Die Dogmen des Jurisdiktionsprimats und der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen sind wohl mit die umstrittensten Themen im interkonfessionellen Dialog. Aber auch innerhalb der Kirche entbrannte die Auseinandersetzung um diese Lehren durch den Schweizer Theologen Hans Küng von Neuem. Er verlor durch verschiedene Thesen, insbesondere zu der Lehre über die Unfehlbarkeit, die er in den Büchern „Die Kirche“ und „Unfehlbar? Eine Anfrage“ dargelegt hatte, seine kirchliche Lehrbefugnis.
Dass es auch heute noch Mißverständnisse über diese Dogmen gibt, zeigt die Anfrage, die Peter Seewald im Buch „Salz der Erde“ an Kardinal Ratzinger richtet: „Ist es richtig oder falsch übersetzt, wenn man davon ausgeht, daß alles, was der Heilige Vater spricht, automatisch heilig und richtig ist?“
Im Folgenden wird zunächst versucht, aufzuzeigen, wie die geistige Situation im 19. Jh. war. Dann stellen wir in groben Zügen die Ereignisse zwischen der Französischen Revolution und dem I. Vatikanum dar. Es folgt ein Kapitel über die eigentliche Diskussion und die Formulierung der Dogmen. Nach der kurzen Begründung, warum das I. Vatikanum nicht zu Ende geführt werden konnte, wird schließlich noch die Rezeption der Konzilsbeschlüsse in einigen europäischen Ländern dargestellt.
Inhaltsverzeichnis
0 Vorwort
1 Die geistige Situation im 19. Jahrhundert
1.1 Konziliarismus und Gallikanismus
1.2 Staatskirchentum
1.3 Rationalismus und Liberalismus
2 Von der französischen Revolution bis zum I. Vatikanum
2.1 Die Zeit Papst Pius VII.
2.2 Die Zeit Papst Gregor XVI.
2.3 Die Zeit Papst Pius IX.
3 Das I. Vatikanische Konzil
3.1 Vorbereitungen
3.2 Die konziliare Debatte zum Jurisdiktionsprimat des Papstes
3.3 Die Definition des Jurisdiktionsprimats
3.4 Die Debatte über die Unfehlbarkeit
4 Der Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges und der frühzeitige Abbruch des Konzils
5 Die Rezeption der Konzilsbeschlüsse
5.1 Frankreich
5.2 Deutschland
5.3 Schweiz
5.4 Österreich-Ungarn
6 Literaturverzeichnis
0 Vorwort
Die Dogmen des Jurisdiktionsprimats und der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen sind wohl mit die umstrittensten Themen im interkonfessionellen Dialog. Aber auch innerhalb der Kirche entbrannte die Auseinandersetzung um diese Lehren durch den Schweizer Theologen Hans Küng von Neuem. Er verlor durch verschiedene Thesen, insbesondere zu der Lehre über die Unfehlbarkeit, die er in den Büchern „Die Kirche“[1] und „Unfehlbar? Eine Anfrage“[2] dargelegt hatte, seine kirchliche Lehrbefugnis.
Daß es auch heute noch Mißverständnisse über diese Dogmen gibt, zeigt die Anfrage, die Peter Seewald im Buch „Salz der Erde“[3] an Kardinal Ratzinger richtet: „Ist es richtig oder falsch übersetzt, wenn man davon ausgeht, daß alles, was der Heilige Vater spricht, automatisch heilig und richtig ist?“[4]
Im Folgenden werde ich zunächst versuchen aufzuzeigen, wie die geistige Situation im 19. Jh. war (S.4-5). Dann stelle ich in groben Zügen die Ereignisse zwischen der Französischen Revolution und dem I. Vatikanum dar (S. 6-10). Es folgt ein Kapitel über die eigentliche Diskussion und die Formulierung der Dogmen (S. 11-19). Nach der kurzen Begründung, warum das I. Vatikanum nicht zu Ende geführt werden konnte (S. 20), stelle ich schließlich noch die Rezeption der Konzilsbeschlüsse in einigen europäischen Ländern dar (S. 21-25).
