In dem bürgerlichen Trauerspiel „Emilia Galotti“ greift G. E. Lessing ein Dramenmotiv auf, das auf den antiken Historiker Livius zurückgeht.
Er übernimmt das Motiv aus der von Titus Livius in „Ab urbe condita“ erzählten Legende von der Römerin Virginia, die von ihrem Vater getötet wird, weil das der einzige Weg ist, sie vor der Willkür des Decemvirn Appius Claudius zu bewahren. Bei Livius ruft die Tat von Virginias Vater einen Volksaufstand hervor, [...]. Auch „Emilia Galotti“ hat die Leidenschaft ihres Landesherren, des Prinzen von Guastalla, erregt. Er will sie zu seiner Mätresse mach, doch sie lässt sich von ihren Vater töten.
Von der Virginiasaga abweichend skizziert Lessing in einer seiner frühen brieflichen Äußerungen (an Nicolai vom 21.01.1758) den Plan seines Stückes zunächst so: „Er- der junge Tragikus [ d. h. Lessing selbst ] - hat nämlich die Geschichte der römischen Virginia von allem dem abgesondert, was sie für die ganze Stadt interessant machte; er hat geglaubt, dass das Schicksal einer Tochter, die von ihrem Vater umgebracht wird, dem ihre Tugend werter ist, als ihr Leben, für sich schon tragisch genug, und fähig genug sei, die ganze Seele zu erschüttern, wenn auch gleich kein Umsturz der ganzen Staatsverfassung darauf folgte.“.
Es soll also in erster Linie das Feld der Moral sein, auf dem die Auseinandersetzung zwischen Bürgertum und Adel sich auf der Bühne abspielt. Deshalb muss man das Adjektiv „bürgerlich“ nicht in erster Linie als Bezeichnung für eine Klasse verstehen, sondern als Kennzeichnung einer bestimmten moralischen Wertvorstellung, die sich von der Welt der höfischen Unmoral abhebt. In dem Drama geht es nicht so sehr um Klassengegensätze, sondern mehr um tugendhaftes menschliches Verhalten.
Diese Haltung ist nicht an die Klasse des Bürgertums gebunden. So können auch Angehörige des Adels die Rolle des Helden im bürgerlichen Trauerspiel übernehmen, wie beispielsweise Ferdinand von Walter in „Kabale und Liebe“. Lessings bürgerliches Trauerspiel zeigt sowohl den erwachenden Widerstand des bürgerlichen Selbstbewusstseins, als auch dessen Zuflucht zum Selbstopfer.
Inhalt
0. Einleitung
1. Die Machtverhältnisse der Herrscher
2. Die Motive der Väter
3. Die Familien der Mädchen
0. Einleitung
In dem bürgerlichen Trauerspiel „ Emilia Galotti “ greift G. E. Lessing ein Dramenmotiv auf, das auf den antiken Historiker Livius zurückgeht.
Er übernimmt das Motiv aus der von Titus Livius in „Ab urbe condita “[1] erzählten Legende von der Römerin Virginia, die von ihrem Vater getötet wird, weil das der einzige Weg ist, sie vor der Willkür des Decemvirn Appius Claudius zu bewahren. Bei Livius ruft die Tat von Virginias Vater einen Volksaufstand hervor, [...]. Auch „ Emilia Galotti “ hat die Leidenschaft ihres Landesherren, des Prinzen von Guastalla, erregt. Er will sie zu seiner Mätresse mach, doch sie lässt sich von ihren Vater töten.
Von der Virginiasaga abweichend skizziert Lessing in einer seiner frühen brieflichen Äußerungen (an Nicolai vom 21.01.1758) den Plan seines Stückes zunächst so: „ Er- der junge Tragikus [ d. h. Lessing selbst ] - hat nämlich die Geschichte der römischen Virginia von allem dem abgesondert, was sie für die ganze Stadt interessant machte; er hat geglaubt, dass das Schicksal einer Tochter, die von ihrem Vater umgebracht wird, dem ihre Tugend werter ist, als ihr Leben, für sich schon tragisch genug, und fähig genug sei, die ganze Seele zu erschüttern, wenn auch gleich kein Umsturz der ganzen Staatsverfassung darauf folgte. “[2].
