„Mediation/Streitschlichtung“ spielte das erste Mal in der praktischen Tätigkeit als Schulsozialarbeiter am Förderzentrum “Schule am Fernsehturm“ eine Rolle.
Diese Thematik wird in diesem Buch vertieft, wobei aufgezeigt werden soll, welche Potenziale der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule bezugnehmend auf Streitschlichtung innewohnen.
Im ersten Kapitel wird eine kurze Einführung in die Problematik Gewalt und Konflikte vorgenommen, da Gewalt und Konflikte im Arbeitsalltag eines Schulsozialarbeiters eine große Rolle spielen.
Ziel des zweiten Kapitels ist es, eine Übersicht über die Mediation als Verfahren zur Konfliktlösung zu geben, da die Streitschlichtung, die im dritten Kapitel analysiert wird, eine Form der Mediation ist.
Im dritten Kapitel geht es um die Streitschlichtung und im Speziellen um die Schülerstreitschlichtung. Dieses Kapitel stellt den Schwerpunkt der Arbeit dar und soll aufzeigen, welche Möglichkeiten der Streítschlichtung als institutionalisierte Form der Konfliktaustragung innewohnen und welche Perspektiven sich daraus auch für die Jugendhilfe/ Schulsozialarbeit ergeben können.
Das vierte Kapitel soll aufzeigen, wie die Kooperation von Jugendhilfe und Schule zustande gekommen ist und welche Möglichkeiten der Schulsozialarbeit auf der Basis des Kinder- und Jugendhilfegesetzes
(im Folgenden KJHG) innewohnen, um Streitschlichtung in der Schule umzusetzen.
Im fünften Kapitel wird die Theorie mit der Praxis der Schülerstreitschlichtung am Förderzentrum Schwerin „Schule am Fernsehturm“ verglichen und es werden kritische Ausblicke gegeben.
Inhaltsverzeichnis
0. EINLEITUNG
ERSTES KAPITEL- GEWALT UND KONFLIKTE
1. EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK
1.1 GEWALT UND AGGRESSIONEN
- 1.1.1 Definitionen von Gewalt
- 1.1.2 Unterschiede zwischen Aggression und Gewalt
1.2 FORMEN VON GEWALT
- 1.2.1 Psychische Gewalt
- 1.2.2 Physische Gewalt
- 1.2.3 Sexuelle Gewalt
- 1.2.4 Frauenfeindliche/Fremdenfeindliche/Rassistische Gewalt
- 1.2.5 Institutionelle Gewalt und Strukturelle Gewalt
1.3 URSACHEN VON GEWALT
- 1.3.1 Familie als mögliche Ursachenquelle von Gewalt
- 1.3.2 Schule als mögliche Ursachenquelle von Gewalt
- 1.3.3 Peergroup/ Clique als eine Ursachenquelle von Gewalt
- 1.4.1 Was ist ein Konflikt?
- 1.4.2 Soziale Konflikte nach Glasl
- 1.4.3 Funktion von Konflikten
- 1.4.4 Konflikttypen
1.4.4.1 Konflikttypen nach Moore
1.4.4.2 Konflikttypen nach Glasl
1.5 AKTUELLES GEWALT- UND KONFLIKTVERHALTEN AN SCHULEN
1.6 ZUSAMMENFASSUNG
ZWEITES KAPITEL- MEDIATION
2. MEDIATION ALS INSTRUMENT EINER ALTERNATIVEN KONFLIKTLÖSUNG
2.1 WAS IST MEDIATION?
2.2 GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG DER MEDIATION
2.3 DAS MEDIATIONSVERFAHREN- MERKMALE, ZIELE UND PRINZIPIEN
2.4 ANWENDUNGSGEBIETE DER MEDIATION
2.5 MEDIATION ALS RITUAL NACH RISTO
2.6 ZUSAMMENFASSUNG
DRITTES KAPITEL- STREITSCHLICHTUNG
3. STREITSCHLICHTUNG ALS FORM DER MEDIATION
3.1 STREIT - SCHLICHTUNG - EINE FORM DER MEDIATION
3.2 MEDIATION IM SCHULALLTAG/ SCHÜLER-STREITSCHLICHTUNG ALS
EINE FORM DER GEWALTPRÄVENTION AN SCHULEN
3.3 SCHÜLER - STREIT - SCHLICHTUNG, EINE FORM DER MEDIATION
3.4 GRUNDELEMENTE DER SCHLICHTERAUSBILDUNG
3.5 ALLGEMEINE SCHRITTE DES MEDIATIONS-/
STREITSCHLICHTERVERFAHRENS
- 3.5.1 Die Vorphase
- 3.5.2 Einleitung in das Mediations-/ Streitschlichtergespräch
- 3.5.3 Sichtweise der Konfliktparteien
- 3.5.4 Konflikterhellung
- 3.5.5 Konfliktlösung
- 3.5.6 Vereinbarung und Vertrag
- 3.5.7 Nachtreffen zur Auswertung
3.6 GRUNDLEGENDE INHALTE IN EINEM SCHLICHTERGESPRÄCH
- 3.6.1 Aktives Zuhören
- 3.6.2 Ich-Botschaften
- 3.6.3 Brainstorming (Gehirnsturm)
3.7 ROLLE UND AUFGABEN DER MEDIATOREN/ STREITSCHLICHTER
3.8 UNTERSCHIEDE DER SCHÜLERSTREITSTREITSCHLICHTUNG ZUR MEDIATION
3.9 SCHÜLER- STREITSCHLICHTUNG EINE FORM DER PEERGROUPARBEIT
3.10 SCHÜLER-STREIT-SCHLICHTUNG, EIN BEITRAG ZUR SCHULENTWICKLUNG
3.11 CHANCEN/VORTEILE/GEWINNE DER SCHÜLER - STREITSCHLICHTUNG
3.12 GRENZEN DER SCHÜLER - STREITSCHLICHTUNG
3.13 SYSTEMISCHER ANSATZ IN DER MEDIATION/STREITSCHLICHTUNG NACH FALLER
- 3.13.1 Das "Pädagogische Hexagon"
3.13.1.1 Konstruktive Konfliktbearbeitung
3.13.1.2 Begleitende Programme
3.13.1.3 Soziale Lernziele im Unterricht
3.13.1.4 Trainings zum Lehrerverhalten
3.13.1.5 Öffnung der Schule
3.13.1.6 Prävention und Schulprogramm
- 3.13.2 Kurzer Bezug zur Streitschlichtung
3.14 ZUSAMMENFASSUNG
VIERTES KAPITEL- KOOPERATION VON SCHULE UND JUGENDHILFE BEZUGNEHMEND AUF STREÍTSCHLICHTUNG
4. SCHULSOZIALARBEIT ALS MULTIPLIKATOR FÜR STREITSCHLICHTUNG AN SCHULEN
4.1 DIE KOOPERATION VON JUGENDHILFE UND SCHULE
- 4.1.1 Entstehung der Kooperation von Schule und Jugendhilfe
- 4.1.2 Verhältnis zwischen Schule und Jugendhilfe
- 4.1.3 Die Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule in Mecklenburg-Vorpommern
4.2 SCHULBEZOGENE JUGENDSOZIALARBEIT /SCHULSOZIALARBEIT
- 4.2.1 Arbeitsfelder von Schulsozialarbeitern
- 4.2.2 Methoden der Schulsozialarbeit
- 4.2.3 Ansätze (Kooperationsformen) von Schulsozialarbeit
- 4.2.4 Strukturen von Schulsozialarbeit
- 4.2.5 Gesetzliche Grundlagen der Schulsozialarbeit
4.3 PROBLEME UND GRENZEN DER KOOPERATION VON SCHULE UND JUGENDHILFE/SCHULSOZIALARBEIT
4.4 EINFLUSSNAHME DER SCHULSOZIALARBEIT AUF DIE UMSETZUNG DER STREITSCHLICHTUNG IN DER SCHULE
4.5 ZUSAMMENFASSUNG
FÜNFTES KAPITEL - SCHÜLERSTREITSCHLICHTUNG AN EINER SCHWERINER FÖRDERSCHULE
5. SCHULFORM
5.1 ENTWICKLUNG DER STREITSCHLICHTUNG AN DER SCHULE IN MECKLENBURG/VORPOMMERN
5.2 UMSETZUNG THEORETISCHER GRUNDLAGEN/PRAXISERFAHRUNGEN
- 5.2.1 Einstieg in die Schüler- Streitschlichtung
- 5.2.2 Gewinnung und Unterstützung
- 5.2.3 Fortbildung der interessierten Lehrkräfte
- 5.2.4 Vorbereitung der Schülerschaft auf die Mediation
- 5.2.5 Mediatoren/ Streitschlichterausbildung
- 5.2.6 Die Streitschlichterarbeit
- 5.2.7 Ständige Begleitung der Schülerschlichter
- 5.2.8 Evaluation
5.3 ZUSAMMENGEFASSTE ARBEITSSCHRITTE ZUR EINFÜHRUNG DER SCHÜLER-STREITSCHLICHTUNG IM „SONDERPÄDAGOGISCHEN FÖRDERZENTRUM AM FERNSEHTURM“ SCHWERIN
5.4 SCHWIERIGKEITEN UND HERAUSFORDERUNGEN DER PRAKTISCHEN ARBEIT
5.5 ZUSAMMENFASSUNG
6. SCHLUSSBETRACHTUNG
LITERATURVERZEICHNIS
INTERNETSEITEN
ABBILDUNGEN
- Abbildung 1: Kommunikationsmodell von Schulz v. Thun
- Abbildung 2: Gewalt und Aggression
- Abbildung 3: Eisbergmodell
- Abbildung 4: „Das pädagogische Hexagon“ mit seinen sechs Elementen
0. Einleitung
„Mediation/Streitschlichtung“ spielte das erste Mal in der praktischen Tätigkeit als Schulsozialarbeiter im „Förderzentrum am Fernsehturm“ eine Rolle.
