„Tänzerinnen und Tänzer zum Beispiel – überhaupt Menschen, die tanzen oder verstehen, was Tanz ist – haben ein privilegiertes Wahrnehmungsvermögen: Sie wissen immer, wo sie stehen oder nicht stehen. Ich weiß, wo mein Körper ist, denn mein Körper ist mein Spielfeld.“ So eröffnet William FORSYTHE Anfang 2004 den Patenbrief zu Theater- und Tanzprojekten im Rahmen der Initiative der Kulturstiftung der Länder zur ästhetischen Bildung für Kinder und Jugendliche.
Ich fühlte mich bei diesen Zeilen erinnert an das Orientalische Tanzzelt, das wir anlässlich des Schulfestes der Erich Kästner-Schule für Sprachbehinderte im vergangenen Sommer auf dem Schulhof aufgestellt hatten. Ich erinnerte mich an den Spaß, den ich mit den Schülerinnen bei der Erarbeitung und Aufführung orientalischer Tanzkombinationen hatte. Ausgewählt hatten der Klassenlehrer der 2a und ich das Thema – Einführung in den Orientalischen Tanz – als zusätzliche, einmal ganz andere Bewegungsförderung für die Schülerinnen, die zum Teil erhebliche verbale und motorische Probleme aufwiesen. Zudem bot es die Möglichkeit, die Schülerinnen etwas öffentlich aufführen zu lassen, das etwas Faszinierendes, Fremdartiges hat, und das ganz bestimmt niemand besser kann als sie selbst. Die Resonanz der Schülerinnen auf die zu erlernenden Bewegungen ähnelte der teilweise mühseligen Ersteigung eines Berges, dessen wahre Höhe man von unten nicht wirklich einschätzen konnte, ähnlich wie es VON WELCK ein halbes Jahr später in dem Buch zur obigen Kulturförderinitiative beschreibt. Doch das Ergebnis konnte sich sehen lassen, die Aufführungen wurden ein großer Erfolg, Zuschauer und Kolleginnen waren begeistert, Körperbeherrschung und Selbstbewusstsein der Schülerinnen wuchsen.
Inhalt
Einleitung
1. Der Orientalische Tanz
1.1 Eine kurze Biographie
1.2 Zentrale Elemente
1.3 Ein pädagogisches Konzept?
2. Ausdruck und Sprache
2.1 Ausdrucksfähigkeit
2.2 Förderbedarf im Bereich von Sprache und Ausdruck
3. Ausdrucksförderung durch (orientalischen) Tanz
4. Darstellung des Konzepts
4.1 Ziele
4.1.1 Förderung der nonverbalen Ausdrucksfähigkeit
4.1.2 Förderung der verbalen Ausdrucksfähigkeit
4.2 Organisation der Förderung
4.2.1 Begründung des Konzepts für den Primarbereich
4.2.2 Rahmenbedingungen der Erich Kästner-Schule für Sb
4.2.3 Die Tanzgruppe
4.3 Didaktische Überlegungen
4.3.1 Sprachheilpädagogische Aspekte
4.3.2 Elemente des Tanzes
4.4 Methodische und inhaltliche Überlegungen
4.4.1 Ritualisierung - das Üben
4.4.2 Vorbild sein - die Lehrerin
4.4.3 Exemplarischer Ablauf einer Fördereinheit
4.4.4 Erarbeitung des eigenen Körpers
4.4.5 ‚Exploration des Möglichen’
4.4.6 Tanz vor Publikum
5. Ausblick
Literatur
Anhang
„Am langsam verlöschenden Feuer
Eine lachende Tänzerin in Schleiern von Licht,
Ihr Tanz wandelt das Dunkel zu Gold.“
Abu Abd Allah Ben Abi-I-Khisal[1]
Einleitung
„Tänzerinnen und Tänzer zum Beispiel – überhaupt Menschen, die tanzen oder verstehen, was Tanz ist – haben ein privilegiertes Wahrnehmungsvermögen: Sie wissen immer, wo sie stehen oder nicht stehen. Ich weiß, wo mein Körper ist, denn mein Körper ist mein Spielfeld.“ So eröffnet William Forsythe Anfang 2004 den Patenbrief zu Theater- und Tanzprojekten im Rahmen der Initiative der Kulturstiftung der Länder zur ästhetischen Bildung für Kinder und Jugendliche.[2]
Ich fühlte mich bei diesen Zeilen erinnert an das Orientalische Tanzzelt, das wir anlässlich des Schulfestes der Erich Kästner-Schule für Sprachbehinderte im vergangenen Sommer auf dem Schulhof aufgestellt hatten. Ich erinnerte mich an den Spaß, den ich mit den Schülerinnen[3] bei der Erarbeitung und Aufführung orientalischer Tanzkombinationen hatte. Ausgewählt hatten der Klassenlehrer der 2a und ich das Thema – Einführung in den Orientalischen Tanz – als zusätzliche, einmal ganz andere Bewegungsförderung für die Schülerinnen, die zum Teil erhebliche verbale und motorische Probleme aufwiesen. Zudem bot es die Möglichkeit, die Schülerinnen etwas öffentlich aufführen zu lassen, das etwas Faszinierendes, Fremdartiges hat, und das ganz bestimmt niemand besser kann als sie selbst. Die Resonanz der Schülerinnen auf die zu erlernenden Bewegungen ähnelte der teilweise mühseligen Ersteigung eines Berges, dessen wahre Höhe man von unten nicht wirklich einschätzen konnte, ähnlich wie es von Welck ein halbes Jahr später in dem Buch zur obigen Kulturförderinitiative beschreibt. Doch das Ergebnis konnte sich sehen lassen, die Aufführungen wurden ein großer Erfolg, Zuschauer und Kolleginnen waren begeistert, Körperbeherrschung und Selbstbewusstsein der Schülerinnen wuchsen.
Gegenstand, Zielsetzung und Aufbau
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Förderung der Ausdrucksfähigkeit durch Orientalischen Tanz.
Die Zielsetzung besteht darin, eine Handlungsanweisung für Lehrerinnen der Erich
Kästner-Schule (oder einer vergleichbaren Schule für Sprachbehinderte) zu erstellen, anhand derer es ihnen möglich wird, ihre Schülerinnen durch das Ausüben des Orientalischen Tanzes in ihrer individuellen Ausdrucksfähigkeit zu fördern. Das Konzept richtet sich an Lehrerinnen, die bei ihren Schülerinnen Förderbedarf im Bereich Sprache, Motorik, Eigenwahrnehmung und Körperbewusstsein[4] feststellen (Lehrerinnenkompetenz: diagnostizieren und innovieren).
