Mit Ein Puppenheim hat Ibsen einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, der über Schweden hinaus in den europäischen Ländern ein breites Echo fand. Zeitgenössische Kommentatoren fassten das Werk als Tendenzstück und als Kampfruf für die Rechte der Frauen auf. Dem eigenen Standpunkt folgend, sah man in dem Stück einen nahezu anarchistischen Angriff auf die „geheiligte Institution der Ehe“ oder eine mutige Darstellung der entrechteten und versklavten Frau, die um Gleichberechtigung rang.
Nach überliefertem Verständnis war das öffentliche und wirtschaftliche Leben die Domäne des Mannes; die Frau gehörte ins Haus, an den Herd oder in die Kinderstube. Die Zeit der reinen Männergesellschaft, in der die Frau nur als Dekor und Spielwerk geduldet wurde, war jedoch vorbei. Frauen verlangten ihren Anteil am öffentlichen Leben, augenscheinlich am Beispiel der Suffragetten, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht eintraten. Ein Puppenheim lässt sich in diesem Kontext verorten: Nora befreit sich aus der Abhängigkeit von Mann und Familie; sie fordert für sich das Recht der Persönlichkeit. Am Schluss des Stückes deklariert sie: „Vor allem bin ich ein Mensch, glaube ich, ebenso wie du – oder wenigstens will ich versuchen, einer zu werden.“
Reicht diese erste Einordnung, um Ibsen als Vorkämpfer der Rechte der Frauen zu bezeichnen? Hat Ibsen mit Ein Puppenheim über das Genre des Sozialdramas hinausgegriffen und ein Plädoyer für die Emanzipation der Frau abgegeben, das möglicherweise sogar bis zum Feminismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachwirkt?
Die weitreichende Frage nach der Berechtigung einer feministischen Auslegung von Ein Puppenheim kann hier nur unvollständig beantwortet werden. Zwei Quellen sollen herangezogen werden: die biographischen Verbindungen Ibsens zu Frauen und zur Frauenbewegung einerseits sowie die Rezeption von Ein Puppenheim andererseits.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Fragestellung
2. Ibsen – ein Leben mit der Frauenfrage
3. Nora: Frauenrecht und Frauentragödie
3.1 Ablehnende Stimmen
3.2 Die Frauenfrage in der Entstehungsgeschichte von Ein Puppenheim
3.3 Aufnahme des Werkes
3.3.1 Diskreditierung von Nora
3.3.2 Nora aus Sicht der Frauenbewegung
4. Nachwort
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung und Fragestellung
The glory of Ibsen is that he refused to make
certain fatal separations. He refused to separate
the individual from the collective,
the personal from the social.
Eric Bentley In Search of Theatre[1]
Mit Ein Puppenheim hat Ibsen einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, der über Schweden hinaus in den europäischen Ländern ein breites Echo fand. Zeitgenössische Kommentatoren fassten das Werk als Tendenzstück und als Kampfruf für die Rechte der Frauen auf. Dem eigenen Standpunkt folgend, sah man in dem Stück einen nahezu anarchistischen Angriff auf die „geheiligte Institution der Ehe“ oder eine mutige Darstellung der entrechteten und versklavten Frau, die um Gleichberechtigung rang.
Nach überliefertem Verständnis war das öffentliche und wirtschaftliche Leben die Domäne des Mannes; die Frau gehörte ins Haus, an den Herd oder in die Kinderstube. Die Zeit der reinen Männergesellschaft, in der die Frau nur als Dekor und Spielwerk geduldet wurde, war jedoch vorbei. Frauen verlangten ihren Anteil am öffentlichen Leben, augenscheinlich am Beispiel der Suffragetten, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht eintraten. Ein Puppenheim lässt sich in diesem Kontext verorten: Nora befreit sich aus der Abhängigkeit von Mann und Familie; sie fordert für sich das Recht der Persönlichkeit. Am Schluss des Stückes deklariert sie: „Vor allem bin ich ein Mensch, glaube ich, ebenso wie du – oder wenigstens will ich versuchen, einer zu werden.“
Reicht diese erste Einordnung, um Ibsen als Vorkämpfer der Rechte der Frauen zu bezeichnen? Hat Ibsen mit Ein Puppenheim über das Genre des Sozialdramas hinausgegriffen und ein Plädoyer für die Emanzipation der Frau abgegeben, das möglicherweise sogar bis zum Feminismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachwirkt? Diese Frage ist nicht nur vor dem Hintergrund der kontroversen Rezeptionsgeschichte interessant, sie könnte auch zum Selbstverständnis des modernen Feminismus beitragen.
