Dies ist eine Facharbeit über die Verwendung von Jugendsprache in der Jugendliteratur am Beispiel des Adoleszensromans "Tschick" (2010) von Wolfgang Herrndorf.
Die Arbeit argumentiert, dass der Roman als Kunstprodukt, welches sich trotz der Verwendung von Jugendsprache der Standardsprache annähert, zu verstehen ist.
Es wird vorab die Jugendsprache als Phänomen in den Fokus gestellt, um, daran anknüpfend, mit einer formalen Analyse ausgewählter Textstellen aus „Tschick“, ihre Verwendung und ihren Zweck im Adoleszensroman beantworten zu können. Daran schließt sich entsprechend eine objektive Bewertung an, in welchem Verhältnis zueinander Standard- und Jugendsprache verwendet wurden und am Schluss die Anfangshypothese nochmals aufgreift und die Arbeit reflektiert.
Der Adoleszensroman „Tschick“, von Wolfgang Herrndorf verfasst und 2010 erschienen, handelt von zwei Jugendlichen aus Berlin, die (in den Sommerferien) in einem gestohlenen Lada Deutschland erkunden. Die Charaktere sind sehr unterschiedlich: Maik Klingenberg, welcher als Ich-Erzähler durch das Buch führt, kommt aus gutem Hause. Andrej Tschiatschow, von Maik der Einfachheit halber Tschick genannt, hingegen ist ein Spätaussiedler und kommt aus prekären Verhältnissen. Als Tschick auf Maiks Schule wechselt und die beiden zu Klassenkameraden werden, kann Maik sich noch nicht vorstellen, mit Tschick befreundet zu sein. Doch als die Ferien kommen, finden die beiden einen gemeinsamen Nenner: Beide sind nicht zu Maiks Schwarm Tatjana Cosics Geburtstag eingeladen. Dadurch kommen die beiden Jungen ins Gespräch und freunden sich schließlich an. Tschicks Idee, einfach mit dem Lada bei Tatjanas Party aufzukreuzen, entwickelt sich zu dem Plan, zwei Wochen durch Deutschland zu fahren. Diese gemeinsame Reise vermittelt den Jugendlichen ein nie da gewesenes Gefühl der Freiheit und ermöglicht ihnen gleichzeitig, ihre eigene Identität zu finden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Inhaltsangabe des Romans
3. Jugendsprache als Phänomen
3.1 Linguistische Varietäten – Standard und Varietät
3.2 Sprachgebrauch von Jugendlichen
3.3 Soziolinguistische Stile
3.4 „Code-Switching“ und innere Mehrsprachigkeit
3.5 Sprachnorm und Sprachwandel
4. Analyse ausgewählter Textstellen
5. Beurteilung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Ich habe meinem Erzähler einfach zwei Wörter gegeben, die er endlos wiederholt, und den Rest über die Syntax geregelt. Wenn man erstmal anfängt, mit Slang um sich zu schmeißen, wird man doch schon im nächsten Jahr ausgelacht.“1
Dieses Zitat von Wolfgang Herrndorf gewährt schon einen kleinen Einblick, dass die Jugendsprache als solche im Roman „Tschick“ Verwendung fand. Herrndorf ist nicht der einzige Gegenwartsautor, der sich für die Berücksichtigung von Jugendsprache innerhalb eines literarischen Werks der Hochsprache interessiert. Dieser Befund soll zum Anlass genommen werden, um in dieser Facharbeit nach dem Stellenwert der Jugendsprache für die zeitgenössische Literatur zu fragen. Ein wichtiger Grund dafür, warum als Thema der Facharbeit „Jugendsprache in der Literatur“ ausgewählt wurde, ist seine Aktualität: Jugendliche interessieren sich ebenso für Jugendsprache wie Erwachsene, was man auch daran erkennen kann, dass (erwachsene) Autoren sich diesem Gegenstand zuwenden. Diesbezüglich stellen sich Fragen wie z.B.: Wieso wird an bestimmten Stellen keine Standardsprache verwendet? In welchem Verhältnis stehen Jugendsprache und Standardsprache zueinander? Ist die Verwendung der Jugendsprache im Roman gelungen und ist sie realistisch? Aus diesen Fragen, zusammen mit dem oben aufgeführten Zitat, ergibt sich die Hypothese, dass der Roman als Kunstprodukt, welches sich trotz der Verwendung von Jugendsprache der Standardsprache annähert, zu verstehen ist. Im weiteren Verlauf soll dem mit dieser Facharbeit nachgegangen werden.
