Es stellt sich die Frage, ob durch marktwirtschaftliche Elemente Wirtschaftlichkeitsreserven mobilisiert werden können und wie Wettbewerb mit den Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung zu vereinbaren ist. Bevor die Rolle der Krankenkassen im Wettbewerb untersucht werden kann, ist es notwendig, sich mit ihren Zielen auseinanderzusetzen. Ausgehend von den Zielen der einzelnen Krankenkassen werden dann im zweiten und dritten Kapitel dieser Arbeit Gestaltungsspielräume für gesetzliche Krankenversicherungen untersucht. Dabei erfolgt eine Unterscheidung in unmittelbare und mittelbare Spielräume. Unmittelbare Spielräume können von den Krankenkassen direkt beeinflusst werden.
Es entstehen mittelbare Gestaltungsmöglichkeiten, da ein Mitwirken der Versicherten erforderlich ist. Im dritten Kapitel dieser Arbeit wird untersucht, in welcher Form die Krankenkassen Spielräume haben, ihre Versicherten zu steuern und sie zu beeinflussen. Es gibt die Möglichkeit, Anreize für eine möglichst gesundheitsbewusste Lebensführung zu setzen oder aber auf eine möglichst verantwortungsbewusste und sparsame Leistungsinanspruchnahme hinzuwirken. Die Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Gestaltungsspielräumen ist nicht immer vollkommen überschneidungsfrei möglich und soll eher einen groben Rahmen liefern. So werden beispielsweise freiwillige Leistungen zur Prävention in Kapitel 2 als unmittelbare Spielräume untersucht, da es den Krankenkassen freigestellt ist, bestimmte Leistungen der Prävention anzubieten oder nicht.
Neben den theoretischen Möglichkeiten soll auch die praktische Ausgestaltung dieser Spielräume durch die Krankenkassen untersucht werden. Hierfür wurde Datenmaterial von 111 gesetzlichen Krankenkassen gesammelt. Bei der Auswahl der Kassen wurde versucht, die jeweiligen Anteile der Kassenarten an der Gesamtheit der Krankenkassen in Deutschland zu berücksichtigen, um so einen möglichst aussagekräftigen Einblick zu gewinnen. Als Informationsquellen dienten, neben Satzungen und Geschäftsberichten, in erster Linie die Internetseiten der Krankenkassen. Zu einzelnen Themenschwerpunkten ergänzten Anfragen per Telefon oder E-Mail die Datengrundlage. Die Ergebnisse sind im Anhang in einer Tabelle zusammengefasst. Aktuelle Änderungen wurden versucht zu berücksichtigen, grundsätzlich ist aber der 1.September 2004 Stand der Untersuchung.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Symbolverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anlagenverzeichnis
Einleitung
Erstes Kapitel
Allgemeine Darstellung der gesetzlichen Krankenversicherung
A. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland
I. Grundlagen und Prinzipien
II. Versicherter Personenkreis
III. Finanzierung
IV. Leistungen
V. Träger und Organisation
B. Entwicklungen der vergangenen Jahre
I. Notwendigkeit von Strukturreformen
II. Wettbewerb als Lösungsansatz
III. Profilierungsmöglichkeiten im Wettbewerb
C. Ziele gesetzlicher Krankenkassen
Zweites Kapitel
Unmittelbare Gestaltungsspielräume für gesetzliche
Krankenversicherungen
