Zusammenfassung: Diese Arbeit bietet einen Überblick über die handelspolitischen Instrumente, die die Europäische Union gegenüber Entwicklungsländern einräumt. In unterschiedlichen Programmen gewährt die EU wie auch andere Industrienationen den Volkswirtschaften der Dritten Welt Zollpräferenzen und andere Handelserleichterungen. Nachdem kurz die historische Entwicklung der wesentlichen Präferenzschemata dargestellt wurde, geht der Autor auf die aktuelle Ausgestaltung der Handelsvorteile ein. Besonderes Gewicht liegt auf der Darstellung des Allgemeinen Präferenzsystems sowie der Kooperation der Gemeinschaft mit den AKP-Staaten im Rahmend er Verträge von Lomé. Im Anschluss an diese Beschreibung des Ist-Zustandes wird analysiert werden, inwiefern die einzelnen Programme aus Sicht der Entwicklungsländer effektiv sind. Dabei werden sowohl ökonomische Argumente wie auch empirische Ergebnisse vorgetragen. Sie alle nähren Zweifel an der Wirksamkeit der Maßnahmen. Die Arbeit bildet den Abschluss des volkswirtschaftlichen Studiums des Autors und entstand von Dezember 2001 bis April 2002. Die Bewertung steht zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch aus.
Abstract
This Paper provides an overview upon instruments of trade policy used by the European Union to benefit developing countries. Within different programs the Community – alike other industrial countries – offers tariff preferences as well as other trade commitments to the nations of the Third World. Having presented the historical progress of the main schemes in brief, the author describes the current situation of preferential treatment. Special highlights will be set on the Generalized System of preferences ant the EU-ACP cooperation within the process of Lomé-Conventions. Following this description of status quo, the effectiveness of the respective schemes will be analyzed from the LDCs point of view. Thereby economic arguments as well as empirical evidence are drawn. All of this leads to at least some strong doubts on the effectiveness of the respective preferences. The paper was written from December of 2001 until April of 2002 and finishes the economic studies of the author. By now the results are not available.
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINFÜHRUNG
1.1 AUßENHANDEL IN DER ENTWICKLUNGSPOLITIK
1.2 ZOLLPRÄFERENZEN
2. PRÄFERENZPROGRAMME DER EUROPÄISCHEN UNION
2.1 GESCHICHTE UND ENTWICKLUNG
2.2 DIE AKTUELLEN PRÄFERENZSYSTEME: GSP, LOMÉ UND MITTELMEERABKOMMEN
2.2.1 DAS GSP DER EUROPÄISCHEN UNION
2.2.2 DIE ABKOMMEN VON LOMÉ UND COTONOU
2.2.3 DIE KOOPERATION IM MITTELMEERRAUM
3. WIRKSAMKEITSANALYSE
3.1 THEORETISCHE R ECHTFERTIGUNG
3.2 KRITIK UND ANALYSE
3.2.1 GRUNDSÄTZLICHE EINWÄNDE
3.2.2 UNTERSUCHUNG DES GSP DER EUROPÄISCHEN UNION
3.2.3 DIE LOMÉ-PRÄFERENZEN AUF DEM PRÜFSTAND
3.2.4 ANMERKUNGEN ZUR MITTELMEERPOLITIK DER EU
3.3 PRÄFERENZEROSION DURCH NEUERE LIBERALISIERUNG?
4. ERGEBNISSE UND SCHLUßFOLGERUNGEN
ANHANG
LITERATURVERZEICHNIS
1. Einführung
1.1 Außenhandel in der Entwicklungspolitik
So unterschiedlich wie die Strukturen von Entwicklungsländern sind oft auch die Strategien, mit denen der Entwicklungsrückstand aufgeholt werden soll. Die ökonomischen Grundprobleme sind dabei jedoch häufig dieselben. Donges (1981) formuliert deshalb vier Hauptziele der Entwicklungspolitik:
- Ein angemessenes und möglichst stetiges gesamtwirtschaftliches Wachstum
- Ein hinreichendes Angebot an produktiven Arbeitskräften
- Ein Branchengefüge, das die vorhandenen Ressourcen effizient einsetzt, sowie
- Start- und Einkommensgerechtigkeit in personeller wie in räumlicher Hinsicht.
