Diese Masterarbeit hat sich zur Aufgabe gemacht, auf die Fertigkeit Sprechen im Unterricht einzugehen, um konkrete Unterrichtssituationen in Bezug auf die Vermittlung der Fertigkeit Sprechen im universitären DaF-Unterricht in China aus der Lernerperspektive offenzulegen und die Besonderheiten dabei herauszuarbeiten.
„Viele chinesische Lernende sprechen nicht gerne im Unterricht.“ Diesen oder ähnlichen Zitaten begegnet man häufig, wenn über chinesische Deutschlernende geurteilt wird. Dabei handelt es sich weniger um Stereotypen als vielmehr um Schemata, welche immer wieder in der fremdsprachlichen Forschung festgestellt wurden.
Aus fachlicher Sicht weisen chinesische Deutschlernende beim Sprechen viele Probleme, wie starke Ausspracheabweichungen, wenig Strategieneinsatz, pragmatische Mängel sowie kaum Motivation zum Sprechen auf.
Diese Defizite werden bereits seit den 1980er Jahren im Hinblick auf die Lehr- und Lerntradition, die Unterrichtsmethoden, das Lehrpersonal, die Klassengröße etc. untersucht. Fast gänzlich außer Acht gelassen wurde hierbei allerdings, wie die Lernenden die Vermittlung der Fertigkeit Sprechen durch chinesische Lehrkräfte beurteilen und welche Anforderungen sie an den DaF-Unterricht stellen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die Fertigkeit Sprechen im DaF-Unterricht
1.1 Grundlegende Merkmale der Fertigkeit Sprechen
1.1.1 Merkmale der Fertigkeit Sprechen im Vergleich mit der Fertigkeit Schreiben
1.1.2 Kommunikative Kompetenz im Fremdsprachenerwerb
1.2 Die Fertigkeit Sprechen in der fremdsprachendidaktischen Entwicklung
1.2.1 Stellenwert der Fertigkeit Sprechen in ausgewählten fremdsprachendidaktischen Methoden und Ansätzen
1.2.2 Mögliche Probleme beim Lehren und Lernen des fremdsprachlichen Sprechens
2. Vermittlung der Fertigkeit Sprechen durch chinesische Lehrkräfte im DaF-Unterricht in China
2.1 Merkmale chinesischer Deutschlernender und ihre Probleme beim Sprechen
2.2 Merkmale chinesischer DaF-Lehrkräfte
2.3 Didaktische und methodische Entwicklung des DaF-Unterrichts in China
2.4 Vergleich der Fertigkeit Sprechen zwischen den Lehrwerken Hochschuldeutsch 1 und Passwort Deutsch
3. Empirische Untersuchung zu Lernersichtweisen auf die Vermittlung der Fertigkeit Sprechen durch chinesische DaF-Lehrkräfte
3.1 Forschungsdesign
3.1.1 Fragestellung und Zielsetzung der Untersuchung
3.1.2 Forschungsmethode halbstandardisiertes Leitfadeninterivew
3.1.3 Zeitliche Planung sowie Auswahl der Probanden
3.2 Durchführung der empirischen Untersuchung
3.2.1 Prozess der Datenerhebung
3.2.2 Datenaufbereitung - Transkription der Interviews
3.2.3 Datenauswertung
3.2.3.1 Auswertungsmethode Qualitative Inhaltsanalyse (QIA)
3.2.3.2 Durchführung der Auswertung
4. Ergebnisse und didaktische Vorschläge
4.1 Darstellung der Ergebnisse nach Auswertungskategorien
4.2 Zusammenfassung der Ergebnisse
4.3 Didaktische Vorschläge
5. Reflexion sowie Ausblick über zukünftige Forschungsmöglichkeiten
Literaturverzeichnis
Anhang
Eidesstattliche Erklärung
Abbildung
Abbildung: Screenshot von dem vorliegenden Forschungsprojekt in MAXQDA 10
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Unterschiede zwischen der Fertigkeit Sprechen und Schreiben nach den Beschreibungen von Storch (1999), Fiehler (2008) und Lütge (2010)
Tabelle 2: Aufbaumuster der Lektionen im Lehrwerk Hochschuldeutsch
Tabelle 3: Zeitliche Planung für die gesamte Forschung
Tabelle 4: Zeitliche Übersicht zur Durchführung der Interviews
Tabelle 5: Aus den Interviews gewonnene Datensätze
Tabelle 6: Das mittels MAXQDA 10 erstellte Auswertungskategoriensystem
Tabelle 7: Lehrerbiographien nach Aussage der Probanden
Tabelle 8: Rahmenbedingungen der in den Interviews besprochenen Kurse
Tabelle 9: Ein Beispiel zur Schulung spezifischer mündlicher Erscheinungen
Einleitung
„Viele chinesische Lernende sprechen nicht gerne im Unterricht.“
„Viele Chinesen sind super in der Grammatik, aber schlecht beim Hören und Sprechen.“ „Die Chinesen haben beim Sprechen einen komischen Akzent.“
Diesen oder ähnlichen Zitaten begegnet man häufig, wenn über chinesische Deutschlernende geurteilt wird. Dabei handelt es sich weniger um Stereotypen als vielmehr um Schemata, welche immer wieder in der fremdsprachlichen Forschung festgestellt wurden (vgl. hierzu Zhao 2003, Han 2006, Wang 2007, Hunold 2009 etc.). Aus fachlicher Sicht weisen chinesische Deutschlernende beim Sprechen viele Probleme, wie starke Ausspracheabweichungen (vgl. Hunold 2009, Richter 2011: 179ff), wenig Strategieneinsatz (Zhao 2007: 485f), pragmatische Mängel (Wang 2007: 365ff) sowie kaum Motivation zum Sprechen (Stork/Zhao 2008: 37ff) auf. Laut Zhao (2003: 592) können viele chinesische Lernende nach dem Erwerb der deutschen Sprache ihren Gegenüber oft nicht verstehen und infolgedessen nicht mündlich agieren. Diese Defizite werden bereits seit den 1980er Jahren im Hinblick auf die Lehr- und Lerntradition (Zhao 2003), die Unterrichtsmethoden (Mitschian 1991, Thelen 2006 etc.), das Lehrpersonal (Helbig et al. 2001), die Klassengröße (Yang/ Loo 2007) etc. untersucht. Fast gänzlich außer Acht gelassen wurde hierbei allerdings, wie die Lernenden die Vermittlung der Fertigkeit Sprechen durch chinesische Lehrkräfte beurteilen und welche Anforderungen sie an den DaF-Unterricht stellen. Als direkte Unterrichtsbeteiligte sollten aber gerade ihre Einstellungen und Bedürfnisse für die Lehrkräfte von großer Bedeutung sein, damit diese ihre Unterrichtsinhalte, -methoden bzw. -geschwindigkeit anpassen können und in der Lage sind, die Vermittlung der Fertigkeit Sprechen optimal zu fördern. Die vorliegende Masterarbeit hat sich zur Aufgabe gemacht, genau auf diesen Bereich einzugehen, um konkrete Unterrichtssituationen in Bezug auf die Vermittlung der Fertigkeit Sprechen im universitären DaF-Unterricht in China aus der Lernerperspektive offenzulegen und die Besonderheiten dabei herauszuarbeiten.
Vorgehensweise der Arbeit
Den Ausgangspunkt für das vorliegende Forschungsprojekt stellen verschiedene aktuelle wissenschaftliche und linguistische Veröffentlichungen zur Fertigkeit Sprechen im Allgemeinen und insbesondere Publikationen, deren empirische Untersuchungen den DaF Unterricht in China beinhalten, dar. Diese bilden die theoretische Grundlage der Arbeit und liefern einen zusammenfassenden Überblick über den aktuellen Forschungsstand.
Um konkrete Unterrichtssituationen sowie die Sichtweisen der Lernenden auf das Thema „Vermittlung der Fertigkeit Sprechen durch chinesische DaF-Lehrkräfte“ herausarbeiten zu können, ist eine empirische Untersuchung unumgänglich. Zu diesem Zweck sollen im Rahmen dieser Arbeit die Daten von sechs chinesischen Deutschlernenden mit der Forschungsmethode halbstandardisiertes Leitfadeninterview qualitativ erhoben und ausgewertet werden.
Ferner sollen das chinesische Lehrwerk Hochschuldeutsch 1 [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] und das deutsche Lehrwerk Passwort Deutsch 1 [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], zwei in China weit verbreitete DaF-Lehrwerke, analysiert und miteinander verglichen werden. Anhand dessen soll aufgezeigt werden, wie die Vermittlung der Fertigkeit Sprechen durch Lehrwerke, die laut Mitschian (1991: 209), Helbig et al. (2001: 1586) und Thelen (2003: 89f) oft als strickte Handlungsanweisungen für chinesische Lehrkräfte im Unterricht gelten, beeinflusst wird.
