Sexuelle Identität, Transvestiten und groteske Körper: Rund 300 Jahre vor den Gender-Studies spielt William Shakespeare in seinem dramatischen Werk mit den brüchig gewordenen Geschlechterrollen seiner Zeit. Was ist „männlich“, was ist „weiblich“? Wie ist das Verhältnis zwischen „sex“ und „gender“?
Dieser Band untersucht die Darstellung des weiblichen und männlichen Körpers in ausgewählten Werken Shakespeares. Die Beiträge zeigen auf, warum er bewusst Männlichkeits- und Weiblichkeitsnormen seiner Zeit verletzt und sexuelle „Andersartigkeiten“ in Szene setzt.
Aus dem Inhalt:
- Richard III. – Ein „Monster“ auf dem Thron;
- Falstaff – Die Weiblichkeit des fetten Mannes;
- Between the genders: The witches in “Macbeth”;
- Macbeth – an inversion of gender roles?;
- Körpermetapher in Shakespeares Sonettdichtung
Inhaltsverzeichnis
Monstrous Bodies – Körper und Männlichkeit bei Shakespeare 7
Einleitung 8
Wahrnehmung und Signifikanz außergewöhnlicher Körper in der Renaissance-Gesellschaft 19
Konzepte sexueller Identität in der Frühen Neuzeit 28
Richard III. – Ein „Monster“ auf dem Thron 35
Caliban – Das „Tier“ im Mann und die Jungfrau 47
Falstaff – Die Weiblichkeit des fetten Mannes 72
Schlussbetrachtung 89
Bibliographie 92
The Construction of Feminity and Masculinity in Shakespeare’s Macbeth 97
Foreword 98
The Sources of the Play 99
Masculinity in Shakespeare’s Macbeth 101
The Values of Chivalry 102
The Duties of Chivalrous Knights 103
King Duncan’s “Natural Order” 105
Macbeth’s Development from Scotland’s Saviour to Scotland’s Criminal King and Bloody Tyrant 108
Sterility as the Underlying Reason for Macbeth’s Violence 112
Banquo: Perfect Knight or Villain ? 116
Macduff: The Epitome of Chivalry? 122
Malcolm: Hope for a Restored “Natural Order”? 125
Femininity in Shakespeare’s Macbeth 132
The Elizabethan Housewife 133
Humble Lady Macduff 135
Witches as a Social and Political Problem in Shakespeare’s England 138
Between the Genders: The Witches in Macbeth 139
Macbeth and Lady Macbeth: Marital Fulfillment in Regicide 152
Conclusion 158
Works Cited 160
Gender Politics in Macbeth 165
Introduction 166
Gender ideology 167
Gender stereotyping in Macbeth 171
Gender conflict in Macbeth 177
Conclusion 189
Bibliography 191
Körper- und Spiegelmetapher und ihre Funktion in ausgewählten Sonetten William Shakespeares 193
Einleitung 194
Die Entwicklung des Sonetts bis in die elisabethanische Zeit 195
Das Sonett bei William Shakespeare 199
Körper- und Spiegelmetapher in der Literatur 203
Betrachtung einzelner Sonette 209
Zusammenfassung 216
Literaturverzeichnis 217
Einzelbände 219
Monstrous Bodies – Körper und Männlichkeit bei Shakespeare
Verena Ludwig, 2008
Einleitung
Jahrhunderte bevor der Begriff Gender und der dazugehörige wissenschaftliche Diskurs sich entwickelten, verhandelten William Shakespeares Dramen bereits Probleme sexueller Identität, dysfunktionale Familienbeziehungen und Formen des Aufbegehrens gegen traditionelle Geschlechterrollen. In der neueren Shakespeare-Forschung wurden diese Themen im Zuge der sich aus der Frauenforschung entwickelnden Gender Studies vor allem an den weiblichen Charakteren der Dramen behandelt. Erst in den letzten Jahren erhält auch die wissenschaftliche Untersuchung von „Männlichkeit“ eine erhöhte Aufmerksamkeit, die angesichts der durch die Frauenforschung ins Rollen gebrachten Verschiebungen und Umbrüche der traditionellen Geschlechterrollen und -vorstellungen dringend notwendig wurde. Während die Gender Studies sich anfangs vornehmlich auf das Herrschaftsverhältnis zwischen Männern und Frauen konzentriert haben, rücken nun auch die Machtgefüge unter Männern und verschiedenen „Männlichkeiten“ unter den Bedingungen der patriarchalischen Gesellschaft in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses.
