Der deutsche Bundeskanzler wechselt seine Meinung auf Grund von Meinungsumfragen, die englischen „Spin-Doctors“ bestimmen mit Instrumenten der Marktforschung, welche Politik Tony Blair verfolgen soll und in der Schweiz wird der SVP vorgeworfen, sie besitze keine Grundeinstellung, ihre Politik werde ausschliesslich von Parteistrategen1 bestimmt. In den letzten Jahren ist das der Eindruck entstanden, Parteien würden, ähnlich wie Verkaufsartikel, den Marktgegebenheiten angepasst, derweil Ideologien in den Hintergrund treten oder ganz ausgeblendet werden.
„Das manische Bestreben der „Spin-Doctors“, das Bild der Regierung in Medien und Öffentlichkeit positiv zu beeinflussen,“ so schreibt beispielsweise die Neue Zürcher Zeitung „hat dazu geführt, dass ihren Verlautbarungen auch dann misstraut wird, wenn sie sachlich und wahrheitsgetreu sind.“ (NZZ, 2000). Es wird also grundsätzlich angenommen, Politiker lügen, beziehungsweise ihre Aussagen entsprechen nicht dem, was sie denken. George Gorton, einer der einflussreichsten „Spin-Doctors“ (Nixon, Reagan, Schwarzenegger) erzählt, wie er 1996 von Boris Jelzin engagiert wurde und ihm zur Wiederwahl verhalf: „Ich wollte gerade mit meinem Guru nach Bali fasten und meditieren gehen, als jemand anrief und sagte: ‚Mr. Gorton, wir wissen alles über Sie. Wir wollen, dass Sie morgen nach Russland kommen.’ (…) Als ich in Moskau ankam, lag Jelzin in den Umfragen bei sechs Prozent, vier Kandidaten lagen vor ihm.“ (Weltwoche, 2003) Ohne Jelzin jemals zu treffen, schaffte es Gorton, den kranken, alkoholsüchtigen Präsidenten so zu positionieren, dass er über die Hälfte der Stimmen erzielte. Gorton’s Rezept: „We find out what the voters want, and we give it to them“ („Spinning Boris“, 2003).
In Zentraleuropa wird oftmals Tony Blair als der erste Politiker wahrgenommen, der seine Politik auf Wählerumfragen basiert. Sogar Mitglieder seiner Partei stellen unterdessen in Frage, ob er wirklich ideologische Werte besitzt, oder lediglich nach der optimalen Position sucht. (Rudolf Rechsteiner: „Für mich ist Blairs Labour-Partei nicht mehr sozialdemokratisch“, BZ, 2003). Auch die sonst eher zurückhaltende Financial Times zweifelt an Blairs Werten. Einen Artikel über seine Ausrichtung betitelt sie mit „Blah Blah Blair“ (NZZ, 2002).
Inhalt
1 Einführung
1.1 Forschungsfrage
1.2 Relevanz
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Theorie
2.1 Public Choice
2.1.1 Die Nachfrage
2.1.1.1 Das Wahlverhalten
2.1.1.2 Das Proximity Modell
2.1.1.3 Das Directional Modell
2.1.1.4 Das Directional Model mit Penalty und Region of Acceptability
2.1.2 Das Angebot
2.2 Die Dimensionalität der politischen Raumes
2.3 Research Design
3 Daten
3.1 Die Nachfrage
3.2 Das Angebot
4 Operationalisierung
4.1 Die Nachfrage
4.1.1 Das Proximity Modell
4.1.2 Das Directional Modell
4.1.3 Das Directional Modell mit Penalty und Region of Acceptability
4.1.4 Die Güte der Modelle
4.2 Die Dimensionalität des politischen Raumes
4.2.1 Die Nachfrage
4.2.2 Das Angebot
5 Resultate
5.1 Die Dimensionalität des politischen Raumes
5.1.1 Die Nachfrage in den Dimensionen
5.1.2 Das Angebot in den Dimensionen
5.1.3 Die Perfekte Partei
5.1.3.1 Das Proximity Modell
5.1.3.2 Das Directional Modell
5.1.3.3 Das Directional Modell mit Penalty und Region of Acceptability
6 Schlussfolgerung
7 Bibliographie
7.1 Literaturliste
7.2 Zeitungsartikel und andere Medien
7.3 Datensätze
8 Anhang
8.1 Faktoranalyse der Nachfrage
8.2 Issues des Angebots
8.3 Proximity Modell
8.4 Directional Modell
8.5 Directional Modell mit Penalty und Region of Acceptability
1 Einführung
Der deutsche Bundeskanzler wechselt seine Meinung auf Grund von Meinungsumfragen, die englischen „Spin-Doctors“ bestimmen mit Instrumenten der Marktforschung, welche Politik Tony Blair verfolgen soll und in der Schweiz wird der SVP vorgeworfen, sie besitze keine Grundeinstellung, ihre Politik werde ausschliesslich von Parteistrategen[1] bestimmt. In den letzten Jahren ist das der Eindruck entstanden, Parteien würden, ähnlich wie Verkaufsartikel, den Marktgegebenheiten angepasst, derweil Ideologien in den Hintergrund treten oder ganz ausgeblendet werden.