1 Die geistige Situation im 19. Jahrhundert
1.1 Konziliarismus und Gallikanismus
Pottmeyer spricht von einem dreifachen Trauma, das die Kirche am Vorabend des 1. Vatikanischen Konzils erlebt habe.[5] Das erste Trauma stellt er unter die Überschrift: Konziliarismus und Gallikanismus.[6] Es geht vor allem auf das große Papstschisma im 14./15. Jh. zurück. Die Problematik lag in der Frage, wer die letztentscheidende Instanz in der Kirche ist: der Papst oder das Konzil? Auf diese Frage gab es die zwei Antworten des Konziliarismus, die als letzte Instanz ein allgemeines Konzil sah und die Lösung des Papalismus, in der dem Papst der Jurisdiktionsprimat zukommt. Beide Theorien können noch einmal unterteilt werden in radikale und gemäßigte Vertreter. Der Konziliarismus wurde in Frankreich unter dem Begriff des Gallikanismus und in Deutschland als Episkopalismus bekannt. Der Gallikanismus ging zurück auf die vier gallikanischen Artikel der französischen Klerusversammlung von 1682. Diese Artikel ordneten den Papst unter das Konzil und erklärten, daß eine päpstliche Glaubensentscheidung erst dann endgültig ist, wenn ihr die Zustimmung der Kirche folgt.[7] Die gallikanischen Artikel waren bei der Definition des päpstlichen Jurisdiktionsprimats von großer Bedeutung.
1.2 Staatskirchentum
Als zweites Trauma sieht Pottmeyer das Staatskirchentum.[8] In dieser Verfassung sind die Bischöfe in weitem Umfang abhängig von der staatlichen Macht. So wurden in Frankreich die gallikanischen Artikel zum Gesetz erhoben. Dieses staatskirchliche System wurde gefestigt durch das Entstehen der absolutistischen Monarchien.[9] Den papalen Theologen ging es nun darum, darzustellen, daß diese Stellung in der Kirche dem Papst zukommt. Er besitzt die Souveränität, bzw. die „plenitudo potestatis“, d.h. die Fülle der Gewalt.[10] Diese Souveränität soll sich nach außen äußern in der Unabhängigkeit von Papst und Kirche gegenüber den Fürsten und nach innen in der Vorrangstellung des Papstes vor Bischöfen und Konzilien. Unterstützt wurde diese Sicht durch den Ultramontanismus, der sich für die Stärkung der päpstlichen Stellung einsetzte. Diese Bewegung ging vor allem von jungen Priestern und Laien aus, die den Papst als einzigen Garanten der kirchlichen Freiheit sahen.
1.3 Rationalismus und Liberalismus
Als drittes Trauma bezeichnet Pottmeyer Rationalismus und Liberalismus.[11] Diese beiden Geistesströmungen, die der Aufklärung entsprangen, griffen die Fundamente der Kirche und letztlich jeder Offenbarungsreligion an. Die Wissenschaften lieferten Theorien, die der christlichen Lehre widersprachen oder zumindest zu widersprechen schienen. Die Autonomie des Menschen wurde gegen jede Autorität gestellt und die menschliche Vernunft galt als Maß allen Seins. Man sah sicher nicht grundlos im Rationalismus die Gefahr, daß zunächst die Autorität und letztlich auch die Existenz Gottes geleugnet würde. Im Zusammenhang damit standen der Naturalismus, der nur die reine Diesseitigkeit sah, der Materialismus, der die geistige Natur des Menschen leugnete, der Relativismus und der Indifferentismus, die die Gültigkeit einer absoluten Wahrheit, bzw. deren Erkennbarkeit leugneten. Als Wurzel all dieser Entwicklungen sah man die Reformation, die das Urteil des einzelnen an die Stelle der kirchlichen Autorität setzte.[12]
2 Von der französischen Revolution bis zum I. Vatikanum
Klaus Schatz sieht bereits in der Französischen Revolution einen Wegbereiter des I. Vatikanums.[13] Sie führte nämlich zum Untergang jener politischen Ordnung, die die bischöflich-nationalkirchliche Selbständigkeit gegenüber Rom bildete. Nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung war das Papsttum die einzige Instanz, die einen Neuaufbau vollbringen konnte.
