Ein großer Teil der Faszination, die von psychoanalytischen Theorien auch heute noch ausgeht, liegt zweifelsohne in den breit gefächerten Möglichkeiten ihrer Anwendung.
Wenn Freud Überlegungen anstellt, "was sich erreichen ließe, wenn Kulturhistoriker, Religionspsychologen, Sprachforscher usw. sich dazu verstehen werden, das ihnen zur Verfügung gestellte neue Forschungsmittel selbst zu handhaben", wird klar, dass die Psychoanalyse in ihrem Selbstverständnis schon immer mehr war als ein bloßer therapeutischer Ansatz.
Als von besonderer Wechselseitigkeit geprägt zeigt sich das Verhältnis der Psychoanalyse zu den Künsten, insbesondere dasjenige zur Literatur.
Ein großer Teil der Faszination, die von psychoanalytischen Theorien auch heute noch ausgeht, liegt zweifelsohne in den breit gefächerten Möglichkeiten ihrer Anwendung. Wenn Freud Überlegungen anstellt, „was sich erreichen ließe, wenn Kulturhistoriker, Religionspsychologen, Sprachforscher usw. sich dazu verstehen werden, das ihnen zur Verfíigung gestellte neue Forschungsmittel selbst zu handhaben“[1], wird klar, dass die Psychoanalyse in ihrem Selbstverständnis schon immer mehr war als ein bloßer therapeutischer Ansatz. Als von besonderer Wechselseitigkeit gepraägt zeigt sich das Verhaältnis der Psychoanalyse zu den Kunsten, insbesondere dasjenige zur Literatur.
Einerseits waren die Werke von Schriftstellern oftmals Studienmaterial und Inspiration, beispielsweise wäre es nicht hinreichend, zu sagen, „Freud habe das Phanomen des (Ödipuskomplexes klinisch beobachtet und erst sekundär auf Dichtung angewendet“[2]. Freuds Kenntnis von Sophokles’ Drama ist vielmehr als Impulsgeber anzusehen.[3] Auf der anderen Seite die prominente Liste von Bewunderern unter den Autoren - Thomas Mann, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, Hermann Hesse, um nur einige zu nennen.[4]
Außerdem gab es immer wieder Bemuhungen, das „neue Forschungsmittel“ zur Interpretation von Texten anzuwenden, ein Vorhaben, das zu keinem Zeitpunkt unumstritten war. In den folgenden Überlegungen sollen daher, ausgehend von Freud, die Möglichkeiten und Grenzen psychoanalytischer Methoden in der Literaturwissenschaft beleuchtet werden.
Im Dezember 1907 gibt Freud im Salon eines befreundeten Verlegers[5] seine Antwort auf die Frage, woher Autoren ihren Stoff erlangten: aus dem Tagtraum, der Phantasie. Sowohl im kindlichen Spiel, als auch in der Dichtung werden unwirkliche Verhaältnisse erschaffen, die von ihren Schäopfern zwar ernst genommen, aber keinesfalls för echt gehalten werden.[6] Der Tagtraum dient dem Erwachsenen als Ersatz för das Spiel, um den mit diesem verbundenen Lustgewinn wiederherzustellen.[7] Der Autor geht einen Schritt weiter und bannt seine Phantasie in Textform. Nun wird der Tagtraum, dem, als im wesentlichen egoistische Vorstellung, allgemeine Ablehnung gewiss ist, vom Dichter oft nicht deckungsgleich zu Papier gebracht, sondern bis zur sozialen Akzeptanz hin abgeandert.[8] Der Leser wiederum empfindet durch die ästhetische Form eines Textes zuerst sogenannte Vorlust, die alsdann Zugang zu tiefgreifenderem Lustgewinn ermöglicht.[9]
Letztlich griindet fiktionale Literatur fur Freud somit immer auf Wunschvorstellungen des Autors, selbst wenn diese nach einer Reihe von Verfremdungen nur noch sehr schwer oder auch gar nicht mehr auszumachen sind. Wichtige Transformationsprozesse sind zum Beispiel - bereits aus der „Traumdeutung“ bekannt - Metonymie, Metapher und vor allem die Symbolisierung.[10] Letztlich koännen auch die extremsten Abweichungen durch eine luäckenlose Reihe von Übergängen mit diesem Modelle in Beziehung gesetzt werden“[11]. Hierbei wirkt fragwärdig, inwieweit diese Sichtweise dem Charakter verschiedener Texte gerecht wird. Immerhin ist der Gedanke nicht abwegig, dass das bewusst geschaffene literarische Werk durch eine Großzahl anderer, von der Autorpsyche unabhängigen Faktoren beeinflusst wird.
