Worin besteht für John Rawls Gerechtigkeit und ist seine Konzeption überzeugend? Dieser Frage wird in diesem Essay nachgegangen. Grundlage ist Rawls Aufsatz "Justice as Fairness".
Dispute über Gerechtigkeit sind wahrscheinlich so alt wie die Kooperation unter vernunftbegabten Menschen selbst, was sich besonders in der Tradition der politischen Philosophie beobachten lässt, in der die Gerechtigkeit einen elementaren Bestandteil des menschlichen Zusammenlebens formuliert. Doch obwohl der Terminus im Laufe der Zeit immer wieder Bedeutungswandel erfahren hat und ihm eine Vielzahl unterschiedlicher Auffassungen zugrunde liegen, so ist die normative Essenz des Begriffes bis in die Gegenwart erhalten geblieben.
In dieser Ausarbeitung wird eine Dimension der Gerechtigkeit untersucht, die aus heutiger Sicht eine besonders wichtige Rolle in der politischen Philosophie und dem öffentlichen Diskurs einnimmt – die Gerechtigkeit sozialer Institutionen. Am Beginn dieser Untersuchung erfolgt zunächst eine Rekonstruktion der Gerechtigkeitskonzeption von John Rawls, im weiteren Verlauf wird diese dann der zeitgenössischen Position von Robert Nozick gegenübergestellt, um zu verdeutlichen was ihre Stärken und Schwächen sind. Letztendlich werde ich im Schlussteil dieser Ausarbeitung erörtern warum ich Rawls Konzeption der Gerechtigkeit als besonders fruchtbar erachte.
Der amerikanische Philosoph John Rawls gilt als einer der wohl einflussreichsten Denker der politischen Philosophie der Gegenwart und war maßgeblich an der Begründung der philosophischen Strömung des egalitären Liberalismus beteiligt. Vertreter dieser Strömung erachten den Aspekt der Gleichheit als elementaren Bestandteil für das gerechte Zusammenleben von Menschen.
In seinem Aufsatz “Justice as Fairness“ entwickelt Rawls erstmals eine Konzeption, welche den Aspekt der Fairness als fundamentale Idee der Gerechtigkeit auffasst. In dieser Konzeption wird Gerechtigkeit explizit als eine Tugend sozialer Institutionen verstanden, die die Grundnorm der menschlichen Kooperation artikuliert. Demnach ist sie konstitutiv für die Struktur sozialer Interaktion und balanciert somit die Distribution von Macht, Verbindlichkeiten, Rechten und Pflichten.
Aufgabe:
Worin besteht für John Rawls Gerechtigkeit? Erklären Sie Rawls' Konzeption auf der Grundlage seines Aufsatzes "Justice as Fairness" und diskutieren Sie vor dem Hintergrund der anderen behandelten Texte, ob diese Konzeption überzeugend ist.
Dispute über Gerechtigkeit sind wahrscheinlich so alt wie die Kooperation unter vernunftbegabten Menschen selbst, was sich besonders in der Tradition der politischen Philosophie beobachten lässt, in der die Gerechtigkeit einen elementaren Bestandteil des menschlichen Zusammenlebens formuliert. Doch obwohl der Terminus im Laufe der Zeit immer wieder Bedeutungswandel erfahren hat und ihm eine Vielzahl unterschiedlicher Auffassungen zugrunde liegen, so ist die normative Essenz des Begriffes bis in die Gegenwart erhalten geblieben. In dieser Ausarbeitung wird eine Dimension der Gerechtigkeit untersucht, die aus heutiger Sicht eine besonders wichtige Rolle in der politischen Philosophie und dem öffentlichen Diskurs einnimmt – die Gerechtigkeit sozialer Institutionen. Am Beginn dieser Untersuchung erfolgt zunächst eine Rekonstruktion der Gerechtigkeitskonzeption von John Rawls, im weiteren Verlauf wird diese dann der zeitgenössischen Position von Robert Nozick gegenübergestellt, um zu verdeutlichen was ihre Stärken und Schwächen sind. Letztendlich werde ich im Schlussteil dieser Ausarbeitung erörtern warum ich Rawls Konzeption der Gerechtigkeit als besonders fruchtbar erachte.