Diese Thematik wird in dieser Diplomarbeit vertieft, wobei aufgezeigt werden soll, welche Potenziale der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule bezugnehmend auf Streitschlichtung innewohnen.
Im ersten Kapitel wird eine kurze Einführung in die Problematik Gewalt und Konflikte vorgenommen, da Gewalt und Konflikte im Arbeitsalltag eines Schulsozialarbeiters eine große Rolle spielen. Insofern ist es wichtig, herauszuarbeiten, welche möglichen Ursachen Gewalt und Aggressionen haben und inwiefern Konflikte und der Umgang mit ihnen eine Rolle für das Gewalt- und Konfliktverhalten von Schülern spielen kann. Untersucht wird weiterhin, ob der Umfang der Gewalt an Schulen, wie in den Medien immer wieder beschrieben, zugenommen hat.
Ziel des zweiten Kapitels ist es, eine Übersicht über die Mediation als Verfahren zur Konfliktlösung zu geben, da die Streitschlichtung, die im dritten Kapitel analysiert wird, eine Form der Mediation ist.
Im dritten Kapitel geht es um die Streitschlichtung und im Speziellen um die Schülerstreitschlichtung. Dieses Kapitel stellt den Schwerpunkt der Arbeit dar und soll aufzeigen, welche Möglichkeiten der Streítschlichtung als institutionalisierte Form der Konfliktaustragung innewohnen und welche Perspektiven sich daraus auch für die Jugendhilfe/ Schulsozialarbeit ergeben können. Es werden Grundelemente der Schlichterausbildung dargestellt, auf wesentliche Bestandteile des Streitschlichterverfahrens wird eingegangen. Des Weiteren soll geklärt werden, inwieweit die Streitschlichtung zur Gewaltprävention an Schulen dienen kann.
Insbesondere die Peermediation/Schülerstreitschlichtung ist hier von besonderem Interesse, da diese Form der Streitschlichtung seit einiger Zeit im „Förderzentrum am Fernsehturm“ praktisch umgesetzt wird. Weiterhin werden in diesem Kapitel Vorteile und Grenzen der Schülerstreitschlichtung dargestellt sowie Untersuchungen angestrebt, wie Streitschlichtung zur Verbesserung des sozialen Klimas innerhalb der Schule beitragen kann.
Das vierte Kapitel soll aufzeigen, wie die Kooperation von Jugendhilfe und Schule zustande gekommen ist und welche Möglichkeiten der Schulsozialarbeit auf der Basis des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (im Folgenden KJHG) innewohnen, um Streitschlichtung in der Schule umzusetzen.
Im fünften Kapitel wird die Theorie mit der Praxis der Schülerstreitschlichtung im „Förderzentrum am Fernsehturm“ verglichen und es werden kritische Ausblicke gegeben.
Erstes Kapitel- Gewalt und Konflikte
1. Einführung in die Thematik
Gewalt, Aggressionen, Konflikte - das sind Themen, mit denen der Sozialarbeiter im Arbeitsalltag an Schulen täglich konfrontiert wird. Wenn von Mediation/Streitschlichtung gesprochen wird, so ist im gleichen Atemzug auch immer die Rede von Gewalt und Konflikten. Deshalb werden in diesem Kapitel kurz Gewalt und Konflikte analysiert sowie auf aktuelles Gewalt- und Konfliktverhalten in Schulen eingegangen.
Gerade die Begriffe Gewalt bzw. Aggression werden im Alltag oft synonym verwendet. Dennoch gibt es Unterschiede, die im Folgenden dargestellt werden.
1.1 Gewalt und Aggressionen
Eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit Diskussionen um das Problem der Gewalt spielt die Frage, was genau "Gewalt" ist. Der Begriff "Gewalt" wird im umgangssprachlichen Bereich für sehr unterschiedliche Sachverhalte gebraucht und jeder Mensch kann "Gewalt" anders empfinden.
An dieser Stelle sollen einige Definitionen von Gewalt vorgestellt werden.
1.1.1 Definitionen von Gewalt
Nach Galtung liegt Gewalt dann vor, wenn die physische und psychische Entfaltung von Menschen so behindert wird, so dass diese sich nicht optimal entwickeln können (vgl. Weißmann 2003, S. 23).
Diese Definition, bezogen auf die Entwicklung von Schülern in der Schule, ist wichtig, da sich Gewalt auf die angemessene Entfaltung und Entwicklung negativ auswirken kann (siehe institutionelle und strukturelle Gewalt nach Galtung P.1.1.5).
Weißmann sagt, dass Gewalt als Begriff die zielgerichtete, direkte, physische Schädigung von Menschen durch Menschen erfasst und definiert näher, „[...] wenn sich Aggressionen in destruktiven, feindseligen Handlungen kanalisieren, die mit der Absicht geführt werden, Personen zu verletzen oder Sachen zu beschädigen, so spricht man im wissenschaftlichen Sinne von Gewalt(Anwendungen)“ (Weißmann 2003, S. 15).
Nach Preuschoff/Preuschoff ist „[...]Gewalt immer an Macht geknüpft, denn nur Macht ermöglicht dauerhafte, zielgerichtete Aggression“ (Preuschoff/Preuschoff 1994, S. 28 zitiert nach Weißmann 2003, S. 15).
„Strafrechtlich wird Gewalt verstanden als ausgeübte oder glaubwürdig angedrohte physische Aggression, die gezielt und mit relativer Macht gegen den Willen und die Bedürfnisse eines Anderen geschieht (z. B. bei Körperverletzung, Tötung oder Raub)“ (Northoff 2003, S. 4). Northoff meint, dass der Begriff Aggression anstatt des Begriffes Gewalt aus psychologischer Sicht üblicher sei. Danach lässt sich Aggression verstehen als ein Verhalten, bei dem ein gerichtetes Austeilen schädigender Reize erfolgt. „Aggressionen können dabei positiv (gebilligt) oder negativ (missbilligt), körperlicher oder verbaler Art oder auch nur fantasiert sein. Sie können instrumentell (als Mittel zur Zielerreichung eingesetzt), feindselig (auf Schmerz und Schaden gerichtet) oder expressiv (als Ärger oder Wutausbruch) sein“ (Northoff 2003, S. 4).
Lempert/Oelemann grenzen sich gegenüber Aggressionen in ihrer Definition ab, indem sie sagen: „Gewalt ist jede Form von körperlicher Beeinträchtigung und ihrer Androhung“ (Lempert/Oelemann 2001, S. 8).
