Aus dem Bewertungskommentar: Auf intensivem Literaturstudium basierende, sehr informative Darstellung der Entwicklung und Aufgaben der Reichsstatthalter von 1933 bis 1945 auf knappem Raum. Befundaufnahme, Erklärungen und Bewertungen ergeben einen abgerundeten Bericht.
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Gesetzgebung erfolgt eine beispielhafte Beschreibung und damit die Bestätigung der polykratischen Elemente und der "inneren" Widersprüchlichkeiten, die im NS-System in seinem Dualismus von Partei und Staat mitangelegt waren. Dabei findet zum Teil auch eine reflektierende Umsetzung der Materie statt. Stil und Ausdruck sind angenehm und präzise.
Gliederung
Entwicklung und Aufgaben des "Reichsstatthal- ters" im NS-System unter Beachtung der Gesetz- gebung
1. Ausgangslage
2. Gleichschaltung und Institutionalisierung des Reichsstatthalters
2.1. Beginn der Gleichschaltung der Länder
2.2. Schaffung der Institution des Reichsstatt- halters
2.3. Weiterführung des Gleichschaltungsprozesses in Anbetracht des Reichsstatthalteramtes
3. Die Reichsstatthalter in den neu eingegliederten Gebieten
3.1. Reichsgaue in der Ostmark
3.2. Reichsgau Sudetenland
3.3. Reichsgaue Westpreußen und Posen
3.4. Gau Westmark
4. Aufgaben des Reichsstatthalters
4.1. Aufgaben nach dem Zweiten Gesetz zur Gleich- schaltung der Länder mit dem Reich
4.2. Aufgaben nach dem Gesetz über den Neuaufbau des Reichs
4.3. Aufgaben nach dem Reichsstatthaltergesetz
4.4. Aufgaben in den neu eingegliederten Gebieten
4.5. Aufgaben als Reichsverteidigungskommissare
5. Funktion des Reichsstatthalters und das Prinzip der Einheit von Staat und Partei
5.1. Reichsstatthalteramt und Personalunion
5.2. Die Personalunion als Instrument der "Einheit von Staat und Partei"
5.3. Die Dienstaufsicht des Reichsinnenministers über die Reichsstatthalter
5.3.1.im Altreich
5.3.2.in den neu eingegliederten Gebieten
6. Funktion des Reichsstatthalters und das Führerprinzip
6.1. Das Verhältnis zwischen den Reichsstatthaltern und dem Führer und Reichskanzler
6.2. Das Führerprinzip als Grundlage der sogenannten "Führerunmittelbarkeit"
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Entwicklung und Aufgaben des "Reichsstatthal- ters" im NS-System unter Beachtung der Gesetz- gebung
1. Ausgangslage
Nach Art.2 S1 der Weimarer Reichsverfassung von 1919[1] wurde das Reichsgebiet aus den Ge- bieten der deutschen Länder gebildet; die vor- handenen 17 Länder[2] konnten dabei gemäß Art.5 HS2 der Reichsverfassung in Landesangelegenhei- ten durch ihre landesverfassungsmäßigen Organe, die Staatsgewalt selbstständig ausüben. Das Amt eines Reichsstatthalters war in diesem Zusam- menhang nicht vorgesehen. Eine kommissarische Übernahme der Regierungsgewalt in Preußen durch die Reichsregierung am 20.7.1932, in deren Fol- ge Göring als Reichskommissar für das preußi- sche Innenressort die preußische Exekutive fest in die Hand nahm[3], begünstigte jedoch die nachfolgend dargestellte Entwicklung.
2. Gleichschaltung und Institutionalisierung des Reichsstatthalters
2.1. Die Weimarer Reichsverfassung wurde nach der sogenannten Machtergreifung vom 30.1.1933 nie außer Kraft gesetzt[4].
Um die Kontrolle über sämtliche Gebiete des öffentlichen Lebens im Sinne einer Gleichschal- tung zu erreichen, bedienten sich die National- sozialisten auf der Grundlage des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24.3.
1) RGBl. 19 I, 1383ff.
2) Baden; Oldenburg; Anhalt; Bayern; Würtem- berg; Hessen; Mecklenburg-Schwerin; Bremen; Lü- beck; Sachsen; Preußen; Lippe; Hamburg; Thürin- gen; Braunschweig; Schaumburg-Lippe; Mecklen- burg-Strelitz - vgl. Anschütz /Thoma, 145
3) vgl. § 1 I 2 VO des Reichspräsidenten, be- tr. die Wiederherstellung der öffentl. Sicher- heit u. Ordnung im Gebiet des Landes Preußen - RGBl. 32 I, 377
4) vgl. nur Bullock, 247; anders: Carl Schmitt - Winter, 30 m. entspr. Nachw.
