Es lohnt sich, in der Philosophie hin und wieder über die Fragen nachzudenken, was Metaphysik ist, welche Arten oder Formen von Metaphysik es gibt und was gute von schlechter Metaphysik unterscheidet. Der Frage, wie man – wenn überhaupt – Metaphysik betreiben sollte, haben zwei Größen der Philosophie des 20. Jahrhunderts, und zwar Alfred North Whitehead und Peter Frederick Strawson, bedeutende Untersuchungen gewidmet. Auf diese methodologische – oder wenn man will ‚metametaphysische‘ – Frage haben sie jedoch einander entgegengesetzte Antworten formuliert, die im Folgenden dargestellt, verglichen und bewertet werden, ohne jedoch die mit diesen theoretischen Vorentscheidungen zusammenhängenden ontologischen Entwürfe näher mit einzubeziehen.
In umgekehrter chronologischer Reihenfolge soll zunächst der Fokus auf Strawsons klassifizierende Unterscheidung deskriptiver und revisionärer Metaphysik gelegt werden, wobei der Versuch unternommen wird, aus den spärlichen – jedoch wirkmächtigen – Textstellen in der Einleitung von Strawsons Hauptwerk Individuals die maßgeblichen Thesen zu extrahieren und dabei sowohl alternative mögliche Lesarten zu präsentieren als auch diese – wo möglich – einer Kritik zu unterziehen.
Der zweite große Teil der Arbeit widmet sich den Ideen Whiteheads zu einer unter dem Titel ‚spekulative Philosophie‘ firmierenden Konzeption von Metaphysik, die zugleich als revisionär und revidierbar begriffen werden soll. Whitehead liefert gleich zu Beginn seines Opus Magnum Process and Reality eine an-spruchsvolle und komplexe Definition dessen, was er unter spekulativer Philosophie verstanden wissen will, und veranschlagt dabei zahlreiche Kriterien, von denen die Güte metaphysischer Theorien abhängen soll. Diese Kriterien werden zur genaueren Explikation der Definition näher erläutert und die mannigfaltigen Probleme aufgezeigt, die mit dem Versuch einhergehen, diese Kriterien im Rahmen der metaphysischen Theoriebildung zu erfüllen. Insbesondere die Methoden der Metaphysik, dieses Ziel zu erreichen, und die Möglichkeit des Fortschritts der Philosophie sollen daran anschließend beleuchtet werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Strawsons Metametaphysik: Die Unterscheidung von deskriptiver und revisionärer Metaphysik
3. Whiteheads Konzept der spekulativen Philosophie als revisionärer und revidierbarer Metaphysik
3.1 Die Definition der ‚spekulativen Philosophie‘
3.2 Revidierbare Metaphysik, Methoden der Verallgemeinerung und Fortschritt der Philosophie
3.3 Spekulative Philosophie als revisionäre Metaphysik und ihr Nutzen
4. Resümee
Literaturverzeichnis
„ Da ß der Geist des Menschen metaphysische Untersuchungen einmal g ä nzlich aufgeben werde, ist ebensowenig zu erwarten, als da ß wir, um nicht immer unreine Luft zu sch ö pfen, das Atemholen einmal lieber ganz und gar einstellen würden. “
(Kant 1783, 159f. [AA IV, 367])
1. Einleitung
Es lohnt sich, in der Philosophie hin und wieder über die Fragen nachzudenken, was Metaphysik ist, welche Arten oder Formen von Metaphysik es gibt und was gute von schlechter Metaphysik unterscheidet. Der Frage, wie man - wenn über- haupt - Metaphysik betreiben sollte, haben zwei Größen der Philosophie des 20. Jahrhunderts, und zwar Alfred North Whitehead und Peter Frederick Strawson, bedeutende Untersuchungen gewidmet. Auf diese methodologische - oder wenn man will ‚metametaphysische‘ - Frage haben sie jedoch einander entgegengesetz- te Antworten formuliert, die im Folgenden dargestellt, verglichen und bewertet werden, ohne jedoch die mit diesen theoretischen Vorentscheidungen zusammen- hängenden ontologischen Entwürfe näher mit einzubeziehen.
In umgekehrter chronologischer Reihenfolge soll zunächst der Fokus auf Strawsons klassifizierende Unterscheidung deskriptiver und revision ä rer Meta- physik gelegt werden, wobei der Versuch unternommen wird, aus den spärlichen - jedoch wirkmächtigen - Textstellen in der Einleitung von Strawsons Hauptwerk Individuals die maßgeblichen Thesen zu extrahieren und dabei sowohl alternative mögliche Lesarten zu präsentieren als auch diese - wo möglich - einer Kritik zu unterziehen.
Der zweite große Teil der Arbeit widmet sich den Ideen Whiteheads zu einer unter dem Titel ‚spekulative Philosophie‘ firmierenden Konzeption von Metaphy- sik, die zugleich als revision ä r und revidierbar begriffen werden soll. Whitehead liefert gleich zu Beginn seines Opus Magnum Process and Reality eine an- spruchsvolle und komplexe Definition dessen, was er unter spekulativer Philoso- phie verstanden wissen will, und veranschlagt dabei zahlreiche Kriterien, von de- nen die Güte metaphysischer Theorien abhängen soll. Diese Kriterien werden zur genaueren Explikation der Definition näher erläutert und die mannigfaltigen Probleme aufgezeigt, die mit dem Versuch einhergehen, diese Kriterien im Rahmen der metaphysischen Theoriebildung zu erfüllen. Insbesondere die Methoden der Metaphysik, dieses Ziel zu erreichen, und die Möglichkeit des Fortschritts der Philosophie sollen daran anschließend beleuchtet werden.
Ein Hauptthema, das sich durch die Arbeit zieht und das den Vergleich der Ansätze Strawsons und Whiteheads bestimmt, ist das Verhältnis von Begriffsana- lyse und Begriffsschöpfung, denen beide Denker unterschiedliche Rollen und un- terschiedliches Gewicht zuschreiben. Noch allgemeiner gedacht, zeigt sich in den Einstellungen und Perspektiven, die beide Meisterdenker einnehmen, die Opposi- tion von Statik und Dynamik. Während Strawson als einzig wahrhaft legitimes Ziel metaphysischen Denkens bloß die Beschreibung der bereits bestehenden be- grifflichen Strukturen des (alltäglichen) Denkens und Sprechens setzt, ist White- head nicht nur offen für begriffliche Innovationen, sondern sieht diese geradezu als notwendig für das adäquate theoretische Erfassen der vielgestaltigen Erfahrun- gen an, deren Wandel und Beförderung eine fortwährende Anpassung des speku- lativen Denkens bedarf.
Als Fazit wird mit einer kurzen Positionierung abgeschlossen, die die Leistun- gen Strawsons und Whiteheads würdigt und sich die Stärken beider Ansätze zu Nutze macht.