A. Gestaltungsspielräume in der Beitragssatzpolitik
I. Rechtliche Grundlagen der Beitragssatzberechnung
II. Theoretische Freiheitsgrade und Analyse bei ausgewählten
Krankenversicherungen
B. Spielräume im Verwaltungsbereich
I. Definition und Ausmaß der Verwaltungsausgaben
II. Gestaltungsformen in der Praxis
C. Gestaltung der Beziehungen zu den Leistungserbringern
I. Allgemeine Grundlagen
II. Wettbewerb als Schlüssel für eine effiziente Versorgung
III. Umsetzung durch die Krankenversicherungen
D. Freiräume im Leistungsbereich
I. Darstellung der rechtlichen Spielräume
II. Analyse der praktischen Ausgestaltung
E. Abschließende Beurteilung
Drittes Kapitel
Mittelbare Gestaltungsspielräume durch Steuerung des
Mitgliederverhaltens
A. Moral Hazard in der gesetzlichen Krankenversicherung
B. Förderung gesundheitsbewussten Verhaltens
I. Theoretische Ansatzmöglichkeiten
II. Analyse der Umsetzung in der Praxis
1. Bonusprogramme
2. Betriebliche Gesundheitsförderung
3. Aufklärung und Information
C. Beeinflussung der Leistungsinanspruchnahme
I. Ziele und Möglichkeiten der Steuerung
II. Ausgestaltungsformen in der Praxis
1. Hausarztmodelle
2. Disease Management-Programme
3. Beitragsrückzahlung und Selbstbehalt
D. Abschließende Beurteilung
Ergebnisse und Ausblick
Anlagen
Literaturverzeichnis
Internetquellenverzeichnis
Ehrenwörtliche Erklärung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Beziehungsgefüge zwischen gesetzlichen Krankenversicherungen, Patienten und Leistungserbringern
Abb. 2: Anzahl der Krankenkassen und ihre Mitglieder in Deutschland
Abb. 3: Zielpyramide von Krankenkassen und ihre Konkretisierung
Abb. 4: Struktur der Verwaltungskosten in der GKV im Jahr 2003
Abb. 5: Ausgabenanteile der GKV im 1. Halbjahr 2004
Abb. 6: Kalküle der Krankenkassen bzw. der integrierten Versorger
Abb. 7: Bonusmodell der AOK Baden - Württemberg
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Unterschiede des ermäßigten bzw. erhöhten Beitragssatzes
Tab. 2: Höhe der Rücklage (der auf einen Monat entfallenden Ausgaben)
Tab. 3: Vergleich neuer Versorgungsformen
Anlagenverzeichnis
Anlage 1: Marktübersicht ausgewählter Krankenkassen
Anlage 2: Wirtschaftlichkeitsüberlegungen zur betrieblichen Ge- sundheitsförderung
Anlage 3: BKK Gildemeister Seidensticker zur betrieblichen Ge- sundheitsförderung
Einleitung
Über kaum einen anderen Bereich wird in Deutschland momentan so intensiv und kontrovers diskutiert wie über das Gesundheitswesen und seine zukünftige Ausgestaltung und Finanzierung. Dabei hat sich das System der gesetzlichen Krankenversicherung in über 100 Jahren bewährt. Es bietet allen Versicherten einen umfassenden medizinischen Schutz, unabhängig von der Einkommens- und Vermögenssituation. Mittlerweile steckt das Krankenversicherungssystem aber in der Krise. Die Beitragssätze der Krankenkassen sind in den vergangenen Jahren immer weiter angestiegen, unwirtschaftliche Strukturen bedürfen dringend Reformen. Der medizinische Fortschritt sowie die prophezeite demographische Entwicklung lassen auch zukünftig hohe Kosten erwarten.