Struktur der Arbeit
Die Masterarbeit ist in einen theoretischen und einen empirischen Teil, mit jeweils zwei Kapiteln gegliedert.
Theoretischer Teil
Im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit werden die grundlegenden Merkmale der Fertigkeit Sprechen und deren Didaktik anhand der bisherigen Forschungsergebnisse verdeutlicht. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei den Merkmalen des Sprechens im Vergleich mit der Fertigkeit Schreiben sowie der kommunikativen Kompetenz im Fremdsprachenerwerb gewidmet. Die Integration der Fertigkeit Sprechen in den verschiedenen Methoden und Ansätzen, die im DaF-Untericht in China zum Einsatz kommen, soll dabei übersichtlich dargestellt werden.
Im zweiten Kapitel wird auf den DaF-Unterricht in China eingegangen. Um ein konkretes Bild zu erhalten, werden zuerst die Probleme, die chinesische Lernende beim Sprechen aufweisen, offenbart und anschließend deren mögliche Einflussfaktoren, z.B. chinesische Lehrkräfte, Unterrichtsmethoden sowie der Stellenwert des Sprechens in den verwendeten DaF-Lehrwerken elaboriert.
Empirischer Teil
Das dritte Kapitel befasst sich mit der empirischen Untersuchung des Forschungsprojektes. Hierbei werden zuerst das Forschungsdesign, d.h. Fragestellung, Zielsetzung der Untersuchung, Forschungsmethoden, zeitliche Planung sowie Probandenauswahl etc. ausführlich beschrieben. Im Anschluss daran erfolgt die Erklärung der Vorgehensweise bei der Durchführung. In diesem Zusammenhang wird die Datenerhebung, -aufbereitung sowie auswertung schrittweise nachvollziehbar dargelegt.
Im vierten Kapitel werden die Forschungsergebnisse der vorliegenden Arbeit nach Auswertungskategorien dargestellt und anschließend eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie didaktische Vorschläge dargeboten.
Abschließend folgen im fünften Kapitel die Reflexion sowie der Ausblick über zukünftige Forschungsmöglichkeiten.
1. Die Fertigkeit Sprechen im DaF-Unterricht
Für die Fertigkeit Sprechen gibt es in der Fremdsprachdidaktik bisher aufgrund ihrer Komplexität noch keine einheitliche Definition. So wird sie aus unterschiedlichen Perspektiven anders dargestellt.
Herrmann/Grabowski (1994) definieren die Fertigkeit Sprechen aus interdisziplinärer Sicht wie folgt:
„Das Sprechen ist physikalisch betrachtet, ein Vorgang der Modulation der ausströmenden Atemluft. Es ist, neurologisch gesehen, ein hochkomplexer Prozess der Lauterzeugung. Es ist - in linguistischer Hinsicht - ein Prozess der Phonemerzeugung und überhaupt die Verwirklichung einer Einzelsprache im Individuum. Es ist - bei psychologischer Betrachtung schließlich - eine ganz gesonderte Art des situationsbezogenen Handelns oder der Informationsverarbeitung im menschlichen System.“ (Herrmann/ Grabowski 1994: 18)
Nach Storch (1999) gilt das Sprechen, „anders als das Schreiben, das als monologische und zeitverschobene Kommunikation angesehen wird, als dialogische, interaktive und direkte Kommunikation.“ (Storch 1999: 214)
Pauels (2003) zufolge ist fremdsprachliches Sprechen das Vermögen der Lernenden, „Äußerungen adressatengerecht im sozialen Interaktionsprozess so zu verwenden, dass eine Verständigung gewährleistet ist.“ (Pauels 2003: 302)
Trotz dieser unterschiedlichen Perspektiven auf die Fertigkeit Sprechen ist ihrer bedeutende Platz im Fremdsprachenerwerb und in der fremdsprachendidaktischen Forschung unumstritten (vgl. Richter 2002, Ulrich 2009, Schwitalla 2012 etc.). Sie spielt für eine erfolgreiche Kommunikation und Verständigung in einer Fremdsprache eine wesentliche Rolle und gehört neben dem Schreiben, Lesen und Hören zu den vier klassischen Fertigkeiten, die es gilt, beim Erlernen einer Fremdsprache zu beherrschen.
1.1 Grundlegende Merkmale der Fertigkeit Sprechen
1.1.1 Merkmale der Fertigkeit Sprechen im Vergleich mit der Fertigkeit Schreiben
Die Fertigkeit Sprechen wird, wie in der oben genannten Definition von Storch (1999), häufig im Zusammenhang mit dem Schreiben dargestellt. Anhand ihrer Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede sollen die grundlegenden Merkmale des Sprechens in diesem Kapitel erörtert werden.
Prozess der Sprachproduktion beim Sprechen wie beim Schreiben Das Sprechen gehört, wie das Schreiben, zu den produktiven Fertigkeiten. Um den Vorgang der Sprachproduktion beim Sprechen zu veranschaulichen, haben verschiedene Linguisten und Forscher u.a. Storch (1999), Lütge (2010), Rösler (2012), Huneke/Steinig (2013) etc. Modelle entwickelt, die sich sehr ähneln. Trotz der unterschiedlich verwendeten Terminologien lässt sich das Sprechen, wie das Schreiben, vor allem auf die vier Teilprozesse bei der Sprachproduktion, nämlich vorsprachliche Planung, sprachliche Planung, Ausführung und Monitoring reduzieren.
Vorsprachliche Planung: Laut Storch (1999: 213) wird in dieser Phase die pragmatische und inhaltlich-begriffliche Struktur der intendierten Sprechhandlung geplant. Anders gesagt, es werden vor dem Sprechen zuerst der Sprechinhalt bzw. die Faktoren wie Sprechintention, Textsorte, Kontextinformationen (Weltwissen, Situationswissen etc.) überlegt (vgl. Lütge 2010: 292).
Sprachliche Planung: In dieser Phase werden sprachliche Formulierungen auf Laut-, Wort-, Satz- und Textebene geplant (vgl. Storch 1999: 213). Wörter und lexikalische Strukturen werden aus dem mentalen Lexikon abgerufen (vgl. Lütge 2010: 292). Nach Storch (1999: 213) verlaufen in dieser Phase noch mehrere weitere Teilprozesse, wie Aktivierung von Wortbedeutungen, Aktivierung der phonematischen und graphematischen Wortformen bzw. Linearisierung auf der Satz- bzw. Textebene.
Ausführung: Die Sprechabsicht wird konkret in eine grammatisch organisierte und harmonisierte, mit weiteren Angaben z.B. zur Betonung und Intonation versehener Phonemfolgen mündlich umgesetzt (vgl. Lütge 2010: 292, Huneke/Steinig 2013: 163). Monitoring: Die vorsprachliche und sprachliche Planung sowie die Ausführung werden stets kontrolliert (vgl. Storch1999: 213).
Durch diese Darstellungen kann man bereits erkennen, dass es sich beim Sprechen sowie beim Schreiben, um einen hochkomplexen psycholinguistischen Vorgang handelt, dessen Komplexität bei der Sprachproduktion für Fremdsprachlernende eine große Herausforderung darstellt.
Die Fertigkeit Sprechen im Unterschied zur Fertigkeit Schreiben Bereits viele Forscher und Linguisten haben die Unterschiede zwischen der Fertigkeit Sprechen und Schreiben thematisiert. Anhand der Beschreibungen von Storch (1999: 213- 214), Fiehler (2008: 26-33) und Lütge (2010: 292) sollen diese in Form einer Tabelle erläutert werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Unterschiede zwischen der Fertigkeit Sprechen und Schreiben nach den Beschreibungen von Storch (1999), Fiehler (2008) und Lütge (2010)
Die Tabelle zeigt die Unterschiede zwischen den beiden Fertigkeiten sehr deutlich. Besonders in den Punkten Grammatik sowie Korrektur etc. müssen bei der Vermittlung der Fertigkeit Sprechen, anders als beim Schreiben, Schwerpunkte wie z.B. die Thematisierung spezifischer mündlicher Erscheinungen gesetzt werden.
1.1.2 Kommunikative Kompetenz im Fremdsprachenerwerb
Durch die kommunikative Wende in Deutschland Anfang der 1970er Jahre hat die Fertigkeit Sprechen in der Fremdsprachendidaktik an Bedeutung gewonnen und kommunikative Kompetenz wird als ein übergeordnetes Lernziel des Fremdsprachenunterrichts angesehen (vgl. Rigotti 2010: 7). Das Lernziel „kommunikative Kompetenz“ bezieht die Sprechfertigkeit auf die Fähigkeit, in verschiedenen kommunikativen Situationen die Sprecher- und Hörerrolle angemessen ausfüllen zu können (Krumm et al. 2010: 984).
