Im Akutkrankenhaus sind demente Patienten mittlerweile keine Seltenheit mehr. In den kommenden Jahren wird sich der Anteil dieser Patientengruppe, aufgrund des demografischen Wandels oder auch des medizinischen Fortschritts noch weiter erhöhen. Dies bedeutet für die dementen Patienten selbst, deren Angehörige, den Krankenhausmitarbeitern, Krankenhausverwaltung und der Gesellschaft eine große Herausforderung. Immer wieder kommt es wegen knappen Ressourcen, Zeitmangel, Unwissenheit der Beteiligten oder ökonomischer Faktoren zu Spannungsfeldern. In der nun folgenden Literaturarbeit sollen diese Aspekte näher aus ethischer, gesellschaftlicher, pflegerischer und ökonomischer Sicht betrachtet werden.
Inhaltsverzeichnis
Methodik
Kurzfassung
Abstract
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 19: Fragebogen Demenzversorgungsanalyse im Krankenhaus
Abkürzungsverzeichnis
1. Ausgangssituation
1.1 Das Krankheitsbild Demenz
1.1.1 Formen der Demenz
1.1.2 Symptome der Demenz
1.1.3 Epidemiologie der Demenz
1.2 Ethische Aspekte
1.2.1 Autonomie und Fürsorge des Patienten
1.2.2 Werteverschiebung und instrumentelle Handlungslogik
1.2.3 Selbstbestimmung ermöglichen
2. Der demente Patient im Krankenhaus
2.1 Die Krankenhauseinweisung
2.3 Besonderheiten bei der Pflege Demenzkranker im Krankenhaus
2.3.1 Besonderheiten der Ernährung dementer Patienten
2.3.2 Schmerzen
2.3.3 Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten dementer Patienten
2.3.4 Das Delir
2.3.5 Gewalt in der Pflege
2.4 Die Rolle der Angehörigen
2.4.1 Rooming-In
2.4.2 Der Trauerprozess der Angehörigen
2.5 Demenzsensible Konzepte im Krankenhaus
2.6 Unterstützung im Krankenhausalltag durch Demenzbegleiter
2.7 Die Entlassung aus dem Krankenhaus
3. Die Behandlung dementer Patienten aus ökonomischer Sicht
3.1 Herausforderungen der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung
3.2 Entwicklung der Krankenhausbehandlungen heute und in Zukunft
3.3 Grundlagen der Kostenmessung im Krankenhaus
3.4 DRG (Diagnosis Releated Groups)
3.5 Auswirkungen der DRG´s und betriebswirtschaftlichen Interessen auf den dementen Patienten
3.6 Strukturelle und finanzielle Barrieren demenzsensibler Konzepte im Krankenhaus
3.7 Die Notwendigkeit der Ökonomie im Krankenhaus aus ethischer Sicht
4. Internationale Handlungsempfehlungen zur Versorgung dementer Patienten – angelehnt an Finnland, Kanada und Australien
4.1 Versorgungsstrukturen dementer Patienten in australischen Krankenhäusern
4.2 Handlungsempfehlungen zur Versorgung alter und dementer Patienten in ländlichen Regionen, angelehnt an Erfahrungen aus Finnland und Kanada
5. Fazit
6. Diskussion
Literaturverzeichnis
ANHANG
Methodik
In der vorliegenden Bachelor-Thesis handelt es sich um eine Literaturarbeit. Aufgrund der großen Literaturvielfalt wurden zur Recherche Bibliotheken, Fachzeitschriften und Suchmaschinen im Internet wie Google, Google Scholar, PubMed, LIVIO, wiso Sozialwissenschaften, PSYNDEX, Virtuelle Fachbibliothek Psychologie, Gesis und GeroLit verwendet.
Die in der Arbeit angesprochenen Studien wurden, soweit möglich, nach den Gütekriterien ausgewählt. Grundlegende Erläuterungen hierzu sind im Anhang (Anhang 1) zu finden.
Um den Lesefluss zu erleichtern, wird bei Personenbezeichnungen stets die männliche Form verwendet. Diese Bezeichnungen stellen keine Wertung dar, da sie gleichermaßen weibliche und männliche Personen erfassen.
Kurzfassung
Im Akutkrankenhaus sind mittlerweile demente Patienten keine Seltenheit mehr. In den kommenden Jahren wird sich der Anteil dieser Patientengruppe, aufgrund des demografischen Wandels oder auch des medizinischen Fortschritts noch weiter erhöhen. Dies bedeutet für die dementen Patienten selbst, deren Angehörige, den Krankenhausmitarbeitern, Krankenhausverwaltung und der Gesellschaft eine große Herausforderung. Immer wieder kommt es wegen knappen Ressourcen, Zeitmangel Unwissenheit der Beteiligten oder ökonomischer Faktoren zu Spannungsfeldern. In der nun folgenden Literaturarbeit sollen diese Aspekte näher aus ethischer, gesellschaftlicher, pflegerischer und ökonomischer Sicht betrachtet werden.
Abstract
These days patients with dementia are no longer a rarity in acute care hospitals. In the coming years the proportion of this patient group will increase, based on demographic change or medical advances. This means for the dementia themselves, their families, the hospital staff and management a major challenge. Due to limited resources, lack of time, ignorance of the participants and economic factors the stress will increase. The following literature reviews these aspects from an ethical, social, nursing and economic point of view.
Anhang
Anhang 1: Gütekriterien
Anhang 2: Skalen und Scores
Anhang 3: Information-Memory-Concentration-Mental-Status-Test and Dementia-Scale
Anhang 4: Clinical Dementia Rating
Anhang 5: CERAD Behavior Rating Scale for Dementia
Anhang 6: Mini-Mental-State-Examination.
Anhang 7: Carer`s Needs Assessment for Dementia – CNA-D.
