliedstaaten gewünscht, sie wurde auch von den integrationsfreudigeren Staaten unterstützt, da sie durch die Annäherung an die EPZ, eine „Ansteckung“ der EG mit intergouvernementalen Elementen befürchteten.
Der inoffizielle Charakter der EPZ wurde von ihrem schwachen institutionellen Gerüst unterstrichen: Treffen der Außenminister wurden zwei Mal jährlich vorgesehen. Diese sollten von einem Politischen Komitee vorbereitet werden, dessen Arbeit wiederum von Arbeitsgruppen unterstützt wurde. Für die EPZ wurde kein ständiges Sekretariat eingerichtet, so dass für die Sicherung der Verbindung zwischen den Mitgliedstaaten und den täglichen Ablauf die sogenannten Europäischen Korrespondenten aufgestellt wurden. Die Kommission und das Europäische Parlament (EP) sollten über die EPZ-Arbeit regelmäßig unterrichtet werden.
Die Angaben über Ziele und Mittel der EPZ wurden bewusst vage gehalten, damit die Kooperation der Mitgliedstaaten, deren außenpolitische Traditionen, nationale politische Kultur und internationale Bindungen sich beträchtlich voneinander unterschieden, nicht im Keim erstickt wurde. Die Errichtung der EPZ trotz dieses heterogenen Hintergrundes weist darauf hin, dass mit der EPZ damals auch ein internes Ziel verfolgt wurde: Die regelmäßige Unterrichtung und verstärkte außenpolitische Koordination sollte das gegenseitige Vertrauen und Verständnis der Mitgliedstaaten fördern und so die Herausbildung ähnlicher Positionen und gemeinsamer Re aktionen auf internationale Ereignisse erleichtern, so dass sie langfristig zur Formulierung gemeinsamer Aktionen führen konnten.
Die Außenminister trafen sich, um über außenpolitische Themen des allgemeinen Interesses zu beraten, wobei sicherheitspolitische und verteidigungspolitische Themen nicht angesprochen wurden.
Die auswärtige Vertretung der EPZ erfolgte über die jeweils im sechsmonatigen Turnus rotierende Ratspräsidentschaft. Sie war für die Kontinuität der EPZ–Arbeit, die interne Organisation und Verhandlungen, verantwortlich.
Diese anfänglichen Bestimmungen wurden nach und nach, einem pragmatisch-inkrementellen Ansatz folgend, vervollständigt, um eine Effizienzsteigerung der EPZ zu sichern. So wurde durch den Kopenhagener-Bericht 1973 die Anzahl der Ministertreffen auf vier erhöht und das verschlüsselte Informationssystem (COREU) eingeführt. Der London-Bericht 1981 versuchte, angesichts der wachsenden Aufgaben der Präsidentschaft, mit dem Troika-System[12] eine Lastenteilung einzuführen. Er sah auch die Möglichkeit vor, in Krisenfällen binnen 48 Stunden ein Treffen der Außenminister herbeizuführen, somit auf die verspäteten und wenig effektiven Reaktionen der EG-Staaten auf den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und der Einführung des Kriegsrechtes in Polen reagierend. Der EPZ-Themenbereich wurde in London auch um politikbezogene Aspekte der Sicherheit erweitert.
