Der alltägliche Diskurs über Migration behandelt häufig die Frage nach der Integration von „Migranten“ und wie diese gelingen kann. Dabei wird auch überlegt, welche Programme beziehungsweise migrationspolitischen Entscheidungen, wie beispielsweise staatlich verordnete Integrationskurse, dazu beitragen können. So begegnen uns häufig Begriffe wie “Migranten“, „Ausländer“ und „Zugewanderte“, welche zunächst als fremd, anders und nicht zugehörig erscheinen und daher „Integrationshilfen“ benötigen.
Diese Arbeit soll nicht die Frage, ob und in welcher Form solche Hilfen gerechtfertigt sind beantworten, sondern einige Schritte vorher ansetzen. Es soll erklärt werden, was „Migrationsandere“ zu eben solchen macht und herausgearbeitet werden, dass solche Kategorien und Zuordnungen, obwohl sie konstruiert sind, Auswirkungen auf gesellschaftliches Leben haben.
Dabei setzt sich die Autorin mit zwei verschiedenen theoretischen Ansätzen auseinander. So wird zunächst die Theorie der „gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“ von Berger und Luckmann dargestellt und anschließend aufgezeigt, dass diese auch Relevanz innerhalb der Migrationspädagogik hat, indem diese Theorie mit der Perspektive Mecherils verglichen wird. Denn auch bei der Beschäftigung mit der Position Mecherlis begegnet man dem Gedanken der gesellschaftlichen Gemachtheit, sowie dem Begriff der Konstruktion. Zwar nicht immer in völliger Eindeutigkeit und Klarheit, jedoch durchaus als eine grundlegende Annahme erkennbar. Der Fokus liegt dabei, wie bereits erwähnt, auf der Konstruktion von „(Migrations-) Anderen“.
Das Ziel dieser Arbeit ist es nun, näher herauszuarbeiten, inwieweit die migrationspädagogische Perspektive Mecherils mit der Idee der gesellschaftlichen Gemachtheit einhergeht. An welchen Stellen ergeben sich Parallelen beziehungsweise Abgrenzungen zwischen beiden Perspektiven? Dabei nimmt die Autorin einen theoretisch-vergleichenden Blickwinkel ein und betrachtet die Relevanz der Annahmen Bergers und Luckmanns für die migrationspädagogische Sicht Mecherils auf die Erzeugung von „Migrationsanderen“.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Perspektive von Berger und Luckmann
2.1. Alltagswelt als allgemeine Wirklichkeit
2.2. Die Bedeutung von Typisierungen
2.3. Die Rolle von Sprache und Wissen innerhalb der alltäglichen Wirklichkeit
2.4. Warum erscheint die Wirklichkeit gegeben, obwohl sie gemacht ist?
3. Migrationsbericht 2008
3.1. Relevanz des Migrationsberichtes
3.2. Datenquellen des Berichtes
3.3. Überblick zum allgemeinen Migrationsfluss
4. Die Perspektive Mecherils
4.1. Der migrationspädagogische Blick
4.2. Wer ist ein/e MigrantIn? - Der Begriff der „Migrationsanderen“
5. Gegenüberstellung beider Perspektiven
5.1. Die Perspektive Mecherils im Vergleich mit der Position Bergers und Luckmanns
5.2. Kategorisierung in Form von Zugehörigkeit bzw. Typisierung
5.3. Diskurse bzw. Zeichensysteme als Mittel von Wirklichkeitserzeugung
5.4. Wissen als Machtinstrument gesellschaftlicher Positionierung
6. Resümee
Literatur
1. Einleitung
Der alltägliche Diskurs über Migration behandelt häufig die Frage nach der Integration von „Migranten“ und wie diese gelingen kann. Dabei wird auch überlegt, welche Programme bzw. migrationspolitischen Entscheidungen, wie beispielsweise staatlich verordnete Integrationskurse (http://www.zeit.de/2010/25/DOS-Deutschstunde), dazu beitragen können. So begegnen uns häufig Begriffe wie “Migranten“, „Ausländer“ und „Zugewanderte“, welche zunächst als fremd, anders und nicht zughörig erscheinen und daher „Integrationshilfen“ benötigen.