Die Erarbeitung des eigenen Körpers mit Hilfe von Bewegungen, die im Anhang exemplarisch aufgeschlüsselt sind, wurde für die Arbeit mit Grundschulkindern durch die Ausklammerung der sakral-erotischen Elemente[5] und damit zu stark verbundener Bewegungsmuster modifiziert. Sie ist in den Jahrgangsstufen E bis vier anwendbar. Sollte das Konzept für die Arbeit mit älteren Schülerinnen angewandt werden, ist eine Modifikation in Richtung der ursprünglichen orientalischen Bewegungen denkbar sowie eine Ausweitung der ‚Exploration des Möglichen’ in Richtung bewusster Einbeziehung erotischer Elemente in den Tanz (Lehrerinnenkompetenz: fördern).
Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wird der Orientalische Tanz dargestellt, in seinen historischen Grundzügen beleuchtet (1.1), in den grundlegenden Elementen, die ihn kennzeichnen dargelegt (1.2) und pädagogisch konzeptionell erfasst (1.3).
Das zweite Kapitel der Arbeit beschäftigt sich mit den grundlegenden Elementen des Ausdrucks und der Sprache. Nach der Klärung des Begriffs ‚Ausdrucksfähigkeit’ wird auf den Zusammenhang zwischen Ausdruck und Sprache sowie die Unterscheidung von verbaler und nonverbal-motorischer Ausdrucksfähigkeit eingegangen (2.1). Zusammenhänge zwischen Störungen der Sprache und Störungen des Ausdrucks werden dargelegt (2.2). Im dritten Teil erfolgt die Zusammenführung von Tanz, Sprache und Ausdruck und mündet in dem begründeten Vorschlag, individuelle Ausdrucksfähigkeit durch Orientalischen Tanz zu fördern. Kapitel 4 beinhaltet die Darstellung des Förderkonzepts, wobei zunächst die Ziele zur Förderung der motorisch-nonverbalen Ausdrucksfähigkeit (4.1.1) und der verbalen Ausdrucksfähigkeit (4.1.2) dargelegt werden.
Unter dem Punkt 4.2.1 wird das Konzept für den Primarbereich begründet, es werden zum einen die Rahmenbedingungen der Erich Kästner-Schule (4.2.2), für die dieses Konzept entstand, vorgestellt. Zum anderen werden Kriterien entwickelt, nach denen die Charakterisierung derjenigen Schülerinnen, die durch den Orientalischen Tanz in ihrer Ausdrucksfähigkeit verstärkt gefördert werden könnten und sollten, (leichter) erfolgen kann (4.2.3). Die zugrundeliegenden didaktischen Überlegungen beziehen sich auf sprachheilpädagogische Aspekte (4.3.1), die Nutzung der zentralen Elemente des (orientalischen) Tanzes, nach denen die Förderung strukturiert werden sollte (4.3.2) sowie Regeln, die in der Durchführung gelten sollten. Methodische Überlegungen des Konzepts (4.4) behandeln das Üben – Ritualisierung (4.4.1), die Person der Lehrerin (4.4.2), den exemplarischen Ablauf einer Fördereinheit als Darstellung des konkreten methodischen und inhaltlichen Vorgehens (4.4.3), die Erarbeitung des eigenen Körpers anhand ausgewählter Bewegungen für Hände, Arme und Hüfte (4.4.4), die Erweiterung des Gelernten durch die ‚Exploration des Möglichen’ (4.4.5) sowie den Aspekt des Tanzens vor Publikum als (künstlerische) Darstellung des Gelernten (4.4.6).
Im fünften Teil der Arbeit wird ein Ausblick darauf gegeben, wo Grenzen des Konzepts liegen könnten, wo sich Evaluationsmöglichkeiten des Konzepts ergeben bzw. wie diese aussehen könnten. Als Hilfe zur Erstellung eines auf die individuelle Schülerschaft zugeschnittenen Diagnostik- und Evaluationsbogens sind Beobachtungskriterien als Vorschläge aufgeführt.
„…im alten Asien, wo der Tanz in seiner primitiven Reinheit erhalten geblieben ist, stellt er Mutterschaft dar, das Geheimnis der Empfängnis von Leben, das Leiden und die Freude, mit denen eine neue Seele auf die Welt gebracht wird.“
Armen Ohanian[6]
1. Der Orientalische Tanz
1.1 Eine kurze Biographie
Der „Orientalische Tanz“, der „Raks Sharqi“[7] besitzt eine jahrtausendealte Tradition. Ursprünglich stammt er aus Nordafrika, wo er wie alle Tänze als – zumeist religiöses - Ritual für Geburt, Leben und Tod getanzt wurde. Er gilt durch die Nachahmung der tiefverwurzelten Gebärden als einer der ursprünglichsten Tänze überhaupt.[8]
Der Orientalische Tanz wurde noch vor der Zeit der Pharaonen in Ägypten als religiöser Tanz der Tempeltänzerinnen und Priesterinnen getanzt[9] und genießt dort auch heute noch hohes Ansehen. Auch das römische Imperium übernahm den Orientalischen Tanz, der während der nachfolgenden Ausbreitung des Christentums fast in Vergessenheit geriet. Im Zuge der folgenden Verbreitung des Islam wurde der Tanz im Orient wieder aufgenommen und sein binnenkörperlicher Aspekt - im Gegensatz zu den westlichen Bein-Tänzen – in den Vordergrund gestellt. Es entwickelten sich in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Arten des Orientalischen Tanzes wie Stock-, Schwert-, Zimbel-, Boden-, Schleier- und Lichtertänze, die den verschiedenen Stilen des Orientalischen Tanzes[10] entstammen. Der Orientalische Tanz wurde (und wird) in den verschiedensten Teilen der Welt als Hochzeitstanz, Schöpfungstanz, Geburtstanz, Freudentanz, Klagetanz oder Trance-Tanz praktiziert. Erstmals für die westliche Welt entdeckt wurde der Orientalische Tanz von Orient-Reisenden[11], die über die für sie seltsam anmutenden Tänze berichteten, die sie beobachteten. So schreibt Howard in seinen Reiseberichten: „Tanzen ist von allen ihren Künsten am höchsten entwickelt…Pantomime der anmutigsten Art, verführerisch und dramatisch, Gesten, Drehungen und wunderbar wogende und ausdrucksvolle Bewegungen des Körpers.“[12] Curtis hingegen hielt es offenbar für nicht anmutig: „Es war zutiefst dramatisch…ein Liebesgedicht, das man nicht in Worte fassen kann – tief, orientalisch, intensiv und schrecklich.“[13]
Die übrige westliche Welt begegnete dem Orientalischen Tanz erstmals im Jahre 1893 im Zuge der Weltausstellung in Chicago, bei der ägyptische Tänzerinnen auftraten. In diesem Zusammenhang manifestierte sich auch die fälschliche, weil zu sehr auf Bauch und Hüfte konzentrierte, Bezeichnung „Bauchtanz“.[14]
