Hans Magnus Enzensberger ist zweifellos einer der bekanntesten und erfolgreichsten Autoren der Gegenwart, aber er ist zugleich auch einer der Vielseitigsten. Die Bandbreite seines Schaffens reicht von der Lyrik über die Essayistik bis hin zur Kinderliteratur. Dabei kommt immer wieder eine Leidenschaft Enzensberger zum Ausdruck: Die Mathematik. Doch warum schreibt und veröffentlicht ein Autor, der nach eigener Aussage „ganz und gar kein Mathematiker“, ja sogar „ein hoffnungsloser Laie“ ist, immer wieder Gedichte, Essays und sogar Bücher über die Mathematik, wenn er „schon froh sein muss, wenn er kapiert, worum es eigentlich geht“? Weil er von ihr fasziniert ist, obwohl oder vielleicht auch gerade weil er ihr eigentlich mit Unverständnis gegenüber steht. Ganz ähnlich geht es dem Leser der Enzensbergerschen ‚Mathematischen Schriften’, denn es gelingt Enzensberger, seine eigene Faszination in seinen Werken an den Leser zu vermitteln. Er schafft es, die anfängliche Skepsis und das anfänglich sicher meistens vorhandene Unverständnis seiner Leser in Faszination umzuwandeln und ihnen immer wieder ein Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern. Die Leichtigkeit der mathematischen Lektüre macht vor allem den „Zahlenteufel“ zu einem Lesevergnügen. Aber auch Enzensbergers Vortrag „Zugbrücke außer Betrieb“ sorgt durch seine Scharfsinnigkeit und feine Ironie mehrfach für echtes Amüsement. Auch das Ergebnis einer Spielerei Enzensbergers, die „Einladung zu einem Poesie-Automaten“, sicherlich der schwierigste, weil nüchternste dieser drei Haupttexte, die dieser Arbeit zugrunde liegen, fasziniert. Um zu zeigen, dass sich Enzensbergers Faszination für die Mathematik durch alle Gattungen seiner Schriften zieht, werden die drei Haupttexte durch ein Gedicht und ein Essay Enzensbergers ergänzt. Die Arbeit wird die unterschiedlichen Annäherungsweisen Enzensbergers an die Mathematik nachzeichnen, mal wissenschaftlicher, mal humoristischer, ganz so, wie auch Enzensberger selbst verfährt, und die Bedeutung der Wissenschaft für die Poesie wie auch der Poesie für die Wissenschaft herausarbeiten. Die Titelwörter Faszination und Unverständnis werden dabei der rote Faden dieser Arbeit sein.
Falls das Unverständnis für die Mathematik deren Faszination in dieser Arbeit übertreffen sollte, mögen die Worte des Zahlenteufels beruhigen: „Die meisten Mathematiker können überhaupt nicht rechnen. Für so was gibt es doch Taschenrechner.“
Inhalt
1. Einleitung
2. Die hochgezogene Zugbrücke
3. Zahlenteufel und teuflische Zahlen
4. Die Algebra der Gefühle
5. Die Wissenschaft der Poesie
6. Die Poesie der Wissenschaft
7. Schlusswort – Zwischen Faszination und Unverständnis
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Hans Magnus Enzensberger ist zweifellos einer der bekanntesten und erfolgreichsten Autoren der Gegenwart, aber er ist zugleich auch einer der Vielseitigsten. Die Bandbreite seines Schaffens reicht von der Lyrik über die Essayistik bis hin zur Kinderliteratur. Dabei kommt immer wieder eine Leidenschaft Enzensberger zum Ausdruck: Die Mathematik.
Doch warum schreibt und veröffentlicht ein Autor, der nach eigener Aussage „ganz und gar kein Mathematiker“[1], ja sogar „ein hoffnungsloser Laie“[2] ist, immer wieder Gedichte, Essays und sogar Bücher über die Mathematik, wenn er „schon froh sein muss, wenn er kapiert, worum es eigentlich geht“[3] ? Weil er von ihr fasziniert ist, obwohl oder vielleicht auch gerade weil er ihr eigentlich mit Unverständnis gegenüber steht.
Ganz ähnlich geht es dem Leser der Enzensbergerschen ‚Mathematischen Schriften’, denn es gelingt Enzensberger, seine eigene Faszination in seinen Werken an den Leser zu vermitteln. Er schafft es, die anfängliche Skepsis und das anfänglich sicher meistens vorhandene Unverständnis seiner Leser in Faszination umzuwandeln und ihnen immer wieder ein Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern.
Die Leichtigkeit der mathematischen Lektüre macht vor allem den „Zahlenteufel“ zu einem Lesevergnügen. Aber auch Enzensbergers Vortrag „Zugbrücke außer Betrieb“ sorgt durch seine Scharfsinnigkeit und feine Ironie mehrfach für echtes Amüsement. Auch das Ergebnis einer Spielerei Enzensbergers, die „Einladung zu einem Poesie-Automaten“, sicherlich der schwierigste, weil nüchternste dieser drei Haupttexte, die dieser Arbeit zugrunde liegen, fasziniert. Um zu zeigen, dass sich Enzensbergers Faszination für die Mathematik durch alle Gattungen seiner Schriften zieht, werden die drei Haupttexte durch ein Gedicht und ein Essay Enzensbergers ergänzt.
