„Sexualisierte Gewalt wird zu 90 Prozent von Männern ausgeübt, die Opfer sind zu 80 bis 90 Prozent Mädchen und Frauen. Das ist die bittere statistische Wahrheit“ (Deistler, Vogler 2002, S. 8, Vorwort von M. Huber). Im Extremfall kann es infolge schwerer körperlicher, seelischer und/ oder sexueller Gewalterfahrungen zur Entstehung der dissoziativen Identitätsstörung kommen.
Menschen die an einer dissoziativen Identitätsstörung erkrankt sind werden häufig zu Adressaten sozialpädagogischen Handelns. Daher soll die vorliegende Arbeit dem Leser ein Verständnis für das Krankheitsbild der betroffenen Menschen vermitteln, um dann einen Einblick in die Möglichkeiten der sozialpädagogischen Arbeit mit betroffenen Frauen im Bereich des betreuten Wohnens zu geben.
Dem Leser werden zunächst grundlegende Informationen über den Prozess der Dissoziation vermittelt. Diese Informationen sind als Wissensfundament zu betrachten, welches dazu dient, die Entstehung der dissoziativen Identitätsstörung nachvollziehen zu können.
Anschließend wird auf das Störungsbild der dissoziativen Identitätsstörung eingegangen. Dazu werden zunächst die Vorraussetzungen zur Entstehung der Störung aufgezeigt und die diagnostischen Kriterien werden unter Heranziehung eines Klassifikationssystems dargestellt. Im Anschluss daran wird ein Einblick in die Phänomenologie gegeben und es wird auf die Problematik in der Differenzialdiagnose anhand von zwei Beispielen hingewiesen.
Darauf aufbauend wird ein Einblick in die Vielfalt der Identitätsmuster mit ihren jeweiligen Persönlichkeitsmerkmalen gegeben. Dabei soll dem Leser verdeutlicht werden, welche Funktionen innerhalb des Körpers von den dissoziierten Identitäten eingenommen werden können. Außerdem werden Informationen und praktische Hinweise zur Kommunikation mit Betroffenen gegeben.
Einzelne Aspekte des Umgangs mit Klientinnen, die an der dissoziativen Identitätsstörung erkrankt sind, werden darauf folgend dargestellt. Es wird dabei verdeutlicht, wie Klientinnen bei ihrer Lebensbewältigung sozialpädagogisch unterstützt werden können. Dazu werden zunächst Grundeinstellungen und Grundsätze, die Sozialpädagoginnen in ihrer Arbeit berücksichtigen sollten, thematisiert. Abschließend wird auf die sozialpädagogische Beratungs- und Betreuungsarbeit, sowie auf spezielle Hilfen und Methoden zur Alltagsbewältigung eingegangen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Prozess der Dissoziation
3 Die dissoziative Identitätsstörung (DIS)
3.1 Traumatische Ereignisse als Ursache dissoziierter Identitäten
3.2 Diagnostische Kriterien und Phänomenologie
3.2.1 Diagnostische Kriterien des DSM-IV
3.2.2 Einblick in das Störungsbild
3.2.3 Mögliche Begleitsymptomatik
3.3 Differenzialdiagnostik
3.3.1 Borderline-Persönlichkeitsstörung
3.3.2 Schizophrenie
4 Mögliche Identitätsmuster und die sozialpädagogische Kommunikation
4.1 Außen- und Innenpersonen
4.2 Kinderpersönlichkeiten
4.3 Verfolgerpersönlichkeiten
4.4 Beschützerpersönlichkeiten
4.5 Gegengeschlechtliche Persönlichkeiten
4.6 Sozialpädagogischen Kommunikation
5 Sozialpädagogischen Arbeit im betreuten Wohnen
5.1 Grundeinstellungen und Grundsätze
5.2 Stabilisierung durch Beratung und Begleitung
5.3 Methoden der Alltagsbewältigung
5.4 Die Gefahr der sekundären Traumatisierung
6 Fazit
Anhang:
Literatur
Erklärung
1 Einleitung
„Sexualisierte Gewalt wird zu 90 Prozent von Männern ausgeübt, die Opfer sind zu 80 bis 90 Prozent Mädchen und Frauen. Das ist die bittere statistische Wahrheit“ (Deistler, Vogler 2002, S. 8, Vorwort von M. Huber). Im Extremfall kann es infolge schwerer körperlicher, seelischer und/ oder sexueller Gewalterfahrungen zur Entstehung der dissoziativen Identitätsstörung kommen.