Der stetige Zwang zur Aufrechterhaltung des individuellen und gesellschaftlichen Gender-Konstruktes hat nicht nur für die Frauen als der männlichen Herrschaftsstrukturen untergeordnetes „anderes“ Geschlecht, sondern auch für die beteiligten Männer schmerzliche Konsequenzen und führt zur Diskriminierung und Ausgrenzung derjenigen, die der symbolisch überfrachteten Männlichkeitsnorm nicht entsprechen können.
Diese Grundannahmen werden von der Geschlechterforschung den männerdominierten Gesellschaftsstrukturen zu allen Zeiten als gegeben zugrunde gelegt, wenn auch unter sich jeweils wandelnden biologischen und ästhetischen Vorzeichen. Durch die festgeschriebenen Forderungen und Rollenzuschreibungen einer als „patriarchalisch“ gekennzeichneten Gesellschaft befanden sich Männer seit jeher unter einem konstanten Druck, ihre „Männlichkeit“, ihre soziale und sexuelle Identität zu finden und ihren Geschlechtsgenossen gegenüber durch unterschiedliche kulturelle Praktiken zu beweisen.
Dreihundert Jahre bevor Psychoanalyse und Gender Studies die Untersuchungsmethoden und wissenschaftlichen Begriffe für diese inneren und äußeren Konflikte entwickelt haben, hat Shakespeare sie erkannt und in seinen Dramen seinen Mitmenschen vor Augen geführt. In einer vormodernen Welt, die durch die Taten und Gedanken von Männern bestimmt war, einer Gesellschaft, deren Ordnung sich aus der Macht des Vaters ableitete, interessierte der Dramatiker sich für den Kampf des (männlichen) Individuums, sich in dieser Ordnung zu behaupten, zum „Mann“ zu werden und den damit verknüpften Anforderungen zu entsprechen. Die Frau, „das Weibliche“, dient dabei zumeist als Gegenentwurf, entweder als „Suffocating Mother“, von der er sich lösen muss, um seine männliche Identität entwickeln zu können[1], oder als idealisierte Jungfrau, die die Projektionsfläche seiner sexuellen und machtpolitischen Wunschvorstellungen ist.
Die Risse und Veränderungen im traditionellen Geschlechterverhältnis, die wir in unserer Gesellschaft aktuell beobachten, wurden auch in der elisabethanischen Gesellschaft empfunden. Die Thronbesteigung Elizabeths I. im Jahr 1558 brachte eine enorme Erschütterung der patriarchalischen Herrschaftslegitimation mit sich: Eine Frau an der Spitze des Patriarchats, ein weiblicher „body natural“ als Verkörperung des männlichen „body politic“, stellte die „von Gott gewollte“ Geschlechterhierarchie auf den Kopf und barg die Gefahr des völligen Zusammenbruchs des Patriarchats und des damit einhergehenden Verständnis von „Männlichkeit“.
Körper und „Männlichkeit“
Was aber ist „männlich“? Das Konzept „Männlichkeit“ scheint vor allem durch den Ausschluss von „Nicht-Männlichem“ konstituiert zu sein, an erster Stelle der zwanghaften Abgrenzung vom „Weiblichen“ und damit assoziierten Eigenschaften wie Schwäche, Emotionalität, und Weichheit. Eine positive Definition von „Männlichkeit“ ist hingegen nur schwer herstellbar:
"Männer haben schon immer gewusst was ein ‚ganzer Kerl’ ist, wer dazu gehört und wer nicht, woran man seinesgleichen erkennt (…) Nur, wenn man Männer auffordert zu beschreiben, was Männlichkeit ist, stellt man sie vor große Schwierigkeiten." [2]
Ein greifbares Feld zur Untersuchung von „Männlichkeit“ ist der Körper. Wie „Weiblichkeit“ als Objekt des in erster Linie von Männern hergestellten Attraktivitäts- und Rollendiskurses, ist auch „Männlichkeit“ untrennbar mit dem Körper verbunden, als „Ort der Selbst- und Weltdeutung“, als „zentrale Kategorie menschlicher Sinndeutung und Handlungsorientierung“.[3]
In den späten sechziger Jahren, gewissermaßen als Folgeerscheinung der Entwicklung der Geschlechtergeschichte, entstand erstmals eine kulturwissenschaftliche Debatte um den Körper. Angeregt von feministischer Theorie und den Arbeiten Michel FOUCAULTS wurde diese Debatte im Verlauf der achtziger und neunziger Jahre vom unaufhaltsamen Aufstieg der Genetik als Schlüssel zum letzten Geheimnis des Körpers und der Möglichkeit seiner künstlichen Erschaffung, aber auch durch die Verbreitung der neuen Krankheit AIDS und in jüngster Zeit durch die neue Körperästhetik in Zeiten der plastischen Chirurgie, befeuert.[4]
Körpergeschichte als wissenschaftliche Disziplin verspricht eine neue, fruchtbare Zugriffsweise auf vergangene Mentalitäten und Lebensweisen. Nicht mehr nur als materielle Existenzform, als Gegenstand biologischer, medizinischer, demographischer oder ernährungswissenschaftlicher Fragestellungen, sondern als soziales Konstrukt und Symbolsystem wird der Körper seither in verschiedenen akademischen Bereichen unter den Aspekten von Körpersymbolik, Körperbildern und Körpererfahrung untersucht.[5]
Auch der Weg zu einem solchen „integrativ verstandenen“[6] Körperbegriff verlief zunächst über die wissenschaftlich, institutionell und politisch übergreifende Frauen- und Geschlechtergeschichte. Als Folge dieser ursprünglichen Verankertheit der neuen Körperforschung in den Gender Studies kreisen die Untersuchungen zur sozialen und symbolischen Signifikanz von Körpern vor allem um das Feld der Geschlechterdifferenz. Andere Konzepte wie Ethnie oder Alterszugehörigkeit stehen deutlich dahinter zurück.
