In dieser Arbeit möchte ich den Film "La Antena" besprechen. Esteban Sapir führte Regie bei dem 2007 erschienenen Film und schrieb auch das Drehbuch. Der Film ist ein futuristischer, dystopischer Gesellschaftsentwurf, gleichzeitig wird jedoch in der Ausstattung und der Formensprache mit Mitteln aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts gearbeitet. Insbesondere möchte ich auf die transhumanistischen Aspekte sowie auf deren Aktualität und deren Wertung durch Esteban Sapir eingehen.
Ich möchte herausarbeiten, wie das Thema sowohl im Plot als auch auf der bildlichen und sprachlichen Ebene bearbeitet wird und wie es trotz retro-futuristischen Zügen auf das Hier und Jetzt bezogen werden kann.
Inhalt
Einleitung
Handlung
Form und Stilmittel
Transhumanismus in „La Antena“
Schluss
Literatur- und Filmverzeichnis
Einleitung
In dieser Arbeit möchte ich den Film La Antena besprechen. Esteban Sapir führte Regie bei dem 2007 erschienenen Film und schrieb auch das Drehbuch. Der Film ist ein futuristischer, dystopischer Gesellschaftsentwurf, gleichzeitig wird jedoch in der Ausstattung und der Formensprache mit Mitteln aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts gearbeitet. Insbesondere möchte ich auf die transhumanistischen Aspekte sowie auf deren Aktualität und deren Wertung durch Esteban Sapir eingehen. Ich möchte herausarbeiten, wie das Thema sowohl im Plot als auch auf der bildlichen und sprachlichen Ebene bearbeitet wird und wie es trotz retro-futuristischen Zügen auf das Hier und Jetzt bezogen werden kann.
Handlung
In einer Stadt namens „Stadt ohne Stimmen“, zu einer unbestimmten Zeit, dem Jahr „XX“, haben alle Bewohner ihre Stimmen verloren. Sie kommunizieren nur über Lippenlesen. Die Stimmen wurden ihnen von dem diktatorischen Chef des TV-Senders namens Mr. TV genommen, welcher die Bevölkerung über das Fernsehen, die Nahrung und die Werbung kontrolliert. Dafür benutzt er eine Maschine, die durch die verlorenen Stimmen gespeist wird. Sie wird gelenkt von einem kleinen Mädchen in einer Schneekugel und befindet sich in den Bergen. Sie produziert die TV-Nahrung über die Mr. TV die Bewohner ruhig stellt.
Mr. TV hat eine Reihe von Angestellten, darunter Dr. Y, welcher sich um alle technischen Angelegenheiten zur Kontrolle des Volkes kümmert und anstatt eines Mundes einen Bildschirm hat sowie einen rattenähnlichen Handlanger.
In der Stadt lebt ein Fernsehtechniker, zusammen mit seiner Tochter Ana und seinem Vater, welcher auch Fernsehtechniker ist. Er lebt getrennt von Anas Mutter, die als Krankenschwester arbeitet.
Nur die Sängerin namens „die Stimme“, welche niemals ihr Gesicht zeigt und ihr augenloser Sohn Tomás, haben die Fähigkeit des Sprechens behalten. Sie leben sehr zurückgezogen, um zu verheimlichen, dass auch Tomás sprechen kann.
Mr. TV plant seine Macht zu erweitern, indem er das Volk mit Hilfe „der Stimme“ hypnotisiert und ihnen auch noch die Wörter wegnimmt. Zu diesem Zweck bringt er „die Stimme“ in seine Gewalt, indem er sie mit neuen Augen für ihren Sohn erpresst.
Der Sohn von Mr. TV soll die Augen in einem Umschlag zum Haus „Der Stimme“ bringen schiebt sie aber unter die falsche Tür, nämlich die von Anas Mutter.
Während ihre Mutter arbeitet findet Ana den Umschlag, öffnet ihn und überbringt ihn Tomás, der nebenan wohnt. Die Beiden freunden sich an.
Währendessen wird Anas Vater und Großvater gekündigt, da sie einen der sogenannten Ballonmänner verloren haben, die zur Reparatur von Antennen eingesetzt werden. Anas Vater wird zufällig Zeuge der Entführung „der Stimme“ in ein Krankenhaus. Zusammen mit seinem Freund, dem Sohn des Mr. TV, versucht er sie zu befreien. Mit Hilfe von Anas Mutter gelangen sie in das Krankenhaus und erfahren was Mr. TV vorhat und dass das einzige was seinen Plan durchkreuzen könnte, eine zweite Stimme ist. Doch sie werden entdeckt. Mr. TVs Sohn wird gefangen genommen. Anas Vater und Anas Mutter können fliehen, die Schergen des Mr. TV nehmen die Verfolgung auf. Die Eltern fahren zu Ana und Tomás. Der Großvater erinnert sich, dass es eine alte kaputte Antenne in den Bergen gibt, über die man die rettende Stimme des Jungen senden könnte.