Eine zentrale Rolle im deutschen Gesundheitswesen spielen die gesetzlichen Krankenkassen. Seit 1996 kann jedes Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland seine Krankenkasse selbst wählen. Mit der Einführung des Wettbewerbs unter den Krankenkassen war und ist die Hoffnung verbunden, bestehende Finanzierungsprobleme zu lösen. Einsparungen sollen dadurch erzielt werden, dass jede Krankenkasse im Werben um neue Mitglieder versucht, einen möglichst umfassenden Versicherungsschutz zu möglichst geringen Kosten anzubieten. Wettbewerb bedeutet immer auch Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten der Teilnehmer. Ziel dieser Arbeit ist es, eben solche Gestaltungsmöglichkeiten für die gesetzlichen Krankenkassen zu identifizieren. Im Verlauf der Arbeit soll herausgefunden werden, ob und in welchen Bereichen die einzelnen Krankenkassen sich im Wettbewerb gegenüber anderen Krankenkassen profilieren können und in welchem Umfang sie diese Möglichkeiten wahrnehmen. Im ersten Teil wird das System der gesetzlichen Krankenversicherung vorgestellt. Einem kurzen Überblick über grundlegende Prinzipien, die Finanzierung, die Leistungen und den versicherten Personenkreis folgt eine Beschreibung der momentanen Situation. Es werden aktuelle und zu erwartende Entwicklungen und ihr Einfluss auf die Situation der Krankenversicherung dargestellt. Im nächsten Schritt wird auf die Rolle des Wettbewerbs eingegangen. Es stellt sich die Frage, ob durch marktwirtschaftliche Elemente Wirtschaftlichkeitsreserven mobilisiert werden können und wie Wettbewerb mit den Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung zu vereinbaren ist. Bevor die Rolle der Krankenkassen im Wettbewerb untersucht werden kann, ist es notwendig, sich mit ihren Zielen auseinanderzusetzen. Ausgehend von den Zielen der einzelnen Krankenkassen werden dann im zweiten und dritten Kapitel dieser Arbeit Gestaltungsspielräume für gesetzliche Krankenversicherungen untersucht. Dabei erfolgt eine Unterscheidung in unmittelbare und mittelbare Spielräume. Unmittelbare Spielräume können von den Krankenkassen direkt beeinflusst werden. Dazu zählen die Beitragssatzpolitik, die Verwaltungsausgaben, die vertraglichen Beziehungen zu den Leistungserbringern und Spielräume im Leistungsangebot. Denkbar ist jedoch auch eine Verbesserung der Wettbewerbsposition der Krankenkassen durch ein Einwirken auf das Verhalten ihrer Versicherten. Es entstehen mittelbare Gestaltungsmöglichkeiten, da ein Mitwirken der Versicherten erforderlich ist. Im dritten Kapitel dieser Arbeit wird untersucht, in welcher Form die Krankenkassen Spielräume haben, ihre Versicherten zu steuern und sie zu beeinflussen. Es gibt die Möglichkeit, Anreize für eine möglichst gesundheitsbewusste Lebensführung zu setzen oder aber auf eine möglichst verantwortungsbewusste und sparsame Leistungsinanspruchnahme hinzuwirken. Die Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Gestaltungsspielräumen ist nicht immer vollkommen überschneidungsfrei möglich und soll eher einen groben Rahmen liefern. So werden beispielsweise freiwillige Leistungen zur Prävention in Kapitel 2 als unmittelbare Spielräume untersucht, da es den Krankenkassen freigestellt ist, bestimmte Leistungen der Prävention anzubieten oder nicht. Gerade im Bereich der Prävention ist ein Mitwirken der Versicherten aber unbedingt notwendig.
Neben den theoretischen Möglichkeiten soll auch die praktische Ausgestaltung dieser Spielräume durch die Krankenkassen untersucht werden. Hierfür wurde Datenmaterial von 111 gesetzlichen Krankenkassen gesammelt. Bei der Auswahl der Kassen wurde versucht, die jeweiligen Anteile der Kassenarten an der Gesamtheit der Krankenkassen in Deutschland zu berücksichtigen, um so einen möglichst aussagekräftigen Einblick zu gewinnen. Als Informationsquellen dienten, neben Satzungen und Geschäftsberichten, in erster Linie die Internetseiten der Krankenkassen. Zu einzelnen Themenschwerpunkten ergänzten Anfragen per Telefon oder E-Mail die Datengrundlage. Die Ergebnisse sind im Anhang in einer Tabelle zusammengefasst. Aktuelle Änderungen wurden versucht zu berücksichtigen, grundsätzlich ist aber der 1.September 2004 Stand der Untersuchung. Auf die sozialversicherungsrechtliche Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Versicherten wird im Verlauf der Arbeit nicht näher eingegangen, beide Begriffe werden synonym verwendet.