Frauen die an einer dissoziativen Identitätsstörung erkrankt sind werden häufig zu Adressaten sozialpädagogischen Handelns. Daher soll die vorliegende Hausarbeit dem Leser Verständnis für das Krankheitsbild der Menschen mit einer Dissoziativen Identitätsstörung vermitteln, um dann einen Einblick in die Möglichkeiten der sozialpädagogischen Arbeit mit betroffenen Frauen im Bereich des betreuten Wohnens zu geben.
Da die Mehrheit der Menschen mit einer dissoziativen Identitätsstörung weiblichen Geschlechts ist verzichte ich in dieser Arbeit auf Doppelformen wie Klient/ Klientin, Betroffener/ Betroffene, Sozialpädagoge/ Sozialpädagogin. Männliche Leser und insbesondere männliche Betroffene mögen sich bitte nicht ausgeschlossen fühlen wenn weitestgehend die weibliche Form verwendet wird.
In Kapitel 2 werden dem Leser zunächst grundlegende Informationen über den Prozess der Dissoziation vermittelt. Diese Informationen sind als Wissensfundament zu betrachten, weil ohne sie die Entstehung der dissoziativen Identitätsstörung nicht nachvollzogen werden kann.
Auf das Störungsbild der dissoziativen Identitätsstörung wird in Kapitel 3 eingegangen. Dazu werden zunächst die Vorraussetzungen zur Entstehung der Störung aufgezeigt und die diagnostischen Kriterien werden unter Heranziehung eines Klassifikationssystems dargestellt. Im Anschluss daran wird ein Einblick in die Phänomenologie gegeben und auf die Problematik in der Differenzialdiagnose anhand von zwei Beispielen hingewiesen.
Die Kapitel 2 und 3 gaben bisher grundlegende Informationen, die meiner Meinung nach bedeutend sind um professionelle Arbeit mit betroffenen Klientinnen zu leisten. Kapitel 4 soll darauf aufbauend einen Einblick in die Vielfalt der Identitätsmuster mit ihren jeweiligen Persönlichkeitsmerkmalen geben. Hier soll dem Leser deutlich werden welche Funktionen innerhalb des Körpers von den dissoziierten Identitäten eingenommen werden können. Außerdem beinhaltet dieses Kapitel Informationen und praktische Hinweise zur Kommunikation mit der Klientin.
Einzelne Aspekte des Umgangs mit Klientinnen die an der dissoziativen Identitätsstörung erkrankt sind werden in Kapitel 5 dargestellt. Es wird deutlich wie Sozialpädagoginnen eine Klientin bei ihrer Lebensbewältigung unterstützen können. Begonnen wird in diesem Kapitel mit den Grundeinstellungen und Grundsätzen die Sozialpädagoginnen meiner Meinung nach in der Arbeit berücksichtigen müssen. Daraufhin wird auf die sozialpädagogische Beratungs- und Betreuungsarbeit, sowie auf spezielle Hilfen und Methoden zur Alltagsbewältigung eingegangen.
Abschließend wird in Kapitel 6 ein Resümee gezogen.