Bezugnehmend auf Gewalt in der Schule definiert Hurrelmann:
„Gewalt in der Schule umfasst das gesamte Spektrum von Tätigkeiten und Handlungen, die physische und psychische Schmerzen oder Verletzungen bei den im Bereich der Schule handelnden Personen zur Folge haben oder die auf die Beschädigung von Gegenständen im schulischen Raum gerichtet sind. Gewalt in der Schule umfasst alle Übergriffe und Bedrohungen, die im unterrichtlichen Geschehen stattfinden, und auch alle diejenigen, die um außerunterrichtlichen Bereich auftreten“ („Wege aus der Gewalt“ Stand:03.10.04).
In einer Studie der Kriminologen Schwind (1997) und Tillmann (1999) bringen im Alltag „[...] Schüler, Lehrer, Schulleiter oder Eltern vor allem Verhaltensweisen wie körperliche Übergriffe, Bedrohung mit einer Waffe, Erpressung oder Vandalismus mit Gewalt in Zusammenhang. Verbale Ausfälle, wie Beschimpfen oder Beleidigen, werden hingegen von sehr viel weniger Befragten mit Gewalt assoziiert“ („Wege aus der Gewalt“ Stand:03.10.04).
Bei den aufgezeigten Definitionen ist zu erkennen, dass eine Unterscheidung zwischen Gewalt und Aggression kaum vorgenommen wird, so dass im nächsten Abschnitt die Unterschiede zwischen Gewalt und Aggressionen anhand des Kommunikationsmodells von Schulz v. Thun aufgezeigt werden (vgl. „Wege aus der Gewalt“ Stand:03.10.04).
1.1.2 Unterschiede zwischen Aggression und Gewalt
Aggression und Gewalt sind Begriffe, die häufig synonym verwendet werden. Dennoch sind sie unterschiedlich zu definieren. Der Begriff „Aggression“ stammt aus dem Lateinischen ,aggredi’ und meint „[...] auf jemanden bzw. etwas losgehen“ (Weißmann 2003, S.13). Nach Bründel/Hurrelmann (1994) bezeichnet Aggression „[...] eine Handlung, die auf die Verletzung eines Menschen zielt“ (Bründel/Hurrelmann 1994 S. 23 zitiert nach Weißmann 2003, S. 13).
Selg hat folgende Definition vorgeschlagen: „Eine Aggression besteht in einem gegen einen Organismus gerichteten Austeilen schädigender Reize (Schädigen meint hier beschädigen, verletzen, zerstören, vernichten, es impliziert aber auch Schmerz zufügende, störende, Ärger erregende und beleidigende Verhaltensweisen, welche der direkten Verhaltensbeobachtung schwerer zugänglich sind)“ (Selg 1982, S. 352 zitiert nach Weißmann 2003, S. 13).
Lempert/Oelemann zeigen Unterschiede zwischen Gewalt und Aggressionen anhand des Kommunikationsmodells der vier Ebenen von Schulz v. Thun (1991) auf, indem sie die vier Ebenen der Kommunikation mit der Thematik „Gewalt und Aggressionen“ in Verbindung setzen (vgl. Lempert/Oelemann 2001, S. 9).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Kommunikationsmodell von Schulz v. Thun
(Quelle:http://www.geroweb.de/krankenpflege/schulz-von-thun.html)
Dieses Modell geht davon aus, dass jeder Mensch, der eine Botschaft mitteilt, dies auf vier Ebenen tut. Ebenso hat jeder Mensch, der eine Botschaft empfängt, vier Ohren. Schulz v. Thun beschreibt diese vier Ebenen jeweils als Appell-, Beziehungs-, Inhaltsaussage und Selbstoffenbarung.
Betrachtet man, gemäß dem Modell, Gewalthandlungen und
Aggressionen und schaut nach den vier Ebenen, ergibt sich,
- dass bei der Inhaltsaussage (Sachinhalt) bei Gewalt nichts vermittelt wird, während bei Aggressionen eine Inhaltsaussage stattfindet (z.B. „Du hast dies und jenes getan.“),
- dass in der Beziehungsaussage (Beziehung) bei Gewalt eindeutig das Verletzen des Anderen im Vordergrund steht, keine Beziehungsaussage stattfindet, aber Aggressionen eine intensive Beziehungsaussage haben, da sie sich direkt an den anderen richtet: „Du, dich meine ich.“,
- dass, auf der Appellebene (Appell) bei Gewalt (im Gegensatz zur Androhung von Gewalt) im Moment des Zuschlagens kein Appell ausgesandt, aber bei einer Aggression ein Appell deutlich wird (z. B. „Ändere Dich!; Lass das!“),
- dass auf der Selbstoffenbarungsebene (Selbstoffenbarung) der Gewaltausübende nichts über sich aussagt, außer, dass er schlägt, während bei Aggressionen, im Gespräch eine große Selbstoffenbarung stattfindet (z. B. “Ich werde wütend und laut und sage, was mich verletzt oder mich ärgert.“) (vgl. Lempert/Oelemann 2001, S. 9ff.).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass große Unterschiede zwischen Gewalt und Aggressionen herrschen, da die einzige Kommunikation bei Gewalt, auf der Beziehungsebene (“Ich verletze dich“), bei Aggression in der Mehrzahl der Fälle verbal stattfindet. Gewalt geht nach Lempert/Oelemann selten mit Formen von verbalen Auseinandersetzungen einher.
In der Gewalthandlung redet der Mensch nicht, er schlägt. Das ist ein Kontaktabbruch. Insofern ist Gewalt negativ besetzt. In einer Aggressionshandlung aber kommt es zumeist nicht zu einem Kontaktabbruch, sondern es gibt eine Ankündigung: „Wenn- dann“ (vgl. Lempert/Oelemann 2001, S. 10f.).
Hier tritt der aggressive Mensch in Kommunikation mit dem Anderen und möchte durch seine Aussagen auf den vier verschiedenen Ebenen eine Situation für sich eventuell positiv oder auch negativ verändern.
1.2 Formen von Gewalt
Es gibt verschiedene Formen der Ausübung von Gewalt. Einige werden im Folgenden speziell mit Blickpunkt auf das System „Schule“ dargestellt, da sie aus Sicht des Schulsozialarbeiters an Schulen am häufigsten anzufinden sind.
1.2.1 Psychische Gewalt
Sie äußert sich z. B. durch Abwerten der Persönlichkeit des Gegenübers sowie den Entzug von Vertrauen und Zuwendung, so dass der Interaktionspartner geängstigt und/oder gedemütigt, überfordert bzw. der Lächerlichkeit preisgegeben wird (vgl. Weißmann 2003, S. 8). Die psychische Gewalt umfasst verbale Aggressionen (Verletzung und Schaden durch beleidigende, erniedrigende und entwürdigende Äußerungen), Drohungen mit Gewalt (Nötigungen, Erpressungen), Demütigungen, Mobbing und Diskriminierung.
Für die auftretende Gewalt an Schulen heißt das, dass die psychische Gewalt beispielsweise durch Beleidigungen, Bloßstellen, Nötigung und Erpressung gekennzeichnet sein kann (vgl. Weißmann 2003 S. 8; vgl. Northoff 2003, S. 5).
Diese Form der Gewalt ist am meisten an Schulen vertreten und begegnet nach Ansicht des Schulsozialarbeiters ihm und den Streitschlichtern am häufigsten.
„Mobbing“ ist eine besondere Ausprägungsform von sowohl psychischer als auch physischer Gewalt. „Von „Mobbing“ spricht man im Schulalltag, wenn ein oder mehrere Schüler von anderen, meist körperlich überlegeneren Schülern, regelmäßig und über eine längere Zeit, angegriffen werden.
Dabei sind die Methoden des Drangsalierens vielfältig. Körperliche und verbale Attacken gehören ebenso dazu wie indirekte Strategien (z. B. Ausschluss aus der Gruppe, Gerüchte verbreiten). Die Opfer sind in der Regel klar unterlegen, so dass sie sich kaum zur Wehr setzen können“ (Olweus 1995, S. 22 zitiert nach Weißmann 2003, S. 9)
1.2.2 Physische Gewalt
Die physische Gewalt umfasst die bewusste und gewollt herbeigeführte körperliche Gewalt gegen Personen (z. B. Tötungsdelikte, Raub, vorsätzliche Körperverletzung) und die körperliche Gewalt gegen Sachen (z. B. vorsätzliche Sachbeschädigung, Brandstiftung) (vgl. Northoff 2003, S. 5).