Was der Außenhandel dazu beiträgt, ist politisch umstritten. Gerade in jüngster Zeit erhalten Gruppen vermehrt Zulauf, die in der Globalisierung eher Übel denn Nutzen für die ärmsten Länder sehen. Nach deren Argumentation, so führt Donges (1981) aus, sei die Weltwirtschaft „ein hierarchisches System, in dem die Industrieländer bestimmen, was wo produziert wird, wer in welchem Umfang Zugang zu den internationalen Güter- und Faktormärkten hat und wie technisches Wissen verbreitet wird.“1 Daraus ergebe sich ein Abhängigkeitsverhältnis zum Nachteil der Entwicklungsländer. Folglich ist in den Augen der Verfechter dieser „Abkopplungsthese“ eine Entwicklung, die durch die Binnennachfrage gestützt ist, zu bevorzugen. Dadurch kann nachhaltiges Wachstum erzeugt werden, ohne Bodenschätze auszubeuten und sich von den reichen Ländern des Westens abhängig zu machen.
Demgegenüber argumentieren (speziell neoklassiche) Ökonomen, dass in Gestalt von Spezialisierungs- und Handelsgewinnen jedes am freien Güterverkehr teilnehmende Land profitiert.2 Die internationale Arbeitsteilung führt die Inputfaktoren ihrer effizientesten Verwendung zu und maximiert dadurch den weltweiten Output. Auch Entwicklungsländer können davon profitieren, indem sie sich auf ihre komparativen Vorteile besinnen.
Hinzu kommt, dass in Entwicklungsländern häufig der heimische Binnenmarkt so klein ist, dass eine Entwicklung nach der Abkopplungsthese zumindest wesentlich längere Zeit in Anspruch nehmen würde, als die Teilnahme an der internationalen Arbeitsteilung. Durch die Integration in den Weltmarkt öffnen sich den Produzenten in Entwicklungsländern nämlich sofort große Absatzmärkte für ihre Produkte. Dadurch wird das gesamtwirtschaftliche Produktions-potenzial tendenziell effizienter genutzt und stärker ausgebaut.
1.2 Zollpräferenzen
In der entwicklungspolitischen Diskussion spielt daher die Öffnung der Märkte eine wichtige Rolle. Neben der allgemeinen Handelsliberalisierung im Rahmen des GATT begannen einige Industrieländer ab Ende der 60er Jahre damit, Entwicklungsländern einseitige Zollvergünstigungen einzuräumen. Dadurch sollten ihnen gegenüber weiter entwickelten Handelspartnern Vorzüge eingeräumt und größere Absatzmärkte geschaffen werden. Dies war nötig, weil trotz der einhelligen Begrüßung liberaler Handelsregime allgemein Protektion weiterhin vorherrschte. Dennoch fühlte man sich gerade in Europa den ehemaligen Kolonien gegenüber in der Pflicht.
Allerdings widersprachen diese Zollpräferenz-Regelungen dem GATT in zwei wesentlichen Punkten. Erstens baute das GATT als multilateraler Vertrag auf Gegenseitigkeit von Zollerleichterungen, und zweitens waren spezifische Zollpräferenzen nicht im Einklang mit dem Meistbegünstigungsprinzip. Danach muss jede Zollreduktion, die einem Unterzeichnerstaat eingeräumt wird, auch allen anderen Ländern gewährt werden.
Im Jahr 1965 schließlich wurde dem GATT ein neuer Teil IV hinzugefügt, der den Verzicht auf Gegenseitigkeit für Entwicklungsländer beinhaltete. Wie Wendt weiter ausführt, wurde Anfang der 70er Jahre eine Ausnahmeregelung („Waiver“) für zunächst 10 Jahre beschlossen, nach der Industrieländer nun offiziell Entwicklungsländern Zollpräfe renzen einräumen durften. Da bis Ende der 70er Jahre nahezu alle Industrieländer sogenannte Allgemeine Präferenzsysteme (engl.: Generalized System of Preferences, GSP) für Entwicklungsländer eingeführt hatten, wurden diese in der GATT-Runde von Tokyo 1979 in das Vertragswerk aufgenommen.
Seit mittlerweile über 30 Jahren sind Zollpräferenzen ein wichtiges Instrument der Entwicklungspolitik. In der Zwischenzeit sind sie immer weiter verfeinert worden. Auch das allgemeine Handelsumfeld hat sich derweil stark verändert. In immer neuen Welthandelsrunden wurden Handelsbarrieren abgebaut, Zölle gesenkt und Importquoten gestrichen. Das hat dazu geführt, dass das Volumen des weltweiten Warenaustauschs heute (Stand 2000) rund 22mal so groß ist wie 19503.