Nun möchte ich mich nicht mit der Frage, ob und in welcher Form solche Hilfen gerechtfertigt sind beschäftigen, sondern einige Schritte vorher ansetzten. Ich werde mich damit befassen, was „Migrationsandere“ zu eben solchen macht und möchte dabei herausarbeiten, dass solche Kategorien bzw. Zuordnungen, obwohl sie konstruiert sind, Auswirkungen auf gesellschaftliches Leben haben.
Dabei setze ich mich mit zwei verschiedenen theoretischen Ansätzen auseinander. So werde ich zunächst die Theorie der „gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“ von Berger und Luckmann darstellen und anschließend aufweisen, dass diese auch Relevanz innerhalb der Migrationspädagogik hat, indem ich diese Theorie mit der Perspektive Mecherils vergleiche. Denn mir ist bereits häufiger bei der Beschäftigung mit der Position Mecherlis der Gedanke der gesellschaftlichen Gemachtheit, sowie der Begriff der Konstruktion begegnet. Zwar nicht immer in völliger Eindeutigkeit und Klarheit, jedoch durchaus als eine grundlegende Annahme erkennbar. Mein Fokus liegt dabei, wie bereits erwähnt, auf der Konstruktion von „(Migrations-) Anderen“.
Das Ziel meiner Arbeit ist es nun, näher herauszuarbeiten, inwieweit die migrationspädagogische Perspektive Mecherils mit der Idee der gesellschaftlichen Gemachtheit einhergeht. Ich möchte untersuchen, an welchen Stellen sich Parallelen bzw. Abgrenzungen zwischen beiden Perspektiven ergeben. Dabei nehme ich einen theoretisch - vergleichenden Blickwinkel ein und betrachte die Relevanz der Annahmen Bergers und Luckmann für die migrationspädagogische Sicht Mecherils auf die Erzeugung von „Migrationsanderen“. Ich verfolge nicht das Ziel, Mecheril als Wissenssoziologen[1] zu entlarven, sondern möchte lediglich aufweisen, an welchen Stellen er mit Berger und Luckmann konform geht, bzw. darüber hinaus.
2. Die Perspektive von Berger und Luckmann
2.1. Alltagswelt als allgemeine Wirklichkeit
In ihrem Buch „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ vertreten Berger und Luckmann unter anderem die These, dass unsere Wahrnehmung der Welt und das, was wir als Wirklichkeit bezeichnen im Grunde eine von uns selbst (kollektiv) produzierte Konstruktion ist. „`Wirklichkeit`“ ist nach ihrem Verständnis „[…] als Qualität von Phänomenen zu definieren, die ungeachtet unseres Wollens vorhanden sind – wir können sie ver- aber nicht wegwünschen“ (Berger/Luckmann 2007, S. 1). Ihr Augenmerk liegt allerdings auf der „Wirklichkeit der Alltagswelt“ (Berger/Luckmann 2007, passim). Laut den Autoren gibt es auch andere Wirklichkeiten, wie beispielsweise die Wirklichkeit eines Traums, doch sei die „Wirklichkeit der Alltagswelt“ dadurch gekennzeichnet, dass ich sie mit meinen Mitmenschen teile (Berger/Luckmann 2007, S. 25) und daher von besonderer Bedeutung. Eine grundlegende Frage ist dabei, wie es dazu kommt, dass wir die Welt als stabil und gegeben wahrnehmen, obwohl sie letztlich von uns selbst konstruiert ist. „Wie ist es möglich, dass subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird ?“ (dies. 2007, S. 20). Die Alltagswelt, in der alle sich befinden, erscheint den Menschen sinnig, gleichzeitig wird sie von ihnen selbst mit Sinn versehen und existiert aufgrund ihrer Gedanken und Taten (dies. 2007, S. 21f.). Trotzdem erfahren wir sie als etwas Gegebenes, schließlich wurden wir in eine bereits bestehende Welt hineingeboren. „Die Wirklichkeit der Alltagswelt erscheint bereits objektiviert, das heißt konstituiert durch eine Anordnung der Objekte, die schon zu Objekten deklariert worden waren, längst bevor ich auf der Bühne erschien.“ (dies. 2007, S. 24). Zwar kann man die gegebene Wirklichkeit auch hinterfragen, dies ist jedoch mit einer gewissen kognitiven Anstrengung verbunden und zwingt den Menschen, seine Routine zu durchbrechen. „Die Alltagswelt behauptet sich von selbst, und wenn ich ihre Selbstbehauptung anfechten will, muß (!) ich mir dazu einen Stoß versetzen“ (dies. 2007, S. 26).