Die Eltern, Ana und Tomás machen sich mit Hilfe der fliegenden Reparatur-Gasballons zu den Bergen auf. Als sie starten kommen die Schergen und erschießen Anas Großvater.
Parallel gibt es einen Boxkampf der im Fernsehen übertragen wird. Mr. TV lässt die Maschine einschalten, über die „die Stimme“ via Fernsehen gesendet werden soll.
Die Bevölkerung ist wie hypnotisiert davon, schläft ein und Wörter steigen von ihren Körpern auf in Richtung der Mädchen-Maschine.
Die Familie und Tomás schaffen es zu der Antenne, bei der es zu der Versöhnung von Anas Eltern kommt. Anas Vater repariert die Antenne, aber bevor die Stimme des Jungen gesendet werden kann, treffen die Verfolger ein. Es kommt zu einem Kampf zwischen Anas Vater und dem Rattenmann. Dabei löst sich ein Schuss, der das Mädchen in der Schneekugel trifft, welches stirbt und dabei altert. Die Maschine geht aus.
Tomás Stimme kann gesendet werden. Die Bürger erwachen und alle haben wieder eine Stimme.
Form und Stilmittel
Eteban Sapir bedient sich vieler Stilmittel, die an die Anfänge des Tonfilms in den Zwanziger und Dreißiger Jahren erinnern. Der Film ist in Schwarzweiß gedreht und fast frei von gesprochenem Wort oder Geräuschen. Er ist zudem musikalisch unterlegt. Die Effekte und Animationen, wie zum Beispiel der Flug der Ballonmänner, sind zwar mit modernen Mitteln gemacht, scheinen aber durch einfache manuelle Techniken, wie Stop-Motion und Collagen entstanden zu sein.
Die Kommunikation wird durch eingeblendete Schrift dargestellt. Allerdings handelt es sich hier nicht um gewöhnliche Untertitel. Der Text spiegelt grafisch Emotionen der Protagonisten wieder, wirkt wie ein eigener Charakter, reagiert auf die Handlung und lässt an Comics denken. Zum Beispiel zerknüllt Mr. TV in einer Szene, als er die Entführung „der Stimme“ plant, das Wort „la Voz“, ins Deutsche übersetzt „die Stimme“, mit der Hand[1]. Hierbei tritt allerdings ein Hindernis auf, wenn der Film nicht in der Originalsprache Spanisch geschaut wird. Denn dann kommen zusätzlich zu den im Bild integrierten spanischen „Untertiteln“, noch die gewöhnlichen Untertitel, welche von dem eigenen Charakter der Schrift ablenken und irritieren können.
Auch der Ton wird selektiv und bewusst eingesetzt. Die meisten Dinge finden lautlos statt. Autos, Türen und Schritte sind stumm. Die Maschinengewehre allerdings können gehört werden. Zusätzlich werden sie mit den Worten „Ra ta, ra ta, ra ta“ untermalt[2]. „Rata“ bedeutet im Spanischen „Ratte“. Hier wird also gleichzeitig auf den Rattenmann angespielt, der den Befehl zum Schießen gibt.
Die Musik, die von Klassik bis Argentinischem Tango reicht, spielt ebenso eine eigene Rolle wie der Text und untermalt Bewegungen, Gefühle und springt auch für Geräusche ein. Ein Fußtritt gegen ein Auto wird zu einem dumpfen Paukenschlag[3].
Die Ausstattung erinnert an die Dreißiger und Vierziger Jahre. Allerdings fallen einige Dinge aus der zeitlichen Einordnung heraus. Vor allem bei den Maschinen, auf die ich noch genauer eingehen werde, gibt es sowohl erdachte Elemente, wie die Ballonmänner[4], als auch Erfindungen die erst viel später realisiert wurden, zum Beispiel ein Telefon mit Monitor[5], welches die Kommunikation per Lippenlesen über weite Strecken ermöglicht.
