Die musikalische und inhaltliche Analyse der 5. Szene des 1. Aufzugs (Liebestrankszene) in Richard Wagners (1813-1883) Musikdrama „Tristan und Isolde„
1. Einleitung
Im Jahre 1857 unterbricht Wagner die Komposition des “Siegfried“, um sich ganz dem “Tristan“ zuzuwenden. Während des Züricher Asyls (1849-58) wird die Komposition vollendet, jedoch erst 1865 in München uraufgeführt. Wagner schreibt 1858 an Mathilde Wesendonck: „Dieser Tristan wird was Furchtbares! Dieser letzte Akt! Ich fürchte, die Oper wird verboten – falls durch schlechte Aufführungen nicht das Ganze parodiert wird –:nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen,–ich kann’s mir nicht anders denken...“(1)
“Tristan und Isolde“ wird als das persönlichste und leidenschaftlichste Musikdrama Richard Wagners angesehen. In ihm haben sich alle theoretischen Forderungen, die Wagner in seinen Schriften für sein eigenes Schaffen aufgestellt hat, erfüllt und sie sogar „überflügelt“.(2) In musikalischer Hinsicht bedeutet der “Tristan“ ein Höhepunkt romantischer Musik. Die Chromatik und die Auflösung des Dur-Moll-Systems sind hierfür ausschlaggebend.
Die musikalische Analyse dieses Werkes kann unter zahlreichen Gesichtspunkten erfolgen. Der Schwerpunkt dieser Analyse auf dem Aspekt der inneren Handlung “Tristan und Isoldes“ liegen. Die Anregung hierfür zeigt sich an folgendem Zitat:
Inhalt und Hauptthematik “Tristan und Isoldes“ ist die Liebe, die auf dem Schiff, mit dem der Brautwerber die Braut seinem Herrn zuträgt, ausbricht. Alles weitere, die äußere Handlung, ist statisch, denn das eigentliche “Handeln“ ist nach innen genommen. Somit ist auch die Gattungsbezeichnung “Eine Handlung in 3 Aufzügen“, wie sie Wagner dem Erstdruck der Partitur und des Klavierauszugs hinzusetzte, zu erklären.
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(1) Zit. nach: Friedrich Oberkogler, Richard Wagner - vom Ring zum Gral, 1985, S. 386 aus: Richard Wagner: Richard Wagner an Mathilde Wesendonck, Tagebuchblätter und Briefe, 1853-1871, Leipzig, 1922
(2) “An dieses Werk nun erlaube ich die strengsten,[...]" Zit. nach: : Friedrich Oberkogler, Richard Wagner - vom Ring zum Gral, 1985, S. 387
[...]
Inhalt
1. Einleitung
2. Entstehungsgeschichte und äußere Handlung des Musikdramas
3. Der Liebestrank als willenlos machendes Zaubermittel?
4. Innere Handlung und „Tönendes Schweigen„
4.1. Funktion der Leitmotive
4.2. Chromatische Harmonik und unendliche Melodie
5. Zusammenfassung
1. Einleitung
Im Jahre 1857 unterbricht Wagner die Komposition des “Siegfried“, um sich ganz dem “Tristan“ zuzuwenden. Während des Züricher Asyls (1849-58) wird die Komposition vollendet, jedoch erst 1865 in München uraufgeführt. Wagner schreibt 1858 an Mathilde Wesendonck: „Dieser Tristan wird was Furchtbares! Dieser letzte Akt! Ich fürchte, die Oper wird verboten – falls durch schlechte Aufführungen nicht das Ganze parodiert wird–:nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen,–ich kann’s mir nicht anders denken...“[1]
“Tristan und Isolde“ wird als das persönlichste und leidenschaftlichste Musikdrama Richard Wagners angesehen. In ihm haben sich alle theoretischen Forderungen, die Wagner in seinen Schriften für sein eigenes Schaffen aufgestellt hat, erfüllt und sie sogar „überflügelt“.[2] In musikalischer Hinsicht bedeutet der “Tristan“ ein Höhepunkt romantischer Musik. Die Chromatik und die Auflösung des Dur-Moll-Systems sind hierfür ausschlaggebend.