Die Arbeit wird die unterschiedlichen Annäherungsweisen Enzensbergers an die Mathematik nachzeichnen, mal wissenschaftlicher, mal humoristischer, ganz so, wie auch Enzensberger selbst verfährt, und die Bedeutung der Wissenschaft für die Poesie wie auch der Poesie für die Wissenschaft herausarbeiten. Die Titelwörter Faszination und Unverständnis werden dabei der rote Faden dieser Arbeit sein.
Falls das Unverständnis für die Mathematik deren Faszination in dieser Arbeit übertreffen sollte, mögen die Worte des Zahlenteufels beruhigen: „Die meisten Mathematiker können überhaupt nicht rechnen. Für so was gibt es doch Taschenrechner.“[4]
2. Die hochgezogene Zugbrücke
„Es sind immer die gleichen Töne: ‚Hören Sie auf! Mit Mathematik können Sie mich jagen.’ – ‚Eine Qual, schon in der Schule. Keine Ahnung, wie ich damals durchs Abitur gekommen bin.’ – ‚Ein Albtraum! Völlig unbegabt, wie ich nun mal bin.’ – ‚Die Mehrwertsteuer kriege ich gerade noch hin, mit dem Taschenrechner. Alles andere ist mir zu hoch.’ – ‚Mathematische Formeln - das ist Gift für mich, da schalte ich einfach ab.’“[5]
Jeder kennt sie, diese immer gleichen Töne mit denen Enzensberger seinen Vortrag „Zugbrücke außer Betrieb“ auf dem Internationalen Mathematiker-Kongress 1998 begann. Geradezu ein Postulat für das vorherrschende Unverständnis und die Ablehnung mit der die breite Masse der Menschen der Mathematik gegenüber steht. „Durchaus intelligente, gebildete Leute bringen sie routiniert vor, mit einer sonderbaren Mischung aus Trotz und Stolz.“[6] Recht hat er. Doch warum ist das so? Warum hat sich „ein allgemeiner Konsens herausgebildet, der stillschweigend, aber massiv die Haltung zur Mathematik bestimmt“[7] ? Warum wehrt sich auf der anderen Seite niemand so vehement dagegen, Musik zu hören oder einen Roman zu lesen? Warum werden diese Elemente der Kultur hoch geschätzt und allgemein akzeptiert und ein anderer, wie die Mathematik, beinahe ausgeschlossen? Warum „scheint es niemanden zu stören, dass ihr Ausschluss aus der Sphäre der Kultur einer Art von Kastration gleichkommt“[8] ?
Die Antwort scheint einfach zu sein: Weil fast jeder einen Roman lesen kann, weil fast jeder Musik hören kann, aber kaum jemand mit der Mathematik umgehen kann, wobei es keine Rolle spielt, ob jeder, der einen Roman lesen oder Musik hören kann, diese oder jenen auch versteht, von einem Verständnis für die Mathematik einmal ganz zu schweigen. Aber diese Antwort wäre zu einfach. Die mathematischen Fähigkeiten sind genauso in uns allen genetisch verankert, wie die Fähigkeit zu lesen oder Musik zu hören. Sicherlich gibt es Ausnahmen, aber Enzensberger merkt richtig an, dass nach der Gaußschen Normalverteilung das statistische Maximum im Mittelfeld erreicht wird[9], die Großzahl der Menschen folglich alles irgendwie kann – lesen, schreiben und rechnen. Eine mathematische Begründung, die nicht funktioniert. Denn so ist nicht zu erklären, warum die Mathematik gesellschaftlich ausgegrenzt wird. Sie erklärt, warum fast alle schreiben, lesen und auch rechnen können, denn klar ist ja, wir alle rechnen in unserem alltäglichen Leben genauso viel wie wir lesen und schreiben. Wäre es anders könnten wir nicht einmal einkaufen gehen.
[...]
[1] Enzensberger, Hans Magnus: Der Zahlenteufel. Ein Kopfkissenbuch für alle, die Angst vor der Mathematik haben. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 52003, S. 263.
[2] Enzensberger, Hans Magnus: Zugbrücke außer Betrieb. Die Mathematik im Jenseits der Kultur – Eine Außenansicht. Vortrag gehalten am 24. August 1998 auf dem Internationalen Mathematiker-Kongress 1998 in Berlin. Erstabdruck am 29. August 1998 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Nr. 200. Deutsch-Englische Buchausgabe: Drawbridge Up / Zugbrücke außer Betrieb. A K Peters Publ., Natick (MA, USA), 2001. Hier zitiert nach: http://www.nws.ei.tum.de/~rapa/sttm/texte/enzensberger.html.
[3] Vgl.: Ebd.
[4] Enzensberger: Zahlenteufel, S. 12.
[5] Enzensberger: Zugbrücke.
[6] Ebd.
[7] Vgl.: Ebd.
[8] Vgl.: Ebd.
[9] Vgl.: Enzensberger: Zugbrücke.
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