Diese Veränderungen haben auch die Entwicklungsländer tangiert. In einer Studie4 stellt UNCTAD fest, dass der Anteil der 49 am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries; LDCs) am Welthandel im Laufe der 90er Jahre auf heute weniger als ein halbes Prozent gesunken ist. Angesichts dieser Entwicklung scheint es angebracht, die Effektivität von Zollpräferenzen neu zu bewerten.
Im Jahr 1999 gingen 37 Prozent der Exporte der LDCs an die Europäische Union5. Sie ist damit vor den USA (27%), Japan (3%) und Kanada (1%) der wichtigste Abnehmer für Produkte aus Entwicklungsländern. Zudem kommt die UNCTAD-Studie zu dem Ergebnis, dass die Handelssituation von LDCs in der EU6 am vorteilhaftesten ist. Aber auch die vergleichsweise großzügigen Regelungen der Gemeinschaft stehen vielfach in der Kritik.
Deshalb stehen die verschiedenen Zollpräferenz- Regelungen der EU im Blickpunkt dieser Arbeit. Der Autor wird zunächst kurz auf die geschichtlichen Hintergründe und die zeitliche Entwicklung der einzelnen Vorzugsinstrumente eingehen. Im Anschluss daran wird der aktuelle Stand der Regelungen skizziert werden.
Den Hauptteil der Arbeit nimmt die Wirksamkeitsanalyse ein. Vorweg wird dafür der theoretische Rahmen kurz dargestellt werden, der die hohen Erwartungen begründet hat, die man mit Zollpräferenzen verband. Daraufhin werden die diversen Programme beispielhaft einer kritischen Analyse unterzogen. Hierbei wird dann auch detailliert auf einzelne Regelungen eingegangen, die die Effektivität behindern.
Am Ende der Arbeit werden wir feststellen, ob Entwicklungsländer tatsächlich profitieren, oder ob die eingeräumten Vorteile eher marginale Effekte haben. Dabei soll auch Gelegenheit sein, auch die Auswirkungen der jüngsten handelspolitischen Entwicklungen zu berücksichtigen.
2. Präferenzprogramme der Europäischen Union
2.1 Geschichte und Entwicklung
Die Länder der Europäischen Union gehörten mit zu den ersten Industrieländern, die überhaupt enge Beziehungen mit Entwicklungsländern aufnahmen. Bereits mit dem EWG- Vertrag hat die damalige Sechser-Gemeinschaft7 1957 die ehemaligen Kolonien und Hoheitsgebiete einseitig assoziiert. Dieses Vorgehen wurde stark auf französisches Drängen hin betrieben. Der Anekdote nach soll Bundeskanzler Adenauer sogar eine pauschale Abschlagszahlung angeboten haben, um die Übernahme von Kolonial-Lasten durch die Gemeinschaft abzuwenden8.
Im Jahre 1964 schlossen die EWG-6 mit den Assoziierten Afrikanischen Staaten und Madagaskar (AASM-Gruppe) den (ersten) Vertrag von Jaunde. Darin wurde die schrittweise Einführung einer Freihandelszone vereinbart. Außerdem sagten die Europäer den assoziierten Staaten Förderung bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu. Die einzelnen Vertragsparteien behielten sich jedoch umfangreiche Schutzklauseln vor. Im Jahre 1970 trat dann auch das Abkommen von Arusha in Kraft, das die EWG mit der Ostafrikanischen Gemeinschaft aus Kenia, Tansania und Uganda geschlossen hatte. Auch in ihm wurde gegenseitige Handelsförderung sowie die Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder der ostafrikanischen Gemeinschaft vereinbart. Um den Interessen der AASM gerecht zu werden, waren Importe von nicht geröstetem Kaffee, Gewürznelken und Ananaskonserven aus den drei Ländern kontingentiert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Fig.2.1: Die Länder der Lomé-Vorgängerabkommen
Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg unternahm auch Großbritannien verstärkte Bemühungen, die Beziehungen zu seinen ehemaligen Kolonien zu intensivieren. Mit dem Commonwealth9 wurde ein loses Staatenbündnis ohne vertragliche Grundlagen gegründet, das nur auf gemeinsamen historischen Beziehungen und gemeinsamen Interessen beruht. Die Mitglieder des Commonwealth hatten seitdem bevorzugten Zugang zum britischen Markt.
Mit dem ersten Abkommen von Lomé von 1976 wurden diese verschiedenen Vereinbarungen vereinheitlicht. Unterzeicherstaaten waren die mittlerweile neun EWGStaaten sowie 46 Länder in Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum (seitdem als AKPLänder bekannt; Siehe Fig.1). Das Vertragswerk bekam eine Laufzeit von fünf Jahren. Ihm folgte das Lomé-II-Abkommen, das nur wenige Neuerungen brachte. Nach einer weiteren Fünfjahres- Laufzeit schlossen die Partein dann auch das dritte Abkommen.