Anhang 8: Ergänzende Informationen zur Studie: Pflege-Thermometer 2014
Anhang 9: Ergänzende Informationen zur Studie: Patienten mit Gedächtnis- störungen im Krankenhaus – Umgang mit therapeutischen und pflegerischen Problemen
Anhang 10: Ergänzende Informationen zur Studie: Analyse von hemmenden und förderlichen Faktoren für die Verbreitung demenzsensibler Konzepte in Akutkrankenhäusern
Anhang 11: Station DAVID
Anhang 12: Symposium Welt-Cafè-Demenz im Krankenhaus
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: 7-Schritt-Modell nach Brodaty
Abbildung 2: Gestaltungsmöglichkeit Cafè
Abbildung 3: Gestaltungsmöglichkeit Pflegestation
Abbildung 4: Gestaltungsmöglichkeit Einzelzimmer
Abbildung 5: Gestaltungsmöglichkeit Badezimmer
Abbildung 6: Grafik der Krankenhausfälle
Abbildung 7: Status-Quo-Szenario Krankenhausfälle
Abbildung 8: Prozessorientiertes Patienteninformationssystem
Abbildung 9: Information-Memory-Concentration-Mental-Status-Test
Abbildung 10: Fortsetzung Blessed Dementia Rating Scale
Abbildung 11: Clinical Dementia Rating
Abbildung 12: Blessed Dementia Rating Scale
Abbildung 13: MMSE
Abbildung 14: Fortsetzung MMSE
Abbildung 15: Fragebogen Demenzversorgungsanalyse im Krankenhaus
Abbildung 16: Fragebogen Demenzversorgungsanalyse im Krankenhaus
Abbildung 17: Fragebogen Demenzversorgungsanalyse im Krankenhaus
Abbildung 18: Fragebogen Demenzversorgungsanalyse im Krankenhaus
Abbildung 19: Fragebogen Demenzversorgungsanalyse im Krankenhaus
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Ausgangssituation
Eine Krankenhauseinweisung bedeutet für den Patienten eine belastende Situation, in welcher der persönliche Lebensrhythmus verändert wird. Menschen, mit einer ungestörten kognitiven Leistungsfähigkeit können sich an die Gegebenheiten wie beispielsweise der Notwendigkeit einer Behandlung, zeitliche Abläufe, Aufenthaltsdauer, ungewohnte soziale „Machtverhältnisse“ oder Ängste meist gut anpassen. Deutlich schwieriger gestalten sich die Eindrücke der veränderten Lebenskonstellation bei Patienten mit Demenz. Diese kommen häufig schon in Krisensituationen in ein Krankenhaus wie etwa nach Stürzen, bei Schmerzen, Zuständen akuter Verwirrtheit, Flüssigkeitsmangel oder reduziertem Ernährungszustand. In einem traditionellen Krankenhaus wird eine schnelle Anpassung an die neue Umgebung erforderlich und die dementen Patienten werden damit zusätzlich konfrontiert. Ungewohnte Situationen und Gegenstände wie andersfarbige Tabletten, Spritzen, Infusionen oder physiotherapeutische Übungen ängstigen die Demenzkranken zusätzlich. Auch die Akzeptanz von medizinischen und pflegerischen Entscheidungen gestaltet sich oftmals problematisch. Ein Erfolgsfaktor für die körperliche Genesung ist die psychische Verfassung des Patienten. Sind für den dementen Patienten die Umstände im Krankenhaus zu irritierend, wird es sein Zustand nicht zulassen, all seine Fähigkeiten zu zeigen, die er in für ihn passenden milieutherapeutischen Szenarien hätte und welche somit zu einer schnelleren und besseren Genesung führen könnten (vgl. Zemlin 2013, S. 21–25). Menschen mit Demenz sind im Krankenhaus keine Randerscheinung mehr, sondern ein beständiges Phänomen im Krankenhausalltag der bettenführenden Abteilungen, denen eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss (vgl. Isfort 2014, S. 6). Meist wird im Krankenhaus nur die Hauptdiagnose bei Untersuchungen erfasst und die Begleitdiagnosen, wie beispielsweise die Demenz, nicht explizit erwähnt. Diese Tatsache erschwert es, genauere Zahlenangaben der Patienten mit Demenz im Krankenhaus zu erfassen. Im Jahr 2020 werden schätzungsweise etwa 20 Prozent der Patienten im Krankenhaus dement sein, abhängig von der Altersstruktur im Einzugsgebiet und der Genauigkeit der Diagnoseverfahren. Entscheidend hierfür sind drei Faktoren. Die demografische Entwicklung, die zunehmende Komorbidität der Demenz mit somatischen Erkrankungen und offensichtlich die „Traumen“ der Intensivmedizin und chirurgische Operationsverfahren. Diese scheinen über neuroinflammatorische Prozesse Delire zu triggern. Oftmals persistieren diese in Form von permanenten kognitiven Defiziten über Monate bis hin zu Jahren, und das häufig irreversibel (vgl. Hofmann, Kricheldorff 2013, S. 196-202). Nach einer Untersuchung von Schütz[1] und Füsgen[2] wird die Versorgung und der Umgang mit kognitiv eingeschränkten Patienten im Krankenhaus sehr unterschiedlich wahrgenommen und umgesetzt. Die derzeitig praktizierten Maßnahmen reichen nicht aus, dem wachsenden Mehrbedarf an fachlich kompetentem Umgang mit kognitiv eingeschränkten Patienten gerecht zu werden (vgl. Füsgen, Schütz 2013, S. 203–207). Ein Krankenhausaufenthalt stellt nicht nur eine Belastungssituation für den dementen Patienten dar, sondern auch für dessen Angehörige. Oftmals werden diese nicht in Entscheidungen in Bezug auf die Behandlung einbezogen oder sie belastet der sich nicht stabilisierende bzw. verbessernde Gesundheitszustand des Betroffenen. Krankenhäuser sind derzeit nicht ausreichend auf Menschen mit Demenz und deren besonderen Versorgungsbedarfen, adäquat behandelt und betreut zu werden, vorbereitet. Das liegt unter anderem daran, dass die Krankenhäuser auf die Behandlung definierter Organerkrankungen im Rahmen genau beschriebener Behandlungsabläufe nicht ausgerichtet sind. Beispielsweise ist ein Darmzentrum ungeeignet, alte und an Demenz erkrankte Patienten zu behandeln. Auch die räumliche Gestaltung und die oftmals unruhige und laute Atmosphäre im Krankenhaus kommen dem Bedürfnis von Menschen mit Demenz nach Ruhe, Ordnung und Vertrautheit nicht entgegen. Ärzte und Pflegekräfte fühlen sich häufig mit der Behandlung und Pflege dieser Patienten überfordert, da ihnen das nötige Wissen über die Erkrankung und eine personenzentrierte Versorgung fehlt. Schließlich stellen die allgemeine Arbeitsverdichtung und die fehlenden personellen Ressourcen Barrieren für eine stärkere Ausrichtung der Kliniken auf Menschen mit Demenz dar (vgl. Holle, Pinkert C. 2012, S. 1).
1.1 Das Krankheitsbild Demenz
Ehe in der nun folgenden Arbeit genauer auf die Patienten mit Begleitdiagnose Demenz im Akutkrankenhaus eingegangen werden kann, soll zunächst das Krankheitsbild der Demenz genauer erläutert werden. Demenz ist ein Sammelbegriff für ein ätiologisch unspezifisches Syndrom, das infolge einer zumeist chronisch und progredient verlaufenden Hirnerkrankung auftritt. Kennzeichnend sind erworbene Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und anderer kognitiven Funktionen. Diese sind so schwerwiegend, dass alltägliche Anforderungen zunächst eingeschränkt und zu einem späteren Zeitpunkt gar nicht mehr bewältigt werden können. Die Krankheitsdauer variiert von wenigen Monaten bis hin zu 20 Jahren und ist aufgrund der Individualität nicht verlässlich vorhersagbar. Demenzen verkürzen die verbleibende Lebenserwartung und je älter ein Patient bei Erkrankungsbeginn ist, desto geringer ist seine Überlebensdauer.
1.1.1 Formen der Demenz
Die Demenzen können in 3 Kategorien (die Alzheimer-Demenz, die Vaskuläre Demenz und die Gruppe der anderen Demenzen) unterteilt werden. Folgende mögliche Formen sind hierbei zu unterscheiden.
- Die Alzheimer-Demenz (AD)
- Diese Form ist bei Personen jenseits des 60. Lebensjahres, mit einem Anteil von mehr als zwei Dritteln, die dominierende Form eines Demenzsyndroms. Im leichten oder frühen Stadium beginnen die Symptome schleichend und entwickeln sich allmählich fort. Hierbei stehen bei den meisten Patienten Störungen des Lernens und des Erinnerns im Vordergrund. Kognitive Defizite machen sich bei alltäglichen Aufgaben bemerkbar. Im mittleren Stadium sind die Störungen so ausgeprägt, dass eine selbstständige Lebensführung nicht mehr möglich ist. Alle Fähigkeiten sind herabgesetzt und die Patienten sind in Alltagsbelangen auf fremde Hilfe angewiesen. Häufig tritt in diesem Stadium zusätzlich Ruhelosigkeit, Reizbarkeit, Stimmungslabilität, Aggressivität, Inkontinenz, Desorientiertheit und ein Nichterkennen von Angehörigen auf. Im schweren Demenzstadium besteht ein hochgradiger Abbau aller kognitiven Funktionen. Die sprachlichen Fähigkeiten sind verloren gegangen und die Patienten benötigen eine rund um die Uhr Betreuung. Man spricht von einer Alzheimer Demenz bei Patienten für deren Demenzsyndrom intravital keine andere Demenzursache nachzuweisen ist und bei denen daher ausgeprägte altersassoziierte Plaque- und Neurofibrillen-Veränderungen angenommen werden müssen, die lege artis eigentlich erst postmortal festzustellen wären.