Die musikalische Analyse dieses Werkes kann unter zahlreichen Gesichtspunkten erfolgen. Der Schwerpunkt dieser Analyse auf dem Aspekt der inneren Handlung “Tristan und Isoldes“ liegen. Die Anregung hierfür zeigt sich an folgendem Zitat:
Inhalt und Hauptthematik “Tristan und Isoldes“ ist die Liebe, die auf dem Schiff, mit dem der Brautwerber die Braut seinem Herrn zuträgt, ausbricht. Alles weitere, die äußere Handlung, ist statisch, denn das eigentliche “Handeln“ ist nach innen genommen. Somit ist auch die Gattungsbezeichnung “Eine Handlung in 3 Aufzügen“, wie sie Wagner dem Erstdruck der Partitur und des Klavierauszugs hinzusetzte, zu erklären. Wagners Absicht war, „dass man stutzt und sich den ursprünglichen Sinn des als Gattungsbezeichnung verschlissenen Wortes “Drama“ bewusst macht und dass in „Tristan das innere Drama, auf das es ankommt, aus der Verkrustung durch das äußere, durch das Gedränge der Ereignisse befreit sei“[3]. Nicht zu Unrecht wird “Tristan und Isolde“ oft als das an äußeren Ereignissen ärmste Werk Wagners angesehen.
Hauptaufgabe der Arbeit wird sein, die Leitmotivtechnik Wagners und die Struktur der 5. Szene mit der inneren Handlung in Zusammenhang zu bringen.
2. Entstehungsgeschichte und äußere Handlung des Musikdramas
Die Entstehungsgeschichte “Tristan und Isoldes“ und die äußere Handlung sowohl des gesamten Musikdramas als auch vor allem der 5. Szene sind für das Verständnis der Zusammenhänge von großer Bedeutung. Aus diesem Grunde werden diese im Folgenden kurz dargestellt.
Als literarische Vorlage diente das mittelhochdeutsche Epos des Gottfried von Strassburg (entstanden um 1200). Anstoß und Anlass waren zwei Faktoren: die Begegnung Wagners zum einen mit Arthur Schopenhauer und zum anderen mit Mathilde Wesendonck.
Folgendes Zitat Wagners belegt die erste Aussage:„ Es war wohl zum Teil die ernste Stimmung, in welche mich Schopenhauer versetzt hatte und die ich nun nach einem ekstatischen Ausdrucke ihrer Grundzüge drängte, was mir die Konzeption eines Tristan und Isolde eingab.(...)“[4]
Ungleich wichtiger jedoch drängte die Liebe Wagners zu Mathilde Wesendonck, die er 1852 im „Züricher Exil„ kennen lernte , ihn auf Umsetzung im Kunstwerk. Dies bezeugt folgendes Zitat Wagners in einem Brief an einen Freund: „Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen soll: ich habe im Kopf einen Tristan und Isolde entworfen, die einfachste aber vollblutigste musikalische Konzeption“.[5]
Dieser Umstand ist von großer Bedeutung, da die Liebe in “Tristan und Isolde“, wie schon angedeutet, ein Gegenstand der „inneren Handlung„ und somit dieser Arbeit ist.
Zwei Helden, Tristan und Isolde, sind die Träger der äußeren Handlung. Ihnen zugeordnet werden Kurwenal und Brangäne, die jeweiligen Vertrauten Tristan und Isoldes. Entfernt von ihnen steht König Marke von Cornwall, Onkel Tristans und zukünftiger Gemahl Isoldes.
