Im Allgemeinen geht es in der Popmusik nicht nur um das Musikhören und Musikmachen, sondern um komplexe kulturelle, soziale und kommerzielle Prozesse, die damit zusammenhängen. Es wäre nach meiner Fragestellung eine unvollständige Analyse, würde ich nur klangliche Aspekte und nicht auch die gesellschaftlichen Hintergründe betrachten. So wird die Spannbreite der zu berücksichtigenden Faktoren ungeheuer groß. Die besondere Wirkung einer Boygroup geht nicht nur vom Klang aus, sondern von den fünf Personen und deren Image. Anzügliche Hüftbewegungen und Break Dance prägen das Gossenimage. Dazu tragen sie sehr teure und modische Kleidung. Sie sprechen die Kids aus dem Wohlstandsboom an. Die Stars prägen die Mode und machen aus mancher Kleidung sogenannte Szeneklamotten. Sie prägen die Haarmode und setzen für einen bestimmten Zeitraum fest, was ,in‘ ist. Die jeweilige Musik und der Verhaltensstil der Stars vermitteln ein Bild, mit dem sich die Heranwachsenden identifizieren wollen. Die Jugend der Gegenwart ist zu einem großen Teil orientierungslos, zum Beispiel in Hinblick auf die Ausbildungsplatzknappheit. Da die Fans einer Boygroup aus der Mittelklasse kommen, sind Wohlstand und die damit verbundenen Freiheiten für sie in unserer Konsumgesellschaft normal und somit bedeutungslos. Die Stars einer Boygroup sind ungefähr im gleichen Alter, wie ihre Fans. Ihr Image ist professionell kalkuliert. Es steckt ein gewaltiges Vermarktungskonzept dahinter.
Inhaltsverzeichnis
1. Was ist eine Boygroup?
2. Die Fans - Soziologische Analyse
3. Vergleichende Analyse
3.1. New Kids On The Block
3.2. Take That
3.3. Backstreet Boys
4. Sound - Analyse des Klanges
5. Zusammenfassung und Schwierigkeiten einer Analyse
6. Literaturverzeichnis
1. Was ist eine Boygroup?
„Wir alle wissen, daß eine Popkarriere zeitlich begrenzt ist“1. Boygroups bestehen jeweils aus fünf Jungs. Es sollen gutaussehende Jugendliche sein, die tanzen und singen können. Es sollen weiße Jugendliche sein, die mit schwarzer Musik aufgewachsen sind. Die Altersgrenze wurde auf fünfzehn Jahre gesetzt. Diese Punkte zur Charakteristik einer Boygroup stammen von Maurice Starr, dem schwarzen Produzenten der New Kids On The Block. Sie lassen sich auf alle danach erschienenen Boygroups übertragen. Das Ziel einer Boygroup ist Erfolg. Sie verfolgen rein kommerzielle Interessen. Es ist nicht ihre Absicht komplizierte, künstlerische Musik zu machen, sondern Platten zu verkaufen. Das angesprochene Zielpublikum besteht aus Musiklaien. Es sind Mädchen im Teenageralter. Die fünf Jugendlichen werden regelrecht vermarktet. Sie entsprechen bestimmten Klischees. Ihre Rollen sind: Sportfreak, Aufpasser, Träumer und Romantiker, Nesthäkchen und Mädchen-schwarm. Einer von ihnen darf sogar etwas ausgeflippter sein. Sie lieben ihre Familien, Gott und ihr Vaterland, sagen ,nein’ zu Drogen und sind solo. Durch den großen Erfolg und die Massenhysterie der Fans wurden von der Presse Parallelen zu den Jackson Five und den Beatles gezogen. Die Karriere einer Boygroup beginnt meist mit Coverversionen, die schon früher in den Top Ten gestanden haben. Später folgen extra für die Band komponierte und teilweise auch eigene Songs. Die Melodien sind eingängig. Bereits beim ersten Hören graben sich die Titel ins Gedächtnis ein. Das Vokabular der Liedtexte ist einfach gehalten. Schlagwörter sind: you, love, heart, baby, girl, I wanna, und Übertreibungen, wie: never, darkest night, I go anywhere for you, I do everything for you. Die Mädchen sind in den