Miltiades, der Sieger von Marathon, ist sicherlich eine der umstrittensten Personen in Herodots Darstellung der Perserkriege. Er, der die Griechen erfolgreich in die Schlacht gegen die Perser in die Ebene von Marathon führte, ist wie kaum eine andere für die griechische Antike wichtige Person in Herodots Werk unscharf: Sein Lebenslauf ist lückenhaft, verschiedenste Episoden in seinem Leben sind umstritten und sein Verhältnis zur Polis Athen nährte die Diskussion über den Zustand der Demokratie im nach-kleisthenischen Athen. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Verehrung des griechischen Feldherren (sowohl damals, als auch in den Jahrtausenden danach) zu einer gewissen Verklärung und „ideologischen Überhöhung“ führte, die „es heute nicht ganz einfach [macht], die Geschichte des ‚Siegers von Marathon’ nachzuzeichnen“.
Schon ein Blick in Obsts Miltiades-Darstellung in Paulys Real-Encyclopädie von 1932 vermittelt die Tatsache, dass die fast ausschließlich auf Herodot begrenzte Quellenlage (die aufgrund der anti-philaidischen Tendenzen des Autors zusätzlich in Frage gestellt werden muss) eine Menge Raum für Interpretationsvarianten unterschiedlichster Richtungen lässt, die von verschiedenen Autoren aufgegriffen wurden. Auf der einen Seite sieht beispielsweise Berve die Rückständigkeit der attischen Demokratie durch die Möglichkeiten der Einflussnahme Miltiades’ auf die politischen Entscheidungen in Athen belegt. Bengtson, auf der anderen Seite, behauptet jedoch, dass jegliche Machtpolitik der „Einzelpersönlichkeiten“ nur auf der Basis der demokratischen Gemeinschaft möglich war. Neben dieser Kontextualisierungsdebatte, die versucht durch Miltiades Rückschlüsse auf die damalige Staatsform zu ziehen, gibt es jedoch auch einige Stimmen, die die Authenzität der historischen Darstellungen (insbesondere im Bezug auf Miltiades) bei Herodot insgesamt anzweifeln, wie beispielsweise Kinzl.
Ziel dieser Hausarbeit soll es sein, die kontroversen Kapitel im Leben Miltiades aufzugreifen und die verschiedenen Positionen der Diskussion über diese in Form eines Überblicks darzustellen. Es ist hierbei jedoch selbstverständlich unmöglich den Anspruch auf eine umfassende Darstellung zu erheben – es kann nur eine Auswahl der verschiedenen Werke zu diesem Thema behandelt werden, welche wiederum nicht bis in das letzte Detail hier ausgewertet werden können.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Ereignisse bis zum Skythenzug (514/513 v. Chr) nach Herodot
3. Miltiades, der Skythenzug und der Rat an der Donaubrücke
4. Miltiades und der Skythenvorstoß
5. Die Erwerbung von Lemnos für Athen
6. Miltiades und der Ionische Aufstand 494-499 v. Chr
7. Die Rückkehr nach Athen und der erste Prozess 493 v. Chr
8. Miltiades, Marathon und die Folgen
9. Die Paros-Expedition
10. Das Verhältnis zwischen Miltiades und Athen
11. Resümee
12. Anhang I: Schema der Argumentationsketten
13. Anhang II: Stemma
14. Quellenverzeichnis
15. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Miltiades, der Sieger von Marathon, ist sicherlich eine der umstrittensten Personen in Herodots Darstellung der Perserkriege. Er, der die Griechen erfolgreich in die Schlacht gegen die Perser in die Ebene von Marathon führte, ist wie kaum eine andere für die griechische Antike wichtige Person in Herodots Werk unscharf: Sein Lebenslauf ist lückenhaft, verschiedenste Episoden in seinem Leben sind umstritten und sein Verhältnis zur Polis Athen nährte die Diskussion über den Zustand der Demokratie im nachkleisthenischen Athen. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Verehrung des griechischen Feldherren (sowohl damals, als auch in den Jahrtausenden danach) zu einer gewissen Verklärung und „ideologischen Überhöhung“ führte, die „es heute nicht ganz einfach [macht], die Geschichte des ‚Siegers von Marathon’ nachzuzeichnen“.[1]