Schauplatz des 1. Aufzugs ist ein Schiff, das Isolde von Irland nach Cornwall zu König Marke bringen soll. Die Vorgeschichte ist folgende: Tristan wird in den Freiheitskampf gegen Irland geschickt. Dort erschlägt er Morold, Isoldes Verlobten, wird zuvor aber von ihm mit einem Schwert verletzt. Die Wunde will nicht verheilen und so reist Tristan unter dem falschem Namen Tantris nach Irland, um von Isolde geheilt zu werden, da sie die einzige ist, die das vermag. Aber eine Schwarte seines Schwertes verrät ihn. Als Braut des erschlagenen Morold schickt sich Isolde zur Rache an, lässt aber die Waffe fallen, als sie Tristans Blick trifft. Wieder in Cornwall angekommen bietet er Marke an, ihm “der Erde schönste Königsbraut“ zu bringen. Als Brautwerber fährt er wiederum nach Irland und Isolde folgt ihm.
Hier setzt die Bühnenhandlung auf dem Schiff, das Isolde nach Cornwall bringen soll, ein. Isolde bittet und befiehlt Tristan später in ihr Zeltgemach zu kommen. Aber die erzwungene Aussprache führt zu keinem Bekenntnis. Dem bitteren Hohn Isoldes begegnet Tristan mit verstocktem Schweigen. Das Schwert, das er ihr in furchtbarem Trotz anbietet, um mit ihm die begehrte Sühne zu vollziehen, weist sie spottend zurück. Gemeinsam trinken sie den Sühne- und Todestrank, der sich als Liebestrank erweist, da Brangäne diesen Trank heimlich mit dem Todestrank vertauscht hat. (Auf die Bedeutung dieses Trank wird später eingegangen werden.) Die beiden entbrennen in Liebe zueinander und ihr Schicksal nimmt seinen Lauf.
Inhalt des 2. Aufzugs ist die sogenannte “Liebesnacht“ im Baumgarten vor Isoldes Gemach. Die Nacht wird zum Symbol der Liebe und Wonne nach den Qualen des Tages, welcher als Quelle aller Leiden für die Liebenden angeklagt wird. Der gemeinsame Tod erwacht als Wunsch; allein er vermag jetzt ihnen die höchste Erfüllung und Verewigung ihrer Liebe zu gewähren. Während dieses Geschehens werden Tristan und Isolde von Marke, Melot und einigen Hofleuten entdeckt. Anklagend verlangt Marke, den Grund für den ihm widerfahrenen Betrug zu erfahren. Doch Tristan verschließt sein Geheimnis vor dem königlichen Freunde, fordert den verräterischen Freund Melot zum Zweikampf auf und stürzt sich in dessen Schwert.
Schauplatz des 3. Aufzugs ist Kareol, Tristans Väterburg. Dorthin wurde der sterbende Tristan von Kurwenal gebracht. Im Fieber glaubt er Isolde als seine Erlöserin in überirdischer Schönheit zu sehen. Seine Vision wird zur Wirklichkeit: Isoldes Schiff legt an, Tristan reißt sich den Verband von den Wunden und sinkt ihr sterbend zu Füßen. Als Marke und Melot, die ihr gefolgt sind, eintreten, geleitet Isolde den Erlösten ins Reich der ewigen Nacht.
3. Der Liebestrank als willenlos machendes Zaubermittel?
Zum näheren Verständnis der 5. Szene des 1. Aufzugs ist die Bedeutung des Liebestranks hervorzuheben, da er hier eine wichtige Rolle spielt.
In der alten Überlieferung von Gottfried von Strassburg hat der Liebestrank die Funktion, die Liebenden zu entschulden, also willenlos zufolge von Drogengenuss und schuldunfähig zu machen. Wagner jedoch verleiht ihm eine noch tiefere Wirkung.
Dieser Liebestrank war einst in Irland von Isoldes Mutter gebraut worden und sollte diejenigen, die davon trinken, unlösbar aneinander binden. Nun ist er aber keineswegs so geartet, dass jene einander verfallen wären, ohne dass ihr eigener Wille hier noch etwas zu bewirken vermöchte. Gewichtige Gründe sprechen gegen solche Annahmen jener externen Zauberkraft. Die Liebe zwischen Tristan und Isolde wurde schon lange vor diesem Zeitpunkt geboren, als nämlich der todwunde Tantris sich in Irland von Isolde pflegen ließ.[6] Zwei Stellen mögen dies beweisen:
Erster Aufzug, 2. Szene : Isolde erblickt den ins Meer starrenden Tristan und bemerkt:
Mir erkoren,
mir verloren,
hehr und heil,
kühn und feig!