Erstes Kapitel Allgemeine Darstellung der gesetzlichen Krankenversicherung
A. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland
I. Grundlagen und Prinzipien
Die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland blickt auf eine lange Tradition zurück. Als ihre Geburtsstunde gilt das Gesetz „betreffend der Krankenversicherung der
Arbeiter“ von 1883.[1] Ziel war eine Absicherung der Arbeiter gegen die wirtschaftlichen Folgen von Krankheiten und Unfällen. Diese Zielsetzung ist in ihrem Grundsatz immer noch gültig, erstreckt sich heute aber auf einen viel größeren Personenkreis und geht weit über eine bloße Existenzsicherung hinaus. Die gesetzliche Krankenversicherung soll der Erhaltung, Wiederherstellung und Verbesserung des Gesundheitszustandes der Versicherten dienen.[2] Die gesetzliche Legitimation für alle Systeme der Sozialen Sicherung in Deutschland ist das in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes niedergelegte Sozialstaatsprinzip. Wörtlich heißt es dort: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“[3] Das Sozialstaatsprinzip berechtigt und verpflichtet den Staat, für alle Gesellschaftsmitglieder die Voraussetzungen für die Wahrnehmung menschlicher Grundrechte zu schaffen.[4] Umgesetzt und ausgestaltet wird das Sozialstaatsprinzip durch das Sozialgesetzbuch (SGB). Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, die eine tragende Säule im System der sozialen Sicherung in Deutschland darstellt, findet sich im Fünften Buch des SGBs wieder.
Die gesetzliche Krankenversicherung ist nach dem Versicherungsprinzip organisiert. Personen, die von einem bestimmten Risiko betroffen sind, schließen sich dabei zu einer „Gefahrengemeinschaft“ zusammen.[5] Der im Einzelfall nicht vorhersehbare Risikoeintritt und der nicht vorher bestimmbare Bedarf an Mitteln werden, beruhend auf dem statistischen Gesetz der „großen Zahlen“, für eine größere Gesamtheit, der von gleichartigen Risiken Betroffenen, zu kalkulierbaren Größen.[6] Als weiteres prägendes Gestaltungsprinzip gilt das Solidaritätsprinzip, welches sich in der Art der Beitragserhebung und der Leistungsgewährung manifestiert. Die Beiträge der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung werden einkommensabhängig und unabhängig vom Umfang der Leistungsinanspruchnahme und vom individuellen Risiko erhoben.[7] Leistungen werden nach dem individuellen Bedarf unabhängig von den gezahlten Beiträgen gewährt.
Ein enger Zusammenhang besteht zwischen dem Solidaritätsprinzip und dem Subsidiaritätsprinzip, einem weiteren Grundprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Subsidiaritätsprinzip verpflichtet die übergeordneten Einheiten, die Eigentätigkeit des Einzelnen zu fördern und beschränkt die Einflussnahme auf Aufgaben, die die Möglichkeiten des Einzelnen übersteigen.[8] Allerdings soll der Einzelne auch nicht überfordert werden. Eigenverantwortliches Handeln bedarf der Ergänzung durch Solidarität, umgekehrt lässt sich solidarisches Verhalten nur solange aufrecht erhalten, wie die Solidarität nicht von den Gruppenmitgliedern überbeansprucht wird.[9] Bereits in der Überschrift des § 1 SGB V „Solidarität und Eigenverantwortung“ wird das Nebeneinander dieser Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung betont.