Das Lomé-IV-Abkommen, das 2000 auslief, betraf bereits 71 Länder aus dieser Region. Für die AKP-Region insgesamt ist die EU der bei weitem wichtigste Handelspartner geworden, wie Tabelle I verdeutlicht.
Tabelle I : Außenhandelsanteile nach AKP-Regionen 1990-1992*)
Quelle: Kappel (1996), Tabelle I *) in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Neuerung, die das Lomé-Konzept brachte, war die einseitige Zollfreiheit, die durch die EWG gewährt wurde, gegenüber einer regionalen Gruppe von Entwicklungsländern. Außerdem ging die EWG eine Abnahmeverpflichtung (und gingen die AKP-Länder eine Lieferverpflichtung) für 1,2 Mio. Tonnen Weißzucker pro Jahr zu den EWG-Erzeugerpreisen ein. Außerdem wurden Systeme zur Exporterlös-stabilisierung ins Leben gerufen. Dafür stellten die Europäer schon zu Beginn rund 375 Mio. ECU zur Verfügung.10
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Fig.2.2: Beitritte zu den Lomé-Abkommen
Im Laufe des 25jährigen Bestehens der Abkommen von Lomé hat sich das weltwirtschaftliche Umfeld stark gewandelt. Die AKP-Gruppe war inzwischen auf 71 Staaten angewachsen (vgl. Fig.2). Daher wurde bereits in das vierte Abkommen die Verpflichtung zur Überprüfung und Anpassung des Präferenzsystems aufgenommen. Das Nachfolgeabkommen wurde im Jahr 2000 in Cotonou unterzeichnet und knüpft - mit einigen Veränderungen, auf die später eingegangen werden soll - am Erfolg der Lomé-Kooperation an.
Neben diesen speziellen, länderspezifischen Zollvergünstigungen räumt die Europäische Gemeinschaft seit 1971 auch allgemeine Präferenzen für Entwicklungsländer ein. Deren Einführung ging eine lange Diskussion im Rahmen des GATT voraus. Bereits 1958 konstatierte der so genannte „Haberler-Bericht“11, dass die Exporte von Entwicklungsländern hinter der Dynamik des allgemeinen Welthandels zurückblieben. Die Studie führte dies auf die Protektionspolitiken der Industrieländer zurück.
Wie Langhammer/Sapir (1987) berichten, antwortete man beim GATT mit der Einsetzung einer Kommission, welche die Zusammenhänge genauer untersuchen sollte. Deren Ergebnis12 :
(a) Nur wenige der bis dato erreichten Zollreduktionen im Rahmen des GATT betrafen die Exportprodukte von Entwicklungsländern.
(b) Die Zölle auf verarbeitete Produkte, die für Entwicklungsländer von Bedeutung sind, waren im Allgemeinen höher als solche für Industrieländerprodukte.
(c) Zölle in Industrieländern diskriminierten zwischen Entwicklungsländern unter- schiedlicher regionaler Zugehörigkeit (bspw. Commonwealth).
(d) Die Zollstruktur der Industrieländer verhinderte die Entwicklung von verarbeitender Industrie in Entwicklungsländern.
(e) Quantitative Handelsbarrieren seien hinsichtlich Höhe wie Struktur mindestens ebenso schädlich wie Zölle.
(f) Vielerlei andere Maßnahmen innerhalb der Industrieländer belasteten zudem die Entwicklungsländer-Exporte (z.B. interne Steuern)
Außerdem wuchs zwischenzeitlich der politische Druck aus den Entwicklungsländern, teils wegen der neu gewonnenen Unabhängigkeit, teils wegen dem allgemeinen Drang nach einer Wirtschaftsentwicklung, welche die armen Nationen einbeziehen sollte. Die Interessen der Entwicklungsländer seien bei der Kennedy-Runde der GATT-Verhandlungen (1964-67) wegen deren schwacher Verhandlungsposition nicht ausreichend berücksichtigt worden, so der Vorwurf. Ergebnis der Kennedy-Runde war zwar die Verabschiedung des neuen Abschnitts IV des GATT. Dieser jedoch enthielt kaum bindende Regeln, die die Situation der Entwicklungsländer entschärft hätten. Die Entwicklungsländer argumentierten, dass die Gleichbehandlung von ungleichen Partnern kein gerechtes Abkommen konstituieren könne.