Während des letzten Jahrhunderts hat sich das Image des Orientalischen Tanzes in vielen Teilen des Westens rapide verändert mit dem Ergebnis, dass das Wort bei vielen Menschen ein Bild spärlich bekleideter Frauen hervorruft, die einen Tanz vorführen, der wenig oder gar keine Kunstfertigkeit erfordert. Die umstrittenen Auftritte einer Mata Hari, die am Ende ihrer Tänze in Anlehnung an die sieben Schleier der Ischtar sämtliche Bekleidung ablegte[15], waren dem guten Ruf des Orientalischen Tanzes sicher nicht nützlich. Wer weiß zum Beispiel, dass der ‚Bauchtanz’ im Nahen Osten noch immer eine populäre Volkskunst ist und zudem wirkliches Können verlangt? Außerhalb seines eigenen Milieus gilt der Orientalische Tanz vielerorts nicht als Kunst. Über kaum eine Form des Tanzes gehen die Meinungen derart auseinander; daher orientiere ich mich an Buonaventura, die feststellt: „Ein Tanz, der solche Reaktionen hervorrufen kann, ein Tanz, dessen bleibender Zauber es ihm ermöglichte, Jahrhunderte gesellschaftlicher Ächtung zu überdauern, hat gewiss eine Aufwertung [und intensivere Beschäftigung mit ihm – Anmerkung der Verfasserin] verdient.“[16]
1.2 Zentrale Elemente
Isolation
Das wesentlichste Merkmal des Orientalischen Tanzes ist die Isolation, die Fähigkeit, einzelne Körperteile unabhängig voneinander zu bewegen. Dieses Prinzip basiert auf dem richtigen Verhältnis von Körperanspannung und –entspannung. So wird derjenige Körperteil, der die Bewegung ausführt, in einen extremen Spannungszustand versetzt, während der übrige Teil des Körpers die Restspannung erfährt und somit relativ entspannt ist.[17] Die Isolation zu erlernen, nimmt viel Zeit und Übung in Anspruch, der im Rahmen der Vermittlung der Bewegungen Rechnung getragen werden sollte. Dennoch ist ein privates zusätzliches Einüben der isolierten Bewegungen unerlässlich, um alsbald zum folgenden Punkt der Koordination zu gelangen.
Koordination
Unter Koordination wird im allgemeinen Sprachgebrauch die gleichzeitige und aufeinander abgestimmte Anwendung verschiedener Muskeln oder Muskelgruppen verstanden.[18] Nachdem die Technik der Isolation im Orientalischen Tanz beherrscht wird, werden die isolierten Bewegungen zusammen oder direkt nacheinander ausgeübt. So führt beispielsweise der Oberkörper eine Bewegung aus, während die Beine eine bestimmte Schrittfolge ausführen. Nicht nur das gleichzeitige Ausführen der Tanzbewegungen gehört zum grundlegenden Element der Koordination, sondern auch das Ineinander-Übergehen von verschiedenen Bewegungsabläufen, um so möglichst weiche, runde Bewegungsabläufe zu erreichen, die beispielsweise denen von Schlangen gleichen.
Rhythmus
Jedes Individuum hat einen ganz eigenen inneren und äußeren Rhythmus, der jeweils eine spezifische Struktur aufweist, er „… ist eine integrale Komponente allen menschlichen Reaktionsverhaltens.“[19] Der Rhythmus ist ein wesentliches steuerndes Element[20] für den Entwicklungsprozess des Einzelnen in jeder Form von Bewegung[21] und so auch im Orientalischen Tanz. Rhythmus gilt als orientierendes Prinzip, er gliedert gehörte Musik und ausgeführte Bewegungen und bildet die Grundlage für die Isolation und die Koordination der Bewegungen. Rhythmusfähigkeit ist kein zufällig vorhandenes individuelles Gut, sie lässt sich – insbesondere im Primarbereich – durch Aufnehmen eines vorgegebenen Rhythmus’ und anschließendes Ausführen - trainieren. „Rhythmus ruft ein Verhalten hervor, bei dem man dem Selbst Ausdruck verleiht“[22] und ermöglicht dem Individuum zudem in bestimmten Situationen die Teilnahme an Erfahrungen mit anderen Menschen (beim Tanzen als Paar oder in Gruppen, beim gemeinsamen Musizieren etc.). Der Orientalische Tanz unterliegt dem Rhythmus der Musik, mit der er korreliert und einem rhythmischen Arbeitsprinzip, nach dem er aufgebaut ist und praktiziert wird.[23]
1.3 Ein pädagogisches Konzept?
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tanzunterricht im Süden Ägyptens. Colorierte Fotografie, spätes 19. Jahrhundert.[24]
Orientalischer Tanz mit seinen speziellen Bewegungsmustern wurde und wird bereits im frühen Alter an die nächste Generation weiter gegeben. Es existiert bislang kein pädagogisches Konzept, das speziell für die Anwendung des Orientalischen Tanzes für Kinder entwickelt wurde. In vielen Ländern gibt es Konzepte zur Arbeit an der reinen Tanztechnik, jedoch keine speziellen Überlegungen zur Arbeit mit Kindern oder Jugendlichen. Viele orientalischen Tanzschulen bieten Kurse für Mädchen ab 3 Jahren an, ob und nach welchem Konzept sie arbeiten, bleibt unklar.[25]
Eines der bekanntesten Konzepte zum effektiven Erlernen der korrekten Technik ist das
weltweit angebotene Konzept „ESTODA – Essential Technique of Oriental Dance“, das für
Erwachsene konzipiert wurde und in Deutschland von Yasmin al Ghazali und Said el Amir
gelehrt wird.[26] Angestrebt wird hierbei ein ‚korrektes’ Tanzen mit entspanntem, lockerem Körper, wobei die Muskelkraft ökonomisch eingesetzt wird. Es werden ‚unsaubere’, verkrampfte und ‚falsche’ Bewegungen vermieden. Therapeutische Nebeneffekte dieser Elementartechnik liegen in der sanften, aber wirksamen Mobilisierung der Wirbelsäule, dem Lösen von Muskelverspannungen, dem Aufbau eines gesunden Tonus des Torso-Muskelkorsetts sowie der Bein- und Armmuskeln, der nachhaltigen Linderung von Schädigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und des Ileosakralgelenks. Zudem wird das Gleichgewicht mittels Zentrierung geschult; Körpertherapie auf der Basis von Zentrierung erzielt bei den meisten Schülerinnen gleichzeitig eine positive Wirkung auf die Psyche.[27]
Die Vermittlung dieser reinen Tanztechnik stützt sich insbesondere auf die Arbeit mit Dimensionen: den drei Dimensionen im Raum, der vierten Dimension: die Zeit, und richtet alle zu erlernenden Bewegungsmuster an diesen Dimensionen und den körpereigenen Achsen aus. Im vorliegenden Konzepts zur Förderung der Ausdrucksfähigkeit von Schülerinnen mit Förderbedarf im Bereich Sprache werden bezüglich der Inhalte / Bewegungsmuster (Erarbeitung des eigenen Körpers 4.4.4) kleinere Entlehnungen aus der Elementartechnik vorgenommen.