Als weiteres zentrales Element der gesetzlichen Krankenversicherung gilt das Wirtschaftlichkeitsprinzip: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.“[10] Eine nähere Definition gibt das SGB nicht, aus der Intention des Gesetzes geht aber hervor, dass sich der Begriff Wirtschaftlichkeit nicht auf rein wirtschaftliche Zweckmäßigkeiten beschränken kann. Betrachtet man zusätzlich zum Ergebnis auch die Aus- und Einwirkungen des erreichten Outputs, gelangt man zu dem erweiterten Begriff Effizienz.[11] Effektivität wiederum bezeichnet den Grad der Zielerreichung, also das Verhältnis vom Tatsächlichen zum Erwünschten.[12] Von einem effizienten Gesundheitssystem kann man sprechen, wenn mit den aufgewandten Kosten ein Maximum an Nutzen erreicht wird, ein effektives Gesundheitssystem ist geeignet, gesundheitliche Probleme in hohem Grade zu lösen.[13] Weiter verstärkt wird das Wirtschaftlichkeitsprinzip durch den Grundsatz der Beitragssatzstabilität. § 71 SGB V lässt Beitragssatzerhöhungen nur für den Fall zu, dass auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven eine notwendige medizinische Versorgung nicht gewährleistet werden kann.[14] Auf weitere grundlegende Prinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung wie das Sachleistungsprinzip, die Finanzierung nach dem Umlageverfahren und das Prinzip der Selbstverwaltung wird in den nachfolgenden Abschnitten näher eingegangen.
II. Versicherter Personenkreis
Ein wesentliches Merkmal der gesetzlichen Krankenversicherung ist das Bestehen einer umfassenden Versicherungspflicht. Das Solidaritätsprinzip führt zu einer Reihe von Umverteilungswirkungen zwischen jüngeren und älteren, gesunden und kranken sowie einkommensstarken und einkommensschwachen Versicherten. Durch die bestehende Versicherungspflicht breiter Bevölkerungsteile wird verhindert, dass sich jene Versicherten von der gesetzlichen Krankenversicherung abwenden, die zu den Nettozahlern gehören, also negativ von dem Solidarausgleich betroffen sind.[15] Außerdem könnten auch eine Geringschätzung zukünftiger Risiken oder das Vertrauen auf andere soziale Sicherungssysteme manche Versicherte dazu bewegen, die Krankenversicherung zu verlassen. Der Kreis der pflichtversicherten Personen wird in § 5 SGB V definiert. Neben „gegen Arbeitsentgelt beschäftigten Arbeitern und Angestellten“ unterliegen unter bestimmten Voraussetzungen auch weitere Personenkreise, wie z.B. Studenten, Rentner und Arbeitslose, der Versicherungspflicht.[16] Der Gesetzgeber lässt aber auch Ausnahmen von der allgemeinen Versicherungspflicht zu. So besteht u.a. für Beamte, Richter, Soldaten und Arbeiter bzw. Angestellte, deren Verdienst entweder eine gewisse Grenze nicht erreicht oder aber die sog. Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt, keine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung.[17] Außer der Pflichtversicherung sieht das Sozialgesetzbuch auch die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung sowie einer kostenfreien Versicherung für Ehegatten und Kinder von Mitgliedern vor. Im Mai 2004 waren in der Bundesrepublik Deutschland rund 70 Millionen Menschen gesetzlich krankenversichert, davon über 44 Millionen im Rahmen einer Pflichtmitgliedschaft als Arbeitnehmer oder als Rentner.[18] Der versicherte Personenkreis in der gesetzlichen Krankenversicherung ist immer wieder Gegenstand aktueller Diskussionen zur Reform des Gesundheitswesens. Zur Verbesserung der Finanzsituation wird über eine Ausdehnung der Versicherungspflicht auf zusätzliche Personenkreise und über eine Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze genauso nachgedacht, wie über eine Abschaffung der beitragsfreien Familienversicherung.[19]
III. Finanzierung
