Diese Bakkalaureats-Arbeit widmet sich der Fragestellung, ob Selbstzuschreibungen und normative Beschreibungen bzw. Leistungen, die (Qualitäts)medien als Vierte Gewalt im Staat erfüllen sollten, auseinanderklaffen. Vor welchen Herausforderungen stehen Zeitungen heute und ist es, überspitzt formuliert, überhaupt noch legitim von, Qualitätspresse zu sprechen? Diese Arbeit soll einen Beitrag zur Diskussion über Abgrenzung und den Wandel von Qualitätspresse leisten.
„Die Begriffe Qualitätsmedien, Qualiätspresse, quality press oder quality paper werden allerdings sehr selten definiert, wenn sie in der wissenschaftlichen Forschung gebraucht werden“ (Blum, 2011. S.9) Dieses Zitat beschreibt ein Problem der mangelnden Reflexion über gefestigte Beschreibungen, das nicht nur die Wissenschaft betrifft. Gleich zu Beginn des Studiums der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien wird den Studierenden die traditionelle Unterscheidung zwischen Qualitäts- und Boulevardpresse bestätigt. Dabei wird auf unterschiedliche Formate, Inhalte und Leserschaft verwiesen. Gepaart mit der Selbstbeschreibung der einzelnen Medien haben sich unter den Studierenden und auch in der Alltagssprache „Die Presse“ und „Der Standard“ als überregionale Qualitätspresse durchgesetzt. Der Rest der überregionalen Tagespresse wird als Boulevard bezeichnet („Kronen Zeitung“, „Österreich“). In der Publizistik gilt der „Kurier“ als Mid-Market Paper, einer Mischung von Elementen aus der Qualitäts- und Boulevardpresse. Diese Einteilung ist nicht nur alltagssprachlich gefestigt, sondern wird auch in der wissenschaftlichen Praxis selten hinterfragt.
Im Zuge des „Medienwandels“ und der aktuellen finanziellen Herausforderungen verändern sich auch Strukturen und Inhalte der Tagespresse (nicht nur) in Österreich. Immer öfter ist von Hybridmedien die Rede, was als ein Zeichen gesehen werden kann, dass eine Einteilung in Qualität -und Boulevardpresse immer schwerer fällt. Auch wenn sich Tageszeitungen wie „Die Presse“ oder „Der Standard“ selbst gerne weiterhin als Qualitätsmedien sehen, stellt sich die Frage, ob sie den Anspruch heute tatsächlich erfüllen. Die Problematik sieht man auch an einer Aussage von Wolfgang Fellner, dem Herausgeber der Tageszeitung „Österreich“, in dem er sein Printprodukt als „Qualitätspresse“ bezeichnet. Für Medienjournalisten und Wissenschaftler ist diese Selbsteinschätzung jedoch nicht belegbar.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Journalismus und die Systemtheorie
2.2 Funktionen der politischen Berichterstattung
2.3 Strukturen der modernen politischen Kommunikation
2.3.1 Funktionenverschiebung zwischen Journalismus und Politik
2.3.2 Mediendemokratie oder die Medialisierung der Politik
2.3.3 Konkurrenz am Markt
2.4 Zur Selektion von Nachrichten - Nachrichtenwerte
3 Forschungsfragen
4 Hauptteil/Argumentation
4.1 Begrifflichkeiten - Mediengattungen
4.2 Empirische Indikatoren der Qualitätsspresse
4.3 Qualitätsmedien – Was sagt die Systemtheorie?
4.4 Österreichische Qualitätsmedien – Verdiente Bezeichnung?
4.5 Medienwandel – aktuelle Herausforderungen der politischen Kommunikation
4.5.1 Wandel des Systems
4.5.2 Wandel der Formate (Hybridisierung)
4.5.3 Wandel der Inhalte
5 Schlussbetrachtung - Perspektiven – Diskussion
6 Literaturverzeichnis
7 Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
„Die Begriffe Qualitätsmedien, Qualiätspresse, quality press oder quality paper werden allerdings sehr selten definiert, wenn sie in der wissenschaftlichen Forschung gebraucht werden“ (Blum, 2011. S.9) Dieses Zitat beschreibt ein Problem der mangelnden Reflexion über gefestigte Beschreibungen, das nicht nur die Wissenschaft betrifft. Gleich zu Beginn des Studiums der Publizistik –und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien wird den Studierenden die traditionelle Unterscheidung zwischen Qualitäts- und Boulevardpresse bestätigt. Dabei wird auf unterschiedliche Formate, Inhalte und Leserschaft verwiesen. Gepaart mit der Selbstbeschreibung der einzelnen Medien haben sich unter den Studierenden und auch in der Alltagssprache „Die Presse“ und „Der Standard“ als überregionale Qualitätspresse durchgesetzt. Der Rest der überregionalen Tagespresse wird als Boulevard bezeichnet („Kronen Zeitung“, „Österreich“[1] ). In der Publizistik gilt der „Kurier“ als Mid-Market Paper, einer Mischung von Elementen aus der Qualitäts- und Boulevardpresse. Diese Einteilung sich nicht nur alltagssprachlich gefestigt, sondern wird auch in der wissenschaftlichen Praxis selten hinterfragt.
Im Zuge des „Medienwandels“ und der aktuellen finanziellen Herausforderungen[2] verändern dich auch Strukturen und Inhalte der Tagespresse (nicht nur) in Österreich. Immer öfter ist von Hybridmedien die Rede, was als ein Zeichen gesehen werden kann, dass eine Einteilung in Qualität -und Boulevardpresse immer schwerer fällt. Auch wenn sich Tageszeitungen wie „Die Presse“ oder „Der Standard“ selbst gerne weiterhin als Qualitätsmedien sehen, stellt sich die Frage sie den Anspruch heute tatsächlich erfüllen. Die Problematik sieht man auch an einer Aussage[3] von Wolfgang Fellner, dem Herausgeber der Tageszeitung „Österreich“, in dem er sein Printprodukt als „Qualitätspresse“ bezeichnet. Für Medienjournalisten und Wissenschaftler ist diese Selbsteinschätzung jedoch nicht belegbar. Diese Bakkalaureats Arbeit widmet sich der Fragestellung, ob Selbstzuschreibungen und normative Beschreibungen bzw. Leistungen, die (Qualitäts)medien als Vierte Gewalt im Staat erfüllen sollten, auseinanderklaffen. Vor welchen Herausforderungen stehen Zeitungen heute und ist es, überspitzt formuliert, überhaupt noch legitim von Qualitätspresse zu sprechen? Diese Arbeit soll einen Beitrag zur Diskussion über Abgrenzung und den Wandel von Qualitätspresse leisten.
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Journalismus und die Systemtheorie
System Massenmedien nach Luhmann
Um den Vergleich und Abgrenzung geht es auch in der Systemtheorie von dem Soziologen Niklas Luhmann. Es handelt sich dabei um eine überdisziplinäre Gesellschaftstheorie, die viele kleinere Fragestellungen auf Mikro- bis Mesoebene einschließt. Luhmann geht vom Allgemeinen ins Spezielle, zuerst begründet er den Begriff „System“, das die Gesellschaft in einem Ganzen fasst und dann erst analysiert er gesellschaftliche Teilbereiche wie das System „Massenmedien“. Alle Teilsysteme müssen jedoch immer im Kontext der großen Gesellschaftstheorie gesehen werden. Seine Systemtheorie findet in den Publizistik und Kommunikationswissenschaften großen Zuspruch.
Massenmedien beobachten und beschreiben, sie konstruieren also Realität. Nachrichten und Berichte bilden die Wirklichkeit nicht ab, sie sind das Ergebnis bestimmter Entscheidungsprozesse (Berghaus, 2011. S.196). Jedes System kann nur durch Beobachten bzw. Unterscheiden die Welt zu erkennen. Das machen Massenmedien, Politik, Wirtschaft oder auch psychische Systeme (das psychische System entspricht einem Menschen in einer bestimmten Rolle). Dabei ist mit „Erkennen der Realität“ immer nur die Realität für das bestimmte System gemeint. Der „Konstruktivität der Produktion“ (Weber, 1995. S.114) durch Journalisten folgt dann auf der anderen Seite die „Konstruktivität der Rezeption“ (ebenda). Auch das Lesen von Berichten ist wieder eine individuelle Wahrnehmung und bildet nicht die Wirklichkeit ab. In dieser Arbeit wird jedoch fast vollständig auf die Beschreibung der Seite der Rezipienten und Rezipientinnen verzichtet. Fokus liegt auf der Beschreibung von Medien, ihren Anschluss an das System Politik, ihren Aufgaben und Funktionen. In dem Zusammenhang mit der Produktion von Medieninhalten spricht Luhmann von einer „Realität zweiter Ordnung“ oder einer „Realitätsverdopplung“ (Luhmann, 1996. S15).
Bei Luhmann ist mit dem Begriff Massenmedien „alle Einrichtungen der Gesellschaft erfaßt werden, die sich der Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen. (…) Bücher, Zeitschriften, Zeitungen (…)“ (Luhmann, 1996. S. 10). In der heutigen Ansicht und in einer kommunikationswissenschaftlichen Abhandlung handelt es sich bei dem Begriff Massenmedien um publizistische Medien und nicht um reine technische Medien.
In der Systemtheorie kann zwischen verschiedenen Ebenen differenziert werden. So können die Ebenen Interaktion (Mediennutzer), Organisation (Redaktionssystem) und Gesellschaft (Mediensystem) unterschieden werden. Dabei sorgen Redaktionssystem und Medienangebote für die mediale Konstruktion von Wirklichkeit und das Mediensystem oder auch System „Massenmedien für die soziale Konstruktion von Wirklichkeit“ (Weber, 1995. S.115).
Medien als Soziale Systeme
„Massenmedien“ oder auch „Journalismus“ sind soziale Systeme und wie jedes soziales System hat es wichtige Funktionen für die Selbstbeobachtung der Gesellschaft (Berghaus, 2011, S. 170-174). Einen guten Überblick liefert Weber in seinem Buch zur Nachrichtenkonstruktion von Boulevardmedien. Aus Sicht der konstruktivistischen Systemtheorie werden in dem Sozialen System Journalisten als „Rollen in Systemen“, die journalistische Tätigkeit als „Aktiver Konstrukteur“ und die Nachrichten als „Konstruktion“ gesehen (Weber, 1995. S.106).
Rühl, ein kommunikationswissenschaftlicher Vertreter der Systemtheorie, sieht die Zeitungredaktion als System, dass, wie alle anderen Systeme auch, die Aufgabe hat Umweltkomplexität zu reduzieren. Nach der systemtheoretischen Redaktionsforschung werden dazu Subsysteme gebildet, die gewissermaßen den Ressorts entsprechen, um für das jeweils passende Umweltsystem (Politik, Wirtschaft...) die Anschlusskommunikation ermöglichen. Er beschreibt das System als Handlungssystem folgendermaßen:
Die Redaktion besteht nicht aus Personen. Als funktionales Handlungssystem beruht sie auf menschlichem Handeln, so daß nicht kurzgeschlossen werden kann, daß individuelle Akteure als Gesamtpersonen Bestandteil der Zeitungsredaktion werden. Als Handlungssystem „besteht“ die Redaktion grundsätzlich aus Handlungen und nicht aus Menschen schlechthin. (Rühl, 1979. S. 70, zit nach Weber, 1995. S.105)
Zur Abgrenzungen der verschiedenen Denktraditionen in der Systemtheorie[4]: Der Bestand eines Systems kann nicht das Mittel für einen Systemzweck sein. Das ist einer von mehreren Kritikpunkten Luhmanns an der ontologischen Denktradition, in „der ein System noch aus Einheiten, die durch die Beziehung untereinander verbunden werden“ (Burkart, 2002.S.379). Die ersten Systemtheoretischen Gedankenkonstruktionen kann man unter der „Allgemeinen Systemtheorie“ zusammenfassen. Wenn aktuell in der Kommunikationswissenschaft von Systemtheorie gesprochen wird, ist damit das struktural-funktionale Verständnis gemeint. Dabei gibt es mehrere Gemeinsamkeiten, denn auch das Grundanliegen in der strukturell-funktionalen Systemtheorie ist auf die „Bestandserhaltung und Regulierung ausgerichtet“. Dabei ist nicht der Bestand Mittel für den Zweck, sondern dass dem System „bestimmte Überlebensbedingungen innewohnen“, das heißt die Erhaltung der wesentlichen Merkmalen (also der Funktionen[5] ), an denen das System erkennbar und identifizierbar ist. (Burkart, ebenda/ Rühl, 1969. S.185-189).
Massenmedien – Ein autopoietisches System
„Die Grenzen sozialer Systeme (…) lassen sich nur als Sinngrenzen begreifen, als Elemente eines Bestandes von Informationen, deren Aktualisierung auslöst, dass Informationen nach bestimmten systemimmanenten Regeln behandelt werden. Dies bedeutet: Die Regeln, die in einem System gelten, legen die Grenzen des Systems fest. Folglich werden die Grenzen des Systems der Massenkommunikation von den Regeln für die journalistische Berichterstattung bestimmt und sie ändern sich mit diesen Regeln.“ (Kepplinger, 2009. S.9).
Systeme sind nach innen geschlossen, das heißt sie operieren autopoetisch. Autopoiesis ist ein wichtiges Basismerkmal der Systemtheorie. Es besagt, dass die jeweiligen Systeme sich selbst produzieren und reproduzieren (Luhmann, 1997. S.56- 97). Ein System ist dabei immer die Differenz zur Umwelt, sie stellt quasi die „Außenseite“ des Systems dar und kann nur „systemrelativ“ sein. Also „ist die Umwelt auch für jedes System etwas anderes, nämlich jeweils das außerhalb des Systems Bestehende aus der Sicht des Systems selbst“ (Berghaus, 2011. S. 41).