2.1 Die Zeit Papst Pius VII.
1799 war Papst Pius VI. in der Gefangenschaft Napoleons in Valence gestorben.[14] Der Episkopalismus schien gegenüber der päpstlichen Vormachtstellung gesiegt zu haben. Sowohl in Österreich, als auch in Italien wurden neue Kirchenbilder propagiert, die „dem römisch-päpstlichen diametral entgegengesetzt“[15] waren. So entstand in Österreich der sogenannte „Josephinismus“.[16] Joseph II. von Österreich billigte nicht nur die nicht-katholischen Gemeinschaften, sondern wollte auch die römisch-katholische Kirche umgestalten in eine vom Papst und anderen ausländischen Instanzen unabhängige Nationalkirche. So durfte nicht mehr nach Rom appelliert werden, die Orden wurden von ihren auswärtigen Generalen getrennt, die Zahl der Klöster vermindert, der Klerus mußte in staatlichen Seminaren studieren, der Kultus der Kirche wurde rationalistisch beschnitten und das Eherecht im Hinblick auf Scheidung und Wiederheirat reformiert.[17]
In einem völlig anderen Licht stand das Werk des Italieners Mauro Cappellari: „Der Triumph des Heiligen Stuhles und der Kirche über die Angriffe der Neuerer, abgewiesen und bekämpft mit deren eigenen Waffen“[18] aus dem Jahr 1799. In diesem Werk stellte der Autor, trotz aller äußeren Unbillen, eine Papstkirche vor, in der der Felsen Petri allen Stürmen und Wirren trotzt. Sowohl die Souveränität, als auch die Unfehlbarkeit der Kirche werden in diesem Werk hervorgehoben. Eine besondere Bedeutung sollte dieses Buch dadurch erlangen, daß sein Verfasser, der bereits erwähnte Kamaldulensermönch Mauro Cappellari 1831 als Gregor XVI. Papst wurde.[19]
Nachdem die französische Nationalversammlung der Kirche die „Zivilkonstitution“ aufoktruiert hatte und es in Frankreich zu einer Spaltung des Gallikanismus gekommen war, zeigte sich Napoleon zu einem Entgegenkommen bereit.[20] 1801 schloß Pius VII ein Konkordat mit ihm ab. Um dem Schisma entgegenzuwirken setzte der Papst, was ein einmaliger Vorgang in der Geschichte ist, alle französischen Bischöfe ab, setzte neue Bischöfe ein und ordnete die Diözesangrenzen neu.[21] Dieser Akt war nach Schatz zwar von Napoleon erzwungen, führte allerdings langfristig zu einer Stärkung Roms.
Nach der Säkularisierung, die sich 1803 in Deutschland vollzog, und dem Wiener Kongeß von 1815, wurden zwischen 1817 und 1827 auch die deutschen Bistümer neu geordnet. Was zunächst durch die Zerschlagung der Reichskirche wie eine Auslieferung an den Staat aussah, führte doch letztlich zum Rückgriff auf die Autorität des Papstes. Schatz schreibt: „Als sich die Kirche auf ihre Freiheit besann, stellte sich heraus, daß als eigenständige kirchliche Kraft nur das Papsttum und die Rombindung, nicht aber die traditionellen episkopalistischen Kräfte übrig geblieben waren.“[22] Für Schatz ist es aber auch klar, daß sich sowohl die gallikanische Kirche in Frankreich, als auch die deutsche Reichskirche unfähig erwiesen hatten, einem solchen Umbruch, wie ihn die Französische Revolution darstellte, zu überstehen, „anders als ein Papsttum, das notfalls mit einem Federstrich tausendjährige Bistümer von der Landkarte streichen konnte“[23].
Die entscheidende Wende der Kirche zum Ultramontanismus sieht Schatz in den Jahren 1820-1850.[24] Als Hauptträger gelten de Maistre und Lamennais in Frankreich, Görres und Phillips in Deutschland, Donoso Cortes in Spanien, Manning in England und George Ward in Irland, die alle durch eine besondere Bekehrung zum Katholizismus gefunden hatten.