Die Erfolgsbilanz der EPZ bis zur Einheitlichen Europäischen Akte war relativ bescheiden. Die Mitgliedstaaten hatten es zwar geschafft, in manchen Bereichen ihre Positionen anzugleichen und gemeinsame Initiativen zu starten sowie international gemeinsam aufzutreten. Der Beitrag der EG-Mitglieder bei der KSZE Konferenz und die Aufstellung des Euro-Arabischen Dialogs sind hier zu nennen. In vielen anderen internationalen Krisenfällen schafften es aber die Neun nicht, sich gemeinsam zu artikulieren und, auch wenn sie es taten, waren oftmals „the policies adopted (...) not those most adapted to the circumstances, but those on which the member states succeeded in agreeing.“[13]
Die Effektivität der EPZ wurde auf zweierlei Weisen beeinträchtigt: der schwache institutionelle Unterbau und darunter das Fehlen eines ständigen Sekretariates entbehrten die EPZ der Kontinuität und Kohärenz, die sie für ein erfolgreiches Handeln benötigte. Noch schwerer wog aber die anfängliche strikte Trennung der EPZ von den EG-Strukturen, welche die Mitgliedstaaten daran hinderte, ihre Deklarationen mit Taten (z.B. ökonomische Sanktionen) zu untermauern und ihre außenpolitische Zusammenarbeit zum „talking shop“ verkommen ließ.
Daher wurde diese Trennung langsam gelockert, so dass seit dem London-Bericht die Kommission in vollem Umfang an der EPZ beteiligt wurde.
Die Einheitliche Europäische Akte institutionalisierte die EPZ 1987 und brachte sie durch das Kohärenzgebot[14] näher an die EG. Die Zusammenarbeit zwischen der EG und der EPZ wurde dadurch erstmalig vertraglich verankert, obwohl die Annäherung weiterhin von „a significant dose of mutual suspicion“[15] begleitet wurde. Das Kohärenzgebot, wofür Kommission und Präsidentschaft zu gleichen Teilen verantwortlich waren[16], stellte eine Anerkennung der Notwendigkeit eines strukturübergreifenden außenpolitischen Ansatzes dar und zielte darauf, dass zumindest im Bereich der Außenbeziehungen die EG und EPZ voneinander nicht zu unterscheiden sein sollten.[17]
Trotz dieser Verbesserungen war die EPZ nicht imstande, auf die internationalen Ereignisse der Umbruchjahre 1989/1990 zu reagieren. Ihre Kooperationsmechanismen waren angesichts des Ausmaßes und Schnelligkeit des Weltwandels überfordert.
Vor dem Hintergrund des Zerfalls des Ostblocks, der deutschen Wiedervereinigung – die von den Alliierten über die EPZ Maschinerie hinweg verhandelt und vollbracht wurde – und der Uneinigkeit der EG Mitglieder im Golfkrieg entschieden sich die Mitgliedstaaten, parallel zur Regierungskonferenz über die Wirtschafts- und Währungsunion, Verhandlungen über die Errichtung einer politischen Union aufzunehmen.
2b Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik: zweite Säule der Europäischen Union
In diesem Sinne entstand mit dem Maastrichter-Vertrag die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik als zweite Säule der Europäischen Union.
Die GASP wurde, wie ihre Vorgängerin, von den EG Strukturen in der ersten EU-Säule getrennt und intergouvernementellen Handlungsmechanismen unterstellt. Mit der Weiterführung der Verteilung außenpolitisch relevanter Politikdimensionen auf zwei verschiedene Säulen mit unterschiedlichen vertraglichen Grundlagen, Instrumente und Entscheidungsprinzipien, sollten die Mitgliedstaaten aber die Folgen des schon in der EPZ enthaltenen Konstruktionsfehlers verschärfen, da sich ihre außenpolitischen Ambitionen mit der Errichtung der GASP erweitert hatten. Für die Staats- und Regierungschefs war die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
„der Rahmen, der es der Union ermöglichen soll, die Hoffnungen zu erfüllen, die nach dem Ende des Kalten Krieges geweckt wurden, und den neuen Herausforderungen zu begegnen, die sich aus den Umwälzungen auf internationaler Szene mit der daraus für die Nachbarregionen der Union resultierenden Instabilität ergeben. Ziel der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist es, die Union in die Lage zu versetzen, mit einer Stimme zu sprechen und wirksam im Dienste ihrer Interessen und jener der Völkergemeinschaft im allgemeinen zu handeln.“[18]
Die GASP sollte also den Start in eine pro-aktive europäische Außenpolitik und einen qualitativen Sprung in die internationale Handlungsfähigkeit darstellen, „wozu auf längere Sicht auch die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört, die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte.“[19]
Die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, ihre außenpolitische Kooperation um die sicherheits- und verteidigungspolitische Dimension zu erweitern, ergab sich aus der Erkenntnis, dass die neue internationale Weltlage einer anderen Art von Außenpolitik bedurfte. Die GASP musste eine Lösung darstellen, für alte Fragen, die sich neu stellten:
- Mit dem Ausbleiben der Klammer des Kalten Krieges, welche sowohl die Prioritäten als auch die Grenzen der EPZ bestimmt hatte, stieg das Risiko nationaler Neuorientierungen und Alleingänge. Der schleichenden Entpflichtung der Mitgliedstaaten (besonders Deutschlands) musste die GASP, als neuer Integrationsschritt, entgegenwirken.