In den folgenden Ausführungen zu Körper und Männlichkeit bei Shakespeare soll es um einen Bereich von „Körperlichkeit“ gehen, der bisher wenig Aufmerksamkeit erhalten hat und im öffentlichen Diskurs noch immer weitgehend tabuisiert wird: der „behinderte“, von der medizinischen und gesellschaftlichen, und hier besonders von der „männlichen“ Norm abweichende Körper. [7]
Innerhalb der gesellschaftlichen Konstruktion von Männlichkeit steht beim Mann seit jeher vor allem die Leistungsfähigkeit seines Körpers im Vordergrund. Nur ein leistungsfähiger Körper ist wirklich „männlich“, denn er erlaubt es dem Mann, seine maskulinen Qualitäten öffentlich zu inszenieren, sich im Wettkampf, etwa im Sport, mit seinen Geschlechtsgenossen zu messen, oder seine Attraktivität auf Frauen als „Trophäen“ seiner Potenz zur Schau zu stellen:
"Die Dimension des Körpers bleibt in der sozialen Praxis gegenwärtig. Nicht als ‚Basis’, aber als Objekt der Praxis. Männlichkeit stattet den Körper aus." [8]
Was ist aber mit den Individuen, die den gesellschaftlichen Forderungen an eine funktionsfähige männliche Identität, sozial und sexuell, von vorneherein nicht entsprechen, die aus dem Patriarchat ausgeschlossen werden müssen, weil sie keine „ganzen Männer“ sein können?
Um einer Antwort auf diese Frage näher zu kommen, sollen in dieser Arbeit drei von Shakespeares zahlreichen außergewöhnlichen Körpern untersucht werden, drei Charaktere, die sich gerade wegen ihrer außergewöhnlichen Korporealität seit ihrem ersten Erscheinen auf einer Bühne besonderer Popularität erfreuen und Gegenstand zahlreicher Interpretationsansätze sind: Richard III., Caliban und Falstaff.
Bucklig, verkrüppelt, missgestaltet, mehr Tier als Mensch, grotesk fettleibig – diese drei Männer sind Gegenentwürfe zu den idealen Vertretern patriarchalischer Männlichkeit, wie sie ihnen in ihren jeweiligen Stücken als Antagonisten, als Herrscher oder als Schützlinge begegnen. Dennoch sind sie weit mehr als bloße „Antihelden“, ist ihre besondere Körperlichkeit mehr als das äußere Zeichen innerer Verkommenheit, hat Shakespeare seine „Monster“ nicht aus reiner Effekthascherei auf die Bühne gebracht.
An diesen durch ihre außergewöhnlichen Körper gekennzeichneten Charakteren soll der Zusammenhang zwischen disability, verstanden als jegliche von der Norm abweichende Körperlichkeit, und „Männlichkeit“, sowohl in sexueller als auch in sozialer Hinsicht, untersucht werden. Welchen Einfluss hatte körperliche Andersartigkeit auf die Sexualität und die „Männlichkeit“ einer Person im Verständnis des frühneuzeitlichen Beobachters, und welche neuen Erkenntnisse können wir aus der historischen Rezeption für unser heutiges Verständnis dieser Figur gewinnen?