Im Kontext Schule bedeutet das, dass die körperliche Gewalt sich gegen Personen wie Lehrer, Mitschüler, Hausmeister oder gegen Schulinventar, Eigentum von Lehrern und von Mitschülern richtet. Diese Form der Gewalt ist in der Schule durch Konfliktregulierung in Form von Streitschlichtung kaum erreichbar. Hier müssen strafrechtliche Regelungen und auf die Schule bezogen, eventuell der Täter- Opfer- Ausgleich greifen (siehe P.3.11).
1.2.3 Sexuelle Gewalt
„Die Sexuelle Gewalt meint die Beeinträchtigung, Verletzung eines Anderen durch erzwungene, intime Kontakte oder andere sexuelle Handlungen, die der Bedürfnisbefriedigung des Täters dienen“ (Weißmann 2003, S. 8).
Treten diese Formen der Gewalt in der Schule auf, muss dies zur Anzeige und strafrechtlichen Verfolgung gebracht werden.
1.2.4 Frauenfeindliche/Fremdenfeindliche/Rassistische Gewalt
Diese lassen sich charakterisieren durch physische, psychische und verbale bzw. sexuelle Übergriffe gegenüber Mädchen/Frauen, Angehörigen einer anderen ethischen Gruppe (vgl. Karin Ratzke 1999, S. 15/16 zitiert nach Weißmann 2003, S. 8). Insbesondere die rassistische Gewalt spielt nach Ansicht des Schulsozialarbeiters an Schulen keine unerhebliche Rolle und zeigt sich vorwiegend in Peergroup- Auseinandersetzungen.
1.2.5 Institutionelle Gewalt und Strukturelle Gewalt
Von den oben genannten zwischenmenschlichen Formen der Gewalt sind zwei weitere Ausprägungen zu unterscheiden:
Bei der „institutionellen Gewalt" (nach Galtung) handelt es sich um institutionelle Verhältnisse, in denen z. B. Schule die gesellschaftlichen Struktur- und Chancenbedingungen widerspiegelt bzw. widerspiegeln muss. Allzu oft verhindert auch heute noch Schule spontanes und bedürfnisorientiertes Verhalten, statt dessen fordert die Institution Konformität (Übereinstimmung mit den Einstellungen Anderer) und Leistung, sie verteilt somit die Chancen und selektiert (vgl. Weißmann 2003, S. 11). In der Position eines Schülers wird die Schule als übermächtige Institution eingeschätzt, die Macht ausübt. Gewalt wird aus diesem Blickwinkel heraus entpersonalisiert und ist daher kaum erkennbar. Der Schüler kann sich dadurch machtlos fühlen (vgl. Fachlexikon der sozialen Arbeit 2001, S. 416).
Nach Galtung wird mit dem Terminus „strukturelle Gewalt“ die Differenz zwischen dem gesellschaftlich zu einem bestimmten Zeitpunkt Möglichen und dem tatsächlich Realisierten beschrieben (vgl. Weißmann 2003, S. 11).
Danach geht Gewalt nicht nur von Personen aus, sondern auch von den
Rahmenbedingungen des Lebens wie Rechtsnormen oder Kulturnormen. Die strukturelle Gewalt „[...] liegt dann vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potenzielle Verwirklichung“ (Galtung 1975, zitiert nach Tillmann u.a. 2000, S. 22f.).
„Strukturelle Gewalt braucht keinen Täter, sondern wird als Dauerzustand beschrieben, etwa als Armut“ (Galtung 1978, S. 21 zitiert nach Weißmann 2003, S. 11.).
Gewalt wird zur zentralen Begriff einer Gesellschaftskritik. „Armut, Ungleichheit und Unterdrückung und fehlende Ausbildungsplätze fallen genauso unter diesen Gewaltbegriff wie der Verkehrsstau auf der Autobahn, denn in diesen Fällen handelt es sich um etwas Vermeidbares, das die Selbstverwirklichung der Menschen behindert“ (Galtung 1978, S. 11 zitiert nach Weißmann 2003, S. 11f.).
Strukturelle Gewalt kann also sowohl physische, psychische als auch verbale Form der Verletzung und Schädigung eines Anderen unter Ausnutzung von Macht, Hierarchie und Abhängigkeit sein. Die strukturelle Gewalt des Systems Schule kann insbesondere die Ohnmacht von Schülern gegenüber Erwachsenen im System verstärken.
Weißmann hat die Formen der Gewalt und Aggressionen in ein grafisches Schema gebracht und die einzelnen Formen noch mal anderen Gesichtspunkten zugeordnet, die als Zusammenfassung des oben Geschriebenen angesehen werden können (vgl. Weißmann 2003, S. 21).
Abbildung 2: Gewalt und Aggression
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Grafik nach Weißmann 2003, S. 21)
1.3 Ursachen von Gewalt
Ursachen für Gewalt sind u. a. in gesellschaftlichen, familiären sowie in schulischen Systemen und in Peergroups zu finden. Darüber hinaus gibt es vielfältigste Erklärungsmodelle unterschiedlicher Professionen zur Gewalt.
Für den Schulsozialarbeiter des „Förderzentrum am Fernsehturm“ scheinen aus sozialpädagogischer Sicht die folgenden Ursachen von Gewalt am praxisrelevantesten zu sein, so dass hier näher darauf eingegangen wird.
1.3.1 Familie als mögliche Ursachenquelle von Gewalt
Faktoren, die sich hier gewaltfördernd auswirken können sind zum Einen die „ [...] Unvollständigkeit der Familie, weil es damit an Zuwendung, Aufsicht und Identifikationsmöglichkeiten fehlt“ (Northoff 2003, S. 9). Zum Anderen kann das gewalttätige Verhalten (Vorbild/Modell) der Eltern, welches das Kind oder den Jugendlichen in erheblichem Umfang beeinflusst, ursächlich für die Nachahmung sein (Lernen am Modell).
„Die Bezugspersonen in der prägenden Familie sehen Gewalt als Problemlösungsmechanismus in der Gesellschaft. Den psychologischen Lerntheorien zufolge lernen Kinder und Jugendliche hauptsächlich durch die Nachahmung und durch operantes Konditionieren [Skinner]. Wird in der Familie Gewalt vorgelebt bzw. wird ein Problemlösungsprozess mit Gewalt von den Eltern direkt oder indirekt belohnt, kann der logische Schluss nur sein, dass das Kind oder der Jugendliche zum einen nichts Schlechtes in seinem Handeln sieht, da es für ihn das Normalste auf der Welt ist und zum anderen er die persönliche Befriedigung durch Belohnung des Erfolges beim Einsatz von Gewalt als adäquates Mittel zur Problemlösung sieht“ („Wege aus der Gewalt“ Stand:03.10.04).
Northoff spricht davon, dass eine „[...] beziehungsgestörte bzw. desorganisierte Familie, die zwar formal vollständig, aber im Übrigen in der Kommunikation und Konfliktbearbeitung gestört ist, so dass ein Vertrauen getragenes Lernklima fehlt und die vermittelten Vorbilder und Inhalte problematisch sind[...]“ auch ein gewaltfördernder Faktor sein kann (Northoff 2003, S. 9).
Weiterhin können auch angewendete Erziehungsstile gewaltfördernd wirken. Ob nun autoritäre Erziehung, repressiver- gefühlsarmer Erziehungsstil oder aber auch die Laissez- Faire- Haltung sind mögliche Ursachen für Gewalt (vgl. Weiß 2000, S. 30).
Erfahrungen aus dem Arbeitsfeld der Schulsozialarbeit besagen, dass Vernachlässigung, psychische und physische Misshandlung sowie sexuelle Misshandlung als Gewaltursachen in der Familie ebenso eine Rolle spielen können.
1.3.2 Schule als mögliche Ursachenquelle von Gewalt
„Die Schule ist einerseits ein Spiegelbild der familiären Verhältnisse und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, andererseits aber auch ein eigenständiger Sozialisationsfaktor“ (Northoff 2003, S. 10).