„Das manische Bestreben der „Spin-Doctors“, das Bild der Regierung in Medien und Öffentlichkeit positiv zu beeinflussen,“ so schreibt beispielsweise die Neue Zürcher Zeitung „hat dazu geführt, dass ihren Verlautbarungen auch dann misstraut wird, wenn sie sachlich und wahrheitsgetreu sind.“ (NZZ, 2000). Es wird also grundsätzlich angenommen, Politiker lügen, beziehungsweise ihre Aussagen entsprechen nicht dem, was sie denken. George Gorton, einer der einflussreichsten „Spin-Doctors“ (Nixon, Reagan, Schwarzenegger) erzählt, wie er 1996 von Boris Jelzin engagiert wurde und ihm zur Wiederwahl verhalf: „Ich wollte gerade mit meinem Guru nach Bali fasten und meditieren gehen, als jemand anrief und sagte: ‚Mr. Gorton, wir wissen alles über Sie. Wir wollen, dass Sie morgen nach Russland kommen.’ (…) Als ich in Moskau ankam, lag Jelzin in den Umfragen bei sechs Prozent, vier Kandidaten lagen vor ihm.“ (Weltwoche, 2003) Ohne Jelzin jemals zu treffen, schaffte es Gorton, den kranken, alkoholsüchtigen Präsidenten so zu positionieren, dass er über die Hälfte der Stimmen erzielte. Gorton’s Rezept: „We find out what the voters want, and we give it to them“ („Spinning Boris“, 2003).
In Zentraleuropa wird oftmals Tony Blair als der erste Politiker wahrgenommen, der seine Politik auf Wählerumfragen basiert. Sogar Mitglieder seiner Partei stellen unterdessen in Frage, ob er wirklich ideologische Werte besitzt, oder lediglich nach der optimalen Position sucht. (Rudolf Rechsteiner: „Für mich ist Blairs Labour-Partei nicht mehr sozialdemokratisch“, BZ, 2003). Auch die sonst eher zurückhaltende Financial Times zweifelt an Blairs Werten. Einen Artikel über seine Ausrichtung betitelt sie mit „Blah Blah Blair“ (NZZ, 2002).
In den Medien wird also ein Bild der Politik kreiert, in welchem die Akteure politische Inhalte alleine nach Mehrheitsfähigkeit evaluieren und dementsprechend Parteien lediglich als Produzenten von Konsumgütern sehen, von denen sie möglichst viele Einheiten absetzten möchten. Die Parteistrategen gleichen in diesem Bild den Strandverkäufer an der Riviera, die möglichst viele Kettchen, Uhren und Sonnencremen verkaufen wollen. Der Wähler entspricht dem Strandbesucher. Er sitzt auf seinem Badetuch und bestimmt, welche Artikel, also welche politischen Inhalte, gefragt sind: Bevorzugt er eine rigorose Ausländerpolitik, werden ihm die Parteien diese offerieren, ähnlich wie der Verkäufer mehr Regenschirme im Sortiment hat, wenn ein Sommergewitter aufzieht. Die Parteien analysieren ständig, wie sich die Nachfrage verändert und passen ihre Themen dementsprechend an. Ihr einziges Ziel ist es, den Wähleranteil zu erhöhen. Oder möglichst viele Sonnenbrillen, Kofferradios und Sandalen zu verkaufen.