Strukturelle Kopplungen
Kepplinger (2009, S.11) beschreibt das System Massenmedien durch die Konstitution der beiden Medientypen Prestige Medien[6] und Popularmedien. Trotz des „gravierenden Unterschieds“ des Adressatenkreises bilden alle Massenmedien ein System, das System Massenmedien. Dabei muss festgehalten werden, dass es „keine fest Rangordnung oder Hierarchie der Teilfunktionen und Teilsysteme der Gesellschaft gibt und insbesondere keine Repräsentation des Ganzen durch eines seiner Teile“ (Marcinkowski/Bruns, 2004. S.488).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Massenmedien – Ein Funktionssystem auf drei Säulen mit strukturellen Kopplungen zur Umwelt: einerseits zu anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen, andererseits zu anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen, andererseits zum Publikum (Berghaus, 2011. S. 241)
In dieser Arbeit geht es vor allem um politische Themen in den verschiedenen Mediengattungen. Politische Kommunikation beschäftigt sich mit den Systemen Politik und Massenmedien und deren gegenseitige Beeinflussung. Das System Journalismus wird dabei als Handlungssystem verstanden und hat wie jedes System bestimmte Funktionen (mehr zu „Funktionen politischer Kommunikation“ unter Kapitel 2.2), in dessen „Erfüllung sie unterschiedlichen Anteil“ (Kepplinger, 2009. S.11) haben. Luhmann nennt die Verbindung eines Systems mit seiner Umwelt strukturelle Kopplung. „Da die Umwelt der Massenmedien sehr differenziert ist“, ist eine Ausdifferenzierung in Programmebenen nötig. Programmebene ist In der Makroebene heißt das, dass Nachrichten und Berichte vor allem an das Politische System gekoppelt sind (Berghaus, 2009. S. 240-241). Bei der Mikroebene geht es um Menschen bzw. um ihre psychischen Systeme als „Leser“, „Hörer“, „Zuschauer“, „Mediennutzer (Berghaus, 2009. ebenda). Das führt zu einer Doppelstruktur der Medien: Wenn man an der (politischen) Kommunikation teilhaben will, muss man die Themen kennen. „Die kognitive Seite ist verbindlich, die Einstellungsseite ist frei.“ (Berghaus, 2011. S. 245)
Luhmann-Habermas-Kontroverse
Bei bestimmten Begrifflichkeiten wie „System“ oder „Kommunikation“ haben in der Systemtheorie von Luhmann andere Bedeutungen, als im Verständnis von Habermas. Die beiden Soziologen haben für die Kommunikationswissenschaft bedeutende Werke und gedankliche Grundlagen geschaffen und stellen zwei unterschiedliche Denktraditionen dar. Luhmann sieht sich dabei als Außenstehender Beobachter, beispielsweise als Beobachter von Massenmedien, die wiederum die Gesellschaft beobachten. Der Mensch steht dabei nicht im Mittelpunkt. Während Luhmann also beobachtet, arbeitet Habermas eher subjektbezogen, ideologiekritische Positionen sind bei ihm nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht. Begriffe wie Kritik und Moral sind nicht nur in seinem Hauptwerk „Die Theorie des Kommunikativen Handelns“, sondern auch in den anderen Werken wichtig[7] (Berghaus, 2011. 20-21/ Luhmann, 1997). Berghaus (2011, ebenda) hat die Gegenüberstellung von „System“ der beiden Theoretiker folgendermaßen formuliert: „Unübersehbar ist Habermas von Luhmann beeinflusst, er integriert den System-Begriff in sein Hauptwerk „Theorie des kommunikativen Handelns“ (1981), allerdings beschränkt auf gesellschaftliche Teilbereiche, (...) die von ihm kritisch beurteilten „Systeme“ Wirtschaft und Politik in Abgrenzung zu einer positiv bewerteten „Lebenswelt“[8]. Luhmann dagegen versteht die gesamte Gesellschaft, alle Teilbereiche und Interaktionen als Systeme.
Es gibt einige Ansätze, die versuchen beide Gedankenströmungen zusammenzufassen und zu verbinden. So betrachtet zum Beispiel Klaus Arnold (2008. S. 489-499) in seinem integrativen Konzept zu Qualität im Journalismus sowohl die systemtheoretischen, als auch die ethisch-normative Perspektive. Um mehrere Zugänge ebenfalls einheitlich hier einfließen zu lassen, zu diskutieren oder zu verbinden, fehlt jedoch der nötige Rahmen. Diese Arbeit konzentriert sich im theoretischen Teil auf den strukturell-funktionalen Zugang bzw. dessen Erweiterungen.
2.2 Funktionen der politischen Berichterstattung
Der Funktionsbegriff wird in der kommunikationswissenschaftlichen Forschungspraxis häufig verwendet. So sieht Burkart in seinem Grundlagenwerk (2002. S.379) die Weise, in der er verwendet wird, als problematisch an. Denn „die systemtheoretische Perspektive – aus deren Kontext der Funktionsbegriff stammt – ist nicht immer der Horizont, innerhalb dessen sich die jeweilige Argumentation bewegt“, eine Nähe sei dennoch festzustellen. (Burkart, 2002. ebenda).
In diesem Zusammenhang unterscheidet die Systemtheorie zwischen funktionalen und dysfunktionalen Anpassungen an ein anderes System bzw. an die Umwelt des beobachteten Systems, die die Leistungen darstellen sollen. Dabei gilt es immer das soziale System auf ein bestimmtes anderes soziales System zu beziehen. Ein und derselbe Sachverhalt kann funktionale und dysfunktionale Leistungen erbringen oder auch beide gleichzeitig, deshalb gilt es immer zuerst den Bezugsrahmen des Systems zu definieren (Burkart. S.381-385). In dieser Arbeit ist es fürs erste „Massenmedien[9] “ oder „Journalismus“ und „Politik“.
Die allgemeinen Leistungen des Systems „Massenmedien“ an dem gesellschaftlichen System ist die „Informationsfunktion“, die anderen Leistungen sind jeweils auf das Bezugssystem zu unterscheiden. Funktionen dienen dem System sich eine zentrale Bedeutung in der Gesellschaft zu sichern. Kepplinger plädiert für die Systemtheorie von Luhmann bei der Bestimmung die politischen Funktionen von Massenmedien, weil diese sie „umfassender, wenn auch allgemeiner bestimmen“ kann. Massenmedien haben hier als System die Funktion Öffentlichkeit herzustellen, Themen zu definieren und Entscheidungen zu strukturieren. Das sei nicht nur für das System Politik und das der „politischen Willensbildung“[10] relevant, sondern beeinflusst auch andere Systeme. Produktionsgemeinschaften aus PR und Journalismus erzeugen dabei ein Bild, das bei uns als Politik in den Medien ankommt. Dabei beeinflussen auch die anderen Systeme umgekehrt das System Massenmedien (Arnold, 2008. S. 493/ Jarren/Donges, S.26 / Kepplinger, 2009. S.11). Eine beliebtes Forschungsgebiet ist die Verschmelzung von Medien und politischer Öffentlichkeitsarbeit, das funktional im Sinne der Anschlussfähigkeit der Systeme Politik und Journalismus und dysfunktional in Bezug auf die Trennung der Systemfunktionen sein kann. „Aus dem Zwang zur gegenseitigen Anpassung und der gegenseitigen Abhängigkeit entwickelt sich ein gemeinsames Milieu zwischen Politikern und Journalisten. Die Kontaktintensivität ist ziemlich hoch“ (Plasser/Lengauer,2010. S.72).
Burkart (2002. S.382) fasst die Funktionen des Systems „Massenmedien“ auf das Politische System aus mehreren Quellen zusammen, was auch ungefähr den „politischen Funktionen von Massenmedien“ von Kepplinger entspricht. Neben der Herstellung von Öffentlichkeit, der Artikulationsfunktion und der politischen Sozialisations- bzw. Bildungsfunktion dient das System Massenmedien auch der Kritik und Kontrollfunktion. Auch Pöttker sieht 1998 nach Arnold (2008. S. 491) die Herstellung von Öffentlichkeit als Aufgabe des Journalismus an, denn damit sichere er die Möglichkeit der Partizipation am gesellschaftlichen Ganzen. Arnold nennt weitere Vorschläge unterschiedlicher Forscher zu den Aufgaben des Systems Journalismus.
Zentrale Funktion der Medien ist es außerdem aktuelle Themen[11] aus der Politik (oder aus anderen Teilsystemen der Gesellschaft) „zu sammeln, auszuwählen zu bearbeiten und dann diesen Systemen als Medienangebote zu Verfügung zu stellen, um so eine möglichst anschlussfähige Selbstbeobachtung der Gesellschaft zu ermöglichen“ (Arnold 2008. S. 491-493). Es gibt in der systemtheoretischen Theoriediskussion mehrere Funktionen für den Journalismus in Bezug auf die Gesellschaft, die hier angeführten Funktionen kommen in mehreren Quellen vor, sie sind jedoch nicht als vollständig anzusehen. Eine Auswahl soll dann mit FF2 genauer beschrieben werden.
2.3 Strukturen der modernen politischen Kommunikation
2.3.1 Funktionenverschiebung zwischen Journalismus und Politik
Zur Politikvermittlung durch Medien gibt es unterschiedliche Ansätze. Kepplinger geht in seinem Buch „Politikvermittlung“ (2009) von einem systemtheoretischen Ansatz aus und analysiert dabei aus dieser Sicht die Verhältnisse zwischen Politik und Medien, auch mit empirischen Studien. So sei die Fähigkeit der Parteien sich eigenständig an das Wahlvolk zu wenden geringer geworden, der Einfluss auf die Besetzung von Führungspositionen in allen Bereichen des Gesellschaftssystem jedoch gewachsen. Das bedeutet eine Funktionsverschiebung und auch Funktionentrennung herausgebildet: Die Politik entscheidet über die Auswahl von Personen, die Massenmedien über die Auswahl von Themen (Kepplinger, 2009. S.14).
Lengauer, der vor allem empirische Ergebnisse in „Postmoderner Nachrichtenlogik“ (2007) vorstellt, geht von einem demokratie-theoretischen Ansatz aus. Institutionalisierte Kommunikationsformen wie z.B. Nachrichtensendungen strukturieren das Weltgeschehen und bestimmen so mit „welche Sachverhalte zum Gegenstand der öffentlichen Agenda werden und welche ausgeblendet werden“ (Lengauer, 2009. S.19).
Beide bemerken eine Anpassung der Logik des politischen Systems an die Medienlogik und sind sich, unabhängig ihrer theoretischen Grundlagen in einem Logik bzw. Funktionenwandel einig.
2.3.2 Mediendemokratie oder die Medialisierung der Politik
Es kommt so zu einem Übergang von einer traditionellen Parteien-Demokratie hin zu einer Medien-Demokratie. „Mediale Kommunikation wird zum Grundstein politischer Legitimität“ (Lengauer, 2009. S.21). Als Indizien einer Mediendemokratie zählt Lengauer mehrere Indizien auf:
- Massenmedien fungieren zunehmend als politisches Forum
- Professionalisierung des politischen Marketings
- Einsatz professioneller Meinungsforschung
- Politische Inszenierung von kameragerechten Pseudo Ereignissen[12]
- Kapitalintensive Formen der politischen PR und Werbung
- Verstärkte Personalisierung der Kampagnen-Planung
- „Negative Campaigning“[13]
Diese Auswahl einer Reihe von Merkmalen einer Mediendemokratie zeigt, inwiefern sich die Politik der Medienwelt anpasst. Diese Indizien führen auch zu Dominanzkonflikten zwischen den politischen und redaktionellen Eliten über die politische Tagesordnung (Lengauer, 2009. S.22).
Er selbst sieht „Personalisierung“, „De-Thematisierung“, „Entpolitisierung“, Entideolisierung“, den „konfrontativen Negativismus“ und die „journalistische Autonomisierung und Interpretivität“ als die Identifikationsmerkmale des politischen Journalismus in medienzentrierten Demokratien (Lengauer, 2009. S.26). Auf diese Begriffe soll im Hauptteil noch einmal eingegangen werden.
2.3.3 Konkurrenz am Markt
Wir befinden uns momentan in einer verstärkten Konkurrenzsituation, darin sind sich Kommunikationswissenschaftler und Medienmacher einig. Technologische und ökonomische Expansionstendenzen, gesetzliche Deregulierungen und „damit einhergehende Kommerzialisierungstendenzen zeichnen (…) eine Multimedia-Informationsgesellschaft aus, in der sich die Konkurrenz um das verknappte Gut „Öffentliche Aufmerksamkeit“ härter darstellt“ (Plasser/Lengauer, 2010. S.21). Eine Intensivierung der Konkurrenz durch Hinzukommen neuer Medien und Anbieter und den damit verbundenen Kommerzialisierungsdruck sieht auch Klaus Arnold (2008. S. 490).