Mündliche Kommunikation wird je nach Einteilungskriterien in unterschiedlichen Situationen oder Formen unterteilt. Während Krumm et al. (2010: 984) mündliche Kommunikation entweder in die Situation, in der das Sprechen weitgehend spontan, z.B. im alltäglichen Sprachgebrauch, geschieht, oder in denen das Sprechen die Vermündlichung eines schriftlichen oder im Rahmen oraler Traditionen fixierten Textes wie eines Vortrags, Referats etc. bildet, klassifiziert, unterscheidet Polz (2009: 239ff) zwischen den Formen des monologischen, z.B. Vortrag, Erzählen, Nacherzählen etc. und dialogischen, z.B. Partner-, Gruppen-, Plenumsgespräche etc. mündlichen Sprachgebrauchs. Trotz dieser unterschiedlichen Kategorisierungen haben beide jedoch gemein, dass die mündliche Kommunikation durch Interaktivität gekennzeichnet ist (vgl. Fiehler 2009: 32) und dabei sowohl verbale als auch nonverbale Verfahren wie z.B. spezifische mündliche Erscheinungen, Gestik und Mimik sowie kommunikative Strategien etc. eingesetzt werden (vgl. Krumm et al. 2010: 984). Auf die beiden Aspekte, spezifische mündliche Erscheinungen sowie kommunikativen Strategien, soll hier noch näher eingegangen werden.
Mit spezifischen mündlichen Erscheinungen sind vor allem die sprachlichen Phänomene auf der lautlichen, lexikalischen sowie syntaktischen Ebene gemeint, die häufig in der gesprochenen Sprache auftauchen, jedoch in der Schriftsprache weitgehend als nicht normgerecht betrachtet werden (vgl. Fiehler 2009: 40). Auf der lautlichen Ebene kommen beim Sprechen eine Reihe von Abweichungen vor, die sich als Wegfall, Assimilation, Vereinfachung, Verschmelzung etc. beschreiben lassen. Der Satz Ich hab wiedermal Stress. ist ein deutliches Beispiel für einen Wegfall (e bei habe). Auf der lexikalischen Ebene sind vor allem deiktische Ausdrücke wie ich, du, hier, morgen, Gesprächspartikel wie he, ja, hm, eh etc. und Abtönungspartikel doch, mal, eben, schon etc. als Besonderheiten zu benennen (vgl. Fiehler 2009: 42). Syntaktische Besonderheiten beim Sprechen sind z.B. Ellipsen wie Finde es schön. oder ursprüngliche Subjunktionen (weil, obwohl, während etc.) mit Verbzweitstellung (vgl. Fiehler 2009: 40-42).
Neben den spezifischen mündlichen Erscheinungen spielen auch die kommunikativen Strategien bei der mündlichen Kommunikation eine wichtige Rolle. Unter kommunikativen Strategien versteht man bewusste Pläne, die Lernende zur Problemlösung bei dem Versuch eingesetzt haben, ein Kommunikationsziel zu erreichen (Kasper 1982: 582, zitiert nach Wang 2009: 478). In der gängigen Forschung gibt es zwar unterschiedliche Unterteilungen von kommunikativen Strategien, jedoch werden diese im Allgemein bei der Rezeption und bei der Produktion in der Kommunikation unterschieden (vgl. Wang 2009: 478f, Krumm et al. 2010: 987). Laut Krumm et al. (2010: 987) sollten vor allem die folgenden kommunikativen Strategien in Bezug auf die Sprecher- bzw. Hörerrolle im Unterricht thematisiert und vermittelt werden:
- Strategien der Vereinfachung, Umschreibung und Erklärung
- Strategien des Umgangs mit eigenem Nichtverstehen und Nichtverstehen des Gegenübers-
– Strategien zur Elizitierung von Hilfe seitens des Gesprächspartners
- Strategien zur Vermeidung und Überbrückung von Planungspausen
(Krumm et al. 2010: 987)
Kommunikative Strategien sind sowohl hilfreich als auch erforderlich, da sie für die Verbesserung der gegenseitigen Verständigung und Fortführung des interaktiven Diskurses dienlich sind und da die Lernenden wegen ihrer aktuellen fremdsprachlichen Kenntnisse sowie Differenz bei der Kommunikation oft Probleme bei der Rezeption und Produktion aufweisen (vgl. Wang 2009: 478).
Um die Lernenden auf eine erfolgreiche Kommunikation in der Fremdsprache vorzubereiten und ihre kommunikativen Kompetenzen zu verbessern, ist es notwendig, Themenbereiche wie spezifische mündliche Erscheinungen, kommunikative Strategien etc. im Unterricht zu thematisieren und die Lernenden üben zu lassen.
1.2 Die Fertigkeit Sprechen in der fremdsprachendidaktischen Entwicklung
1.2.1 Stellenwert der Fertigkeit Sprechen in ausgewählten fremdsprachendidaktischen Methoden und Ansätzen
Für den Erwerb einer Fremdsprache wurden mit der Zeit verschiedene Unterrichtsmethoden bzw. Ansätze entwickelt (Richards/Rodgers 2005, Neuner/Hunfeld 2008). In den verschiedenen etablierten Unterrichtsmethoden und Ansätzen, wie der Grammatik- Übersetzungsmethode, der direkten Methode, der audiolingualen Methode, der audiovisuellen Methode sowie dem kommunikativen Ansatz etc. wird der Fertigkeit Sprechen jedoch unterschiedliche Bedeutung beigemessen. Im Folgenden sollen die zum Großteil verwendeten Unterrichtsmethoden bzw. Ansätze in China im Hinblick auf die Integration des Sprechens elaboriert werden.
Das Sprechen in der Grammatik-Übersetzungs-Methode (GÜM)
Die Grammatik-Übersetzungs-Methode (GÜM)1, die in Europa im 19. Jahrhundert für den neusprachlichen Unterricht (Französisch, Englisch) in den Gymnasien entwickelt wurde, ist eine synthetisch-deduktive Methode (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 23). Darunter versteht man, dass die Fremdsprache durch die Verknüpfung zahlreicher, einzeln gelehrter Regeln erlernt wird (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 19, Rösler 2012: 68). Es wird davon ausgegangen, dass die Lerngruppe eine einheitliche Ausgangssprache und ihr Alter und Bildungsstand homogen sind (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 19). Grundlage der Sprachbeschreibung ist die geschriebene, literarisch geformte Sprache, die nach formalen Kriterien dargestellt wird (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 30). Hauptinhalt der GÜM im Fremdsprachunterricht ist die Vermittlung der Grammatikregeln sowie deren praktische Anwendung in einem Übersetzungstext (Hin- und Rückübersetzung) (vgl. Huneke/Steinig 2000: 150, Neuner/Hunfeld 2008: 30, Rösler 2012: 68). Die Muttersprache bildet dabei die Unterrichtssprache. Was die Lehr- und Lernprogression betrifft, so kommen zuerst die Durchnahme und Einübung des Grammatiklehrstoffes und erst danach die Anwendung der fremdsprachlichen Kenntnisse in der Hin- und Rückübersetzung, der Entwicklung des Leseverständnisses und des schriftlichen Ausdrucks vor (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 28). Das Sprachlernen wird bei der GÜM nicht nur als geistig-formale Schulung gesehen, sondern auch als Prozess der Formung der Persönlichkeit in der Auseinandersetzung mit den Bildungsgütern der fremden Kultur, die zu den Leistungen der eigenen Kultur in Bezug gesetzt werden (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 30). Nach den Prinzipien der GÜM wird der Lernende als Empfänger von „fest geschriebenem“ Wissen und der Lehrende als Wissensvermittler betrachtet. „Die allgemeine Geistesbildung“ bzw. „die Bildung des Verstandes und des Gemüts oder Herzens“ durch das Literaturlesen in der Zielsprache wird als das endgültige Ziel des Fremdsprachenerwerbs gesehen (Neuner/Hunfeld 2008: 31, vgl. Richards/ Rodgers 2005: 6).
Es ist offensichtlich, dass das Sprechen bzw. die Ausspracheschulung in dieser Methode so gut wie keine Rolle spielen (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 37). Sie wird laut Neuner/Hunfeld (2008: 37) „mehr als ein notwendiges Übel“ gesehen und in der Regel in einem Anfangskapitel des Sprachlehrgangs kurz abgehandelt. Angesichts dieser und weiterer Schwächen, wie der Vernachlässigung heterogener Lerngruppen und Lernsituationen sowie der starken Anlehnung an die Muttersprache wurde die GÜM Ende des 19. Jahrhunderts vor allem durch Vietor (1882) stark kritisiert bzw. durch eine neue Methode, nämlich die direkte Methode ersetzt (vgl. Rösler 2012: 71).