Dabei wird der Sprache eine wichtige Rolle zu Teil, denn über sie wird die Alltagswelt an mich heran getragen (ebd.). Wiederum macht hauptsächlich die Sprache eine gemeinsame Alltagswelt überhaupt möglich (dies. 2007, S. 37), was ich später noch näher ausführen möchte. Und obwohl ich mit allen anderen eine alltägliche Wirklichkeit teile, kann sich ihr jeweiliger Blickwinkel auf diese von meinem unterscheiden. Dennoch gibt es laut Berger und Luckmann so etwas wie eine gemeinsame Verständnisbasis, über die jeder einzelne verfügt. „Jedermannswissen ist das Wissen, welches ich mit anderen in der normalen, selbstverständlich gewissen Routine des Alltags gemein habe“ (ebd).
2.2. Die Bedeutung von Typisierungen
Also teile mit meinen Mitmenschen sowohl die „Wirklichkeit der Alltagswelt“, als auch ein bestimmtes Maß an Wissen (auch auf das Wissen werde ich später noch näher eingehen) über jene. Vor diesem Hintergrund trete ich mit anderen in Interaktion.
Als Basis jeglicher Interaktion in der Gesellschaft sehen die Autoren die so genannte „Vis – á – vis – Situation“ (dies. 2007, passim). „Vis – á – vis“ bedeutet „gegenüber“ (Langenscheidts Power Wörterbuch Französisch. 1999) und meint in diesem Zusammenhang eine Situation, in der ich mit meinem Gegenüber in direkten Kontakt von Angesicht zu Angesicht komme. Sie ist die Interaktionsform mit dem höchst möglichen Maß an Direktheit und laut Berger und Luckmann „[…] verschafft (sie) mir die direkte Evidenz meines Mitmenschen, seiner Handlungen, seiner Eigenschaften“ (dies. 2007, S. 34f.). Zwar gehört jemand, dem ich nicht gerade gegenüberstehe auch zur „Wirklichkeit der Alltagswelt“, jedoch hat sein Dasein für mich einen qualitativ völlig anderen Grad von Wirklichkeit (dies. 2007, S. 32).
Nun ordne ich meine Mitmenschen bestimmten Typen zu – ich typisiere sie. Die Typisierungen entnehme ich der Alltagswelt. Die Wahl einer Typisierung hat Auswirkungen auf meine Einstellung und mein Verhalten bezüglich meines Gegenübers und mir erscheinen wiederum einige seiner Verhaltensweisen als typusbedingt (dies. 2007, S. 33 f.). „Die Wirklichkeit der Alltagswelt verfügt über Typisierungen, mit deren Hilfe ich den Anderen erfassen und behandeln kann. Ich sehe etwa `einen Kerl´ in ihm, `einen typischen Europäer´, `eine joviale Type´ und so weiter. Solche Typisierungen wirken unausgesetzt auf meine Reaktionen […]“ (dies. 2007, S. 33). Typisierungen jedoch sind an sich keine unveränderlichen starren, Zuschreibungen, sondern lassen sich umgestalten bzw. korrigieren. Dies geschieht am einfachsten und wahrscheinlichsten in der „Vis – a – vis – Situation“. Denn obwohl ich auch da meinem Gegenüber mit bereits getroffenen Typisierungen begegne, kann ich während der Interaktion auf direktem Wege wahrnehmen, wenn es sich im Widerspruch zu meiner ursprünglichen Vorstellung verhält und diese modifizieren. Geschieht dies nicht, steuern die Typisierungen weiter mein Verhalten (ebd.). So könnte ich beispielsweise jemanden auf Grund äußerer Merkmale als „AusländerIn“ typisieren. Die Typisierung „AusländerIn“ habe ich meiner Alltagswelt entnommen und passe mein Verhalten gegenüber der Person dementsprechend an. Vielleicht spreche ich in möglichst einfachen, kurzen Sätzen, da ich davon ausgehe, dass ein/e „AusländerIn“ typusbedingt meine Sprache nicht sonderlich gut beherrschen kann. Stellt sich nun während unserer Interaktion das Gegenteil heraus, muss ich meine anfängliche Typisierung modifizieren.