Der Jugendforscher Lothar Böhnisch spricht in einer Untersuchung davon, dass soziale Strukturen in Schule und Lebenswelt sich auseinander entwickeln, dass dadurch eine Überlappung widersprüchlicher Regeln bewirkt wird (vgl. Thomas 1999, S.16). Seiner Meinung nach herrscht hier eine Widersprüchlichkeit bezogen auf Anforderungen seitens der Schule (Leistung, Pünktlichkeit, Stillsitzen und Konzentration) sowie aus Sicht der Jugendhilfe, auch mit Blick auf Überförderung der Elternhäuser in Bezug auf Eigenschaften wie Solidarität, Kreativität, Kameradschaft, welche in der Gesellschaft gefragt sind, vor (vgl. ebd.). „Diese Differenzen zwischen dem System Schule und der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen leben manche Schüler durch gewalttätiges Verhalten aus“ (Thomas 1999, S. 16).
Gewalt ist für Böhnisch ein möglicher Reflex der Betroffenen auf diese „gespaltene Normalität“ (vgl. Thomas 1999, S.16f.).
„Immer dort, wo zwischen Sozialstruktur und gesellschaftlichen Erwartungen Brüche klaffen, versuchen Individuen, sich an die widersprüchliche Struktur anzupassen oder umgekehrt, ihre Umgebung an ihre Erwartungen anzupassen, um handlungsfähig zu sein. Sie wollen die soziale Orientierung nicht verlieren, ihr inneres Gleichgewicht wiederfinden. Das geht eventuell nur noch mit Gewalt“ (Thomas 1999, S. 17). Der Hintergrund für diese strukturelle Differenzierung ist die Tatsache, dass sich die Schule nur an der Schülerrolle orientiert, nicht am Alltagsleben der Schüler, so dass die Schüler austauschbar sind (vgl. ebd.).
Strukturelle Gewalt (siehe P.1.2.5 Galtung), welche auch im Schulsystem zu finden ist, scheint ebenfalls die Gewalt zu fördern.
„Gemeint sind damit der Zwang zur Beurteilung, Leistungsdruck, schulische Hierarchien und Machtstrukturen, die an sich keinen negativen Eindruck bei den Jugendlichen hinterlassen“ („Wege aus der Gewalt“ Stand:03.10.04).
Doch wenn dem Schüler nicht beigebracht wird, mit Misserfolgen fertig zu werden, mit dem Dauerleistungsdruck innerhalb der Schule umzugehen und in Form von „institutioneller Gewalt“ Macht ausgeübt wird, so kann auch Gewalt als Ursache entstehen.
Weiterhin begünstigen Misserfolgserlebnisse, keine Anerkennung, Frustration, aggressive und autoritäre Lehrpersonen, Schulklima, also der Umgang von Lehrern und Schülern untereinander, aber auch schulisches Umfeld, die Entstehung von Gewalt und stellen somit weitere mögliche Ursachen für aggressives Verhalten dar.
Es muss daher Ziel und Aufgabe der Schule sein, einerseits vermeidbare Frustrationen zu minimieren, zum anderen eine Frustrationstoleranz gegenüber unvermeidbaren Frustrationen aufzubauen (vgl. Weißmann 2003, S. 25).
Die unabhängige Regierungskommission zur Verhinderung und
Bekämpfung von Gewalt hat in ihrem Endgutachten als gewaltfördernde Faktoren an der Schule benannt:
- ein gleichgültiges Verhältnis von Schülern und Lehrern zur Schule,
- die Abwendung der Schule vom gesellschaftlichen Umfeld,
- die Frustration und Demotivation schulmüder und leistungsschwacher Schüler,
- den Vorrang der Wissensvermittlung gegenüber dem Erziehungsaspekt und
- der Vermittlung gesellschaftlicher Normen (vgl. Faller 1998, S. 15). Hier ist unter anderem zu erkennen, dass die Schule sich den gesellschaftlichen Veränderungen noch nicht angepasst hat und dass eine Öffnung der Schule nach außen, eine Vernetzung, Kooperation mit anderen Institutionen der Jugendhilfe notwendig ist, um gewaltfördernde Faktoren an Schulen zu minimieren.
Auch die Zulassung (Duldung) gewalttätigen Verhaltens in der Schule, in den Klassen kann als positiver Verstärker wirken. Bekommt der Gewaltausübende Anerkennung, so wird er sein Verhalten weiterhin zeigen. Wird aber das gezeigte Gewaltverhalten sanktioniert, so wird es zukünftig weniger gezeigt. Hier kann das Ausbleiben des Erfolges eine Löschung der unerwünschten Verhaltensweise zur Folge haben (Konditionieren nach Skinner).
Ein ungünstiges Lern- und Sozialklima erweist sich zunächst bei Kindern und Jugendlichen als wirksamer Auslöser für eine Fülle von Lern- und Verhaltensproblemen. Die Bewältigung dieser Probleme erfolgt aber keineswegs nur mit erlaubten und gebilligten Formen, sondern eben auch mit Störverhalten, Disziplinverstößen oder Aggressionen (vgl. Tillmann u. a. 2000, S. 43).
„Aber auch die Entdeckung der Kinder und Jugendlichen als
Wirtschaftsfaktor hat zu jugendspezifischer Werbung und zu hohem - Einkommensschwächere an die Grenzen ihrer Möglichkeiten bringendem
- Konsumdruck auf Schüler geführt“ (Northoff 2003, S.10).
Wer „Markensachen“ trägt, ist „In“, bekommt Anerkennung im Klassenverband. Wer nicht „In“ ist, eventuell dadurch zum Außenseiter wird, kann als Folge aggressiv oder gewalttätig reagieren. Diese Außenseiterrolle kann auch auf Schüler mit besonderen Persönlichkeitsmerkmalen zutreffen. Z. B. Ausländische Schüler, Schüler mit Handicaps aber auch „ruhige“ Schüler stellen eine Minderheit dar und werden nicht selten aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft, ihres „Andersseins“ abgelehnt. So können sich Aggressionen anstauen und in Gewalt enden.
Hier ist zu erkennen, dass es gesellschaftliche Ursachen geben kann, die vornehmlich in der Schule oder in der Peergroup sichtbar werden wie z. B. Konsum oder Medien.
1.3.3 Peergroup/ Clique als eine Ursachenquelle von Gewalt
Hier sind aus der Sicht von Sozialarbeit als Gewaltursachen die Peergroup/ Clique zu nennen, welche im Gegensatz zur Familie für Kinder und Jugendliche eine große Sozialisations- und Abnabelungsrolle spielen, da sie hier Anerkennung erhalten, die sie im familiären Umfeld eventuell nicht bekommen. Sie verbringen in den Peergroups erheblich mehr Zeit als mit Erwachsenen und erfahren hier Identitätsfindung. Je mehr sie heranwachsen, desto bedeutsamer wird die Peergroup für ihr Verhalten, ihre Wertmaßstäbe und ihre Lebensgestaltung.
In der Öffentlichkeit, bezugnehmend auf Gewalt, fallen Peergroups vor allem negativ durch Zerstören, Beschädigen sowie verbale und körperliche Gewalt- und Aggressionsakte auf. Nach der Trieb- und Instinkttheorie nach Freud (jeder Mensch trägt ein angeborenes Aggressionspotential in sich), verschaffen sich hier Jugendliche Lust, Entspannung und Befriedigung durch Gewalt (vgl. Northoff 2003, S. 8).
Gerade „Abziehdelikte“ als eine Form von Gewalt (das gewaltsame Erpressen anderer Kinder und Jugendlicher) sind heute aus Sicht des Schulsozialarbeiters „groß in Mode“ unter Kindern und Jugendlichen. Das entspricht eher kognitivpsychologischen Ansätzen zur Gewalt, wonach das Kind oder der Jugendliche eine „[...] individuelle Kosten- Nutzen Kalkulation[...]“ aufstellt und zur rationalen Gewalt greift (Northoff 2003, S. 9).
Wenn die Gruppe gleichzeitig als „Verstärker“ fungiert, indem sie dem Täter Lob und Anerkennung für sein Verhalten gibt, kann man schon von erlernter Aggressivität ausgehen. Hier können auch Gruppennormen sowie destruktive Gruppenziele als Lernen am Modell/soziales Lernen (Bandura und Walters) als weitere Gewalttheorie für den einzelnen Jugendlichen eine Ursache für Gewaltverhalten darstellen (vgl. Weiß 2000, S. 29).
