Wir wollen uns mit den für well-being (Wohlbefinden) förderlichen Aspekten von Konsensprozessen und Entscheidungen beschäftigen. Die positiven Auswirkungen ergeben sich dabei unter anderem durch die Erfüllung von Psychologischen Bedürfnissen, das Abwenden von Belastungen und die Förderung der Verinnerlichung von Motivation. Kernteil unserer Arbeit ist ein Leitfaden zu einer konsensorientierten Entscheidungsfindung in Gruppen, die ehrenamtlich arbeiten, am Beispiel einer Initiative für Flüchtlingshilfe.
Wie sähe nun ein glückliches Leben aus? Welche idealen Bedingungen müssten herrschen, damit man langfristig Wohlbefinden erlebt?
Anstatt nach Vermehrung materieller Güter und Werte zu streben, sollte der Fokus primär auf die Erfüllung der dahinterstehenden psychologischen Bedürfnisse gesetzt werden. Sobald ein bestimmtes Armutslevel überschritten ist und somit die Grundversorgung und die eigene Sicherheit nicht bedroht sind, führt die Erhöhung des eigenen Wohlstandes und die Verfolgung materieller Ziele und Werte nicht mehr wesentlich zur Steigerung von well-being. Laut der Idee der hedonistischen Tretmühle führen sogar sehr positive und sehr negative Ereignisse nur kurzfristig zu einer Veränderung des eigenen Glücksgefühls, langfristig verändert sich jedoch nichts.
Das Ideal eines glücklichen Lebens sollte deshalb in der Führung eines authentischen Lebens gesehen werden. Das bedeutet, im Einklang mit dem wahren Selbst – den eigenen Werten, Einstellungen und Überzeugungen – zu leben und ein positives Bild von sich selbst und seiner Vergangenheit zu haben. Dazu gehört die Fähigkeit nicht unaufhörlich über die eigenen Fehler zu grübeln, sondern auf seine eigenen Stärken zu achten. Authentisch zu leben bedeutet ebenso eigene Perspektiven, Lebensaufgaben und Ziele zu haben, die kongruent zu einem Selbst und den eigenen Werten sind. Diese mit dem Selbst übereinstimmenden Ziele allein stehen im Zusammenhang mit der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse eines jeden Menschen, welche zentral für menschliches Wohlergehen sind: „A basic need, whether it be a physiological need or a psychological need, is an energizing state that, if satisfied, conduces towards health and well-being but, if not satisfied, contributes to pathology and ill-being”.
Inhaltsverzeichnis
1. Well-being durch Wohlbefinden-orientierte Entscheidungsfindung
2. Hedonismus und Eudämonie
3. Der ideale Weg zum Wohlbefinden
4. Wohlbefinden-orientierte Entscheidungsfindung in Gruppen
4.1 Well-being durch neue Gruppenumgangsformen
4.2 Leitfaden – Rahmenbedingungen
4.3 Leitfaden – Phasen der Konsensfindung
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Well-being durch Wohlbefinden-orientierte Entscheidungsfindung
Wir wollen uns mit den für well-being (Wohlbefinden) förderlichen Aspekten von Konsensprozessen und Entscheidungen beschäftigen. Die positiven Auswirkungen ergeben sich dabei unter anderem durch die Erfüllung von Psychologischen Bedürfnissen, das Abwenden von Belastungen und die Förderung der Verinnerlichung von Motivation. Kernteil unserer Arbeit ist ein Leitfaden zu einer konsensorientierten Entscheidungsfindung in Gruppen, die ehrenamtlich arbeiten, am Beispiel einer Initiative für Flüchtlingshilfe.
2. Hedonismus und Eudämonie
Die Frage nach dem eigenen oder fremden Wohlbefinden beschäftigt uns nicht nur im Alltag, sondern findet auch in der Forschung große Beachtung. Wie well-being jedoch definiert werden kann, oder wodurch well-being erreicht werden kann, wird kontrovers diskutiert. Große Geltung bei dem Versuch, well-being zu definieren, erlangen zwei gegensätzliche Theorien, der Hedonismus (Kahneman, Diener, & Schwarz, 1999) und die Eudämonie (Waterman, 1993).