Der amerikanische Philosoph John Rawls gilt als einer der wohl einflussreichsten Denker der politischen Philosophie der Gegenwart und war maßgeblich an der Begründung der philosophischen Strömung des egalitären Liberalismus beteiligt. Vertreter dieser Strömung erachten den Aspekt der Gleichheit als elementaren Bestandteil für das gerechte Zusammenleben von Menschen. In seinem Aufsatz “Justice as Fairness“ entwickelt Rawls erstmals eine Konzeption, welche den Aspekt der Fairness als fundamentale Idee der Gerechtigkeit auffasst. In dieser Konzeption wird Gerechtigkeit explizit als eine Tugend sozialer Institutionen verstanden, die die Grundnorm der menschlichen Kooperation artikuliert. Demnach ist sie konstitutiv für die Struktur sozialer Interaktion und balanciert somit die Distribution von Macht, Verbindlichkeiten, Rechten und Pflichten.[1]
Die Rawls'sche Gerechtigkeitskonzeption beruht auf zwei Prinzipien, die das Fundament der Konzeption darstellen und anhand derer die Legitimität einer bestehenden Kooperation bemessen werden kann.
1.) Jeder Teilnehmer der Kooperation hat einen gleichen Anspruch auf umfassende Grundrechte und Freiheiten, die mit den Grundrechten und Freiheiten der anderen Teilnehmerkompatibel sind.
2.) Ungleichheiten sind illegitim, es sei denn a) sie tragen vernünftigerweise zum Vorteil aller Teilnehmer bei[2] und b) die Postionen die Ungleichheiten hervorbringen sind für alle Teilnehmer gleichermaßen zugänglich.
Diese Prinzipien artikulieren drei grundlegende Ideen des menschlichen Zusammenlebens: Freiheit, Gleichheit und die Entlohnung von Diensten, welche eine Förderung des Gemeinwohls bewirken.[3] Nach der Auffassung von Rawls ist anzumerken ist, dass die Prinzipien der Gerechtigkeit in einem bestimmten Verhältnis zu einander stehen, wobei das erste Prinzip (Prinzip der gleichen Freiheit) gegenüber dem zweiten Prinzip (Differenzprinzip) grundsätzlich Vorrang hat. Weiterhin ist zu bemerken, dass das Prinzip der gleichen Freiheit durchaus in der Tradition des Utilitarismus steht und eine ähnliche Ansicht auch schon bei John Stuart Mill präsent ist: “Liberty, as a principle, has no application to any state of anterior to the time when mankind have become capable of being improved by free and equal discussion.”[4] Das Differenzprinzip hingegen darf keinesfalls mit dem utilitaristischen Prinzip der Nutzenmaximierung verwechselt werden, welches besagt, dass Handlungen geboten sind, sofern sie den Nutzen in der Welt bestmöglich befördern.[5] Da ich den Unterschied zwischen dem Differenzprinzip und dem Prinzip der Nutzenmaximierung als essentiell für das Verständnis der Rawls'schen Gerechtigkeitskonzeption erachte, werde diesen zunächst genauer explizieren.