- Vaskuläre Demenzen
Die zweithäufigste Ursache nach der AD stellen zerebrale Durchblutungsstörungen dar. Weniger als 20 Prozent der Altersdemenzen werden als vorrangig vaskulär bedingt angesehen und weitere 20 Prozent als Mischformen aus vaskulärer und Alzheimer Demenz. Vaskuläre Demenzen treten geringfügig häufiger bei Männern auf. Als wichtigste Risikofaktoren sind an dieser Stelle arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Übergewicht, Alkoholabusus und Rauchen zu benennen. Ätiologisch, histopathologisch und klinisch stellen die vaskulären Demenzen eine heterogene Krankheitsgruppe dar. Gemeinsames Merkmal sind verschiedenartige Störungen von Makro- und Mikrozirkulation, die zu schwerwiegenden kognitiven Defiziten führen. Die Gruppe der vaskulären Demenzen muss ebenfalls differenziert betrachtet werden:
- Bei der Mulitinfarkt-Demenz verursachen kardiogene oder arteriosklerotische Embolien multiple kortikale und subkortikale Hirninfarkte.
- Sind funktionell wichtige kortikale oder subkortikale Areale betroffen, können kleinere Einzelinfarkte eine Demenz, die sog. Strategische Einzelinfarkt Demenz, hervorrufen.
- Die Multiplen lakunären Infarkte treten häufig im subkortikalen Marklager, in Kerngebieten und im Hirnstamm auf. Die von Antriebslosigkeit und Exekutivstörungen geprägte demenzielle Symptomatik wird vermutlich durch eine Diskonnektion kortikaler Strukturen bewirkt. Der Verlauf kann dem einer Alzheimer- Demenz ähneln. Häufig bleiben die Einzelinfarkte klinisch stumm, so dass die vaskuläre Genese leicht übersehen werden kann.
- Der Morbus Binswanger ist ein Subtyp der mikroangiopathischen vaskulären Demenz. Es bestehen ausgeprägte Demyelinisierungen der weißen Substanz und periventrikuläre Marklagerschäden. Häufige Begleitsymptome sind Verlangsamung, Gangstörungen und Blaseninkontinenz.
- Das CADASIL"cerebral autosomal dominant arteriopathy with subcortical infarcts and leukencephalopathy" ist eine seltene, genetisch determinierte Form einer vaskulären Demenz mit frühem Beginn. Erstsymptome sind Migräneattacken und Krampfanfälle, auf die transitorische ischämische Attacken oder Schlaganfälle folgen.
- Andere Demenzen
- Bei der Lewy-Körperchen-Demenz sind Fluktuationen der kognitiven Fähigkeiten, visuelle Halluzinationen, REM-Schlafstörungen und akinetisch-rigide Bewusstseinsstörungen typisch. Diese Form der AD gilt als zweithäufigste degenerative Demenz.
- Die Frontotemporale Degeneration ist vor allem durch Veränderungen von Antrieb, Persönlichkeit, Sozialverhalten und Sprache geprägt, und wird vorwiegend im Präsenium diagnostiziert. Das Gedächtnis und die Orientierung können lange erhalten bleiben.
- Chorea Huntington, auch als Veitstanz bekannt, ist eine meist im mittleren Lebensalter beginnende, durch unwillkürliche Bewegungen charakterisierte, autosomal-dominante Erkrankung, die progredient zu einer Demenz führen kann.
- Die Progressive supranukleäre Parese ist eine seltene Basalganglienerkrankung, die von Hypokinese und Rigor, frontal gefärbten Verhaltensauffälligkeiten und Gedächtnis-, Sprach- und Exekutivstörungen geprägt ist.
- Der Alkohol hat neurotoxische Wirkungen und kann zur sog. Alkoholdemenz führen. Häufig können in Folge von Alkoholmissbrauch über Hypovitaminosen vermittelte Demenzen wie das Wernicke-Korsakow-Syndrom oder hepatische Enzephalopathien durch schwere Leberfunktionsstörungen auftreten.
- Infektiöse Ursachen (Creutzfeld-Jakob-Erkrankung, Syphillis, HIV-Infektionen oder Herpes-simplex-Viren) liegen mit insgesamt geringer Häufigkeit einer Reihe von Demenzsyndromen zu Grunde, man spricht hier von Demenzen bei infektiösen Krankheiten
- Es gibt allerdings auch Reversible Demenzformen. Die häufigsten behandelbaren Ursachen sind hierbei schwere Depressionen die zu Pseudodemenzen führen können, Medikamente und Alkoholabusus, Stoffwechselstörungen infolge von Vitaminmangel, hormonelle Dysfunktionen und intrakranielle Erkrankungen wie der Normaldruckhydrocephalus oder auch das subdurale Hämatom (vgl. Bickel, Förstl 2007, S. 212–216).
1.1.2 Symptome der Demenz
Im Verlauf einer Demenzerkrankung zeigen sich unter anderem Gedächtnisstörungen, Störungen im Bereich der Orientierung, der Psyche, des Verhaltens oder der körperlichen Funktionen. Die Demenzsymptome können in folgende fünf Hauptgruppen eingeteilt werden.
- Kognitive Symptome
Nicht alle kognitiven Symptome treten gleichzeitig nebeneinander auf, sie entwickeln sich je nach Demenzstadium bzw. Demenzform zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit zunehmender Intensität. Je nach geschädigtem Gehirnbereich zeigen sich verschiedene Einzelsymptome wie beispielsweise Veränderungen der Gedächtnisleistung, der Merkfähigkeit und Wortfindungsstörungen. Orientierungsstörungen treten zunächst in fremder Umgebung und im weiteren Verlauf auch im vertrauten Umfeld auf. Des Weitern kommt es zu Einschränkungen der praktischen und visokonstruktiven Fähigkeiten, zu Sprachstörungen (Broca-Aphasie, Globale Aphasie, Amnestische Aphasie und Wernicke Aphasie), zu Apraxie und Agnosie.
- Psychische Störungen und Verhaltensänderungen bei Demenz (BPSD)
Von den kognitiven Symptomen sind die nicht-kognitiven Symptome abzugrenzen. Aufgrund der besonderen Bedeutung für die Therapie, Versorgung und Pflege Demenzkranker hat man den Symptomkomplex der psychischen Störungen und Verhaltensänderungen mit dem Akronym BPSD (behavioral and psycholgica symptoms of dementia) umschrieben. In der Pflegewissenschaft wird hierbei von „herausforderndem Verhalten“ gesprochen. Ein Überblick wird in der folgenden Grafik des 7-Schritt Models nach Brodaty[3] ersichtlich.
Abbildung 1:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: 7-Schritt-Modell nach Brodaty in Kastner, Löbach 2010; S.13)
- Psychische Symptome
Zu den psychischen Symptomen im Rahmen einer Demenzerkrankung zählen Angst, Furcht, Misstrauen, Depressivität, Verkennungen, Halluzinationen und Frustrationen. Im Vergleich zu den kognitiven Symptomen verstärken sich diese jedoch nicht zwangsläufig mit Fortschreiten der Erkrankung, sie werden phasenweise beobachtet und können sich auch wieder zurückbilden bzw. verändern. Bei den psychischen Symptomen sind Unterschiede des Verlaufs, des Auftretens und der Intensivität je nach Demenzform zu beobachten.
- Verhaltensänderungen
In Einzelfällen können bereits zu Beginn der Demenzerkrankung Verhaltensänderungen auftreten. Zu den häufigsten Verhaltensänderungen zählen Unruhe und Agitiertheit (mit und ohne Aggressivität), Wandern und Weglaufen (Sun-Downing, Hinterherlaufen, zielloses Wandern, nächtliches Wandern, etc. – meist wird dieses wandern nur von der Umgebung als störend empfunden), Aggressivität, Sammeln und Verstecken von Gegenständen und Veränderungen des sexuellen Verhaltens (sexuelle Funktionsstörungen, öffentliches Masturbieren oder Entkleiden, Gebrauch vulgärer Worte oder sexueller Übergriffe).