Einen wichtigen Aspekt stellt dabei die Direktheit dar. Je weniger direkten Kontakt ich zu jemandem pflege, desto anonymer sind meine Typisierungen über diese Person. Je höher das Maß an Direktheit (dabei ist die „Vis – á – vis – Situation“, wie bereits erwähnt die direkteste Form der Interaktion), desto weniger anonym sind meine Typisierungen über jene, denn durch die gemeinsame Interaktion bekomme ich immer wieder neue, lebendige Informationen über sie, die Einfluss auf meine Typisierungen nehmen und diese verfeinern (dies. 2007, S. 34f.). Die vorerst noch sehr anonymen Typisierungen werden „ständig mit vielfältigen, lebendigen Symptomen `aufgefüllt´ […], in denen sich ein leibhaftiger Mensch anzeigt“ (dies. 2007, S. 35). Menschen, mit denen ich keinen oder kaum Kontakt hatte, kann ich mir nur mit Hilfe anonymer Typen vorstellen. Also lässt sich sagen, dass abhängig davon, wie direkt oder indirekt ich meinen Mitmenschen erfahre, ich die Chance habe, bestehende Typisierungen zu korrigieren, bzw. mein Bild von ihm weiter auszubauen. Folglich entscheidet die Direktheit bzw. Indirektheit über die Anonymität von Typisierungen.
Sie ist jedoch nicht der einzige Faktor. Auch Interesse und Intimität nehmen Einfluss auf die Anonymität einer Typisierung. „Ich sehe den Zeitungsverkäufer an der Ecke ebenso oft wie meine Frau. Aber er bedeutet weniger für mich. Ich stehe nicht auf vertrautem Fuß mit ihm. Er kann relativ anonym für mich bleiben“ (dies. 2007, S. 35). In diesem Fall besteht entweder keine Interesse an dem Zeitungsverkäufer oder zwischen den beiden herrscht nicht die nötige Vertrautheit oder aber beides wirkt zusammen. So bleibt er, trotz häufiger Kontakte, dennoch eine relativ anonyme Type (ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Die gesellschaftliche Wirklichkeit der Alltagswelt wird also als ein kohärentes und dynamisches Gebilde von Typisierungen wahrgenommen, welche um so (!) anonymer werden, je mehr sie sich von `Jetzt und Hier´ der Vis – á – vis – Situation entfernen. An einem Pol dieses Gebildes befinden sich diejenigen Anderen, mit denen ich häufige und enge Kontakte pflege, mein `innerer Kreis´ sozusagen. Am anderen Pol stehen höchst anonyme `Abstraktionen´, die ihrem Wesen nach niemals für Vis – á – vis – Situationen erreichbar sind“ (dies. 2007, S. 36).
2.3. Die Rolle von Sprache und Wissen innerhalb der alltäglichen Wirklichkeit
Im folgenden Abschnitt möchte ich zwei Aspekte der Theorie von Berger und Luckmann, die vorhin bereits kurz erwähnt wurden, weiter ausführen. Dies sind die Sprache und das Wissen.