2. Strawsons Metametaphysik: Die Unterscheidung von deskriptiver und revisionärer Metaphysik
Peter Strawson hat 1959 in der Einleitung seines Werks Individuals eine grundle- gende Unterscheidung zwischen einer Metaphysik eingeführt, die sich damit be- gnügt, die bestehende Struktur unseres Denkens über die Welt zu beschreiben - diesen Anspruch könnte man auch hermeneutisch nennen (Vgl. Willaschek 142) - und einer anderen Art Metaphysik, die versucht, eine bessere (nicht bloß andere) Struktur hervorzubringen - diesen Anspruch könnte man kritisch nennen (Vgl. Willaschek 142):
[These A] „Descriptive metaphysics is content to describe the actual structure of our thought about the world, revisionary metaphysics is concerned to produce a better structure.“ (I 9)
Man kann jedoch Winfried Löffler und Thomas Grundmann getrost beipflichten, wenn sie diagnostizieren, dass trotz der weiteren Ausführungen, die in Strawsons Buch folgen, nicht ganz klar wird, was Strawson unter deskriptiver Metaphysik (DM) und insbesondere, was er unter revisionärer Metaphysik (RM) versteht. (Vgl. Grundmann 27f., Hacker 354, Löffler 243) Nichtsdestotrotz (oder gerade wegen dieser Unterbestimmtheit?) haben die knappen Bemerkungen in der kurzen Einleitung eine bisher nicht ruhende Debatte um dieses Begriffspaar und die Fra- ge nach der richtigen Weise Metaphysik zu betreiben ausgelöst, wobei Whitehead nicht selten als paradigmatischer Vertreter revisionärer Metaphysik angeführt wird.
[These B] Als weiteres Indiz, was man unter DM und RM verstehen könnte, liefert Strawson einige Beispiele: „Descartes, Leibniz, Berkeley are revisionary, Aristotle and Kant descriptive.“ (I 9) Aber Strawson schickt dieser Eingruppie- rung schon voraus, dass die Pole der Dichotomie praktisch wohl nie in Reinform realisiert wurden: „Perhaps no actual metaphysician has ever been, both in inten- tion and effect, wholly the one thing or the other.“ Muss man dies so verstehen, dass eine Philosophie nur mehr oder weniger deskriptiv oder revisionär ist? Kann es überhaupt eine rein deskriptive Metaphysik geben, wenn diese doch bereini- gend und idealisierend vorgeht? Und wie steht es um eine absolut revisionäre Me- taphysik? Wäre diese möglich und verständlich, wenn ihr begriffliches System keinerlei Bezug zu dem jeweils gegenwärtigen hätte? Aus Strawsons spärlicher Liste von Philosophen lässt sich jedenfalls „keine trennscharfe Unterscheidung zwischen DM und RM“ (Löffler 245) ablesen. Er führt nicht aus, was an den The- orien der Denker für DM und RM spricht. Würde man sich Kant und Aristoteles genauer anschauen, käme Strawson sicher in die Bredouille und seine Beispiele würden sich schnell als fragwürdig erweisen, da beide Exempel dafür sind, dass „ein deskriptives Vorgehen aus internen Gründen in ein revisionäres umschlagen kann, wenn sich Widersprüche in den Strukturen unseres Denkens zeigen“ (Willa- schek 142) - man denke bei Kant etwa an die Behandlung der Antinomien der reinen Vernunft in der Transzendentalen Dialektik. Bei Hume gibt Strawson sogar selbst zu, dass er ihn nicht zuordnen kann. (Vgl. I 9) Es fragt sich zudem, wie re- vision ä r eine Metaphysik sein muss, damit sie für Strawson als RM gilt.
[These C] Ein weiterer schwer zu deutender Hinweis liegt in Strawsons Fest- stellung, dass RM zwar interessant, bewundernswert (Warum?) und nützlich sei, aber letzteres nur, weil sie der DM diene, die selbst überhaupt keiner Rechtferti- gung bedürfe (!) als der der Forschung im Allgemeinen (Vgl. I 9). Besonders den ersten Teil dieser These gilt es zu prüfen und in gewissem Sinne eventuell sogar umzukehren: „Revisionary metaphysics is at the service of descriptive metaphy- sics.“ (I 9) Denn nach These A versucht RM etwas besser zu machen, da die revi- sionären Metaphysiker offenbar mit den jeweils bestehenden Formen des Denkens und Sprechens unzufrieden sind (Vgl. Willaschek 142). „Besser als was?“ mag man fragen. Besser als das, was DM beschreibt (den Kern des idealisierten fakti- schen Begriffssystems), könnte man antworten. So würde nun DM der RM (!) zur genaueren Bestimmung der Relation „x ist besser als y relativ zu Zweck z“die- nen. D.h. man könnte DM auch als eine Art ‚Vorarbeit‘ für RM ansehen. Schließ- lich sollte man zunächst einmal wissen, was man denn überhaupt verbessern möchte (und wie, wenn überhaupt). Was z anbelangt, so könnte man dafür White- heads Kriterien für eine gute spekulative Philosophie anführen, wie sie weiter unten erläutert werden. Die ‚besser als‘-Relation kommt jedenfalls erst dadurch ins Spiel, dass man nicht nur versuchen will, die Struktur unseres Begriffssystems zu beschreiben, sondern die der Realität selbst, wobei angenommen wird, dass manche Begriffssysteme angemessener für diese Aufgabe sind. Pierfrancesco Ba- sile interpretiert Strawson so, dass RM für die DM „als eine Art Kontrastmittel [fungiere, das] die echten Konturen unseres Weltbildes zur Geltung bringen“ (Ba- sile 308) kann. Ähnlich sieht Thomas Grundmann Strawsons zugrundeliegende Intention: Die Revisionen dienen dazu „Inkonsistenzen und logische Ungereimt- heiten, die auf bestimmten Bedingungen unseres faktischen Denkens beruhen, innerhalb dieses Denkens selbst zu klären und aufzulösen“ (Grundmann 35). Die- se Inkonsistenzen und Revisionen scheinen, nach Strawson, aber nicht den Kern unseres Begriffsrahmens zu betreffen, da dieser notwendige Gültigkeit beanspru- chen kann. P. M. S. Hacker biete eine Lesart an, die in eine ähnliche Richtung wie die von Basile und Grundmann geht. Er sieht den möglichen Sinn revisionärer Metaphysik darin, dass sie darauf abzielt, zwar nicht ganze Sprachen, aber Frag- mente eines Begriffsschemas zu konstruieren, die dann als Vergleichsobjekte für Fragmente des bestehenden Begriffsschemas fungieren können. (Vgl. Hacker 366f.) Durch Aufzeigen begrifflicher Alternativen vermag es RM so, uns vor dem Fehlschluss zu bewahren, von der vermeintlichen Notwendigkeit des begrifflichen Rahmens, innerhalb dessen wir denken und sprechen, auf notwendige Zusam- menhänge in der Welt zu schließen: „The necessity we image associated with our conceptual scheme is a necessity internal to our conceptual apparatus - not a form of objective, language-independent necessity.“ (Hacker 368) Offen bleibt aber, ob die durch RM produzierten Alternativen auch wirklich vertreten bzw. umgesetzt werden. Es geht der RM ja schließlich nicht nur darum, Alternativen aufzuzeigen, sondern darum, konkrete Korrekturen des herrschenden Begriffsschemas herbei- zuführen. Geert Keil spricht in seinem ersten Aufsatz von ‚sprachkritischer Auf- klärung durch Selbstkorrektur der Umgangssprache‘ und plädiert folglich für eine „Mittelstellung zwischen normalsprachlichem und idealsprachlichem Ansatz“ (Keil 1988, 196), um der Gefahr der These vom transzendentalen Status der Um- gangssprache (der ‚Unhintergehbarkeitsthese‘) entgegenzusteuern. Dieser Ansatz ist eher nur in einem schwachen Sinne ‚revisionär‘ zu nennen, jedoch hat er zum Ziel, durch Beseitigung mehrdeutiger oder ungenauer Redeweisen zu besserem Denken und Sprechen über uns und die Welt zu führen.