Schon ein Blick in Obsts Miltiades-Darstellung in Paulys Real-Encyclopädie von 1932 vermittelt die Tatsache, dass die fast ausschließlich auf Herodot begrenzte Quellenlage (die aufgrund der anti-philaidischen Tendenzen des Autors zusätzlich in Frage gestellt werden muss) eine Menge Raum für Interpretationsvarianten unterschiedlichster Richtungen lässt, die von verschiedenen Autoren aufgegriffen wurden.[2] Auf der einen Seite sieht beispielsweise Berve die Rückständigkeit der attischen Demokratie durch die Möglichkeiten der Einflussnahme Miltiades’ auf die politischen Entscheidungen in Athen belegt.[3] Bengtson, auf der anderen Seite, behauptet jedoch, dass jegliche Machtpolitik der „Einzelpersönlichkeiten“ nur auf der Basis der demokratischen Gemeinschaft möglich war.[4] Neben dieser Kontextualisierungsdebatte, die versucht durch Miltiades Rückschlüsse auf die damalige Staatsform zu ziehen, gibt es jedoch auch einige Stimmen, die die Authenzität der historischen Darstellungen (insbesondere im Bezug auf Miltiades) bei Herodot insgesamt anzweifeln, wie beispielsweise Kinzl.[5]
Ziel dieser Hausarbeit soll es sein, die kontroversen Kapitel im Leben Miltiades aufzugreifen und die verschiedenen Positionen der Diskussion über diese in Form eines Überblicks darzustellen. Es ist hierbei jedoch selbstverständlich unmöglich den Anspruch auf eine umfassende Darstellung zu erheben – es kann nur eine Auswahl der verschiedenen Werke zu diesem Thema behandelt werden, welche wiederum nicht bis in das letzte Detail hier ausgewertet werden können.
2. Ereignisse bis zum Skythenzug (514/513 v. Chr) nach Herodot
Der Philaide Miltiades der Jüngere (Miltiades II, in dieser Arbeit nur als Miltiades bezeichnet) ist nach Obst und Kinzl Sohn des Kimon I und einer unbekannten Mutter. Sein Bruder, Stesagoras II, wächst von ihm getrennt beim Onkel (Miltiades der Ältere, Miltiades I) auf der von diesem beherrschten Halbinsel Chersones auf, während Miltiades selbst in Athen von seinem Vater groß gezogen wird. Hier schließt er vermutlich seine erste Ehe mit einer Unbekannten und hat mit dieser zwei Kinder: Metiochos und Elpinika (siehe auch: Anhang II: Stemma).[6]
Nach dem Tod seines Onkels übernimmt zuerst Miltiades’ Bruder Stesagoras die Herrschaft über die an der Einfahrt des Hellespont gelegenen Halbinsel. Da dieser jedoch bald ermordet wird, zieht Miltiades im Zeitraum 524/523 – 514/513 v. Chr. selbst dorthin.[7] Nach seiner Ankunft stellt sich der neue Herrscher um seinen Bruder trauernd. Die dortigen Häupter der Städte versammeln sich bei ihm um ihr Beleid auszusprechen, werden jedoch allesamt festgenommen. Neben diesem Ereignis deutet auch die Schaffung einer 500 Mann starken Leibwache für Miltiades darauf hin, dass der neue Herrscher der Chersones sofort begann, eine Tyrannis aufzubauen. Um seine Macht weiter auszubauen, heiratet Miltiades Hegesipyle, die Tochter eines Königs eines Sapaierstamms dieser Region, und zeugt mit ihr ein Kind: Kimon.[8]
3. Miltiades, der Skythenzug und der Rat an der Donaubrücke