Vorab wird jedoch die Jugendsprache als Phänomen in den Fokus gestellt, um, daran anknüpfend, mit einer formalen Analyse ausgewählter Textstellen aus „Tschick“, ihre Verwendung und ihren Zweck im Adoleszensroman beantworten zu können. Daran schließt sich entsprechend eine objektive Bewertung an, in welchem Verhältnis zueinander Standard- und Jugendsprache verwendet wurden und am Schluss die Anfangshypothese nochmals aufgreift und die Arbeit reflektiert.
2. Inhaltsangabe des Romans
Der Adoleszensroman „Tschick“, von Wolfgang Herrndorf verfasst und 2010 erschienen, handelt von zwei Jugendlichen aus Berlin, die (in den Sommerferien) in einem gestohlenen Lada Deutschland erkunden. Die Charaktere sind sehr unterschiedlich: Maik Klingenberg, welcher als Ich-Erzähler durch das Buch führt, kommt aus gutem Hause. Andrej Tschiatschow, von Maik der Einfachheit halber Tschick genannt, hingegen ist ein Spätaussiedler und kommt aus prekären Verhältnissen. Als Tschick auf Maiks Schule wechselt und die beiden zu Klassenkameraden werden, kann Maik sich noch nicht vorstellen, mit Tschick befreundet zu sein. Doch als die Ferien kommen, finden die beiden einen gemeinsamen Nenner: Beide sind nicht zu Maiks Schwarm Tatjana Cosics Geburtstag eingeladen. Dadurch kommen die beiden Jungen ins Gespräch und freunden sich schließlich an. Tschicks Idee, einfach mit dem Lada bei Tatjanas Party aufzukreuzen, entwickelt sich zu dem Plan, zwei Wochen durch Deutschland zu fahren. Diese gemeinsame Reise vermittelt den Jugendlichen ein nie da gewesenes Gefühl der Freiheit und ermöglicht ihnen gleichzeitig, ihre eigene Identität zu finden.
3. Jugendsprache als Phänomen
3.1 Linguistische Varietäten – Standard und Varietät
Die Sprachwissenschaft ging lange Zeit von einer bloßen Unterscheidung zwischen der Hochsprache und dem Dialekt aus.2 Die Umgangssprache bildet „in den klassischen Schichtungskonzepten der deutschen Sprache […] eine Übergangszone“3. Laut Radtke ist sie eine „überregionale, allgemein verständliche und allgemein gebräuchliche Kommunikationsform“4. Diese Definition ist jedoch unzureichend im Hinblick auf die von Jugendlichen verwendete Sprache, da diese nicht für jeden zu verstehen ist. Deshalb tendiert die Forschung mittlerweile in Richtung eines substandardsprachlichen Kontinuums, welches statt „klarer Sprachkontraste fließende Übergänge annimmt“5. Hier handelt es sich um einen Substandard, der niedriger gestellt ist als die gesprochene Standardsprache.6
Abweichungen von der Standardsprache werden in der Varietätenlinguistik als Sprachvarietät bzw. Standardvarietät bezeichnet. Darüber hinaus gibt es noch weitere Varietäten, die in verschiedene Klassen (historische, dialektale, soziolektale oder situative Klasse) eingeteilt werden.7 Allerdings treten trotz dieser Systematisierung Probleme bei der Umsetzung in die Praxis auf, da die Parameter nicht ausreichend differenziert sind.8
3.2 Sprachgebrauch von Jugendlichen
Die Ausdrucksweise von Jugendlichen weist mehrere Besonderheiten auf und differenziert sich somit vom Sprachgebrauch der Erwachsenen. Angefangen bei der Begrüßung fällt auf, dass Jugendliche sondersprachliche Grußformeln[9] benutzen (z.B. „Was geht ab?“). Adjektive werden mittels Präfigierung expressiv gesteigert (z.B. „endgeil“) und Begriffe aus dem Englischen werden entlehnt.10 Zudem kann die Sprechweise auch metaphorisch oder elliptisch sein und bezüglich der Grammatik lässt sich feststellen, dass Jugendliche dazu neigen, paradoxe Superlativbildungen zu Präfixen vorzunehmen, indem zum Beispiel Vorsilben wie „un-" gesteigert werden.11