Laut den Autoren ist es unumgänglich, das Phänomen der Sprache zu berücksichtigen, um die „Wirklichkeit der Alltagswelt“ zu verstehen (Berger/Luckmann 2007, S. 39). Denn durch diese lassen sich Objektivationen erzeugen, die auch anderen Menschen zugänglich sind und Elemente unserer gemeinsamen Wirklichkeit darstellen (dies. 2007, S. 36). „Die Wirklichkeit der Alltagswelt ist nicht nur voll von Objektivationen, sie ist vielmehr nur wegen dieser Objektivationen wirklich“ (dies. 2007, S. 37). Objektivation bedeutet „Vergegenständlichung“ und meint eine Darstellung, die vom rein Subjektiven abgelöst ist (Duden. Das Fremdwörterbuch. 2007)). Wenn ich also zornig bin, ist das mein subjektives Empfinden in diesem bestimmten Moment. Diesen Zorn kann ich objektivieren, indem ich ihn sprachlich zum Ausdruck bringe. Ich kann mich dazu aber auch anderer Zeichensysteme bedienen. So kann z.B. eine geballte Faust als Ausdruck des Zorns verstanden werden. Auch bin ich in der Lage, meinen Zorn durch das Symbol einer Waffe oder einen Tanz zu objektivieren (dies. 2007, S. 37 ff.).
„Aber die enorme Vielfalt und Kompliziertheit der Sprache macht sie von der Vis – á – vis – Situation leichter ablösbar als jedes andere – beispielsweise ein Gesten – System“ (dies. 2007, S. 39). Im Zuge dieser Vergegenständlichung durch die Sprache lassen sich also Sachverhalte „[…] vom unmittelbaren `Hier und Jetzt´ isolierter subjektiver Befindlichkeit [ablösen] […]“ (ebd.). Das heißt ich kann mittels der Sprache auch auf etwas, das nicht gerade im aktuellen Moment gegeben ist zugreifen, da es mir in Form einer sprachlichen Objektivation zugänglich ist. Also wenn ich beispielsweise von meinem zornigen Nachbarn erzähle, muss jener in diesem Moment weder zornig, noch überhaupt anwesend sein. Ich bediene mich an Objektivationen, die auch allen anderen der alltäglichen Wirklichkeit zugängliche sind. Somit ermöglichen Objektivationen die Greifbarkeit von Sachverhalten über den Moment hinaus (Berger/Luckmann 2007, S. 37).
Doch indem ich meine Erfahrungen versprachliche, werden diese typisiert. Gleichzeitig geht ein gewisser Teil an Persönlichkeit verloren, da die Sprache mich zwingt, meine Erfahrungen in bereits bestehende Kategorien einzuordnen und ich mich somit nur mit Hilfe bestehender Typisierungen ausdrücken kann (dies. 2007, S. 41). „Sprache zwingt mich in ihre vorgeprägten Muster“ (dies. 2007, S. 40). Dies ist jedoch notwendig, da nur so die Möglichkeit besteht, „[…] Sinn, Bedeutung, Meinung zu vermitteln, die nicht direkter Ausdruck des Subjekts `hier und jetzt´ sind“ (dies. 2007, S. 39). Somit besitzt Sprache auch die Fähigkeit, Wissen zu vermitteln und dieses sprachlich objektivierte Wissen wird über die Generationen hinweg weitergegeben (dies. 2007, S. 43).
Folgende Definition geben Berger und Luckmann über Wissen: „`Wissen´ definieren wir als die Gewißheit (!), daß (!) Phänomene wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben“ (Berger/Luckmann 2007, S 1). Speziell beschäftigen sie sich jedoch mit dem Wissen des alltagsweltlichen „Normalverbrauchers“. Laut ihnen gibt es einen allgemeinen Wissensvorrat an gesellschaftlichem Alltagswissen, bei dem ich mir sicher sein kann, dass ich diesen zu einem gewissen Teil mit allen anderen teile.
Zu diesem Wissensvorrat gehört auch, dass ich mich selbst innerhalb der Gesellschaft verorten kann, ebenso wie diejenigen, die dieses Alltagswissen mit mir teilen, mich einer bestimmten Position zuordnen können. Ich kenne also meine Position in der Gesellschaft ebenso, wie meine Mitmenschen sie kennen, was wiederum Auswirkungen darauf hat, wie mit mir umgegangen wird (dies. 2007, S. 43). „Der gesellschaftliche Wissensvorrat ermöglicht somit die `Ortsbestimmung´ des Individuums in der Gesellschaft und seine entsprechende `Behandlung´“ (ebd.).