Stellt man sich eine Gesellschaft vor, die auf dem Prinzip der Nutzenmaximierung begründet ist, so würde es in dieser vollkommen legitim sein, wenn die Majorität ihrer Mitglieder kaum imstande wäre zu überleben, sofern eine Minorität der Gemeinschaft in der Lage ist den Gesamtnutzen deutlich besser zu befördern. Was schlicht bedeutet, dass wenn die Gesamtnutzensumme größer ist als die Bilanz des Schadens, dann wäre diese Gemeinschaft im utilitaristischen Sinne 'gut' und demnach wären Ungleichheiten dieser Art sogar geboten. Die Quintessenz dieses kleinen Exkurses ist es, zu verdeutlichen, dass Gerechtigkeit in der Konzeption des Utilitarismus eine marginale Rolle spielt, bzw. nur dann von Bedeutung ist wenn sie den Nutzen mehr befördert als Ungerechtigkeit.[6] Daher liegt der signifikante Unterschied zwischen dem zweiten Rawls'schen Gerechtigkeitsprinzip und dem der Nutzenmaximierung darin, dass es explizit als eine Ausnahmeregelung des Prinzipes der gleichen Freiheit verstanden werden muss. Folglich teilt Rawls die liberale Auffassung, dass eine Gemeinschaft von Individuen, die auf der Idee des Wettbewerbes begründet ist, deutlich mehr Gesamtwohlstand hervorbringen kann, als eine rein egalitäre Gemeinschaft. Jedoch ist der legitime Erwerb von Sonderstellungen (Ungleichheiten) in der Rawls'schen Konzeption sowohl an das Prinzip der Chancengleichheit, als auch an eine Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl gebunden.[7]
Stellt man sich nun eine Gemeinschaft von Menschen vor, die sich (sofern das Prinzip der gleichen Freiheit erfüllt ist!) auf Basis des Differenzprinzipes konzipiert, so würde es auch in dieser legitime Ungleichheiten zwischen den einzelnen Teilnehmern geben. Diese wären jedoch an einen verbindlichen Beitrag der besser gestellten Teilnehmer zum Gemeinwohl gebunden, welcher sich u.a. auch darin manifestiert, dass auch die am schlechtesten gestellten Mitglieder der Kooperation von der Ungleichheit profitieren. Des Weiteren wäre ein jedes Mitglied einer solchen Gemeinschaft befähigt, sofern es gewillt ist, in eine solche Sonderstellung zu gelangen und gemäß ihres Verdienstes und Engagements gegenüber dem Gemeinwohl, entsprechend entlohnt zu werden.[8]
Jetzt stellt sich freilich die Frage: Warum sollten Individuen genau diese Prinzipien anerkennen und in ihre Kooperation implementieren? Rawls Antwort auf diese Frage ist ein Gedankenexperiment, welches aufzeigen soll, dass Akteure aufgrund ihrer Rationalität (und unter spezifischen Bedingungen) Prinzipien dieser Art wählen müssten. Für das Verständnis des Rawls'schen Gedankenexperimentes ist es zunächst hilfreich die einzelnen Prämissen des Argumentes aufzuschlüsseln und es anhand dieser zu rekonstruieren. Man stelle sich also eine Gesellschaft vor:
(P1) In der ein System der sozialen Interaktion bereits gut etabliert ist.
(P2) Deren Mitglieder egoistisch motiviert sind und deren Treue gegenüber der Gemeinschaft darauf beruht, dass die Kooperation voraussichtlich einen persönlichen Vorteil für sie hervorbringen wird.
(P3) In der Individuen rationale Akteure sind.[9]
(P4) Deren Mitglieder über kompatible oder komplementäre Interessen verfügen.
(P5) In welcher Individuen etwa gleich stark und fähig sind.
Die Mitglieder dieser Gesellschaft führen nun, wie es in jeder Kooperation Fall ist, Diskussionen über die derzeitige Beschaffenheit der institutionalisierten Ordnung. Wobei jedem Individuum die Möglichkeit zuteil wird eine berechtigte Beschwerde gegen diese Ordnung vorzutragen. Bevor die Teilnehmer ihre Beschwerden jedoch vortragen können, müssen sie sich zunächst auf Prinzipien einigen, anhand derer die soziale Institution und ebenso die Beschwerden beurteilt werden sollen.
(P6) Anerkannte Prinzipien sind fortan verbindlich für die gesamte Gesellschaft.
(P7) Die Individuen können nicht wissen, wie die spezifischen Umständen der Zukunft beschaffen sind.