Durch das gemeinsame „Abhängen“ (Langweilen) auf der Straße, keine sinnvollen Freizeitangebote, eventuelle Misserfolgserlebnisse in der Schule, durch fehlende Zukunftsperspektiven, Wünsche und Träume, die nicht erfüllt werden, durch instabile Familiensysteme kann Frust entstehen, der sich in gewalttätigem Verhalten zeigen kann (vgl. Frustrations- Aggressions- Theorie von Dollard (1939), die auf den Zusammenhang zwischen einer Frustration von Bedürfnissen und aggressivem Verhalten hinweist) (vgl. Northoff 2003, S. 9).
„Aber auch der soziale Druck innerhalb einer Peergroup setzt als Folge die Ächtung und Ausschluss innerhalb der Gruppe, sobald der Jugendliche nicht mehr am gruppendynamischen Prozess teilnehmen will“ („Wege aus der Gewalt“ Stand:03.10.04).
Auch daraus kann Gewalt entstehen.
Schlussfolgernd ist bezugnehmend auf den Alltag an Schulen zu sagen, dass Normen und Werte, die innerhalb einer Peergroup herrschen, mit den Normen und Werten innerhalb der Familie und der Schule nicht immer übereinstimmen, so dass es hier zu einer Orientierungslosigkeit bei Kindern und Jugendlichen kommen kann, die sich in Gewalt oder Aggressionen zeigen könnte.
Da sich hier zeigt, welchen Einfluss bezugnehmend auf Gewalt die Peergroup haben kann, ist es um so wichtiger, dass die Mediation/Streitschlichtung in der Schule den positiven Einfluss von Jugendlichen auf Jugendliche und ihr normbildendes Potenzial nutzt und damit Gewalt vorbeugt.
Neben der Familie, der Schule und der Peergroup sind noch einige gesellschaftliche Ursachen für die Entstehung von Gewalt zu nennen. „Die „Alten Werte" wie Familie, Moral oder Glaube sind heute eher mit negativen Wertvorstellungen verbunden“ („Wege aus der Gewalt“ Stand:03.10.04).
Hier wären als gewaltfördernde Ursachen insbesondere die heutige Wettbewerbsgesellschaft zu sehen, welche Erfolg, Macht und Geld als die erwünschten Dinge den Kindern und Jugendlichen suggeriert (vgl. „Wege aus der Gewalt“ Stand:03.10.04).
Auch wachsen Kinder heute anders auf als früher. Der Mangel an Ansprechpersonen, ungünstige Familienverhältnisse wie alleinerziehende Elternteile, zunehmende Scheidungen führen „[...] eindeutig zur Veränderung der Kindheit und Jugend. Das moderne Kind ist einsam und beschäftigt sich mehr mit sich selbst als die Kinder früherer Generationen“ („Wege aus der Gewalt“ Stand:03.10.04).
Nach Northoff scheint die gelegentliche Lust an der Gewalt eine Ursache für gewalttätiges Verhalten zu sein. Einmal „Rambo“ sein, „[...] nur mal sehen, wie das Blut so spritzt, fasziniert vom Kino-Schocker, liest man dann die Einlassung der Kids in den Akten“ (Northoff 2003, S. 13).
„Andererseits kann Gewalt im Fernsehen oder in anderen Medien - wie auch die Römer schon wussten (panem et circenses) - auch kathartische (also reinigende und damit aggressionsabbauende) Wirkung haben“ (Northoff 2003, S. 13).
Nichts desto trotz ist das Thema Medien bezogen auf Gewalt stets Thema in den Medien selbst, kommt in der Regel erst dann zur Diskussion, wenn Gewalt im strafrechtlichem Ausmaß im Zusammenhang mit Medien (Computer, Filme) angewendet wurde und Personen zu Tode kamen (Columbine, Erfurt).
Eine Sozialpsychologische Erklärung, welche in der Schule eine große Rolle aus Sicht des Schulsozialarbeiters spielt und zur Gewalt führen kann, ist der intensivere Passivkonsum der Medien (wie stundenlanges Fernsehen von Gewalt beladenen Filmen, gewaltverherrlichende Computerspiele). Hier kann Gewaltverherrlichung in den Medien eine Vorbildfunktion sein (Lernen am Modell, durch Nachahmung, durch Verstärkung) (vgl. Northoff 2003, S. 13).
Es verschwinden die Grenzen zwischen Realität und Fiktion und Kinder und Jugendliche können eventuell diese Grenzen nicht mehr realisieren.
Letzten Endes ist zu sagen, dass Gewalt und Konfliktlösung als legitime Mittel gelten „[...] wobei die Botschaften vom Sieg der „Guten“ und „Gerechten“ bis hin zur Verherrlichung und Rechtfertigung von Gewalteinsatz und Krieg reichen“ (Tillmann u.a. 2000, S. 40). Die Auswirkungen dieser Medien werden in den Familien, in der Peergroup, aber auch in der Persönlichkeit des Kindes bzw. Jugendlichen sichtbar. Neben familiären, schulischen, gesellschaftlichen Ursachen sowie den Ursachen in den Peergroups spielen persönlichkeitsbedingte Ursachen eine ebenso wichtige Rolle. Psychiatrische Erkrankungen bei Schülern können Gewaltformen annehmen.
Erfahrungen des Schulsozialarbeiters lassen erkennen, dass sog.
Borderline- Fälle, die man an der Grenze zwischen Psychose und Neurose ansiedeln könnte und die gerade bei jungen Menschen regelmäßig auch mit einer ausagierten Gewalt einher gehen, an Schulen eine Rolle spielen (vgl. Northoff 2003, S. 8). Aber auch ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) als eine Persönlichkeitsstörung, oft gepaart mit unkontrolliertem, vermeintlich aggressivem Bewegungsdrang kann Ursache für eine zunehmende Gewalt sein (vgl. Weiß 2000, S. 30).
Zusammenfassend gibt es die unterschiedlichsten Gründe und Ursachen für Gewalt in den verschiedenen sozialen Systemen. Diese Vielfältigkeit zeigt, dass jede Ursache für sich, aber auch im Kontext zu anderen Ursachen gesehen werden muss, da Gewalt nicht durch einen Aspekt ausgeübt wird, sondern sich durch vielfältigste Einflüsse ergeben kann. Weiterhin können die Ursachen in der Familie entstehende Ursachen in der Schule bedingen.
Hier ein Beispiel:
Ein Schüler schreibt in der Schule eine Klassenarbeit, hat nicht gelernt, wird vor der Klasse bloßgestellt mit den Worten des Lehrers: “Von Dir war ja nichts Anderes zu erwarten!“. Daraufhin gibt dieser Schüler frustriert seinen leeren Zettel ab und verlässt das Klassenzimmer und die Schule. Zu Hause angekommen, wird er von seiner Mutter angeschimpft und beleidigt, worauf der Junge auch das elterliche Haus verlässt und seine „Kumpels“ aufsucht, denen es nicht besser geht. Der bis dahin angestaute Frust wird mit Zigaretten und Alkohol beiseite geschoben und spielt sich erst im Laufe der Zeit wieder hoch. Die Clique macht sich auf den Weg, langweilt sich, ist gefrustet. Der Junge schnappt sich auf einer Brücke einen großen Stein, und schmeißt ihn vor Wut und Frust hinab auf ein fahrendes Fahrzeug. Der Fahrer stirbt noch am Unfallort.
1.4 Konflikte
Im menschlichen Zusammenleben, ob in der Schule oder anderswo, gab und wird es immer Konflikte geben. Gerade in der Schule gehören Konflikte zum Alltag. Dort, wo viele Menschen angehäuft unter einem Fremddruck Leistungen erbringen sollen, wie in der Schule, sind viele Konflikte vorprogrammiert.
Wenn von Mediation in Büchern, Publikationen usw. gesprochen wird, ist im gleichen Zusammenhang immer die Rede von Konflikten. Die Frage ist nur, wie diese gelöst werden.