Darüber hinaus sprechen die Autoren dem „Rezeptwissen“ eine wichtige Stellung zu. Demnach ist der Mensch darauf ausgerichtet, stets nach einem bestimmten Zweck zu handeln und dies tut er bevorzugt nach „Rezeptwissen“. Dies ist eine relativ oberflächliche Form von Wissen, die „nur auf das gerichtet [ist], was ich für praktische Zwecke heute und morgen wissen muß (!)“ (dies. 2007, S. 44). Bei einem großen Teil des Alltagswissens verhält es sich dabei so und solange dieses „Rezeptwissen“ funktioniert, besteht wenig Interesse daran, sich Wissen anzueignen, welches darüber hinausgeht. „So und ähnlich besteht ein großer Teil des gesellschaftlichen Wissensvorrats aus Rezepten zur Lösung von Routineproblemen. Solange ich Probleme mit ihrer Hilfe noch bewältigen kann, habe ich meistens kaum Interesse, über pragmatisches Wissen hinauszugehen“ (ebd.).
2.4. Waum erscheint die Wirklichkeit gegeben, obwohl sie gemacht ist?
Um nun auf die zentrale Frage der Theorie nach Berger und Luckmann zurückzukommen, nämlich „[…] Wie ist es möglich, daß (!) menschliches Handeln […] eine Welt von Sachen hervorbringt“, welche uns als „objektive[r] Faktizität“ begegnen (dies. 2007, S. 20), möchte ich zunächst auf das Menschenbild der Autoren eingehen. Ihrer Ansicht nach ist der Mensch von Natur aus ein Wesen, das mit einem äußerst eingeschränkten Instinktapparat ausgestattet ist. Es ist daher im Vergleich zum Tier sehr frei in seiner Entwicklung. Denn während „[…] alle nichtmenschlichen Lebewesen in geschlossenen Welten [leben], deren Strukturen durch die biologische Ausrüstung jeder Spezies im voraus (!) bestimmt sind“, „ist die Umweltbeziehung des Menschen durch `Weltoffenheit´ charakterisiert“ (dies. 2007, S. 50). Nun ist der Mensch innerhalb seines ersten Lebensjahres biologisch noch nicht ausgereift und daher verhältnismäßig stark auf seine Umwelt angewiesen. „Wichtige organismische Vorgänge, welche beim Tier im Mutterleib abgeschlossen werden, finden beim Menschen erst nach seiner Trennung von der mütterlichen Hülle statt“ (dies. 2007, S. 50). Also steht der Mensch schon sehr früh in seiner Entwicklung in Beziehung zu seiner Umwelt. Diese besteht jedoch nicht nur aus der natürlichen Umwelt, sondern auch aus der bereits konstruierten gesellschaftlichen Wirklichkeit. „Vom Augenblick seiner Geburt an ist die organische Entwicklung des Menschen, ja, weitgehend seine biologische Existenz überhaupt, dauernd auch dem Eingriff gesellschaftlich bedingter Faktoren ausgesetzt“ (dies. 2007, S. 51). Wir werden aber von unserer Umwelt geprägt und produzieren diese gleichzeitig auch selbst, denn „[d]ie eingeborene Instabilität seines Organismus zwingt den Menschen dazu, sich eine stabile Umwelt zu schaffen, um leben zu können“ (Berger/Luckmann 2007, S. 56). Dies geschieht jedoch nicht durch einen einzelnen Menschen, sondern in Form eines gemeinschaftlichen Aktes. Denn ohne die Gemeinschaft Anderer könnte sich eine einzelne Person weder zum Menschen entwickeln, noch wäre sie in der Lage, eine menschliche Umwelt zu gestalten (dies. 2007, S. 54).
[...]
[1] siehe Buchtitel: „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie“
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