Diese Arbeit soll die Idee der Partei als Artikel auf dem freien Mark konsequent anwenden: Es wird eine neue Partei entworfen, die sich ausschliesslich nach der Maxime der Absatzsteigerung richtet. Das Ziel besteht darin, jene Inhalte anzusprechen, die das grösste Stimmenpotential bergen. Mit einem Augenzwinkern wird die neue Partei „die Perfekte Partei“ (abgekürzt: PP) genannt.
Die Perfekte Partei wird in drei Schritten entworfen: Zuerst steht das Verhalten der Stimmbürger im Mittelpunkt. „Warum wählt Herr Bachmann die SVP? Und warum wählt Frau Ziauddin die SP?“ Auf diese Fragen antworten die verschiedenen Modelle der Wahlentscheidung. Mit Hilfe von Annahmen über die Entscheidungsfindung entwickeln sie Modelle, die voraussagen, wie sich die Wähler an der Urne verhalten. Aus den Annahmen über das Wählerverhalten folgen, zweitens, Annahmen über das Verhalten der Parteien: Wie wählt die CVP ihre Strategie? Was sind ihre Ziele? Zuletzt sind Aussagen über das Untersuchungsniveau notwendig: Die Perfekte Partei soll in einem allgemeinen ideologischen Raum positioniert werden. Dazu stellen sich folgende Fragen: Wie viele Dimensionen braucht es, um diesen Raum zu modellieren? Was drücken sie aus? Und wo sind die bestehenden Parteien positioniert?
Diese drei Schritte im Detail: Auf die Frage, wie wählt ein Wähler seine Partei aus?, geben die politischen Wissenschaften verschiedene Antworten. Bekannt sind die strukturellen Ansätze, welche die den historischen Kontext als prägendes Element bezeichnen und die kulturellen Ansätze, welche sich an der Sozialpsychologie und der Ethnologie orientieren. Diese Arbeit beschränkt sich auf die Antworten einer dritten Theorie-Gruppe, der Public Choice. Diese Ansätze übertragen die Instrumente der Wirtschaftswissenschaften auf aussermarktliche Situationen, sie entsprechen also der Idee einer Partei als Artikel auf dem Markt. Ein grosser Vorteil der Public Choice Modelle liegt in der starken Formalisierung: Sie benötigen nur wenige Variablen und diese lassen sich leicht Operationalisieren.
Die wichtigste Prämisse der Public Choice Ansätze lautet: Die Wähler sind immer rational. Diese vorderhand triviale Annahme hat entscheidende Auswirkungen auf die Modellierung des Wählerverhaltens, wie im theoretischen Teil erläutert wird.
Zu den verschiedenen Public Choice Ansätzen: Ich werde auf die zwei wichtigsten Modelle dieser Theorie-Gruppe zurückgreifen. das Proximity Modell von Anthony Downs (1957) und das Directional Modell von Georges B. Rabinowitz, Stuart Elaine Macdonald und Ola Listhaug (1975). Die beiden Ansätze widersprechen sich in ihrer Prognose: Das Proximity Modell lässt die Wähler eher zentrumsnahe Parteien wählen, während das Directional Modell eher extreme Parteipositionen favorisiert. Die Perfekte Partei wird mit beiden Modellen erhoben, und die Resultate werden verglichen. Das Ziel ist, das Modell zu finden, dass die Realität möglichst getreu nachbildet: Nur wenn der politische Raum den tatsächlichen Wahlresultaten entsprechend modelliert werden kann, ist die errechnete Position der Perfekten Partei glaubhaft.
Das Parteiverhalten lässt sich ableiten vom Wählerverhalten: Wenn sich die Wähler rational verhalten, müssen dies die Parteien auch tun. Das heisst: die Parteien haben nur eine inhaltliche, aber keine religiöse oder moralische Ausrichtung, denn für die Wähler spielen diese Faktoren keine Rolle. Das Parteiprogramm wird alleine dadurch bestimmt, welche Haltungen am meisten gefragt sind. Weiter wird angenommen, dass die anderen Parteien nicht auf das Erscheinen der Perfekten Partei reagieren und dass die Parteien homogen sind, also klar zu jedem Thema eine klare, eindeutige Meinung haben.