In gewisser Hinsicht ist es aber verständlich, warum Strawson denkt, dass die RM der DM verpflichtet sei. Bedenkt man seine These vom ontologischen Primat der mesoskopischen lebensweltlichen Kontinuanten (personenartige und nichtper- sonenartige Substanzen im Sinne der Metaphysik des Aristoteles), so ist ersicht- lich, dass jegliche RM, die etwa Okkurenten (Ereignisse, Prozesse etc.) als die basalen Entitäten der Theorie setzt, als abhängig von der DM dargestellt werden kann, insofern diese nicht ohne Bezug auf ihre Träger/Beobachter identifizierbar sind. (Vgl. Löffler 248f.) Zu Recht kritisiert Basile jedoch, dass „[o]ntologische Priorität [..] nicht mit Priorität aus der Perspektive der sprachlichen […] Identifi- kation gleichgesetzt werden“ kann. (Vgl. Basile 308) Zudem könnte der Anwen- dungsbereich von Strawsons DM zu gering sein, falls sie nur für solche Sprachen gilt, in denen primär auf raumzeitlich bestimmte materielle Körper und Personen Bezug genommen wird, es aber noch anders geartete Sprachen gibt. (Vgl. Berri- man 291) Damit würde Strawsons DM ein wichtiges, weiter unten erläutertes Kri- terium Whiteheads für ‚gute Metaphysik‘ nicht erfüllen. RM (wie die White- heads) hat es zwar schwerer als DM, da sie oft nicht an gewohnten Common- Sense-Ansichten anknüpfen kann, sie vermag es aber, sich nicht nur den Entwick- lungen in den Wissenschaften anzupassen, sondern sogar auch sie mitzugestalten. (Vgl. Simons 378f., 381) Nur durch diese Rückbindung an die Empirie und die Entwicklungen in den Wissenschaften kann eine Metaphysik auf verantwortungs- volle Weise revisionär sein, da Metaphysik sonst im schlimmsten Falle einem reibungslosen Rotieren im luftleeren Raume gleichen könnte (Vgl. McDowell 67).
[These D] Strawson unterscheidet DM darüber hinaus von dem, was man gern ‚Begriffsanalyse‘ (conceptual analysis) nennt, insofern DM sich bei gleicher In- tention doch in Umfang und Allgemeinheit von dieser abhebt. (Vgl. I 9) Die se- mantische Analyse unserer Verwendung von Begriffen (als aposteriorische Form der Untersuchung) ist der Mutabilität der Sprachen ausgesetzt und somit prinzipi- ell unzureichend, um notwendige Elemente unseres Denkens auszeichnen zu kön- nen. (Vgl. Grundmann 33) DM ist insofern allgemeiner, da sie versucht, die grundlegende Struktur der Sprache als ganzer offenzulegen statt sich in Detailarbeit zu verlieren. (Vgl. Burtt 25f.)
[These E] DM legt die Tiefengrammatik der Sprachen frei. Ihre Methode ist „to lay bare the most general features of our conceptual structure“ (I 9). Was ‚conceptual structure‘ genau bedeuten soll - und vielleicht noch grundlegender, was Strawsons Begriff von ‚Begriff‘ sei (siehe die Rekonstruktionsversuche bei Berriman 283ff. und die kritischen Fragen bei Haack 366f.) -, ist sicher eine ent- scheidende Frage, jedoch kann ihr im Rahmen dieser Abhandlung nicht eingehend nachgegangen werden. Man müsste auf jeden Fall die Debatte um Davidsons Kri- tik an der Idee eines ‚Begriffsschemas‘ miteinbeziehen und das Verhältnis von Sprache und Begriffsschema klären. (Vgl. Davidson 1973/74, Bontekoe 1992) Was aber wichtig ist und was gesagt werden kann, ist, dass die kategoriale Struk- tur, die unseren Erfahrungen und unserem Denken zugrundeliegt, selbst noch kei- ne Theorie darstellt, sondern vortheoretisch und pr ä reflexiv angewandt wird. (Vgl. McDougall 212) Erst die Reflexion, die die DM vollzieht, und in der erst die kategoriale Struktur als Gegenstand der Untersuchung auftritt bzw. konstituiert wird (!), ist ein theoretisches Unternehmen.
An dieser Stelle sei kurz etwas zur historischen Einordnung von Strawsons Unternehmung angemerkt. Zwar bringt die Ablehnung revisionärer Metaphysik Strawson in gewisse Nähe zur ‚Philosophie der normalen Sprache‘, aber zugleich tun sich einige Differenzen auf. Allein die positive Verwendung der Worte ‚Metaphysik‘ und ‚System‘ sowie der Verweis auf die Grenzen der Analyse des Sprachgebrauchs veranschaulichen dies (Vgl. Keil 2003, 710):
„For when we ask how we use this or that expression, our answers, however revealing at a certain level, are apt to assume, and not to expose, those general elements of structure which the metaphysician wants revealed. The structure he seeks does not readily display itself on the surface of language, but lies submerged.“ (I 10) Strawson selbst spricht eine mögliche Kritik am Begriff der DM an, die ihren Sta- tus als Metaphysik überhaupt infragestellt: „For it might be held that metaphysics was essentially an instrument of conceptual change, a means of furthering or re- gistering new directions or styles of thought.“ (I 10) [These F] Dass revisionäres Bestreben ein analytischer Bestandteil des Begriffes ‚Metaphysik‘ wäre, bestreitet Strawson jedoch vor dem Hintergrund seiner weiteren Behauptung, dass die grundlegenden Kategorien und Konzepte, die die DM offenlegen soll, geschicht- lich unveränderlich und sprachinvariant seien: „there is a massive central core of human thinking which has no history“ (I 10). Diese Annahme Strawsons - Haack nennt sie „conceptual invariance thesis“ (Haack 361) - wurde angesichts sprach- historischer und kulturvergleichender kognitionslinguistischer Forschungen viel- fach angegriffen, da sie mit einem globalen Anspruch auftritt und behauptet, dass dasselbe Begriffssystem allen menschlichen Sprachen zugrundeliegt (und es daher vielleicht auch kein alternatives Begriffssystem geben könnte, das man als ‚bes- ser‘ bezeichnen könnte). (Vgl. Burtt 32, 34ff., Berriman 281ff., Haack 366ff., die vor allem auf die Untersuchungen von Sapir und Whorf Bezug nehmen; neuere Untersuchungen zur sprachlichen Relativität finden sich bei Everett 2013) Strawson beharrt jedoch darauf, dass sich radikal andersgeartete Erfahrungsstruk- turen nur schwer denken lassen: „There are limits to what we can conceive of, or make intelligible to ourselves, as a possible general structure of experience.“ (BS 15) Löffler macht dagegen den Punkt stark, dass Strawsons These von der überge- schichtlichen Konstanz unseres Begriffssystems auf Retorsionsargumenten beru- he, die die DM (ähnlich wie bei Aristoteles den Satz vom zu vermeidenden Wider- spruch) als unhintergehbar ausweisen:
„Strawsons faktisches Vorgehen ist vielmehr insgesamt als transzendentaler Aufweis zu verstehen, dass bestimmte Eigenarten unseres Begriffssystems tatsächlich unaufgebbar sind, weil jeder Zweifel daran sie schon wieder voraussetzen muss.“ (Löffler 247)
Vom Gelingen dieser Retorsionsargumente wäre demnach der Erfolg von Strawsons Ansatz abhängig, da der (partielle) Zweifel, den die revisionären Meta- physiker gegenüber dem nach Strawson a priori als notwendig erkennbaren Kern unseres Begriffssystems hegen, gerade die Legitimität des lediglich faktischen Begriffsschemas infragestellt. (Vgl. Grundmann 29f.) Nur weil etwas der Fall ist, heißt das noch nicht, dass es mit Notwendigkeit so sein muss. Selbst wenn Strawson auch kontingente Elemente des Begriffssystems jenseits des Kerns an- nimmt, so stellt sich immer noch die Frage, wie kontigente von notwendigen be- grifflichen Beständen unterschieden werden können. Burtt behauptet, dass Strawson nirgendwo ein Kriterium dafür anbietet und dass sich ohne ein solches Kriterium die Unterscheidung von DM und RM auflöst. (Vgl. Burtt 31f.) Burtts Argument basiert aber auf der Annahme, dass man bei der Beschreibung eines sich wandelnden Begriffsystems nicht anders kann, als die Beschreibung so zu gestalten, dass sie selbst Einfluss auf den weiteren Verlauf des Wandels unseres Begriffssystems nimmt. (Vgl. Burrt 32) Widerstünde man dieser Versuchung aber, so könnte man zumindest eine ‚DM auf Zeit‘ gewinnen und so eventuell die Differenz zur RM erhalten. Eine weitere Einschränkung der DM könnte man vor- nehmen, wenn man ihren Geltungsbereich auf eine oder wenige Sprachen begren- zen würde. Man käme so zu einer ‚ lokalen DM auf Zeit‘. Whitehead wäre dies immer noch zu wenig, da er eher eine ‚RM auf Zeit‘ anstrebt, wenn auch nicht revisionär im absoluten Sinne.