Eine neue Richtung des Orientalischen Tanzes ist ‚Indian Tribal’, bei dem der folkloristische Tribal Style mit den erzählenden Momenten des indischen Tempeltanzes verbunden wird. Die Körperbewegungen werden entsprechend des Musiktextes durch Abhinaya (Ausdruck) und Mudras (Handgesten) ersetzt.[28] So entstehen Tanzpassagen mit erzählenden Ausdruckssequenzen, auf die Kinder ganz besonders ansprechen. Die Nutzung des Tanzens von Geschichten sollte ebenso wie die umfassende Körperarbeit im Vorfeld des Tanzens einen großen Stellenwert im Orientalischen Tanz mit Kindern haben.
2. Ausdruck und Sprache
2.1 Ausdrucksfähigkeit
Die Ausdrucksfähigkeit ist ein allen Menschen angeborenes Kommunikationsmittel, durch das der Mensch seine eigene Befindlichkeit, sein Denken und Wissen anderen mitteilen kann. Sowohl nonverbale Ausdrucksformen wie Gestik, Mimik und Körperbewegungen als auch verbale Ausdrucksformen durch gesprochene oder geschriebene Sprachäußerungen zählen zur unmittelbaren Ausdrucksfähigkeit.[29] Der frühkindliche Erwerb der (verbalen) Sprache erfolgt zunächst über präverbale Ausdrucksmöglichkeiten von Gestik und körperlicher Bewegung, die bereits intrauterin nachgewiesen wurden.[30] Die zentrale Form jedes kommunikativen Austausches im frühen Kleinkindalter stellt der trianguläre Blickkontakt zwischen Kind, Mutter und Gegenstand dar.[31] Dieses ‚semantische Dreieck’ ermöglicht die Ausbildung eines ersten Sprachverständnisses und den Erwerb erster, an konkrete Situationen gebundener Wörter.
Parallel zu den sprachtragenden Bereichen Motorik, Wahrnehmung, Kognition, Sozialverhalten und Emotionalität entwickelt sich die verbale Sprache des Kindes. Im Zuge dieses vielschichtigen Entwicklungsprozesses[32] verlaufen die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen fließend. So korrelieren motorische und sprachliche Ausdrucksfähigkeit und stehen zudem in direkter Wechselbeziehung zu Wahrnehmung, Kognition und Emotionalität. Nonverbale (motorische) und verbale Ausdrucksfähigkeit entwickeln sich für eine gewisse Zeit also nahezu gleichzeitig und auf ähnliche Weise - durch die Imitation verbaler und nonverbaler Vorbilder und die Exploration der eigenen stimmlichen, sprachlichen und gesamtkörper-motorischen Möglichkeiten. Es gibt keine Sprache ohne Ausdruck, Sprache ist immer auch Ausdruck und Ausdruck ist immer auch Sprache, übermittelt Informationen, ob verbal oder nonverbal. Selbst ein ‚ausdrucksloser’ Blick zeigt einen bestimmten Ausdruck, drückt eine interpretierbare – zumeist als negativ oder gleichgültig ausgelegte - Gefühlsregung aus. Der persönliche Ausdruck vermittelt der Umwelt die Befindlichkeit, den aktuellen Gefühlsstatus desjenigen Menschen. Dies kann sowohl verbalsprachlich als auch körpersprachlich geschehen, jedoch nicht ohne emotionale Beteiligung des betreffenden Individuums.[33] Schoop formuliert: „Indem ich meine Gefühle ausdrücke, rhythmisch, räumlich, wenn ich ihnen Linie, Melodie und Spannung gebe, mit einem Wort, wenn ich meine Gefühle verkörpere – wenn ich sie realisiere in einer klaren Form, erkenne ich mich bewusst, und was ebenso wichtig ist, ich kann mich mitteilen.“[34]
2.2 Förderbedarf im Bereich von Sprache und Ausdruck
Die Ursachen für den Förderbedarf von Schülerinnen im verbalsprachlichen oder nonverbal-motorischen persönlichen Ausdrucks sind vielfältig. Insbesondere bei ursächlichem neurologischen und / oder sensorischen Förderbedarf zeigen die betroffenen Kinder häufig Unsicherheiten im gesamtkörperlichen Bewegungsverhalten oder entwickeln sich motorisch verzögert. Bei Vorliegen einer Sinnesbeeinträchtigung zieht diese oft eine Verzögerung oder Störung des gesamten sensorischen Systems nach sich.[35] Auch Koordinationsschwächen sind dann wahrscheinlich, so z.B. bei Hörbeeinträchtigungen, die sich auf das Gleichgewichtsvermögen auswirken.
Liegt ein Förderbedarf im Bereich der psychischen Entwicklung vor, werden ebenfalls vermehrt motorische Probleme festgestellt. Die nonverbale Ausdrucksfähigkeit wird eingeschränkt, wenn Wahrnehmen, Erleben, Bewegen und Reagieren nicht reibungslos funktionieren können. Zudem sind bei Vorliegen psychischer Beeinträchtigungen die Eigenwahrnehmung und das Körperbewusstsein eingeschränkt. Wenig Selbstvertrauen aufgrund einer eingeschränkten Wahrnehmung der Eigenwirksamkeit führt zu zurückhaltendem, evtl. sogar ängstlichen Verhalten. Der nötige Mut für das Imitieren und Ausprobieren verschiedener – sprachlicher und körperlicher Ausdrucksformen – ist nicht so ausgeprägt, wie es zu wünschen wäre.