Der dritte Schritt der Untersuchung setzt das Untersuchungsniveau fest und untersucht dieses: Die Perfekte Partei soll in einem ideologischen Raum positioniert werden. Dazu muss erstens bestimmt werden, wie viele Dimensionen diesem Raum zu Grunde liegen und zweitens, was die Dimensionen ausdrücken. Vermutet wird, dass sich die Schweiz mit zwei Dimensionen „erklären“ lässt und diese Dimensionen den Konfliktlinien libertär bis autoritär und sozial bis wirtschaftlich entsprechen. Wie im theoretischen Teil erläutert wird, sind diese beiden Dimensionen charakteristisch für moderne, westeuropäische Demokratien.
Untersucht wird das (Wahl-) Jahr 1999. Gerne hätte ich neuere Daten gebraucht, doch liessen sich keine geeigneten Quellen finden. Für die Nachfrage werden die so genannten Selects Daten (Hirter, 2000) verwendet, und für das Angebot wird auf eine Analyse von Zeitungsartikeln zurückgegriffen. Diese Untersuchung stammt von Kriesi und seinen Mitarbeitern und ist noch unveröffentlicht.
1.1 Forschungsfrage
Die Forschungsfrage lautet: Wenn man heute eine Partei gründet, welche Inhalte muss sie ansprechen, um einen maximalen Wähleranteil zu erzielen?
1.2 Relevanz
Es sollen Aussagen über das schweizerische Parteiensystem gemacht werden, die Fragen beantworten wie: Welche politischen Positionen sind am viel versprechendsten? Wo überlagern sich die Haltungen der Parteien? Haben sich die Parteien dem veränderten Parteiensystem (Kitschelt, 1994) angepasst? Möglicherweise werden auch Interpretationen der Wahlresultate möglich: Hat die FDP verloren, weil sie sich zu nahe der SVP positioniert hat und dieses Potential bereits erschöpft war? Diese Arbeit ist also auch für die Parteien relevant, denn sie gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Position exakt mit dem Wählerwunsch zu vergleichen und gegebenenfalls anzupassen.
1.3 Aufbau der Arbeit
Im anschliessenden theoretischen Teil werden alle Theorien, Ideen und Konzepte erläutert. Ein nächstes Kapitel gibt Übersicht über die Datenlage und die verschiedenen Datenquellen. Es folgt die Operationalisierung, wo die Theorie auf ein messbares Niveau gebracht und auf mögliche Probleme bei der Umsetzung aufmerksam gemacht wird. Dann werden die Resultate präsentiert und in einem abschliessenden Kapitel interpretiert und gewürdigt.
Die Arbeit verzichtet bewusst darauf, Hypothesen aufzustellen, da keine Erwartungen bestehen, wo sich die Perfekte Partei positionieren wird. Es ist des Weiteren nicht das Ziel der Untersuchung, Theorien an einem konkreten Gegenstand zu überprüfen und zu verifizieren oder zu falsifizieren. Für das vorliegende Projekt sind meiner Meinung nach keine Hypothesen notwendig.
2 Theorie
Die Perfekte Partei möchte ihren Stimmenanteil maximieren, ähnlich wie eine Firma möglichst viele Einheiten eines Produktes verkaufen will. Um dieser Idee gerecht zu werden, greife ich auf Theorien der Public Choice zurück. Alle diese Theorien gehen davon aus, dass der politische Raum ähnlich funktioniert wie der Markt. Innerhalb der Public Choice wird der Ansatz gesucht, der die politische Realität am besten modelliert, das heisst, das Modell wird als Sieger gekürt, welches die beste Wahlvorhersage stellt.