[These G] Die Begriffe, um deren Zusammenhang und Struktur es der DM geht, sind nicht die Spezialbegriffe des hochentwickelten Denkens, sondern die Selbstverständlichkeiten des am wenigsten entwickelten Denkens. (Vgl. I 10) Die Behauptung, dass es einen solchen begrifflichen Kern unseres Denkens gibt, ist also nichts weniger als eine anthropologische These, wie es scheint.
[These H] Aufgrund der langen Geschichte der Metaphysik glaubt Strawson, dass es unwahrscheinlich ist, dass die DM neue Wahrheiten entdecken könnte. Das heißt aber nicht, dass DM ein abschließbares Unternehmen ist. Zwar ändert sich der Gegenstand der DM nicht, aber dafür das analytische Vokabular der Phi- losophen, mit dem dieser Gegenstand beschrieben wird: „Permanent relationships are described in an impermanent idiom“ (I 10f.). Whitehead teilt diese These nicht. Er würde dagegen wohl eher sagen: „ Im permanent relationships are descri- bed in an im permanent idiom.“ und damit die Prozessualität sowohl der subjekti- ven als auch der objektiven Bedingungen des Denkens hervorheben. Das herr- schende Substanzdenken sieht Whitehead als kontingentes Faktum der Geschich- te, als Folge der Subjekt-Prädikat-Struktur der Sprache, des Einflusses der aristotelischen Philosophie und der Dominanz der materialistischen Denkweise in den Naturwissenschaften. (Vgl. Haack 363, 366)
3. Whiteheads Konzept der spekulativen Philosophie als revisionärer und revidierbarer Metaphysik
Ziel dieses Teils der Arbeit ist es, u.a. folgende Einschätzung Eberhard Bubsers kritisch zu prüfen und in Teilen eventuell sogar zu widerlegen:
„Es ist also offenbar nicht möglich, anhand von Whiteheads formalen Bestimmungen ein klares Bild von der Aufgabenstellung und vom Charak- ter seiner spekulativen Philosophie zu gewinnen. Das einzige, was man mit einiger Bestimmtheit feststellen kann, ist, daß er einen Kompromiß an- strebt, der seinen Aussagen die gleiche unwiderlegliche Evidenz sichert, die von den klassischen rationalistischen Metaphysikern in Anspruch ge- nommen worden war, sie aber gleichzeitig - nach dem Vorbild der moder- nen Wissenschaft - korrigierbar und ergänzungsfähig bleiben läßt. Seine Versuche, dieses Bestreben formal zu artikulieren, darf man wohl mit leid- lich gutem Gewissen als fehlgeschlagen betrachten.“ (Bubser 282f.)
3.1 Die Definition der ‚spekulativen Philosophie‘
„ C ’ est provisoirement la derni è re grande philosophie anglo-am é ricaine, juste avant que les disciples de Wittgenstein n ’é tendent leurs brumes, leur suffisance et leur terreur. “
(Deleuze 103)
Whitehead - der letzte große anglo-amerikanische Philosophie, wie ihn Deleuze nennt - formuliert gleich zu Beginn seines Hauptwerks Process and Reality das Selbstverständnis der darin sich findenden Untersuchungen als solche einer ‚spe- kulativen Philosophie‘: „This course of lectures is designed as an essay in Specu- lative Philosophy.“ (PR 3) Daher fragt sich zunächst, bevor er an die Darstellung seiner organismischen Kosmologie geht, wie das Konzept einer ‚spekulativen Philosophie‘ zu bestimmen sei. Die zweite Aufgabe, die Whitehead sofort damit verbindet, ist die Verteidigung der spekulativen Philosophie als einer Methode zur Hervorbringung bedeutsamen Wissens. (Vgl. PR 3) Das impliziert zunächst einen nicht selbstverständlichen Anspruch der Philosophie darauf, selbst Wissen zu pro- duzieren und nicht nur als klärende kritische Metareflexion zu fungieren.
Zur Verwendung des Begriffes ‚Spekulation‘ bzw. ‚spekulative Philosophie‘ ist an dieser Stelle nur kurz anzumerken, dass Sabrina Ebbersmeyer gegen Ende ihres diesbezüglichen Artikels im Historischen W ö rterbuch der Philosophie da- rauf hinweist, dass ‚speculative philosophy‘ „[i]m anglo-amerikanischen Sprach- raum […] im allgemeinen Sinne die Tradition des europäischen Denkens [be- zeichnet], die sich mit metaphysischen Fragestellungen unter universellem Erklä- rungsanspruch beschäftigt.“ (Ebbersmeyer 1369) Wie sich im Folgenden zeigen wird, hat ‚Spekulation‘ in diesem Sinne nichts mit der im alltäglichen Gebrauch damit verbundenen Konnotation von abgehobenem, weltfremdem Denken zu tun. (Darüber hinaus die Nähe von Whiteheads Konzept einer spekulativen Philoso- phie zu dem Hegels zu untersuchen, wäre sicherlich kein uninteressantes Unter- fangen.)