Durch die Analyse der „Behinderungen“ dieser drei Charaktere sollen die historischen, sozialen und mythologischen Faktoren aufgezeigt werden, die sie als von traditionellen sozialen Kreisen Ausgeschlossene stigmatisieren und ihrer „Männlichkeit“ dadurch besondere Bedeutung geben. Diesen Fragestellungen kann nur entsprechend fundiert nachgegangen werden, wenn kulturelle Voraussetzungen für die zeitgenössische Interpretation von disabilities, die Autor und Publikum damals zur Verfügung standen, zuvor geklärt werden. Dazu sollen zunächst frühneuzeitliche Auffassungen sowohl aus den mythologisch-volkstümlichen als auch aus medizinischwissenschaftlichen Diskursen über außergewöhnliche Körper vorgestellt werden.
Welche Assoziationen verband das Publikum dieser Zeit mit bestimmten körperlichen Eigenschaften? Welche anatomischen und medizinischen Erklärungsansätze waren vorherrschend? Grundlegende Einblicke in die Erklärungs- und Deutungsmuster dieser Zeit geben die wissenschaftlich motivierten prodigy books von frühneuzeitlichen Universalgelehrten wie Ambroise PARÉ[9] sowie die galenische Humoralpathologie, die zu dieser Zeit die Grundlage der medizinischen Theorie und Praxis bildete; aber auch die an Volksglauben und Sensationslust orientierten broadsheeds und broadside ballads, in denen „Monster“ als Zeichen göttlichen Zorns und bevorstehenden Unglückes gedeutet wurden.
Eine Beschäftigung mit der Bedeutung eines Textes zu seiner Entstehungszeit muss sich immer dem Vorwurf des Historizismus, also der Begrenzung eines Textes auf die ursprüngliche Intentionalität seines Autors, stellen. Diese Verengung auf die vermeintlich historisch „richtige“ Bedeutung eines Textes widerspricht natürlich dem poststrukturalistischen Anspruch auf Intertextualität. Andererseits ist das radikale Bestehen auf der totalen Dekonstruktivität eines Textes für die Untersuchung einer bestimmten kulturellen Bedeutungsebene ebenso sinnlos wie seine Historisierung, da man dadurch, so Francis BARKER und Peter HULME, an einem Punkt gelange, „ where the only option becomes a voluntaristic ascription to the text of meanings and articulations derived simply from one’s own ideological preferences .“[10]
Wenn also in den folgenden Ausführungen nach den kulturellen Diskursen von körperlichen Devianzen zur Zeit der Entstehung von Shakespeares Werken gefragt wird, soll dies nicht unter Auslassung des heutigen Verständnisses dieser Körper geschehen, sondern im Gegenteil einen Beitrag zur Untersuchung dieser Texte unter modernen Fragestellungen zu Sex und Gender, „normalen“ und „nicht normalen“ Körpern leisten:
"A properly political intertextuality would attend to successive inscriptions without abandoning that no longer privileged but still crucially important first inscription of the text." [11]
Ein Aspekt, der von Körperlichkeit nicht trennbar ist, ist dabei der von Sexualität und Geschlechterkonzepte zu dieser Zeit. Was galt als „männlich“, was als „weiblich“, welche Vorstellungen von männlicher und weiblicher Sexualität gab es und wie hingen sie mit den gängigen Körperkonzepten zusammen? Die einflussreiche Theorie vom frühneuzeitlichen „Ein-Geschlecht-Körper“ wurde erstmals durch THOMAS LAQUEUR in „Making Sex“ formuliert. [12] Welche Konsequenzen die Vorstellung von isomorphen Geschlechtsorganen, also einer nicht biologisch festgelegten „Männlichkeit“ für die Konstruktion und Zuschreibung von Gender-Zugehörigkeit hat, wenn auch noch der betreffende Körper nicht den gesellschaftlichen ästhetischen und funktionellen Normen entspricht, wird ein wichtiger Teil der zu untersuchenden Signifikanz des männlichen „behinderten“ Körpers sein.
Für eine Betrachtung von Korporealität und Gender-Konstruktionen erlaubt die psychoanalytische Untersuchung von Shakespeares Charakteren neue Perspektiven und Erkenntnisse. Janet ADELMANN, Valerie TRAUB und Linda BAMBER zählen zu den VertreterInnen dieses zunächst besonders auf weibliche Gender-Diskurse konzentrierten Ansatzes.
Die nachfolgende literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit außergewöhnlichen Körpern soll auf Grundlage der Definition von „Behinderung“ und körperlicher „Andersartigkeit“ geschehen, wie sie in den Disability Studies formuliert ist. Hierzu soll zunächst ein kurzer Überblick über die Motivationen und Ziele dieses recht neuen wissenschaftlichen Zweiges gegeben werden.