Auch Habermas sieht eine wachsende Marktorientierung der Qualitätspresse, wenn auch mit einer theoretisch anderen Begründung. Die Finanzierungsgrundlage wandle sich weg von kulturell eingebundenen hin zu anonymen Kapital Dadurch wird die publizistische Leistung stärker dem ökonomischen Erwartungsdruck ausgesetzt. (Habermas, 2007. Zit. nach Udris/Lucht, 2009. S.18)
Welche Auswirkungen die sich verändernden Strukturen der Politischen Kommunikation bzw. der verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen haben, wird in Kapitel 5.5. genauer diskutiert. Dabei betreffen diese Veränderungen keineswegs nur das österreichische Mediensystem. Strukturelle Veränderungen sind „eingebettet in Transformationen, die eine größere Zahl von Mediensystemen betreffen“ (Udris/Lucht, 2009. S.18).
2.4 Zur Selektion von Nachrichten - Nachrichtenwerte
Eine weit verbreitete Tradition in der Kommunikationsforschung ist die Nachrichtenwert-Theorie. Bestimmte Nachrichtenfaktoren gelten dabei als Kriterien der Nachrichtenselektion –und Verarbeitung. Auch im Sinne der Systemtheorie hat diese Theorie eine Bedeutung, denn einer Auswahl geht eine Entscheidung und Differenzierung voraus. So beschreibt Arnold die Theorie als „ein Selektionsprogramm, das der Journalismus selbst entwickelt hat“ (2008. S.494). Lengauer geht sogar davon aus, dass Nachrichtenfaktoren „allgemeine Gültigkeit besitzen“ (2009. S.24).
Dabei orientieren sich die Faktoren an den Interessen und Wünschen des Publikums. Der Nachrichtenwert wird hier auch als „Publikumswürdigkeit“ bezeichnet, was eindeutig auf die Publikumsorientierung hinweist (Burkart, 2002. S.279). Mehrere Wissenschaftler haben Nachrichtenfaktoren ausgemacht, aufgestellt und weitereinwickelt. Meist wird dabei auf Schulz zurückgegriffen, er definierte 18 Nachrichtenfaktoren, die unter sechs Faktorendimensionen zusammengefasst wurden (Schulz, 1976. S. 30-32/ Burkart, 2002. S.281):
- Zeit: Punktuelle Ereignisse haben einen höheren Nachrichtenwert, als Ereignisse, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Ereignisse, die jedoch schon einmal in der Berichterstattung etabliert wurden, haben hingegen auch als längerfristiges Ereignis einen höheren Nachrichtenwert.
- Nähe: Mit Nähe ist räumliche, politische und kulturelle Nähe des Ereignisses oder des Ereignislandes zum Redaktionssitz gemeint. Das erklärt beispielsweise den hohen Wert der Berichterstattung über die USA und den niedrigen über Südamerika. Wirtschaftliche Beziehungen zum Ereignisland werden ebenfalls berücksichtigt. Hier ist auch der Begriff „Relevanz“ einzuordnen. Ein höherer Grad an Betroffenheit vom Ereignis der Menschen im eigenen Land führt zu einem höheren Nachrichtenwert. Wenn es um die Berichterstattung über eine Naturkatastrophe im Ausland geht, wird auch über die Anzahl und das Wohlbefinden der Menschen aus dem eigenen Land berichtet.
- Status: In Bezug auf politische Meldungen geht es hier vor allem um „persönlichen Einfluss“ in Bezug auf die politische Macht der beteiligten Personen und um das Grad der politisch-ökonomischen Bedeutung der Ereignisregion bzw. der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen oder militärischen Macht des Ereignislandes.
- Dynamik: Hier sind die weiteren Nachrichtenfaktoren „Überraschung“ und „Struktur“ einzuordnen. Überschaubare Ereignisse werden komplexen Sachverhalten vorgezogen.
- Valenz: „Konflikt“, gemessen als Grad der politischen Aggressivität, „Kriminalität“, der Personen-, Sach- oder Finanzielle „Schaden“ oder Misserfolg bilden gemeinsam mit dem Nachrichtenwert „Erfolg“ im Sinne des Fortschritts den Faktor „Valenz“.
- I dentifikation: Bei der Identifikation geht es um „Personalisierung“ und „Ethnozentrismus“.
Dabei sieht Schulz in den aufgelisteten Indikatoren oder Faktoren nicht Merkmale der Ereignisse selbst, sondern versteht sie „als journalistische Hypothesen“ (ebenda). Die Merkmale sind den Ereignissen nicht angehaftet, sondern erst die Medien konstruieren sie erst. Sie sind journalistische Praxis und es geht dabei darum, Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen und die journalistische Arbeit mit Regeln und Vereinfachungen zu durchziehen.
Eine Vielzahl von empirischen Befunden belegte die Erklärungsmacht von Nachrichtenfaktoren und den generellen Einfluss, den sie auf die Selektionsentscheidungen von Journalisten besitzen (Burkart, 2002. S.283). Auch wenn diesen Kriterien keine systemtheoretischen Prinzipien zu Grunde liegen, ist dieser Gedanke von Schulz mit Luhmann insofern zu vereinbaren, als Massenmedien eine eigene Wirklichkeit kreieren. Sie sind also, wie schon zu Beginn angemerkt, Beobachter.
In Bezug auf die oben angeführten Nachrichtenwerte, sollten Qualitätszeitungen sich teilweise nicht diesen angegebenen Selektionskriterien richten, weil sie auch Leistungen in Bezug auf das politische System zu erfüllen haben.
In der Systemtheorie unterscheidet jedes Subsystem in einem eigenen Code, nach dem sich die Selektion richtet, das ist der Maßstab für Brauchbarkeit. Im System Massenmedien nach Luhmann ist das die Unterscheidung in „Information“ und „Nicht-Information“. „Der Code des Systems der Massenmedien ist die Unterscheidung von Information und Nicht-Information. Mit Information kann das System arbeiten“ (Luhmann, 1996. S.36). Das ist die Leitdifferenz der Medien, es ist ihre Entscheidung, was sie als Beobachter als Information wahrnehmen und was nicht.
Arnold bezeichnet nach Scholl und Weischenberg „relevant“ und „irrelevant“ als Leitcode für Journalismus, weil er als zentrale Funktion die „Orientierung“ sieht. So sei „aktuelle Orientierung für die Akteure in der modernen Gesellschaft möglich“ (Arnold, 2008. S.493). Denn die Hauptleistung des Teilsystem Journalismus ist es eine anschlussfähige Selbstbeobachtung der Gesellschaft zu ermöglichen, was am einfachsten mit kollektiver Zuwendung oder persönlicher Betroffenheit zu erreichen ist. Welche Leistungen der Journalismus in Bezug auf das Teilsystem Politik erbringen muss, ist einmal grob umfasst. Doch auch bei dem spezifischen Leitcode, der sich von Perspektive zu Perspektive und von Teilsystem zu Teilsystem unterscheidet, muss noch beschrieben werden.
3 Forschungsfragen
„Entsprechen die Österreichischen Tageszeitungen ihrer Selbstbeschreibung, wenn sie sich das Siegel „Qualität“ aushängen?“, das war der Gedanke, der dieser Arbeit zugrunde liegt. Von diesem Ausgangspunkt und den dargestellten theoretischen Grundlagen lassen sich drei Forschungsfragen formulieren, die im Zuge dieser Abhandlung so gut wie möglich beantwortet werden sollen:
FF1: Welche Funktionen für die Gesellschaft bzw. für das Politische System haben Qualitätsmedien?
FF2: Gibt es in Österreich überregionale Tageszeitungen, die dem Anspruch eines Qualitätsmediums entsprechen?
FF3: Gibt es den Trend einer Entpolitisierung in der Berichterstattung bei (Österreichischen) Tageszeitungen?
Die erste Forschungsfrage ergibt sich aus der systemtheoretischen Diskussion zu den Funktionen der Medien. Sie geht der Frage nach, wie sich die Teilfunktionen der Qualitätsmedien für die Gesellschaft beschreiben lassen und ob sie eine besondere Funktion in Bezug auf das System Politik haben.
Die zweite Forschungsfrage widmet sich dem österreichischen Printmedienmarkt und geht der provokanten Frage nach, ob das Aushängeschild von „Standard“ und „Presse“ auch tatsächlich mit ihren Inhalten vereinbar ist, vor allem in Bezug auf die politische Berichterstattung.
Und die letzte Frage widmet sich den Tendenzen und Trends der Printmedien in Österreich bzw. auch in anderen Ländern. In dem Teil der Arbeit wird eine Reihe von Phänomenen wie die Boulevardisierung, Amerikanisierung oder Ent-Politisierung in der Berichterstattung betrachtet und mit aktuellen Studien untersucht.
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Literaturarbeit, die die oben gestellten Fragen versucht durch, die zu dem Thema vorhandene wissenschaftliche Arbeiten aus Theorie und Empirie, zu beantworten. Dabei ist nicht zu leugnen, dass vor Beginn der Arbeit eine Art gedankliche Hypothese vorhanden war, die sich danach nach ausführlicher Literaturrecherche in Forschungsfragen gefestigt hat.
4 Hauptteil/Argumentation
Die Forschungsfragen sollen in diesem Kapitel nacheinander abgehandelt werden und, wenn möglich, beantwortet werden. Dabei wird versucht die unterschiedlichen Begriffe für diese Arbeit so sinnvoll wie möglich einzuordnen und abzugrenzen, basierend auf aktuellen Debatten, empirischen Studien und einer theoretischen Einordnung. Die Begründungen sollen nachvollziehbar dargestellt werden.
4.1 Begrifflichkeiten - Mediengattungen
Dabei ist klar, dass es niemals eine endgültige Definition für viele Begriffe, wie für die der „Qualitätsmedien“ geben kann. Doch um die Unterschiede der Themen und Nachrichtenwerte bei Boulevard und Qualitätsmedien herauszuarbeiten, ist es vorerst notwendig die Begrifflichkeiten dieser so weit wie möglich zu klären bzw. die Merkmale dieser Mediengattungen. Dabei werden die Beschreibungen hier nicht aus der Systemtheorie abgeleitet, sondern es werden unterschiedliche Quellen mit theoretischen Inhalten und empirischen Untersuchungen zu dem Thema verwertet[14].
Leitmedien und Prestigemedien
„Wenn wir die Leuchttürme öffentlicher Kommunikation ansprechen, dann meinen wir Medien, die herausragen und ausstrahlen und denen eine Leitfunktion zukommt“ (Blum, 2011, S.7). In seinem Einleitungstext zu dem Buch „Leuchttürme Öffentlicher Kommunikation“ beschreibt Roger Blum den Begriff „Leitmedien“ und deren Bedeutung. Hauptmerkmal so genannter „Leitmedien“ ist das zugeordnete Publikum. Entscheidungsträger und andere Journalisten orientieren sich an den Produkten dieser Mediengattung. Außerdem geben sie die Tagesthemen an, sie „leiten“ oder geben also den Themenblock eines Tages oder einer Woche an. Kepplinger (2009. S.11-12) geht dabei weiter auf die Reichweite der Prestige-Medien[15] ein. Die Position innerhalb des Mediensystems sei dabei von zentraler Bedeutung, denn indem „sie die Themen und Gesichtspunkte der Berichterstattung wesentlich bestimmen, erreichen sie ein Publikum, das weit über den Kreis ihrer Rezipienten hinausreicht. Dadurch vergrößern sie die Reichweite ihrer Berichterstattung und überspringen zugleich die Selektionsmechanismen aufseiten der Rezipienten“. Außerdem steigt durch eine einflussreiche (Elite-)Leserschaft der Einfluss auch auf politische Entscheidungen. Laut Kepplinger gibt es jedoch auch mehrere empirische Ergebnisse, die zeigen, dass der große Einfluss von Prestige-Medien auch auf den personalen Beziehungen zwischen den verschiedenen Eliten beruht. „Damit wird die allgemein verbreitete Vorstellung fragwürdig, dass der politische Einfluss der Massenmedien vor allem von der Zahl ihrer Leser, Hörer oder Zuschauer und damit ihrer Reichweite abhängt. Der Einfluss der Prestige-Medien auf die politischen Eliten beruht vor allem auf zwei Faktoren: Der Struktur ihrer Leserschaft und der vermittelten Reichweite“ (Kepplinger, 2009. S.12).
Nach dieser Definition von Leit-Medien müssten in Österreich fast alle Tageszeitungen als Elite-Medien bezeichnet werden, denn sowohl die „Kronen Zeitung“, als auch „Österreich“ und die Gratiszeitung „Heute“ haben personale Beziehungen vor allem in Politik, aber auch Wirtschaft. Auch kann man zu der Leserschaft dieser auch Entscheidungsträger zählen. Durch die besondere Situation in Österreich, auf die in Kapitel 5.5.1. noch genauer eingegangen wird, geben die, sich selbst so bezeichnende (überregionale) Qualitätszeitungen „Der Standard“ und „Die Presse“ nicht immer die Leitthemen an. Außerdem hat die starke Konkurrenz aus dem deutschsprachigen Raum auch einen gewissen (wenn nicht sogar starken) Einfluss auf die anleitenden (politischen) Themen.
Qualitätsmedien
Der Begriff „Qualitätsmedien“ bezieht sich, wie der Name schon sagt, in der Regel auf alle Medien, also auch auf journalistische Produkte von Rundfunk und aus dem Onlinebereich. In dieser Arbeit sollen die Beschreibungen auf überregionale Tageszeitungen bezogen werden, auch wenn es in der Literatur nicht immer differenziert wird. Meist ist dies auch nicht notwendig, weil es um allgemeine Beschreibungen geht. Das Buch „Leuchttürme Öffentlicher Kommunikation“ behandelt wichtige Fragen zu dem Thema Qualitätsmedien und ist für die Fragestellungen dieser Arbeit eine unverzichtbare aktuelle Quelle. Auf diese Frage was Qualitätsmedien heute überhaupt ausmachen bietet das Buch mehrere Antworten aus verschiedenen Perspektiven.