Die Teilnehmer dieser Gesellschaft befinden sich nun in einer Situation, in der sie miteinander Prinzipien vereinbaren müssen, die fortan für ihre Kooperation verbindlich sein werden. Weil die Individuen nicht wissen können, wie Umstände der Zukunft beschaffen sind, werden diese keine Prinzipien fordern, die nur gegenwärtig von Vorteil für sie wären. Da die Anerkennung solcher Prinzipien sich, unter anderen Umständen, als ein Nachteil für sie herausstellen könnte. Rawls argumentiert also, dass die Akteure in dieser Situation genötigt sind vernünftig zu handeln und dementsprechend nur solche Prinzipien fordern würden, die 1.) auch in einer ungewissen Zukunft keinen Nachteil für sie zur Folge haben; 2.) den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft keine Möglichkeit eröffnen, einen Vorteil ihnen gegenüber zu erwerben; 3.) ihr eigenes Interesse (im Rahmen der ersten beiden Kriterien) bestmöglich befördern.[10]
Nach der Auffassung Rawls ist es die Gerechtigkeit, die in Situationen dieser Art für alle Teilnehmer eine entscheidende Rolle spielt und anhand derer die Übereinkunft der Individuen letztendlich konstituiert wird.
“Thus […] questions of justice arise when conflicting claims are made upon the design of a practice and where it is taken for granted that each person will insist, as far as possible, on what he considers his rights.”[11]
Demnach müssen die gesuchten Prinzipien eine faire Balance zwischen den konkurrierenden Ansprüchen der Individuen hervorbringen und eine solche faire Balance sieht Rawls in den seinigen Prinzipien der Gerechtigkeit, da sie im Rahmen des Gedankenexperimentes für alle Individuen (aus Vernunftgründen) gleichermaßen attraktiv sind.
[...]
[1] Vgl. Rawls, John: Justice as Fairness, in: The Philosophical Review, Vol. 67, No. 2 (Apr. 1958), S. 164f.
[2] Der Beitrag zum Vorteil aller Teilnehmer wird im weiteren Verlauf dieser Ausarbeitung synonym mit einen Beitrag zum Gemeinwohl verwendet.
[3] Vgl. Ebd. S. 165.
[4] Mill, John Stuart: On Liberty – and Other Essays, Oxford 2008, S. 15.
[5] Vgl. Gesang, Bernward: Utilitarismus, in: Jordan, Stefan/ Nimtz, Christian (Hrsg.): Lexikon der Philosophie. Hunert Grundbegriffe, Reclam 2011, S. 276-278.
[6] Vgl. Ebd. S. 276.
[7] Vgl. Rawls: Justice as Fairness. S. 167f.
[8] Wobei Entlohnung im weitesten Sinne des Wortes verstanden werden muss und daher nicht nur auf die finanzielle Dimension des Begriffes reduziert darf. Vgl. Ebd. S.169.
[9] Rationalität beinhaltet nach der Auffassung Rawls: 1.) Die Kenntnis der eigenen Interessen und die Fähigkeit ermitteln zu können, welche wünschenswerten Konsequenzen aus einer bestimmten Interaktion hervorgehen. 2.) Die konsistente Verfolgung von Interessen (v.a. langfristiger Interessen), was eine gewisse Resistenz gegen Versuchungen impliziert, die kurzfristig das persönliche Interesse befriedigen, es aber mittel- oder langfristig gefährden würden. 3.) Die partielle Freiheit von Neid, bzw. das Vermögen, ein bestimmtes Maß an Differenz, zwischen den Konditionen anderer Individuen den eigenen Konditionen, nicht als Quelle der Unzufriedenheit zu erachten. Vgl. Ebd. S. 170.
[10] Vgl. Ebd. S.171f.
[11] Ebd. S.172.
- Arbeit zitieren
- Gino Krüger (Autor:in), 2013, John Rawls Gerechtigkeitskonzeption, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/322189
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