Als 513/514 v. Chr. der persische Großkönig Dareios zum Skythenzug aufbrach und die persischen Vasallenherrscher in Ionien, Äolien und am Hellespont zur Heeresfolge aufrief, so scheint es nach Herodot so gewesen zu sein, dass Miltiades als Herrscher über die Chersones ebenfalls den Persern in den Krieg folgte, was darauf zurückschließen ließe, dass Miltiades bereits zu diesem Zeitpunkt ein persischer Vasall war. Als die Perser die Donau überquerten, blieben die griechischen Tyrannen an der Schiffsbrücke zurück um diese zu bewachen. Nachdem die Skythen die nach Norden marschierenden Perser verfehlten und die Brücke erreichten, forderten sie die dortigen Griechen dazu auf, die Brücke abzureißen, um die Perser auf der Nordseite der Donau zu stranden und sich selbst von der persischen Übermacht zu befreien.[9]
Hier kam es nun zum sogenannten Rat an der Donaubrücke. Nach Herodot riet Miltiades den Griechen nämlich, der skythischen Forderung nachzukommen und den Verrat an den Persern zu begehen. Mit seinem Vorschlag hatte er jedoch keinen Erfolg, so Herodot, weil die übrigen dort versammelten griechischen Herrscher realisierten, dass ihre eigene Tyrannis in den griechischen Überseegebieten nur durch die Rückendeckung der Perser bestehen konnte.[10] Um jedoch die Skythen zum Abzug zu bewegen, taten die Griechen so, als würden sie die Brücke abreißen. Nach dem Verschwinden der Skythen wurde diese allerdings wieder instand gesetzt.[11]
Nach Kinzl und Bengtson beinhaltet diese Episode einige inhaltliche Widersprüche, die den Rat an der Donaubrücke als recht unwahrscheinlich erscheinen lassen. Schließlich hätten in Folge einer solchen Abstimmung alle Tyrannen um ihr Leben fürchten müssen – war doch die Gefahr groß, dass Dareios letztendlich davon erfahren würde, dass die Mehrheit der Griechen zuerst Miltiades unterstützte und damit unloyal handelte.[12] Von einer Massenflucht der griechischen Tyrannen vor den Persern wird jedoch nichts berichtet. Weiterhin ist auch die Annahme, das persische Heer wäre durch den Abriss der Brücke tatsächlich in arger Bedrängnis, eher unwahrscheinlich – zumal Dareios mit Sicherheit auf irgendeine Art und Weise wieder persischen Boden unter die Füße bekommen hätte. Eine Selbstbefreiung der Griechen war somit von vorne herein ausgeschlossen und dies musste den Tyrannen bewusst sein. Somit scheint es sehr unwahrscheinlich, dass dieser Rat des Miltiades tatsächlich statt gefunden hat.[13] Obst erklärte die Existenz dieses Mythos durch die Behauptung, die Episode an der Donaubrücke sei erst im Nachhinein erfunden worden, um Miltiades bei einem späteren Prozess vor Gericht als patriotischen Griechen darzustellen.[14]
Weitere Probleme bereitet die in diese Erzählung eingeschobene Liste der griechischen Herrscher, die beim König aufgrund ihrer geleisteten Heeresfolge in Ansehen standen und an der Abstimmung für, bzw. gegen Miltiades’ Vorschlag teilnahmen. Problematisch ist diese Liste, da sie Miltiades’ Namen nicht direkt unter den Herrschern am Hellespont aufführt, sondern ihn nur nach der Nennung von Histiäus von Milet im Zusatz „er, der mit seiner Meinung der des Miltiades entgegentrat“ nennt.[15] Die Doppeldeutigkeit dieser Namensnennung lässt natürlich Raum für Spekulationen – dass Miltiades’ Namen nicht direkt sondern nur indirekt aufgelistet wird, steht logischerweise im Widerspruch zu seiner Teilnahme am Skythenzug und seiner Anwesenheit an der Brücke. Obst geht deshalb einen Schritt weiter als Kinzl und behauptet: „Wir müssen uns also mit der Tatsache abfinden: Miltiades hat am Skythenzug des Dareios nicht teilgenommen.“[16]
Wenn Miltiades tatsächlich nicht am Skythenzug teilnahm, dann ist logischerweise die Vermutung berechtigt, dass der Herrscher der Chersones zu diesem Zeitpunkt kein Vasall der Perser war. Egel ob man von einer Teilnahme Miltiades am Skythenzug ausgeht oder nicht, die Tatsache, dass der Rat an der Donaubrücke erfunden ist hat Konsequenzen für den weiteren Verlauf der Biographie Miltiades’.