Die weitreichende Frage nach der Berechtigung einer feministischen Auslegung von Ein Puppenheim kann hier nur unvollständig beantwortet werden. Zwei Quellen sollen herangezogen werden: die biographischen Verbindungen Ibsens zu Frauen und zur Frauenbewegung einerseits sowie die Rezeption von Ein Puppenheim andererseits.
Dabei wird eine von Pam Morris übernommene Definition angelegt, die Feminismus auf zwei Axiomen aufbaut: „(1) that gender difference is the foundation of a structural inequality between women and men, by which women suffer systematic social injustice, and (2) that the inequality between the sexes is not the result of biological necessity but is produced by the cultural construction of gender differences.”[2]
Zu fragen ist demnach in Hinblick auf Ibsen einerseits und Ein Puppenheim andererseits nach Benachteiligungen von Frauen, die sich aus ihrer gesellschaftlichen Rolle (und nicht biologischen Determinierung) als Frau ergeben.
2. Ibsen – ein Leben mit der Frauenfrage
Ein biographisch geprägter Einfluss auf Ibsens Darstellung von Frauen geht vor allem von seiner Mutter und von seiner Ehefrau aus.
Am 20. März 1828 wurde Henrik Ibsen in Skien, einer kleinen norwegischen Stadt geboren. Sein Vater, Knud Ibsen, war ein wohlhabender Kaufmann, seine Mutter Marie-Kornelia Altenburg deutscher Abstammung. Als Henrik acht Jahre alt war, verlor sein Vater durch Zusammenbruch seines Geschäftshauses sein Vermögen. Als einstiger Lebemann konnte Knud Ibsen weder den Verlust, und damit den sozialen Abstieg, verkraften, noch die Kraft aufbringen, einen Neubeginn zu wagen. Unter der Alkoholabhängigkeit des Vaters hatte vor allem die Mutter zu leiden. Durch den finanziellen Ruin am Boden zerstört, versuchte sie durch die Annahme diverser Arbeiten verzweifelt, die sechs Kinder zu versorgen.
In diesen bedrängten Verhältnissen bekam Ibsen bereits in seiner Kindheit die Unterdrückung und Kraftlosigkeit seiner Mutter im elterlichen Haushalt zu spüren. Durch die ständigen Wutausbrüche des Vaters verwandelte sie sich in eine melancholische und zurückgezogene Person, „so weighed down with sorrow and so cowed that she almost dared not speak to people, but rather hid herself away to be as unnoticeable as possible“.[3]
Mariechen Ibsens Schmerz lässt sich in unzähligen Portraits von leidenden Frauen in Ibsens Dramen wiedererkennen: Margit in Das Fest auf Solhaug, Helene Alving in Gespenster, die Protagonistin in Hedda Gabler, gefangen in einer unglücklichen Ehe, Agnes in Brand, gequält von ihrem Ehemann, Aase in Peer Gynt, verarmt und von ihrem Ehemann verlassen, Rita in Klein Eyolf, Ella und Gunhild Rentheim in John Gabriel Borkmann und Irene in Wenn wir Toten erwachen betrogen und benutzt von ihren Männern. Die weiblichen Charaktere in seinen Stücken bilden dabei den Auftakt und das Vorbild für die Weiterentwicklung in den späteren Stücken, zu denen auch Ein Puppenheim zählt.