Das Sprechen in der direkten Methode (DM)
Als direkte Methode, die im Wesentlichen beeinflusst durch die Reformpädagogik der 1880er Jahre als direkte Gegenposition zur GÜM entwickelt wurde und als Vorläufer der Audiolingualen Methode gesehen wird, bezeichnet man eine induktive Methode, bei der die Fremdsprache „direkt“, d.h. ohne das störende Dazwischentreten der Muttersprache vermittelt werden soll. Bei dieser Methode steht die aktive mündliche Sprachbeherrschung im Vordergrund des Unterrichts, in dem die Lernenden durch Nachahmung und Induktion sich in das System der Fremdsprache „einleben“ und ein Sprachgefühl entwickeln sollen, um sich in Alltagssituationen der Zielsprache zurechtfinden zu können (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 33ff, Rösler 2012: S. 69f). Dabei dient der Lehrer als Sprachmodell (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 37) und es werden verschiedene Hilfsmittel wie z.B. Bilder, Ausführung einer Handlung durch Lernende hinzugezogen, um den zu lernenden Inhalt, wie z.B. den Wortschatz direkt sinnlich wahrnehmen zu können. Die Grammatikregeln werden zwar nicht völlig aus dem Unterricht gestrichen, sollen aber erst am Ende des Unterrichts erfasst werden, um zur Bestätigung und Zusammenfassung des neu Gelernten zu dienen (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 39f, Rösler 2012: 70).
Im Vergleich zur GÜM hat die DM enorme Fortschritte gemacht. Die Beherrschung der gesprochenen Sprache wird nun als Ziel des Lernens betrachtet (vgl. Rösler 2012: 69). Die Lernenden werden in dieser Methode dazu aufgefordert, die Umgangssprache, zumindest im Bereich des Wortschatzes zu erlernen (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 39). Allerdings bleibt durch den meist unbewussten Umgang mit der Fremdsprache, d.h. durch das Nachahmen eines Sprachmodells (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 39) die Frage offen, ob dadurch der größtmögliche Lerneffekt erzielt werden kann.
Das Sprechen in der audiolingualen Methode (ALM)
Die audiolinguale Methode als Nachfolger der DM ist eine Methode, die aus dem in den USA entwickelten „Army specialised training programm“ während des zweiten Weltkriegs entstand, wobei behavioristische Prinzipien bei der Sprachvermittlung weitgehend übernommen wurden (vgl. Edmonson/Hause 2011: 119). Pattern drills (Imitation von Satzmustern) und reinforcement (die positive Reaktion auf richtige Antworten der Lernenden beim Üben) sind Kennzeichen dieser Methode (vgl. Edmonson/Hause 2011: 119, Rösler 2012: 71). Die Priorität des Verfahrens liegt auf der gesprochenen Sprache (vgl. Edmonson/Hause 2011: 119, Rösler 2012: 71). Nach dieser Methode werden die vier Fertigkeiten in der „natürlichen“ Reihenfolge gelernt, d.h. die mündlichen vor den schriftlichen und die rezeptiven vor den produktiven (vgl. Edmonson/Hause 2011: 119). Man muss allerdings beachten, dass die mündliche Verwendung der Sprache in vielen Fällen keine Eigenschaften der gesprochenen, sondern Eigenschaften der geschriebenen Sprache inne hat (vgl. Rösler 2012: 72). Die Grammatik wird meistens durch stark konzipierte Dialoge induktiv vermittelt (Edmonson/Hause 2011: 119f, vgl. Rösler 2012: 72). Technologische Hilfsmittel wie Sprachlabore, die besonders der Schulung von Aussprache und Hörverstehen dienen sollen, nehmen innerhalb dieser Methode einen bedeutenden Platz ein (vgl. Neuer/Hunfeld 2008: 57).
Ähnlich wie bei der direkten Methode räumt die ALM dem Sprechen einen wichtigen Platz im Fremdsprachenunterricht ein. Lernende können mit Hilfe des Sprachlabors ihre Sprechfertigkeit trainieren und verbessern. Allerdings wird kritisiert, dass der Ausschluss der aktiven und kognitiven Teilnahme der Lernenden in der Praxis zu Langeweile beim Lernen führt (vgl. Edmonson/Hause 2011: 120). Die zu starke Betonung und Durchführung der Pattern-drills-Übungen führt zudem zur Vernachlässigung von kommunikativen Übungen und der erhoffte Übergang von Pattern-drills zur freien Rede bleibt oft aus (vgl. Henrici: 1986: 128).
Das Sprechen in der audiovisuellen Methode (AVM)
Die audiovisuelle Methode (AVM) stellt eine Weiterentwicklung der audiolingualen Methode (ALM) dar (Neuer/Hunfeld 2008: 62). Das Unterrichtsprinzip der Methode besteht darin, Sprache, wo immer möglich, mit optischem Anschauungsmaterial zu verbinden (vgl. Neuer/Hunfeld 2008: 64, Edmonson/Hause 2011: 120). Ebenso wie die ALM legt die AVM vorrangig Wert auf die gesprochene Sprache (Neuer/Hunfeld 2008: 65). Besonders das Hörverständnis wird als notwendige Vorbereitung für das Sprechen verstanden (vgl. Edmonson/Hause 2011: 120). Im Unterricht wird den Lernenden zuerst der Lerninhalt durch visuelle Mittel verdeutlicht und erst danach erfolgen die entsprechenden sprachlichen Ausdrucksformen (vgl. Neuer/Hunfeld 2008: 64). Nach dem Auswendiglernen des Inhalts werden die Lernenden zum Schluss aufgefordert, eigene Dialoge zu den visualisierten Materialien zu erstellen oder die Szene im Rollenspiel nachzuahmen (vgl. Neuer/Hunfeld 2008: 64f). Visuelle Mittel werden nicht nur zur Bedeutungsvermittlung bei der Sprachaufnahme (Einführung), sondern genauso bei der Sprachverarbeitung (Übung) und der Sprachanwendung eingesetzt (vgl. Neuer/Hunfeld 2008: 64). Außerdem werden im Unterschied zur ALM akustische und visuelle Materialien gleichzeitig eingesetzt (vgl. Neuer/Hunfeld 2008: 66). Problematisch bleibt jedoch die Semantisierung, da sich viele Konzepte laut Edmonson/Hause (2011: 122) durch visuelle Mittel nicht einprägen lassen. Was das Sprechen betrifft, so wird kritisiert, dass die Lernenden in einem schematisch aufgebauten Unterrichtsverlauf, wie bei der AVM kaum die Möglichkeit haben, sich selbständig mündlich zu äußern. Nach Henrici (2001: 514) können zudem die eigenständigen sprachlichen Handlungen, die in authentischen Lebenssituationen entstehen, bei einem streng kontrollierten Unterricht nicht gelernt werden. Nicht zu Letzt besteht die Gefahr der Rollenverschiebung, d.h. Lehrerkräfte werden verstärkt zu Medientechnikern als zu verantwortlichen Unterrichtsgestaltern oder Lernorganisatoren (vgl. Rösler 2012: 74).
Das Sprechen im kommunikativen Ansatz
Der kommunikative Ansatz ist unter dem Einfluss der Pragmalinguistik zum Ende des 20. Jahrhunderts im Zuge einer Neustrukturierung des Lehrplans mit neuen Lernzielen entstanden (Neuner/Hunfeld 2008: 84). Laut Neuner/Hunfeld (2008: 84) betrachtet die Pragmalinguistik die Fremdsprache nicht als ein System von sprachlichen Formen, sondern als einen Aspekt menschlichen Handelns, d.h. mit Sprache etwas miteinander tun. Im Fokus des kommunikativen Ansatzes liegt konträr zur Vermittlung des sprachlichen Wissens der GÜM, die Entwicklung von fremdsprachlichen Fähigkeiten, vor allem der kommunikativen Fähigkeit. Nach dem erfolgreichen Spracherwerb sollte man sich in Alltagssituationen im Zielland zurechtfinden, sich mit anderen Menschen verständigen und Fernsehsendungen, Radioprogramme, Zeitungen und Bücher verstehen können (vgl. Neuner/Hunfeld 2008: 84, Rösler 2012: 76). Ähnlich wie bei der ALM und AVM bildet die Arbeit mit Dialogen einen wichtigen Teil des Unterrichts, allerdings handelt es sich bei dem kommunikativen Ansatz nicht um stark konzipierte Dialoge mit Grammatikeinbettung, sondern um „natürliche“ Dialoge (vgl. Rösler 2012: 72). Die Anforderung an Authentizität ist deutlich höher als bei anderen Methoden, weshalb besonders im mündlichen Sprachgebrauch häufig vorkommende Erscheinungen wie Modalpartikel, z.B. Ja, eigentlich, schon etc. Gegenstand des Unterrichts darstellen (vgl. Rösler 2012: 78). Der kommunikative Ansatz ermöglicht im Unterricht mehr Freiraum für Sozialformen, wie Partnerarbeit, Gruppenarbeit und Plenum, welche den Lernenden Anlässe zur interaktiven Kommunikation bieten. Dafür steigen sowohl die Anforderungen an die Lehrerkräfte bzw. ihre Unterrichtsgestaltung sowie die Aufnahmebereitschaft der Lernenden enorm. Bei diesem Ansatz handelt es sich um kein in sich geschlossenes, sondern um ein offenes und flexibles methodisches Konzept, bei dem die unterschiedlichen Rahmenbedingungen des Unterrichts und die Voraussetzungen von unterschiedlichen Lerngruppen in verschiedenen Lernprozessen berücksichtigt werden müssen (vgl. Neuner/Hunfeld 2008:104).