Vertreter des Hedonismus setzen Wohlbefinden mit der Gesamtheit der erlebten lustvollen Momente gleich (Ryan & Deci, 2001). Ziel eines jeden Menschen sei das Streben nach Freude und Genuss, bezogen sowohl auf den Körper, als auch auf den Geist (Kubovy, 1999, zitiert nach Ryan & Deci, 2001). Dabei beeinflusst der Drang, das subjektive Glücksgefühl zu maximieren, alle Bereiche des Lebens (Diener et al., 1998, zitiert nach Ryan & Deci, 2001). Menschen versuchen demnach stets das eigene Glück und den positiven Affekt zu maximieren und Leid zu minimieren (Ryan & Deci, 2001). Gemäß der Vertreter des Hedonismus steht well-being somit im Zusammenhang mit einer Erwartungs- und Wertabschätzung kurzfristiger Handlungen mit dem Ziel des eigenen Lustgewinns (Oishi et al., 1999, zitiert nach Ryan & Deci, 2001). Erfassbar wird der Hedonismus durch das Konstrukt subjective well-being (SWB). SWB umfasst die drei Dimensionen Lebenszufriedenheit, positive Stimmung und die Abwesenheit von negativer Stimmung, die oft auch als Freude zusammengefasst werden (Diener & Lucas, 1999, zitiert nach Ryan & Deci, 2001).
Vertreter der Eudämonie argumentieren hingegen, dass well-being nicht allein durch den Lustgewinn, der durch die Befriedigung kurzfristiger Bedürfnisse gewonnen wird, erreicht werden kann. Nicht alles was man begehrt führt letztendlich auch zu well-being (Ryan & Deci, 2001) . Vielmehr muss unterschieden werden zwischen rein subjektiven Bedürfnissen, die nur kurzfristige Befriedung verschaffen können und objektiven, welche allein zu Persönlichkeitswachstum und well-being führen (Fromm, 1981, zitiert nach Ryan & Deci, 2001). Well-being im Sinne der Eudämonie meint somit das Leben im Einklang mit den inneren Bedürfnissen und dem Selbst. Nur wer im Einklang mit den eigenen Werten lebt, lebt authentisch, was essentiell für das Erreichen von well-being im eudämonischen Sinne ist. Nach Waterman (1993) beschreibt Eudämonie nicht nur wie der Hedonismus die Bedürfniserfüllung, sondern vielmehr auch das Persönlichkeitswachstum (zitiert nach Ryan & Deci, 2001). So beschreiben Ryff und Keyes (1995) Eudämonie durch das multidimensionale Konstrukt psychological well-being (PWE), welches sechs Aspekte der Selbstverwirklichung umfasst: Autonomie, persönliches Wachstum, Selbstakzeptanz, Beherrschung der Umgebung, positive Beziehung zu anderen und Lebensziele (zitiert nach Ryan & Deci, 2001).
Insbesondere aus Sicht von Ryan und Deci (2000) führt ein Leben im Einklang mit den in der Self-determination theory (SDT) definierten menschlichen Grundbedürfnissen – Kompetenz, Autonomie und soziale Eingebundenheit – zu well-being. Die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse stellt das Minimum dessen dar, was für das Erreichen psychologischen Wohlergehens und Persönlichkeitswachstums nötig ist. Diese sollten somit als grundlegendes Ziel einer jeden Gesellschaft angestrebt werden. Dadurch stellen diese Grundbedürfnisse letztendlich die Bedingungen dar, welche well-being ermöglichen (Ryan & Deci, 2001). Ebenso führt die Erfüllung dieser drei Bedürfnisse zu einer Verinnerlichung von Motiven und Einstellungen, wodurch intrinsische Motivation geschaffen wird. Dies trägt sowohl indirekt, zum Beispiel über eine Förderung der Gesundheit, als auch direkt zu well-being bei (Ryan & Deci, 2000).