„Was also macht Qualitätsmedien zu Qualitätsmedien? Es sind spezifische Eigenschaften, die sowohl für die Qualitätspresse wie für die öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanstalten gelten. Es sind Eigenschaften, die sich hauptsächlich aus dem Vergleich herauskristallisierten. Denn Qualitätspresse zu definieren war stets nur möglich, wenn sie sich abheben und abgrenzen konnte von der Boulevardpresse, der Schmutzpresse, den Revolverblättern.“ (Blum, 2011, S.9) Auch Ziel dieser Arbeit ist es nicht, den Pudding an die Wand zu nageln und Qualität definieren zu wollen. Und doch ist es wichtig die Qualitätsdebatte nicht unerwähnt zu lassen.
Arnold schreibt in seinem integrativen Konzept zu Qualität im Journalismus, dass der Qualitätsdiskurs den „wertend-normativen Ethikdiskurs, der sich seit Beginn der achtziger Jahre entfaltete, zwar nicht abgelöst, aber zumindest etwas zur Seite gedrängt“ hat (Arnold, 2008. S.289). Bis jetzt sei es jedoch noch nicht gelungen, die verschiedenen Ansätze der Qualitätsforschung zu einem übergreifenden Konzept zusammenzuführen. Dabei verweist der Qualitätsdiskurs mit drei Argumentationsmustern (Funktionen und Leistungen des Journalismus, philosophisch begründete ethische Normen und marktorientiere Publikumsperspektive) auf einen Strukturwandel im Medienbereich. Die Argumentationsmuster überschneiden sich in manchen Bereichen, wobei die marktorientierte Publikumsperspektive hauptsächlich auf ökonomischen Überlegungen fußt. Dabei ist Qualität im wirtschaftlichen Sinn am leichtesten zu messen, hierbei wird ganz allgemein ein Grad verstanden, in dem ein Gut bestimmten Anforderungen übereinstimmt (Arnold, 2008. S.490-491). Die funktional-systemorientierte Perspektive von Leistungen und Qualität soll unter Kapitel 5.2 genauer betrachtet werden. Eine Diskussion der möglichen Indikatoren von Qualitätspresse soll in Kapitel 4.2. abgehandelt werden.
Was ist Boulevard? Was ist Qualität? Zur Abgrenzungsdebatte
Dabei ist die Unterscheidung zwischen Boulevard und Qualität vielleicht einfacher wenn man bei der leichteren Definition anfängt. Zum Thema „Boulevard“ finden sich weit weniger breitgefächerte Meinungen und Definitionen, als zu dem schwierigen Wort der „Qualität“ in Bezug auf Medien und Berichterstattung. Schon 1970 definieren Koszyk und Pruys in ihrem Wörterbuch zur Publizistik Boulevardpresse als „jene Periodika, die (…) eine betont populärsensationelle Aufmachung (…) haben, den Leser (sic!) durch schockierende Stories ansprechen wollen (sex, crime, war) und sich häufig bewusst einer sehr direkten Ausdrucksweise bedienen, die nicht selten die Vulgärsprache zu übertreffen sucht, um Neugier, Sensationshunger und Nervenkitzel einer bei der Lektüre kaum verharrenden Leserschaft permanent zu wecken und zu befriedigen“. Boulevardjournalismus stellt dabei eine bestimmte Art journalistischen Handelns dar, dass nach eigenen Redaktionsprinzipien funktioniert und „einem Extrempol auf einer imaginären Qualitätsachse markiert“. Die Seite des „vulgär-populärem (Massen-)Journalismus (Dalinski, 2003. S.91-92). Wenn man bei dieser imaginären Skala bleibt, stellt sie den Gegenpol zu Leitmedien dar, die hauptsächlich von anderen Journalisten und Entscheidungsträger gelesen werden. Wobei sich, wie oben bereits kurz angesprochen, Leit –und Boulevardmedien in der Empirie nicht unbedingt ausschließen.
Dolinski beschreibt 2003 in ihrem Buch nicht Boulevardmedien an sich, sondern beschäftigt sich mit dem „äußersten Rand des populären Journalismus“, dem Sensationsjournalismus. Die idealtypischen Merkmale des Sensationsjournalismus helfen dabei jedoch auch den Boulevard einzuordnen und zu definieren. Dabei ist es einfach theoretisch die Unterschiede zwischen Sensationssjournalismus und Leitmedien zu ergründen.
Dabei sieht sie, entgegen einer verbreiteten Vorstellung, durchaus Potential in den Leistungen und Funktionen von Boulevardmedien als Vierte Gewalt. Ihre selbsternannte Vertretung des „kleinen Mannes“ kann durchaus auch ein Gegengewicht zu den Elite-Medien bringen. Doch dafür müssten sie „ ihren Informanten mit Respekt begegnen, die strukturellen Vorteile ihrer arbeitsteiligen Organisation und der damit zusammenhängenden schnelleren und intensiveren Recherchemöglichkeiten wirklich in den Dienst einfacher Menschen stellen, indem sie auch vor der Notwendigkeit einer adäquaten Vermittlung komplexer sozialer, gesellschaftlicher und letztlich auch politischer Zusammenhänge nicht die Augen verschließen“ (Dalinski, 2003. S.398).
4.2 Empirische Indikatoren der Qualitätsspresse
Genau das sind jedoch auch die Anforderungen an Qualitätsmedien. Um empirische Studien durchführen zu können und Qualität irgendwie doch messbar machen zu können, müssen Indikatoren-Kataloge erstellt werden. Sie weisen immer wieder auf bestimmte ethische, systemtheoretische oder rechtliche Grundlagen und ähneln sich dabei. Doch fällt jeder Wissenschaftler, jede Wissenschaftlerin bei der Auswahl eines solchen Katalogs im Vorfeld ein Urteil, denn „wenn wir bestimmten Medien eine Qualität zubilligen, die wir anderen absprechen, dann fällen wir ein normatives, ja moralisches Urteil“ (Blum, 2011. S.9).
In Bezug auf die oben angeführten Nachrichtenwerte, sollten Qualitätszeitungen sich nicht nur nach den angegebenen Werten selektieren. Laut Blöbaum (2011. S.53) verwenden Qualitätsmedien auch andere Nachrichtenwerte als Selektionskriterien bei der Themenwahl. „Sie verlassen sich vorranging auf eigene Kräfte (Korrespondenten, freie Mitarbeiter) bei der Sammlung von Informationen im In-uns Ausland“ (ebenda).
Udris und Lucht unterscheiden bei der Untersuchung der politischen Berichterstattung zwischen Medien, „sich fast ausschließlich mit öffentlich relevanten Fragen auseinandersetzen und über Vorgänge und Strukturen betreffend das politische und ökonomische System berichten“ und denjenigen, die „vorwiegend die private Lebenswelt thematisieren und statt politischer Beiträge überwiegend Sport, Skandale und Unterhaltung anbieten“ (2009, S.22-23).
Auch die Ressortstruktur zählt bei vielen Arbeiten als Indikator für Qualitätspresse. Bezogen auf den Politikteil wäre das beispielsweise eine Ausdifferenzierungen nach geografischen Gebieten (Udris/Lucht, 2009. S. 35).
Im Gegensatz dazu bedienen sich Boulevardzeitungen vermutlich häufiger negativistische Elemente als Qualitätszeitungen. So sieht Susanne Höke (2005) Negativismus als Nachrichtenfaktor für Boulevardzeitungen (Höke, 2005, S. 40).
Meier schlägt eine Aufzählung an journalistischen Qualitätskriterien nach zwei Dimensionen zu unterscheiden (Meier, 2007. S.227). Zum einen gibt es eine Dimension für Kriterien, die sich explizit auf journalistisches Handeln beziehen (Meier, 2007. S.227) Dazu gehören:
- Unabhängigkeit: Medienunternehmen und Redaktionen sollen jegliche Form der Beeinflussung vermeiden und bezahlte Inhalte – also Werbung- deutlich von der redaktionellen Berichterstattung trennen.
- Richtigkeit: Mit diesem Kriterium ist Faktentreue gemeint.
- Fairness: Meier bezieht sich hier auf die Qualität des Rechercheprozesses.
- Aktualität: Neuigkeit, Gegenwartsbezug und Schnelligkeit gehören zu diesem Kriterium.
- Originalität: Laut Meier ist damit gemeint, dass sich das jeweilige journalistische Produkt durch Eigenrecherche, Exklusivität und intellektuellem Anspruch auszeichnet.
- Interaktivität: Hiermit sind Mitwirkungsmöglichkeiten für das Publikum angesprochen.
- Transparenz: Die Offenlegung der Berichterstattung, sowie Quellenangabe und –kritik.
Zum anderen gibt es auf der auf das Produkt bezogenen Dimension folgende Kriterien (ebenda):
- Vielfalt: Das Kriterium der Vielfalt reicht von der Vielfalt des redaktionellen Gesamtangebots bis zur Vielfalt in einem einzelnen Beitrag.
- Unparteilichkeit: Meier spricht hier die Trennung von Nachricht und Kommentar an, sowie die Ausgewogenheit und Distanz zur Berichterstattung.
- Verständlichkeit: Sachgerechte Sprache, anschaulicher Stil, sowie ein klarer Aufbau.
- Sinnlichkeit: Meier erwähnt hier die Dramaturgie eines Beitrags, das Zusammenspiel von Text und Bild.
- Attraktivität: Die zielgruppengerechte Ansprache des Publikums, sowie die Herstellung von Aufmerksamkeit, passende Genrewahl, etc. gehört diesem Qualitätskriterium an.
- Nutzwert: Ähnlich wie bei der nutzerbezogen-handlungsorientierten Eben bei Arnold (2009. S.9) ist mit dem „Nutzwert“ die jeweilige Anwendbarkeit eines journalistischen Produkts im Alltag des Publikums angesprochen.
4.3 Qualitätsmedien – Was sagt die Systemtheorie?
Leistungen von Qualitätsmedien
Die Leistungen die das System Journalismus für die Gesellschaft erbringt wurden bereits kurz im theoretischen Teil dieser Arbeit beschrieben. Versucht man jetzt eine interne Differenzierung des Systems Massenmedien oder Journalismus zu finden, muss man gedanklich bei den Funktionen ansetzen. Wie bereits beschrieben, erfüllen unterschiedliche Medien(gattungen) unterschiedliche Funktionen für das System an der Gesellschaft. Nach Arnold (2008. S.494) haben sich „Funktion und Code des Journalismus, die eng aufeinander bezogen sind und mit der Orientierungsleistung für Akteure in Zusammenhang stehen, in einem historischen Prozess aus der Interaktion von verschiedenen Akteuren, insbesondere den Leistungsanbietern und Leistungsnachfrager entwickelt“
Dabei wird Journalismus als Antwort auf die Probleme gesehen, die in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft verursacht.
Journalismus hat sich als gesellschaftliches Teilsystem in einer Situation entwickelt, in der religiöse und politische Gewissheiten fragwürdig wurden, räumliche und zeitliche Horizonte sich öffneten, traditionelle Lebenswelten aufbrachen und gesellschaftliche Teilsysteme wie Politik und Wirtschaft sich entfalteten und immer komplexer wurden (Arnold, 2008. S.492).
Klaus Arnold stellt in seinem integrativen Konzept[16] zur „Qualität im Journalismus“ einen Katalog bereit, der die Qualität publizistischer Leistung von der systemorientierten Perspektive darstellt (2008. S.494 – 495):
- Vielfalt
Hier geht es um keine unbegrenzte Vielfalt, sondern darum Bereiche der Gesellschaft vielfältig darzustellen und einen hohen Inklusionsgrad der Bevölkerung aufzuweisen. Konkret sollen nicht immer nur dieselben (Elite)Personen zu Wort kommen, es soll die beste Lösung für gesellschaftliche Probleme bereitgestellt werden.
- Neuigkeit, Aspekt der Aktualität
- Relevanz [17]
- Glaubwürdigkeit
Journalismus kann das als eigenständiges System nur erreichen, indem es sich nicht der Logik anderer Systeme unterwirft.
- Unabhängigkeit
Qualitätsjournalismus soll sich nicht primär an politischen oder ökonomischen Handlungslogiken orientieren, sondern an den Bedürfnissen des Publikums.
- Recherche
Damit ist nicht die Informationsbeschaffung per se gemeint, sondern durch Recherche wird eine Selbstbeobachtung erreicht, die „über die Interessen der Leistungsakteure einzelner Teilsysteme hinausgeht“ und durch die die Möglichkeit ständig recherchieren zu können eine „Bedrohung“ für andere Systeme darstellt (Arnold, 2008. S.495).
- Hohe Anschlussfähigkeit –Zugänglichkeit der Journalistischen Angebote
Sprache, Optik, Ton – Information soll verständlich, übersichtlich und anschaulich präsentiert werden Für Zeitungen ist die analysierende Hintergrundberichterstattung von besonderer Bedeutung.
Bei dem System Journalismus spricht Arnold in vielen Punkten identische Kriterien auf, die sich viele Autoren und Autorinnen für Qualitätsmedien wünschen bzw. sich normativ erwarten[18]. Das deutet darauf hin, dass man den Konsens der Leistungen, die das System Journalismus erbringt, als die Leitungen des Qualitätsjournalismus bezeichnen kann.