Es soll also in erster Linie das Feld der Moral sein, auf dem die Auseinandersetzung zwischen Bürgertum und Adel sich auf der Bühne abspielt. Deshalb muss man das Adjektiv „bürgerlich“ nicht in erster Linie als Bezeichnung für eine Klasse verstehen, sondern als Kennzeichnung einer bestimmten moralischen Wertvorstellung, die sich von der Welt der höfischen Unmoral abhebt. In dem Drama geht es nicht so sehr um Klassengegensätze, sondern mehr um tugendhaftes menschliches Verhalten.
Diese Haltung ist nicht an die Klasse des Bürgertums gebunden. So können auch Angehörige des Adels die Rolle des Helden im bürgerlichen Trauerspiel übernehmen, wie beispielsweise Ferdinand von Walter in „ Kabale und Liebe “.[3] Lessings bürgerliches Trauerspiel zeigt sowohl den erwachenden Widerstand des bürgerlichen Selbstbewusstseins, als auch dessen Zuflucht zum Selbstopfer.
1. Die Machtverhältnisse der Herrscher
Livius, Lessings Quelle für seine „ bürgerliche Virginia “, hat nicht nur die Konfrontation zweier Klassen in großer Schärfe dargestellt, sondern auch den offenen Kampf zwischen ihnen, mit einem revolutionären Ausgang. Der Tyrann, sein Sturz und die entscheidende Rolle des Volkszorns gehörten zur realen römischen Geschichte.
„Nach dem Bericht des Livius [...] versuchte Appius Claudius, einer der Decemvirn, die zur Aufzeichnung der Gesetze, der zwölf Tafeln, mit uneingeschränkter Vollmacht eingesetzt waren, die Tochter des Plebejers L. Virginius zu verführen.“[4] Als er aber sah, dass ihre Keuschheit alle Versuche vereitelte, entschloss er sich zu einer grausamen und verwegenen Gewalttat. Er gab einem Klienten den Auftrag, das Mädchen als seine Sklavin zu beanspruchen und nicht nachzugeben, wenn man ihre vorläufige Freilassung verlangte; denn er glaubte, die Abwesenheit des Vaters begünstige ein solches Verbrechen.
Die Decemviri hatten, unter der Führung des Appius Claudius, die Herrschaft und regierten Rom tyrannisch. In dieser angespannten Situation, verschärft durch einen Krieg gegen die Nachbarn, ereignete sich die von Livius berichtete Geschichte.
Im Gegensatz dazu erscheint der Prinz Hettore von Guastalla, in Lessings Stück „ Emilia Galotti “, vom Anfang bis zum Schluss, vor allem als Liebender. Nur am Rande erfahren die Zuschauer, dass er auch, mürrisch und launisch, seine Regierungsgeschäfte erledigt („ Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften- Die traurigen Geschäfte;[...].[5] Außerdem ist er oberster Gerichtsherr, und entscheidet über Leben und Tod. („ Ein Todesurteil wäre zu unterschreiben. “) („ Recht gern.- Nur her ! geschwind. “)[6] Sein Herzogtum scheint außenpolitisch keine große Rolle zu spielen, er betreibt lediglich einen lästigen Heiratspakt mit einem anderen Herzogtum, und sieht darin nichts als eine weitere Fessel für sein bedrängtes Herz. Die Politik wird in dem Stück „ Emilia Galotti “ durch politischen Rationalismus bestimmt, dem selbst der Fürst unterworfen ist.(„[...] Mein Herz wird das Opfer eines elenden Staatsinteresse.“)[7]
Marinelli weist den Prinz Hettore darauf hin, dass seine Klage unberechtigt ist, weil die Trennung von Liebe und Politik mit seiner der Moral enthobenen Stellung vereinbar ist. Nach Marinellis Aussage vertragen sich Geliebte und Gemahlin aus dieser Sichtweise, ohne dass dem Prinzen „ ein Verbrechen “ vorgeworfen werden kann („ Neben einer Gemahlin sieht die Geliebte noch immer ihren Platz. “).