Nach Ryan und Deci (2001) kann well-being nicht klar einer Theorie zugeordnet werden, vielmehr betonen sie, dass well-being als multidimensionales Phänomen betrachtet werden sollte, welches sowohl Aspekte des Hedonismus als auch der Eudämonie enthält.
3. Der ideale Weg zum Wohlbefinden
Wie aber sähe nun ein glückliches Leben aus? Welche idealen Bedingungen müssten herrschen, damit man langfristig Wohlbefinden erlebt? Anstatt nach Vermehrung materieller Güter und Werte zu streben, sollte der Fokus primär auf die Erfüllung der dahinterstehenden psychologischen Bedürfnisse gesetzt werden. Sobald ein bestimmtes Armutslevel überschritten ist und somit die Grundversorgung und die eigene Sicherheit nicht bedroht sind, führt die Erhöhung des eigenen Wohlstandes und die Verfolgung materieller Ziele und Werte nicht mehr wesentlich zur Steigerung von well-being (Ryan & Deci, 2001). Laut der Idee der hedonistischen Tretmühle führen sogar sehr positive und sehr negative Ereignisse nur kurzfristig zu einer Veränderung des eigenen Glücksgefühls, langfristig verändert sich jedoch nichts (Brickman & Campbell, 1971, zitiert nach Diener, Lucas, & Scollon, 2006).
Das Ideal eines glücklichen Lebens sollte deshalb in der Führung eines authentischen Lebens gesehen werden. Das bedeutet, im Einklang mit dem wahren Selbst – den eigenen Werten, Einstellungen und Überzeugungen – zu leben und ein positives Bild von sich selbst und seiner Vergangenheit zu haben. Dazu gehört die Fähigkeit nicht unaufhörlich über die eigenen Fehler zu grübeln, sondern auf seine eigenen Stärken zu achten. Authentisch zu leben bedeutet ebenso eigene Perspektiven, Lebensaufgaben und Ziele zu haben, die kongruent zu einem Selbst und den eigenen Werten sind. Diese mit dem Selbst übereinstimmenden Ziele allein stehen im Zusammenhang mit der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse eines jeden Menschen, welche zentral für menschliches Wohlergehen sind (Ryan & Deci, 2001): „A basic need, whether it be a physiological need or a psychological need, is an energizing state that, if satisfied, conduces towards health and well-being but, if not satisfied, contributes to pathology and ill-being” (Ryan & Deci, 2000, S.74).
Authentisches Leben ermöglicht somit die Erfüllung der innersten Bedürfnisse – Autonomie im Sinne der Selbstbestimmung, Kompetenz und soziale Eingebundenheit. Zwischenmenschliche Beziehungen sind hierbei essentiell für menschliches Wohlergehen, wobei die Qualität der Beziehung eine wichtige Rolle spielt. Vor allem Beziehungen mit sicherer Bindung fördern das Wohlergehen, da sie die Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse ermöglichen (Ryan & Deci, 2001).
Unserer Auffassung nach wird well-being somit eher durch das eudamonische Konzept der Selbstverwirklichung bzw. psychological well-being und der Befriedigung der grundlegenden und universalen Bedürfnisse der SDT erreicht. Gerade im Gruppenverbund ist es somit wichtig, dass die Bedürfnisse jedes Einzelnen nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit nicht untergraben werden, sondern explizit darauf geachtet wird, diese Erfüllung zu ermöglichen und zu fördern.
4. Wohlbefinden-orientierte Entscheidungsfindung in Gruppen
4.1 Well-being durch neue Gruppenumgangsformen
Um an dieses Optimum in der Gesellschaft heranzukommen bedarf es vieler Veränderungen. Großer Bedeutung kommt dabei der Kommunikation und dem zwischenmenschlichen Umgang zu.