Auf die Grundfunktion der Massenmedien „Öffentlichkeit herzustellen“ soll hier nicht zu genau eingegangen werden. Das Thema Öffentlichkeit hat auch in der globalisierten und multimedial vernetzten Welt gewissermaßen an Perspektiven dazugewonnen. Sei es durch soziale Netzwerke oder die Möglichkeit eines Einzelnen durch die technische Verbreitungsmöglichkeit Internet relativ einfach selbst Inhalte (zum Beispiel durch Blogs) zu publizieren.
Das Thema „Öffentlichkeit“ wurde in der Vergangenheit häufig aufgegriffen und ist heute noch ein ähnlich schwammiger Begriff wie „Qualität“. Mit dem Begriff schlagen sich Juristen und Juristinnen, genauso wie Kommunikationswissenschaftler und Kommunikationswissenschaftlerinnen oder Soziologen und Soziologinnen seit geraumer Zeit herum und auch heute nimmt er durch die steigende Vernetzung immer wieder neue Dimensionen an und wirft neue Fragestellungen auf. Es sei noch einmal angemerkt, dass es trotzdem noch eine zentrale Aufgabe der Medien ist, Öffentlichkeit herzustellen.
Ein interessanter Gedanke findet sich bei Arnold noch zum Thema Nachricht und Meinung im Journalismus. So hält er es „für denkbar, auf die Trennung von Fakten und expliziten Wertungen zu verzichten“, denn für die Rezipienten sei der „subjektive Einfluss dann leichter erkennbar, was bei objektiven Nachrichten deutlich schwerer ist“ (Arnold, 2008. S.495). Die Beobachter zweiter Ordnung, also die Beobachter der Beobachter (Massenmedien), wären sich dann bewusst, dass sie nur eine Konstruktion und nicht die Wirklichkeit „überliefert“ bekommen. Das wäre ein Vorschlag, der sich in der Zukunft vielleicht noch an Bedeutung gewinnt.[19]
Interne Systemfunktion: Profitmaximierung?
Die Primärfunktion des Subsystems Medien oder auch des Teilsystems einer Redaktion als System ist es, die Selbstbeobachtung der modernen Gesellschaft durch die Veröffentlichung von Themen herzustellen. Aber es muss zwischen der (systemexternen) Umweltfunktion und der Systemfunktion unterschieden werden. Zweitere dient der Selbsteerhaltung des Systems und ist bei allen Radaktionssystemen in Österreich die Erhöhung der Profitrate (Weber, 1995. S.118). Auch beim Redaktionssystems des „Standard“ hält die Profitmaximierung das System am Bestehen.
Der Code in der politischen Berichterstattung
Wie bereits erwähnt kann der allgemeine Code des Systems Massenmedien „Information“ bzw. „Nicht-Information“ oder „Relevanz“ bzw. „Nicht-Relevanz“ sein. Im Sinne der Orientierungsfunktion und dem, sich in dem System selbst ausdifferenziertem Code hat sich im Laufe der Zeit selbst eine Art Nachrichtenwertkatalog von verschiedenen Redaktionssystemen, also eigenen Subsystem des Mediensystems entwickelt. Der Code der politischen Berichterstattung kann sich von Redaktionssystem zu Redaktionssystem unterscheiden. Dabei müssten die verschiedenen Kriterien nach Arnold, die weiter oben angeführt wurden, als Codes bei den Redaktionssystemen der Qualitätsmedien fungieren.
4.4 Österreichische Qualitätsmedien – Verdiente Bezeichnung?
Mediensystem Österreich
Um die vorangegangene Forschungsfrage nach Österreichischen Qualitätsmedien beantworten zu können, ist ein grober Abriss über die historisch gewachsene Printmedienlandschaft in Österreich wichtig. Außerdem sind aktuelle Zahlen der Medienanalyse auch von Bedeutung, da Presseerzeugnisse immer historisch gewachsen sind und sich hier auch die Grenzen verschieben, einen Wandel kann man nur durch eine Veränderung erkennen.
„Dieses kleine Land der Riesen, überschattet von einer überdimensionalen Fernseh- und Radioanstalt, überschattet von einer Großfamilie, die Zeitungs –wie Zeitschriftenszene beherrscht. Daran ist nichts normal: Österreichs Medien sind so hoch konzentriert wie kaum welche in Europa, wie wenige in der Welt“ (Fiedler, 2004. S.9. zit. n. Stark/ Magin, 2009. S.7)
Dieses Zitat von Harald Fiedler, Wissenschaftler und Medienjournalist deutet bereits auf die Besonderheiten der österreichischen (Print)Medienlandschaft hin. So haben wir eine starke Stellung der Kronen Zeitung und keine ausgeprägte Regionalpresse. Zusätzlich gibt es eine „horizontale und vertikale Pressekonzentration, wie sie sich im europäischen Vergleich nur ansatzweise in Irland oder Belgien nachweisen lässt“ (Plasser/Lengauer, 2010. S.19).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Mediaanalyse 2014 // Arbeitsgemeinschaft Media Analysen
Überregionale Tageszeitungen in Österreich· „Kronen Zeitung“:
Die Kronen Zeitung genießt nicht nur in Österreich, sondern auch im europaweiten Vergleich eindeutig eine Sonderstellung. Sie stellt damit das dominierende Macht –und Meinungszentrum in Österreich da (gemeinsam mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk über alle Mediengattungen). Sie hat momentan eine Reichweite von 34,3 Prozent und ist damit, bezogen auf die Bevölkerungsanzahl, weltweit eine der meist gelesenen Tageszeitungen (Plasser/Lengauer, 2010. S. 37/45).
- „Österreich“:
Seit 1. September 2006 konkurriert die Tageszeitung Österreich auf dem Boulevardmarkt der Kronen Zeitung und regional mit der Gratiszeitung „Heute“. In den meisten wissenschaftlichen Quellen wird die Zeitung von Herausgeber Wolfgang Fellner ebenfalls als Gratiszeitung eingeordnet. Sie ist jedoch teilweise auch zu erwerben. Im Vorfeld des Erscheinens der Tageszeitung kündigte Wolfgang Fellner „Österreich“ als Pendent zum deutschen Qualitätsblatt „Süddeutsche Zeitung“ an. Bereits 2009 untersuchten Stark und Magin anhand drei Indikatoren die Zeitung um sie auf diese Aussage zu prüfen. Ergebnis war, dass „Österreich“ „weder in Umfang noch Vielfalt noch Transparenz“ an die politische Berichterstattung der von Prestigeblättern gesetzten Standards heranreicht (Stark/ Magin, 2009. S. 51). Zu dem Zeitpunkt ordneten die Kommunikationswissenschaftlerinnen als „Mid-Market Paper“, also dem Kurier „auf Augenhöhe“ ein (ebenda). Heute ordnen die meisten Studien die Zeitung von Wolfgang Fellner als Boulevardblatt ein. Sie hat eine Reichweite von 10 Prozent und ist damit gut im österreichischen Zeitungsmarkt platziert. Seit November 2014 bietet auch die Kronen Zeitung eine abendliche Gratisausgabe (Fiedler, 2014. DerStandard.at) in Wien an und macht so Heute und Österreich am Gratiszeitungsmarkt Konkurrenz.
- „Der Standard“:
„Der Standard“ hat eine Reichweite von 5,5 Prozent und bezeichnet sich und wird in den meisten vergleichenden Studien als die am meisten vertretene Qualitätstageszeitung Österreichs mit in das Studiendesign aufgenommen. 2013 wurden Online Redaktion und Print Redaktion zusammengelegt, offiziell aus Effizienzgründen und es gibt neben dem Großformat auch „Standard Kompakt“, eine reduzierte Ausgabe im Kleinformat.
- „Die Presse“
Die „Presse“ hat eine Reichweite von 3, 8 Prozent. „Der Standard“, „Die Presse“ und die „Salzburger Nachrichten“ (nicht überregional) werden zu den österreichischen Qualitätsblättern gezählt. Wobei genau diese Bezeichnung von dieser Arbeit unter die Lupe genommen wird.
Geschichtlicher Abriss
Um die Geschichte der Österreichischen Medienlandschaft kurz anzureißen bzw. als Raster zur Analyse der Transformation politischer Kommunikationssysteme verweisen Plasser und Langauer (2010. S.20-21) auf das „Drei-Phasen-Modell“ von Blumler und Kavanagh (1999), das sich auch auf Österreich übertragen lässt. „In den Nachkriegsjahren bis Mitte der 1960er Jahre entsprach die politische Kommunikationspraxis weitgehend der pre-modernen Phase und konnte als „parteien- und printdominiert“ charakterisiert werden.“ (Plasser/Lengauer, 2010. S.20). Danach wurden zunehmend Radio und Fernsehen die dominanten Leitmedien politischer Kommunikation. Anfang der 50er begann der Niedergang der Österreichischen Parteienpresse mit sinkender Leserschaft und schrumpfenden Auflagen. Von den Besatzungsmächten in der Nachkriegszeit etablierten vor allem die US-Amerikaner mehrere Kaufzeitungen in ihren Gebieten. Insgesamt waren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg 26 Tageszeitungen auf dem Markt, Regionalpresse ist hier mitgezählt. Heute sind es nur mehr 16 Tageszeitungen. Dabei ist „Österreich“ die neueste Neugründung am Tageszeitungsmarkt, „Der Standard“ wurde davor 1988 gegründet. Die beiden sind die einzigen nachhaltigen Neugründungen am überregionalen Tageszeitungsmarkt (Plasser/Lengauer, 2010. S.20-22, 36-38 / Fiedler 2008, S.621).
Trotz der Zurückdrängung der Parteipresse ist im Drei-Länder-Vergleich mit Deutschland und der Schweiz der „politische Parallelismus“ in Österreich vergleichsweise 2009 noch stärker ausgeprägt. So ist Teileigentümer des zweitgrößten Medienhaus Styria Media AG mit „Presse“ und „Kleinen Zeitung“ der katholische Medienverein der Diazöse Graz, die auch als politischer Akteur gesehen werden kann (Udris/Lucht, 2009. S.25).
Pressekonzentration und ökonomische Verflechtungen
Nach der TV-zentrierten Phase leben wir heute in der multimedialen Evolutionsphase politischer Kommunikationssysteme. Im Gegensatz zum Rundfunk ist beim österreichischen Tageszeitungsmarkt weniger Pluralisierung und eine höhere Konzentration zu erkennen. In der Presselandschaft ist außerdem ein hoher ökonomischer Verflechtungsgrad festzustellen. Wobei der Marktführer „Kronen Zeitung“ hatte 2013 eine Reichweite von 24,3 Prozent, was im Vergleich zu den letzten Jahren ein Rückgang ist (Media-Analyse, 2014). Als Grund dafür, kann der Markteintritt der Tageszeitung Österreich gesehen werden, als Reaktion darauf die gratis Krone-Abendausgabe.
„Vor allem das 1988 gegründete Verwaltungs-, Produktions- und Vetriebskonglomerat der Mediaprint, das im Kern aus den Medienhäusern Kronen Zeitung und Kurier gebildet wurde, repräsentiert den hohen Konzentrationsgrad auf vertikaler und konglomeraler Ebene des österreichischen Printmarktes.“ (Plasser/Lengauer, 2010. S.21)
Die Mediaprint wurde 1988 von Kurier und Kronen Zeitung gegründet und repräsentiert die hohe Pressekonzentration in Österreich. Die Kronen Zeitung und der Kurier (an denen zu großen Teilen der WAZ Konzern beteiligt ist) sind zusammen an der Mediaprint beteiligt.
Die Media Group ist ein recht neuer Zusammenschluss der Styria Media AG und der Tiroler Moser Holding und soll ein „wirtschaftliches Gegengewicht zur Mediaprint darstellen“ (Plass/Lengauer, 1010. S. 45). Sie ist in Besitz der „Presse“, des „Wirtschaftsblatts“ und mehreren Radios.
Wie auch bei den Tageszeitungen herrscht auch auf dem Regionalzeitungsmarkt „monopolartige Marktverhältnisse“. In sechs von neun Bundesländern gab es zumindest im Jahr 2005 jeweils einen regionalen Tageszeitungs-Marktführer mit mehr als 50 Prozent Reichweite (Plasser/Lengauer, 2010. S. 36, 47/ Plasser S.47). Diese oligopolartigen Stellungen der regionalen Tageszeitungen sprechen für konzentrierte Meinungsmacht und das kann auf mangelnde Kritikfähigkeit hinweisen.
Einen Rückgang der ökonomischen Verflechtung lässt sich nur an der Beteiligung ausländischer Unternehmen festmachen, diesen Wandel kann man als „Re-Austrifizierung“ (Plasser/Lengauer, 2010. S.36) beschreiben. Der deutsche Axel-Springer Verlag zog sich zum Beispiel aus dem Standard und anderen Print Produkten komplett zurück. Am Tageszeitungsmarkt haben nur noch die Kronen Zeitung und der Kurier nennenswerte ausländische Beteiligungen, respektive von der WAZ-Gruppe (Plasser/Lengauer, 2010. S.21, 36, 45- 46). Doch auch hier gibt es immer wieder Diskussionen um einen Rückkauf der Krone Anteile durch Christoph Dichand, Sohn des Gründers der Kronen Zeitung Hans Dichand (Fiedler, 2014. DerStandard).
4.4.1.1 Boulevardisierung der Medienlandschaft
Wie schon angekündigt, wird es in weiterer Folge um die Boulevardisierung von Qualitätszeitungen gehen. Doch ist mit Boulevardisierung der österreichischen Medienlandschaft ein anderes Phänomen zu bezeichnen, als die Veränderung der Medieninhalte. Udris und Lucht (2009) analysierten in einer Drei-Länder-Untersuchung den Anteil der Titel-Auflagen auf Mediengattungen, die dem Boulevard zuzuordnen sind.