Die Unfähigkeit des GATT-Verhandlungsrahmens, die anliegenden Fragen zu behandeln, führte zur Suche nach einem neuen Forum. 1964 trat zum ersten Mal in Genf die United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) zusammen. Deren erster Generalsekretär wurde der argentinische Ökonom Prebisch. Seine Begründung von Zollpräferenzen basierte auf dem Infant-Industry-Argument und Skaleneffekten, die in Entwicklungsländern wirksam würden.13
Nachdem 1967 auch die USA ihre Ablehnung aufgaben, konnte das Prinzip einseitiger Präferenzen zugunsten von Entwicklungsländern bei der zweiten Sitzung der UNCTAD 1968 verabschiedet werden. Der weltweiten Umsetzung der Allgemeinen Präferenzsysteme stand nun noch das Meistbegünstigungsprinzip des GATT im Wege. Bereits 1966 erhielt Australien eine Ausnahmegenehmigung für sein GSP vom GATT. Auf dieser Basis wurde dann ein allgemeiner Waiver beschlossen. Langhammer (1983) führt dazu weiter aus: „Die Unver- einbarkeit des GSP mit dem Nichtdiskriminierungsgebot des GATT überbrückten die Industriestaaten mit einer zeitlich begrenzten Ausnahmeregel (waiver), die 1979 im Rahmen der Tokyo-Runde in eine endgültige Ausnahmeregel umgewandelt wurde.“14 Seitdem erlaubt das GATT den Vertragspartnern, abweichend vom Meistbegünstigungsprinzip für Entwicklungsländer niedrigere Zölle einzuführen und somit andere Industrienationen zu diskriminieren.
Im Jahre 2001 trat die „Everything But Arms“-Initiative der EU-Kommission in Kraft. Darin werden quantitative Beschränkungen aus dem GSP gestrichen. Da das allerdings einen Verstoß gegen das IV. Abkommen von Lomé bedeutete, das Diskriminierung zwischen den einzelnen AKP-Staaten ausschließt15, wurde dieser Artikel bei den Neuverhandlungen zum Nachfo lgeabkommen von Cotonou eliminiert.
Relativ jung im Verhältnis zu den beschriebenen Präferenzrahmen GSP und Lomé ist die Mittelmeer-Kooperation der EU. Erst Im Jahre 1995 wurden die früher bilateralen Übereinkünfte der Union mit den Maghreb-Staaten (Algerien, Marokko und Tunesien), den Maschrik-Staaten (Ägypten, Jordanien, Libyen und Syrien) sowie mit Israel auf eine einheitliche Ebene gestellt. In diesem Jahr fand in Barcelona die erste Mittelmeerkonferenz der EU statt, zu der sämtliche (auch die bisher noch nicht begünstigten Mittelmeer-Anrainer) eingeladen waren. Ziel dieser Konferenz war die Liberalisierung des Handels rund um das Mittelmeer. Dabei verzichtete die Gemeinschaft zunächst auf Gegenseitigkeit, die erst mittelfristig umgesetzt werden soll. Nach Angaben der EU-Kommission (2002) soll bis zum Jahr 2010 die Freihandelszone realisiert werden. Produkte aus den beteiligten Ländern bekamen freien Zugang zum Gemeinschaftsmarkt. Darüber hinausgehende Entwicklungshilfe wird allerdings im Gegensatz zum Lomé-System nur in traditionellen Programmen und Projekten wie Berufsausbildung oder ländliche Entwicklung geleistet.
Ohne größere handelspolitische Relevanz ist die Entwicklungszusammenarbeit der EU mit den Ländern Asiens und Lateinamerikas. Sie sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Seitens der EU wird seit 1976 ein Programm der finanziellen und technischen Hilfe durchgeführt. Eventuelle besondere Handelsbeziehungen sind in bilateralen Verträgen - etwa mit Indien (seit 1981), Brasilien (1982) oder China (1985) - geregelt. Auf politische Ebene ist die EU auch ein wichtiger Partner der ASEAN. Aber auch mit diesem Bündnis gibt es keine speziellen Handelsabkommen.
2.2 Die aktuellen Präferenzsysteme: GSP, Lomé und Mittelmeerabkommen
Oft wird im Zusammenhang mit den Zollkonzessionen der EU für Entwicklungsländer von einer Präferenzhierarchie zwischen den beschriebenen Präferenzprogrammen gesprochen. Dies ist insofern gerechtfertigt, als die drei unterschiedlichen Systeme ein unterschiedlich enges Verhältnis zwischen der EU und den Partnerländern implizieren. Dabei wird das GSP der EU als schwächstes Glied gesehen. Die speziellen Beziehungen zu den AKP-Staaten werden als zweites genannt, während die beabsichtigte Einführung einer Freihandelszone die Mittelmeerländer als engste Partner der EU auszuzeichnen scheint. Daher wird der Autor bei der detaillierten Vorstellung der einzelnen Vorzugsprogramme diese Reihenfolge beibehalten, wenngleich die Mittelmeerpolitik der EU weniger im Zentrum dieser Arbeit steht.