- Körperliche Symptome
Je nach Demenzform treten körperliche Symptome im Früh- oder Spätstadium auf. Hierzu zählen ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus, Schlafstörungen, Mobilitätseinschränkungen, Schmerzen und Sensibilitätsstörungen (fehlende Schmerzwahrnehmung oder auch Übersensibilität. Häufig zeigen sich Schmerzen auch in anderen psychischen Veränderungen oder Verhaltensstörungen wie Unruhe, Aggressivität oder ängstlicher Abwehr. Weitere Symptome sind Harninkontinenz (Kognitive-, Belastungs-, Drang- oder Überlaufinkontinenz) sowie Schluck und Essstörungen (vgl. Kastner, Löbach 2010, S. 10 - 24).
Die Demenz gehört zu den tödlich verlaufenden Krankheiten. Anders als bei vielen Tumorerkrankungen zieht sich das Leiden über mehrere Jahre hinweg. Physische und psychische Symptome sowie soziale Belastungen äußern sich stärker als bei nicht an Demenz Erkrankten. Die Klinik und der Verlauf der Demenz wird von folgenden Faktoren beeinflusst: Multimorbidität, interkurrente Akuterkrankungen, iatrogene Störungen wie z.B. Polypharmazie, Betreuungs- und Umgebungsfaktoren sowie biografische Ereignisse. Da es keinen "klassischen" Verlauf gibt, kann bei den Demenzerkrankten in allen Erkrankungsstadien ein palliativer Versorgungsbedarf bestehen. Zu den bereits erwähnten Symptomen können im Endstadium der Erkrankung Komponenten wie Antriebsstörungen, epileptische Anfälle, stereotypische Bewegungsmuster sowie Myoklonien hinzu kommen (vgl. Mansfeld-Nies 2014, S. 34–36).
1.1.3 Epidemiologie der Demenz
Weniger als 3 Prozent der Erkrankungen entfallen auf Patienten unter 65 Jahren, oberhalb hingegen steigt die Prävalenz annähernd exponentiell mit dem Alter an. Die altersspezifischen Prävalenzraten verdoppeln sich im Abstand von jeweils fünf Altersjahren und nehmen von weniger als 2 Prozent in der Altersgruppe der 65-69 Jährigen auf mehr als 30 Prozent der über 90 Jährigen zu. Frauen sind aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung mit einer Häufigkeit von mehr als 70 Prozent betroffen. In industrialisierten Ländern muss etwa ein Drittel der Menschen, die das 65. Lebensjahr vollenden, damit rechnen im weiteren Altersverlauf an einer Demenz zu erkranken. Bei weiterhin steigender Lebenserwartung wird sich dieser Anteil möglicherweise kontinuierlich erhöhen (vgl. Bickel, Förstl 2007, S.212).
1.2 Ethische Aspekte
Bei der stationären Versorgung im Krankenhaus stehen meist die einweisenden Diagnosen und Begleitdiagnosen, wie beispielsweise die Demenz, im Vordergrund. Oftmals geraten im Krankenhausalltag die ethischen und moralischen Aspekte in Vergessenheit. Da jene aber vordergründig zu beachten sind, werden diese zunächst näher erläutert, ehe auf die pflegerischen Gegebenheiten eingegangen wird. Im 18. Jahrhundert war der fundamentale Akt der medizinischen Erkenntnis die Aufstellung eines Systems von Zuordnungen: ein Symptom wurde in eine Krankheit situiert, eine Krankheit in einer Artgruppe, und diese wurde schließlich in den allgemeinen Plan der pathologischen Welt eingeordnet. Menuret[4] sprach von einem „Spiel der Serien“ das erfasst werden müsse und umso durch deren Überkreuzung eine Kette zu bilden. Razoux[5] hatte Beobachtungen angestellt, bei der er die nosologische Analyse der beobachteten Kranken mit den Entwicklungen, Krisen und dem Ausgang der Krankheit verglich. So kam ein System von Koinzidenzen zum Vorschein, das Kausalbeziehungen anzeigte und zwischen den Krankheiten auch neue Verwandtschaften und Verkettungen vermuten ließe (vgl. Foucault 2008, S. 46).
Wenn es darum geht, den Sinn der moralischen Achtung des Patienten als Person begreiflich zu machen, dann erweist sich die in diesem Zusammenhang, die oft geforderte Ganzheitlichkeit in der Medizin als ein Ideal. Die Forderung nach Ganzheitlichkeit wird meist als Forderung einer ganzheitlichen medizinischen Wissenschaft, Theorie oder Lehre vom kranken Menschen verstanden, etwa in Form einer "Theorie der Humanmedizin", welche sich auf die Medizin als Wissenschaft bezieht. Von Weizsäcker[6] erkannte, dass es eine erstaunliche, aber nicht zu leugnende Tatsache ist, dass die gegenwärtige Medizin keine eigene Lehre vom kranken Menschen besitzt. Sie lehrt Erscheinungen des Krankseins, Unterscheidung von Ursachen, Folgen, Heilmitteln der Krankheiten, aber sie lehrt nicht den kranken Menschen. Er veranschaulichte in seinem Modell des "Gestaltkreises", dass körperliche und organische Vorgänge von vornherein kein rein physikalisches Geschehen sind, sondern dass es sich vielmehr um ein verstehbares und deutbares leibliches Ausdrucksmedium für das psychisch-soziale Leben der individuellen Persönlichkeit handelt. Diese wechselseitige Bedingtheit bringt v. Weizsäcker bereits 1933 mit folgender Aussage auf den Punkt:
‚»Nichts Organisches hat keinen Sinn; nicht Psychisches hat keinen Leib.«‘
Jaspers[7] formulierte dies ähnlich: Um beurteilen zu können, was im Interesse des Patienten wirklich erforderlich und moralisch geboten ist, ist es notwendig den ganzen Menschen in seiner realen Situation vor Augen zu haben (vgl. Rehbock 2005, S. 158–178).
Im Zusammenhang mit der Versorgung dementer Patienten werden häufig Begriffe wie Autonomie, Fürsorge, Würde und Patientenwillen verwendet. Allerdings lässt die Praxis vermuten, dass die Bedeutung dieser Begrifflichkeiten in der Anwendung nicht klar ist. Die Grundlage für die später definierte Autonomie wurde schon in der Zeit um 1250 gelegt. Bereits von Aquin[8] hatte die Idee des individuellen Willens mit der Implantierung des "Naturgesetzes" in die menschliche Vernunft. Von Aquin verstand diese im Sinne einer kognitiven Autonomie des einzelnen Menschen. Semantisch soll hier der individuelle Wille mit dem allgemeinen Naturgesetz versöhnt werden, also die individuelle kognitive Entscheidungsfähigkeit mit einer Allgemeinheit. Obwohl es zu der damaligen Zeit noch um die Versöhnung der Theologie mit der Vernunftphilosophie ging, wurde dennoch klar, dass eine Versöhnung individueller kognitiver Möglichkeiten und einer Allgemeinheit wohl auch auf Erfahrungen reagieren müssen, so dass diese beide Seiten getrennt voneinander gedacht werden können (vgl. Vossenkuhl 2008, S. 26–27).
1.2.1 Autonomie und Fürsorge des Patienten
»Unsere Gesellschaft will in dem Kranken, den sie verjagt oder einsperrt, nicht sich selbst erkennen; sobald sie die Krankheit diagnostiziert, schließt sie den Kranken aus.« (vgl. Foucault, Botond 1968, S. S.97).