Bei Vorliegen eines Förderbedarfs im Bereich des sprachlichen Ausdrucks wie beispielsweise einer Stottersymptomatik fühlen sich die Kinder im wahrsten Sinne des Wortes unverstanden und zuweilen hilflos, was sie in ihren Bewegungsabläufen, ihrem motorischen Ausdruck auch zeigen. Bei Auffälligkeiten im Spracherwerb ist neben der Betrachtung der Störung in den verschiedenen linguistischen Sprach-Strukturebenen, in denen sie sich äußert, das gesamte zugrunde liegende Entwicklungsgefüge des Kindes zu sehen und in die Förderung mit einzubeziehen. Wenn Kinder in ihrer körperlich-seelischen Entwicklung Schwächen aufweisen, sind mit diesen immer auch Bewegungsprobleme und damit nonverbale Ausdrucksschwächen verknüpft. Die Schülerinnen weisen einen zu starken oder zu schwachen Bewegungsantrieb, mangelnde Beherrschung von Bewegungsformen wie Laufen, Hüpfen, Balancieren, Koordinationsprobleme (Stifthaltung beim Schreiben oder Malen, Schuhe zu binden etc.), Bewegungsunlust und Hypermobilität auf.[36]
Der persönliche nonverbale Ausdruck an sich kann ebenfalls Störungen unterliegen und derart uneindeutig ausfallen, dass es der Umwelt unmöglich ist, Ausdrucksreaktionen zu deuten. In diesem Fall liegt nach WILLKE ein Ausdruckskonflikt vor.[37] Die Diskrepanz zwischen Empfinden und Ausdruck kann insbesondere bei Kindern mit Mitteilungsstörungen im verbalen oder motorischen Bereich verstärkt vorliegen und dies sowohl unabsichtlich – z.B. aufgrund motorischer Beeinträchtigungen als auch absichtlich – sich die eigene Gefühlslage nicht anmerken lassen wollen. In den beiden letztgenannten Fällen handelt es sich nach Willke um ein Ausdrucksdefizit – die Einschränkung des Ausdrucksreichtums - bzw. eine Ausdruckshemmung.
Wie bereits dargelegt, korrelieren die verschiedenen Entwicklungsbereiche Wahrnehmung, Kognition, Emotionalität/Sozialverhalten, Verbalsprache/verbale Ausdrucksfähigkeit, Motorik/nonverbale Ausdrucksfähigkeit; so ist es nachvollziehbar, dass eine Störung in einem dieser Bereiche sich auf die übrigen Bereiche ebenfalls störend auswirkt. Kinder mit Beeinträchtigungen ihrer Ausdrucksfähigkeit – egal ob verbal oder nonverbal – sind in ihrer (verbalen und nonverbalen) Handlungskompetenz und somit folgernd auch in der Entwicklung von Selbstvertrauen, Eigenwirksamkeit, psycho-sozialen Verhaltensweisen und Körperbewusstsein - in der Ausbildung ihrer gesamten Identität[38] beeinträchtigt.
3. Ausdrucksförderung durch (orientalischen) Tanz
„Der Tanz ist eine lebendige Sprache, die vom Menschen gesprochen wird und vom Menschen kündet – eine künstlerische Aussage, die sich über den Boden der Realität emporschwingt, um auf einer übergeordneten Ebene in Bildern und Gleichnissen von dem zu sprechen, was den Menschen innerlich bewegt und zur Mitteilung drängt. Vielleicht ist der Tanz in besonderem Maße auf eine direkte und umweglose Mitteilung angewiesen. Denn: sein Träger ist der Mensch selbst, und sein Ausdruckselement ist der menschliche Körper, dessen natürliche Bewegung das Material des Tanzes bildet, das einzige, das ihm zugewiesen ist und über das er gebietet.“[39]
Mary Wigmann
Diese direkte und umweglose Mitteilung über den eigenen Körper, den persönlichen Ausdruck gilt es bei sprachbehinderten Schülerinnen neben anderweitigen Fördermaßnahmen zu fördern. So kann die ganzheitliche Entwicklung dieser Kinder trotz sprachlicher Beeinträchtigungen möglichst unbeschadet ablaufen und sie können ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln, dass sie zu selbstständigen, eigenwirksamen Individuen werden lässt.
Zur Entfaltung der individuellen Ausdrucksfähigkeit existieren verschiedenste Mittel: Verbalsprache, Gestik, Mimik sowie sämtliche Formen der Kunst wie beispielsweise Malerei, Fotografie, Musik und Tanz. Alle diese Formen der Entfaltung des individuellen Ausdrucks fördern zusätzlich (jedoch nicht immer gleichzeitig) die Wahrnehmung, die Kognition und das Selbstbewusstsein der agierenden Person.
Der Tanz als ursprünglichste Gestaltungsform[40] aus ästhetisch-musikalischem Empfinden und kreativer körperlicher Bewegung vereint Raum und Zeit: „Der Tanz ist die Mutter der Künste. Musik und Dichtung existieren in der Zeit; Malerei und Architektur im Raum, aber Tanz lebt gleichzeitig in Raum und Zeit.“[41] Persönlicher Ausdruck in Form tanzender Bewegung verfliegt mit dem Ende der Bewegung. Selbst wenn er mit heutigen technischen Mitteln aufgezeichnet wird, entfaltet er beim nochmaligen Ansehen dennoch nur einen Hauch der Ausdrucksstärke, die er zum Zeitpunkt seines Entstehens vermittelte. Die Mitteilungsaspekte des Tanzes sind vergänglich, er hat „eine sich in der Zeit entfaltende Gestalt“[42], die mit dem Ende des Tanzes vergeht: „ Von allen Künsten gehört keine so ausschließlich der Gegenwart an wie der Tanz. Es gibt für ihn eigentlich keine Vergangenheit , er ist eine Kunst des Augenblicks, vorbei schon im Entstehen. Nichts vermag ihn zurückzurufen.“[43] Jeder Tanz ist, während er getanzt wird, zugleich Erzählung und Darstellung, er enthält eine persönliche Aussage der Tanzenden, die sich und ihre emotionalen Zustände auf ihre individuelle Weise den Zuschauenden, ihrer Umwelt mitteilt. In vielen Regionen der Welt stehen bestimmte Tänze im Dienst der Religion und gelten als heilig, als Form des Gebets.[44] „… der Tanz hebt die Unterscheidung zwischen Körper und Geist, selbstvergessenem Ausdruck, Gefühlen und beherrschtem Verhalten, zwischen gesellschaftlichem Leben und dem Ausdruck von Isolation, zwischen Spiel, Religion und Schlacht auf… in der Ekstase des Tanzes überbrückt der Mensch die Kluft zwischen dieser und der anderen Welt, schafft die Verbindung zum Reich der Dämonen, der Geister und Gottes. Der Tanz ist Opferzeremonie geworden, Zauberformel, Gebet und prophetische Vision. Er ruft die Naturgewalten herbei und kann sie wieder vertreiben, heilt die Kranken, verbindet die Toten mit der Reihe ihrer Nachkommen. Er sichert uns unsere Nahrung, Glück bei der Jagd, Sieg in der Schlacht, er segnet das Feld und den Stamm.“[45]
Der Orientalische Tanz als das Mittel zur Förderung der Ausdrucksfähigkeit, das im Rahmen der vorliegenden Arbeit vorgeschlagen wird, fördert die persönliche Ausdrucksfähigkeit sowohl bezüglich der sprachlichen Entwicklungsbereiche der pragmatisch-kommunikativen Kompetenz, der Sprachgestaltung und der Redefähigkeit als auch bezüglich der grundlegenden sprachtragenden Bereiche[46] wie Selbstbewusstsein, Emotionalität, Sozialverhalten, Wahrnehmung, Kognition, bezüglich der Motorik[47], des gesamtkörperlichen Empfindens sowie der Ausbildung einer stabilen Identität auf Grundlage eines gefestigten Selbstkonzepts.