Unseren Überlegungen nach tragen Konsensentscheidung und Konsensfindung durch ihren positiven Einfluss auf die psychologischen Grundbedürfnisse nach Deci und Ryan (2000) zum well-being bei. Im Gegensatz zu einer Mehrheitsentscheidung dürfen, um eine Konsensentscheidung zu beschließen, keine Gegenstimmen existieren. Dahinter steht die Idee eines gemeinsamen Vorgehens, der zu einer gemeinsamen und deswegen qualitativ anderen Entscheidung führt. Vor einer Konsensentscheidung steht ein Prozess, in dem die Beteiligten ihren Wünschen und Ideen Ausdruck verleihen können und jeder und jede berücksichtigt werden muss. Soll der Weg zum Konsens gelingen, müssen alle Beteiligte während der Moderation und Diskussion stärker auf Gemeinsamkeiten, Empathie, Bedürfnisse, Augenhöhe, Freiwilligkeit, Integration, Verständnis und Konstruktivität achten. Im Gegensatz zu herkömmlichen Entscheidungen werden Gegenpositionen zur Synthese gebracht statt herausgearbeitet und der Fokus wird eher auf den Prozess, als auf das Ergebnis gelegt. Der Idealfall führt dabei zu einer Win-Situation für Alle. Ziel für die Abstimmung ist es, eine für alle akzeptable Lösung zu erarbeiten, die aus dem gemeinsamen Prozess gewachsen ist.
Auf Grund der qualitativ anderen Kommunikation nehmen sich Menschen während der Konsensfindung und –entscheidung in der Gruppe stärker als sozial eingebunden wahr. Die wahrgenommene Autonomie und Kompetenz wird dabei ebenfalls erhöht, unter anderem durch eine stärkere Beachtung von Einzelpersonen und Minderheiten sowie durch den Prozess des Zusammenfindens und gemeinsamen Erarbeitens einer Lösung; denn die Teilnehmer können mitgestalten und sich als selbstwirksamer erleben. Durch die Erfüllung dieser drei psychologischen Bedürfnisse steigt nach Deci und Ryan (2000) auch die Verinnerlichung von Motivation und trägt dadurch während der Konsensfindung und nach der Entscheidung zum Gelingen von Gruppen und Projekten bei.
Bei der Umsetzung der Entscheidung sollten durch eine stärkere Verbundenheit mit der Gruppe und der Entscheidung ebenfalls die wahrgenommene soziale Eingebundenheit, Autonomie und Kompetenz steigen. Eine Abstimmung, vor der jeder gehört wurde und eine Lösung, bei der jeder gleichberechtigt mitwirken konnte, wird leichter von Gruppenmitgliedern akzeptiert, sie stärkt den Zusammenhalt der Gruppe und wird auch motivierter und widerstandsfreier umgesetzt. Besonders wichtig sind Konsensentscheidungen, wenn Teilnehmer persönlich betroffen sind und die Entscheidung von hoher Tragweite ist.
In einem vertraulichen Umfeld sind Konsensentscheidungen oft selbstverständlich, meistens, ohne dass wir uns bewusst für sie entschieden haben. Nach dem Konsensprinzip werden heute in der Feminismus- und der Umweltbewegung, in Lebensgemeinschaften, zahlreichen Projekten und auch in internationalen Konferenzen und Organisationen Entscheidungen getroffen. Das Konsensmodell ist Teil einer Wir-Gefühlschaffenden, gewalt- und herrschaftsfreien Kultur und trägt zum Schutz von Minderheiten bei. Voraussetzungen, Vor- und Nachteile gibt es viele zu beachten und zu diskutieren. Deshalb ist es wichtig darauf einzugehen, wann und unter welchen Bedingungen ein Konsens angestrebt werden sollte und wann er weniger sinnvoll ist.
Einen Leitfaden zur wohlbefinden-orientierten Gestaltung von Entscheidungsfindung in Gruppen wollen wir im nachfolgenden Teil anbieten.
4.2 Leitfaden – Rahmenbedingungen
Wie erreicht man eine Verbundenheit der Beteiligten mit Entscheidungen und mit der Gruppe?