2 Der Prozess der Dissoziation
Die Persönlichkeit eines Menschen stellt eine Einheit dar, die durch Gedächtnis und Identität erhalten wird. Das menschliche Gedächtnis verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander und lässt die Menschen ihre jeweilige Identität erschließen, welche dann die Einzigartigkeit einer Person, mit ihren spezifischen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Merkmalen empfinden lässt (vgl. Comer 1995, S. 642). Liegt eine Störung des Gedächtnisses oder der Identität eines Menschen vor, so sind verschiedene Fähigkeiten, wie zum Beispiel Lernprozesse oder Erinnerungsvermögen, beeinträchtigt. Die Denkfähigkeit und Informationsverarbeitung ist verändert.
Kann für diese Gedächtnisstörungen eine physische bzw. organische Ursache eindeutig ausgeschlossen werden, so wird von dissoziativen Störungen gesprochen (vgl. Comer 1995, S. 643). Hierzu zählen unter anderen die dissoziative Fugue, die dissoziative Amnesie oder die Depersonalisierungsstörung. Vordergründiges Symptom dieser Störungen ist „(…) der zeitweilige Verlust der Kontrolle über die eigene Identität“ (Fiedler 2001, S. 56).
Eine der auffälligsten dissoziativen Störungen ist die Dissoziative Identitätsstörung, bei der es durch den Dissoziationsvorgang zum Vorliegen von zwei oder mehreren Identitäten gekommen ist. Folglich stellt der Prozess der Dissoziation, bei der Entstehung einer DIS, die fundamentalste Funktion dar.
Versteht man Assoziation als die Fähigkeit Verbindungen von Zusammengehörendem herzustellen oder sich mit dem eigenem Erleben unmittelbar zu verbinden, so stellt die Dissoziation den Gegenpol dar. Sie ermöglicht es sich von dem unmittelbaren Erleben zurückzuziehen. Das Erlebte wird nicht mehr psychisch integriert.
Assoziation und Dissoziation zählen zu den grundlegenden Mechanismen menschlichen Erlebens. „Dabei fügen wir zusammen (assoziieren) und trennen wieder oder schieben beiseite (dissoziieren), was von bestimmten Instanzen unseres Gehirns als
a) zu unwichtig oder
b) zu brisant
eingeschätzt wird“ (Huber 2003, S. 54).
Die Fähigkeit zur Dissoziation ist daher jedem gesundem Menschen gegeben und vorausgesetzt sie schränkt das tägliche Leben nicht ein, zunächst als positiv zu betrachten.
Der Dissoziationsprozess kann mit dem Distanzieren von der Realität gut beschrieben werden. Im Alltag findet man dieses Phänomen unter anderem bei Tagträumen, in starken Konzentrationssituationen oder beim automatischen und routinierten Autofahren. In diesen Situationen sind unsere Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen nicht mehr eine Einheit, sondern voneinander abgespalten.
Dissoziationsvorgänge der Psyche können auch als Reaktionsformen im Sinne eines Abwehrmechanismus oder Bewältigungsversuch verstanden werden und stellen daher eine Form der innerpsychischen Belastungsverarbeitung dar (vgl. Sonnenmoser 2004, S. 372). Folglich wird der Prozess der Dissoziation häufig in die Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen eingebunden. Verhaltens-, Denk-, und Handlungsabläufe können abgespalten werden, ohne dass dies von der betroffenen Person beeinflusst wird. Die Psyche kann sich demzufolge, mit Hilfe dieses Mechanismus vor einer Überschwemmung von stark bedrohlichen Gefühlen, Empfindungen und Wahrnehmungen schützen.
Menschen die an einer dissoziativen Identitätsstörung leiden, haben durch ihr Dissoziationsvermögen das Unerträgliche bzw. die traumatische Erfahrung abgespalten und sie auf diese Weise möglichst unerreichbar in ihrem Inneren abgelegt. Zusammengehörendes wurde von den betroffenen Personen mittels dieser unbewussten Schutzfunktion getrennt und es kam zu einer Fragmentierung von Bewusstsein, Identitätserleben, Wahrnehmung des Selbst und der Umwelt.