2.2.1 Das GSP der Europäischen Union
Im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems räumt die EU Entwicklungsländern generell Zollpräferenzen ein. Begünstigt werden die Entwicklungsländer der so genannten „Gruppe der 77“16 mit wenigen Ausnahmen und Erweiterungen. Wenngleich diese allgemeinen Zugeständnisse seit der erstmaligen Gewährung für das Jahr 1971 mehrfach angepasst wurden, sind die Grundprinzipien dieselben geblieben. Sie beinhalten unbeschränkten Marktzugang für die meisten Halbfertig- und Fertigprodukte aus den begünstigten Ländern. Davon ausgeschlossen sind grundsätzlich alle industriellen Grundstoffe sowie Metalle bis zum Verarbeitungsgrad des Barrens und einige landwirtschaftliche Produkte. Bei Textilien werden die Präferenzen nur bestimmten Liefererländern gewährt.
Aber auch der generell freie Marktzugang für die betreffenden Produkte ist in vielfältiger Weise beschränkt, wie Möbius/Schultz (1980)17 beobachten. Die Präferenzimporte sind sowohl global als auch zum Teil nach Ländern mengenmäßig begrenzt. Für den Grad der Einschränkung ist maßgeblich, wie sensibel das Produkt für die Länder der EU ist. Damit soll Rücksicht genommen werden auf die Situation der direkt konkurrierenden Branchen auf dem Binnenmarkt. Die EU unterscheidet dabei zwischen drei Produktgruppen:
- sensible Produkte: Zu dieser Gruppe zählten im Laufe der Zeit unterschiedlich viele Produkte. Hierunter fallen zum Beispiel Textilien und Schuhe, aber auch Bananen, Zucker und Reis. Die zollpräferenzierte Einfuhr von solchen Produkten ist gleich dreifach beschränkt:
- Es wird ein globales Kontingent festgesetzt.
- Der Anteil der einzelnen begünstigten Länder daran wird festgelegt.
- Zudem wird das Kontingent noch auf Mitgliedsländer aufgeteilt.
Wenn nun ein Exportland sein Kontingent ausgeschöpft hat, oder in einem Mitgliedsland die Quote erschöpft ist, wird automatisch wieder ein Zoll eingeführt.
- quasi-sensible Produkte: Bei Gütern dieser Kategorie legt die EU-Kommission ebenfalls Plafonds (global wie Lieferland-spezifisch) fest. Bei deren Überschreitung tritt allerdings nicht automatisch ein Zoll in Kraft. Die Kommission entscheidet darüber im Einzelfall nach Konsultationen mit ihren Mitgliedsländern.
- nicht-sensible Produkte: Für diese werden zwar auch Plafonds festgesetzt. Die Ländersperrbeträge werden aber in der Regel nicht streng überwacht.
Es ist jedoch festzuhalten, dass die Zölle, die bei Überschreitung der jeweiligen Plafonds wieder eingesetzt werden, unter dem allgemeinen WTO-Meistbegünstigungsniveau liegen. Außerdem wurden die Zollkontingente seit Einführung des GSP jährlich erhöht. Wie eng die Kontingente dennoch gefasst sind, belegt aber folgendes Beispiel aus dem Jahr 1982, das Langhammer/Sapir (1983) anführen18 : Bereits im Laufe des Januars dieses Jahres hatte Brasilien 94,7 Prozent seiner Quote bei sensiblen Textilien ausgeschöpft.
Erst im September 2000 brachte die Kommission einen Vorschlag unter dem Titel „Everything But Arms“ (EBA) ein. Danach soll der Zollvergünstigte Marktzugang für sämtliche Produkte (außer Waffen) aus Entwicklungsländern von allen quantitativen Restriktionen befreit werden. Damit werden erstmals auch auf breiter Front landwirtschaftliche Produkte in das Präferenzsystem aufgenommen. In Kraft gesetzt wurde die EBA-Initiative mit Wirkung vom 05. März 2001. Um die Vereinbarkeit mit den WTO- Regeln zu gewährleisten, wurde EBA als Anhang des GSP-Programms für die Jahre 1999 bis 2001 deklariert. Im Gegensatz zum GSP allerdings, das regelmäßig befristet eingesetzt wird, um danach überprüft und erneuert zu werden, enthält das EBA-Programm keine zeitliche Beschränkung. Für das Jahr 2005 sind lediglich eine Kontrolle der Zielerreichung und möglicherweise notwendige Anpassungen vorgesehen.