2.1 Public Choice
Von Paul W. Thurner (1998) stammt folgende Definition der Public Choice: „[Sie] ist Teil einer aussermarktlichen Ökonomik, die die moderne wirtschaftswissenschaftliche Perspektive und insbesondere das ökonomische Verhaltensmodell auf Gebiete ausserhalb des Preissystems anwendet, (…) speziell auf dem demokratischen Prozess.“ Unter „ökonomischen Verhaltensmodell“ versteht Thurner das Verhalten von Individuen, in gegebenen Entscheidungssituationen systematisch diejenige Alternative zu wählen, die den grössten eigenen Vorteil stiftet und die geringsten Kosten verursacht. Diese Art von Verhalten, als Konzeption des „homo economicus“ aus der Ökonomie bekannt ist, wendet die Public Choice auf den politischen Prozess an. Das bedeutet: Die Public Choice sieht keinen Unterschied zwischen der Wahl einer Partei oder dem Kauf eines Joghurts: Bei beiden Entscheiden ist alleine der individuelle Nutzen ausschlaggebend.
Die Public Choice unterscheidet in Analogie zum Markt zwischen Nachfrage und Angebot. Der Nachfrager ist der Wähler und die Public Choice untersucht, wie er sich für ein Angebot, also für eine Partei entscheidet. Thurner (1998), wie auch andere Public Choice Autoren, unterscheidet auf der Angebotsseite zusätzlich zwischen Parteien und Parteiprogrammen. Die Programme entsprechen dem Angebot, so Thurner, und die Parteien entsprechen Firmen, welche dieses Angebot produzieren. Für die vorliegende Arbeit ergibt sich aus dieser Differenzierung keinen Nutzen, darum werden Parteien und ihre Programme gemeinsam zum Angebot gezählt.
2.1.1 Die Nachfrage
Wie wählt ein Stimmbürger eine Partei aus? Auf diese Grundfrage der Politologie gibt es zahlreiche theoretische Antworten, und auch verschiedene Richtungen der Public Choice-Theorie haben sich mit dieser Frage auseinandergesetzt. Für diese Arbeit werden zwei der wichtigsten Ansätze gewählt: Zum einen das proximity Modell von Downs (1957), einem Begründer der Neuen Politischen Ökonomie und zum anderen das directional Modell von Rabinowitz, Listhaug und Macdonald (1975, 1989, 1991), das als Replik auf Downs ursprüngliche Konzeption entstanden ist.
Die beiden Ansätze unterscheiden sich stark in ihren Aussagen, gleichwohl gehen sie von ähnlichen Annahmen aus (nur bei der Annahme über die Informiertheit der Wähler gibt es Unterschiede, darum wird diese Annahme in jedem Modell einzeln diskutiert). Wie in Wirtschaftstheorien gebräuchlich, sind die Prämissen sehr rigide und realitätsfremd. Downs hat sich in seinem Hauptwerk (1957) verschiedentlich zu diesen Annahmen geäussert und sie teilweise abgeschwächt. Das hier verwendete Modell geht jedoch nicht auf Downs eigene Einwände ein sondern übernimmt die Annahmen in ihrer strengen Form[2].
Rationalität der Akteure: Die Wähler haben eine klare, nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip erstellte Präferenzordnung der Issues - Positionen und versuchen mit der Stimmabgabe, diese Präferenzen auszudrücken. Das ist ihre einzige Motivation. Diese Annahme steht im Widerspruch zu anderen theoretischen Wahlindikatoren wie der Partei-Identifikation oder der sozialen Erwünschtheit. Das heisst nicht, das diese beiden Konzepte nicht auch rational sein können: Wenn man immer die gleiche Partei gewählt hat und mit ihrem Wirken grundsätzlich zufrieden ist, ist es durchaus rational, diese Partei auch weiter zu wählen. Diese Art der Entscheidungsfindung ist aber nicht rational im oben definierten Issue-Voting-Sinn.
Es gibt auch Public Choice Modelle, welche Faktoren wie die Parteiidentifikation berücksichtigen, hier wird auf sie verzichtet – einerseits weil die verwendeten Daten keine Angaben dazu enthalten, andererseits wegen dem grösseren rechnerischen Aufwand.
Keine Partei-Präferenzen: Die Stimmbürger bestimmen bei jeder Wahl aufs Neue, welche Partei ihnen den grössten Nutzen liefert, die Wähler betreiben also ausschliesslich Issues-Voting. Lediglich der Abstand der eigenen Position zu den Parteiprogrammen ist ausschlaggebend für die Wahlentscheidung und dieser Abstand wird immer richtig geschätzt, d.h. man schenkt der „eigenen“ Partei keine Vorliebe im Sinne einer Verkürzung des Abstandes. Es werden also auch mit dieser Annahme psychosoziale Erklärungsvariablen wie die Parteiidentifikation oder strukturelle Annahmen wie die Rolle der Geschichte ausgeblendet.