Todgeweihtes Haupt!
Todgeweihtes Herz!
Zweiter Aufzug:
O Heil dem Tranke!
Heil seinem Saft!
Heil seines Zaubers hehrer Kraft!
Durch des Todes Tor,
wo er mir floß,
weit und offen
er mir entschloß,
darin ich sonst nur träumend gewacht,
das Wunderreich der Nacht.
Von dem Bild in des Herzens
Bergendem Schrein
Scheucht er des Tages
Täuschenden Schein,
dass nachsichtig mein Auge
wahr es zu sehen tauge.
Da sie nicht gemeinsam leben können, wollen sie gemeinsam sterben. Tristan und Isolde trinken, als Strafe für den, der Isolde den Verlobten Morold erschlug, „Sühne„ mit dem vermeintlichen Todestrank. Dies ist aber nur der von Isolde vordergründig rationalisierte Grund. Brangäne aber vertauscht den Todestrank mit dem Liebestrank und führt sie hiermit ihrer Bestimmung zu. Und entschuldet sie damit. Denn beider Wille war der zum Tode, den sie endlich im 3. Aufzug finden und somit in die ihnen zugehörige Welt überführt werden.
Darum macht der Liebestrank sichtbar, was ohnehin vorhanden war. Er erzeugt nicht den tragischen Konflikt, sondern zwingt ihn lediglich zur Erscheinung. Die Verstrickung von Liebe und Ehre jedoch kann nicht erlöst, sondern höchstens vergessen werden. Siehe hierzu Tristans Sühnelied (1. Aufzug, 5. Szene):
Tristans Ehre-
höchste Treu´:
Tristans Elend-
kühnster Trotz.
Trug des Herzens;
Traum der Ahnung:
Ew´ger Trauer
Einz´ger Trost,
Vergessens güt´ger Trank!
Dich trink ich sonder Wank.
[...]
[1] Zit. nach: Friedrich Oberkogler, Richard Wagner - vom Ring zum Gral, 1985, S. 386 aus: Richard Wagner: Richard Wagner an Mathilde Wesendonck, Tagebuchblätter und Briefe, 1853-1871, Leipzig, 1922
[2] “An dieses Werk nun erlaube ich die strengsten, aus meinen theoretischen Behauptungen fließenden Anforderungen zu stellen: nicht weil ich es nach meinem Systeme geformt hätte, denn alle Theorie war vollständig von mir vergessen; sondern weil ich hier endlich mit der vollsten Freiheit und mit der gänzlichsten Rücksichtslosigkeit gegen jedes theoretische Bedenken in einer Weise mich bewegte, dass ich während der Ausführung selbst inne ward, wie ich mein System weit überflügelte.“ Zit. nach: : Friedrich Oberkogler, Richard Wagner - vom Ring zum Gral, 1985, S. 387
[3] Carl Dahlhaus , Richard Wagners Musikdramen, 1971, S. 55
[4] aus: Richard Wagner, Mein Leben, 1854, Paul List Verlag, 1963
[5] An Franz Liszt, Zürich, 16. Dezember 1854
[6] In dieser Deutung herrscht letztlich auch Einigkeit, abgesehen bei Max Chop, Erläuterungen zu Meisterwerken der Tonkunst. 4. Bd. „Richard Wagners Tristan und Isolde. Siehe S. 52. Er sieht hier den Liebestrank als Zaubertrank und als das einzige Mittel an, das die Liebe zwischen Tristan und Isolde hervortreten und evident machen lässt.
- Quote paper
- Katrin Höppner (Author), 2002, Inhaltliche und musikalische Analyse der Liebestrankszene im Musikdrama "Tristan und Isolde" von Richard Wagner, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31915
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