Dabei wurde in der Langzeituntersuchung eine deutliche Boulevardisierung der Printmedienlandschaft an sich festgestellt. Gemessen an der Summe der Titel-Auflagen 2006 entsprachen 66 Prozent der Titel der Kategorie „Boulevard“, 1960 waren es nur 16 Prozent. In Vergleich zu Deutschland (36 Prozent) ist das fast doppelt so viel, obwohl auch dort die Tageszeitung „Bild“ Marktführer ist. Die starke Zunahme der Boulevard-Titel in Österreich liegt an dem Markteintritt der Zeitung „Österreich“ (Udris/Lurcht, 2009. S.26).
Dabei sehen die Autoren eine wachsende Pressekonzentration in Zusammenhang mit dem Ausbau des Angebots der Boulevardmedien, was ein weiterer Indikator für die Kommerzialisierung der Presse sei (ebenda).
4.4.1.2 Überregionale Qualitätspresse in Österreich?
Doch gibt es jetzt die ausführlich beschriebene Qualitätspresse in Österreich? Magit und Stark thematisieren in ihrem Artikel „Österreich – Land ohne Leuchttürme?“ einen Aspekt, der besonders polarisiert. Die beiden stellen den Anspruch, dass nicht alle Medien, die sich selbst das Siegel Qualität aushängen, diesen auch erfüllen. Thematisiert wird nicht die Krise der Qualitätsmedien, sondern die grundsätzliche Absenz dieses Medientyps. Denn das österreichische Mediensystem weist viele Besonderheiten auf, die es schwierig machen eine Qualitätsmedienkultur durchzusetzen. (Magit/Stark, 2011. S.111).
In der empirischen Untersuchung wurde die publizistische Qualität der österreichischen Tageszeitungen auf tatsachenbetonte politische Berichterstattung mit drei Indikatoren (Umfang der Berichterstattung, Vielfalt und Transparenz (Magit/Stark, 2011. S. 107). Ergebnisse sollen hier kurz und prägnant dargestellt werden:
- Im Vergleich zu deutschen Qualitätszeitungen enthalten die österreichischen („Standard“, „Presse“ deutlich weniger politische Artikel (ebenda. S.108)
- Im Umfang zeigt sich kein großer Unterschied zu „Österreich“
- In Bezug auf die thematische Vielfalt steigen alle Medien, mit Ausnahme der „Kronen Zeitung“ relativ gut ab. (ebenda S.109)
- In allen vier überregionalen österreichischen Tageszeitungen kommen manche Bundesländer gar nicht vor, was als „Vielfaltsdefizit“ gesehen werden kann (ebenda. S.110).
- Die Presse weist ein eindeutiges Defizit bei der Quellentransparenz auf.
In Bezug auf die hohe thematische Vielfalt sei noch einmal auf die, nach Lengauer, immer größere werdende Aufgabe von Qualitätsmedien auf die Interpretation und Deutung von politischen Inhalten hingewiesen. So ist es heute vielleicht nicht mehr die Aufteilung der Ressorts oder die thematische Vielfalt, an denen sich die unterschiedlichen Mediengattungen unterscheiden, sondern die ausgewogenere Aufbereitung der immer komplexer werdenden gesellschaftlichen Themen.
„Insgesamt weisen die österreichischen „Qualitätszeitungen“ ihren Lesern nicht nur eine weniger umfangreiche, sondern insgesamt auch thematisch und vor allem geografisch weniger breite sowie weniger transparente politische Berichterstattung als ihre deutschen Pendants (ebenda, 2011. S.111).
Bei einer Auseinandersetzung mit Medien aus einer bestimmten Nation bzw. Kultur gibt es auch die Möglichkeit ein journalistisches System in diesem bestimmten Land mit einem anderen Land zu vergleichen. So kann man durch die vergleichende Journalismusforschung in Österreich als Qualitätsmedien anerkannte Tageszeitungen mit ihren Deutschen Pendants zu vergleichen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass nicht Äpfeln mit Birnen vertauscht werden. Und doch kann bei so mancher komparativen Studie ein interessanter Aspekt herausgepickt werden. Gerade bei dem Vergleich deutschsprachiger Medien können hier unterschiedliche medienpolitische Entscheidungen oder Strukturen ausgemacht werden. Um medienpolitische Entscheidungen und Begründungen oder sonstigen strukturellen Eingriffen aus anderen Systemen geht es in dieser Arbeit primär nicht. Die Ergebnisse komparativer Studien können trotzdem von erheblichen Interesse sein. Bei Arbeiten, meist empirischer Natur, wird konkret beschrieben, ob überregionale Tageszeitungen oder andere Formate untersucht wurden. Die Ergebnisse werden dann meist aufgeschlüsselt wiedergegeben. Im Zuge dieser Arbeit ist es möglich, die jeweils für die Fragestellung relevanten Teilergebnisse wiederzugeben.
In einer Inhaltsanalyse untersuchten Stark und Magin 2009 die Zeitung Österreich auf ihre Qualität im Vergleich zu anderen deutschsprachigen Medien, die dem Boulevard und dem Qualitätspresse Sektor zuzuordnen sind. Dabei verwendeten die beiden Forscherinnen einen sehr kurzen Indikatorenkatalog um die Unterschiede festzustellen und die damals neue Tageszeitung einzuordnen. Indikatoren waren „Umfang der Berichterstattung“, „Vielfalt“ und „Transparenz“ (Stark/Magin, 2009. S. 46 – 50).
Lengauer und Vorhofern nahmen in einer inhaltsanalytischen Studie zu einem österreichischen Wahlkampf nicht die altbekannte Klassifizierung der Printmedien an, sondern wählten andere Zugangsweise um die Tageszeitungen einzuordnen. Ausgangspunkt war dabei die Politik bzw. Nicht-Politikberichterstattung in den Schlagzeilen des letzten Wahlkampfes. Die Tageszeitungen, die mehr als 50 Prozent politische Inhalte in der finalen Wahlkampfphase[20] in Hauptschlagzeile oder im Titelbild hatten, wurden als Qualitätsmedien eingestuft. Trotz der anderen Art der Kategorisierung wurden „Krone“ und „Österreich“ als Boulevardmedien und „Standard“ und „Presse“ als Qualitätsmedien eingestuft (Lengauer/ Vorhofer, 2010. S. 150-151).
Anders teilen Udris und Lucht 2009 (S.35) die „Presse“ als Qualitätsmedium und den „Standard“ als „Forumszeitung“ und setzten ihn damit auf die Stufe vom Kurier, der als Hybridmedium bezeichnet wird. Grund für diese Annahme ist die Einteilung nach einer Grobanalyse der Ressortstrukturen.
Blöbaum hingegen teilt „Standard“ und „Presse“ gemeinsam mit „Süddeutscher Zeitung“ und „FAZ“ in eine Schublade ein. Mit der einfachen Begründungen, dass dies die wichtigsten Medien der Qualitätspresse seien. In Österreich gibt es nur keine anderen.
„Die ausgewählten Tageszeitungen der Standard und die Presse für Österreich und die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurtert allgemeine Zeitung für Deutschland repräsentieren nicht nur die Wichtigsten Medien der Qualitätspresse, sondern daneben die beiden gesellschaftlichen Hauptströmungen, was deren politische Relevanz und Ausrichtung betrifft.“ (Blöbaum, 2011. S.111)
Wenn also die „Presse“ bei Quellentransparenz schlechter abschneidet, so definiert sich der „Standard“ über seine Ressortstruktur nicht eindeutig als Qualitätsmedium. Diese Ergebnisse deuten auf eine nicht sehr ausgeprägte Qualitätsmedientradition[21] hin, die es in Österreich auch nicht gibt. So halten die zwei einzigen, als überregional definierten Qualitätstageszeitungen in den meisten Bereichen den empirischen Studien stand. Nur im Vergleich zur deutschen Konkurrenz gibt es eine nicht so stark und qualitativ ausgeprägte politische Berichterstattung.
Durch die steigende Konkurrenz der Gratiszeitungen und der Boulevardisierung des gesamten Zeitungsmarktes (nicht zu verwechseln mit inhaltlicher Boulevardisierung) haben es die österreichischen Traditionsmedien nicht einfach. Außerdem gibt es gerade in dem „Qualitätssegment“ starke Konkurrenz aus dem deutschen Ausland. (Udris/Lurcht, 2009. S. 15/ Plasser/Lengauer, 2010. S.47)
Dabei verlieren sie Leserschaft, Auflage und damit auch Einnahmen. Ob diese Entwicklung jedoch nur auf stärkere Konkurrenz durch Gratiszeitungen zurückzuführen, ist zu bezweifeln. Schließlich haben wir es momentan mit einer allgemein schwierigen Situation für Printmedien zu tun. Als starke Konkurrenz sind Online-Angebote anzusehen. Außerdem sind die Reichweiten des österreichischen „Qualitätssegment“ laut aktueller Media-Analyse (Abb.2) tendenziell am Steigen. Wobei hier durch Gratisausgaben oder Gratis-Abonnements auch seitens der Qualitätsmedien die Zahlen leicht verfälscht sein können.
Seit Jänner 2015 ist eine neue Qualitätszeitung in den österreichischen Markt eingetreten, wenn auch nur online. Die „Neue Züricher Zeitung“ startet als online Forschungslabor für die Schweizer Medienfirma mit dem ehemaligen Chefredakteur der „Presse“ Michael Fleischhacker die Konkurrenz zu den Onlineangeboten von „Presse“ und „Standard“.
Die Marke NZZ genießt in Österreich einen sehr guten Ruf, und wir sehen dort eine Lücke im Segment des Qualitätsjournalismus. Zweitens: Wir wollen mit diesem Innovationsschub auch für die gesamte Mediengruppe Erfahrungen sammeln (Veit Dengler zit. nach Brodnig, 2014).
Inwieweit dieses Projekt die Medienlandschaft in Österreich verändert, wird sich in Zukunft zeigen. Laut der Selbstbeschreibung kann es müssen sich Standard und Presse zumindest im Onlinebereich auf eine Konkurrenz gefasst machen.
4.5 Medienwandel – aktuelle Herausforderungen der politischen Kommunikation
4.5.1 Wandel des Systems
„Gleichwohl ist auch das österreichische Mediensystem von weitreichenden globalen, strukturellen Umgestaltungen –oft mit Schlagwörtern wie Internationalisierung, Konvergenz, Kommerzialisierung und Digitalisierung gekennzeichnet.“ (Stark /Magin, 2009. S.7) Diese Entwicklungen halten auch nicht vor einem kleinem Land wie Österreich. Dabei rückt der Fokus der Berichterstattung durch Medienmacher immer mehr auf den Rezipienten bzw. die Rezipientin. „Journalismus zielt nicht mehr auf den politischen Staatsbürger, sondern auf den Kunden, vorzugsweise in seiner Rolle als Konsument“ (Blöbaum, 2000. S. 135).
Wenn hier ein Wandel des Systems diskutiert werden soll, ist noch einmal auf die Medialisierung in Bezug auf Österreich zu verweisen, die im Kapitel 2.3.2. bereits definiert wurde.
„In Summe hat sich das politische Kommunikationssystem Österreichs in den letzten Jahrzehnten von einer parteienzentrierten Demokratie zu einer an der Aufmerksamkeitslogik (massen)medialer Politikvermittlung orientierten Mediendemokratie entwickelt“ (Plasser/Lengauer, 2010. S.21)
Österreich endspreche dem Typus einer hochentwickelten Mediendemokratie, in der politische, soziale und mediale Realitäten nicht nur zunehmend verschmelzen, sondern sich überwiegend als von Massenmedien wie Neuen Medien konstruierte und vermittelte Realitäten darstellen (ebenda).
Denn die Medien sind die zentrale Politikvermittlung in Österreich, in diesem Punkt stimmen die Ergebnisse überein. Fernsehen und Presse sind die Haupt-Informationsquellen der Bevölkerung. Jeder vierte Österreicher nutzt zur Information über Innenpolitik Tageszeitungen (Lengauer, 2010. S.146).
4.5.2 Wandel der Formate (Hybridisierung)
Durch die zunehmende Vermengung der unterschiedlichen Merkmale verschwimmen jedoch die Grenzen der Medien, die nicht am Ende der imaginären Skala stehen. Heute hilft sich die Kommunikationswissenschaft hierbei mit dem Begriff der „Hybridmedien“ durch die Definitions-Misere. Das gilt nicht nur für die Formate, sondern auch für die Einteilung der publizistischen Inhalte.
So war vom Format einer Zeitung relativ einfach auf die (zumindest sich selbst zugeschriebene) Qualität zu schließen. Ausnahme bildet hier wieder Wolfgang Fellners Tageszeitung „Österreich“, deren Größe des Formats ein Indiz für Qualitätspresse war, jedoch Aufmachung und Art des Farbdrucks eher mit dem deutschen Boulevardriesen „Bild“ zu vergleichen ist.
Auch der Standard bedient sich der Hybridisierung des Formates. Er bietet seit 2013 eine Sonderausgabe mit dem Namen „Standard Kompakt“ an. Die Qualität einer Zeitung an dem augenscheinlichen Format zu beurteilen, gehört der Vergangenheit an.