Die Annahme lässt sich theoretisch rechtfertigen: Verschiedene Autoren weisen darauf hin, dass die Stimmbürger immer mehr inhaltlich wählen und weniger von der Partei- oder Klassenzugehörigkeit geleitet werden (Swanson und Mancini 1996, Kitschelt 1994, Kleinnijenhuis 1998). Das Issue-Voting entspricht der Perfekten Partei: Sie transportiert die Inhalte, die gefragt sind. Andere Beweggründe kennt sie nicht.
Inelastische Nachfrage: Die Anzahl der Wähler ist stabil, Theorien über die Partizipation werden nicht berücksichtigt. Laut Downs (1957) enthalten sich beispielsweise die Stimmbürger der Wahl, wenn ihnen keine Partei genügend nahe steht. Für diese Arbeit wird die Wahlabstinenz nicht berücksichtigt, da sie das Modell zu stark komplizieren würde.
Homogenität der Akteure: Aus der Rationalität der Akteure folgt eine weitere restriktive Annahme. Wenn für einen Wähler mit gegebenen Präferenzen die Wahl vorbestimmbar ist, folgt, dass alle Wähler mit den gleichen Präferenzen die gleiche Partei wählen würden, oder, im Unkehrschluss, dass die Wähler einer Partei auf einer homogenen Fläche verteilt sind. Es kann nicht sein, dass Wähler an der gleichen Position für unterschiedliche Parteien wählen. Jede Partei hat also ihren Block.
Und auch die Parteien treten als homogene Akteure auf. Sie werden als einheitliche, mit einem einzigen Willen ausgestattete Organisationen angesehen, die sich an einem klaren politischen Ort positionieren lassen.
Gleichheit der Dimensionen: Die Wähler bewerten alle politischen Dimensionen als gleich bedeutend. Würde man diese Annahme nicht treffen, müsste man die Dimensionen gewichten und das Modell würde dementsprechend komplexer.
Thurner (1998: 65ff) steht diesen Prämissen kritisch gegenüber: Es gäbe kein Anzeichen, das für die Rationalität der Wähler spreche: „Während die Entscheidung eines Konsumenten direkt spürbare Konsequenzen für ihn hat, ist das bei Wahlentscheidungen nicht der Fall. Die Wahrscheinlichkeit, dass die individuelle Stimme ausschlaggebend ist, ist selbst bei kleinen Wahlgremien immer kleiner als eins.“ Ausserdem ist, so Thurner, die Analogie zwischen dem politischen System und dem Markt nicht unproblematisch: Die Wahl einer Partei und der Kauf eines Warenkorb seien nur bedingt vergleichbar: Beim Warenkorb könne man einen Artikel beliebig austauschen, bei einer Partei nur die ganze Partei wechseln. Dieser Kritik lässt sich allerdings entgegenhalten, dass man eine Partei nicht unbedingt als Warenkorb annehmen muss, das Modell funktioniert auch, wenn man die Partei in Analogie setzt zu einem einzelnen Artikel. Zuletzt kritisiert Thurner, dass mit der Konzeption des Wählers als homo economicus die bewiesenermassen wichtigen sozialpsychologischen und sozialstrukturellen Ansätze vernachlässigt werden.
Trotz Thurners Kritik gibt es gute Gründe, warum die Public Choice Ansätze für die vorliegende Arbeit geeignet sind: Die Resultate, welche mit diesen Modellen erzielt werden, weisen, ungeachtet der strengen Prämissen, eine hohe Übereinstimmung mit der Realität auf. Das heisst natürlich nicht, das die Modelle deswegen uneingeschränkt als valide bezeichnet werden könnten; es lassen sich bekanntlich auch mit „falschen“ Modellen „richtige“ Resultate erzielen. Trotzdem bleibt die Güte der Resultate ein wichtiges Kriterium für die Konstruktion der Perfekten Partei: Wie bereits erwähnt, kann die Position der PP nur als richtig bezeichnet werden, wenn das zu Grunde liegende Modell realistische Resultate liefert.