Bei der Diskussion des Autonomieprinzips stellt sich die Frage nach der Reichweite dieses Prinzips. Sofern die Achtung der Autonomie sinnvoll möglich und gerechtfertigt ist, scheint dies vorauszusetzen, dass der Patient tatsächlich autonom ist - solange er über die notwendigen Fähigkeiten verfügt. Unter medizinischen Paternalismus wird einerseits ein fürsorgeorientierter Ethos verstanden, der primär das Wohl und nicht den Willen des Patienten fokussiert. Andererseits werden Maßnahmen als paternalistisch bezeichnet, die dazu bestimmt sind, Sicherheit und Gesundheit von Personen auch gegen ihre gegenwärtigen Wünsche und Präferenzen zu sichern. Ob eine paternalistische Maßnahme moralisch gerechtfertigt ist, hängt davon ab, wie kompetent die Wünsche und Entscheidungen des Patienten sind. Die Achtung der Autonomie ist in weiterem Sinne als Achtung des "Willens" zu verstehen, der auch unter Bedingungen mangelnder Kompetenz und fehlender oder sich widersprechender Willensäußerungen unterstellt werden kann. Die Patientenautonomie hat in der Gegenwart einen besonders hohen Stellenwert, da sie aufgrund der modernen Medizin oftmals gefährdet ist. Als „Gefahren“ können folgende Faktoren betrachtet werden:
– Die Asymmetrie der Arzt-Patient-Beziehung. Als medizinischer Experte weiß der Arzt besser als der Patient über dessen körperlichen Zustand Bescheid. Er verfügt über für den Patienten schwer verständliche Informationen, die ihm eine entsprechende „Macht“ verleihen und somit den Patienten von ihm abhängig machen.
– Für die Definition und Erklärung, was etwa Schmerz, Krankheit oder Behinderung sind und was unter diesen Bedingungen objektiv für die Gesundheit und das Wohlbefinden gut sind, scheint in erster Linie die medizinische Wissenschaft zuständig zu sein. Die Beschwerden, Gefühle oder Meinungen des Patienten werden eher als etwas rein Subjektiv-Privates empfunden. Dabei vergessen die Patienten oftmals, dass es gerade unter Bedingungen der Krankheit letztendlich um deren eigenes Leben geht, welches sie selbst bestimmen und gestalten sollen.
– Medizinische Krankheitsbegriffe, Diagnose- und Behandlungsmethoden sind daraufhin ausgerichtet, den Patienten ausschließlich als Krankheitsfall zu behandeln und es wird dabei der individuelle Lebenskontext ausgeblendet. Dies birgt die Gefahr, dass der Patient nicht als Person mit einem individuellen Willen, sondern als Objekt medizinischer Fürsorge behandelt wird.
– Der Strukturwandel der Medizin, zu dem unter anderen die Institutionalisierung, Technisierung, Ökonomisierung oder die Spezialisierung gehören, soll den Patienten dienen. Allerdings dient dieser Wandel vielmehr den technischen, logistischen und ökonomischen Sachzwängen.
In Bezug auf die Autonomie führen die eben genannten Faktoren immer wieder zu Dilemmata. Aber nicht nur die Autonomie des dementen Patienten spielt im Krankenhaus eine bedeutende Rolle, auch die Fürsorge stellt sowohl für Patienten, Angehörige und Krankenhausmitarbeiter eine Herausforderung dar. Um zu verstehen, was Fürsorge bedeutet, ist zunächst der Begriff der Sorge zu klären. Heidegger[9] gibt in seinem Werk "Sein und Zeit" dem Begriff „Sorge“ einen anthropologischen Sinn als praktische Sorge für etwas. So verstanden prägt die Sorge das gesamte menschliche Tun (etwas besorgen, für etwas Sorge tragen). Das menschliche Leben hat insgesamt die Struktur der Selbstsorge und damit der Autonomie. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Selbstsorge und Autonomie oftmals individualistisch missverstanden werden, so als bilde jeder Einzelne eine völlig autarke Insel. Dagegen ist einzuwenden, dass wir zwar selbst leben und für uns Sorge tragen müssen, was aber nicht bedeutet, dass wir dies auch alleine tun könnten. Aufgrund der natürlich bedingten Endlichkeit, Bedürftigkeit und Sterblichkeit unserer Existenz sind wir dennoch auf die Fürsorge anderer für uns angewiesen. Besonders bewusst wird dies bei Krankheit, Armut oder Behinderung. Um es nochmals in Heideggers Worte zusammen zu fassen: Unser Leben ist sowohl je eigenes (autonomes) Selbst-Sein, wie zugleich Mit-sein mit anderen, für das die Fürsorge konstitutiv ist. Zwischen Sorge, Selbstsorge und Fürsorge besteht demnach ein enger Zusammenhang in dem auch die enge Beziehung zwischen Fürsorge und Autonomie enthalten ist. Diese Beziehung wird unter Einbeziehung der Würde noch deutlicher. Wird etwa notleidenden Menschen die für ihr Leben notwendige Fürsorge vorenthalten oder lässt man sie vorsätzlich in menschenunwürdigen Verhältnissen leben, so wird an dieser Stelle deren Würde missachtet. Das Autonomieprinzip impliziert die Verpflichtung der Fürsorge. Einem Menschen, die für sein Leben notwendige Fürsorge vorzuenthalten, heißt nicht nur grausam und mitleidslos zu sein und sein Bedürfnis nach Leidenslinderung zu missachten, sondern vielmehr bedeutet es, seinen Willen zu missachten, der ihm auf Grund seiner Leidenssituation zuzuschreiben ist. Das Kriterium der Kompetenz ist für das moralische Urteil im Einzelfall relevant, aber nicht für die Anwendbarkeit des Autonomieprinzips, dies hängt vom jeweiligen Situationskontext ab. Je mehr ein Patient in seiner Denk- und Urteilsfähigkeit beeinträchtigt ist, desto mehr muss sich eine nicht-paternalistische Fürsorge auf seinen mutmaßlichen Willen berufen, um seine Autonomie zu achten. Im Fall der Demenz kann es zu einem Verlust der verbalen Willensäußerung kommen und das nonverbale Verhalten gewinnt als Ausdrucksmittel des Willens an Bedeutung. Die Nahrungsverweigerung, das Ausspucken von Tabletten oder auch das Entfernen der Infusion kann beispielsweise zum Ausdruck bringen, dass der demente Patient jenes nicht möchte. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass der Patient auf diese Weise versucht den Willen zu sterben auszudrücken. Ist das Abwehrverhalten vorübergehend, weil es durch medizinisch behebbare Erkrankungen wie zum Beispiel eine Verwirrtheit, die durch einen Flüssigkeitsmangel bedingt ist, kann das ablehnende Verhalten missachtet und sich auf das Prinzip des mutmaßlichen Willen des Patienten gestützt werden. An dieser Stelle sind die früheren Willenserklärungen, wie z.B. die Patientenverfügung, zu erwähnen und auf deren nicht einfach unbesehenen Beachtung hinzuweisen. Zum einen könnten sie aus moralischen Gründen unzumutbar sein, zum anderen könnten diese inhaltlich unaufgeklärt, irrational oder unverständlich sein, so dass man bezweifeln kann, ob das Gesagte bzw. Geschriebene dem wirklichen Willen des Betroffenen entspricht. Dies ist selbst bei aktuellen Willensbekundungen oftmals schwierig. Ein und dieselbe Äußerung "ich möchte sterben" kann im Falle einer Krebserkrankung im Endstadium anders zu verstehen sein, als während einer depressiven Verstimmung. Länger zurückliegende Willenserklärungen bilden wegen des zeitlichen Abstands zwischen der Situation ihrer Äußerung und der Situation, für die sie einschlägig sind, ein besonderes Problem. Problematisch wird es in diesem Zusammenhang beispielsweise bei einem Alzheimererkrankten mit einer Patientenverfügung in der bei einer lebensbedrohlichen Krankheit der Wunsch, sterben zu dürfen, festgehalten wurde. Es stellt sich die Frage, welche Entscheidungen bei einer lebensbedrohlichen Krankheit zu treffen sind, sofern der Patient im fortgeschrittenen Stadium sein Leben genießt und durch sein Verhalten in keiner Weise einen Sterbewillen zum Ausdruck bringt. Diese Entscheidungen, bei denen es immer wieder zu Konflikten zwischen Autonomie und Fürsorge kommt, sind bei der Versorgung dementer Patienten im Krankenhaus kritisch zu überdenken (vgl. Rehbock 2005, S. 313–336).