Seit seiner ersten, zufälligen Begegnung mit der bürgerlichen Emilia Galotti ist der egozentrische Prinz von dem Gedanken besessen, dieses Mädchen zu besitzen. Als er von ihrer unmittelbar bevorstehenden Hochzeit mit dem Grafen Appiani erfährt, gibt er in seiner Verzweiflung dem Marchese Marinelli, seinem intriganten Kammerherrn und Vertrauten, freie Hand, alles zu tun, um die Heirat zu verhindern. („ Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann. “)[8]. In einem fingierten Raubüberfall lässt Marinelli den Bräutigam töten und Emilia auf das Lustschloss des Fürsten bringen.
Die Gegensätze, die in den Beziehungen des Prinzen Hettore zu seiner ehemaligen Geliebten Orsina und Emilia Galotti bestehen, vertiefen sich in der Szene mit dem Maler Conti. Während er bei der Betrachtung des Porträts von Orsina Kunst und Original genau unterscheidet, sieht er beim Porträt Emilias nur Emilia, und der Erwerb des Bildes ist ihm fast gleichbedeutend mit dem Erwerb der Person, wie Conti richtig vermutet („ Sollte ich doch nun bald fürchten, Prinz, dass Sie so, noch etwas anderes belohnen wollen, als die Kunst. “). Orsinas Porträt erhält einen Platz in der Galerie, und Emilias Bild bleibt in der privaten Verfügung des Prinzen („[...] Aber das bleibt hier. Mit einem Studio macht man so viel Umstände nicht: auch lässt man das nicht aufhängen; sondern hat es gern bei der Hand. “)[9] Seine private Verfügungsgewalt bedeutet gleichzeitig auch Willkür. Der Prinz erwirbt das Bild Emilias um jeden Preis, um es bei der Hand zu haben. Dieser Kauf ist der Auftakt zur Intrige, mit der er ebenfalls um jeden Preis sie selbst in seine Hand, in seine Abhängigkeit bekommen wird.
Die Widerstände, gegen diese Willkür, liegen in der moralisch gefestigten, antihöfischen Haltung des Vaters Galotti, in der Tugendhaftigkeit der Tochter und in ihrer für den gleichen Tag vorgesehenen Vermählung.
In der Virginia-Legende wird die Tat zum Signal für einen Aufstand, in dem die Plebejer die Alleinherrschaft der Patrizier brechen. Appius Claudius wird ins Gefängnis geworfen, wo er sich schließlich selbst tötet.
[...]
[1] „ Ab urbe condita“ Vom Ursprung der Stadt
[2] Kindler Verlag GmbH, München 1990, Kindlers Neues Literatur Lexikon, Band 10 (S. 308)
[3] In Schillers „ Kabale und Liebe “ finden sich beide Aspekte des Bürgerlichen Trauerspiels: die ständeunabhängige Frage der Moral und der Unmoral, und die konkrete Anklage bestehender sozialer und politischer Missstände.
[4] Moritz Diesterweg Verlag, Frankfurt am Main, 7. Auflage 1987. Hrsg. von Walter Fischer. Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas“ (S.6)
[5] Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart, Ausgabe 2001.G. E. Lessing, Emilia Galotti, (S.6)
[6] S.O. (S19/ Z.26ff)
[7] S.O. (S.13/ Z. 10)
[8] Philipp Raclam jun. GmbH & Co.,, Stuttgart 2001, G. E. Lessing, Emilia Galotti, (S. 18/ Z.1)
Anmerkung: „In der Emilia Galotti wird ein stark vereinfachtes Staats- und Gesellschaftsmodell dargestellt, das aber die Prinzipien absolutistischer Herrschaft mit ihren Mängeln in aller Schärfe zeigt.“
[9] S. O. (S. 11/ Z. 23ff)
- Quote paper
- Monika Draws-Volk (Author), 2002, Emilia Galotti - Die Bedeutung des Virginia-Stoffes für die Deutung des Stückes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32307
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.