Whitehead bietet eine komplexe Definition spekulativer Philosophie an, deren Bestandteile er dann sukzessive erläutert:
[Definition] „Speculative Philosophy is the endeavour to frame a coherent, logical, necessary system of general ideas in terms of which every element of our experience can be interpreted.“ (PR 3)
Diese Definition spekulativer Philosophie ist, Whitehead zufolge, durch zwei maßgebliche Dimensionen gekennzeichnet. Zum einen ist dies die ‚rationale Sei- te‘ des philosophischen Gedankenschemas, der er die Kriterien der Koh ä renz und Logizit ä t zuordnet, und zum anderen die ‚empirische Seite‘, die in den notwendi- gen Bedingungen der Anwendbarkeit und Ad ä quatheit der Theorie in Bezug auf unsere Erfahrungen zum Ausdruck kommt. (Vgl. PR 3) Die philosophische Spe- kulation nach Whiteheads Modell will sich nicht „der Kontrolle durch die Erfah- rung entziehen, sondern vereinigt im Gegenteil die Tugenden des Empirismus und des Rationalismus, um die menschliche Erkenntnis auf gangbarem Wege zu erweitern.“ (Hauskeller 23)
Whitehead lässt es nicht bei dieser Definition bewenden, sondern gibt genauere Bestimmungen der Elemente der Definition. Er beginnt in umgekehrter Reihen- folge zur Abfolge der Begriffe in der Definition und erläutert zuerst die Kompo- nenten der empirischen Seite des Schemas, d.h. ‚Interpretation‘, ‚Anwendbarkeit‘ und ‚Adäquatheit‘. Unter ‚Interpretation‘ ist zu verstehen, dass jede Erfahrung als Einzelfall des allgemeinen Gedankenschemas begreiflich sein soll. Eine Theorie ist dann ‚anwendbar‘, wenn es Erfahrungen gibt, die durch das philosophische System interpretiert werden können. ‚Adäquatheit‘ meint, „that there are no items incapable of such interpretation“ (PR 3). Strawson nennt übrigens ähnliche An- forderungen im Rahmen seiner Kant-Exegese. Er spricht dort vom ‚principle of significance‘, das besagt: „there can be no legitimate, or even meaningful, employment of ideas or concepts which does not relate them to empirical or expe- riential conditions of their application“ (BS 16). Zusammengenommen sollte die empirische Seite eines philosophischen Gedankenschemas also idealerweise die Interpretation aller unserer (möglichen) Erfahrungen gewährleisten (man könnte hier auch von ‚Vollständigkeit‘ sprechen). Das bedeutet, dass nicht nur Erfahrun- gen berücksichtigt werden, die wir im Bereich naturwissenschaftlicher Forschung gewinnen, sondern auch solche, die wir z.B. in der Kunst und der Religion ma- chen. (Vgl. Müller 2009, 39) Die Konstruktion eines empirisch angemessenen Gedankenschemas muss daher den Spagat zwischen universeller Gültigkeit und Erhaltung der Differenzen zwischen diesen spezifischen Arten von Erfahrung schaffen. (Vgl. Müller 2009, 42) Wie Hans Poser treffend bemerkt hat, können die beiden empirischen Kriterien zum Zeitpunkt der Theoriebildung „nur auf diejeni- gen Erfahrungen bezogen werden, die zu einem historischen Zeitpunkt verfügbar sind“ (Poser 117). Hier deutet sich schon ein Grund an, weshalb ein philosophi- sches Gedankenschema dem Wandel unterworfen ist. Denn die spekulative Philo- sophie nach Whiteheads Verständnis verhält sich der Veränderung ihrer empiri- schen Basis gegenüber adaptiv.
Die rationale Seite der spekulativen Philosophie wird daraufhin von Whitehead detaillierter beleuchtet. ‚Kohärenz‘ bedeutet nach Whitehead: „that the fundamen- tal ideas, in terms of which the scheme is developed, presuppose each other so that in isolation they are meaningless.“ (PR 3) Es handelt sich dabei um eine Ma- xime, die Zusammenhanglosigkeit der Prinzipien zu vermeiden. (Vgl. Hauskeller 23) Das soll aber nicht heißen, dass die philosophischen Grundbegriffe sich ge- genseitig definieren, auch wenn ein interner Zusammenhang dieser Begriffe ange- strebt wird. Epistemisch formuliert, könnte man sagen, dass kein Element in Gän- ze begriffen werden kann, wenn es von den anderen abstrahiert wird (ganz deut- lich ein holistischer Gedanke). Das Prädikat ‚logisch‘ meint Whitehead in der gebräuchlichen Weise zu verwenden. So schließe dies u.a. Konsistenz (Wider- spruchsfreiheit), Definitionen mittels logischer Termini und Schlussregeln ein. Philosophische Theorien kranken, so Whitehead, meist weniger an mangelnder Konsistenz als an fehlender Adäquatheit und Kohärenz. Daran liegt es, dass „a system of philosophy is never refuted; it is only abandoned“ (PR 5).
3.2 Revidierbare Metaphysik, Methoden der Verallgemeinerung und Fortschritt der Philosophie
„ Denn das ist ein Vorzug, auf welchen unter allen m ö glichen Wissenschaften Metaphysik allein mit Zuversicht rechnen kann, n ä mlich da ß sie zur Vollendung und in den beharrlichen Zustand gebracht werden kann, da sie sich weiter nicht ver ä ndern darf, auch keiner Vermehrung durch neue Entdeckungen f ä hig ist “
(Kant, 1783, 158 [AA IV, 366])
Auf die Darstellung des Ideals einer spekulativen Philosophie, die sämtliche not- wendigen (und zusammen hinreichenden) Bedingungen der angeführten Definiti- on in vollster Weise erfüllt, lässt Whitehead sogleich Ernüchterung folgen, indem er, entgegen Kants obiger Behauptung, die Vorläufigkeit metaphysischer Theorien feststellt: „Philosophers can never hope finally to formulate these metaphysical first principles.“ (PR 4) Als Gründe der Unerfüllbarkeit des spekulativen An- spruchs führt er Probleme der Einsicht (Endlichkeit des menschlichen Erkenntnis- vermögens) und Sprache (Verallgemeinerung, Metaphorizität) sowie Grenzen der Vorstellungskraft an. Zudem stellt jede Theorie und Methode eine Vereinfachung dar, die Einschränkungen mit sich bringen, die gegen den Nutzen (Erklärungskraft und Anwendbarkeit) abgewogen werden müssen. (Vgl. AI 221) Das schließt für Whitehead aber nicht grundsätzlich die Erkenntnis erster Prinzipien aus: „There is no first principle which is in itself unknowable, not to be captured by a flash of insight.“ (PR 4) Diese These wird an dieser Stelle leider nicht weiter begründet (schließlich könnte auch das Gegenteil der Fall sein). Aufgrund der angedeuteten Probleme zu einer abschließenden und damit ‚letzten Metaphysik‘ (einer Philoso- phia perennis) zu gelangen, sieht White-head die einzige fruchtbare Möglichkeit des Unternehmens in einem ständigen Annäherungsbestreben hin zu dem abstrakt definierten Ideal spekulativer Philosophie. Es gibt keinen „progress in any form other than that of an asymptotic approach to a scheme of principles“ (PR 4). Phi- losophie ist demnach: „an adventure in the clarification of thought, progressive and never final. But it is an adventure in which even partial success has im- portance.“ (PR 9) Hans Poser macht dabei auf einen wichtigen Punkt aufmerk- sam: „Die Schwierigkeit hierbei wird von ihm [Whitehead] gar nicht darin gese- hen, daß die Güte der Approximation nie feststellbar ist, weil das hierzu erforder- liche Ideal nie durch direkte Einsicht in die Prinzipien gewonnen werden kann.“ (Poser 118) Damit ist das Problem angesprochen, das oft Gegenstand der Kritik des kriterialen Verständnisses der Korrespondenztheorie der Wahrheit war: Damit etwas nach diesem Verständnis als ‚wahr‘ festgestellt werden kann, muss man über den Maßstab, mit dem man vergleicht, also die (an sich bestehenden) Tatsa- chen, schon verfügen, d.h. immer schon im Voraus wissen. Wäre dies so, wäre man in der Erkenntnis jederzeit bereits am Ziel. (Diese Kritik findet sich u.a. bei Kant, Brentano und Frege.)