- Die Ungewissheit über das amerikanische Engagement in Europa und die aufflammenden ethnischen Konflikte im ehemaligen Sowjetblock verlangten eine erhöhte Verantwortung der Europäer für die eigene Sicherheit und die Stabilität ihres Umfelds. Durch die GASP sollte die EU dieser Herausforderung gerecht werden.
- In Anbetracht der sich abzeichnenden Beitrittswünsche der Staaten Mittel- und Osteuropas sollte die GASP und das Ziel der Errichtung einer politischen Union als Pendant zur Erweiterung das europäische Integrationsmoment aufrechterhalten.
Die Bestimmungen der GASP knüpften an den aquis der EPZ an und gingen – dem bewährten step-by-step Ansatz folgend – in der Institutionalisierung der außenpolitischen Kooperation der EU-Staaten einen Schritt weiter.
Im Folgenden werden die GASP-Bestimmungen des Maastrichter Vertrages bezüglich der Instrumente, Entscheidungsstrukturen und externen Vertretung sowie ihre Grenzen und Neuformulierungen durch die Verträge von Amsterdam und Nizza dargestellt.
Die GASP im Maastrichter Vertrag
Der Vertrag von Maastricht öffnete den EU-Mitgliedern die Möglichkeit, über alle Bereiche der Außenpolitik zu beraten und gegebenenfalls zu agieren. Er band die Mitglieder dabei an die Prinzipien der Vereinten Nationen und an die „Entwicklung und Stärkung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit sowie der Menschenrechte und Grundfreiheiten“[20].
Zur Umsetzung ihrer Politik stellte der Vertrag den Mitgliedstaaten zwei neue Instrumente zur Verfügung, welche die qualitative Entwicklung der EPZ unterstreichen sollten: die „gemeinsamen Positionen“ und die „gemeinsamen Aktionen“. Obwohl nicht deutlich voneinander abgegrenzt, implizierten die gemeinsamen Aktionen[21] ein Tätigwerden der EU auf Grundlage der allgemeinen Leitlinien des Europäischen Rates, im Unterschied zu den gemeinsamen Positionen, welche eine allgemeinere Haltung der EU gegenüber einem bestimmten Staat oder eine Region darstellten. Beide Instrumente waren für die Mitgliedstaaten bindend, obwohl der Vertrag keine Sanktionsbestimmungen vorsah.