3.3 Soziolinguistische Stile
Um Besonderheiten im Sprachgebrauch Jugendlicher besser ermitteln zu können, betrachtet Neuland diesen aus soziolinguistischer Sicht.12 Stile der Soziolinguistik „weisen […] auch paralinguistische und nonverbale Merkmale auf“13. Außerdem verstehen wir die Sprachstile Jugendlicher als Ausdrucksformen ihrer Lebensstile, wodurch sie sich zum einen gegenüber den Erwachsenen abgrenzen und zum anderen mit dem Inneren ihrer Lebenswelten identifizieren.14 Diese Sprachstile entstehen durch Interaktion mit anderen und sind somit Gruppenstile, die, geprägt durch das jeweilige Wertesystem der Gruppe, an schon bestehende Mittel der Standardsprache angelehnt sind und dem Gruppenstil angepasst werden.15 Neuland spricht in diesem Zusammenhang von einer De standardisierung der Standardsprache.16 Diese Gruppenstile lassen im Zusammenhang mit sprachlichen Auffälligkeiten neue Erkenntnisse zu, zum Beispiel habe nach Neuland jede Gruppe eigene Präferenzen bezüglich der Themen, besondere Gesprächsregeln, sodass beispielsweise simultanes Sprechen kein Pardon ist; auch paralinguistische und nonverbale Merkmale wie Lachen oder Interjektionen seien auffällig, besonders sei auch, dass augenscheinliche Beleidigungen wie „Spasti“ oder „Wichser“ keine, im eigentlichen Sinn seien, je nach sozialer Kategorisierung durch die Gruppe.17
3.4 „Code-Switching“ und innere Mehrsprachigkeit
Innerhalb der soziokulturellen Stile können auch Sprachmischung und Sprachwechsel auftreten, dies ist auch als Code-Switching bekannt und gehört zu der innersprachlichen Variation.18 Dabei wird während eines Gesprächs die Varietät oder Sprache gewechselt. Möglich ist dabei auch, dass Personen oder Gruppen mehrere Sprachen beherrschen und es so zum Sprachkontakt kommt.19 „Mehrsprachig sind wir [jedoch] schon in unserer Muttersprache.“20 Wir beherrschen also verschiedene, den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen angepasste Sprachen bzw. Varietäten, die wir situationsbedingt ändern, um stets angemessen zu kommunizieren.21 In dieser inneren Mehrsprachigkeit existieren laut Henne Sprachvarietäten nicht nebeneinander, sondern miteinander.22 Dabei sei die Standardsprache Gebersprache für andere Varietäten, die in wechselseitiger Beziehung stehen, sodass die Standardsprache im Bereich der Semantik und des Wortschatzes beeinflusst werde.23 Für Henne steht zudem fest, „dass die meisten Sprecher einer Sprache […] mehrere Sprachvarietäten realisieren können“, wobei immer bloß eine Varietät angewendet wird, „die anderen sind [jedoch] potentiell vorhanden und können jederzeit realisiert werden“24.
3.5 Sprachnorm und Sprachwandel
Wie sich bereits gezeigt hat, gibt es „innerhalb einer Muttersprache kaum mehr solche scharfen und eindeutig identifizierbaren Grenzen […]“25. Die alten Schichtungsmodelle finden in der Praxis keine gerechte Anwendung bzw. Umsetzung mehr.26 Trotz der Varietätenvielfalt bleibt die Standardsprache als allgemeine Norm bestehen, „deren Befolgung bzw. Nichtbefolgung gesellschaftliche Sanktionen nach sich ziehen kann“27. Doch auch die Standardsprache erfährt Veränderungen, vor allem die Jugendsprache trägt durch Stilbildung und Stilwandel zu Veränderungsprozessen in der Standardsprache bei.28 Die Veränderung der Standardsprache beobachtete auch schon Henne im Zusammenhang mit der inneren Mehrsprachigkeit.