Liedern die großen Verführerinnen, denen die Jungs unterliegen und nun alles für sie tun wollen, da sie ohne dieses Mädchen keinen Sinn mehr im Leben sehen. In den Videos sind sie von schönen jungen Frauen umgeben. Sie werden bei ihren sportlichen Aktionen umjubelt, tanzen in verlassenen Fabriken, sind die besten Freunde und zeigen sich leger. Für den Erfolg einer Boygroup ist die Fannähe oberste Prämisse. Das Thema „Liebe“ in diversen Variationen bildet den Mittelpunkt ihrer Songtexte. Die Frau, die sie ansprechen, ist so neutral gehalten, daß die Fans sich in ihrer Traumwelt an die Stelle dieser Frau setzen können. Die Komponisten der Boygroup-Songs sind meistens anonym. Die Gruppen werden von professionellen Managern und Produzenten angeleitet. Um auf das oben genannte Zitat über die Vergänglichkeit einer Boygroup zurückzukommen, habe ich mir die Anzahl der seit 1990 bekanntgewordenen und wieder vergessenen unterschiedlichen Boygroups angesehen. Sie kommen wie aus dem Nichts, halten sich ca. zwei Jahre und werden fast genauso schnell wieder ,out’, wie sie erschienen sind. Ebenfalls auffällig ist, daß es immer fünf weiße Jungs geblieben sind. Bei den Backstreet Boys gibt es einen Latino, der den südländischen Typ verkörpert, aber trotzdem eine weiße Hautfarbe hat. Von den Achtzigern bis in die neunziger Jahre hat sich das Bild der Boygroups verändert. Ich betrachte in dieser zugrunde gelegten Arbeit in zeitlicher Reihenfolge die New Kids On The Block, Take That und die Backstreet Boys. Da die Backstreet Boys zur Zeit die beliebteste Boygroup in Deutschland sind2, werde ich im Folgenden eines ihrer Lieder analysieren. Mit meiner Frage unterstelle ich den Boygroups, daß ihre Musik anspruchslos ist. Da mir persönlich diese Musik nicht gefällt, bewerte ich sie negativ. In meiner Analyse geht es nicht nur um klangliche Aspekte, sondern auch um den soziologischen und psychologischen Hintergrund in Hinblick auf die Fans.
2. Die Fans - soziologische Analyse
Der Begriff Fan wird im Duden beschrieben als: überschwenglich begeisterter Anhänger. Er bezog sich lange Zeit auf Anhänger von Sportteams. Inzwischen ist er auf viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens übergegangen. Dazu schrieben Klaus Jahnke und Stefan Niehues: „Die 90er haben eine andere Form der Fan-Kultur zu bieten. Sie wird bedingt durch drei Faktoren: durch die Aufsplitterung und Aussegmentierung der Popstile, die Schnelligkeit der Produktionszyklen und die generelle Ausbreitung des Starbegriffs. Heute können nicht nur Schauspieler und Musiker, sondern auch Models, Porno-Darsteller oder Sportler Stars mit Idol-Funktion sein. Dadurch steigt die Menge der verfügbaren Objekte, die angebetet und angehimmelt werden können - und damit wiederum die Menge der Parallelwelten.“3
Um die Distanz des Fans zum Idol zu verringern und um Informationen über den jeweiligen Star zu sammeln, ist der Fankult heute in organisierter Form bei den sogenannten Fanclubs vorzufinden. Derart organisierte Formen des Fankultes sind nicht immer privat organisiert. Viele - und insbesondere die Fanclubs der Boygroups - haben hier eine Marktlücke entdeckt. Über den Profit der Tonträger hinaus verdienen sie durch ihren Vertrieb von Fanartikeln und Informationen, die aus engen Beziehungen zu den Stars oder Plattenfirmen kommen. Profit erhalten auch Autoren, die Fanbücher über Boygroups schreiben. Einer dieser Autoren ist Robin Mc Gibbon, der beispielsweise über New Kids On The Block4, Take That5 und Boyzone6 schrieb.