Des Weiteren gibt es zahlreiche Verweise und Zitate aus Filmen, Literatur und Geschichte. So ähnelt die Maschine mit dem Körper „der Stimme“[6], über welche Mr.TV die Bevölkerung vollends unter seine Kotrolle bringen will, stark dem Maschinenwesen in der Gestalt Marias in Fritz Langs Metropolis[7]. Es gibt sogar in beiden Szenen fast identische Lichtringe, die um den jeweiligen Körper erscheinen. Die Kontrolle und Beeinflussung via Bildschirm, sowie die Form eines dystopischen, totalitären Überwachungsstaats, lässt an George Orwells Roman Nineteen Eighty-Four denken[8].
Aus diesen Aspekten ergibt sich ein Film, der sich zwischen Science-Fiction, Hommage, Retro-Futurismus und Dystopie bewegt. Diese Genre- und Zeitcollage passt zu der Collage der Stilmittel.
Politische, religiöse und historische Anspielungen tauchen vor allem in der reichen Symbolik, mit welcher der Film arbeitet, auf. Der Rattenmann trägt zum Beispiel ein Eisernes Kreuz an seinem Mantel[9] und die Maschine, mit der „die Stimme“ gesendet wird, hat die Form eines Hakenkreuzes[10]. Im Gegensatz hierzu sind die Helden der Geschichte mit Symbolen sowohl aus der jüdischen und christlichen Religion als auch des Sozialismus ausgestattet worden. Die Fliegerkappe, die Anas Vater auf dem Weg zur Antenne trägt, ist zum Beispiel mit Stern, Hammer und Sichel versehen[11]. Die Maschine mit der Tomás Stimme gesendet wird, hat die Form eines Davidsterns[12], gleichzeitig erinnert sein mit Elektroden versehener nackter Körper an Jesus am Kreuz.
Auf sehr einfache, plakative Art vermittelt Sapir hier dem Zuschauer durch Symbole wie er die Protagonisten einzuordnen hat.
Transhumanismus in „La Antena“
Die Philosophie des Humanismus der Aufklärung, bei welcher es um den menschlichen Fortschritt, unter Anwendung der Vernunft, ging und die sich von Gott loslöste, bildet den Ausgangspunkt des Transhumanismus.
Transhumanismus ist eine philosophische Denkrichtung und Bewegung, bei der ebenso wie beim Humanismus die selbstbestimmte Entwicklung des Menschen und eine Verpflichtung zum Fortschritt im Mittelpunkt steht. Allerdings geht der Transhumanismus noch ein Stück weiter, indem es nicht nur darum geht die äußeren Lebensumstände zu verbessern, sondern direkt den menschlichen Organismus durch Wissenschaft und Technik zu optimieren. Gentechnik, Bio- und Nanotechnologie, Kryonik und Kognitionswissenschaft sind nur einige Bereiche die sich damit beschäftigen. Hierbei wird der Glaube daran abgelegt, dass die Natur von sich aus gut sei und alles Natürliche bewahrt werden müsse.
Im Gegensatz zum Posthumanismus, bei dem es um eine Überwindung von allem Menschlichen geht, ist der Transhumanismus darauf ausgerichtet biologische Grenzen zu überwinden und das menschliche Leben zu „verbessern“. Als posthuman würde zum Beispiel ein Wesen mit rein künstlicher Intelligenz bezeichnet werden, während Menschen mit zum Beispiel technisch oder genetisch veränderter Intelligenz dem Transhumanismus zuzuordnen wären.
In La Antena gibt es nicht nur eigentlich menschliche Wesen, die mit einer Art Zusatz ausgestattet sind, sondern auch zahlreiche bildliche und sprachlich Anspielungen und Verweise auf den Transhumanismus, gleichzeitig schwingt eine Wertung desselben mit. Zwar kommt der Film auf den ersten Blick sehr rückschauend daher, aber eigentlich spricht er aktuelle Formen des Transhumanismus direkt an.
Dr. Y zum Beispiel ist von menschlicher Gestalt. Er hat aber vor seinem Mund einen Bildschirm, der einen vergrößerten Mund zeigt und auf dem Kopf zwei elektrodenartige Hauben. Der Rattenmensch hat als Einziger ein tierisches Zusatzattribut, nämlich einen Rattenschwanz. Sein Gesicht ist fast vollständig bandagiert und eins seiner Augen durch einen Knopf ersetzt.