Eine aktive und freie mündliche Verwendung der gelernten Sprache wird somit erst in einem nach dem kommunikativen Ansatz erstellten Unterricht vor allem durch das Üben in unterschiedlichen sozialen Arbeitsformen ermöglicht.
Dieser kurze Abriss über den Stellenwert der Fertigkeit Sprechen in den verschiedenen Unterrichtsmethoden bzw. Ansätzen zeigt, dass sich der Fremdsprachunterricht hin zum handlungsorientierten kommunikativen Unterricht mit zunehmend technisierten Hilfsmitteln entwickelt hat. Der Fertigkeit Sprechen wurden je nach Methode und Ansatz unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen und eine flexible mündliche Sprachverwendung konnte allerdings weder bei der GÜM, der DM, noch bei der ALM und AVM erzielt werden. Erst der kommunikative Ansatz ermöglicht es, die Fertigkeit Sprechen praxisbezogen zu vermitteln und zu erlernen.
1.2.2 Mögliche Probleme beim Lehren und Lernen des fremdsprachlichen Sprechens
Aus den vorangegangenen Beschreibungen der Merkmale und der Didaktik der Fertigkeit Sprechen ergeben sich eine Reihe von Probleme, die das Lehren und Lernen des fremdsprachlichen Sprechens beeinflussen können.
Mögliche Probleme beim Lehren
Im Großen und Ganzen hängt das Lehren der Fertigkeit Sprechen häufig mit dem Lehrplan bzw. den curricularen Richtlinien einer bestimmten Institution zusammen, die wiederum den allgemeinen Rahmenbedingungen, z.B. der Bildungs- sowie Sprachpolitik eines Landes oder einer Region unterliegt (vgl. Neuer 2001: 797). So kann es vorkommen, dass die Fertigkeit Sprechen bei der Vermittlung einer Fremdsprache von vornherein, wie bei der Bevorzugung einer weniger kommunikativen Unterrichtsmethode, z.B. der GÜM als "nicht wichtiger" Inhalt betrachtet wird.
Dass das Sprechen zum freien Gebrauch gelernt werden soll, steht heutzutage außer Frage, dennoch wird laut Storch (1999: 216) nicht selten das Sprechen als eine Randaufgabe im Unterricht behandelt. Dabei stößt die Vermittlung der Fertigkeit Sprechen auf viele Schwierigkeiten, zumal der Unterricht häufig auf die Realisierung einzelner Sprechabsichten und die Beherrschung geeigneter Redemittel reduziert wird und eine Dynamik von Interaktionen im Unterricht kaum zu realisieren ist (vgl. Lütge 2010: 291). Inhalte, die für den Erwerb der Fertigkeit Sprechen von Wichtigkeit sind, werden oft ausgeschlossen und es wird sich im Unterricht stark an der geschriebenen Sprache orientiert.
Mögliche Probleme beim Lernen
Anders als Muttersprachler haben Fremdsprachenlernende meistens mehr Probleme beim Erwerb des Sprechens, da die kommunikative Künstlichkeit und Unnatürlichkeit im Unterricht einen erfolgreichen Erwerb des Sprechens oft verhindert (vgl. Storch 1999: 217). Um sich bei mündlicher Kommunikation angemessen ausdrücken zu können, müssen die Lernenden unterschiedliches Wissen aus den einzelnen Verlaufsprozessen während der Sprachproduktion (siehe Kapitel 1.1.1) aktivieren. In der vorsprachlichen Planung haben sie oft Schwierigkeiten, den kulturbezogenen Kontext und diskursspezifische Elemente etc. zu erkennen und sich darauf vorzubereiten. Bei der sprachlichen Planung fehlen ihnen laut Storch (1999: 217) häufig die sprachlichen Mittel, um ihre Gedanken in der Fremdsprache angemessen ausdrücken zu können. Zudem richten Fremdsprachenlernende ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die sprachliche Planung und Realisierung, wodurch die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses häufig schon erschöpft ist und nur wenig Kapazität für die pragmatische und inhaltliche Planung bleibt (vgl. Storch 1999: 213). Darüber hinaus beeinflussen die Unterschiede zwischen der Muttersprache und der Fremdsprache gewissermaßen das Lernen der Fertigkeit Sprechen. Im Allgemeinen wird es als schwierig erachtet, wenn die Muttersprache und die Fremdsprache nicht zu der gleichen Sprachfamilie gehören und sehr große Unterschiede aufweisen, wie es z.B. zwischen dem Deutschen und dem Chinesischen der Fall ist. Nicht zuletzt spielen dabei auch die Lernziele der Lernenden eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wird dem Sprechen gar kein Lernziel zugeordnet, ist die Lernmotivation meist gering und der Lerneffekt unbefriedigend.
Anhand der Ausführungen in diesem Kapitel sind einerseits die Merkmale und der Stellenwert der Fertigkeit Sprechen in den verschiedenen Methoden und Ansätzen und anderseits die Probleme beim Lehrern und Lernen der Fertigkeit Sprechen deutlich geworden. Im nächsten Kapitel soll die Vermittlung der Fertigkeit Sprechen im chinesischen Kontext erörtert werden.
2. Vermittlung der Fertigkeit Sprechen durch chinesische Lehrkräfte im DaF-Unterricht in China
Dass chinesische Lernende beim Erlernen des Deutschen viele Probleme haben und beim Sprechen enorme Schwächen aufweisen, wurde bereits durch verschiedene Untersuchungen festgestellt. Gründe hierfür gibt es reichlich, die u.a. im spezifisch chinesischen Kontext liegen. Um eine differenzierte Darstellung zu den Rahmenbedingungen sowie den Einflussfaktoren der Vermittlung des Sprechens im DaF-Unterricht in China zu erhalten, ist es notwendig, die Merkmale chinesischer Lernender mit ihren konkreten Problemen beim Sprechen und die Merkmale chinesischer Lehrkräfte bzw. die Unterrichtsmethoden offenzulegen. Zum besseren Verständnis soll in diesem Kapitel zudem die Rolle des Sprechens anhand von zwei verbreitet verwendeter DaF-Lehrwerke in China erörtert werden.
2.1 Merkmale chinesischer Deutschlernender und ihre Probleme beim Sprechen
Bevor es zur Darstellung der typischen Probleme von chinesischen Lernenden beim Sprechen kommt, sollen zuerst die Merkmale chinesischer Lernender in Bezug auf das Deutschlernen verdeutlicht werden.
Merkmale chinesischer Deutschlernender
Pragmatisch orientierte Lernziele
Laut Hunold (2009: 56) ist das allgemeine Ziel, das man beim Erwerb einer Fremdsprache anstrebt, eine gute Aussprache oder auch die Fähigkeit, sich mit Menschen aus der Zielsprachkultur zu verständigen. Zeilinger zufolge (2006: 9f) haben die meisten chinesischen Lernenden beim Lernen der deutschen Sprache jedoch vor allem pragmatische Ziele. Für sie ist das Bestehen einer bestimmten Prüfung des Bildungssystems, z.B. Aufnahmeprüfungen für weiterführende Studiengänge, Stipendienprogramme oder Sprachprüfungen, die mit einem eventuellen Deutschlandstudium zusammenhängen (vgl. Hunold 2009: 56) die höchste Motivation im Studium. Motivation, wie Interesse an der deutschen Kultur oder die Integration durch den Erwerb des Deutschen in der deutschen Gesellschaft spielt für viele chinesische Lernende dabei eher eine untergeordnete Rolle (vgl. Hunold 2009: 56). Für sie zählt zudem nicht selten der Erfolgsdruck, der durch das soziale Umfeld wie Familie, Verwandte etc. aufgebaut wird, zu einem individuellen Motiv (vgl. Hunold 2009: 56).