Die gemeinsamen Aktionen sollten es den Mitgliedstaaten ermöglichen, international tätig zu werden. Doch in den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht erwies sich das schwieriger als gedacht. Zum Ersten ergaben sich bei der Formulierung der gemeinsamen Aktionen Probleme in der Abgrenzung zu den Kompetenzen der EG. Der Rat fand es schwierig, sich auf „purely political scopes“[22] zu beschränken, da ein großer Teil der Ressourcen und Umsetzungsinstrumente, die den Inhalt der gemeinsamen Aktionen ausmachten, in den Kompetenzbereich der Gemeinschaft fielen. Die Kommission weigerte sich ihrerseits, einen Eingriff der GASP in ihrem Bereich zuzulassen, da sie darin das grundsätzlichere Problem des Eindringens des Intergouvernementellen in ihrer Zuständigkeitssphäre sah.[23] Zum Zweiten verlangsamten Unklarheiten über die Finanzierung der gemeinsamen Aktionen ihr Zustandekommen. Hier mussten die Mitgliedstaaten sowohl mit der Kommission, als auch mit dem Europäischen Parlament, das über sein Budgetrecht einen Zugang zur GASP erreichen wollte, für die Unabhängigkeit ihrer Handlungen kämpfen. Letzten Endes waren es aber die Mitgliedstaaten selbst, die den GASP-Aktionen Grenzen setzten, da sie nicht immer einen Konsens über die Ziele und Mittel zur Umsetzung einer Aktion erreichten.
Der Entscheidungsmechanismus in der GASP sicherte durch die Einstimmigkeitsregel die nationale Kontrolle über die außenpolitischen Handlungen der EU. Obwohl er weitgehend dem Prinzip des Intergouvernementalismus, entsprach, wurde die Möglichkeit der Mehrheitsentscheidung – als Entgegenkommen gegenüber den supranational-orientierten Mitgliedstaaten[24] – eingeführt. Diese konnte zur Umsetzung ausdrücklich festgelegter Teile einer gemeinsamen Aktion benutzt werden[25]. Allerdings bedurfte die Entscheidung über die Anwendung der qualifizierten Mehrheit der Einstimmigkeit im Rat, so dass ihre Erfolgschancen von Anfang an sehr gering waren.
Entscheidungszentrum blieb, wie schon bei der EPZ, der Rat. Die Unterstrukturen der EPZ wurden durch den Maastrichter-Vertrag im Generalsekretariat des Rates eingegliedert. Dem Europäischen Rat blieb die Rolle als Impulsgeber und höchste Entscheidungsgewalt zugeordnet. Die Kommission wurde an der GASP im vollen Umfang beteiligt, verfügte aber, wie das Europäische Parlament, über keine Entscheidungsgewalt.
Für die GASP-Praxis bedeutete der Einstimmigkeitszwang einen langsamen und recht komplizierten Entscheidungsprozess, in dem alle nationalen Präferenzen ausgeglichen werden mussten. Da sie ihr Interesse immer geltend machen konnten, war der Verhandlungsstil der Mitgliedstaaten von wenig Kompromissbereitschaft geprägt. Die Ergebnisse entsprachen daher oft dem kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den sich die Mitgliedstaaten einigen konnten, wobei auch dieser nicht immer mit Geschlossenheit umgesetzt wurde.
Die institutionellen Bindungen innerhalb der GASP blieben also relativ schwach, so dass die Mitgliedstaaten oft gegen die Pflicht zur gegenseitigen Loyalität verstoßen. Ein Beispiel hierfür ist die Konstituierung der Kontaktgruppe für Bosnien, in der Großbritannien, Deutschland und Frankreich zusammen mit den USA – am GASP Rahmen vorbei – nach einer Friedenslösung für den Jugoslawienkonflikt suchten. Dadurch verstießen diese Mitgliedstaaten gegen die GASP-Bestimmung[26] zur Enthaltung jeglicher Handlung, die der Wirksamkeit der Union in den internationalen Beziehungen schaden könnte, da durch ihre Aktion die diplomatischen Bemühungen der EU von der internationalen Bühne ausgeblendet wurden.[27]
Gemäß dem EU-Vertrag werden die GASP Beschlüsse nach außen vom rotierenden Ratsvorsitz vertreten[28]. Das wird dem Gleichheitsprinzip der Mitgliedstaaten gerecht und unterstreicht den zwischenstaatlichen Charakter der GASP. Wie innerhalb des EPZ-Systems hat die Ratspräsidentschaft die Aufgabe, die Formulierung gemeinsamer Positionen zu fördern, diese in internationalen Foren zu repräsentieren sowie für ihre Umsetzung Sorge zu tragen.
