Das vorliegende Referat zur literarischen Epoche des Naturalismus behandelt folgende Aspekte:
- Stoffgeschichte/ Historische Hintergründe
- Form des Dramas, Handlungsaufbau: traditionell geschlossen vs. offen
- Techniken der Episierung (Text von Peter Szondi)
- Zur Deutung des (problematischen?) Schlusses
Inhalt
Zur Entstehung des Stücks „Die Weber“
Historische Hintergründe
Die Not der Weber in Schlesien
Stoffgeschichte
Klassisches oder modernes Drama – zur Struktur der „Weber“
Aufbau und Struktur der „Weber
Handlungsaufbau und Komposition
Personen
Sprache
Raum
Zeit
Techniken der Episierung
Diskussionsaspekt I: Epische Elemente in Hauptmanns Drama „Die Weber“
Diskussionspunkt II
Kritik an Szondi
Zur Interpretation des problematischen Schlusses und zur Rezeption des Stücks
Sozialkritische Deutung des Schlusses
Peter Szondi: Der „alte Hilse“ als Notbehelf? (Siehe Text)
Zur Entstehung des Stücks „Die Weber“
„In und um Zürich blühte damals noch, und zwar seit dreihundert Jahren, die Seidenweberei. An den Stühlen saßen Handweber. An dem Hüttchen eines von ihnen ging ich mehrmals die Woche vorbei, wenn ich die Psychiatrische Klinik in der Irrenanstalt Burghölzli besuchte. Das Wuchten des Webstuhls hörte man durch die Wand dringen. Und eines sonnigen Morgens, erinnere ich mich, überfiel mich bei diesem Geräusch der Gedanke: du bist berufen, „Die Weber“ zu schreiben (…).“[1]
- Hauptmann fasst den Plan zur Abfassung der „Weber“ im Jahr 1888
- im Frühjahr 1890 begann er mit den Vorarbeiten zu den Webern, die Dialektfassung „De Waber“ wurde Ende 1891 abgeschlossen und am 20.2.1892 dem Berliner Polizeipräsidenten zur Aufführungsgenehmigung vorgelegt
- am 3. März wurde dann die öffentliche Aufführung verboten; auch ein weiterer Versuch, die „Weber“ genehmigen zu lassen, scheiterte
- Begründung: Das Stück würde zu Klassenhass aufreizen (unter anderem durch die Deklamation des Weberliedes und die Schilderung des Aufstandes); Propaganda für sozialdemokratische Lehren über die Ausbeutung des Arbeiters
- erst am 26.2.1893 wurde das Stück durch den Verein „Freie Bühne“ im Neuen Theater in Berlin uraufgeführt
Hauptmann lehnt sein Drama an historische Vorfälle an, die sich etwa 50 Jahre vor Entstehung des Stücks ereignet hatten
Historische Hintergründe
- Um die zeitgeschichtlichen Bedingungen des Stücks zu verstehen, muss die wirtschaftliche und politische Situation im Vormärz berücksichtigt werden
- Der Weber-Aufstand, der seinem Drama als Gegenstand dient, begann am 4. Juni 1844 am Fuße des schlesischen Eulengebirges, in den Orten Kaschbach, Langenbielau und Peterswaldau
- Die von ihren Arbeitgebern ausgebeuteten Weber bäumten sich gegen die ansässigen Fabrikbesitzer auf, der Aufstand wurde mit massiver militärischer Gewalt niedergeschlagen (dazu gleich mehr!)