Was hier im ersten Moment nach Märchen, Futurismus und Science-Fiction aussieht, kann auch als ein tatsächliches Abbild unserer Gegenwart gesehen werden. Was unterscheidet ein Implantat, das aus einer Schweineherzklappe besteht, von einem angesetzten Tierschwanz? Oder Kontaktlinsen, als ständiger Begleiter zur verbesserten Sehfähigkeit, von einem Bildschirm der das Lippenlesen erleichtert?
Darüber hinaus wird auch das Thema des Handels mit menschlichen Körperteilen, wie zum Beispiel zum Zweck von Organspenden, angesprochen. Die Augen des Jungen Tomás werden als Ware gehandelt und als Druckmittel gegen die Mutter eingesetzt. Die Macht die hier wirkt, ist eine, deren Auswirkungen wir in den aktuellen Organspendeskandalen direkt sehen können.
Auf der bildlichen Ebene werden Maschinen oft mit Menschen gleichgesetzt. Das passiert zum Beispiel dadurch, dass Maschinen menschlichen Gesichtern ähneln. Das Gerät, mit welchem man per Lippenlesen auf einem Bildschirm über Entfernungen kommunizieren kann, hat zum Beispiel zwei nebeneinander sitzende Leuchten (Augen), einen Schalthebel (Nase) und den Bildschirm (Mund), auf welchem dann tatsächlich der Mund des Gegenübers erscheint[13]. Klingelt es, so blinkt eine der Leuchten und das „Gesicht“ scheint zu zwinkern.
An einer anderen Stelle, kurz vor dem Anschalten der Maschine mit „der Stimme“, ist das Gesicht von Mr. TV zu sehen, der eine Schutzbrille trägt. Die nächste Kameraeinstellung wird über dieses Bild geblendet und zeigt eine Maschine, vom Aufbau her ähnlich wie das Lippenlese-Gerät, über welche Mr.Y die Maschine mit „der Stimme“ reguliert. Die Augen werden zu kleinen Leuchten, die Nase zu einem Schalthebel und der Mund zu einem Bildschirm, auf welchem die Schrift „ENCENDIDO“ (eigeschaltet) erscheint, an genau der Stelle, wo zuvor die Zähne des grinsenden Mr. TVs waren.[14]
Die fluiden Grenzen zwischen Mensch und Maschine, zwischen Körper und einem „Plus“, treten nicht nur in der Ausstattung und den Kostümen, sondern auch in der Spielart der Schauspieler hervor. In einer Szene wird Ana von ihrem Vater und Großvater verabschiedet. Alle drei winken einander synchron und mechanisch.[15] Sie erinnern an Charles Chaplin, der als Protagonist in Modern Times[16], die Bewegungen der durch Maschinen geprägten Arbeitsabläufe annimmt.
Auf der sprachlichen Ebene werden mechanische Begriffe für menschliche Beziehungen verwendet. So setzt Anas Vater eine zerrissene Fotografie der Familie auf seinem Schreibtisch wieder zusammen[17]. Daneben liegt wie zufällig ein Schild mit der Aufschrift „REPARADO“, Spanisch für „repariert“, das eigentlich an reparierte Fernsehgeräte gehängt wird. So findet eine sprachliche Gleichstellung von Mensch und Maschine statt.
[...]
[1] Vgl. Sapir, Estaban (Drehbuch und Regie) / Aauirre, Juan und Rotstein Federico (Produktion): La Antena, DVD, 99 Min., Argentinien 2007, Capelight Pictures, 31:50 Min.
[2] Ebd. 56:00 Min.
[3] Ebd. 26:19 Min.
[4] Ebd. 02:19 Min.
[5] Sapir, 02:07 Min.
[6] Ebd. 74:01 Min.
[7] Vgl. Lang, Fritz, „ Lang, Fritz (Regie) / Pommer, Erich (Produktion): Metropolis, DVD, 145 Min., Deutschland 1927, UFA.
[8] Vgl. Orwell, George, „Nineteen Eighty-Four“, 1949.
[9] Sapir, 15:20 Min.
[10] Ebd. 71:02 Min.
[11] Ebd. 58:06 Min.
[12] Ebd. 71:35 Min.
[13] Sapir, 02:07 Min.
[14] Ebd. 74:07 Min.
[15] Ebd. 06:48 Min.
[16] Vgl. Chaplin, Charles (Regie und Produktion): Modern Times, DVD, 87 min., USA 1936, Tobis-Filmverleih, 15:18 Min.
[17] Sapir, 19:15 Min.
- Quote paper
- Livia Goebel (Author), 2012, Transhumanismuskritik in Esteban Sapirs Film "La Antena". Zwischen Dystopie und Gegenwart, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/320037
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