Poser weist aber ferner darauf hin, dass das Ziel, zum dem hin die Revisions- bemühungen führen sollen, eines ist, „das im Rahmen der Whiteheadschen Kos- mologie an die Voraussetzung des Whiteheadschen Gottesbegriffs gebunden ist“. (Poser 116) Das könnte man so übersetzen, dass der Fortschritt der Metaphysik durch Gott (wie Whitehead ihn versteht) bedingt ist. Dieser These soll im Weite- ren nicht genauer auf den Grund gegangen werden, wie überhaupt die Einbezie- hung prozessphilosophischer Annahmen, die über Whiteheads methodologische Bemerkungen hinausgehen, im Rahmen dieser Untersuchung möglichst unterlassen wird (dies u.a. aufgrund der Hypothese, dass die Methode auch im Rahmen eines anders gearteten Systems zur Anwendung kommen könnte).
Die Hauptproblematik liegt, so Whitehead, auf Seiten der empirischen Dimen- sion der Philosophie, bei der Frage nach dem geeigneten Verfahren zur Analyse der Erfahrung. Denn die ‚Methode der Differenz‘, mit der nur das erfasst werden kann, was auch abwesen kann, ist für die Philosophie ungeeignet. „Die allge- meinsten Prinzipien können nicht durch Differenz erkannt werden, denn was im- mer da ist, bleibt unbemerkt.“ (Hauskeller 22) Strikter Empirismus und bloße In- duktion bringen ohne die Methode der ‚imaginativen Rationalisierung‘ („imagina- tive rationalization“) keinen wesentlichen Erkenntnisfortschritt:
„The true method of discovery is like the flight of an aeroplane. It starts from the ground of particular observation; it makes a flight in the thin air of imaginative generalization; and it again lands for renewed observation rendered acute by rational interpretation.“ (PR 5)
Der Erfolg der imaginativen Verallgemeinerungen ist also auch daran gebunden, dass sie auf Fälle von Erfahrung anwendbar sind, die jenseits des Bereichs liegen, von dem die Imagination ihren Ausgang nahm: „In some measure or other, pro- gress is always a transcendence of what is obvious.“ (PR 9) Es lassen sich drei mögliche Szenarien denken, die unterschiedliche Grade des Erfolgs der Verallge- meinerung darstellen: 1) Die aus dem Gedankenschema deduzierten Aussagen stimmen mit der Erfahrung überein; 2) Die Aussagen weichen etwas von der Er- fahrung ab, weshalb sowohl Begriffsschema als auch die Erfahrung überprüft und korrigiert werden sollten; 3) Die Aussagen stimmen mit der Erfahrung ganz und gar nicht überein, d.h. das Schema muss radikal umgearbeitet bzw. verworfen werden. (Vgl. PR 9; Vgl. Müller 2009, 44)
Wenn man überdies Whiteheads These voraussetzt, dass es unterschiedliche Epochen des Universums gibt und die Metaphysik zur Aufgabe hat, den jeweils gegenwärtigen Entwicklungszustand begrifflich abzubilden (Vgl. FR 76), dann scheint daraus schon zu folgen, dass es aufgrund der epochalen Differenzen keine letzte Metaphysik geben kann. (Man könnte hier in gewisser Hinsicht von einer epochalen DM sprechen, deren Gegenstand der Beschreibung jedoch die Welt ist und nicht lediglich unsere sprachlichen Äußerungen.) Diese Überlegungen sind aber nur vor dem Hintergrund der organismischen Kosmologie nachvollziehbar, mit der Verpflichtungen einhergehen, die man nicht benötigt, um zu demselben Ergebnis zu gelangen.
Die philosophischen Gedankenschemata, die sich in der Geschichte der Menschheit vorfinden, enthalten nach Whitehead eine Vielfalt allgemeiner Wahr- heiten. Der Fortschritt der Philosophie zeigt sich in der voranschreitenden Koor- dination dieser Wahrheiten (oder auch Teilwahrheiten) und der Zuweisung ihres jeweils berechtigten Anwendungsbereichs. (Vgl. PR 7) Das Ziel dieses Verfah- rens soll es sein, das Beste von allen Theorien zu verbinden: „There may be rival schemes, inconsistent among themselves; each with its own merits and its own failures. It will then be the purpose of re-search to conciliate the differences.“ (PR 8)
Zwar ist das Streben nach Verallgemeinerung redlich, aber deren Erfolg wird oftmals überschätzt: „the chief error in philosophy is overstatement“ (PR 7). Dies zeigt sich erstens darin, dass Philosophen oft den problematischen Grad an Abs- traktion ausblenden, mit dem sie zu Werke gehen, d.h. wenn sie irrtümlich mei- nen, mit den gewonnenen Verallgemeinerungen alles, wie es ist, begreifen zu können, dabei aber Aspekte der Sache unberücksichtigt bleiben, die durch das begriffliche Raster der Theorie fallen. Whitehead nennt dies bekanntermaßen „fallacy of misplaced concreteness“ (PR 7) - eine Verwechslung des Abstrakten mit dem Konkreten. Will das philosophische Gedankenschema Anspruch auf Universalität haben, so darf es wichtige Aspekte der Realität nicht ausschließen. (Vgl. Müller 2009, 45) Die zweite Form der Übertreibung besteht in der Einbil- dung eines vermeintlich evidenten Fundaments des Denkens, von dem aus sich mit Gewissheit alles Übrige deduzieren ließe - wie z.B. bei Descartes. Denker, die letzteres behaupteten, nahmen als Anfang, was erst Endpunkt der Untersuchung sein sollte. (Vgl. PR 8) Denn die Philosophen haben irrigerweise von der Mathe- matik die Methode der Deduktion übernommen und zum Standard gemacht. (Vgl. PR 10) Whitehead setzt dem ein anderes Gütekriterium entgegen: Der explanato- rische Erfolg einer Theorie ist demnach wichtiger als die Evidenz der ersten Prin- zipien. (Vgl. PR 8) Drittens sieht Whitehead einen weiteren Fehler darin, ange- sichts der Probleme des dogmatischen Fundamentalismus in das andere Extrem zu verfallen und jegliche Methode sowie jegliche Form von System aufzugeben. (Vgl. AI 223)
Interessant ist auch eine Bemerkung Whiteheads, die an das erinnert, was spä- ter Quine (und vorher in gewissem Sinne schon Duhem) unter dem Thema der empirischen Unterbestimmtheit von Theorien behandelt hat. (Vgl. Quine 39ff.) Whitehead formuliert eine ähnliche Unterbestimmtheit auf logisch- metaphysischem Gebiet, der zufolge jede Prämisse einer philosophischen Überle- gung im Falle eines auftretenden Widerspruchs infrage gestellt werden kann:
„The only logical conclusion to be drawn, when a contradiction issues from a train of reasoning, is that at least one of the premises involved in the inference is false. It is rashly assumed without further question that the peccant premise can at once be located. […] But in the absence of a well- defined categoreal scheme of entities, issuing in a satisfactory metaphysi- cal system, every premise in a philosophical argument is under suspicion.“ (PR 8)
Die Revision kann folglich an vielen Stellen angreifen. Die Analogie zur Wissen- schaftstheorie lässt sich noch weiter treiben, wenn man bedenkt, dass Whitehead selbst den Begriff der kritisierbaren und korrigierbaren ‚Arbeitshypothese‘ auf sein Verständnis von spekulativer Philosophie bezieht: „speculative philosophy embodies the method of the ‚working hypothesis‘.“ (AI 222) Hans Poser sieht dies schon implizit in Whiteheads Überwindung der Einseitigkeiten von Rationa- lismus und Empirismus angelegt:
„Gegenüber dem Empirismus führt sie [Whiteheads Kosmologie] das un- verzichtbare Primat des strukturierenden Gedankenschemas, gegenüber dem Rationalismus die Unabgeschlossenheit und Revidierbarkeit der je- weiligen Grundprinzipien ins Feld. Damit aber wird implizit die Voraus- setzung gemacht, daß es sinnvoll ist, den aus den Erfahrungswissenschaf- ten vertrauten Hypothesenbegriff in die Metaphysik zu übertragen und das Konzept einer revidierbaren Metaphysik zu entwerfen.“ (Poser 115)
Poser selbst scheint den Quellbereich des Revisionsdrucks zu eng zu verorten. Er reduziert Whiteheads Konzept auf eine allein „durch die Wissenschaften revidier- bare Metaphysik“ (Poser 115f.). Auch wenn die wissenschaftliche Erfahrung heutzutage als die maßgebliche erscheint, so ist Whiteheads Idee einer revidierba- ren Metaphysik doch prinzipiell offen für nichtwissenschaftliche Erfahrungser- eignisse, die einen Wandel des Denkens herbeizuführen vermögen. Kunst, Religi- on, Politik und andere Bereiche des menschlichen Lebens gehen darin ein (das erinnert geradezu an Badious Rede von ‚Bedingungen‘ der Philosophie, nur dass Whitehead ein deutlich weiteres Verständnis davon zu vertreten scheint).
Jedoch bemerkt Poser zu Recht, dass der Begriff einer ‚revidierbaren Metaphy- sik‘ als „eine contradictio in adiecto erscheinen“ mag. (Poser 116) Schließlich verbindet man mit ‚Metaphysik‘ doch gewöhnlich die Darstellung zeitloser Ge- wissheiten von höchster Allgemeinheit („necessary system of general ideas“ (PR 3), wie Whitehead in seiner konzisen Definition schreibt, könnte man auf den ers- ten Blick so lesen), die als grundloser Grund allen Wissens gelten sollen. Werden dem Relativismus nun also Tür und Tor geöffnet? Nein, denn ganz so beliebig ist die Genese eines metaphysischen Gedankenschemas nicht, da sie an Zwecke in- nerhalb ihres jeweiligen Entstehungskontextes gebunden ist: „dadurch, daß jedes Gedankenschema auf eine Problemsituation in einer historischen Situation ant- wortet.“ (Poser 124) Die Theorie entspringt einer Praxis und muss sich auch in dieser bewähren (daher kann Whiteheads Methodik mit Fug und Recht als prag- matisch bezeichnet werden): „Metaphysics is nothing but the description of the generalities which apply to all the details of practice.“ (PR 13) Um dies zu ermög- lichen, muss die metaphysische Theoriebildung flexibel sein. Es geht Whitehead nicht darum, unbezweifelbare Evidenzen festzuschreiben: „Metaphysical catego- ries are not dogmatic statements of the obvious; they are tentative formulations of the ultimate generalities.“ (PR 8) So kann man sich auch gut und gern Peter Si- mons in seiner abschließenden Würdigung der revisionären und sich als revidier- bar verstehenden Metaphysik Whiteheads anschließen: „Whitehead was unusual not only in recognizing the provisionality of speculative schemes, but also in doing more than any other revisionary metaphysician to lay down a machinery for keeping speculation from going off the rails.“ (Simons 391)
3.3 Spekulative Philosophie als revisionäre Metaphysik und ihr Nutzen
Whiteheads revisionärer Anspruch in der Metaphysik findet seinen Ausdruck in folgender Bestimmung der Tätigkeit der Philosophie: „Every science must device its own instruments. The tool required for philosophy is language. Thus philoso- phy redesigns language […].“ (PR 11) Philosophie entspringt der Aufmerksam- keit für die Probleme, die unter der Oberfläche der scheinbaren Klarheit der ge- meinen Sprache lauern (Vgl. AI 222). Sie muss die Sprache umgestalten und Be- griffe schöpfen, da die gewöhnliche Alltagssprache an der Darstellung der höchs- ten metaphysischen Allgemeinheiten scheitert. Diese sprachbildende Funktion - „finding linguistic expressions for meanings as yet unexpressed“ (AI 227) - kommt nicht nur der Philosophie, sondern auch der Literatur und den Einzelwis- senschaften zu. Ein grundsätzliches und wesentliches Hindernis stellt die semanti- sche Unbestimmtheit aufgrund der Kontextabhängigkeit der Sprache dar. (Vgl. PR 12) Daher ist, nach Whitehead, erst mit Erreichen des Ideals der spekulativen Philosophie mit einer daraus hervorgehenden genauen Sprache zu rechnen: „A precise language must await a completed metaphysical knowledge.“ (PR 12) An- hand dieser Äußerungen Whiteheads könnte man ihn als Vertreter der ‚Philoso- phie der idealen Sprache‘ einordnen. Denken ohne Sprache ist nicht möglich, die sprachliche Form selbst ist aber nicht mit dem ausgedrückten Gedanken gleichzu- setzen. Das ist Whiteheads These der „prinzipielle[n] Inkongruenz von Sprache und Gedanke“ (Hauskeller 28):
„It is merely credulous to accept verbal phrases as adequate statements of propositions. The distinction between verbal phrases and complete propo- sitions is one of the reasons why the logicians’ rigid alternative, ‚true or false,‘ is so largely irrelevant for the pursuit of knowledge.“ (PR 11)
Die Alternative wahr/falsch bietet auch zur Bewertung metaphysischer Theorien nicht die passenden Kategorien, da metaphysische Aussagen sich der Verifikation und Falsifikation entziehen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Whitehead einen der methodischen Hauptfehler in der Geschichte der Philosophie in dem unkritischen Vertrauen auf die Adäquatheit der Sprache und der damit verbunde- nen konservativen Haltung gegenüber begrifflichen Innovationen liegt. (Vgl. AI 228f.)