Vorbereitung:
Bürgerbewegungen, Vereine, Bündnisse und andere Gruppen befinden sich in verschiedensten Phasen ihrer Orientierungs-, Gruppen- und Strukturfindung. Das well-being in der Gruppe wird mindestens indirekt behandelt und ist für Gruppen essentiell. Entscheidet sich eine Gruppe für das Konsensprinzip, ist das eine Entscheidung für einen Gruppenprozess und einen Lernprozess für jeden Einzelnen. Um diesen zu unterstützen sollte über die Idee und das Abstimmungsprinzip aufgeklärt und sich auf Gesprächsregeln und Vorgehensweisen geeinigt werden. Zusätzlich können Rednerlisten, Moderator, Blitzlichter und andere Hilfsmittel eingesetzt werden. Diese nehmen oft positiven Einfluss auf das well-being der Gruppe, da sie die wahrgenommene soziale Eingebundenheit erhöhen und sind oft wichtiger Teil eines Konsensprozesses.
Voraussetzungen:
Für funktionierende Konsensentscheidungen ist es maßgeblich, dass die Personen freiwillig in der jeweiligen Gruppe beteiligt sind, ihrem Bedürfnis nach Autonomie somit nachgegangen wird. Des Weiteren sollten sie über das Konsensverfahren Bescheid wissen und am Erfolg der Gruppe interessiert sein. Es muss möglich sein, dass Menschen die Gruppe verlassen und/oder sich neue Gruppen bilden, wenn ein Konsens nicht möglich ist.
Zeitlicher Rahmen:
Um obige Punkte berücksichtigen zu können sollten Gruppenentscheidungen, vor allem wichtige, Platz in Anspruch nehmen dürfen um die wahrgenommene Kompetenz und soziale Eingebundenheit zu fördern. Es sollte auch beachtet werden, dass zu lange oder zu viele Treffen für Entscheidungen Gruppen ausbremsen können und für Teilnehmer unangenehm werden können, besonders wenn diese die Wichtigkeit des Prozesses, der stattfindet, nicht kennen. Ebenso können durch viele oder lange Treffen Teilnehmer ausgeschlossen werden, die weniger Zeit haben.
Große Gruppen, Beteiligung und Anwesenheit:
Wächst eine Gruppe, macht es oft Sinn, sie in Kleingruppen zu unterteilen und erst Lösungen dort zu finden, und dann die Ergebnisse der Kleingruppen in einen Konsens zu bringen. So können auch in großen Gruppen Konsensentscheidungen getroffen werden. Für viele Treffen und Entscheidungen ist es sicher unnötig, dass alle anwesend sind und übereinstimmen. Es ist dennoch sinnvoll, die Treffen offen und transparent zu gestalten.
Gefahren:
Konsens oder nicht? Es kann immer ungünstige Dynamiken in Gruppen geben. Konsensentscheide sind kein Allheilmittel, sondern eher ein Wink und ein Lernanreiz für eine gemeinschaftliche, ganzheitliche Entwicklung. Konsensentscheidungen können Druck auf Minderheiten ausüben und von geschickten Rhetorikern oder Moderatoren dominiert werden, die den Anschein einer Mehrheit vermitteln. Durch Veto und Verdrehen von Fragen können Machtsituationen aufrechterhalten, Legitimation vorgetäuscht und Entscheidungen blockiert werden. Letztlich kommt es auf ein Wir-Gefühl, Empathie, Offenheit, Fairness und andere Eigenschaften und Fähigkeiten an und manchmal muss ein Konsensverfahren abgebrochen oder mit Regeln ergänzt werden.
Hierbei ist oft eine direkte Verbindung zwischen Methoden für und Eigenschaften von Konsensprozessen zu sehen. Das freiwillige Kommen oder Fernbleiben bei Treffen ist grundlegend für die wahrgenommene Autonomie. Eine nicht zu schnelle und nicht zu langsame Geschwindigkeit ist für die wahrgenommene Kompetenz und soziale Eingebundenheit wichtig, Rednerlisten, Blitzlichter und Moderator für alle drei Bedürfnisse.