Das System der rotierenden Präsidentschaft hat mit der steigenden Anzahl der GASP-Aufgaben und der EU-Mitglieder seine Schwächen gezeigt. Der Erfolg einer Präsidentschaft hängt direkt mit den Ressourcen und internationalen Beziehungen, auf welche die Mitgliedstaaten zurückgreifen können, zusammen. Da sich diese sowohl in Qualität als auch in Quantität erheblich voneinander unterscheiden, leidet die EU unter mangelnder Kohärenz und Kontinuität, sowohl bezüglich der Politikformulierung als auch der Wahrnehmung langfristiger Interessen. In Krisensituationen fehlt es der EU zudem an notwendiger Stärke und Führungskraft, so dass sich die GASP - mit Blick auf den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien und zuletzt im Irak – innernational nicht profilieren konnte, und für Dritte nur schwer wahrzunehmen war (bzw. ist).
Ein weiteres Problem, das sich im Zusammenhang mit dem rotierenden Ratsvorsitz ergibt, beruht auf der Tatsache, dass sich die Mitgliedstaaten in der zweiten Säule das Initiativrecht teilen. Entsprechend haben die EU-Mitglieder die Möglichkeit benutzt, um während „ihrer“ Präsidentschaft ihre „political pet priorities“[29] der GASP-Agenda hinzuzufügen[30]. Obwohl diese Initiativen die GASP unbestritten bereichert haben, sind sie zugleich auch ein Ausdruck der Tatsache, dass die Präsidentschaft zunehmend eine nationale Prestige-Angelegenheit darstellt, „which leads to over-dramatization and creates a pressure to produce results which adversely affects the quality of proceedings“[31].
Angesichts der schwachen Ergebnisse und Sichtbarkeit ihrer gemeinsamen Außenpolitik waren die Mitgliedstaaten während der Regierungskonferenz 1996 bemüht, die Kluft zwischen der „qualitativen-Sprung“-Rethorik und den tatsächlichen Fähigkeiten der GASP, zu schließen. Mit dem Vertrag von Amsterdam haben die Herren der Verträge versucht, die Strukturen und Entscheidungsmechanismen der zweiten Säule zu optimieren.
Die GASP nach dem Vertrag von Amsterdam
Der 1999 in Kraft getretene Vertrag von Amsterdam führte ein neues außenpolitisches Instrument ein, die „gemeinsame Strategie“. Diese war dazu gedacht, dem gemeinsamen Vorgehen der EU-Mitglieder mehr Kohärenz zu verleihen, da sie vom Europäischen Rat beschlossen wurde für die „Bereiche, in denen wichtige gemeinsame Interessen[32] der Mitgliedstaaten bestehen“[33]. Mittels gemeinsamer Aktionen und Standpunkte sollten die gemeinsamen Strategien in die Tat umgesetzt werden. Diese Hierarchisierung der Instrumente erfolgte hauptsächlich als Reaktion auf die nach Maastricht herrschende Verwirrung über das wann und wie die Instrumente eingesetzt werden sollten. Gemeinsame Strategien sollten aber der Union auch pfeilerübergreifende Handlungen und das Einsetzen ihres gesamten Arsenals an Instrumenten und Ressourcen im Sinne eines gemeinsamen Zieles ermöglichen.
[...]