Die Förderung der Ausdrucksfähigkeit durch Orientalischen Tanz setzt an der angeborenen Fähigkeit zu individuellem Ausdruck bei Kindern an. Jedes Kind verfügt über diese (angeborene) Fähigkeit, sich durch Ausdrucksreaktionen auf seine Umwelt mitteilen zu können. Somit fördert der Tanz etwas, das die Kinder bereits in den Urzügen können; sie werden nicht mit Anforderungen an sie konfrontiert, die die Möglichkeit des Scheiterns enthalten und in ihnen Angst oder Ablehnung hervorrufen oder ihnen peinlich sein könnten. Denn „… spontan gefundene und durch Übung wiederholbar gemachte Erfahrungen mit dem eigenen Körper [sind] nie peinlich, sondern echt, denn der Körper lügt nicht.“[48]
Der Orientalische Tanz ist einer der ursprünglichsten Tänze überhaupt, da er in seinen Bewegungsabläufen die ureigenen menschlichen Ebenen des Gebärens, Lebens, Leidens und des Todes verkörpert. Diese Ebenen und die damit verbundenen Emotionen betreffen jeden Menschen und wohnen jedem Menschen ursprünglich inne, sie sind ebenso von Beginn an vorhanden wie die Fähigkeit zum persönlichen Ausdruck.
Was liegt also näher, als die Ausdrucksfähigkeit mit den Mitteln eines der ursprünglichsten Tänze der Menschheit zu fördern?
4. Darstellung des Konzepts
4.1 Ziele
4.1.1 Förderung der nonverbalen Ausdrucksfähigkeit
„Nichts offenbart die menschliche Seele so klar und unvermeidbar wie Bewegung und Gestik. Es ist möglich, wenn man es vorzieht sich hinter Worten oder Bildern oder Statuen oder anderen Formen menschlichen Ausdrucks zu verstecken und zu verstellen, aber in dem Moment, in dem Du Dich bewegst, stehst du offen da, ob gesund oder krank, so wie
Du bist.“[49]
Doris Humphrey
Selbstkonzept
Im Zuge der Ausdrucksförderung soll eine signifikante Verbesserung des individuellen Selbstkonzepts der Schülerinnen erreicht werden. Sowohl das Private-Selbst der Schülerinnen (was denke ich von mir selbst) als auch das Soziale-Selbst (was glaube ich, was die anderen von mir denken) sollen gestärkt werden. Die Ausdrucksförderung durch Orientalischen Tanz führt zur Erhöhung der Aufmerksamkeit gegenüber der eigenen Person, zur Konzentrationssteigerung auf eigene Stärken und Leistungen sowie zu realistischen Einschätzungen bezüglich der eigenen Person (Privates-Selbst) und der persönlichen Wirkung auf die Unwelt (Soziales-Selbst). Bei Vorliegen vielfältiger Schwächen von Schülerinnen lässt sich das Selbstkonzept durch vorsichtige sozial-emotionale Lenkung auf positive Persönlichkeitsaspekte und individuelle Stärken teilweise modifizieren. Der Aufbau eines positiven Selbstkonzepts wird durch die Erfahrung der Kompetenzerweiterung im Bereich des Orientalischen Tanzes positiv beeinflusst und gefördert. Das sozial-emotionale Verhalten der Schülerinnen stabilisiert sich, die Motivation zur Erkundung der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten (und Grenzen), auch die Motivation und der Wille, sich selbst nach außen hin auszudrücken, darzustellen und mitzuteilen erhöhen sich. Die Förderung des Selbstkonzepts schlägt sich auf alle sprachtragenden Förderbereiche und die verbal-sprachliche Ausdrucksfähigkeit der Schülerinnen nieder.
Körperbewusstsein & Körperschema
Jede Schülerin besitzt Körperkenntnis, Körpererfahrungen und eine bestimmte Einstellung zum eigenen Körper, die emotional besetzt ist. Diese bestehende minimale Selbstwahrnehmung bezüglich des eigenen Körpers und der eigenen körperlichen Konstitution und Gestimmtheit (‚ermüdet’, ‚frisch’, ‚kräftig’, ‚schwach’, ‚gespannt’, ‚gelöst’, ‚munter’ oder ‚matt’) ist nötig, damit Orientalischer Tanz für die Einzelne möglich wird. Er fördert das Körperbewusstsein und insbesondere das Körperschema, die Anpassung der einzelnen Körperteile an die Spannung und Entspannung der Muskeln durch das Erlernen und Ausführen der verschiedenen Bewegungen; er ist eine Ausdauersportart[50].
Die Atmung, eine vegetative Bewegung ist eine unbewusste motorische Bewegung, deren Intensität, Tiefe und Rhythmus von der psychischen und physischen Befindlichkeit der Einzelnen abhängen. Durch den Orientalischen Tanz und die mit diesem verbundene Erarbeitung einer aufrechten, stolzen Gesamtkörperhaltung[51] wird auch das unverkrampfte, befreiende ‚Durchatmen’ gefördert. Daneben wird eine Art der bewussten Atmung eingeübt, die unabhängig von externen, bewusst ausgeführten Bewegungen eingesetzt werden kann.[52] Der Orientalische Tanz fördert also den Einsatz einer bewussten Atmung, die als Grundlage für die Förderung des verbalen Ausdrucks dient und sich ebenso in Selbstkonzept, Körperschema, Gestik und Mimik wieder findet.[53]
Eine verstärkte Wahrnehmung des eigenen Körpers mit seinen Möglichkeiten verbessert die gesamte körperliche Grundhaltung, insbesondere die Haltung des Kopfes und das Blickverhalten. Orientalischer Tanz als Kommunikationsform erweitert und vertieft die Eigenwahrnehmung der körperlichen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Form des Sich-Mitteilens über den Orientalischen Tanz zu benutzen und zu genießen stellt ein wesentliches Förderziel dar. Die Automatisierung von Bewegungsabläufen führt zum späteren Ziel der bewussten, beherrschten Körperbewegungen in immer neuen Situationen, die der Einzelnen zu körperlicher Gewandtheit im nonverbalen Ausdruck und zu innerer, emotionaler Sicherheit verhelfen.