Einstellung über das erfolgreiche Fremdsprachenlernen
Das Bildungsideal in China, dass man den Menschen vor allem schriftkundig ausbildet, hat bis heute immer noch eine tiefe Verwurzelung. Dies wird beim Lernen einer Fremdsprache übertragen, weshalb chinesische Lernende oft schriftfixiert lernen und ihre Prioritäten beim Deutschen, wie beim Englischen, auf das Sprachwissen und Fertigkeiten wie Lesen und Schreiben, nicht aber auf das Sprechen legen (vgl. Zhao 2003: 596f). Folglich tendieren sie dazu, die Beherrschung der Grammatik sowie des Lesens und Schreibens als Ziel des fremdsprachlichen Lernens zu betrachten (vgl. Mitschian 1991: 108f, Hunold 2009: 56). Viele chinesische Lernende vertreten sogar den Standpunkt, dass man in einer Fremdsprache erst dann sprechen sollte, nachdem man die Sprache, also das Grammatiksystem der Sprache gründlich beherrscht (vgl. Stark/Zhao 2009: 36ff).
Passivität und Gesichtswahren chinesischer Lernender
Die Passivität gilt für die meisten asiatisch/chinesischen Lernenden als ein sehr auffälliges Merkmal beim Fremdsprachenlernen (vgl. hierzu Mitschian 1991, Thelen 2003, Han 2006, Zeilinger 2006, Yang/Loo 2007 und Stark/Zhao 2009 etc.). Han (2006: 409f) konnte z.B. durch eine Umfrage zum Erlernen des Sprechens und Hörens nachweisen, dass die Passivität chinesischer Lernender das aktive und freie Sprechen stark verhindert. Demzufolge sitzen im Unterricht die meisten Lernenden schweigend da und hören nur zu (vgl. Yang/Loo 2007: 75). Die Wahrung des „Gesichts“ bzw. der Gedanke, sich zur Schau zu stellen oder andere Auffälligkeiten zu zeigen, sind bei chinesischen Lernenden weit verbreitet (Stark/Zhao 2009). Fehler beim Sprechen und eine nicht perfekte Aussprache wird häufig als Zeichen für eine inkompetente Person angesehen (vgl. Stork/Zhao 2009: 39ff). Dies stellt natürlich ein großes Hindernis für die Lernenden zum Lernen und Üben des Sprechens dar.
Probleme chinesischer Lernender beim Sprechen
Bezüglich des Sprechens chinesischer Lernender haben Hunold (2009), Stark/Zhao (2009), Wang (2009), Richter (2011) etc. unterschiedliche empirische Untersuchungen durchgeführt und viele aufschlussreiche Ergebnisse, u.a. auch die Probleme chinesischer Deutschlernender beim Sprechen herausgearbeitet. Im Folgenden sollen die häufigsten Probleme, die chinesische Lernende beim Sprechen aufweisen, vorgestellt werden.
Starke Ausspracheabweichungen
Bei erfolgreicher mündlicher Kommunikation spielt die Aussprache eine sehr bedeutende Rolle. Unverständliche oder einer der Standardsprache sehr abweichende Aussprache kann zu Missverständnissen, sogar zu keiner Verständigung zwischen den Gesprächspartnern führen. Hunold (2008) hat durch eine Einzelfallstudie, an der zehn fortgeschrittene chinesische Deutschlernende (DaF- und Germanistikstudierende) teilgenommen haben, festgestellt, dass chinesische Deutschlernende beim Sprechen gravierende Ausspracheabweichungen aufweisen. Zum einen weisen die Lernenden beim Sprechen viele artikulatorische Ausspracheabweichungen, wie Probleme mit Vokalquantitäten, Konsonantenhäufungen oder bestimmter Laute sowie Lautkombinationen z.B. r, pf, ps etc., auf und zum anderen ist ihre Aussprache durch viele prosodische Abweichungen, wie falsche Akzentuierungen, Fehler im Melodieverlauf und in der Pausensetzung etc. gekennzeichnet. Dies bestätigt Richter (2011: 180ff), indem sie Tonaufnahmen chinesischer Deutschlernender analysiert hat.
Geringer Einsatz von Strategien
Wie bereits in Kapitel 1.1.2 erläutert wurde, sind kommunikative Strategien für eine erfolgreiche Kommunikation für Fremdsprachlernende von großer Bedeutung. In einer detaillierten Analyse hat Wang (2009: 480ff) allerdings anhand mehrerer Gespräche zwischen chinesischen Lernenden bzw. zwischen deutschen Lehrern und chinesischen Lernenden, festgestellt, dass chinesische Lernende über nicht ausreichend kommunikative Strategien verfügen. Durch die Auswertung der Häufigkeiten der zum Einsatz gekommenen kommunikativen Strategien konnte er belegen, dass chinesische Lernende beim Sprechen, sowohl bei der Produktion als auch bei der Rezeption selten Strategien einsetzen. In seiner Auflistung verzeichneten vor allem Wiederholung und Selbstkorrektur (Wang 2009: 480) die am häufigsten vertretenen Strategien. Laut Han (2006: 413f) kennen chinesische Lernende entweder überhaupt keine kommunikative Strategien oder konzentrieren sich bei Sprechübungen nur auf bestimmte Strategien wie laut vorlesen oder zu sich selbst sprechen, was der authentischen Kommunikation kaum Hilfe anbietet.
Sprechangst
Eine weitere Hürde für chinesische Lernende beim Sprechen bildet die Sprechangst. Viele chinesische Lernende geben zu, dass ihnen der Mut zu sprechen fehlt, weil sie Angst haben, Fehler zu machen (vgl. Han 2006: 412). In den von Stark/Zhao (2009) durchgeführten Interviews mit chinesischen Deutschlernenden über ihre mündliche Beteiligung in Seminaren an der Universität wird dies besonders deutlich. Die meisten Probanden gestanden im Interview ein, dass sie beim Sprechen nicht nur an den richtigen Inhalt denken, sondern auch darauf achten mussten, dass sie keine Fehler begehen. Diese doppelte Belastung führe dazu, dass sie am Ende nichts richtig sprechen oder gar aussprechen konnten (Stark/Zhao 2009: 34).
Wenig Motivation zum Sprechen
Dass chinesische Lernende im Unterricht kaum zu Wort kommen und ein oft passives Lernverhalten zeigen, hat Hunold (2009) durch die Aussagen deutscher Lehrkräfte offenbart. So wurden chinesische Lernende im Unterricht wie folgt beschrieben:
Sie zeigen oft ein aufmerksam freundlich lächelndes Schweigen.
Sie zeigen einen Mangel an Aktivität, der sich in allgemeiner diskussionsscheu äußert. (vgl. Hunold 2009: 52)
In den von Stark/Zhao (2009: 36) durchgeführten Interviews gaben sie zudem an, dass sie sich daran gewöhnt hätten, im Unterricht nicht soviel zu sprechen und die Lehrkräfte sie auch nicht dazu auffordern würden. Sie erwähnten, dass sie im Unterricht in China fast keine Gelegenheit gehabt hätten, Sprechübung durchzuführen, da die Lehrkräfte die meiste Zeit des Unterrichts für sich beanspruchten (vgl. Stark/Zhao 2009: 35). Laut Zhu (2007: 145) liegt ein weiterer Grund für die geringe Motivation zum Sprechen an den teilweise nicht vorhandenen mündlichen Fremdsprachentests in China, wodurch ein in sich geschlossenes Ausbildungssystem ohne die Verwendung der Sprache entsteht. Das Erlernen des Sprechens wird daher von vielen Lernenden als nicht notwendig angesehen (vgl. Stark/Zhao 2009: 37).
Die Probleme chinesischer Lernender beim Sprechen sind neben der genannten Gründe wie pragmatische Lernziele, Passivität im Unterricht etc., vor allem auf viele äußere Faktoren zurückzuführen. Im Folgenden sollen dazu als erstes die chinesischen DaF-Lehrkräfte näher betrachtet werden.
2.2 Merkmale chinesischer DaF-Lehrkräfte
Lehrkräfte bilden im Unterricht gemeinsam mit den Lernenden und den Lehrwerken ein Dreieck, dessen Wechselbeziehungen einen starken Einfluss auf den Fremdsprachenerwerb ausüben. Um den DaF-Unterricht in China besser nachvollziehen zu können, ist es notwendig, die Merkmale chinesischer DaF-Lehrkräfte zu kennen.