4.3 Leitfaden – Phasen der Konsensfindung
1. Gegenstand klären.
Um ein gemeinsames Arbeiten zu erleichtern und Beteiligte mehr auf ein Level zu bringen, ist es wichtig, am Anfang die Situation, Begriffe und die Themen, über die entschieden werden soll, zu klären.
Beispiel: Bei einem Treffen der Initiative für Flüchtlingshilfe Proasyl wird diskutiert, ob zusätzliche Betreuungsangebote für Kinder aus Flüchtlingsfamilien geschaffen werden sollen.
2. Meinungen, Bedürfnisse und Ideen
Als nächstes sollte es allen Teilnehmern ermöglicht werden, ihre Ideen, Bedenken und Bedürfnisse zu äußern. Es soll eine möglichst breite Vielfalt geschaffen und gezeigt werden. Hier ist es Aufgabe der Moderation, alle in angemessener Länge zu Wort kommen zu lassen. Dadurch wird nicht nur die soziale Eingebundenheit, sondern auch das Gefühl der eigenen Kompetenz gestärkt. Manchmal ist es dabei sinnvoll, die Teilnehmer dazu aufzufordern, auch ungewöhnliche oder unkonventionelle Ideen zu äußern, sich nicht im Detail zu verlieren und wenn möglich auf vorher Gesagtes aufzubauen.
Beispiel: Ein paar Mitglieder von Proasyl halten das bestehende Angebot für ausreichend, andere hingegen sind sich uneinig, welche Gestalt das neue Angebot annehmen soll – die Vorschläge reichen von Handarbeitskursen bis zu zusätzlichen Sprachkursen.
3. Auseinandersetzung, Zusammenfinden und Lösungsvorschläge entwickeln
In dieser Phase kann Kritik geäußert werden und der eigene Standpunkt in Bezug auf Gesagtes erweitert werden. Argumentative und emotionale Streitigkeiten sollen hier Platz haben. Sind Probleme und Gefühle ausgesprochen, soll eine Annäherung stattfinden. Dabei sollen Teilnehmer konstruktiv vorgehen und alle Standpunkte berücksichtigen und sich einander annähern. Die Moderation kann diesen Prozess unterstützen, indem sie die Diskutierenden empathisch begleitet, schlichtet und danach z.B. folgende Fragen stellt: “Wie könnten wir die geäußerten Wünsche in deinen Vorschlag integrieren?“; “Was bräuchte es, damit du mit der genannten Lösung einverstanden bist“
Beispiel: Durch die Diskussion wird deutlich, dass die Teilnehmer, die gegen ein zusätzliches Angebot sind, mit der Nutzung des bestehenden unzufrieden sind. Die anderen gehen darauf ein und geben zu, dass bei der Schaffung neuer Angebote berücksichtigt werden muss, welche Art von Angebot sinnvoll und nötig ist. Zwar bestehen bereits einige Sprachkurse, jedoch sind diese nicht für alle Altersstufen ausgelegt.
4. Konsens erarbeiten und beschließen
Aus den immer stärker konvergierenden Lösungen wird, sobald möglich, ein Konsens formuliert, über den nach einem fünfstufigen Verfahren abgestimmt wird. Jeder hat dabei die Möglichkeit, 1. voll zuzustimmen, 2. mit leichten Bedenken zuzustimmen, 3. sich zu enthalten, 4. mit schweren Bedenken zuzustimmen oder 5. ein Veto einzulegen. Wird eine Lösung auf Grundlage des Konsensprozesses gefunden, sind die Verbundenheit der einzelnen Teilnehmer mit der Entscheidung und die Wahrscheinlichkeit für Erfolg größer. Dies wird bedingt durch die wahrgenommene Autonomie innerhalb der Gruppe, sowie durch das Gefühl einer sozialen Eingebundenheit und der Wahrnehmung der eigenen Kompetenz während der Entscheidungsfindung.