Gestik & Mimik
Bei Gestik und Mimik handelt es sich um analoge Kommunikationsformen ohne Zeichenbenutzung, sie sind nonverbal und drücken sich über motorische Handlungen aus. Auch im Bereich von Gestik und Mimik verfügen die Schülerinnen bereits über ein Verhaltensrepertoire, das sie alltäglich benutzen und das ihre innerlich ablaufenden Prozesse wie sensorische oder kognitive Empfindungen ausdrückt. Dieses – zumeist unbewusste - Repertoire benutzt das Konzept zur Förderung der Ausdrucksfähigkeit durch Orientalischen Tanz, erweitert und verfeinert es und zielt bei den Schülerinnen die Fähigkeit an, ihre Gestik und Mimik beabsichtigt einzusetzen. Diese beabsichtigte, bewusste Darstellung bestimmter Gefühlszustände mittels Gestik und Mimik steht dem unbewussten, selbstvergessenen Ausdruck gegenüber. Beide Kompetenzen (beabsichtigter und unbewusster nonverbaler Ausdruck) sollen für die Schülerinnen erreichbar werden.
[...]
[1] Buonaventura, W., S. 7.
[2] Welck, K.v. / Schweizer, M. (Hg) 2004, S. 216.
Die Initiative „Kinder zum Olymp!“ wurde aktuell von der Kulturstiftung der Länder ins Leben gerufen, um die Einsicht in die Notwendigkeit einer ästhetischen Erziehung von Kindern und Jugendlichen bei der breiten Öffentlichkeit zu erreichen. Das Bild des Berges der Götter aus der griechischen Mythologie erinnert daran, dass man "heitere, luftige Höhen", wie sie Homer in der Ilias beschreibt, nur durch einen zuweilen etwas mühsamen Aufstieg erklimmen kann. Hat man jedoch den Gipfel erreicht, wird man durch einen weiten Aus- und Überblick belohnt. Im Rahmen der Initiative finden vielfältige Kunst- und Kulturprojekte (auch Tanzprojekte) in ganz Deutschland statt. Nähere Informationen unter www. kinder-zum-olymp.de
[3] An der Erich Kästner-Schule arbeiten überwiegend weibliche Lehrpersonen, daher wird in der vorliegenden Arbeit durchgängig die weibliche Schreibweise – Lehrerinnen, Schülerinnen – verwandt. Dennoch soll sich das männliche Lehrpersonal selbstverständlich ebenfalls angesprochen fühlen. Das hier ausgearbeitete und vorgestellte Konzept zur Förderung der Ausdrucksfähigkeit durch Orientalischen Tanz wurde für die Schülerinnen verschiedener Jahrgangsstufen der Erich Kästner-Schule entwickelt, die in einer Arbeitsgemeinschaft zusammen tanzen.
[4] Schülerinnen der Schule für Sprachbehinderte weisen nicht nur einen Förderbedarf im Bereich Sprache auf, sondern oftmals zusätzlichen Förderbedarf in den sprachtragenden Bereichen Kognition, Motorik, Soziabilität, Sensorik und Emotionalität.
[5] Zur sakralen Erotik des Orientalischen Tanzes vgl. die Fachliteratur im Anhang.
[6] Armen Ohanian, in: Al-Rawi, der Ruf der Großmutter, S. 187.
[7] Aus dem Arabischen übersetzt, arabisch raks entstammt dem assyrischen rakadu, was „Lebensfreude“ bedeutet. Buonaventura, W. 1993, S. 21f. Der Orientalische Tanz wird in Ländern, in denen er eine weit verbreitete Volkskunst geblieben ist, unterschiedlich bezeichnet: in Griechenland heißt er cifte telli, in der Türkei kennt man ihn unter rakkase, vgl. ebd., S.17.
[8] Siehe auch Karkutli, D. 2000, S. 16 ff.
[9] Es existieren prähistorische Skulpturen und Felsmalereien mit typischen Tanzposen des Orientalischen Tanzes, die u.a. auf alte rituelle Geburtstänze zurückgehen. Hirschberger, R. 1999, S. 8.
[10] Stilrichtungen des Orientalischen Tanzes sind beispielsweise Saidi, Gawazhee oder Melaya Lef. Eine weitere Ausführung würde an dieser Stelle zu weit führen, vgl. die führende Literatur zum Orientalischen Tanz, insbesondere Buonaventura W. 1990..
[11] Exemplarisch genannt werden hier: Gustave Flaubert, Théophile Gautier, Julian Hawthorne, G.W. Curtis.
[12] Howard, Clifford 1897, Sex Workship, Washington D.C., in: Buonaventura, W. 1990, S. 31.
[13] Curtis, G.W. 1852, Nile Notes of a Howadji, Henry Vizetelly, London, S. 88, in: Buonaventura, W. 1993, S. 17.
[14] Zola kreierte den Begriff „danse du ventre“ 1880 in seinem Roman ‚Zola’, dieser wurde bei der Weltausstellung in Chicago dann als „belly dance“ übersetzt. Bereits 1899 ist der Begriff „Bauchtanz“ in der deutschen wissenschaftlichen Literatur zu finden. Karkutli, D. 2000, S. 47.
[15] Kupferman, F. 1999.
[16] Buonaventura, W. 1993, S. 20.
[17] Entspannung von Muskelpartien bedeutet hier nicht, dass die nicht-isolierten Körperteile schlaff herunterhängen, sondern diese erhalten eine Restspannung, um eine insgesamt anmutige Haltung zu gewährleisten.
[18] Sowohl Jean Ayres als auch Nicks & Fleishman sind der Ansicht, dass gute Koordination von einem reibungslosen Funktionieren des Nervensystems, speziell der Hirnrinde, abhängt. Vgl. Frostig, M. 1999, S. 36.
[19] Espenak, L. 1991, S. 176.
[20] Vgl. Eggert, D. / Lütje, B. / Johannknecht, A. 1990, S. 113.
