Zum 50. Jahrestages der Rückkehr von 295 Berliner Juden aus dem Exil in Shanghai
im Jahr 1947 wurde ein bis dahin stiefmütterlich behandeltes Thema der jüdischen
Emigration erneut ins Gedächtnis gerufen. Verbunden war dieser Denkanstoß mit
der umfassenden Ausstellung ´Leben im Wartsaal´ im Jüdischen Museum in Berlin –
deren Name bereits viel über die Zeit der Juden im Exil verrät.
Dass ein Großteil der Juden mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten
im Jahr 1933 Deutschland verließ, ist weitreichend bekannt. Dass allerdings ein nicht
unbeachtlicher Anteil von ihnen (allein 20.000 Juden) in die Stadt „über dem Meer“
(so heißt Shanghai übersetzt) floh, ist dagegen wenig verbreitet.1 Allein die
geografische und kulturelle Distanz lässt vermuten, dass sie diese Entscheidung
unter verschärften Bedingungen trafen: Die „Arisierung“ der NSDAP befand sich in
einem fortgeschrittenen Stadium, die Repressionen waren unerträglich. Darüber
hinaus schienen die bürokratischen Hürden zu dieser Zeit, sowohl von deutscher als
auch von ausländischer Seite, unüberwindbar. „Hunderttausende von europäischen
Juden suchten verzweifelt ein Land, das bereit war, sie aufzunehmen, und hier
konnten die Juden einfach hereinspazieren.“2
Die vorliegende Arbeit zeigt die Stationen der jüdischen Zwangsemigration
und die (politische) Situation in Shanghai. Weiterführend soll Antwort auf die Frage
gefunden werden, inwiefern den Juden das sprichwörtliche ´Ticket in die Freiheit´
tatsächlich Unabhängigkeit und ein sorgenfreies Leben bescherte. Hauptsächlich
stützt sich die Hausarbeit dabei auf geschichtswissenschaftliche Publikationen, aber
auch auf Zeitzeugenberichte und Biografien.
1 STERN, Frank, Wartezimmer Shanghai, in: Benz, Wolfgang (Hg.), Das Exil der kleinen Leute.
Alltagserfahrung deutscher Juden in der Emigration, München: Beck 1991, S. 110.
2 HEPPNER, Ernest. G., Fluchtort Shanghai. Erinnerungen 1938-1948, Berlin: AtV 2001, S. 66.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Emigration der Juden im Dritten Reich
3. Shanghais (politische) Sonderstellung
4. Warum gingen jüdische Emigranten überhaupt nach Shanghai?
4. 1. Ankunft und Lebensverhältnisse in Shanghai
5. Judenpolitik der Japaner
5. 1. Ausbruch des Pazifischen Krieges
5. 2. Ghetto Hongkew
6. Fazit
Anlage
1. Einleitung
Zum 50. Jahrestages der Rückkehr von 295 Berliner Juden aus dem Exil in Shanghai im Jahr 1947 wurde ein bis dahin stiefmütterlich behandeltes Thema der jüdischen Emigration erneut ins Gedächtnis gerufen. Verbunden war dieser Denkanstoß mit der umfassenden Ausstellung ´Leben im Wartsaal´ im Jüdischen Museum in Berlin – deren Name bereits viel über die Zeit der Juden im Exil verrät.
Dass ein Großteil der Juden mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 Deutschland verließ, ist weitreichend bekannt. Dass allerdings ein nicht unbeachtlicher Anteil von ihnen (allein 20.000 Juden) in die Stadt „über dem Meer“ (so heißt Shanghai übersetzt) floh, ist dagegen wenig verbreitet.[1] Allein die geografische und kulturelle Distanz lässt vermuten, dass sie diese Entscheidung unter verschärften Bedingungen trafen: Die „Arisierung“ der NSDAP befand sich in einem fortgeschrittenen Stadium, die Repressionen waren unerträglich. Darüber hinaus schienen die bürokratischen Hürden zu dieser Zeit, sowohl von deutscher als auch von ausländischer Seite, unüberwindbar. „Hunderttausende von europäischen Juden suchten verzweifelt ein Land, das bereit war, sie aufzunehmen, und hier konnten die Juden einfach hereinspazieren.“[2]
Die vorliegende Arbeit zeigt die Stationen der jüdischen Zwangsemigration und die (politische) Situation in Shanghai. Weiterführend soll Antwort auf die Frage gefunden werden, inwiefern den Juden das sprichwörtliche ´Ticket in die Freiheit´ tatsächlich Unabhängigkeit und ein sorgenfreies Leben bescherte. Hauptsächlich stützt sich die Hausarbeit dabei auf geschichtswissenschaftliche Publikationen, aber auch auf Zeitzeugenberichte und Biografien.
2. Emigration der Juden im Dritten Reich
Die Machtübernahme Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 und seine politischen Maßnahmen, sowie antisemitische Gesetze, lösten eine erste Auswanderungswelle aus. Unter dem NS-Regime emigrierten bereits 1933 rund 37.000 Deutsche aus Angst vor Repressalien und Verfolgung - 94 % von ihnen waren Juden (siehe Tabelle in Anlage).[3]
Ein zweiter Schub folgte 1935 im Zuge der „Nürnberger Gesetze“. Sie wiesen den Juden eine mindere Rechtsstellung zu, verboten Eheschließungen von Juden mit Nichtjuden und beschlossen ihre Entlassungen aus allen (öffentlichen) Arbeitsverhältnissen.