[...]
1 Herrndorf, Wolfgang im Gespräch mit Autorin Kathrin Passig. In: <http://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/tschick/wolfgang_herrndorf_im_gespraech_mit_kathrin_passig/> [abgerufen am: 22.03.15].
2 Vgl. Neuland, Eva: Subkulturelle Sprachstile Jugendlicher heute. Tendenzen der Substandardisierung in der deutschen Gegenwartssprache. In: Dies. (Hrsg.): Jugendsprache - Jugendliteratur - Jugendkultur. Interdisziplinäre Beiträge zu sprachkulturellen Ausdrucksformen Jugendlicher. 3., korr. Aufl. Frankfurt am Main 2008. S. 135.
3 Ebd. S.135
4 Vgl. Radtke, Ingulf: Die Umgangssprache. In: Muttersprache 83. 1973. S. 161-171. Zitiert nach Neuland, Eva: Subkulturelle Sprachstile Jugendlicher heute. Tendenzen der Substandardisierung in der deutschen Gegenwartssprache. In: Dies. (Hrsg.): Jugendsprache - Jugendliteratur - Jugendkultur. Interdisziplinäre Beiträge zu sprachkulturellen Ausdrucksformen Jugendlicher. 3., korr. Aufl. Frankfurt am Main 2008. S. 135.
5 Neuland, Eva: Subkulturelle Sprachstile Jugendlicher heute. S.136.
6 Vgl. Ebd. S. 136.
7 Ebd. S. 136.
8 Vgl. Ebd. S. 136-137.
9 Nützel, Nikolaus: Wenn Digger endkrass dissen – Oder: Sprechen Jugendliche eine eigene Sprache? Aus: Sprache oder Was den Mensch zum Menschen macht. München 2007. S.138 ff. In: Schurf, Bernd, u.a. (Hrsg.): Texte, Themen und Strukturen. Berlin 2011. S. 530-531.
10 Ebd. S. 530.
11 Ebd. S. 530-531.
12 Vgl. Neuland, Eva: Subkulturelle Sprachstile Jugendlicher heute. S. 139-140.
13 Ebd. S. 140.
14 Vgl. Ebd. S. 140.
15 Vgl. Ebd. S. 140.
16 Vgl. Ebd. S. 140.
17 Vgl. Ebd. S. 140-141.
18 Ebd. S. 143.
19 Schurf, Bernd, u.a. (Hrsg.): Texte, Themen und Strukturen. Berlin 2011. S. 533.
20 Wandruszka, Mario: Mehrsprachig in der Muttersprache. Aus: Ders.: Die Mehrsprachigkeit des Menschen. München/Zürich 1979. S. 23. In: Schäfer, Stefan (Hrsg.): Sprache. Sprachursprung, Spracherwerb, Sprachwandel, Sprachkritik, Sprachskepsis, Sprachnot. Stuttgart 2010. S. 17.
21 Vgl. Ebd. S. 17.
22 Vgl. Braun, Peter: Das theoretische Modell der inneren Mehrsprachigkeit. Aus: Ders.: Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache. Sprachvarietäten. Stuttgart 1998. S. 11-14. In: Schäfer, Stefan (Hrsg.): Sprache. Sprachursprung, Spracherwerb, Sprachwandel, Sprachkritik, Sprachskepsis, Sprachnot. Stuttgart 2010. S. 18.
23 Vgl. Ebd. S. 18 f.
24 Vgl. Ebd. S. 19.
25 Neuland, Eva: Subkulturelle Sprachstile Jugendlicher heute. S.143-144.
26 Vgl. Ebd. S. 144.
27 Ebd. S. 144.
28 Vgl. Ebd. S.144.
- Citation du texte
- Daniel Freitag (Auteur), 2015, Die Verwendung von Jugendsprache in der Jugendliteratur. Wolfgang Herrndorfs Adoleszensroman "Tschick" (2010), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323782
-
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X.