Die Disability Studies als neuer Zweig der Literaturwissenschaft
Die Beschäftigung mit körperlichen Behinderungen als signifikante Kategorie in der Literaturwissenschaft ist ein relativ neues Forschungsfeld, das sich in den siebziger Jahren im Zuge der Cultural Studies in Großbritannien und den USA als eine „sozial- und kulturwissenschaftlich reflexive, aber auch handlungsbezogene und politische Wissenschaft“[13] entwickelt hat. Zwar waren Behinderungen bis zu diesem Zeitpunkt schon lange Gegenstand akademischer und professioneller Disziplinen, jedoch beschränkte sich diese auf die Verwaltung, Behandlung und Pflege von Menschen mit Behinderungen, Menschen, die gemeinhin als mangelhaft und unproduktiv für die soziale Gemeinschaft angesehen werden: So definiert die „EingliederungshilfeVerordnung nach §47 Bundessozialhilfegesetz“ Menschen mit Behinderung als „ Personen, bei denen infolge einer körperlichen Regelwidrigkeit die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft in erheblichem Umfange beeinträchtigt ist “[14], eine mehr als unglückliche Formulierung, die dem Behinderten quasi eine Absichtlichkeit in seiner Verletzung der biologischen und gesellschaftlichen „Regeln“ für einen eingliederungsfähigen Körper vorwirft.
Weil Behinderung überwiegend als ein behandlungs- und korrekturbedürftiges medizinisches Phänomen kommuniziert wird, hat die Geisteswissenschaft sie lange nicht als grundlegende Kategorie von sozialer Erfahrung und symbolischem Kapital erkannt. So steht der Dominanz von biologischer, sozialer und erkenntnistheoretischer Forschung in diesem Bereich eine auffällige Stille aus den Geisteswissenschaften gegenüber: Während literatur- und kulturwissenschaftliche Forschung im Zuge der Entstehung der Cultural Studies soziale Identitäten wie Gender, Sexualität, Klasse und Rasse für sich entdeckt und aus der Vernachlässigung durch die sozialen und biologischen Wissenschaften erlöst haben, wurde der Lebenswelt von Menschen mit Behinderungen bisher noch nicht ihre eigene, einzigartige und wertvolle Perspektive zugestanden. [15]
Eine Grundvoraussetzung für eine Verbesserung dieser Lage wäre die Einbindung behinderter Personen und ihrer Perspektive in die wissenschaftliche Arbeit der Disability Studies, was zumindest in Deutschland dank „jahrzehntelanger Versäumnisse in der Bildungs- und Integrationspolitik“ kaum der Fall war, denn „behinderte WissenschaftlerInnen und Lehrende sind in den Bildungseinrichtungen des deutschsprachigen Raumes kaum zu finden.“ [16]
Auch außerhalb der wissenschaftlichen Beschäftigung, zum Beispiel in den populären Medienproduktionen, sind Behinderte bislang nur unzureichend portraitiert worden, sie tauchen dort höchstens als „Opfer“, als Objekte von Mitleid und Rührseligkeit auf, aber selten als Protagonisten mit einer Lebens- und Erfahrungswelt aus eigenem Recht.
Die geisteswissenschaftliche Beschäftigung mit Behinderung könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die einzigartige Subjektivität des Begriffes „Behinderung“ und der Projektionen, die von der Gesellschaft auf behinderte Menschen in der Geschichte projiziert wurden, aufzuzeigen und in Frage zu stellen:
"Die Disability Studies bieten den notwendigen Perspektivwechsel zur Veränderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, indem sie behinderte Menschen zum Subjekt von Wissenschaft machen statt sie, wie bisher üblich, lediglich als zu beforschendes Objekt zu betrachten." [17]
Wie kommt es aber dazu, dass Menschen mit Behinderungen einer derartigen Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt sind? Einen Erklärungsversuch bieten David T. MITCHELL und Sharon L. SNYDER in ihrer Einleitung zu „The Body and Physical Difference“ [18] an: Im Gegensatz zu Krankheit und Altern, die auch mit körperlicher Beeinträchtigung und sozialer Unproduktivität verbunden würden, trage Behindertsein den Stempel eines permanenten biologischen Zustandes wie Rasse und Geschlecht, aus dem das Individuum sich nicht befreien kann. Demnach beinhaltet die behinderte Person mehr als nur eine physische/kognitive Beeinträchtigung oder Andersartigkeit. Ihre Körperlichkeit durchzieht jeden Aspekt ihres sozialen Wesens, denn ihr Zustand wird als im Material ihrer physischen und moralischen Persönlichkeit eingebettet angesehen. Somit wird körperliche Behinderung mit sozialer Identität, Biologie und Persönlichkeit gleichgestellt:
"The physical world provides the material evidence of an inner life (corrupt or virtuous) that is secured by the mark of visible difference" [19]