Ihre absolute Rechtlosigkeit und die damit verbundene Massenflucht manifestierte sich schließlich drei Jahre später in der „Reichspogromnacht“ vom 9./10. November 1938. Deutschlandweit wurden Synagogen angezündet, Geschäfte und Wohnungen von Juden geplündert und zerstört.[4]
Hatte bis dahin ein Drittel der 500.000 Juden Deutschland verlassen, flohen 1939 etwa 78.000 vor dem Terror der Nationalsozialisten. Ein rapider Rückgang der Auswanderungszahlen war im Anschluss auf die Umstände des Zweiten Weltkrieges zurückzuführen, bis mit dem endgültigen Auswanderungsverbot im Oktober 1941 der systematische Völkermord an den deutschen und europäischen Juden begann. Für die Jahre 1942-1945 sind nur noch etwa 8.500 Fälle von erfolgreicher und fast durchweg illegaler Ausreise bekannt.[5]
3. Shanghais (politische) Sonderstellung
Bereits seit 1843 nahm Shanghai eine Sonderstellung im ostasiatischen Raum ein. Nach der Niederlage der Chinesen im Opiumkrieg gegen die Engländer wurden bereits damals erste ausländische Niederlassungen gegründet. „Nach der von der britischen Militärmacht erzwungenen Öffnung der südchinesischen Hafenstadt, waren dort exterritoriale Gebiete mit eigener Verwaltung, Gerichtsbarkeit sowie Polizei- und Zollhoheit entstanden.“[6]
Innerhalb kürzester Zeit wuchs das ehemals bescheidene Fischerdorf zu einem der größten, führenden Handelszentren der Welt heran und zog unzählige Menschen aus dem In- und Ausland an. Von den 6,5 Millionen Einwohnern in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts bewohnten Ausländer vornehmlich die French Concession (Französische Konzession) und das International Settlement (Internationale Niederlassung), eben solche selbstverwalteten Gebiete. „Ausländer genossen viele Privilegien, sie waren weder der chinesischen Gerichtsbarkeit unterstellt, noch mussten sie Steuern zahlen.“[7] Zu dieser Zeit lebten dort circa 5000 Deutsche und Österreicher, den größten Anteil stellten die etwa 20.000 Japaner dar.[8]
Die Situation in der Stadt änderte sich jedoch grundlegend, als japanische Truppen, begleitet von schweren, kriegerischen Auseinandersetzungen, im Juli 1937 den Nordosten Shanghais besetzten. Trotz hartnäckigem Widerstand der Chinesen kontrollierten die Japaner schließlich die Stadtbezirke Chapei und Hongkew. Durch ihre Besetzung war Shanghai weitgehend vom Hinterland abgeschnitten. Internationale Firmen lagerten ihre Niederlassungen aus und deutsche Berater wurden im Sommer 1938 abgezogen. Die anhaltenden Spannungen zwischen Japanern und Chinesen verdeutlichten den jüdischen Exilanten erneut, dass auch hier Diskriminierung und Schikane, wenn auch diesmal vornehmlich gegen andere, an der Tagesordnung waren.
4. Warum gingen jüdische Emigranten überhaupt nach Shanghai?
Viele Länder hatten in den Dreißiger Jahren eine restriktive Aufnahmepolitik verfolgt, um so dem ansteigenden Flüchtlingsstrom aus Deutschland entgegenzuwirken. Auswanderungswillige mussten oftmals diverse Unterlagen beschaffen und bestimmte Auflagen erfüllen, um aus- und einzureisen. „Für die damals ´offene Stadt´ Shanghai benötigten die Flüchtlinge weder Pässe noch Einreisevisa, weder Aufenthaltsgenehmigungen noch Arbeitserlaubnisse, weder Kapitalnachweise noch Landegelder.“[9] Die einzige Voraussetzung war, dass sie einen gültigen Reisepass besaßen, der sie berechtigte, die deutsche Grenze legal zu passieren.
[...]
[1] STERN, Frank, Wartezimmer Shanghai, in: Benz, Wolfgang (Hg.), Das Exil der kleinen Leute. Alltagserfahrung deutscher Juden in der Emigration, München: Beck 1991, S. 110.
[2] HEPPNER, Ernest. G., Fluchtort Shanghai. Erinnerungen 1938-1948, Berlin: AtV 2001, S. 66.
[3] BENZ, Wolfgang (Hg.), Das Exil der kleinen Leute. Alltagserfahrung deutscher Juden in der Emigration, München: Beck 1991, S. 37.
[4] BARZEL, Amnon (Hg.), Leben im Wartesaal. Exil in Shanghai – 1938-1947, Berlin: Jüdisches Museum im Stadtmuseum Berlin 1997, S. 11.
[5] Mühlen, Patrik von zur, Fluchtziel Lateinamerika. Die deutsche Emigration 1933 –1945: politische Aktivitäten und soziokulturelle Integration, Bonn: Neue Gesellschaft 1988, S. 24.
[6] LÖBER, Petra, Leben im Wartesaal, in: Barzel, Amnon (Hg.), Leben im Wartesaal. Exil in Shanghai 1938-1947, Berlin: Jüdisches Museum 1997, S. 19.
[7] Vgl. HEPPNER, S. 63.
[8] Vgl. LÖBER, S.19.
[9] Vgl. LÖBER., S. 13.
- Citar trabajo
- Maria Kufeld (Autor), 2004, Fluchtziel Shanghai - Juden im Exil 1937-1945, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31714
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