Ein weiter Vorteil der Public Choice Modelle, im Vergleich zu geschichtlichen oder psychosozialen Ansätzen, liegt in der Beschränkung auf wenige Variablen. Da die Perfekte Partei mittels eines Iterationsverfahren erhoben wird, ist es wichtig, dass die Modelle nicht zu viele Unbekannte enthalten, sonst würde der rechnerische Aufwand übermässig gross.
2.1.1.1 Das Wahlverhalten
Innerhalb der Public Choice werden zwei Ansätze verwendet: Das Proximity und das Directional Modell. Es wird das Modell gesucht, welches die bessere Annäherung an die Realität erreicht.
2.1.1.2 Das Proximity Modell
Die Dissertation eines Standford Studenten steht am Ursprung der Public Choice: 1957 verfasste Anthony Downs das epochale Werk „An Economic Theory of Democracy“. Mehr aus Versehen, als mit der Absicht, die Wahlforschung zu revolutionieren, schrieb er das Buch, das bis heute zu den Standardwerken der politischen Wissenschaften gehört. Eigentlich wollte er über ein anderes Thema schreiben: „Since my father was head of a real estate research firm, I first turned to urban economics. I proposed to study the effects of a major expressway on land values along its route“. Für dieses Vorhaben bekam Downs ein Stipendium, doch weil er keine Daten finden konnte, gab er auf (Downs, 1993: 197) und schrieb stattdessen die „Economic Theory of Democracy“.
Downs basiert sein Werk hauptsächlich auf die Arbeit eines Psychologen, der individuelles Wahlverhalten untersuchte (Coombs, 1950) und auf die Arbeit eines Statistikers, der sich mit Marktstandorten beschäftige (Hotelling 1929). Downs Grundgedanke zum Wählerverhalten ist sehr einfach und intuitiv gut verständlich: Der Wähler entscheidet sich für diejenige Partei, die ihm inhaltlich am Nächsten steht (daher der Name Proximity). Downs war von den amerikanischen Präsidentschaftswahlen inspiriert, darum ging er von einem Zweiparteiensystem aus, welches er auf einer Issue-Dimension untersuchte (die klassische links-rechts Einteilung). Er trug die Positionen von Wähler und Parteien in einer siebenteiligen Skala ein (siehe Abb. 1) und mass die Distanzen. Die Strecke zwischen Partei und Wähler stehe, so Downs, in einem direkten Verhältnis zum Nutzen für den Wähler: Je „näher“ er einer Partei stehe, desto grösser sein Profit. Der Nutzen steht also in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu Strecke – darum das negative Vorzeichen in Gleichung (1), die das down’sche Modell mathematisch ausdrückt. Der Nutzen, um den es in allen Public Choice Modellen geht, wird fortan „Voter Utility“ genannt und mit U bezeichnet.
(1) Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Uij stellt also den Nutzen des Wählers j dar, der Partei i wählt. Pi ist die Position der Partei i und Vj die Position des Wählers j. Beispiel: Der Wähler V (Abb. 1) wählt die Partei P1 da die Distanz nur 1.5 Einheiten beträgt, während P2 2.5 Einheiten entfernt ist.
Abb. 1: 7-teilige Issueskala
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sind die Wähler normalverteilt, so folgt aus Gleichung (1), dass sich die Parteien in einem Zweiparteiensystem nahe der Mitte positionieren werden. Diese Überlegung wurde bekannt unter dem Namen des „Median Voter Theorem“, auch „principle of minimum differentiation“ genannt (Thurner, 1998: 8). In einem Mehrparteiensystem hingegen, in dem es zusätzlich verschiedene Dimensionen gibt, ist das Ergebnis nicht vorhersagbar. Zyklische Mehrheiten entstehen, die nicht mit dem Median Voter Theorem erklärt werden können (Thurner, 1998: 20).
Seit Downs erster Formulierung des Proximity Models wurde seine Theorie stärker formalisiert und die ursprünglich eindimensionale Konzeption auf mehreren Dimensionen erweitert (Davis und Hinich, 1966, Enelow und Hinich, 1984, 1990, etc). Ich werde mich hier auf den Ansatz von Davis/ Hinich/ Ordeshook (1970) beziehen. Die Autoren übertragen Downs Modell in den Raum, müssen aber ein paar gewichtige Vereinfachungen vornehmen.