Eine weitere Neuerung ist die Genehmigung von Schutzmaßnahmen seitens der Union in Fällen, in denen das Exportangebot seitens der LDCs extrem steigt. Dadurch sollen Zerrüttungen auf den Märkten der EU verhindert werden. Dieser Passus dient vor allem dem Schutz der Agrarmarktordnung in der Gemeinschaft. Bislang war die Aussetzung von Zollvorzügen nur bei Vorliegen von Tatbeständen wie Sklaverei, Zwangsarbeit oder Ähnlichem möglich.
Der freie Marktzugang ist - abgesehen von oben genannten Schutzmöglichkeiten - vorübergehend beschränkt für die bisher als sensibel geltenden Agrargüter Bananen, Reis und Zucker. Für sie gilt im Einzelnen folgender Zeitplan:
- Zölle auf Bananen werden - beginnend mit dem Jahr 2002 - um jeweils 20% jährlich gesenkt, so dass der Zoll auf präferenzierte Importe bis zum 1.1.2006 abgeschafft werden soll.
- Für Reis ist eine längere Übergangsperiode vorgesehen. Erst ab September 2006 und bis September 2009 soll der Zoll auf Null zurückgefahren werden. Zwischenzeitlich wird für Reisimporte aus LDCs eine jährliche Quote festgesetzt. Die Verteilung der Kontingente auf die Lieferländer erfolgt nach Importanteilen der jüngsten Vergangenheit mit einer Wachstumsrate von 15% jährlich. Damit erreichen die zollfreien Reisimporte im Geschäftsjahr 2008/0919 rund 6.696 Tonnen.
- Für Rohzucker sind ähnliche Vereinbarungen getroffen. Auch hier wird die volle Liberalisierung zwischen Juli 2006 und Juli 2009 erfolgen. Bis dahin kann zollfreier Export von Rohzucker auf den Gemeinschaftsmarkt innerhalb bestimmter Importquoten erfolgen. Diese sollen von 74.185 Tonnen in 2001/02 auf 197.355 Tonnen in 2008/09 steigen - unbeschadet der Regelungen des EU- AKP-Zuckerprotokolls (siehe auch Abschnitt 2.2.2).
Als weiterer Einschränkung unterliegen besonders wettbewerbsfähige Exporteure bestimmter Produkte einer Beschränkung ihres Importanteils (so genannter „butoir“). Ziel dieser Regelung ist es, auch schwächeren Anbietern noch Marktanteile für diese Produkte zu gewähren. Bis zu den 80er Jahren lag der butoir zwischen 15 Prozent des Gesamtkontingentes für sensible und 50 Prozent für nicht-sensible Produkte.
Insgesamt sollen mit dem EBA-Programm die GSP-Präferenzen denen der EU-AKP- Beziehungen angeglichen werden. Das führt zu Verbesserungen insbesondere für jene LDCs, die nicht zu den vom Lomé-Prozess begünstigten Ländern gehören.
Vorraussetzung für die Gewährung der oben beschriebenen Präferenzen ist jeweils der Nachweis durch den Exporteur, dass die Güter aus dem entsprechend begünstigten Land kommen. Dafür verlangt die EU ein von staatlichen Stellen bestätigtes Ursprungszeugnis. „Als ‚ursprünglich’ in dem Land hergestellt gelten in der Regel Waren, die dort entweder völlig - aus heimischen Rohstoffen - erzeugt wurden, oder - bei importierten Vorprodukten - eine Bearbeitung erfahren, die den Sprung von einer Zolltarifklasse in eine andere bewirkt […]“20, führen Möbius/Schultz (1980) aus.
2.2.2 Die Abkommen von Lomé und Cotonou
Die Struktur der Abkommen, die die aktuellen Regelungen auszeichnet, geht zurück auf den Lomé-III-Vertrag. Die älteren Vereinbarungen begannen, ohne die grundlegenden Konzepte zu erläutern, ohne ein Grundsatzkapitel oder ähnliches, sofort mit technischen Details. Erst mit Abschluss des dritten Abkommens in der Hauptstadt Togos, Lomé, bekam das Vertragswerk seine heutige Struktur. Grundlage der Übereinkünfte ist die Souveränität und damit Eigenverantwortung der begünstigten Vertragsparteien. Die Zollpräferenzen werden gewährt, unabhängig vom Entwicklungspfad des Landes. Allerdings machte die EU- Kommission in den Verhandlungen vor 1984 klar, dass die Entwicklung nicht - wie bisher geschehen - nur auf die Motorwirkung industriellen Wachstums setzen darf. Die AKP- Staaten sollten in Zukunft eher ihren Agrarsektoren Aufmerksamkeit schenken.