Die Not der Weber in Schlesien
- Blütezeit der Weberei war gegen Ende der Regierungszeit Friedrichs des Großen (Export schlesischer Leinenwaren nach Übersee und Europa)
- Doch davon profitierten die Weber recht selten, 1793 kam es zu einem ersten Aufstand der Weber in Liebau, Landshut und anderen Orten; ideologisch-revolutionärer Charakter dieses Aufstands (Vorbild Französische Revolution), ganz im Gegensatz zu dem Aufstand von 1844
- Dieser frühe Aufstand wurde interessanterweise nicht in der Literatur verarbeitet
- 41 Jahre lang blieb es ruhig im Webergebiet, obwohl die soziale Not immer größer wurde
- Gründe hierfür waren:
- Kontinentalsperre (1806); Napoleon boykottiert den Handel mit England; Verringerung der Absatzmöglichkeiten
- Emanzipation der spanischen Kolonien in Südamerika (1810-1826), Verringerung der Marktmöglichkeiten durch Beschränkung der Außenmärkte
- Grenzsperre Russlands gegen Preußen
- Auswirkungen der Gewerbefreiheit, die 1810 eingeführt wurde: man konnte sich als Leinwandkaufmann oder Bleicher niederlassen, ohne aus diesem Stand zu stammen
- Man versuchte, die schlesische Leinweberei den neuen Verhältnissen anzupassen
- Spinnereischulen wurden gegründet, erste Spinnmaschinen wurden angeschafft, aber von den Weber nicht angenommen (auch im Drama kommt dies zum Ausdruck, wenn die Weber die mechanischen Webstühle aus der Welt schaffen wollen); sie blieben immer weiter hinter der Konkurrenz durch die expandierende ausländische Leinen-Industrie zurück (vor allem die industriell gut ausgerüstete englische Weberei und Spinnerei)
- die herrschenden Wirtschaftstheorien erlaubten keine schutzzöllnerischen Maßnahmen, besonders das wirtschaftsstarke Preußen widersetzte sich dem Einführen von Schutzzöllen, die die süddeutschen Länder zugunsten der Leinenweberei vorschlugen
- die Krise spitzte sich zu, es kam zu dem Aufstand, über dem am 4. Juni 1844 in der „Allgemeinen Zeitung“ (von Augsburg) zu lesen war:
„Aus Schlesien, 4.Jun. So eben hat ein Haufen Weber aus Peterswaldau (…) die Gebäude und Vorräthe des Fabricanten Zwanziger niedergerissen und zerstört. Die Familie des Zwanziger ist auf das Schloss des Grafen Stolberg geflüchtet. Das angemessene Einschreiten der Prediger Schneider und Knüttel hat vorläufig weiteren Unfug gehemmt, wozu Geldaustheilung des Fabricanten Wagenknecht, der sein Haus nur durch diese bewahrt hat, beigetragen haben mögen. Es ist Militär aus Schweidnitz verlangt, das jeden Augenblick erwartet wird.“[2]
- Auslöser dieses Angriffs auf den Fabrikanten Zwanziger war die Tatsache, dass dieser am Vortag einen der Sänger des Liedes „Das Blutgericht“ der Ortspolizei übergeben hatte
- Am nächsten Tag weitete sich der Aufstand aus, überall wurde zerstört und geplündert, die Obrigkeit reagierte darauf mit massiver Gewalt; der Aufstand wurde blutig beendet
Stoffgeschichte
- die Situation der Weber in der Zeit des Vormärz ist vielfach publizistisch und literarisch verarbeitet worden
- öffentliche Debatte über die Pflicht des Schriftstellers, gegen die restaurativen Maßnahmen Partei zu ergreifen und in seinen Werken eine fortschrittliche Tendenz zu vertreten; besonders intensiv schlägt sich dieses Engagement in der Behandlung der Aufstände und der sozialen Not der Weber nieder, am bekanntesten ist vielleicht das Gedicht „Die schlesischen Weber“ von Heinrich Heine
- Weitere Werke: „Aus dem schlesischen Gebirge“ von Ferdinand Freiligrath, „Der alte Weber“ von Hermann Püttmann, „Der Leineweber“ von Ludwig Pfau sowie der Roman „Das Buschgespenst“ von Karl May
- Auch in der bildenden Kunst: Gemälde „Die schlesischen Weber“ von C.W. Hübner als „sozialistisches Tendenzgemälde“; Bilderzyklus von Käthe Kollwitz
- auch Hauptmann hat sich intensiv mit der Geschichte der Weber auseinandergesetzt, vor allem weil er auch eine biografische Beziehung zu dem Thema hatte; sein Großvater Carl Ehrenfried Hauptmann (1793-1859) war in seiner Jugend als Weber tätig gewesen und wurde nach den Freiheitskriegen Gastwirt; Gerhart Hauptmann wuchs also mit dem Wissen um die Weber-Not auf
- siehe Widmung zur zweiten Fassung des Werkes!