Da auf Fantreffen eine enorme Gruppendynamik besteht, werden die Fans in ihrem Schwärmen zusätzlich bestärkt. Sie sind außerdem ideale Werbeträger, da viele Fanartikel direkt auf dem Körper zur Schau getragen werden können. Es laufen auch Fanclubs über das Internet. Die inoffizielle Homepage der mittlerweile aufgelösten Boygroup Take That verfügt nach wie vor über eine Fan Chatline. Der englische Soziologe Simon Frith7 bezeichnet die weiblichen Teeny-Fans als Teenybopper. Er definiert diese als Mädchen im Alter von zehn bis dreizehn Jahren, deren Hauptinteresse der Star selbst und die ihm zugeordneten Fanartikel sind. Erst an zweiter Stelle interessiert sie die Musik. Das enorme Interesse an den Idolen machen sich musikbegleitende Zeitschriften zunutze, wie dies in Deutschland am Beispiel von Bravo deutlich wird, welche mit fünf Millionen Exemplaren wöchentlich absoluter Marktführer ist. Hier wird das Interesse der Fans an Klatsch, Tratsch, Kleidung, Besitz und Fotos8 über die jeweiligen Idole gestillt. Simon Frith kommt auch auf den Drang des Teeny-Fans nach Nähe zu seinem Idol zu sprechen: „Wenn die Teenybopper ihr Idol persönlich sehen können, dann ist nicht diese Erfahrung an sich wichtig, sondern vielmehr der Status, der sich damit verbindet - nun gibt es in jeder Gruppe ein paar Mädchen, die noch stolzer herumlaufen können.“9
Die Lebenswelt der Teenager bezeichnet Simon Frith als eine Traumwelt der Teenybopper - Sexualität, die nur eine Phase in der persönlichen Entwicklung darstellt. Warum haben sich die Produzenten der Boygroups gerade die Zielgruppe der neun bis sechzehnjährigen Mädchen ausgesucht? Die Plattenindustrie hat erkannt, worauf die Psyche junger Mädchen anspricht. Deshalb sind die Boys einer Boygroup streng nach den Regeln der von mir bereits geschilderten Charakteristik geformt.
Peter Spengler beschreibt die Pubertät als Phase höchster Verunsicherung - sowohl für Jungen, als auch für Mädchen: „In dieser Übergangsphase befindet sich der Jugendliche in einer nach Orientierung ringenden Position, in der individuelle Entwicklungsaufgaben und kollektive, soziokulturelle Unsicherheitsaspekte aufeinandertreffen, und sich zu einer vom Jugendlichen als krisenhaft erlebten Zeit verdichten“10.
[...]
1 Maurice Starr, Entdecker und Produzent der New Kids On The Block.
2 Im November 1997 erhielten die Backstreet Boys den ersten Preis bei den MTV-Music Awards.
3 Jahnke, Klaus und Niehues, Stefan, Echt abgedreht- die Jugend der 90-er Jahre, München, 1995, S.147.
4 Mc. Gibbon, Robin, New Kids On The Block- Die ganze Geschichte der jüngsten Supergruppe der Welt, München, 1990.
5 Mc. Gibbon, Robin, Take That- Die Geschichte einer Supergruppe, München 1994.
6 Mc. Gibbon, Robin, Boyzone- Die ganze Geschichte, München 1995.
7 Frith, Simon, „Mädchen und Jugendkultur“, in: Jugendkultur und Rockmusik- Soziologie der englischen Musikszene, Reinbeck bei Hamburg, 1981.
8 Frith, Simon, a.a.O., S. 265.
9 Frith, Simon, a.a.O., S.265.
10 Spengler, Peter, Rockmusik und Jugend: Bedeutung und Funktion einer Musikkultur für die Identitätssuche im Jugendalter, Frankfurt (Main), 1987.
- Arbeit zitieren
- Yvonne Stingel (Autor:in), 1998, Boygroups. Ein kulturelles, soziales und kommerzielles Phänomen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32801
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