[1] Ginsberg, R. 1998: The Impact of Enlargement on the Role of the European Union in the World. In: Redmond, J./ Rosenthal, G.: The Expanding European Union. Past, Present, Future, London, S. 197
[2] Vgl. Dauderstädt, M. 2004: Das erweiterte Europa in einer bedrohlichen Welt. In: Integration, 1-2/2004, S. 28ff
[3] im Folgenden durch MOE abgekürzt
[4] Ginsberg, R. 2001: The European Union in International Politics. Baptism by Fire, Lanham, S. 33
[5] Vgl. Varwick, J./ Knelangen, W. 2004 (Hg.): Neues Europa – alte EU? Fragen an den europäischen Integrationsprozess, Opladen, S. 15
[6] Smith, K. 2003: European Union Foreign Policy in a Changing World, Oxford, S. 169
[7] vgl. Hill, Ch. 1998: Closing the capabilities-expectations gap? In: Peterson, J./ Sjursen, H. (ed.): A Common Foreign Policy for Europe? Competing Visions of the CFSP, London, S. 25ff
[8] Peterson, J. 1998: Introduction. The European Union as a global actor. In: Ders./Sjursen, H. (ed.): A Common Foreign Policy for Europe? Competing Visions of the CFSP, London, S. 3
[9] Ebenda, S. 3
[10] Ebenda, S. 4
[11] Bonvicini, G. 1998: Making European foreign policy work. In: Westlake, M.: The European Union beyond Amsterdam. New Concepts of European Integration, London/New York, S. 62
[12] Die Troika bestand aus Vertretern der amtierenden, vorherigen und nächsten Präsidentschaft.
[13] Nuttal, S. 1997: Two Decades of EPC Performance. In: Regelsberger, E./de Tervarent, Ph./ Wessels, W.: Foreign Policy of the European Union. From EPC to CFSP and Beyond, London, S. 36
[14] Titel III, Art. 30 (5), Einheitliche Europäische Akte
[15] Bonvicini, G. 1998, S. 64
[16] Titel III, Art. 30 (5), Einheitliche Europäische Akte
[17] „at least in external relations, EPC and EC should not be distinguished from each other“, Smith, M. 2003, S. 153
[18] DOC 93/7, Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Brüssel,29.10.1993 (eigene Hervorhebung).
[19] Art. B, EUV-Maastricht
[20] Artikel J. 1 (2) EUV-Maastricht
[21] Art. J.3 EUV-Maastricht
[22] Krenzler, H.G./ Schneider, H. 1997: The Question of Consistency. In: Regelsberger, E./de Tervarent, Ph./ Wessels, W., (Anmerkung 12), S. 145
[23] vgl. hierzu Regelsberger, E. 1997: The Institutional Setup and Functioning of EPC/CFSP. In: Regelsberger, E./de Tervarent, Ph./ Wessels, W., (Anmerkung 12), S. 79 ff.
[24] hauptsächlich Deutschland, die Benelux-Länder und Italien
[25] Art. J.3 (2) EUV-Maastricht
[26] Art. J.1 (4) EUV-Maastricht
[27] vgl. hierzu Ginsberg, R. 2001, S. 57-105
[28] Art. J.5 (1) EUV-Maastricht
[29] Pernice, I/ Thym , D. 2002: A New Institutional Balance for European Foreign Policy? In: European Foreign Affairs Review 7,S. 393
[30] so hat sich zB. Finnland dafür eingesetzt, die nördliche Dimension der EU auszubauen. Belgien warb für eine aktivere Politik gegenüber Afrika, Spanien setzte sich für engere Beziehungen zu Lateinamerika und den Mittelmeerraum ein und Großbritannien plädierte für ein größeres Engagement der EU im nordirischen Friedensprozess
[31] Solana, J. 2002 : Report: Preparing the Council for Enlargement, Council Doc. S0044/02, section III. Abrufbar unter http://register.consilium.eu.int/utfregister/frames/introfsEN.htm
[32] Diese werden anhand mehreren Faktoren bestimmt: geographische Nähe einer Region oder eines Staates, das Interesse an die politische und wirtschaftliche Stabilität einer Region oder eines Staates sowie das Vorhandensein von Sicherheitsrisiken, welche die EU negativ berühren könnten. Vgl. DOC 92/3, Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Lissabon, 26-27.06.1992.
[33] Art. 13 (2) EUV-Amsterdam
- Citation du texte
- Mara Roman (Auteur), 2004, Größer und besser? Zu den Folgen der Osterweiterung auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33202
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