Die gesetzliche Krankenversicherung finanziert sich größtenteils über Beiträge, die für bestimmte Versichertengruppen unterschiedlich erhoben werden. Bei den versicherungspflichtig Beschäftigten zahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte einen gewissen Prozentsatz der beitragspflichtigen Einnahmen. Die Einbeziehung der Arbeitgeber in die Finanzierung begründet der Gesetzgeber mit einer Fürsorgepflicht für die in ihren Diensten stehenden Arbeitnehmer.[20] Um die Umverteilungswirkungen zu begrenzen und das Solidaritätsprinzip nicht überzustrapazieren, gibt es eine sog. Beitragsbemessungsgrenze. Einnahmen, die diese Grenze übersteigen, unterliegen nicht der Beitragspflicht. Für andere Versichertengruppen gelten spezifische Besonderheiten. So ist beispielsweise die Familienversicherung beitragsfrei, für Rentner übernehmen die Rentenversicherungsträger die Beiträge zur Hälfte und für freiwillig Versicherte ist die Höhe des Beitragssatzes abhängig davon, ob sie im Krankheitsfall Anspruch auf Krankengeld haben oder nicht. Grundsätzlich erfolgt aber, als logische Umsetzung des Solidaritätsprinzips, keine Differenzierung des Beitragssatzes etwa nach dem Risiko oder nach Vorerkrankungen der Versicherten. Jede gesetzliche Krankenkasse legt die Höhe des Beitragssatzes in ihrer Satzung fest.[21] Die Erhebung der Beiträge erfolgt nach dem Umlageverfahren, d.h. die laufenden Ausgaben werden aus den laufenden Einnahmen bezahlt.[22]
IV. Leistungen
Der überwiegende Teil der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung wird als Sach- oder Dienstleistung nach dem Sachleistungsprinzip erbracht. Dabei erfolgt die Vergütung der Leistungserbringer – Ärzte, Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen etc. – entweder direkt über die Krankenversicherungen oder über Vermittlungsstellen wie z.B. die Kassenärztliche Vereinigung. Die Versicherten müssen also weder bezahlen noch in Vorleistung treten. Abbildung 1 zeigt das Beziehungsgefüge zwischen Patient, Krankenversicherung und Leistungserbringer:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Beziehungsgefüge zwischen gesetzlichen Krankenver- sicherungen, Patienten und Leistungserbringern
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Musli, A. (2003), S. 7.
Eine Ausnahme hiervon stellen zahlreiche Selbstbeteiligungsregeln dar, die Zuzahlungen bei Arzneimitteln, Fahrtkosten, Krankenhausaufenthalten und einigen weiteren Leistungen vorsehen.
Das deutsche Gesundheitsversorgungssystem kann in drei verschiedene Versorgungsbereiche aufgeteilt werden: die ambulante Versorgung, die stationäre Versorgung und die Versorgung mit Arzneimitteln. Die verschiedenen Leistungen lassen sich unterteilen in Leistungen zur Förderung der Gesundheit, Leistungen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten sowie Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Mutterschaft.[23] Im Jahre 2002 betrugen die gesamten Leistungsausgaben 134,33 Milliarden Euro. Dabei waren die Krankenhausbehandlung mit über 30 % des Ausgabenvolumens und die ärztliche Behandlung sowie die Arzneimittelversorgung mit jeweils 16 % der Ausgaben die größten Ausgabenblöcke.[24] Des Weiteren kann der Leistungskatalog in Regel- und Mehrleistungen unterteilt werden. Regelleistungen müssen von allen gesetzlichen Krankenversicherungen angeboten werden. So soll eine umfassende und flächendeckende medizinische Versorgung aller Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung, unabhängig von ihrer Kassenzugehörigkeit, sichergestellt werden.[25] Darüber hinaus können die gesetzlichen Krankenkassen in einem vorgeschriebenen Rahmen sog. Mehrleistungen in ihrer Satzung vorsehen. Mehrleistungen können variieren und eröffnen damit Spielräume für den Wettbewerb unter den Krankenversicherungen.
V. Träger und Organisation
Die gesetzliche Krankenversicherung wird nicht von einem einheitlichen Träger durchgeführt, sondern ist in eine Vielzahl von Krankenkassen und Krankenkassenarten gegliedert. Im Mai 2004 gab es in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 409 verschiedene Krankenkassen. Folgende Übersicht zeigt die Verteilung auf unterschiedliche Kassenarten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Anzahl der Krankenkassen und ihre Mitglieder in Deutschland
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (15. Oktober 2004), http://www.bmgs.bund.de.