„Im Verlauf dissoziativer Prozesse werden Anteile des Erlebens und Handelns durch spezifische Bewusstseins- oder Aufmerksamkeitsprozesse voneinander getrennt gehalten“ (Fiedler 2001, S. 56). Dieser Bewusstseinsverlust kann über einen längeren Zeitraum andauern und zum Beispiel die Gedankenwelt, Erinnerungen, Gefühle oder Empfindungen betreffen.
3 Die dissoziative Identitätsstörung (DIS)
Im Folgenden soll ein Überblick über das Störungsbild der DIS gegeben werden, welche die intensivste Form der dissoziativen Abspaltung darstellt. Dazu wird auf die Ätiologie des Störungsbildes eingegangen und die diagnostischen Kriterien werden beleuchtet. Im Anschluss daran wird ein Einblick in die Phänomenologie gegeben und auf die Problematik in der Differenzialdiagnose hingewiesen.
3.1 Traumatische Ereignisse als Ursache dissoziierter Identitäten
Als Voraussetzung für die Entstehung einer DIS muss eine gute Dissoziationsfähigkeit vorhanden sein. Entscheidende Ursachen sind darüber hinaus das Schicksal einer schweren und lang anhaltenden Traumatisierung, die es notwendig gemacht hat, die Fähigkeit der Dissoziation vermehrt zu nutzen und die Aussichtslosigkeit auf Hilfe in der traumatischen Situation.
„Die körperliche, seelische und/ oder sexuelle Gewalt muß sehr früh beginnen – schon im Kleinkindalter -, muß sich über Jahre häufig wiederholen, und wenn beide Eltern extrem ambivalent oder ausschließlich offen feindselig sind und das Kind wirklich niemanden hat, an den es sich wenden kann – dann wendet es sich an sich selbst, indem es sich in mehrere Identitäten aufspaltet“ (Huber 2002, S. 18). Demzufolge ist jede Diagnosefeststellung dieser Störung mit einer vorangegangenen Straftat in Verbindung zu bringen. „Denn die DIS ist mit der Posttraumatischen Belastungsstörung und inzwischen auch der Borderline-Störung die einzige Diagnose, die in direktem Zusammenhang mit traumatischen Gewalterleben gesehen wird“ (Deistler, Vogler 2002, S. 27).
Kommt es zu mehreren Traumatisierungen, so kann es sein, dass die Persönlichkeit bildlich beschrieben in mehrere Teile zerbricht, die dann jeweils eine gewisse Eigenständigkeit entwickeln können. Diese Aufspaltung haben die Betroffenen in ihrer Vergangenheit ein oder mehrere Male durchlebt um Traumata auszuhalten zu können (vgl. Huber 2003, S. 65).
Michaela Huber (2002) nennt als eine weitere Voraussetzung zur Entwicklung einer DIS das weibliche Geschlecht. Jedoch räumt sie gleich am Anfang des entsprechenden Kapitels ein, dass hier Ausnahmen die Regel bestätigen. Mehrere Erhebungen und Untersuchungen haben ergeben, dass auch Männer sexuellen Misshandlungen ausgesetzt sein können und bei einigen ebenfalls die DIS diagnostiziert wurde. Das Vorkommen der Erkrankung bei Frauen ist zwar höher, jedoch wird davon ausgegangen dass im Bereich der Männer eine große Dunkelziffer vermutet werden muss (vgl. Huber 2002, S. 38ff).
Systematische Fallstudien haben mittlerweile bestätigen können dass die Entstehung einer DIS eng mit frühkindlichen traumatischen Erfahrungen und Erlebnissen zusammenhängt, die in den meisten Fällen durch psychischen, physischen oder sexuellen Missbrauch auf die Kinder einschlugen (vgl. Fiedler 2001, S. 183).