[...]
[1] Funke, Peter, Miltiades, in: Brodersen, Kai [Hrsg.], Grosse Gestalten der griechischen Antike. 58 historische Porträts von Homer bis Kleopatra, München, 1999, Seite 301-310, hier: 301
[2] Vgl. Obst, Ernst, s.v. Miltiades, in: RE XV A2, 1932, Sp. 1681-1705
[3] Vgl. Berve, Helmut, Fürstliche Herren zur Zeit der Perserkriege, in: Kinzl, Konrad H. [Hrsg.], Die ältere Tyrannis bis zu den Perserkriegen: Beiträge zur griechischen Tyrannis, Darmstadt, 1979, Seiten 43-73 (= Wege der Forschung, Band 510) und Berve, Helmut, Miltiades: Studien zur Geschichte des Mannes und seiner Zeit, Berlin, 1937 (Hermes Einzelschriften)
[4] Vgl. Bengtson, Hermann, Einzelpersönlichkeit und athenischer Staat zur Zeit des Peisistratos und des Miltiades, in: Sitzungsberichte der Philosophisch-historischen Abteilung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, 1939, Heft 1, Seiten 7-67
[5] Vgl. Kinzl, Konrad H., Miltiades’ Parosexpedition in der Geschichtsschreibung, in: Hermes 104, 1976, Seiten 280-307 und Kinzl, Konrad, Miltiades-Forschungen, Wien, 1968 (= Dissertationen der Universität Wien 24)
[6] Zu den Familien- und Verwandtschaftsverhältnissen Miltiades’: Vgl. Obst, 1932, Sp. 1681 und Kinzl, 1968, Seite 25
[7] Zur Datierung Miltiades’ Ankunft auf der Chersones: Vgl. Obst, 1932, Sp. 1682
[8] Hdt. 6, 39
[9] Hdt. 4, 136
[10] Hdt. 4, 137
[11] Hdt. 4, 139
[12] Vgl. Kinzl, 1968, Seite 83
[13] Ebd., Seite 85
[14] Obst, Ernst, Hat Miltiades am Skythenzug teilgenommen?, in: Klio 9, 1909, Seiten 413-415, hier: 415: „Die Urform der Liste Herodots IV 138 hat den Namen des Miltiades nicht enthalten, obgleich ihr Material als vorzüglich angesehen werden muss; erst eine viel spätere, frühestens 493 verfasste Überarbeitung enthält das von Miltiades damals zu seinen Gunsten ausgestreute Gerücht als Tatsache. Miltiades hat also am Skythenzug vermutlich gar nicht teilgenommen.“
[15] Hdt. 4, 138: „Und das sind jene Männer, die damals ihre Stimme abgaben und beim König etwas galten: Die Herren in den Städten des Hellespont; Daphnis von Abydos, Hippoklos von Lampsakos, Herophantos von Parion, Metrodoros von Prokonnesos, Aristagoras von Kyzikos, Ariston von Byzantion. Das waren die vom Hellespont; von Jonien aber Strattis von Chios, Aiakes von Samos, Leodamas von Phokaia und Histiäios von Milet, er, der mit seiner Meinung der des Miltiades entgegentrat. Von den Aiolern war von gewichtigen Männern allein Aristagoras von Kyme zugegen.“
[16] Obst, 1932, Spalte 1683
- Citar trabajo
- Martin Meingast (Autor), 2004, Miltiades - Ein Überblick über die komplizierten Zusammenhänge der Heldenbiographie des Marathonsiegers in der Forschung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31862
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