1.2.2 Werteverschiebung und instrumentelle Handlungslogik
Das Thema Inklusion ist derzeit im gesellschaftlichen Kontext von Bedeutung und auch bei dementen Menschen besteht der Anspruch diese zu inkludieren. Allerdings entsteht häufig der Eindruck, dass Demenzkranke eher eine Last für die Gesellschaft sind. Gronemeyer[10] sieht den dementen Menschen in der Gesellschaft kritisch:
‚»Demenz hat zur Folge, nicht mehr lernen, sich nicht mehr anpassen zu können. Im Kontext einer Gesellschaft, die lebenslanges Lernen zu ihrem wichtigsten Glaubensartikel gemacht hat, bedeutet dies eigentlich nichts anderes, als dass die Dementen nicht zur Gesellschaft gehören.«‘
Sie sind somit per Definition ausgeschlossen. Auch das Verständnis von "Alter" hat sich geändert. Die Würde des Alters war einst begründet gewesen, dass alte Menschen etwas zu geben hatten wie Kenntnisse, Erfahrungen und Weisheiten. Allerdings gehörten Aufgaben wie sich anzupassen oder zu lernen nicht zu den Aufgaben der alten Menschen. Doch in der heutigen Zeit, in der die Gesellschaft in eine Art Dauererregung geraten ist, kommen die Alten als ‚»demente Trottel«‘ (Bezeichnung von Gronemeyer) in den Blick, die nicht mehr lernfähig sind. Daraus folgt die Tatsache dass sich nicht die Dementen von der Gesellschaft entfernen, sondern die Gesellschaft entfernt sich von den Dementen (vgl. Gronemeyer 2013, S. 175).
2014 wurde von Studierenden der Universität Bielefeld im Rahmen einer Kooperation mit einem Modellprojekt Projektstudien der Universität Bielefeld zum Thema „Demenz im Krankenhaus“ durchgeführt. Hierbei kam man zu der Erkenntnis, dass den verschiedenen Patientengruppen eine unterschiedliche Rentabilität und Bewertung zugesprochen wird. Vergleicht man beispielsweise die Patientengruppen Neugeborene mit Demenzkranken, so entsteht der Eindruck, dass das "neue" Leben gewollt und mit finanziellen Mitteln unterstützt wird, wohingegen Demenzkranke und deren Bedürfnisse als "alte" Generation eher unerwünscht sind. Diese Werteverschiebung ist nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine kulturelle Verschiebung. Unterscheidet man das auf Zukunft orientierte Leben mit einem abschiedlichen Leben in Bezug auf Achtsamkeit und Anerkennung, so wird ersichtlich, dass das junge Leben im Sinne des Utilitarismus nützlicher als das alte Leben erscheint. Der ethische Grundsatz der Pflege, der besagt, dass jedes Leben gleich viel wert ist und der Patient ein Recht auf ein gutes Leben während des gesamten Lebenszyklus hat, scheint hierbei außer Acht gelassen. In den Krankenhäusern kommt es aufgrund generalisierender Altersbilder und Stereotype bereits bei der Erkennung einer Demenzerkrankung zu Erschwernissen. Bisher gibt es keine standardisierte Diagnostik zu einer eventuell vorliegenden Demenz. Immer wieder wird älteren Menschen mit „normaler“ Vergesslichkeit eine Demenz unterstellt, ohne dies genauer untersucht zu haben. Es entsteht der Eindruck, dass ältere Menschen nicht mehr vergesslich sein dürfen. Wird dem Patienten einerseits die Diagnose Demenz ohne genauere Diagnostik[11] zugewiesen, ist es andererseits auch möglich, dass Symptome der Depression und des Delirs vermischt werden und aufgrund dessen eine Demenz falsch diagnostiziert wird. Im Rahmen der genannten Studie hat sich der Verdacht bestätigt, dass demenzkranke Patienten nicht immer nach ihrer Krankheitslogik, sondern nach den Maßstäben der instrumentellen Vernunft behandelt werden. Zeigt ein dementer Patient ein herausforderndes Verhalten, so reagiert das Pflegepersonal häufig im Sinne der Institutionslogik und der Patient erhält beispielsweise ein Beruhigungsmittel, welches bei unerwünschter Wirkung in der Dosierung erhöht oder durch eine andersartige Sedierung ersetzt wird. Als letzte Option bleibt die Fixierung zur Ruhigstellung des Patienten, damit der Stationsalltag nicht weiter gestört wird und die Krankenhausmitarbeiter „funktionieren“ können (vgl. Gröning et al. 2015, S. 9-28). Die sedierenden bzw. antipsychotischen Medikamente haben viele Nebenwirkungen, die für den dementen Patienten sehr belastend sind. In den USA wurde in einer großangelegten Studie der Zusammenhang zwischen Antipsychotika und Sterblichkeit untersucht. Dort gelangte man zu dem Ergebnis, dass Antipsychotika dementen Menschen mehr schaden als bisher angenommen und dass deren Sterblichkeit dadurch erhöht sei. Beispielsweise haben Patienten mit verabreichter Haloperidol - Medikation eine 3,8 Prozent höhere Sterblichkeitsrate als Patienten ohne Haloperidolgabe. Ähnliche Ergebnisse konnten in diesem Zusammenhang auch mit anderen Antipsychotika festgestellt werden (vgl. Arlotta 2015, S. 1).
