Projekte wie die Wikipedia zeigen, wie eine Gesellschaft ihr erarbeitetes Wissen dokumentieren kann. In dieser kollaborativ erstellten Enzyklopädie bildet sich eine Art neuronales Netzwerk komplex miteinander verschalteten Wissens ab. Es ist das Wissen einer unbestimmten Anzahl von Menschen, die ihr angeeignetes Wissen weitergeben, ohne einen finanziellen Lohn oder Ruhm einzufordern. Die Art und Weise, wie diese Enzyklopädie seit nunmehr einem Jahrzehnt erarbeitet wird, wirft die Frage auf, ob Wissensverbreitung und -erarbeitung nicht komplett vergesellschaftet werden sollte. Ihr Erfolg lässt vermuten, dass ein von benennbaren Einzelpersonen vertretenes Expertenwissen nicht mehr zwingend gefordert wird. Stattdessen setzt sich in einer immer intensiver vernetzten Wissensgesellschaft eine Vorstellung durch, dass auch ein virtuelles Netzwerk für die Erarbeitung, Verbreitung und Bewahrung von Wissen sorgen kann.
Es wäre banal, in dieser Arbeit ausschließlich die Werkzeuge und bereits bestehenden kollaborativen Projekte zu beschreiben, die es Menschen ermöglichen kollaborativ zusammenarbeiten. Das können in Kollaborationsprojekte involvierte Forscher besser und detaillierter. In meiner Arbeit wird es stattdessen um Modelle der kollaborativen Zusammenarbeit gehen. Dazu werde ich zunächst, noch bevor ich zum eigentlichen Thema – die kollaborativen Arbeit an digitalen Editionen – komme, die mentalitätsgeschichtlichen Grundlagen beschreiben. Die wichtigste Grundlage für das kollaborative Arbeiten dürfte die Einsicht in die dynamischen Entwicklungsprozesse der Kategorien Text und Wissen sein: Zum einen scheint ein Text nichts zu sein das zu jeder Zeit immer auf dieselbe Weise verstanden wird. Wenn man einen Text also als etwas versteht, das maßgeblich von einem Leser abhängt, dann erhält dieser Leser eine Macht über diesen Text, durch welche seine einmal festgelegte Erscheinungsform nur noch zu einer Möglichkeitsform wird, die der Leser mitbestimmt (Kap. II.1). Wenn man diesen Gedanken weiterführt, dann gerät man zum zweiten dahin, die Natur von über Texte transportierte Wissen genauer zu untersuchen und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Produkt und Wissen, Wissen und Experte zu beleuchten (Kap II.2). Schließlich wird man zu der Einsicht gelangen, dass in den heutigen Tagen, da herkömmliche Produktions- und Distributionsstrategien von Text und Wissen einem fundamentalen Wandel unterliegen, weder einzelne Experten noch proprietäre Vereinnahmungen von Wissen als ...
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- I.1 Allgemeine Einführung
- I.2 Zu zwei Begriffen: Kollaboration und Text
- I.3 Allgemeine Hinweise zum Zitieren und Referenzieren
- II. Dynamik als Merkmal von Text und Wissen
- II. 1 Text und Dynamik
- II.1.a Über Zensur und die Frage wer in Texte eingreifen kann
- II.1.b Text und Textur – Zu den Möglichkeitsformen eines Textes
- II.1.c Zur Dynamik der Texturen und wie man in sie eingreifen kann
- II.1.d Hypertexte und der von ihnen angestoßene Wandel im Umgang mit Texten und Texturen
- II. 2 Wissen und Dynamik
- II.2.a Zur Unterscheidung von Wissen und Erkenntnis
- II.2.b Erkenntnis und Wissensprodukte
- II.2.c Etikettierung von Wissensprodukten
- II.2.d Das Web 2.0 als neue Form der Vernetzung und Zusammenarbeit
- II.2.e Zur Geschichte des freien Wissens
- II.2.f Virtuelle Netzwerke als kollaborative Umgebungen
- II.3 Zwischenfazit
- II. 1 Text und Dynamik
- III. Kollaboration im Bereich wissenschaftlicher Arbeit
- III.1 Zur Kommunikationsfreiheit und neuen Rollenverteilungen
- III.2 Zu aktuellen Beteiligungsmustern
- III.3 Methoden und Modelle
- III.4 Modelle für das kollaborative Arbeiten an digitalen Editionen
- III.5 Akquise von Kollaborateuren und Motivation für kollaboratives Arbeiten
- III. 6 Grenzen und Freiheiten – Bedingungen und Regulierungssysteme für das kollaborative Arbeiten
- IV. Fallbeispiele
- IV.1 Transcribe Bentham
- IV.1.a Zum Projekt
- IV.1.b Beschreibung der Möglichkeiten zur Mitarbeit
- IV.1.c Kritik
- IV.2 Monasterium Collaborative Archive
- IV.2.a Zum Projekt
- IV.2.b Beschreibung der Möglichkeiten zur Mitarbeit
- IV.2.c Kritik
- IV.1 Transcribe Bentham
- V. Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Möglichkeiten und Herausforderungen des kollaborativen Arbeitens an digitalen wissenschaftlichen Editionen. Sie beleuchtet die grundlegenden Prinzipien der Kollaboration im Kontext der Dynamik von Text und Wissen und analysiert verschiedene Modelle und Fallbeispiele für die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Citizen Scientists.
- Die Dynamik von Text und Wissen in digitalen Umgebungen
- Die Rolle des Web 2.0 für kollaborative Wissensarbeit
- Modelle und Methoden des kollaborativen Arbeitens an digitalen Editionen
- Die Regulierung und Gestaltung von kollaborativen Prozessen in der Wissenschaft
- Die Chancen und Grenzen der Beteiligung von Citizen Scientists an wissenschaftlichen Editionen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der kollaborativen Arbeit an digitalen wissenschaftlichen Editionen ein. Sie stellt die Relevanz des Themas im Kontext des Web 2.0 und der Entwicklung neuer Formen der Wissensverbreitung dar. Das zweite Kapitel analysiert die Dynamik von Text und Wissen, wobei die Bedeutung der Leserschaft und der dynamischen Gestaltung von Texten im digitalen Raum hervorgehoben wird. Das dritte Kapitel befasst sich mit dem kollaborativen Arbeiten im Bereich wissenschaftlicher Arbeit, wobei verschiedene Modelle und Methoden der Zusammenarbeit vorgestellt werden. Das vierte Kapitel präsentiert zwei Fallbeispiele für kollaborative Projekte im Bereich digitaler Editionen und analysiert ihre Stärken und Schwächen. Der Ausblick fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammen und diskutiert die zukünftige Entwicklung des kollaborativen Arbeitens an digitalen Editionen.
Schlüsselwörter
Digitale Editionen, Kollaboration, Web 2.0, Citizen Science, Wissensgesellschaft, Textdynamik, Hypertext, Freies Wissen, Kommunikationsfreiheit, Beteiligungsmuster, Modelle der Zusammenarbeit, Regulierung.
- Quote paper
- Patrick Ewald (Author), 2013, Kollaboratives Arbeiten an digitalen wissenschaftlichen Editionen. Alternative Methoden des Edierens im Web 2.0, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/320263