Immer wieder stehen Lehrer und Schüler hilflos bedrohlichen Konflikten gegenüber, aus denen sich Aggressionen oder Gewalt entwickeln. Auslöser können dafür häufige und erhebliche Beeinträchtigungen des Unterrichtes durch zahlreiche, teilweise gravierende Auseinandersetzungen und Störungen, die sich aus nicht ausgetragenen Konflikten ergebenen, sein (vgl. Jefferys/Noack 1998, S. 10).
Da, wie beschrieben, im Arbeitsalltag des Schulsozialarbeiters an der Schule Konflikte eine große Rolle spielen, soll an dieser Stelle ein kurzer Einblick über Konflikte und ihre Funktion erfolgen.
1.4.1 Was ist ein Konflikt?
Das Wort Konflikt geht auf den lateinischen Terminus „conflictus“ zurück und lässt sich am besten ins deutsche übertragen mit den Begriffen Zusammenstoß, Wiederstreit, Zwiespalt (vgl. Risto 2003, S. 22).
Nach Dahrensdorf bezeichnet der Begriff des Konfliktes zunächst jede Beziehung von Elementen, „[...] die sich durch objektive (latente) oder subjektive (manifeste) Gegensätzlichkeiten kennzeichnen lässt" (Dahrensdorf 1963, S. 201 zitiert nach „Konflikt ABC“ Stand:21.06.04). Dahrensdorf scheint nach dieser Definition nur Gegensätzlichkeiten in einem Konflikt zu sehen.
Johan Galtung definiert den Konflikt folgendermaßen: „Wir definieren Konflikt als eine Eigenschaft eines Systems, in dem es miteinander unvereinbare Zielvorstellungen gibt, so dass das Erreichen des einen Zieles das Erreichen des anderen ausschließen würde. Das nennt er Disput. Wenn eine Person zwischen zwei Zielen gleichzeitig zu wählen hat, nennt er das Dilemma. Der Konflikt birgt einerseits etwas negatives zerstörerisches in sich, auf der anderen Seite birgt er aber auch Chancen und etwas aufbauendes“ („Konflikt nach Galtung“ Stand:23.10.04).
In dieser Definition werden dem Konflikt sowohl positive als auch negative Eigenschaften zugeschrieben. Insbesondere die Chancen der Entwicklung, die ein Konflikt in sich birgt, sind hier ein neuer Ansatz.
Eine weitere Konfliktdefinition geht von „Sozialen Konflikten“ aus. Hier wird gesagt: „Der soziale Konflikt ist ein sozialer Tatbestand, bei dem mindestens zwei Parteien (Einzelpersonen, Gruppen, Staaten) beteiligt sind, die unterschiedliche, vom Ausgangspunkt her unvereinbare Ziele verfolgen oder das gleiche Ziel anstreben, das aber nur eine Partei erreichen kann und/oder unterschiedliche, vom Ausgangspunkt her unvereinbare Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zieles anwenden wollen“ („Konflikt nach Galtung“ Stand:23.10.04).
Es scheint also keine allgemein gültige Definition für den Begriff „Konflikt“ zu geben. Hier spielen verschiedene Betrachtungsweisen der Wissenschaften und Weltbilder eine Rolle.
Nach Berkel liegt das Gemeinsame der verschiedenen Konfliktdefinitionen darin, dass stets zwei oder mehr Elemente wie Interessen, Bedürfnisse oder Motive in einer Beziehung gleichzeitiger Gegensätze, Unvereinbarkeit oder Unverträglichkeit zueinander stehen (vgl. Fachlexikon der Sozialen Arbeit 2002, S. 569).
Des Weiteren ist nach Risto nicht jedes Problem ein Konflikt. „Erst ein sachliches Problem und ein Beziehungsproblem zusammen ergeben einen Konflikt und die eigentliche Dynamik geht von der verborgenen, der Beziehungsebene aus“ (Risto, 2003, S. 23). [siehe P.3.5.4 Abb.3 „Eisbergmodell“]
Fietkau spricht von Deutungsmustern, unter denen man Konflikte betrachtet. Wenn Individuen verschiedenste Verhaltensweisen wie z. B. verbale oder körperliche Auseinandersetzungen bzw. Drohungen zeigen, so spricht er von sozialen Spannungssituationen bzw. sozialen Konfliktsituationen (vgl. Fietkau 2000, S. 33).
1.4.2 Soziale Konflikte nach Glasl
Glasl scheint der „Urvater“ für das Konfliktverständnis in der Mediation/Streitschlichtung zu sein, denn alle Autoren zu diesem Thema berufen sich auf seine Konflikttheorie. Deshalb wird in diesem Punkt etwas näher auf seine Konflikttheorie eingegangen.
„Konflikte sind nach Glasl soziale Interaktionen zwischen Personen und auch Gruppen, in denen Unvereinbarkeiten des Fühlens, Wollens, Wahrnehmens, Denkens und vor allem des Handelns bestehen. Die psychischen Faktoren spielen in Konflikten einen große Rolle, denn nicht selten werden Konflikte von sehr heftigen Gefühlen begleitet. Sie schaukeln sich hoch und engen die Handlungsmöglichkeiten der Konfliktparteien ein“ (Bründel u.a. 1999, S. 9).
Auf folgende Punkte kommt es Glasl dabei an:
- Es besteht eine Interaktion, also ein aufeinander bezogenes Kommunizieren oder Handeln. Es muss nicht immer Gewalt damit verbunden sein. Gewalt kann eine Folge von nicht bearbeiteten oder nicht beachteten Konflikten sein.
- Es genügt, dass eine der Handlungspersonen die Beeinträchtigung als solche erlebt und dementsprechend handelt.
- Sie wird sich kommunikativ so benehmen, dass sie die Beeinträchtigung unwirksam machen will.
- Die Unvereinbarkeit kann zu Beginn eines Konfliktes sehr allgemein sein. In der Dynamik eines Konfliktes erfasst dies auch das Fühlen und Wollen und konzentriert sich auf konkrete Dinge (vgl. Glasl S. 14 zitiert nach Faller 1998, S. 12 f.).
Risto sagt: „Bemerkenswert an dieser Definition ist, dass es schon ausreicht, dass eine Seite diese Beeinträchtigungen erlebt“ (Risto 2003, S. 23) und führt weiter aus, dass Glasls Definition darauf hinweist, dass, wenn sich nur eine Seite beeinträchtigt fühlt, für Konfliktparteien eine Aufgabe besteht, um die sie sich kümmern müssen. Risto sagt weiterhin, dass Glasl auf einige pathologische Aspekte der Konfliktdynamik aufmerksam macht. Er nennt die zunehmende Verzerrung der Realitätswahrnehmung, die fortschreitende Gesetzmäßigkeit sowie die Eskalationsspirale, die auf eine Gewinner- und Verlierer- Lösung abzielt, durch die Konflikte gekennzeichnet sind (vgl. Risto 2003, S. 23).
Fietkau meint hierzu, dass Konfliktbeteiligte, insbesondere bei persönlich emotionaler Betroffenheit, nur bedingt bereit und in der Lage sind, zu erkennen, dass andere Sichtweisen und Interessen gleichermaßen berechtigt sind oder zumindest sein können. Das Handeln im Konflikt zwingt sie in ein Schwarz- Weiß- Denken (vgl. Fietkau 2000, S. 18). Diese Punkte wie Verzerrung der Realität bzw. das daraus sich ergebende Schwarz- Weiß- Denken sind sehr wichtig, damit man Konflikte versteht bzw. als Vermittler (Sozialarbeiter, Lehrer) zwischen zwei Konfliktpartnern agieren kann. Denn meist ist, wie Glasl sagte, auch an Schulen Gewalt eine Folge von Konflikten.
Glasl entwickelte das „Konflikt- Eskalationsmodell“ und benennt in diesem neun Stufen, die er jeweils in drei Gruppen unterteilt. In der ersten Gruppe, welche die Stufen 1-3 umfasst, ist noch eine Win- WinLösung möglich. In der zweiten Gruppe mit den Stufen 4-6 geht es um Gewinnen oder Verlieren: Win- Lose.
Bei der dritten Gruppe mit den Stufen 7-9 gibt es nur eine Verlierer- Verlierer- Situation (vgl. Risto 2003, S. 54). Je mehr ein Konflikt sich ausweitet, desto geringer wird die Palette der Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten (vgl. Faller 1998, S. 24).