In einer Gesellschaft, die auf der medizinisch garantierbaren Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen aufbaut, und in der jeder körperliche Makel, jedes Abweichen von den strengen ästhetischen Vorgaben durch chirurgische Eingriffe korrigiert werden kann, nimmt eine Behinderung, die sich aller Heilung und Rehabilitation widersetzt, einen unnatürlichen Status im medizinischen und sozialen Diskurs ein. Behinderung ist „Schicksal“, behinderte Menschen sind nicht korrigierbar und deshalb irgendwie „unmenschlich“, sie befinden sich ständig in einer Umgebung der „Andersartigkeit“, die sie für immer von den „normalen“ Konventionen alltäglicher sozialer und kultureller Handlungen ausschließt. [20]
Die folgenden Ausführungen zu Körperlichkeit und Männlichkeit sollen in diesem Kontext der Disability Studies verstanden werden. Bei der Beschäftigung mit Körperlichkeit und Männlichkeit im Rahmen der disability studies treten einem rasch Probleme mit Begrifflichkeiten in der deutschen Sprache vor Augen, die sich im englischsprachigen Kontext so nicht ergeben. Worte wie „behindert“, „anormal“, „missgebildet“ sind zutiefst negativ und abwertend geprägt und bieten sich als neutrale Begrifflichkeiten für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Themenkomplex nicht an. Lässt sich die Benutzung des Wortes „behindert“ auch nicht ganz vermeiden, soll wann immer möglich im Folgenden, wenn es um die besondere, von der gesellschaftlichen Norm abweichende Körperlichkeit eines Charakters geht, das Wort disability benutzt werden, wie es in der Einleitung zu „The Body and Physical Difference“ definiert wird:
"we use the term disability to designate cognitive and physical conditions that deviate from normative ideas of mental ability and physiological function." [21]
Eine solchermaßen weit gefasste Definition erkennt an, dass „Behinderung“ oder „Beeinträchtigung“ mehr bedeuten als ein medizinischer Zustand oder eine „Deformiertheit“ des Körpers und dass disability vor allem als soziales Konstrukt zu verstehen ist. Richard, dessen Körper wohl noch am ehesten unter das heutige Verständnis von „behindert“ fällt, aber auch Caliban mit seinem kaum greifbaren, aber offenbar wenig menschlichen Äußeren und der enorm übergewichtige Falstaff können unter diesen disability-Begriff gefasst werden. Sie alle werden von ihrer Gesellschaft aufgrund ihrer Körperlichkeit als „anormal“ empfunden, und scheitern im Versuch, ihre Rollen innerhalb des sozialen Gefüges auszufüllen. Sie fallen am Ende derselben Pathologisierung und Aussonderung zum Opfer, wie sie auch in der postmodernen Gesellschaft geschehen wäre, wenn auch vielleicht unter anderen Bedeutungszuweisungen ihrer Körperlichkeit.
Weniger der üblicherweise untersuchte Zusammenhang zwischen körperlichem Defizit und defizitärem Charakter – Richard als villain, Caliban als primitiver „Ureinwohner“, Falstaff als unmoralischer Feigling –, sondern die Bedeutung ihrer körperlichen Andersartigkeit für ihre Rolle in der patriarchalischen Gesellschaft, ihre „Männlichkeit“, soll im Fokus der folgenden Untersuchungen stehen. Dazu soll zunächst ein Überblick über die Deutungen, Assoziationen und Erklärungsmodelle folgen, denen disabilities in der frühneuzeitlichen Gesellschaft unterworfen waren.
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The Construction of Feminity and Masculinity in Shakespeare’s Macbeth
Vinzent Fröhlich
Foreword
The title of this paper is “The Construction of Femininity and Masculinity in Shakespeare’s Macbeth”. As this title suggests, I will analyze how Shakespeare construed female and male identity in Macbeth. As in many Shakespearean dramas, the play starts with the destruction of order leading to a crisis and ending in the restoration of order at the end of the play (Gelfert 32). The political order, which is destroyed in the play is King Duncan’s order, where a unique set of masculine and feminine values is cherished. Macbeth murders King Duncan in order to usurp his throne. Macbeth’s reign turns Duncan’s order into chaos and moral order cannot return to Scotland until the tyrant ruler Macbeth is defeated by troops who fight for the restoration of Duncan’s order, through the coronation of his son Malcolm. This essay will question the roles Shakespeare gives female and male characters in the destruction and restoration of this order. However, I will also raise questions such as:
· Which historical concepts does the author use to construe his male and female characters?