4.5.3 Wandel der Inhalte
Themenwahl und Selektionskriterien in der Politischen Berichterstattung
Die Bedingungen unter welchen politische Medieninhalte zustande kommen, ist ein Gebiet, in dem schon viel geforscht und definiert wurde. Dabei liegt weniger die historisch gewachsenen Ergebnisse im Fokus, als die Beschreibung der aktuellen Herausforderungen für den Journalismus und Medienwelt. Laut Blumler und Kavanagh (1999) befanden wir uns schon vor 2000 in der postmodernen Ära der politischen Kommunikation. Dabei steigern die Trends der steigenden Professionalisierungsanforderungen (in Bezug auf politische Kommunikation), des Konkurrenzdrucks, der Anti-Eliten Populisimus und der Prozess der „zentrifugalen Diversifikation“ den Druck auf Medien.
Lengauer sieht in der postmodernen Medien-Politik-Vermittlung eine „zunehmend konfrontativen und interpretative Stellung der Medien gegenüber Akteuren des politischen Systems und einer potentiellen programmatischen Ausdünnung der Sachdiskussion in der politischen Berichterstattung und somit einhergehend mit einem Loslösen von normativ-demokratietheoretischen Anforderungen und Funktionen.“ (Lengauer, 2007. S.19)
Die politische Berichterstattung kann nicht den politischen Prozess niemals in seiner vollen Komplexität darstellen und aufbereiten. Wie schon oben beschrieben, setzt jede Nachricht einen gewissen Entscheidungs– und Selektionsprozess voraus. Dabei läuft dieser Prozess nicht bei jedem Medium gleich ab. „Die unterschiedliche Themenauswahl“ schreibt Blöbaum (2011. S.53) „wird ergänzt durch die stark abweichende Beachtung von Nachrichtenwerten“ bei unterschiedlichen Mediengattungen. Dabei versuchen jegliche politischen oder wirtschaftliche Eliten auf diese Werte einzugehen und sie für ihre eigene Vermittlung von Inhalten einzusetzen.
Emotionalisierung, Personalisierung, Amerikanisierung
Durch die steigende Vernetzung von Information und der Angleichung von internationaler journalistischer Arbeit, stellt sich die Frage, ob typisch amerikanische Berichterstattungsmuster im Zuge einer Globalisierung von Bedeutung gewinnen. Die „Amerikanisierung[22] “ der Wahlkampfführung, die „Amerikanisierung“ der Medienberichterstattung über Wahlkämpfe und die „Amerikanisierung“ des Wählerverhaltens (vgl. Brettschneider 2009: 510). In der vorliegenden Arbeit wird es ausschließlich um die Medienberichterstattung gehen.
Das Phänomen wird dabei häufig bei politischen Großereignissen untersucht. Wahlkämpfe lassen sich von einer Vielzahl von Perspektiven beleuchten und sind laut Schulz (2011, 205) für viele Disziplinen, auch für die Kommunikationswissenschaft, eine Art ‚Forschungslabor‘. Der Vorteil dabei ist, dass bestimmte Phänomene eindeutiger und ausgeprägter beobachtet werden können. Es gibt zahlreiche Diskussionen über eine Amerikanisierung von europäischen und österreichischen Wahlkämpfen, die auch die Berichterstattung österreichischer Tageszeitungen miteinbezieht. Nun ist „Amerikanisierung“ keine neue Begrifflichkeit und nicht Teil einer neuen Debatte, sondern entfaltet sich schon seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals drehte sich die Diskussion über einen einseitigen Kulturtransfer und auch hier ist der Anfang einer Amerikanisierung eizuordnen (Kamps, 2000. S.11-13). Amerikanisierung wird in der Kommunikationswissenschaft laut Holtz-Bacha als “die allmähliche Angleichung europäischer Wahlkampfführung an die Art und Weise, wie in den USA Wahlkampf betrieben wird“ definiert. Damit wird auf die zentrale Rolle hingewiesen, die das Fernsehen in den US-amerikanischen Kampagnen spielt; gemeint ist aber auch die Dominanz von Images und Issues und die Professionalisierung der politischen Akteure im Umgang mit den Medien: diese Tendenzen werden zugleich in einem Zusammenhang gestellt mit einer sinkenden Bedeutung der Parteien im politischen System“ (Holtz-Bacha, 1996. S.11). Auch Günther Lengauer schreibt in seinem Buch „Postmoderne Nachrichtenlogik- redaktionelle Politikvermittlung in medienzentrierten Demokratien“ von einer Amerikanisierung der Wahlkampfberichterstattung (auch in Tageszeitungen). Dazu zählen Personalisierung, Entideologisierung, Entpolitisierung und De-Thematisierung, konfrontativer Negativismus und journalistische Interpretativität. (Lengauer, 2007. S.105).
Überlegt man sich, wie es möglich ist über einen solchen möglichen Trend wie die Amerikanisierung zu forschen, wird klar, dass hier die Methode eines Zeit –oder Ländervergleichs nötig ist. Durch ein steigendes Forschungsinteresse an der Amerikanisierung wenden sich vermehrt Forscher und Forscherinnen der komparativen Forschung und Theorienbildung. Auch für Phänomene wie der Boulevardisierung von Presseprodukten kann ein größer angelegter Vergleich hilfreich sein. „Vergleichende Kommunikationsforschung erlaubt Aussagen über die Generalisierung (oder Reichweite) und Kontextualisierung (Spezifikation) von Theorien, die in verschiedenen Settings getestet werden“. Dabei liegt bei diesem Forschungssetting die Annahme darunter, dass „unterschiedliche Strukturen, Normen und Werte in politischen Systemen und Kulturen jeweils unterschiedliche politische Kommunikationsrollen und Handlungsweisen herausbilden bzw. unterdrücken (Esser 2004, S.152-153) Was gilt immer? Und was ist abhängig von Kontexteinflüssen?
Lengauer stellt bei seinen Vergleichen eine, in diesem Zusammenhang relevante Frage, zu seinen eigenen Fragestellungen: „Orientiert sich die Nachrichtenlogik eher nach den Erfordernissen der jeweiligen Medientypen oder dominieren länderspezifische Besonderheiten?“ (Lengauer, 2007. S.107) Zweiteres würde die Medienlandschaft in Österreich zumindest zum Teil erklären.
Boulevardisierung
Gerade im Bereich der politischen Kommunikation und in der Journalismusforschung ist die komparative oder auch vergleichende Forschung „in Mode gekommen“ (Gurevitsch/Blumler 2003, S.373). In den 70ern noch kaum beachtet, erfährt sie heute einen starken Fortschritt. Cirka 10 Jahre später findet sich der Begriff der Boulevardisierung in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur. Dabei wird der Begriff hier mit Sensationsjournalismus gleichgesetzt. Kriterien für eine Boulevardisierung in dem Sinn ist einerseits die Fokussierung der Berichterstattung in Nachrichtenformaten auf unpolitische Themen und die inhaltliche Emotionalisierung und Dramatisierung der Nachrichtenberichterstattung selbst. Esser sieht (1999 nach Lengauer/Vorhofer, 2010. S.149) ebenfalls in diesem Kontext diese Kriterien als Schwerpunkte der Boulevardisierung. Genauer gesagt in einer erhöhten „personalisierten, emotionalen, skandal-orientierten, spekulativen und pessimistischen Berichterstattung“.
„Die Berichterstattung über deutsche Außenpolitik und Politik im Ausland hat abgenommen.“ Das ist ein Ergebnis der Studie von Blöbaum (2011, S.55) zum Wandel von Qualitätsmedien seit 1990 und gilt für alle untersuchten Medien. Auch für die Süddeutsche, die ein Vorbild für Qualitätsjournalismus ist. Der Bedeutungszuwachs des Ressorts Wirtschaft schlägt sich auch bei allen nieder, mehr Aufmerksamkeit wird dem Thema „Gesellschaft“ gewidmet. Dabei muss es sich um keine Verflachung der Berichterstattung handeln, sondern kann durchwegs eine Ausweitung des relevant erachteten Ereignisraums darstellen. Auf den Titelseiten ist die Themenvielfalt ist größer geworden, gesellschaftliche Themen haben mehr Chancen auf Titelbild zu kommen und politische Themen verschwinden bei gleicher Bedeutung von Innenpolitik vom Cover (ebnda. S.66).
Veränderungen bei publizistischen Qualitätsmedien lassen sich mit dem Begriff Differenzierung beschreiben, Veränderung sind nicht gattungsspezifisch, sondern redaktionsspezifisch (ebenda. S.6). Damit ist der Rahmen mit Bezug auf die ständige Ausdifferenzierung der Gesellschaft und des Systems „Massenmedien“ in einzelne Subsysteme hergestellt.
Nach der Studie von Blöbaum (2011, S. 58) wurde bei Qualitätsmedien keine einheitliche Veränderung bzw. Entwicklung in Bezug zur Personalisierung erkennbar. Auch kein genereller Trend zur Personalisierung ist feststellbar (ebenda. S.59).
5 Schlussbetrachtung - Perspektiven – Diskussion
Die primäre Leistung die Medien für die Gesellschaft erfüllen, ist die der Selbstbeobachtung der modernen Gesellschaft, das heißt die Herstellung einer Selbstbeschreibung durch die Veröffentlichung bestimmter Themen. Die Leistung die Medien für sich selbst erfüllen ist immer von erkennbaren Code abhängig. Zu der Medialisierung zählen die Verschiebungen beziehungsweise die Anpassungen der Medienlogik und der politischen Logik. Dadurch haben Mediensysteme einzelner Länder und auch einzelne Redaktionssysteme mehr Macht und auch mehr Funktionen über. Durch die Ausdifferenzierung der Gesellschaft kommt es in weiterer Folge zu einer immer schwierigeren Aufgabe der Selektion und Auswahl der Nachrichtenthemen. Dabei haben Qualitätsmedien die Funktion diese Auswahl bei einer gleichzeitigen größtmöglichen Vielfalt durchzuführen. Gleichzeitig differenzieren sich auch die Systeme Massenmedien und Politik immer weiter aus, was zu einer stärkeren Bedeutung der einzelnen Redaktionssysteme führt. Sie entwickeln vermehrt ihre eigenen Nachrichtenlogiken, das heißt Nachrichtenwerte und Funktionen sind nicht unbedingt gattungsspezifisch, sondern redaktionsspezifisch.
Auch wenn es nicht wirklich möglich ist, den einzelnen Gattungen einzelne Funktionen bzw. unterschiedliche Leistungen für Gesellschaft oder Politik zuzuschreiben, gibt es in Österreich immer wieder Versuche einzelner wissenschaftlicher Arbeiten eine Neueinteilung der Medienlandschaft vorzunehmen. So halten die zwei einzigen, als überregional definierten Qualitätstageszeitungen „Der Standard“ und die „Presse“ in den meisten Bereichen den empirischen Studien stand. Nur im Vergleich zur deutschen Konkurrenz gibt es eine nicht so stark und qualitativ ausgeprägte politische Berichterstattung.
So gilt es in Zukunft auch nicht immer denselben Kriterienkatalog für publizistische Qualität im Ländervergleich, sondern mögliche „spill-over“ Effekte in bestimmten Bereichen der Qualitätsmedien zu untersuchen (Udris/Luch, 2009. S.29). Gibt es beispielsweise eine Zunahme der Qualität durch Ausbau des Feuilletons und gleichzeitig die Abnahme von Qualität durch eine stärkere Personalisierung oder Ent-Politierunge? Dabei muss sich auch normativ die Frage gestellt werden, ob bsp. Personalisierung in Bezug auf eine höhere Reichweite mit gleichzeitiger höherer Recherchearbeit und vielfältig aufbereiteten Artikeln nicht sogar ein Fortschritt in der Qualitätspresse wäre. Denn das Ziel muss sein, die Gesellschaft nicht in zwei Gesellschaften (Gesellschaft „Gratis-Boulevard“ und die der exklusiven Informationen) unterteilen zu wollen. Vielleicht ist das auch nur mit einer Hybridisierung von bestehenden Qualitätsmedien möglich.
- Interessant ist auch, dass die Österreichische Bevölkerung im europäischen Vergleich 2010 den höchsten Vertrauenswert aller EU-Mitgliedsstaaten weiterhin in die Printmedien hat (Plasser/Lengauer, 2010. S. 28). Und das trotz oder gerade wegen der starken Pressekonzentration in dem kleinen Land.
- Dieses Ergebnis aus 2010 müsste heute noch einmal überprüft werden. Denn es liegt die Vermutung nahe, dass durch die aktuelle „Lügenpresse“-Debatte gerade das Vertrauen in Qualiätsmedien sinkt. Um dem entgegenzuwirken, muss der Fokus auf bessere Recherchen und kritische Hintergrundberichte gelegt werden.
- Fazit der empirischen Ergebnisse: Es findet kein einheitlicher empirisch beweisbarer Trend der inhaltlichen Boulevardisierung statt. Jedoch werden die Inhalte immer unpolitischer und die Themenspektren der Tageszeitungen werden weiter, Politik verliert dabei an Platz und Bedeutung.
- Zum Fazit von Blöbaum, dass sich Nachrichtenwerte redaktionsspezifisch und nicht Gattungsspezifisch unterscheiden, gilt es jetzt diese Erkenntnis mit weiteren Untersuchungen empirisch zu überprüfen.
- Außerdem kann einer weiteren Frage zur Gattungsdebatte nachgegangen werden: Gibt es qualitätsvollen Boulevard und nicht-qualitätsvollen Qualitätsjournalismus? Dabei muss auch der Fokus der Wissenschaft stärker auf Boulevardjournalismus und dessen Funktionen für die Gesellschaft genauer untersuchen werden.