Beispiel: Es wird der Konsens formuliert, dass ein neues Angebot geschaffen werden soll, welches jedoch für eine andere Altersgruppe als das bestehende konzipiert ist. Geplant ist ein Spielangebot, in dem die Ehrenamtlichen nach eigenem Interesse sprachfördernde Elemente einbauen dürfen. Zusätzlich soll eine Evaluation über die Nachfrage nach Sprachangeboten durchgeführt werden.
Dabei stimmen 60 % der Anwesenden voll zu, 25 % mit leichten Bedenken zu – diese können wenn gewünscht auch geäußert werden – und 15 % enthalten sich. Nur einer äußert schwere Bedenken, da seiner Meinung nach mehr Energie in eine andere Richtung gelenkt werden sollte, z.B. in juristische Angelegenheiten oder auf Abschiebungen.
Anderes Beispiel: Ein Veto würde wahrscheinlich eingelegt werden, wenn es um Aktionen des zivilen Ungehorsams geht. Dann müsste sich eine neue Gruppe für diese Bereiche bilden.
Ohne das Ziel eines Konsenses wäre die Lösung vielleicht ein zusätzliches Spielangebot für alle Altersstufen. Diese Lösung könnte auch wie obiger Konsens aussehen, aber nur mit knapper Mehrheit beschlossen worden sein. Auch Stimmung der Diskutierenden und spätere Umsetzung könnten variieren.
5. Fazit
In unserer Gesellschaft sind Mehrheitsentscheidung und Autoritäten fördernde Strukturen die Norm. Materialistische und kapitalistische Ideen haben unser Erleben und Handeln entscheidend geprägt. Oft scheint es darum zu gehen, seine Meinung zu verkaufen und andere zu überzeugen, um damit Anerkennung zu erleben, das Selbstbild und Selbstwertgefühl zu erhöhen und die eigene Interpretation der Wirklichkeit zu bestätigen. Die Ereignisse und Entscheidungen in einer Gruppe werden dadurch Spielball von bewussten und unbewussten Zielen, die mit gelernten und erprobten Regeln angestrebt werden. Eben diese Ziele und Regeln des Zusammenseins müssen wir reflektieren und verändern, wenn wir in einer begrenzten, besitzmäßig aufgeteilten und ökonomisierten Welt well-being für mehr als nur uns selbst anstreben. Reformen im Bildungs-, Arbeits- und Gesundheitssektor sind dabei nur eine Ebene eines Wandels, bei dem die Bedeutung des Subjektiven, der inneren Werte und der Gemeinschaft gewürdigt werden. Auf einer anderen Ebene liegen Veränderungen in Familien, Vereinen und Freundeskreisen, die einhergehen mit einer Entwicklung des Einzelnen hin zu mehr Empathie, Offenheit, Respekt und Wertschätzung gegenüber anderen. Für diese Entwicklung ist jede Gruppe und jede Person mitverantwortlich.
6. Literaturverzeichnis
Diener, E., Lucas, R. E., & Scollon, C. N. (2006). Beyond the hedonic treadmill: revising the adaptation theory of well-being. The American psychologist, 61 (4), 305–314. doi:10.1037/0003-066X.61.4.305
Kahneman, D., Diener, E., & Schwarz, N. (Eds.). (1999). Well being: The Foundations of Hedonic Psychology. New York: Russell Sage Found.
Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2000). Self-determination theory and the faciliation of intrinsic motivation, social development, and well being. American Psychologist, 55 (1), 68–78.
Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2001). On happiness and human potentials: A Review of Research on Hedonic and Eudaimonic Well-Being. Annual Review of Psychology, 52, 141–166.
Waterman, A. S. (1993). Two conceptions of happiness: contrasts of personal expressiveness (eudaimonia) and hedonic enjoyment. Journal of personality and social psychology, 64 (4), 678–691.
- Citation du texte
- Manuel Kick (Auteur), 2015, Well-being. Grundlagen und Leitfaden zu Konsensentscheidungen und Wohlbefinden, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/318163
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