· Does he construe “typical” roles of men and women?
· Moreover, what happens when gender boundaries are crossed, if men develop feminine traits and women male?
With special regard to the marriage of Macbeth and Lady Macbeth, I will analyze the interaction between the genders. In the course of my analysis, I will use the term “gender”, originating from Anglo-American feminist discourse, meaning ”the social, cultural, and psychological meaning imposed upon biological sexual identity” (Showalter 1-2).
Interpreting femininity and masculinity as “gender” constructions allows a more thorough analysis of the various processes involved in the “making” of men and women. Whilst the term “sex” suggests that children naturally acquire the appropriate masculine or feminine behavioural norms of their society, the term “gender” can also indicate that some people feel discrepancies between their “anatomical sex and experiential sense of gender and sexuality” (Showalter 2). After a short historical introduction about the origins of the play, I will analyze the masculine world of chivalry that the play takes place in. Understanding the world of chivalry, its values and codes is required as most of the male characters are construed as chivalrous knights serving in the corps of King Duncan.
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Gender Politics in Macbeth
Katharina Herrmann
Introduction
Renaissance tragedy does to a large extent deal with common political, religious and social questions of the time. In most cases, authors use tragedy as the place to question and even criticize those issues, and thus use it as a political space. In Jacobean England, society was profoundly hierarchical with the king on top of the state, and the father or husband as head of the family. “[W]omen were clearly socially subordinate, and the preponderance of discourse on the gender hierarchy was misogynistic”[22]. Macbeth is one of Shakespeare’s late tragedies, written in 1606, and presented at the Globe Theatre later that year. In Shakespeare’s plays sex and gender are crucial for defining human identity and political power.
In the course of this essay, I will first take a closer look at gender ideology in the English Renaissance and in Renaissance tragedy and see how society justified the social subordination of women, and what kind of behaviour was considered appropriate for women. As Macbeth is a play that hugely builds on gender stereotyping, I will afterwards work out the play’s definition of masculinity and femininity in the medieval social context the tragedy is set in, and subsequently analyse the characters of the three witches and king Duncan regarding their hermaphroditism and androgynity, and see whether the blurring of fixed gender roles might be interpreted as an indication that gender politics in Macbeth are unusual for the medieval Scottish context. The main part of this essay will be dedicated to the Macbeths, two strongly individualized characters. I will examine the characters of Lady Macbeth and Macbeth first, take a look at how their ambition leads to their downfall and afterwards discuss whether it is possible to talk about an inversion of the traditional gender roles since especially Lady Macbeth oversteps the boundaries of appropriate female behaviour and is, at least in the beginning, the more powerful character of the two spouses.
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Körper- und Spiegelmetapher und ihre Funktion in ausgewählten Sonetten William Shakespeares
Stephanie Schnabel
Einleitung
Diese Hausarbeit behandelt die Funktion der Körper- und Spiegelmetaphern in den Sonetten William Shakespeares anhand ausgewählter Beispiele.
Im ersten Teil geht es um den allgemeinen Hintergrund der Sonette als Gedichtform. Es wird kurz auf die Übertragung des Sonetts in den englischsprachigen Kulturraum eingegangen, um danach den Höhepunkt seiner Entwicklung in England am Ende des 16. Jahrhunderts vorzustellen. Shakespeares Sonettzyklus fällt ein wenig aus diesem zeitlichen Rahmen heraus, da seine Gedichte erst 1609 veröffentlicht werden. Auch er arbeitet jedoch mit Bildern und Metaphern, die in der Tradition Petrarcas stehen. Wie aber sehen diese aus?
Worin unterscheidet sich Shakespeares Werk möglicherweise von dem seiner Zeitgenossen?
Da mir bei der Durchsicht der Literatur zum Thema Metapher aufgefallen ist, wie schwer sich einzelne Metapherntypen trennen lassen, werde ich in meiner Untersuchung ausgewählter Sonette Shakespeares auf zwei Metapherntypen eingehen.
Als Grundlage hierfür dienten mir die folgenden Monographien:
Speculum, Mirror und Looking-Glass – Kontinuität und Originalität der Spiegelmetapher in den Buchtiteln des Mittelalters und der englischen Literatur des 13. bis 17. Jahrhunderts von Herbert Grabes und Ernst Robert Curtius’ Werk Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter.
Es geht in diesem zweiten Teil als erstes um die literarische Entwicklung und Verwendung der zwei Metapherntypen vor der elisabethanischen Zeit. Danach werden der Gebrauch und die Weiterentwicklung bei den Schriftstellerkollegen Shakespeares beschrieben, um anschließend den Blick auf drei ausgewählte Sonette des Dichters und Dramatikers zu richten, die auf unterschiedliche Art und Weise mit diesen Metaphern spielen.