- Mit dem Markteintritt der Onlinezeitung NZZ.at bieten sich große Chancen die österreichische Medienlandschaft weg von einer Boulevardisierung zu bewegen. Etwas zynisch schreibt dazu der Chefredakteur des alternativen Mediums „Noisey by Vice“ JonasVogt auf Twitter: „Ich wünsche der@ NZZat und deröMedienlandschaft, dass ihre Geschichten so groß sind wie ihr Ego.“ Für die Wissenschaft heißt es nach diesem neuen Markeintritt mehr in Sachen Printmedien und Onlinezeitungen zu forschen.
„Wir glauben: Genau diese Spezialisierung, Fokussierung und die Möglichkeit, in die Tiefe zu gehen, ist das richtige Bezahlmotiv“, sagt Fleischhacker, diese Form der journalistischen Spezialisierung wird übrigens auch schon von der holländischen Seite De Correspondent erfolgreich praktiziert. (Brodnig, Falter 47/14)
6 Literaturverzeichnis
- Arnold, Klaus (2008): Qualität im Journalismus – ein integratives Konzept. In: Publizistik: 53. 488- 508. VS Verlag, Wiesbaden.
- Arnold, Klaus (2009): Qualitätsjournalismus. Die Zeitung und ihr Publikum. UKV Verlagsgesellschaft, Konstanz.
- Berghaus, Margot (2011): Luhmann leicht gemacht. Eine Einführung in die Systemtheorie. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien.
- Blöbaum, Bernd (2011): Wandel von Qualitätsmedien. . In: Blum, Roger et al. (Hrsg.): Krise der Leuchttürme öffentlicher Kommunikation. Vergangenheit und Zukunft der Qualitätsmedien. S.49-63. VS Verlag, Wiesbaden. 2011.
- Blum, Roger (2011): Einleitung Leidende Leuchttürme. Über die Unentbehrlichkeit von Qualitätsmedien . In: Blum, Roger et al. (Hrsg.): Krise der Leuchttürme öffentlicher Kommunikation. Vergangenheit und Zukunft der Qualitätsmedien. S.7-14. VS Verlag, Wiesbaden. 2011.
- Burkart, Roland (2002): Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft. 4., grundlegend überarbeitete und aktualisierte Auflage. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar.
- Dolinski, Ulrike (2003): Sensationsjournalismus in Deutschland. UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz.
- Esser, Frank (2004): Journalismus vergleichen. Komparative Forschung und Theoriebildung. In: Löffelholz, Martin (Hrsg): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2. Auflage. S. 151- 180. VS Verlag, Wiesbaden. 2004.
- Fiedler, Harald (2004): Im Vorhof der Schlacht: Österreichs alte Medienmonopole und neue Zeitungskriege. Falter Verlag, Wien.
- Fiedler, Harald (2008): Österreichs Medienwelt von A bis Z. Falter Verlag, Wien.
- Holtz-Bacha, Christina (1996): Massenmedien und Wahlen. In: Holtz-Bacha, Christina/Kaid, Lynda Lee (Hrsg.): Wahlen und Wahlkampf in den Medien. Opladen, 1996. S. 9-44.
- Jarren, Otfried/Vogel, Martina (2011). „Leitmedien“ als Qualitätsmedien: Theoretisches Konzept und Indikatoren. In Blum, Roger; Imhof, Kurt & Bonfadelli, Heinz (Hrsg.), Krise der Leuchttürme öffentlicher Kommunikation: Vergangenheit und Zukunft der Qualitätsmedien.
- Jarren, Otfried/ Donges, Patrick (2011): Politische Kommunikation n der Mediengesellschaft. Eine Einführung. 3., grundlegend überarbeitete und aktualisierte Auflage. VS Verlag, Wiesbaden.
- Kepplinger, Hans Mathias (1992): Ereignismanagement. Wirklichkeit und Massenmedien. Edition Interform, Zürich.
- Kepplinger, Hans Mathias (2009): Politikvermittlung. Theorie und Praxis Öffentlicher Kommunikation. VS Verlag, Wiesbaden.
- Lengauer, Günther (2007): Postmoderne Nachrichtenlogik. Redaktionelle Politikvermittlung in Medienzentrierten Demokratien. VS Verlag, Wiesbaden.
- Lengauer, Günther/ Vorhofer, Hannes (2010): Redaktionelle Politikvermittlung im Nationalratswahlkampf 2008. In: Plasser, Fritz (Hrsg.): Politik in der Medienarena. Praxis politischer Kommunikation in Österreich. S.145 - 192. Facultas Verlag, Wien. 2010.
- Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2 Bände. Suhrkamp, Frankfurt am Main.
- Luhmann, Niklas (1996): Die Realität der Massenmedien. 3. Auflage. SV Verlag, Wiesbaden. 2004.
- Magin, Melanie/ Stark, Birgit (2009): Einführung. In: Magin, Melanie/ Stark, Birgit (Hrsg.): Die österreichische Medienlandschaft im Umbruch. Relation, N.F. Bd. 3, S. 7-16. Österr. Akademie der Wissenschaften, Wien 2009.
- Magin, Melanie/ Stark, Birgit (2011) :Österreich – Land ohne Leuchttürme? Qualitätszeitungen im Spannungsfeld zwischen publizistischer Leistung und strukturellen Zwängen . In: Blum, Roger et al. (Hrsg.): Krise der Leuchttürme öffentlicher Kommunikation. Vergangenheit und Zukunft der Qualitätsmedien. S.97-114. VS Verlag, Wiesbaden. 2011.
- Meier, Klaus (2007): Journalistik. UKV Verlagsgesellschaft, Konstanz.
- Udris, Linards / Lucht, Jens (2009): Öffentliche Kommunikation im Umbruch? Wandel der Medienstrukturen und Medieninhalte in ländervergleichender und diachroner Perspektive. In: Stark, Birgit /Magin, Melanie (Hrsg.): Die Österreichische Medienlandschaft im Umbruch. Relation, N.F. Bd. 3, S. 17-40. Österr. Akademie der Wissenschaften, Wien 2009.
- Plasser, Fritz/Lengauer, Günther (2010): Die Österreichische Medienarena: Besonderheiten des Politischen Kommunikationssystems. In: Plasser, Fritz (Hrsg.): Politik in der Medienarena. Praxis politischer Kommunikation in Österreich. S.19-52. Facultas Verlag, Wien. 2010.
- Rühl, Manfred (1969): Systemdenken in der Kommunikationswissenschaft“. In: Publizistik, 2, 1969, S. 185- 206.
- Rühl, Manfred (1979): Die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales System. In: Reihe der des Instituts für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Freiburg, Band 14, Freiburg. 1979.
- Saxer, Ulrich (1996): Medientransformation - Bilanz nach einem Jahrzehnt dualem Rundfunks in Deutschland. In: Hömberg, Walter/ Pürer, Heinz (Hrsg.): Medien-Transformation. Zehn Jahre Dualer Rundfunk in Deutschland. Konstanz, S. 19-44.
- Schulz, Winfried (2011): Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung. 3., überarbeitete Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. S.217- 245.
- Weber, Stefan (1995): Nachrichtenkonstruktion im Boulevardmedium. Die Wirklichkeit der „Kronen Zeitung“. Passagen Verlag, Wien.
Onlinequellen:
- Brodnig, Ingrid (2014): Neue Züricher Zukunftsforschung, In: Falter 47/14, online unter http://www.falter.at/falter/2014/11/18/neue-zuercher-zukunftshoffnung/ (abgerufen am 21.1.2015)
- DerStandard.at (2014): „Krone“-Abendausgabe täglich zur Entnahme, In: http://derstandard.at/2000007941720/Krone-will-Terrain-in-Wien-zurueckerobern (abgerufen am 26.1 2015)
- Fiedler, Harald (2014): Funke bestätigt "Krone"-Offensive: "Haben Syndikatsverträge gekündigt". In: DER STANDARD, 7.10.2014, online unter http://derstandard.at/2000006492730/Funke-bestaetigt-Krone-Offensive-Haben-Syndikatsvertraege-gekuendigt (abgerufen am 21.1 2015)
- Mediaanalyse (2014): Österreichische Auflagenkontrolle http://www.statistik.at/web_de/statistiken/bildung_und_kultur/kultur/buecher_und_presse/021554.html (abgerufen am 3.1.2015)
- Vogt, Jonas (2015): Ich wünsche der@ NZZat und deröMedienlandschaft, dass ihre Geschichten so groß sind wie ihr Ego. In: https://twitter.com/L4ndvogt/status/557858402316328961 (abgerufen am 21.1.2015)
7 Abbildungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 ... S. 6
Massenmedien – Ein Funktionssystem auf drei Säulen mit strukturellen Kopplungen zur Umwelt. In: Berghaus, Margot (2011): Luhmann leicht gemacht. Eine Einführung in die Systemtheorie. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien. S. 241.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 .. S. 22
ARGE Medienanalysen (2015): Mediaanalyse 2014. Onlinequelle. http://www.media-analyse.at/p/2. zuletzt abgerufen am. 29.1.2015.
[...]
[1] „Heute“, die „Salzburger Nachrichten“ und regionale Tageszeitungen werden an dieser Stelle ausgelassen, obwohl sie ihrer Stellung und Leserschaft nicht unwichtig sind. Sie können zwar theoretisch österreichweit erworben bzw. online nachgelesen werden, sind jedoch nicht als „überregionale Tagespresse“ einzuordnen. Seit 2010 ist Österreich laut der Mediaanalyse der Statistik Austria als Gratiszeitung einzustufen.
[2] Mehr dazu im Kapitel „Wandel der Qualitätsmedien“.
[3] Vergleich und weitere Erläuterungen zu der Selbstbeschreibung der Tageszeitung „Österreich“ unter Kapitel 5.4.
[4] Die Systemtheorie wurde von vielen Theoretikern in den verschiedensten Perspektiven erweitert, in unterschiedliche Richtungen weitergedacht und entwickelt. Da das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt jedoch nicht auf einer exakten Einteilung der verschiedenen systemtheoretischen Richtungen, sondern darauf, die Fragestellungen durch aktuelle Beiträge theoretischer und empirischer Natur zu beantworten.
[5] Mehr zu Funktionen in Kapitel 2.2.
[6] Die Definition von Prestig- und Popularmedien werden in diesem Text in Kapitel 5.1. genauer erklärt. Sie werden in weiterer Folge als Qualitäts- und Boulevardmedien bezeichnet.
[7] Die Denkpositionen von Habermas und Luhmann unterscheiden sich in sehr vielen grundlegenden Punkten. Diese kurze Aufzählung soll keinesfalls eine vollständige Beschreibung darstellen. Der kurze Anriss des Themas soll vielmehr zeigen, dass der Autorin bewusst ist, dass der systemtheoretische Zugang in der Kommunikationswissenschaft nicht die einzig anerkannte Gesellschaftstheorie ist. Neben der „Theorie des Kommunikativen Handelns“ nach Habermas, gibt es beispielsweise noch die Theorien nach Bourdieu, „Symbolischen Interaktionismus“ oder die Gatekeeper Theorie, die ebenfalls (zumindest teilweise) im Widerspruch mit einer systemtheoretischen Denkweise stehen.
[8] Lebenswelt nach Habermas: Privatsphäre, Kultur, Öffentlichkeit.
[9] Das System „Massenmedien“ ist hier nicht mehr im strengen Luhmann’ischen Sinn zu verstehen, sondern bereits als „Redaktionssystem“ oder „Journalismussystem“.
[10] Mehr zu dem System „politischer Willensbildung“ gibt es in dem Buch Politikvermittlung von Hans Mathias Kepplinger (2009).
[11] Siehe „Nachrichtenwerte“ weiter unten.
[12] Einem Pseudo-Ereignis geht die Annahme voraus, dass es ohne Medienberichterstattung ein bestimmtes Ereignis nicht geben würde. Beispielsweise eine Pressekonferenz, eine Tagung oder eine Demonstration (Kepplinger 1992. S.49)
[13] Der Begriff wird im Kapitel „Amerikanisierung“ genauer erläutert.
[14] Im Fokus bleibt dennoch eine systemtheoretische Anschauung.
[15] Prestige-Medien würde ich in dem Zusammenhang mit Leit-Medien gleichsetzen.
[16] In seinem integrativen Konzept behandelt er ebenfalls ausführlich die normativ-demokratieorientierte Ebene. Das sei der vollständigkeitshalber angemerkt.
[17] Wurde an anderer Stelle bereits genauer erläutert.
[18] Siehe Kapitel 5.1.
[19] Mehr zu angeschnittenen Themen, die es noch zu durchdenken oder untersuchen gilt, befinden sich in Kapitel 6.
[20] Mehr zu Studien zu Wahlkämpfen in Kapitel 5.5.3.
[21] Qualitätsmedientradition meint hier eine ausgeprägte Qualitätsmedienlandschaft in den unterschiedlichsten Facetten.
[22] Es gibt auch andere transkulturelle Kommunikationsprozesse, auf die hier nicht genauer eingegangen wird, wie zum Beispiel Globalisierung oder Europäisierung in Einzelländer (Esser, 2004. S.160). Auch die Amerikanisierung als zu untersuchender Prozess wird hier nicht ausführlich beschrieben und diskutiert.
- Arbeit zitieren
- Katharina Egg (Autor:in), 2015, Österreich und die Qualitätszeitung. Aktuelle Leistungen und Phänomene österreichischer Tageszeitungen in der politischen Berichterstattung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/322582
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