Besonders hervorzuheben ist hier Joseph de Maistre, der 1819 als fanzösischer Gesandter am Zarenhof in Petersburg sein Buch „Vom Papst“ schrieb.[25] Darin stellt er eine Beweiskette auf, in der er die Notwendigkeit des Papsttums darstellt. Er schreibt: „<K>eine öffentliche Moral und kein nationaler Charakter ohne Religion, keine europäische Religion ohne Christentum, kein Christentum ohne Katholizismus, keinen Katholizismus ohne Papst, keinen Papst ohne die ihm zukommende Autorität.“[26] Eine Voraussetzung der Souveränität des Papstes ist für de Maistre seine Unfehlbarkeit.
2.2 Die Zeit Papst Gregor XVI.
Geht es bei de Maistre vor allem um Restauration, will Félicité de Lamennais eine Trennung von Kirche und Staat. Er gründete 1830 die Zeitung „L’ Avenir“, in der er mehrere liberale Theorien verbreitete. Diese Theorien wurden allerdings von Papst Gregor XVI. in den Enzykliken „Mirari vos arbitramur“[27] von 1832 und „Singulari nos“ von 1834 als Indifferentismus verurteilt.
Einem bestimmten Ereignis schreibt Schatz eine besondere Signalwirkung zu.[28] Es geht um das sogenannte „Kölner Ereignis“, das auch bekannt wurde als „Kölner Kirchenstreit“[29] Der Kölner Erzbischof Klemens August von Droste zu Vichering wurde 1837 durch den preußischen Staat verhaftet, da er den kirchlichen Standpunkt zur Mischehenfrage vertrat. Darauf protestierte Gregor XVI. öffentlich gegen dieses Vorgehen und Joseph Görres schrieb 1839 sein Buch „Athanasius“. Damit hatte der preußische Staat gerade das erreicht, was er nicht wollte: ab nun wurden die päpstlichen Vorrechte um so stärker verteidigt. Schatz schreibt sogar: „Auf jeden Fall ist der deutsche Katholizismus seitdem wesentlich ‘päpstlicher’ ausgerichtet“[30].
[...]
[1] Küng, Hans: Die Kirche, Freiburg, 1967.
[2] Küng, Hans: Unfehlbar? Eine Anfrage, Zürich, 1970.
[3] Ratzinger, Joseph (Kard.): Salz der Erde, München, 1998.
[4] Ebd, 194.
[5] Vgl. Pottmeyer, Hermann J., Die Rolle des Papsttums im Dritten Jahrtausend, Freiburg - Basel - Wien, 1999, 30.
[6] Vgl. Pottmeyer, 30-35.
[7] Vgl. Pottmeyer, 33.
[8] Vgl. Pottmeyer, 35-39.
[9] Vgl. Pottmeyer, 36.
[10] Vgl. zu beiden Begriffen: Pottmeyer, 36f.
[11] Vgl. Pottmeyer, 39-41.
[12] Vgl. Pottmeyer, 40.
[13] Hier und im Folgenden: Schatz, Klaus, Der päpstliche Primat, Würzburg, 1990, 175.
[14] Vgl. Schatz, 174.
[15] Schatz, 174.
[16] Vgl. Heussi, Karl, Kompendium der Kirchengeschichte, Tübingen, 121991, 422f.
[17] Ebd.
[18] Im Original: Cappellari, Mauro, Il trionfo della Santa Sede e della Chiesa contro gli assalti dei novatori respinti e combattuti colle stesse loro armi, Roma, 1799.
Deutsch: Cappelari, Mauro, Der Triumph des Hl. Stuhl und der Kirche, Augsburg, 21848.
[19] Vgl. Pottmeyer, 44.
[20] Vgl. Schatz, 175f.
[21] Vgl. Schatz, 176.
[22] Schatz, 178.
[23] Ebd.
[24] Ebd.
[25] Vgl. Schatz, 179.
[26] de Maistre, Joseph, Correspondance IV, 428. Zitiert aus: Schatz, 179.
[27] Vgl. Denzinger, Heinrich: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen / Peter Hünermann (Hrsg.), Freiburg i. Br., 371991, 2730-2732.
[28] Vgl. Schatz, 182.
[29] Vgl. Heussi, 439f.
[30] Schatz, 182.
- Citation du texte
- Dr. theol. Peter H. Görg (Auteur), 1999, Das Papstamt am I. Vatikanischen Konzil, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33060
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