[21] Das Erleben eigener Rhythmen gilt als eines der Hauptziele der Tanztherapie. Dort wird davon ausgegangen, dass Rhythmus ein Erleben der Integration von Bewegung und Emotion und damit Eigenwahrnehmung ermöglicht. Durch gezielte rhythmische Bewegungsmuster können innere Blockaden (Verteidigungsrhythmen) aufgebrochen werden. Vgl. ESPENAK 1991.
[22] Espenak, L. 1991, S. 177.
[23] Die rhythmische Arbeitsweise, nach der der Orientalische Tanz gelehrt, gelernt und praktiziert wird ähnelt der Rhythmisierung des Unterrichts, die ihren Ursprung im Zeitgeist der Reformpädagogik hat.
[24] Aus: Buonaventura, W. 1990, S. 8.
[25] Beispielsweise im Kindertanzensemble ‚El Waled’, zu finden unter www.sarasatelier.de/ElWaled.htm.
[26] Weitere Informationen zum Konzept und zu Lehrgangsterminen finden sich unter www.estoda.de und www.estoda.djamila.de.
[27] ESTODA 2002.
[28] Vgl. www.narajana.de/Frameset/Repertoire_backFrameset.htm
[29] Mittelbare Formen der Ausdrucksfähigkeit sind die individuelle Handschrift, die Art sich zu kleiden, Zeichnungen und musikalische Ausdrucksformen; in: Lexikon. Wissenswertes zur Erwachsenenbildung (1999) auf der Seite: http://www.111er.de/lexikon/begriffe/ausdruck.htm - BildungsBörse spezial. Bildungsmöglichkeiten für Menschen mit geistiger Behinderung.
[30] STEMMER-LÜCK, M. 1996. Veranstaltung zur psychoanalytischen Entwicklungspsychologie der KFH Münster, in deren Rahmen Filmaufnahmen intrauteriner Untersuchungen zur physischen, mentalen und psychischen Verfassung und Äußerung von Föten behandelt wurden. So waren bei den Kindern ablehnender und depressiver Mütter kaum gestische Äußerungen zu beobachten, während die Kinder gesunder Mütter viel Bewegung zeigten (alles um sich herum erforschten und sogar Purzelbäume schlugen).
[31] Zollinger, B. 2000, S. 13.
[32] Böhme, G. 2002, S. 3.
[33] Bei postoperativen Untersuchungen von Patienten, die im Rahmen der Behandlung von schweren emotionalen Leiden einer präfrontalen Lobotomie unterzogen wurden und denen der Mandelkern (das menschliche Emotionszentrum) entfernt wurde, stellte man neben apathisch wirkenden Bewegungsabläufen auch einen gleichgültigen Stimmklang der Betroffenen fest. Ohne Gefühlsregungen waren sie weder zu Erinnerungsleistungen, noch zu einer persönlichen verbalen oder motorischen Ausdrucksfähigkeit in der Lage. Vgl. Goleman, D. 1995, S. 32 ff.
[34] Schoop, T. 1991, in: Willke, E., S. 123.
[35] Herm, S. 1996, S. 52, in: Lernwerkstatt Psychomotorik, S. 58.
[36] Peter-Führe, S. 1994, S. 136.
[37] Willke, E. 1990, S. 26ff, in: Achenbach, U. 2001, S. 2.
[38] Die Identität eines Menschen ermöglicht ihm die Erfassung seines Selbst als kontinuierliches Subjekt. Störungen der Identitätsentwicklung können bis zum krankhaften Zerfall der Identität führen. Arnold, W. / Eysenck H.-J. / Meili, R. (Hg) 1993, S. 959.
[39] Mary Wigmann, in: WiLlke, E. 1991, S. 53.
[40] „Die Tatsache, dass Tanz wahrscheinlich die Ursprungskunst des Menschen ist, dürfte ihm eine besondere Bedeutung und Vorrangstellung gegenüber den anderen Kunstgattungen einräumen.“ Rudolf Laban, in: Willke, E. (Hg) 1991, S. 79.
[41] C. Sachs, 1963.
[42] Buytendijk, F.J.J. 1991, S. 74.
[43] Max von Boehn, dt. Schriftsteller 1860-1932, Verfasser von Werken zur Kulturgeschichte, in: Karkutli, D. 2000, S.16.
[44] Vgl. Grau, A. 1999, S. 34.
[45] Sachs, C., 1963.
[46] Die Einteilung der Förder- und Entwicklungsbereiche erfolgt auf der Grundlage der Handreichung des Fachrichtungsseminars Sprachbehindertenpädagogik des Studienseminars Münster – keine Quellenangabe.
[47] Motorik wird umfassend verstanden als Haltungs- und Bewegungsgesamt des Menschen in der Funktionseinheit von Wahrnehmen, Erleben und Handeln, vgl. Schilling, F. 1993, S. 56.
[48] Waegner, H. 1994, S. 44.
[49] Doris Humphrey, in: WILLKE 1991, S. 79.
[50] Die Deutsche Sporthochschule Köln untersuchte im Rahmen einer Pilotstudie die Wirkungsweise des Orientalischen Tanzes und stellte fest, dass Orientalischer Tanz ein Ausdauertraining darstellt, dass viele Muskelpartien aktiviert, besonders die Rückenmuskulatur (M. erector spinae), die Bauchmuskulatur (M. abdominis) und die Gesäßmuskulatur (M, gluteus medius). Vgl. PÜTZ 2003, S.25 ff.
[51] Die Veränderung der Gesamtkörperhaltung orientalisch tanzender Mädchen und Frauen basiert selbstverständlich neben der bewussten Erarbeitung eines ‚stolzen Ausdrucks’ auch auf der Steigerung von Körperwahrnehmung und Selbstbewusstsein, vgl. 4.4.1 Förderung des nonverbalen Ausdrucks.
[52] Vgl. die Durchführung von Bauch- und Brustbewegungen, die unabhängig von der Atmung durchgeführt werden und diese nicht beeinflussen dürfen, 4.4 sowie die Erläuterungen zu den Bewegungen im Anhang.
[53] Da die Atmungsförderung eine Grundkompetenz für die Förderung der übrigen Bereiche darstellt und am ehesten zum Körperschema gehört, wird sie in diesem Zusammenhang behandelt. Sie steht – wie alle anderen Bereiche auch – in steter Wechselwirkung mit den übrigen Förderbereichen.
- Citation du texte
- Kerstin Holländer (Auteur), 2004, Konzeptionelle Überlegungen zur Förderung der Ausdrucksfähigkeit durch Orientalischen Tanz - dargestellt an einer Schule für Sprachbehinderte (Primarbereich), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32896
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