Sehr viele Versicherte sind also bei relativ wenigen Krankenkassen versichert. Mit einer Fortsetzung dieses Trends wird auch in den nächsten Jahren gerechnet. So glauben über 65% der in einer Umfrage zu diesem Thema befragten Führungskräfte von Krankenkassen, dass es im Jahre 2010 nur noch sehr wenige und dafür sehr große Krankenkassen geben wird.[26] Die Krankenkassen sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung.[27] Durch diese Organisationsform sollen staatliche Steuerung und freie Selbstregulierung miteinander verbunden werden, d.h. die Krankenversicherungsträger erfüllen die ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben in eigener Verantwortung.[28] Organe der Selbstverwaltung sind der Verwaltungsrat, der die Satzung beschließt und über die Krankenkassenbeiträge und den Haushaltsplan entscheidet sowie der Vorstand, der den Versicherungsträger gerichtlich und außergerichtlich vertritt und Richtlinien über die Führung der Verwaltungsgeschäfte erlässt.
B. Entwicklungen der vergangenen Jahre
I. Notwendigkeit von Strukturreformen
Das System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland soll für alle Versicherten eine umfassende medizinische Versorgung sicherstellen. Krankheit soll für die Versicherten nicht auch zu einer wirtschaftlichen Belastung werden. Dabei ist der Versicherungsschutz unabhängig von der jeweiligen Einkommens- bzw. Vermögenssituation der Versicherten. In den vergangenen Jahren ist die Finanzierung der Krankenversicherung aber in eine gewisse Schieflage geraten. Der durchschnittliche Beitragssatz der gesetzlichen Krankenkassen ist von 12,36 % im Jahre 1991 auf 14,31 % im 1. Quartal 2003 gestiegen.[29] Steigende Beiträge belasten sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber und reduzieren die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Nachfolgend soll nun auf die wesentlichen Determinanten der Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung eingegangen werden.
[...]
[1] Vgl. Lampert, H./Althammer, J. (2001), S. 67.
[2] § 1 SGB V (27. Dezember 2003)
[3] Artikel 20 GG
[4] Vgl. Lampert, H./Althammer, J. (2001), S. 15.
[5] Vgl. Nowotny, E. (1999), S. 452.
[6] Vgl. Lampert, H./Althammer, J. (2001), S. 229.
[7] Vgl. Musli, A. (2003), S. 59.
[8] Vgl. Musli, A. (2003), S. 56.
[9] Vgl. Musli, A. (2003), S. 57.
[10] § 12 SGB V (27. Dezember 2003)
[11] Vgl. Eichhorn, P. (2000), S. 139.
[12] Vgl. Eichhorn, P. (2000), S. 139.
[13] Vgl. Neugebauer, G. (2000), S. 34f.
[14] § 71 SGB V (27. Dezember 2003)
[15] Vgl. Wüstrich, T. (1993), S. 21.
[16] § 5 SGB V (27. Dezember 2003)
[17] § 6 SGB V (27. Dezember 2003)
[18] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (15. Oktober 2004), http://www.bmgs.bund.de.
[19] Vgl. Klose, J./Schellschmidt, H. (2001), S. 28ff.
[20] Vgl. Blankert, C. (2001), S. 339.
[21] § 241 SGB V (27. Dezember 2003)
[22] Vgl. Nowotny, E. (1999), S. 454.
[23] Vgl. Beske, F./Brecht, J./Reinkemeier, A. (1993), S. 80.
[24] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (15. Oktober 2004), http://www.bmgs.bund.de.
[25] Vgl. Musli, A. (2003), S. 59.
[26] Vgl. Alexander, A./Rath, T. (2001), S. 183.
[27] § 4 SGB V (27. Dezember 2003)
[28] Vgl. Eberle, G. (1997), S. 32.
[29] Vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (15. Oktober 2004), http://www.bmgs.bund.de.
- Arbeit zitieren
- Berthold Denzel (Autor:in), 2004, Finanzielle Gestaltungsspielräume bei gesetzlichen Krankenversicherungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32655
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