1933[5] in der Regel der einfachen Gesetzgebung. Darüberhinaus boten die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag nach der Wahl vom 12.11.1933 ohne Weiteres auch die Möglichkeit verfassungsän- dernde Gesetze zu erlassen, was vorher jedoch auch schon unter Ausnutzung des durch die Ver- ordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28.2.1933[6] zur Verfügung gestellten Instrumentariums repressiver Staatsmaßnahmen erreicht werden konnte[7].
Auf der Grundlage des § 2 dieser Verordnung, wonach dann, wenn in einem Lande die zur Wie- derherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen nicht getroffen wer- den, die Reichsregierung insoweit die Befugnis- se der obersten Landesbehörden vorübergehend wahrnehmen konnte, wurden auch Landesregierung- gen entmachtet; zuvor wurde vom Reichsinnenmi- nister dabei häufig massiv in die Verwaltung des betreffenden Landes durch die Entsendung eines Kommissars eingegriffen[8].
Die von der NSDAP im Zusammenhang mit der Gleichschaltung angestrebte endgültige Kontol- le der Länder wurde darauf durch das Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933[9] begonnen. Sein Haupt- regelungsgehalt ist in dem § 4 zu sehen, der in seinem Abs.1 mit Ausnahme des preußischen Land- tags die Landtage aller anderen Länder auflöst und weiter durch seinen Abs.2 ohne vorherige Wahlen unter Zugrundelegung des Reichstagswahl- ergebnisses des jeweiligen Landes vom 5.3.1933 diese wieder neu gründet.
2.2. Der nächste Zug der Gleichschaltung im föderalen Bereich erfolgte - schon eine Woche
5) RGBl. 33 I, 141 = "Ermächtigungsgesetz"
6) RGBl. 33 I, 83 = "Reichstagsbrandverord- nung"
7) Wegen dieses ihr immanenten Potentials und der Tatsache, dass sie nie außer Kraft gesetzt wurde, ist die ReichstagsbrandVO von Ernst Fraenckel (m.E. zutreffend) als die "Verfas- sungsurkunde" des Dritten Reiches bezeichnet worden - Rebentisch, 2 Fn3 m. entspr. Nachw.
8) vgl. Diehl-Thiele, 38f.; Majer, 96
9) RGBl. 33 I, 153
darauf[10] - durch die Vorschrift des § 1 I 1 des Zweiten Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 7. April 1933[11]. Danach wurde für jedes deutsche Land die Ernennung eines im Gegensatz zu den Reichskommissaren dauerhaften "Vorgesetzten für die Landesregierung"[12], näm- lich eines sogenannten Reichsstatthalters durch den Reichspräsidenten auf Vorschlag des Reichs- kanzlers angeordnet[13].
Für Preußen wies § 5 I 1 desselben Gesetzes dem Reichskanzler - also Hitler selbst - diese Funktion zu; dieser machte hier allerdings sogleich von der in § 5 I 2 enthalten Ermächtigungsgrundlage Gebrauch, und übertrug seine Reichsstatthalterbefugnisse auf Göring als preußischem Ministerpräsidenten.
In der weiteren Folge des § 2 II 1 des oben genannten Gesetzes, der als Kann-Vorschrift ge- meinsame Reichstatthalter für Länder mit weni- ger als 2 Millionen Einwohnern vorsah, kam es bei der schon erwähnten Gesamtzahl von 17 Län- dern zu einer abweichenden Gesamtzahl von nur 11 Reichsstatthaltern[14].
Das Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Län- der schuf somit die Institution des Reichsstat- thalters, und zwar in der Rangstufe der Reichs- minister[15]. Damit wurde das Verhältnis zwischen der Reichsregierung und den Ländern von Grund auf zugunsten der Reichsregierung umgebildet, was sich insbesondere zugunsten des Reichskanz- lers auswirkte, der mit dem Auswahl- und Vor- schlagsrecht bezüglich der Reichsstatthalter
10) Auf Hitlers persönlichen Wunsch - vgl. Sengotta, 10ff.
11) RGBl. 33 I, 173, i.d.Fass. v. 14.10.33 RGBl. 33 I, 736; auch = "1. ReichsstatthalterG"
12) Ausdruck von Majer, 215
13) Die Ernennung erfolgte also erst nach Hindenburgs Tod durch Hitler direkt.
14) Zusammengelegt wurden: Oldenburg u. Bremen; die beiden Lippe; Braunschweig u. Anhalt; Lübeck mit den beiden mecklenburgischen Territorien - vgl. JPU-Rebentisch, 746
15) Wortlautübereinstimmungen in § 1 I 2 des genannten Ges mit Art.56 WRV, lassen letzteren Schluss zu - Bracher/Sauer/Schultz, 465
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- Quote paper
- Matthias Meier (Author), 2001, Entwicklung und Aufgaben des "Reichsstatthalters" im NS-System unter Beachtung der Gesetzgebung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32465
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