Wenn Mukaravský die historisch gewachsene Bedeutung der Autorpersonlich- keit als Fehlentwicklung angreift, argumentiert er auf ähnliche Weise. In der 1944 entstandenen Abhandlung „Die Personlichkeit in der Kunst“ wird Literatur, analog zu semiotischen Sprachmodellen, als Zeichen aufgefasst, das der Vermittlung zwischen Autor und Rezipienten dient.[12] Das Werk wird somit bereits in Hinblick auf den Leser geschaffen und ist nur nachrangig Ausdruck der känstlerischen Gedankenwelt.[13] Zudem ist der Schriftsteller von zahlreichen anderen Faktoren abhängig - okonomischen, sozialen, biographischen.[14] Insbesondere von dem, was Mukarovský die „lebendige künstlerische Tradition“[15] nennt, den bestehenden Kunstbegriff, auf den Bezug zu nehmen unumgäanglich ist.[16] Dennoch wird dem Dichter seine Kreativität, seine „Initiativkraft“[17], keineswegs abgesprochen; ,,[d]ie Persänlichkeit ist keine Summe von Einflussen,
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[1] Freud, Sigmund: Die Frage der Laienanalyse. URL: http:// gutenberg.spiegel.de/ buch/ 928/7 (Stand: 24. Februar 2014).
[2] Dettmering, Peter: Psychoanalyse als Instrument der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Eschborn bei Frankfurt a.M.: Klotz, 1995, S. 10.
[3] Vgl. ebd., S. 10.
[4] Cremerius, Johannes: Freud und die Dichter. Freiburg i. Br.: Kore, 1995, S. 10.
[5] Vgl. Fuchs, Sabine (2004): Hugo Heller (1870-1823). Buchhändler und Verleger in Wien. Eine Monographie. S. 72. URL: http:// www.wienbibliothek.at/ dokumente/ fuchs- sabine.pdf (Stand: 26. Februar 2014).
[6] Vgl. Freud, Sigmund: Der Dichter und das Phantasieren. In: Jannidis, Fotis/ Lauer, Gerhard/ Martinez, Matias/ Winko, Simone (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam, 2000, S. 35f.
[7] Vgl. ebd., S. 35f.
[8] Vgl. ebd., S. 45.
[9] Vgl. ebd., S. 45.
[10] Vgl. Beutin, Wolfgang: Literatur und Psychoanalyse. Ansätze zu einer psychoanalytischen Textinterpretation. Dreizehn Aufsätze. München: Nymphenburger Verlagshandlung, 1972, S. 34.
[11] Ebd., S. 42.
[12] Vgl. Mukaravský, Jan: Die Persönlichkeit in der Kunst. Aus dem Tschechischen von Herbert Grönebaum und Gisela Riff. In: Jannidis, Fotis/ Lauer, Gerhard/ Martinez, Matias/ Winko, Simone (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam, 2000, S.72.
[13] Vgl. ebd, S. 68.
[14] Vgl. ebd., S. 78 f.
[15] Ebd., S. 76.
[16] Vgl. ebd., S. 76 f.
[17] Ebd., S. 79.
- Citar trabajo
- Sebastian Kern (Autor), 2014, Die Möglichkeiten der Psychoanalyse in der Literaturwissenschaft, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317856