Moralische und allwissende Vorbildfunktion
Anders als bei einem Unterricht im klassischen Sinne geht es in einem (Fremdsprachen)unterricht in China nicht nur um die reine „Sprach- oder Wissensvermittlung“, sondern auch um eine patriarchalische ideologische Bildung und Moralvermittlung (vgl. Mitschian 1991: 207ff), wodurch die Zeit für die eigentliche Sprachvermittlung stark eingeschränkt wird. Laut Hunold (2009: 54ff) werden die chinesischen Lehrkräfte nicht nur als Vorbild für das Lernen, sondern auch für Verhaltensstandards angesehen und im Unterricht meistens als allwissend konzeptualisiert. Eine aktive Lehr- und Lerninteraktion beim Sprechen ist wegen ihrer führenden und autoritären Rolle in vielen Situationen kaum möglich. Die Aussagen der Lehrkräfte werden häufig stillschweigend als uneingeschränkt richtig akzeptiert und es wird ihnen nicht widersprochen.
Allerdings muss man diese starre Sichtweise differenziert betrachten, da aktuelle Tendenzen im Zuge der Öffnung Chinas, auch im Hinblick des Erfahrungsaustausches auf internationalen Tagungen und der steigenden Auslandsaufenthalte angehender Fremdsprachenlehrkräfte, eine allmähliche Veränderung chinesischer Lehrkräfte sowie ihres Unterrichts zeigen. Diese durchaus positiven Entwicklungen finden jedoch fast ausschließlich in wirtschaftlich hoch entwickelten modernen chinesischen Städten, wie Peking, Shanghai etc. statt.
Stark mangelhafte didaktische Ausbildung
Obwohl chinesische Lehrkräfte häufig als allwissend dastehen, ist jedoch paradoxerweise durch verschiedene Untersuchungen schon längst bekannt, dass sie über keine ausreichende didaktische Ausbildung verfügen (vgl. hierzu Mitschian 1991, Hess 1992: 382, Helbig et al. 2001: 1583, Thelen 2006). Schaut man auf die Curricula, die für den Beruf als Deutschlehrer in China entwickelt wurden, so stellt man fest, dass es sich fast nur um das Erlernen der deutschen Sprache und evtl. der deutschen Literatur in den höheren Stufen handelt. Eine didaktische Ausbildung fehlt dabei vollkommen (Kong 2007: 121ff). Dieser Umstand ist laut Hernig (2010: S. 1638) vor allem darauf zurückzuführen, dass in China bis heute keine strikte Trennung zwischen DaF und Germanistik besteht. Nach der Ausbildung verfügen viele chinesische Lehrkräfte über keine korrekte Aussprache und dass, obwohl sie oft eine phonetische Modellfunktion bei der Schulung des Sprechens darstellen (vgl. Dretzke 2006: 132). Untersuchungen haben zudem festgestellt, dass sich chinesische Lehrkräfte im Unterricht bei der Schulung der Aussprache häufig nur auf Methoden, wie das Nachsprechen lassen oder theoretische Erklärungen von z.B. Lippen- und Zungenstellung und Mundöffnungsgrad beschränken (vgl. Hunold 2007: 63). Des weiteren wird bemängelt, dass chinesische Lehrkräfte sich oft auf ihre eigenen Erfahrungen, besonders auf das Vorgehen beim Chinesischlehren- und lernen, zurückbesinnen und versuchen, dies auf das Deutschlehren zu übertragen, wobei im Vergleich mit dem Deutschen ein viel langsameres Vorgehen und intensivere „Trockenübungen“ abverlangt werden (Mitschian 1991: 108f). Die allgemeine Neigung zum Auswendiglernen beim Deutschen wie beim Chinesischen wird oft durch chinesische Lehrkräfte gefordert und gefördert, sodass eine flexible Verwendung des Gelernten bei der mündlichen Kommunikation stark verhindert wird (vgl. Reinbothe 2007: 58). Diese Bevormundung und das Wiederkäuen vorgefertigten Wissens hemmt die Eigenmotivation und unterdrückt eine lernfördernde Interessensentwicklung (Mitschian 1991: 207ff). Darüber hinaus hat Hunold (2007: 62) in einem Vergleich zwischen deutschen und chinesischen Lehrkräften darauf hingewiesen, dass im Unterricht von chinesischen Lehrkräften wenig Unterrichtstransparenz, wie Erläuterungen zu Zielsetzungen und Aufgabenstellungen etc. herrscht.
Ineffiziente Weiter- und Fortbildung
Neben den bereits genannten Problemen fehlt es in China an ausreichenden passenden Lehrfortbildungsprogrammen. Diese bilden nach Helbig et al. (2001: 1583) aber die Basis zur Sicherung eines sprachlichen und didaktisch-methodischen Standards, der wiederum die Einhaltung der curricularen Lehrziele garantiert. Von chinesischer Seite wurden kaum fremdsprachendidaktische Lehrfortbildungen eingerichtet (vgl. Thelen 2003: 66). Nahezu alle chinesischen DaF-Lehrkräfte haben bis heute fast ausschließlich an externen Fortbildungsmaßnahmen im Inland, meist gefördert durch das Goethe-Institut, den DAAD oder deutsche Universitäten, durchlaufen. Diese wurden allerdings von den Lehrkräften selbst als bruchstückhaft und ungenügend bezeichnet (Helbig et al. 2001: 1583, vgl. Hunold 2009). Ohne geeignete Maßnahmen wird es chinesischen Lehrkräften aber schwer fallen, einen Anschluss an neue Entwicklungen des Fremdsprachenunterrichts wie veränderte Zielsetzungen z.B. die Betonung der produktiven Fertigkeiten oder den zunehmenden Medieneinsatz zu finden. Yang/Loo (2007: 85ff) haben angesichts dieser Situation ein inländisches Ausbildungssystem als Hauptausbildung und Fortbildungsseminare im Ausland oder bei Mittlerorganisationen als Ergänzungsbildung, die speziell für den chinesischen Kontext geeignet sind, vorgeschlagen. Für die Umsetzung dieses Konzeptes bedarf es jedoch noch einiger zeitlicher und finanzieller Vorbereitung.
Abwanderung bzw. die Abwesenheit chinesischer DaF-Lehrkräfte Die Abwanderung bzw. Abwesenheit der DaF-Lehrkräfte in China, die wiederum mit dem starken politischen Einfluss auf den Ausbildungsbereich, dem allmählichen Verfall des Ansehens des Lehrberufs und der nicht zufriedenstellenden Arbeitsbedingungen sowie der Überalterung der Lehrkräfte eng zusammenhängt (vgl. Helbig et al. 2001: 1582f, Jin 2007: 156), ist ein häufig anzutreffendes und nicht zu unterschätzendes Problem für die zukünftige Entwicklung.
2.3 Didaktische und methodische Entwicklung des DaF-Unterrichts in China
Neben der mangelhaften Aus- und Fortbildung chinesischer DaF-Lehrkräfte ist die Vernachlässigung der Fertigkeit Sprechen im DaF-Unterricht in China vor allem auf die Unterrichtsmethoden zurückzuführen.
Der DaF-Unterricht in China orientiert sich stark an konventionellen Methoden, die der allgemeinen Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts hinterher hängen (vgl. Thelen 2003: 65). Laut Thelen (2003: 91) bleibt die Diskussion über die Fremdsprachendidaktik und -methodik in China meistens auf der Ebene der Überlegung zu verschiedenen Strategien sowie Verfahren stecken. Die didaktische und methodische Entwicklung in China wird zudem als Teil der ökonomischen, kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung einer Region gesehen und sehr stark politischen, sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen unterworfen (vgl. Thelen 2003: 68).
Mit dem Begriff „Methode“ im chinesischen Kontext sind laut Mitschian (1991: 209) die Ansätze, Verfahren und Handlungsmuster, die das unterrichtspraktische Handeln der Lehrkräfte leiten einerseits, aber auch das soziale Verhalten der Lehrkräfte gegenüber ihren Lernenden innerhalb und außerhalb des Unterrichts sowie die Formen des Umgangs miteinander, soweit sie das Erreichen der Lernziele beeinflussen andererseits, gemeint (vgl. Thelen 2003: 54). Dies ist nur zu verstehen, wenn man die institutionellen Voraussetzungen und die politischen Verflechtungen des Bildungssystems mit der allgemeinen Politik berücksichtigt und die offizielle Einstellung zum Ausland wahrnimmt (vgl. Thelen 2003: 54). Zum besseren Verständnis des DaF-Unterrichts in China sollen die didaktische und methodische Entwicklung anhand von Mitschian (1991), Hess (1992) und Thelen (2003) in chronologischer Reihenfolgen skizziert.