[...]
[1] Der Untersuchung der allmächtigen, „erdrückenden“ Mutterfigur als Bedrohung maskuliner Identität in Shakespeares Werken hat sich vor allem Janet Adelman in Suffocating Mothers gewidmet. (Adelmann, Janet , Suffocating Moterhs. Fantasies of Maternal Origin in Shakespeare’s Plays, “Hamlet” to “The Tempest”. New York/London, 1992)
[2] Michael Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. Opladen, 1998, S. 130.
[3] Clemens Wischermann, „Geschichte des Körpers oder Körper mit Geschichte?“, in: Clemens Wischermann, Stefan Haas (Hrsg.), Körper mit Geschichte. Münster/Konstanz, 2000.
[4] Valentin Groeber, „Körper auf dem Markt. Söldner, Organhandel und die Geschichte der Körpergeschichte“, in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, (Dezember 2005), S. 69.
[5] Eine der frühesten und wegweisendsten Veröffentlichungen zur Körpergeschichte sind die von Michael Feher, Ramona Nadaff und Nadia Tazi herausgegebenen Fragments for a History of the Human Body (3 Bde, New York, 1989). Die erste deutschsprachige Zusammenfassung zur Körpergeschichte hat Maren Lorenz mit Leibhaftige Vergangenheit. Eine Einführung in die Körpergeschichte vorgelegt (Tübingen, 2000) und mit Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765-1914 (Frankfurt/M., 2001) hat Philipp Sarasin zuletzt eine grundlegende Arbeit zur Konzeption des Körpers in Übergangszeit zwischen Früher Neuzeit und Moderne geschaffen.
[6] Wischermann, S. 12.
[7] David T. Mitchell und Sharon L. Snyder kritisieren die Vernachlässigung des behinderten Körpers im akademischen Körper-Diskurs: “ The current popularity of the body in critical discourse seeks to incorporate issues of race, gender, sexuality and class while simultaneously neglecting disability. ”(“Disability Studies and the double bind of representation”, in: David T. Mitchell and Sharon L. Snyder (eds.), The Body and Physical Difference: Discourses of Disability. Michigan, 1997, S. 1)
[8] R.W. Connell u.a., „Ansätze zu einer neuen Soziologie der Männlichkeit“, in: BauSteineMänner (Hrsg.), Kritische Männerforschung, Neue Ansätze in der Geschlechtertheorie. Berlin, S. 66.
[9] Ambroise Paré, Des monstres et prodiges. (Paris, 1573), Engl. Übers.: On Monsters and Marvels. Translation, Introduction and Notes by J. R. Pallister. Chicago, 1982.
[10] Francis Barker, Peter Hulme, „Nymphs and reapers heavily vanish: the discoursive contexts of The Tempest”, in: John Drakakis (Hrsg.), Alternative Shakespeares. London/New York, 1985, S. 193.
[11] Ebd., S. 193.
[12] Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die deutsche Übersetzung: Thomas Laqueur, Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Übers. v. H. Jochen Bußmann, Frankfurt/New York, 1990.
[13] Volker Schönwiese, „Perspektiven der Disability Studies“, in: Behinderte in Familie und Gesellschaft 5 (2005), S. 16.
[14] Ernst Klee, Behindert. Über die Enteignung von Körper und Bewusstsein. Frankfurt a. M. 1980, online eingestellt unter: http://bidok.uibk.ac.at/library/klee-behindert.html?hls=Klee# id2701497.
[15] Mitchell/Snyder, S. 2.
[16] Schönwiese, S. 18.
[17] http://www.disability-studies-deutschland.de/dsd.php [18.12.2007]
[18] David T. Mitchell and Sharon L. Snyder (eds.), The Body and Physical Difference: Discourses of Disability. Michigan, 1997.
[19] Mitchell/Snyder, S. 3.
[20] Ebd., S. 4.
[21] Mitchell/Snyder, S. 6.
[22] Dympna Callaghan. Woman and Gender in Renaissance Tragedy: A Study of King Lear, Othello, The Duchess of Malfi and The White Devil. (London: Harvester Wheatsheaf, 1989) 12.
- Citar trabajo
- Vinzent Fröhlich (Autor), Katharina Herrmann (Autor), Verena Ludwig (Autor), Stephanie Schnabel (Autor), 2016, Körper, Sexualität und Gender. Zur (De)Konstruktion von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ im Werk von William Shakespeare, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/323731
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