1.2.3 Selbstbestimmung ermöglichen
Der erstmals von Kant[12] gebrauchte Begriff der Selbstbestimmung verknüpft die Selbsterkenntnis mit der Selbstbeherrschung. Aus philosophischer und psychologischer Sicht ist das „Selbst“ nicht auf Kognitionen oder Denkvorgänge, wie rationales Erkennen, Einordnen, logisches Operieren und Schlussfolgern beschränkt, sondern es umfasst grundlegende emotionale und verhaltensbezogene Orientierungen und Grundstimmungen. Dies verstärkt die Argumente für die Achtung der Selbstbestimmung auch im Fall der Demenz. Aus dem Aufeinander-Angewiesensein der Menschen und der gesellschaftlichen Solidarität folgt die ethische Verpflichtung, dem Mitmenschen nach besten Kräften zu dem zu verhelfen, was jeder selbst für sich beansprucht. Aus ethischer Sicht reicht es nicht aus, nur auf dem rechtlich gebotenen Respekt vor der Freiheit eines jeden zu bestehen und ihn an der Ausübung seiner Selbstbestimmung nicht zu hindern. Ethisch ist vielmehr geboten, sich um die Selbstbestimmung der Menschen zu bemühen. Die Grenzen sind hierbei jeweils die eigene Selbstbestimmung und die beschränkten natürlichen, gesellschaftlichen und individuellen Kräfte. Das gilt nicht nur allgemein für den gesellschaftlichen Umgang der Menschen untereinander, sondern ebenfalls für nahestehende Personen. Das eigene Leben zu leben, ist ein elementarer Ausdruck der menschlichen Freiheit. Dies wird in den alltäglichen Entscheidungen regelmäßig unter Beweis gestellt und trägt die grundsätzlichen Dispositionen für oder gegen eine bestimmte Lebensform. In der „Freiheit“ hält der Mensch seine Zukunft offen und wahrt in ihr seine Würde. Verliert der demente Patient seine eigene Disposition über sein Leben, so verpflichtet die Maxime dazu, dem Betroffenen so lange wie möglich die Chance zur Mitgestaltung seines Daseins einzuräumen. Die Wahrung der Selbstbestimmung im Fall einer Demenz ist oftmals einfacher zu realisieren, je weniger Veränderungen dem Demenzkranken von außen zugemutet werden. Dazu gehört beispielsweise auch eine Krankenhauseinweisung, die nur bei einer tatsächlichen Indikation erfolgen sollte. Die Selbstbestimmung von Menschen mit Demenz zu wahren, stellt sowohl die Angehörigen, das Personal in Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen als auch die Gesellschaft vor eine große Herausforderung. Die Anerkennung der Einzigartigkeit und der Individualität des Betreffenden fördert das Wohlbefinden des dementen Patienten. Durch den Abbau der mentalen Kräfte sind Verhaltenskorrekturen oft nicht möglich. Vor diesem Hintergrund gilt es, die vorhandenen Impulse des Betroffenen zu verstehen und seine Äußerungen, Signale und Gewohnheiten in den Alltag zu integrieren. Das Ziel einer die Selbstbestimmung wahrenden Pflege ist im § 2 Abs. 1 SGB XI (Elftes Sozialgesetzbuch) benannt. Dort heißt es:
‚»Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht«.‘
Die Leistungen der Pflegeversicherung sind an die Pflegebedürftigkeit gebunden. Diese wird bislang in § 2 Abs. 1 SGB XI in § 14 SGB XI im Wesentlichen verrichtungsbezogen und somatisch-medizinisch definiert. Pflegebedürftig ist danach, wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens. Gemeint sind Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung für voraussichtlich mindestens sechs Monate, in erheblichem oder in höherem Maße. Aus Sicht des Patienten kann man zusammenfassend feststellen, dass der Mensch so sein will, wie er sich selbst begreift und erwartet dass man ihn darin anerkennt (vgl. Deutscher Ethikrat 2012, S. 45-49, S. 52–59; S. 77–84). Der Vollständigkeit halber wird an dieser Stelle abschließend das Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Sicherheit erwähnt werden, welches die Konzepte der Pflege von dementen Menschen vor eine große Herausforderung stellt. Einerseits soll die Teilhabe am sozialen Leben, die eigene Motivation und die freie Mobilität gefördert werden. Andererseits führen die Orientierungslosigkeit sowie die oftmals mangelnde Selbsteinschätzung zu einem Selbstgefährdungspotential, welches im Bezug der Selbstbestimmung dennoch nicht vernachlässigt werden darf (vgl. Weinberger et al. 2014, S. 62).
2. Der demente Patient im Krankenhaus
Obwohl das meist belastende Thema der dementen Patienten im Alltag von Krankenhausmitarbeitern ständig präsent ist, gibt es nur wenige Fortbildungen zum Umgang mit dieser Patientengruppe und auch die Forschung ist in diesem Bereich noch nicht ausreichend. In der Akutversorgung kann das Weglaufen eines Demenzkranken von einer Krankenstation, durch den hektischen Krankenhausalltag, oftmals erst später als in einer Altenpflegeinrichtung bemerkt werden. Die Pflegenden empfinden solche Situationen als beängstigend und sorgen sich um den Demenzkranken. Bei der Suche nach dem verschwundenen Patienten kommt es zu einem Konflikt. Die Pflegenden sind verpflichtet, nach dem verschwundenen Patienten zu suchen, andererseits haben sie aber auch Anwesenheitspflicht auf der Station. Ein weiteres Konfliktfeld ist die Belegung der Patientenzimmer. Die Mitpatienten der Demenzerkrankten reagieren oftmals verständnislos bezüglich der gezeigten Verhaltensauffälligkeiten. Aufregungen dieser Art sind etwa in der Kardiologie nicht erwünscht, da sich die meisten Patienten mit Kreislauferkrankungen schonen müssen (vgl. Heimerl 2011, S. 24–29). Bereits die Patienteneinweisung und -aufnahme stellt die Krankenhausmitarbeiter, die dementen Patienten und deren Angehörige, vor eine Herausforderung.
2.1 Die Krankenhauseinweisung
Der Begriff „Krankenhaus“ wird nach dem § 107 SGB V (Fünftes Sozialgesetzbuch) wie folgt definiert:
‚»(1) Krankenhäuser im Sinne dieses Gesetzbuchs sind Einrichtungen, die 1. der Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen, 2. fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten, 3. mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichem, Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet sind, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten der Patienten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Geburtshilfe zu leisten, und in denen 4. die Patienten untergebracht und verpflegt werden können (…)«‘
(vgl. Bundesministeriums der Justiz 20.12.1988).
In der Literatur versteht man unter einem Akutkrankenhaus ein Krankenhaus ohne Rehabilitationseinrichtung. Für Bruder[13] bedeutet dement zu werden, zunehmend im Vollzug der individuellen Alltagsanforderungen zu scheitern. Deshalb erscheint es als Widerspruch, einen Demenzkranken aus der für ihn typischen Umgebung herauszulösen um ihn im Krankenhaus behandelt zu lassen (vgl. Nikolaus et al., S. 319). Aufgrund der vorherrschenden Versorgungsstrukturen ist es in Deutschland nur bis zu einem gewissen Schweregrad der gesundheitlichen Probleme möglich, einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden. Wie in etwa bei einem exsikierten Bewohner einer Altenpflegeeinrichtung, der zur Gabe von intravenösen Infusionen in ein Krankenhaus eingewiesen werden muss, da subkutane Infusionen nicht ausreichen. Diese könnten auch in der Altenpflegeeinrichtung von einem Arzt oder pflegerischen Fachpersonal verabreicht werden (vgl. Anderson 2010, S. 76–77). Eine zusammenfassende Analyse von Studien der letzten Jahre zeigte, dass Patienten mit Demenz dreimal häufiger akut in ein Krankenhaus eingewiesen wurden als andere ältere Menschen ohne Demenz. Gründe für die Einweisungen waren unter anderen Synkopen, Stürze oder Frakturen (28 Prozent), Erkrankungen des Herzens (17 Prozent), Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts (9 Prozent), Pneumonie (6 Prozent) oder auch aufgrund eines Delirs (5 Prozent). Zu den häufigsten Einweisungsdiagnosen zählten respiratorische Infekte. Viele dieser Einweisungen aus dem Pflegeheim wurden als vermeidbar eingeschätzt, da die Infektionen auch dort hätten behandelt werden können (vgl. Hofmann 2013, S. 200–202). Ein weiteres Problem stellen die vorgeschobenen Einweisungsdiagnosen dar. Oftmals erfolgen stationäre Aufnahmen bei kognitiv eingeschränkten Patienten aus sozialen Gründen wie z.B. aufgrund eines Versorgungsproblems. Organische Diagnosen, aus dem Rahmen der bestehenden Multimorbidität, werden hierbei unter anderem vorgeschoben. Es sei an dieser Stelle ergänzend zu erwähnen, dass soziale Gründe bisher nicht nach den Krankenhausaufnahmebedingungen nach G-AEP[14] (German Appropriateness Evaluation Protocol) zulässig sind (vgl. Füsgen und Schütz 2013, S. 203–207).