Vor 1949
Die Grammatik-Übersetzungs-Methode, die aus dem Westen „importiert“ wurde, hatte eine dominante Rolle im Fremdsprachunterricht in China bis kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Mit dieser Methode stand für die Chinesen die Herausbildung der Lesefähigkeit im Zentrum des Lernprozesses (vgl. Thelen 2003: 55) und es ging in erster Linie darum, dass man dadurch die modernen Technologien aus dem Westen bedienen konnte (vgl. Mitschian 1991: 261). Die Sprachausbildung orientierte sich ausschließlich an der Nachfrage nach Dolmetschern und Übersetzern (vgl. Helbig et al. 2001: 1580, Thelen 2003: 56). Geringfügige Veränderungen verzeichneten die 1930er Jahre, in denen sich vereinzelte chinesische Linguisten mit moderneren westlichen Methoden, wie der direkten Methode vertraut machten (vgl. Mitschian 1991: 256). Bemerkenswert ist, dass zur gleichen Zeit der Deutschunterricht an westlichen Missionsschulen in China durch ausländische Lehrkräfte fast ausschließlich in der Fremdsprache erfolgte, wobei man sich vor allem auf einen möglichst schnellen Erwerb aktiver Fertigkeiten (Sprechen und Hören) konzentrierte (vgl. Thelen 2003: 65).
Zwischen 1949 und 1979
In diesem Zeitraum ist die didaktische und methodische Entwicklung durch sehr starke politische Einflüsse, kaum Reflexion über die Fremdsprachendidaktik sowie sehr wenig (positive) Weiterentwicklungen gekennzeichnet. Anfang der 1950er Jahre wurden durch die Machtübernahme der Kommunistischen Partei Chinas alle Missionsschulen, die versuchten „westliche Ansätze“ im Unterricht durchzusetzen, verboten (vgl. Thelen 2003: 57). Die Grammatik-Übersetzungsmethode, die der Fremdsprachenmethode in der Sowjetunion, mit der die chinesische Regierung politisch im Einklang war, entsprach, dominierte weiter im Fremdsprachenunterricht (vgl. Thelen 2003: 57). Erneute Impulse aus dem Ausland, vor allem die direkte Methode wurden zwar im Unterricht erprobt, waren jedoch aufgrund politischer Richtlinien schwer durchzusetzen (vgl. Thelen 2003: 59).
Eine Auffälligkeit der 1960er Jahre war das Vorfinden mehrerer Unterrichtsmethoden, wie der Grammatik-Übersetzungsmethode sowie der Hör-Sprechmethode und der Seh-Hörmethode (vgl. Thelen 2003: 59). Letztere beiden entsprachen mit einigen Abweichungen in etwa den westlichen Konzepten Audiolinguale und Audiovisuelle Methode. Allerdings wurde sich z.B. bei der Hör-Sprechmethode lediglich auf die Verwendung eines Sprachlabors und eines Tonbandgeräts beschränkt und der Unterrichtsverlauf der traditionellen Grammatik- Übersetzungsmethode blieb nach wie vor kaum verändert (vgl. Thelen 2003: 59).
In den 1970er Jahren verschwand der Reflexionsgegenstand über die Vermittlung der Fremdsprache aus den Überlegungen weitgehend aufgrund der Kulturrevolution (vgl. Thelen 2003: 60). Eines der Ziele der Kulturrevolution war es, durch flächendeckende Verbote alle möglichen westlichen Denkweisen zu zerstören. Ende der 1970er Jahre gab es zwar einige Diskussionen zur Entwicklung der allgemeinen systematischen Struktur des Unterrichts, allerdings nur wenig Veränderung in der methodischen Konzeption (vgl. Mitschian 1991: 261, Thelen 2003: 65).
Die 1980er Jahre
Während der 1980er Jahre kam vor allem die eklektische Methode auf, bei der mehrere Elemente besonders aus der Grammatik-Übersetzungsmethode und der direkten Methode etc. miteinander verschmolzen und die Lernenden in den Fokus rücken sollten (vgl. Thelen 2003: 67, Hess 1992: 395). Ziel der Methode war die Förderung der sprachlichen und kommunikativen Kompetenzen (vgl. Thelen 2003: 66), wobei die Lehrkräfte in der Lage sein sollten, die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Lernenden anzuerkennen und sie im Unterricht möglichst umfassend bei der Erarbeitung des fremdsprachlichen Wissens zu aktivieren (vgl. Hess 1992: 298, Thelen 2003: 66). Diese Methode ließ sich jedoch meistens nur in kleineren Gruppen bzw. über längere Zeiträume umsetzen (vgl. Hess 1992: 395). Je nach Ausbildungsstand der Lehrkräfte und nach Maßgabe der Entscheidung für bestimmte Materialien ergab sich ein Kontinuum im Unterricht, das bis zum Einschluss „kommunikativen“ Übungsformen z.B. Dialoge-Übungen reichen sollte (Hess 1992: 395). Über die tatsächliche Anzahl der Institutionen, die solche Kurse anboten, wurde allerdings seitens der Bildungskommission Chinas keine Daten veröffentlicht (vgl. Thelen 2003: 66f).
Die 1990er Jahre
Das auffälligste Merkmal dieser Zeit war der Versuch, den kommunikativen Ansatz durch chinesische Lernende von Deutschland nach China zu „transferieren“ und zumindest punktuell an einigen Orten wie Peking, Shanghai etc. im Unterricht umzusetzen. Zu den kommunikativen Kompetenzen wurden die Entwicklung der Denkfähigkeit, sowie Hör-, Lese-, Sprech- und Schreibfertigkeiten gezählt und es wurde gefordert, dass alle Fertigkeiten gleichberechtigt entwickelt werden müssten (vgl. Thelen 2003: 90). Die Lernenden sollten kommunikative Kompetenzen erlangen, um die Sprache später in erster Linie mündlich anzuwenden (Thelen 2003: 69). Laut Song (2007:117) sollten die Lehrkräfte eine einleitende Rolle spielen und den Unterricht handlungs- und produktionsorientiert gestalten. Auf Grund politischer Richtlinien, d.h. innerhalb des spezifischen sozialpolitischen Rahmens verursachte der Ansatz aber Probleme und Widersprüche (Thelen 2003: 68ff), sodass es nur bei der Erprobung im fremdsprachlichen Unterricht in vereinzelten Regionen blieb und nicht populär geworden ist.
Seit 2000
Durch den Erfahrungsaustausch auf verschiedenen nationalen und internationalen Tagungen und Arbeitssitzungen versucht man, den Unterricht auf chinesische Bedürfnisse auszurichten. Von daher ist heute eine Kombination verschiedener Lehrmethoden in fortschrittlich entwickelten Regionen wie Peking, Shanghai etc. üblich: lehrerzentrierter Frontalunterricht kombiniert mit lernerzentrierter Übungen in kleineren Gruppen sowie sorgfältiger grammatischer Progression, usw. (Zhu 2007:147). Anzumerken ist aber, dass sogar innerhalb dieser Zentren große Unterschiede bei den Unterrichtsmethoden vorzufinden sind. Zudem beherrscht die Grammatik-Übersetzungsmethode noch immer den DaF-Unterricht in den meisten „unterentwickelten“ Regionen. Die Versuche, sowohl ausländische als auch eigens entwickelte Methoden wie die eklektische Methode zu etablieren, haben bis jetzt nur sehr wenig Anerkennung im DaF-Unterricht gefunden.
Dieser Einblick in die fremdsprachendidaktische Entwicklung in den chinesischen Kontext zeigt zwar, dass Bestrebungen zur Weiterentwicklung geeigneter Methoden für den DaF- Unterricht immer schon bestanden, aber durch das entfremdende Adaptieren kulturell und gesellschaftlich anders geprägter Methoden, zurückgedrängt wurde. Der Fertigkeit Sprechen wird in China, genauso wie in vielen anderen Ländern, ein immer bedeutenderer Platz im Unterricht eingeräumt. Nur wird der Fertigkeit Sprechen aufgrund der Auswahl oder Bevorzugung einer bestimmten Unterrichtsmethode eine ganz unterschiedliche Bedeutung im DaF-Unterricht beigemessen. Demnach findet man in den meisten Regionen in China Methoden wie die Grammatik-Übersetzungsmethode, die Audiolinguale und vereinzelt die Audiovisuelle Methode etc. wieder. Der Aufbau eigener methodischer Ansätze, die die Fertigkeit Sprechen besonders im chinesischen Kontext fördern sollen, bedarf noch Zeit.
[...]
1 Im folgenden werden die Abkürzungen der verschiedenen Methoden bzw. Ansätze verwendet.
- Quote paper
- Na Chen (Author), 2015, DaF-Unterricht in China. Die Lernerperspektive auf die Vermittlung des Deutsch-Sprechens durch chinesische Lehrkräfte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/320726
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