Risto bezieht sich auf das „Konflikt- Eskalationsmodell“ nach Glasl und sagt dazu: „Jedem Konflikt wohnt eine Eigendynamik inne, die - lässt man sie gewähren - die Auseinandersetzung immer weiter vorantreibt. In der Regel wird diese Eigendynamik als eine Stufenleiter der Konflikteskalation beschrieben. Auf dieser Stufenleiter kommt es zu immer höheren Gewaltformen“ (Risto 2003, S. 53).
Aus Sicht des Schulsozialarbeiters ist Vermittlung in den Stufen 1 - 6 noch möglich, da hier der Konflikt noch nicht eskaliert ist und beide Konfliktseiten durch einen Vermittler gewinnen können. Deshalb ist es wichtig, Konflikte oder Probleme so früh wie möglich zu klären, damit es nicht, wie bei Glasl beschrieben, zu den Stufen 7 - 9 kommt und beide Konfliktparteien verlieren.
Bezogen auf die Schule ist es in einer guten Streitkultur, in einem Klima des Vertrauens und der Toleranz möglich, Konflikte konstruktiv zu lösen. Entscheidend ist die Sichtweise auf die Funktion von Konflikten.
1.4.3 Funktion von Konflikten
Die Funktionalität bzw. Dysfunktionalität von Konflikten wird unterschiedlich eingeschätzt. Konflikt gilt in konservativen Gesellschaftstheorien als pathologische Erscheinung, als gesellschaftliche Dysfunktion, wird aber in offeneren Theorien als normales gesellschaftliches Phänomen oder als Förderer des sozialen Wandels gesehen (vgl. „Grundwissen zivile Konfliktbearbeitung“ Stand:21.06.04).
Vier Positionen lassen sich hier idealtypisch skizzieren:
- Konflikt als vollständig pathologische Erscheinung
Konflikte sind negative Erscheinungen, die die soziale Ordnung bedrohen. Diese Sichtweise herrscht insbesondere in konservativen Gesellschaftstheorien vor. „Der Konflikt wird in diesen mit starren Ordnungs- und Hierarchiestrukturen versehenen Konsensmodellen auf psychologische oder semantische Probleme reduziert und stellt im Prinzip eine pathologische Erscheinung dar, welche die soziale Ordnung bedroht und entsprechend zu bekämpfen ist“ („Grundwissen zivile Konfliktbearbeitung“ Stand:21.06.04).
- Konflikt als Dysfunktion
Konflikte stellen eine Störung einer an sich effizienten Struktur dar und sind deshalb dysfunktional.
„Der Konflikt wird zwar als Produkt gesellschaftlicher Strukturen betrachtet, er stellt aber letztlich eine Dysfunktion dar, weil er auf das schlechte Funktionieren oder eine Störung von an sich effizienten Strukturen hinweist“. Auch hier wird der Konflikt wesentlich negativ eingeschätzt, weil er eine störende Abweichung von einem Idealzustand darstellt („Grundwissen zivile Konfliktbearbeitung“ Stand:21.06.04).
- Die integrative Funktion von Konflikten
Konflikte sind ein normales Phänomen in Gesellschaften und haben positive sozialisatorische und systemintegrative Funktionen. Hier bei dieser Sichtweise werden die positiven Funktionen von Konflikten und ihre Funktionalität für die Gesellschaft hervorgehoben (vgl. „Grundwissen zivile Konfliktbearbeitung“ Stand:21.06.04).
- Konflikt als Förderer des sozialen Wandels
Konflikte haben eine produktive Funktion und sind Auslöser und Förderer sozialen Wandels.
„Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Positionen, wo der Konflikt als Resultat des Wandels angesehen wird, ist hier der Wandel eine Funktion des Konflikts. In diesem Sinne weist etwa Dahrendorf sozialen Konflikten fast uneingeschränkt eine positive Rolle zu. Für ihn ist geregelter Konflikt gleichbedeutend mit Freiheit. Für Marx und Engels waren soziale Konflikte (im Sinne von Klassenkämpfen) gar das zentrale vorwärts treibende Element in der Geschichte“ („Grundwissen zivile Konfliktbearbeitung“ Stand:21.06.04).
In diesen vier Theorien sind unterschiedliche Sichtweisen über die Funktion von Konflikten zu erkennen. Auch in unserer Gesellschaft sind Konflikte und der Umgang mit ihnen eher verpönt. Konflikte werden oft gerade an Schulen als was Negatives, Bedrohliches, Destruktives erlebt und dementsprechend versuchen die Beteiligten, Konflikten auszuweichen. Wenn das nicht möglich ist, eskalieren Konflikte oft in persönlichen Auseinandersetzungen und Machtkämpfen, welche sich dann in Gewaltaktionen oder Aggressionen zeigen (vgl. Faller 1998, S. 14). „Positive Gesichtspunkte wie Austausch, Kreativität, Energie bzw. Chance bleiben eher im Hintergrund“ (Fachlexikon der Sozialen Arbeit 2002, S. 569).
Konflikte sind aber weder gut noch schlecht. „Sie gehören zum Alltag der Menschen und sind für ihre psychosoziale Entwicklung von großer Bedeutung“ (Bründel u.a. 1999, S. 10).
Kinder, Jugendliche und Erwachsene reifen an Konflikten, indem sie in der Auseinandersetzung erfahren, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt, die nicht immer leicht miteinander zu verbinden sind. Sie erleben, dass Einigung und Verständigung in vielen Fällen möglich sind, dass aber manchmal unterschiedliche Sichtweisen auch akzeptiert werden müssen (vgl. Bründel u.a. 1999, S. 10).
Man kann Konflikte auch als wichtiges Zeichen sehen, denn oft macht erst das Ausbrechen eines Konfliktes allen Betroffenen deutlich, dass es unterschiedliche Interessen gibt, die sich in ihrer Befriedigung gegenseitig auszuschließen scheinen und dass die Beziehung zwischen den Konfliktparteien anders als bisher geregelt werden muss (vgl. Haumersen/Liebe 1999, S. 9).
Konflikte sind auch nichts Unproduktives. Sie sind für Fietkau Zeichen des Wandels, Zeichen dafür, dass eine Gesellschaft lebt. „Der Wettstreit von Ideen, Zielen, Wertvorstellungen und Interessen manifestiert sich in Konflikten. Sie sind somit für die individuelle und gesellschaftliche Entwicklung notwendig. Natürlich sind die daraus resultierenden Spannungen mit Ärger, Belastungen usw. für die Beteiligten verbunden. Das darf aber nicht dazu verleiten, Konflikte zu unerwünschten Phänomenen zu erklären. Ob es gelingt, dass einem Konflikt innewohnende Potenzial zu erkennen, hängt davon ab, wie wir den Konflikt interpretieren“ (Fietkau 2000, S. 35).
„Ganz gleich, wie der Konfliktbegriff definiert wird, entscheidend für die Vermittlung in Streitsituationen ist die Grundposition, dass Konflikte als etwas Positives zu betrachten sind“ („Schneider“ Stand:14.08.04)
Dies entspricht auch dem Konfliktverständnis von Schulsozialarbeit denn, „[...]ein negatives Konfliktbild führt dazu, in ihnen ausschließlich Störfaktoren zu sehen, die bedrohlich und destruktiv sind, und entsprechend im pädagogischen Umgang als etwas, was beseitigt werden muss. Geht man aber davon aus, dass ein Konflikt selbst ein Signal ist, bietet er eine Chance zur Veränderung und Weiterentwicklung von Beziehungen und Strukturen“ („Schneider“ Stand:14.08.04).
1.4.4 Konflikttypen
Aufgrund der Vielzahl von Konfliktarten und Konflikttypen (Konflikt- Kategorien) sowie unterschiedlicher Denkrichtungen wird sich hier auf Moore und Glasl beschränkt und ein praktischer Bezug zur Schule hergestellt.
[...]
- Quote paper
- Norman Röper (Author), 2004, Streitschlichtung als ein Angebot der Jugendhilfe an Schulen am Beispiel der Kooperation „Jugendhilfe- Schule“ an einer Förderschule in Schwerin, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32938
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