Durch seine Heirat mit Susanne Thoreson 1857 kam Ibsen in Kontakt mit der Frauenbewegung. Seine Schwiegermutter, Magdalene Thoreson, war Schriftstellerin und „probably the first ‚New Woman’ he had ever met”.[4] Zu Camilla Collet, die als die erste und wichtigste Feministin Norwegens gilt, unterhielt Ibsen während der 1870er Jahre eine enge Freundschaft. Es liegen Briefe von Ibsen vor, in denen er von einem großen und anhaltenden Einfluss ihrer Gedanken auf sein Werk berichtet.[5]
Aussagekräftiger sind noch die direkten Äußerungen Ibsens zur Lage der Frauen. Häufig wird eine Passage aus der Rede des Autors anlässlich einer Ehrung zu seinem 70. Geburtstag durch den norwegischen „Verein für die Sache der Frau“ zitiert. Ibsen erklärte: „Ich danke für das Hoch, muss jedoch die Ehre ablehnen, mit Bewusstsein für die Sache der Frau gewirkt zu haben. Ich bin mir nicht einmal klar darüber, was die Sache der Frau eigentlich ist. Mir hat sie sich als eine Sache des Menschen dargestellt. Und wenn man meine Bücher aufmerksam liest, wird man das verstehen. Es ist wohl wünschenswert, die Frauenfrage zu lösen, so nebenher. Aber das war nicht der hauptsächliche Zweck. Meine Aufgabe ist die Menschenschilderung gewesen.“[6]
Diese Äußerung ist häufig überbewertet worden. Michael Meyer empfiehlt seinen Lesern sogar, die Rede auswendig zu lernen und für alle Stücke Ibsens anzuwenden,[7] und für James McFarlane, Herausgeber der englischen Werksausgabe, ist das gesamte Thema Feminismus mit der Bankettrede erledigt. Schlüssiger scheint jedoch der Rat Finneys, die Rede vor dem Hintergrund von Ibsens Abneigung, Parteien oder Vereinen jedweder Art anzugehören, zu verstehen.[8] Es sollte nicht vergessen werden, dass Ibsen seit dessen Gründung 1884 Mitglied im Verein für die Sache der Frau war.
Zudem können der Bankettrede mehrere andere Äußerungen Ibsens entgegengehalten werden, die explizit die Rechte der Frau hervorheben. So erklärte Ibsen in einer Rede vor Arbeitern in Trondheim 1885, dass die Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen, die in Europa vor sich gehe, vor allem den Status von Arbeitern und von Frauen betreffe.[9]
Ibsen kann also nicht nur eine große Vertrautheit mit der sozialen Situation von Frauen attestiert werden, zu der eine persönliche Betroffenheit durch das Schicksal der Mutter hinzukommt. Er lässt sich in das Umfeld der skandinavischen Frauenbewegung einordnen und hat mehrfach explizit politisch für die Rechte von Frauen Position bezogen. Wenngleich der Geehrte sie mit einem Understatement dankte, war die Wertschätzung des norwegischen Verein für die Sache der Frau richtig verstanden.
[...]
[1] Zitiert in: Templeton, Joan: Ibsen’s women. Cambridge, 1997. S. X
[2] Morris, Pam: Literature and feminism. An introduction. Oxford, Cambridge, 1993. S.1.
[3] Mosfjeld, Oskar: Ibsen og Skien. Oslo, 1949. S. 26-27.
[4] Joan Templeton, zitiert in Gail Finney, Ibsen and feminism, S. 89-105 in: The Cambridge companion to Ibsen, herausgegeben von James McFarlane. Cambridge. 1994. S. 91.
[5] Finney, a.a.O, S. 91.
[6] Zitiert in: Neis, Edgar: Nora. Hedda Gabler. Hollfeld, 1997. S. 60.
[7] Meyer, Michael: Ibsen. New York, 1971. S. 774.
[8] Finney, a.a.O. S. 90
[9] Finney, a.a.O. S. 89. Siehe dort für weitere Belege.
- Citar trabajo
- Patricia Patkovszky (Autor), 2003, Ibsen, die Frauenfrage und 'Nora oder Ein Puppenheim', Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32066
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