So gehen sie von der vollständigen Informiertheit der Wähler aus und nehmen damit einen zentralen Ansatz von Downs wieder zurück. Dieser zeigte auf, dass die Wähler meist nicht viel über die Inhalte einzelner Politikfelder wissen und welche alternativen Strategien sie benutzen, um dieses Manko zu kompensieren. Davis/ Hinich/ Ordeshook treffen diese (unrealistische) Annahme, weil sie dann davon ausgehen können, dass die Wähler die eigene und die Positionen der Parteien präzise bestimmen können. Weiter bestehen laut den Autoren keine interindividuelle Unterschiede in der Wahrnehmung der Parteien: Alle Wähler schätzen deren Positionen gleich ein (Beispiel: Es kommt nicht vor, dass ein Wähler die CVP als Mittepartei wahrnimmt, während ein anderer Wähler das Gefühl hat, die CVP sei eine bürgerliche Rechtspartei).
In der Literatur gibt es verschiedene Vorschläge, wie die down’sche Distanz zwischen Partei und Wähler am besten zu berechnen sei (Downs, 1957, Rabinowitz, Listhaug und Macdonald, 1991 , Samuel Merrill III und Bernard Grofman, 1999). Doch die Unterschiede zwischen euklidischer-, quadratisch euklidischer- und City Block-Distanz (die drei am häufigsten verwendeten Distanzmessungen) sind nicht in dem Masse signifikant, dass man sie für die vorliegende Arbeit getrennt erheben müsste (Lewis und King, 1999). Ich werde eine einfache euklidische Distanz berechnen, aus dem nahe liegenden Grund, dass diese Distanz am einfachsten zu erheben ist – ausserdem erzielen Lewis und King (1999) mit der euklidischen Distanz die besten Resultate.
2.1.1.3 Das Directional Modell
Von Donald E. Strokes (1963) stammt eine fundamentale Kritik an Downs Theorie. Er argumentiert, Wähler nähmen politischen Themen gar nicht auf die Art wahr, wie dies Downs unterstellte: Sie können ihre Position nämlich nicht auf einer Issue-Skala einordnen, so Strokes, sondern lediglich beurteilen, ob sie für oder gegen eine Vorlage sind. Das Proximity Modell basiere auf einer aus der kognitiven Psychologie bekannten Methode, die sehr valide sei, wenn es um eindeutige Entscheide gehe, wie die Präferenzen von verschiedener Farben. In der Politik seien die Issues aber selten so klar und die Entscheidung entstehe mehr aus einem Gefühl heraus als aus einer klaren Evaluation von Information[en].
Downs selber räumte ein, dass die Wähler unsicher seien im Bezug auf die eigene Position[3], Strokes aber postuliert, dass es gar keine Issue-Positionen gibt. In Umfragen würde nicht die Stärke gemessen, mit welcher der Befragte ein Thema annimmt oder verwirft, sondern die Intensität, mit welcher er das Issue als solches bewertet: Wie wichtig ist dem Subjekt diese politische Frage? Die Issue - Skala wird auch von Strokes gebraucht – allerdings mit einer anderen Interpretation als von Downs: Sie messe, so Strokes, nicht die präzise Position der Parteien / Wähler, sondern sei zu verstehen als Indikator für die Intensität, mit welcher eine Haltung vertreten wird.
[...]
[1] Der Lesefreundlichkeit halber verzichte ich in jeweils auf die Anführung der weiblichen und der männlichen Form.
[2] Die Prämissen werden nach Thurner (1998) zitiert.
[3] Donws Theorie wird oftmals fälschlicherweise auf das Median Voter Theorem beschränkt. Er selbst aber hat dieses in „An Economic Theory of Democracy“ abgeschwächt und in Frage gestellt. Ein User von Amazon.com schreibt treffend: „The book has 300 pages of content. The famous Median Voter Theorem represents three of them. The remaining 297 pages involve extensions, limitations and generalizations. In the end, the book is really about the problems of limited information rather than about a unidimensional spatial model.“
- Arbeit zitieren
- Simon Brunner (Autor:in), 2004, Die Perfekte Partei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32105
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