„Die Entwicklung einer chronifizierten dissoziativen Identitätsstörung hängt zumeist mit gravierenden Mißbrauchserfahrungen in der Kindheit oder Jugend zusammen bzw. lässt sich vermutlich in vielen Fällen ursächlich auf diese zurückführen (…)“ (Fiedler 2001, S. 73). Dissoziation ist somit als Überlebensstrategie in Folge extremer oder chronischer (sexualisierter) Gewalt anzusehen.
3.2 Diagnostische Kriterien und Phänomenologie
Im Folgenden sollen die diagnostischen Kriterien anhand des DSM-IV (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen) erläutert werden um dann einen Einblick in das Störungsbild und die Begleitsymptomatik zu geben.
Zunächst möchte ich jedoch auf Gründe meiner Entscheidung für die Verwendung des DSM-IV als Klassifikationssystem eingehen.
Es handelt sich beim DSM-IV um ein weltweit anerkanntes Klassifikationssystem der psychischen Störungen, welches von der amerikanischen psychiatrischen Vereinigung herausgegeben wurde.
Das in Deutschland stärker verbreitete Klassifikationssystem ist das ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten). Dieses ist von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben, wird von den deutschen Krankenkassen akzeptiert und dient als offizieller Standard bei Dokumentation und Abrechnung. Es wird sich bemüht beide Klassifikationssysteme aufeinander abzustimmen, die Genauigkeit und Klarheit des DSM-IV konnte aber aus meiner Sichtweise heraus bisher im ICD-10 nicht erreicht werden.
Da die DIS auf der Achse I (300.14) des DSM-IV klarer und präziser definiert wird als im ICD-10, in dem die DIS zu der Kategorie F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen unter dem Abschnitt Sonstige dissoziative Störungen (F44.8-) der dissoziativen Störungen zu finden ist, beziehe ich mich im Folgenden auf das DSM-IV.
Einen Weiteren Grund stellt die Tatsache dar, dass die DIS im ICD-10 weiterhin als Multiple Persönlichkeitsstörung (F44.81) bezeichnet wird, das DSM-IV diese Bezeichnung allerdings schon 1994 durch den definitorisch besseren Begriff DIS ersetzt hat.
„Bei näherer Betrachtung handelt es sich bei der dissoziativen Identitätsstörung um einen chronifizierten Wechsel handlungssteuernder Identitätsmuster (…)“ (Fiedler 2001, S. 72).
Da es sich bei den unterschiedlichen Identitätsmustern der Betroffenen trotz aller Symptome um ein und dieselbe Person handelt und die Bezeichnung DIS den Mechanismus der Dissoziation mit einbezieht, halte ich sie für treffender.
3.2.1 Diagnostische Kriterien des DSM-IV
Im DSM-IV werden die Hauptmerkmale der DIS in drei Kriterien (A, B, C) eingeteilt. Das vierte Kriterium (D) dient der Differenzialdiagnose. Im Folgenden werden zunächst die diagnostischen Kriterien der DIS nach dem DSM-IV aufgelistet, um dann in den Abschnitten 3.2.2 und 3.2.3 auf eine Auswahl der zur DIS gehörenden Merkmale und Symptome einzugehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Sass 1996, S. 554f.)
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine DIS vorliegt, wenn in einer Person mindestens zwei Identitätsmuster vorhanden sind, welche abwechselnd, aber nicht zwingend regelmäßig, das Verhalten der Person kontrollieren. Zusätzlich können Betroffene sich an bedeutungsvolle Informationen nicht erinnern. Diese Vergesslichkeit darf allerdings nicht in Zusammenhang mit herkömmlichen Erinnerungsschwierigkeiten stehen. Kriterium D weist darauf hin, dass bei einer DIS die Ursache einer Substanzwirkung oder einer medizinischen Erkrankung ausgeschlossen sein muss. Des Weiteren wird hervorgehoben, dass die Diagnosestellung bei Kindern hinsichtlich kindlicher Phantasien überprüft werden soll.