Gegen das von Whitehead vorgebrachte Verständnis spekulativer Philosophie sind in der Geschichte der Philosophie bereits einige Einwände gemacht worden. Der erste Einspruch bestand darin, der Spekulation vorzuwerfen, sie sei zu am- bitioniert und überspanne den Bogen, wenn sie versuche, die allgemeine Natur der Dinge zu begreifen. (Vgl. PR 14) Begründet wird diese Kritik durch eine Art pes- simistischer Metainduktion, die besagt, dass bisher schon viele metaphysische Systeme in der abendländischen Philosophie aufgestellt und wieder verworfen wurden. Dasselbe gilt aber auch für naturwissenschaftliche Theorien. Whitehead deutet diesen Sachverhalt hingegen positiv. Auch wenn sich der Absolutheitsan- spruch klassischer metaphysischer Gedankenkonstrukte nicht erfüllte, so stellen sie doch bedeutende Etappen im Fortschritt des menschlichen Strebens nach der Systematisierung der Erfahrung und Orientierung in der Welt dar: „The proper test is not that of finality, but of progress.“ (PR 14)
Der zweite Einspruch gegen spekulatives Philosophieren nahm seinen Aus- gang in der Frühen Neuzeit und richtete an dieses den Vorwurf der Nutzlosigkeit. Jegliches Denksystem mit Anspruch auf umfassende Allgemeinheit sei demzufol- ge abzulehnen, weil es über die Beschreibung konkreter Einzeltatsachen hinaus- gehe. (Vgl. PR 14) Whitehead reagiert darauf in einer Weise, die einer Kritik des Mythos des Gegebenen gleichkommt, wie man sie bei Sellars findet: „there are no brute, self-contained matters of fact, capable of being understood apart from inter- pretation as an element in a system“ (PR 14). Wir Menschen verfügen nicht über einen begrifflich unvermittelten Zugang zu reinen Sinnesdaten oder Tatsachen: „If we desire a record of uninterpreted experience, we must ask a stone to record its autobiography.“ (PR 15) Etwas wird als etwas (im reichen Sinne von Intentionali- tät) immer nur vor dem Hintergrund eines Interpretationsschemas offenbar. Dar- über hinaus sieht Whitehead in der Philosophie einen bedeutenden (kulturellen) Nutzen, der darin besteht, sowohl religiöse als auch wissenschaftliche Erfahrun- gen gemeinsam in einem einzigen Gedankenschema abzubilden. (PR 15)
„The useful function of philosophy is to promote the most general syste- matization of civilized thought. […] Philosophy is the welding of imagina- tion and common sense into a restraint upon specialists, and also into an enlargement of their imaginations. By providing the generic notions philo- sophy should make it easier to conceive the infinite variety of specific in- stances which rest unrealized in the womb of nature.“ (PR 17)
Später, im Epilog von Modes of Thought, fasst Whitehead seine Kritik an dem zusammen, was man mit Strawson deskriptive Metaphysik nennen könnte und was Whitehead als ‚Kritische Schule‘ betitelt. Die ‚Spekulative Schule‘ (revisionäre Metaphysik) bleibt ihr gegenüber nicht beim gegenwärtigen Stand sprachlicher Möglichkeiten zur Beschreibung der fundamentalen Struktur unserer Erfahrung stehen, sondern strebt beständig danach, diese zu erweitern, denn sie begreift den menschlichen Geist als prinzipiell entwicklungsfähig. Die relevante Passage sei hier ihrer Bedeutung und Eingängigkeit wegen zitiert:
„There is an insistent presupposition continually sterilizing philosophic thought. It is the belief, the very natural belief, that mankind has consci- ously entertained all the fundamental ideas which are applicable to its ex- perience. Further it is held that human language, in single words or in phrases, explicitly expresses these ideas. I will term this presupposition, ‚The Fallacy of the Perfect Dictionary‘. […] The fallacy of the perfect dic- tionary divides philosophers into two schools, namely, the ‚Critical School‘, which repudiates speculative philosophy, and the ‚Speculative School‘ which includes it. The critical school confines itself to verbal ana- lysis within the limits of the dictionary. The speculative school appeals to direct insight, and endeavours to indicate its meanings by further appeal to situations which promote such specific insights. It then enlarges the dictio- nary. The divergence between the schools is the quarrel between safety and adventure. The strength of the critical school lies in the fact that the doctrine of evolution never entered, in any radical sense, into ancient scho- larship. Thus there arises the presupposition of a fixed specification of the human mind; and the blue print of this specification is the dictionary.“ (MT 173)
Der eingangs skizzierte Gegensatz von Strawson und Whitehead wird hier deut- lich durch die Positionen ‚savety‘ vs. ‚adventure‘ markiert. Dass Whitehead letz- teres favorisiert, wird nicht zuletzt angesichts des Titels seines Spätwerkes Adven- tures of Ideas offenkundig. Das Abenteuer des Denkens auf sich zu nehmen be- deutet für ihn nichts weniger, als danach zu streben, der Kreativität des Lebens gerecht zu werden - und zwar in Form eines prozessualen Denken von Prozessen.
4. Resümee
In den vorangegangenen Untersuchungen zu Strawsons und Whiteheads Äußerungen in Bezug auf viable und problematische Methoden der Konstruktion metaphysischer Theorien sind einige Stärken und Schwächen hervorgetreten, die man abwägen sollte, wenn man sich selbst zu den Fragen positionieren möchte, wie man denn selbst Metaphysik betreiben will und ob die eigene Art zu philosophieren einen allgemeineren Anspruch haben kann.
Strawsons deskriptiver Ansatz kann zunächst dazu dienlich sein, sich des begrifflichen Grundgerüsts, über das man momentan verfügt, bewusst zu werden und dies klar zu explizieren. Um die so erkannte Grundstruktur verallgemeinern zu können, müssten jedoch Menschen anderer Sprachen und Kulturen mit einbezogen und Vergleiche - soweit möglich - angestellt werden.
Whitehead gibt uns Kriterien an die Hand, anhand derer wir uns dann bei der Korrektur, Erweiterung und Transformation unserer Begriffssysteme zur Integra- tion möglichst umfangreicher Erfahrungsbestände orientieren können. Die Revisi- on muss dabei nicht einmalig bleiben, sondern kann - wie Whitehead es sieht - jederzeit, unter Voraussetzung einer für Revisionen offenen Haltung, erfolgen. Der Wandel der Begriffe hat evidenterweise auch Auswirkungen auf die Praxis. Es muss entsprechend Rückkopplungen zwischen Praxis und Theorie geben, die idealerweise zu gegenseitiger Befruchtung führen, welche Fortschritt im Denken und Handeln nach sich zieht.
Offen bleibt die Frage, ob man die begriffliche Struktur wirklich vollständig transparent machen kann, d.h., ob es so etwas wie unreflektierbare Teile des Be- griffssystems oder unbewusste Verschiebungen innerhalb dessen gibt. Unklar ist auch, wie die Begriffe der philosophischen Spekulation Eingang in die Wissen- schaften und andere Bereiche der Kultur finden können. Interdisziplinäre oder transdisziplinäre Forschungsprojekte und die Popularisierung philosophischer Inhalte sind derzeit vorhandene Kanäle, die sicher noch nicht ihr volles Potential ausgereizt haben. Allzu rasante Entwicklungen darf man sich dabei nicht erhoffen, wenngleich uns die Geschichte zeigt, dass überraschende Brüche und Sprünge möglich sind. Metaphysik bleibt „ein uferloses Meer“ (Kant 1804, 589).
Literaturverzeichnis
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- Citation du texte
- Martin Scheidegger (Auteur), 2016, Strawsons Unterscheidung von deskriptiver und revisionärer Metaphysik und Whiteheads Konzept einer revidierbaren spekulativen Philosophie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319837
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