Auch das jüngste Folgeabkommen, das Abkommen von Cotonou21 aus dem Jahre 2000, nennt in seinem ersten Kapitel (Ziele und Grundsätze) die „folgenden fundamentalen Grundsätze[n]:
- Gleichheit der Partner und Eigenverantwortung für die Entwicklungsstrategien:
Zur Verwirklichung der Ziele der Partnerschaft legen die AKP-Staaten souverän und unter gebührender Berücksichtigung der in Artikel 9 genannten wesentlichen Elemente dieses Abkommens die Strategie für die Entwicklung ihrer Wirtschaft und Gesellschaft fest. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit fördert die Eigenverantwortung der betreffenden Länder und Bevölkerungsgruppen für die Entwicklungsstrategie
- Partizipation: Die Partnerschaft steht nicht nur der Staatsregierung als
wichtigstem Partner, sondern einer ganzen Reihe weiterer Akteure offen, damit die Integration aller Teile der Gesellschaft, einschließlich der Privatwirtschaft und der Organisationen der Zivilgesellschaft, in das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben gefördert wird
- Zentrale Rolle des Dialogs und der Erfüllung der beiderseitigen
Verpflichtungen, die die Vertragsparteien im Rahmen ihres Dialogs eingehen, bilden den Kern ihrer Partnerschaft und ihrer Kooperationsbeziehungen.
- Differenzierung und Regionalisierung: Die Modalitäten und Prioritäten der Zusammenarbeit richten sich nach dem Entwicklungsstand des jeweiligen Partners, seinen Bedürfnissen, seiner Leistung und seiner langfristigen Entwicklungsstrategie. Die besondere Aufmerksamkeit gilt der regionalen Dimension. Den am wenigsten entwickelten APK-Staaten wird eine besondere Behandlung gewährt. Die besondere Gefährdung der AKP-Binnenstaaten und der AKP-Inselstaaten wird berücksichtigt.“22
[...]
1 S. Donges (1981), S.8
2 vgl. bspw. Gandolfo (1998)
3 s. WTO (2002)
4 UNCTAD and Commonwealth Secretariat (2001)
5 vgl. UNCTAD and Commonwealth Secretariat (2001), S. xv.
6 Der Leser möge beachten, dass in dieser Arbeit die Kürzel EU, EG und EWG synonym verwendet werden, sofern nicht explizit von einer bestimmten Zusammensetzung die Rede ist (bspw. „EWG-6).
7 Die ersten sechs EWG-Mitgliedsländer Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande
8 vgl. D. Frisch, S.9, in: BMZ (1986)
9 Die Länder der drei Lomé-Vorgängerverträge sind in Fig. 2.1 dargestellt. Siehe auch Anhang 1
10 Für eine detaillierte Darstellung der AKP-Präferenzen und deren Entwicklung sei auf Wendt (1982), S. 10ff verwiesen.
11 S. GATT Secretariat (1958)
12 vgl. Langhammer/Sapir (1987), S.4 f.
13 s. Langhammer/Sapir (1987), S.8
14 s. Langhammer (1983), S.2
15 vgl. Artikel 174(2)(b) Lomé-Vertrages; Zitiert nach UNCTAD and Commonwealth Secretariat (2001), S.20
16 Dabei handelt es sich um eine Gruppe von LDCs, der mittlerweile weit über 100 eigenständige Staaten angehören.
17 s. Möbius/Schultz (1980), S.4ff
18 s. Langhammer/Sapir (1983), S.63
19 Das Geschäftsjahr für Reis beginnt am 1.September des einen und endet am 31.August des darauf folgenden Jahres.
20 s. Möbius/Schultz (1980), S.9
21 Das so genannte Abkommen von Cotonou heißt offiziell „Partnerschaftsabkommen zwischen den Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean und der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten“. Im weiteren wird darauf gemäß dem Literaturverzeichnis verwiesen als EU-Kommission (2000). Die Ausdrücke sind synonym zu verstehen.
- Arbeit zitieren
- Martin Kiefer (Autor:in), 2002, Ökonomische Analyse der EU-Handelspolitik gegenüber Entwicklungsländern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3173