3.2.2 Einblick in das Störungsbild
Eine von der DIS betroffene Frau trägt mehrere zu unterscheidende Persönlichkeitsanteile in sich, die jeweils eigene Namen und Selbstbilder, sowie persönliche Geschichten und Erfahrungen haben können. „Die Anzahl der berichteten Identitäten kann von 2 bis mehr als 100 reichen. Die Hälfte der berichteten Fälle beziehen sich auf Personen mit 10 oder weniger Identitäten“ (Sass 1996, S. 552).
„Bei der Betrachtung der verschiedenen Persönlichkeitsanteile eines multiplen Menschen verwenden wir die Begriffe „(Teil)Identität“, „Teilpersönlichkeit“, „Person“ und „Alter-Person“ bzw. „Alter“ (für alternierender Persönlichkeitsanteil) synonym. In der Literatur finden sämtliche Bezeichnungen Verwendung“ (Deistler, Vogler 2002, S. 14).
Fiedler (2001) verwendet ebenso den Begriff Identitätsmuster, auf den in meinen folgenden Ausführungen auch zurückgegriffen wird. Auf die Verwendung des Begriffs „ Person “ wird allerdings verzichtet, da ich diesen Wortgebrauch zur Umschreibung eines Persönlichkeitsanteils nicht für angemessen halte (siehe auch 3.2).
Die einzelnen Persönlichkeitszustände einer Klientin können sich nicht nur in Alter, Handschrift, Interessen, Hobbys, Intellekt, Intelligenz, Werte, Bedürfnisse etc. unterscheiden, sondern auch in ihren sozialen Bezügen, der sexuellen Orientierung und Identität, der Sprache, ihrem subjektiven Körperschema (Haarfarbe, Augenfarbe, Größe, Gewicht etc.) oder sogar in physiologischen Messwerten wie bei einem EEG (vgl. Deistler, Vogler 2002, S.57). Auch der Klang der Stimme ist zwischen den Alter-Personen meistens unterschiedlich. Ebenso kann die Rechts- oder Linkshändigkeit zwischen den einzelnen Persönlichkeitszuständen wechseln.
Jedes Identitätsmuster hat eine bestimmte Funktion eingenommen und ist somit auch wichtig für die Gesamtfunktion der Betroffenen im Alltag. Die Summe aller Alter-Personen in einem Körper wird in Bezug auf die Anordnung und ihrer Organisation untereinander als Persönlichkeitssystem bezeichnet. Auf einige mögliche Persönlichkeitszustände und deren Funktionen im System wird in Kapitel 4 noch näher eingegangen.
Der Wechsel der Kontrolle über den Körper von einem Persönlichkeitsanteil zu einem anderen wird Identitätswechsel genannt. Die Begriffe Wechsel, Identitätsflukation und Switch werden synonym verwendet.
„Zu einem bestimmten Zeitpunkt dominiert immer eine der Persönlichkeiten das Verhalten“ (Zimbardo, Gerrig 2004, S. 686). Kommt es zu einer Identitätsflukation so wird der Wechsel häufig von der gerade dominierenden Alter-Person als wenig positiv erlebt, da dieser Vorgang einen Kontrollverlust mit sich zieht: Übernimmt ein Identitätsmuster die Außenkontrolle, so muss in diesem Moment ein anderes dafür zurückweichen (vgl. Fiedler 2001, S. 190). An dieser Stelle können die unterschiedlichsten Problematiken entstehen. „Was, wenn eine erklären muß, warum sie ihren Unterrichtsstoff plötzlich nicht mehr weiß (eine andere »Person« von ihr war im Unterricht gewesen!)“ (Huber 2002, S. 139)?
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- Quote paper
- Claudia Steenbeck (Author), 2004, Sozialpädagogische Arbeit im Rahmen betreuten Wohnens von Frauen mit einer dissoziativen Identitätsstörung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32231
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