- er hat detaillierte historische Studien angefertigt sowie zwei Studienreisen in das schlesische Webergebiet unternommen, wo er das Elend der Bevölkerung kennen lernte; zu diesem Zeitpunkt war die Not der Weber wieder einmal besonders akut und in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten (nach einer Missernte)
- außerdem nutzte er verschiedene Quellen
- als Quellenwerk benutzte Hauptmann die auf Dokumentation gegründete Schrift "Über die Noth der Leinenarbeiter in Schlesien und die Mittel ihr abzuhelfen" von dem Regierungsassessor Alexander Schneer, die im Juli 1844, also unmittelbar nach dem von Hauptmann dramatisierten Aufstand, erschienen war
- aus dieser Vorlage übernahm er auch Namen, z.b. die Namen Ansorge und Hornig
- außerdem orientierte sich Hauptmann an Alfred Zimmermanns "Blüthe und Verfall des Leinengewerbes in Schlesien" (1885); aus diesem Werk entnahm er auch den Text (24 Strophen) des Liedes mit dem Titel „Das Blutgericht“
- Wilhelm Wolffs "Das Elend und der Aufruhr in Schlesien" (1845), einer präzisen Analyse, die die Ereignisse des Aufstandes dokumentarisch wiedergibt, vor allem die Erstürmung des Hauses Zwanzigers wird hier sehr genau geschildert
- der reichste Fabrikant Peterwaldaus nämlich hieß Zwanziger, Hauptmann verschlüsselt den Namen und macht „Dreißiger“ daraus (genauso wie aus den Langenbielauer Unternehmern Dierig „Dittrich“)
- bei Wolff fand Hauptmann auch Einzelheiten über das blutige Ende des Weberaufstands
- vergleicht man die Darstellung des Historikers, der für sein Werk aus Akten des Staatsarchivs und anderen statistischen Ämtern schöpfen konnte, so kommt in der Darstellung der Fabrikantengruppe bei dem Sozialdramatiker Hauptmann die Gegenpartei zur Not der Weber noch ziemlich glimpflich weg
- Not der Weber erscheint bei Hauptmann eher abgedämpft als ins Krasse übertrieben; weder Klage noch Anklage, die nicht quellenmäßig bezeugt werden kann
- auch den Schluss des Dramas gestaltet Hauptmann genau nach geschichtlichen Vorgängen (Zusammenbruch der Aufstandsbewegung)
Klassisches oder modernes Drama – zur Struktur der „Weber“
Aufbau und Struktur der „Weber
- Hauptmann behält die traditionelle Fünfaktigkeit bei, wie sie Gustav Freytag 1863 in seiner Schrift „Die Technik des Dramas“ normativ beschrieb
- 1. Akt Exposition, Steigerung und erregendes Moment im 2. Akt, Höhepunkt der Wut der Weber im 3. Akt, Handlungshöhepunkt liegt allerdings erst am Ende des 4. Aktes (Weber stürmen Dreißigers Haus), damit setzt die fallende Handlung ein (Handeln der Gegenseite); retardierendes Moment gibt es nicht (nirgendwo kann man Bemühungen erkennen, den Lauf der Dinge aufzuhalten); im 5. Akt angedeutete Katastrophe
- Bereits die ersten Rezensenten haben allerdings auf die Besonderheiten des Dramas hingewiesen, so bemerkt beispielsweise Wilhelm Bölsche die „technischen Merkwürdigkeiten“ der Weber[3] und vor allem Peter Szondi kritisiert die epischen Tendenzen des Dramas (dazu später mehr)
- Versuch, Merkmale des offenen und geschlossenen Dramas in Hauptmanns Stück festzustellen (Grundlage: Schaubild nach Volker Klotz)
[...]
[1] Hauptmann, Gerhart: Sämtliche Werke. Centenar-Ausgabe zum hundersten Geburtstag des Dichters. Hg. von Hans-Egon Hass. Fortgeführt von Martin Machatzke. Berlin; Frankfurt am Main; Wien 1962. Bd. 7. S.1078.
[2] Schwab-Felisch. S.118.
[3] Bölsche, Wilhelm: Gerhart Hauptmanns Webertragödie. In: Freie Bühne 3 (1892). S.185. Zitiert nach Hildebrandt, Klaus. S.38.
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- Rebecca Weber (Author), 2007, Die Epoche des Naturalismus. Gerhart Hauptmanns "Die Weber", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317576
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