Für demente Patienten gestalten sich bereits die Aufnahmediagnostik sowie die nachfolgenden Behandlungen schwierig. Als besonders belastend werden die langen Wartezeiten empfunden. Oftmals lehnen die demenzerkrankten Patienten Untersuchungen ab, da sie keinen Sinn darin erkennen können, und reagieren unter anderem mit mangelnder Kooperation oder Abwehr. Bei sehr ängstlichen oder agitierten Patienten erscheint es sinnvoll, zunächst nur die nötigste Diagnostik durchzuführen und die fehlenden Untersuchungen an den Folgetagen durchzuführen, nachdem sich der demente Patient etwas eingewöhnt hat. Das Vorgehen muss allerdings dokumentiert werden, um im späteren Behandlungsverlauf nachvollziehbar zu sein. Besonders schwierig gestaltet sich die Situation der Verweigerung von Untersuchungen, sofern keine Betreuungsregelung vorliegt. Ärzte müssen dann entscheiden, auf welcher rechtlichen Grundlage die Aufnahme und Behandlung im Krankenhaus möglich ist (vgl. Anderson 2010, S. 78–79).2.2 Der demenzkranke Patient im Krankenhausalltag Ob demenzkranke Patienten als relevante Größe im Akutkrankenhaus wahrgenommen werden, hängt auch vom Bewusstsein und von der Sensibilisierung der Leitungskräfte ab. Das Bewusstsein wird häufig durch den beruflichen Hintergrund der Leitungskräfte bzw. durch persönliche Erfahrungen mit Demenzkranken geschärft (vgl. Kirchen-Peters 2013, S. 79). Demenzkranke finden sich in dem für sie fremden Umfeld nur schwer zurecht. In der Krankenhausatmosphäre fehlen die vertraute Umgebung, die gewohnten Bezugspersonen, die vertraute Tagesstruktur und das Beschäftigungsangebot. Häufig führt ein Umgebungswechsel zu einer weiteren Verschlechterung des Allgemeinzustandes des Demenzkranken, welcher oft von einer weiteren Reduktion körperbezogener und kognitiver Funktionsfähigkeiten geprägt ist und somit einen weiteren Verlust der Selbständigkeit zur Folge hat. Viele dieser Patienten reagieren darauf mit Unruhe und haben das Bedürfnis, den Ort, den sie nicht kennen und der verwirrend auf sie wirkt, zu verlassen und entfernen sich aus dem Krankenzimmer oder der Station im Krankenhaus (vgl. Plenter 2013, S. 26). Immer wieder werden für den Aufenthalt benötigte Gegenstände wie Zahnprothesen, Brillen, Hörgeräte oder andere persönliche Dinge, die unter anderem die Orientierung erleichtern können, aus Angst vor Verlust absichtlich nicht mitgegeben, vergessen oder gehen beim Transfer bzw. im Krankenhaus verloren. Infolgedessen werden die dementen Patienten dann als orientierungslos oder nicht ansprechbar erlebt und es folgen dieser Situation entsprechende Reaktionen des Krankenhauspersonals. Besonders gravierend ist, dass das Fehlen der Zahnprothese nicht nur die Nahrungsaufnahme und die Atmung erschweren, sondern auch die Stimmung und den Antrieb beeinträchtigen können (vgl. Anderson 2010, S. 81–82). Krankenhausaufenthalte können leicht zu traumatisierenden Erlebnissen für Demenzkranke werden. Schmerzen, wie beispielsweise nach einer Operation, können von diesen oftmals nicht adäquat mitgeteilt werden. Es ist mittlerweile erwiesen, dass Krankenhausaufenthalte für Demenzkranke mit einem erhöhten Risiko von Komplikationen wie Stürzen, nosokomialen Infektionen, Mangelernährung, Austrocknung sowie Über- oder Unterdosierung an Medikamenten verbunden sind. Infolgedessen kann es zu längeren Liegezeiten, einer größeren Wahrscheinlichkeit der Einweisung in ein Pflegeheim und letztendlich auch zu einer höheren Mortalität kommen. Häufig ist die Verschlechterung der Demenzerkrankung insgesamt die Folge (vgl. Klapper 2013, S. 2–5).
2.3 Besonderheiten bei der Pflege Demenzkranker im Krankenhaus
Der demente Patient ist auch im fortgeschrittenen Stadium noch immer ein Mensch, dem mit Respekt und Achtung zu begegnen ist, selbst dann, wenn er seine Wünsche und Bedürfnisse nicht mehr offensichtlich kommunizieren kann. Sein Leben hat auch mit Demenz noch immer einen Sinn. Frankl[15] ging davon aus, dass das Ringen um die bestmögliche Sinnerfüllung seines Daseins fest im Menschen verwurzelt ist und die Sinnfülle der Existenz ausschlaggebend ist. Der Mensch will letzten Endes nicht das Glücklichsein an sich, sondern einen Grund zum Glücklichsein. Für einen dementen Patienten kann schon ein verständnisvolles Gespräch, Geduld oder das Gefühl, ernst genommen zu werden, ein Grund zum Glücklichsein sein (vgl. Frankl 1978, S. 70).
Sofern die Versorgung von demenenzkranken Patienten im Krankenhaus gelingen soll, ist ein kompetentes Pflegepersonal von Nöten. Voraussetzung hierfür ist eine Erfassung und Darstellung der Defizite und noch vorhandener Kompetenzen der dementen Patienten. 2010 wurde unter der Leitung von Füsgen und Schulz eine fragebogengestützte Studie zum Thema Patienten mit Gedächtnisstörungen im Krankenhaus - Umgang mit therapeutischen und pflegerischen Problemen durchgeführt (Anhang 9). Beachtenswert ist die Tatsache, dass, im Gegensatz zum Pflegeheim, im Krankenhaus nur bei ca. 20 Prozent dieser Patientengruppe eine spezifische Pflegeanamnese für kognitiv gestörte Patienten durchgeführt wurde. Sowohl in der Pilotstudie als auch in der Krankenhauserhebung wurde die größte Bedeutung den Verhaltensstörungen während eines stationären Krankenhausaufenthaltes beigemessen. Besonders belastend war für das Pflegepersonal die nächtliche Unruhe, das Verirren auf der Station, Nahrungsverweigerung und aggressives Verhalten. Unabhängig von der Krankenhausgröße wurden Maßnahmen wie Angehörige als Vermittler einzusetzen, beruhigende Gespräche und Ablenkung der Patienten durchgeführt. Lediglich beim Einsatz von Fixierungsmaßnahmen und Medikamentengaben fand sich ein leicht steigender Trend bei den größeren Krankenhäusern (vgl. Füsgen, Schütz 2012, S. 7–12). Das Pflegepersonal ist mit individuellen Barrieren bei der Versorgung von dementen Patienten konfrontiert. Ein Faktor ist hierbei die Frage des beruflichen Selbstverständnisses. Ist das Pflegepersonal eher an der „Spitzenmedizin“ orientiert, so kann die intensive Betreuung und Beschäftigung mit den Demenzkranken Gefühle eines beruflichen Statusverlustes hervorrufen. Aufgrund der mangelnden gesellschaftlichen Wertschätzung von Alter und Pflegebedürftigkeit wird oftmals eine Abwertung des Berufsbildes befürchtet. Die „Spitzenmedizin“ mit modernem Technikeinsatz, die auf die Heilung von Krankheiten ausgerichtet ist, erfährt in der Gesellschaft ein höheres Ansehen und Wertschätzung als die „Spitzenbetreuung“ von chronischen und progredienten Erkrankungen. Das Pflegepersonal ist oftmals zusätzlich mit institutionellen Barrieren konfrontiert. In vielen Krankenhäusern gibt es noch immer Unkenntnis zu den demenzsensiblen Möglichkeiten im Krankenhaus und den notwendigen Demenzfortbildungen für das Personal, was häufig zu Handlungsunsicherheit bei der Identifizierung und Zuordnung von Symptomen sowie im Umgang mit verhaltensauffälligen Demenzkranken führt (vgl. Kirchen-Peters 2013, S. 80-81).
Doch nicht nur die Demenzerkrankung stellt das Pflegepersonal vor eine Herausforderung, auch die natürlichen altersphysiologischen Veränderungen müssen im Pflegealltag berücksichtigt werden. Hierzu zählen beispielsweise die Abnahme der Sauerstoffaufnahme im Blut, die reduzierte Knochenmarkaktivität, die Abnahme der Vitalkapazität, des Herzminutenvolumens und der Nierendurchblutung, die verlangsamte Nervenleitungsgeschwindigkeit, die Veränderung der Schmerzwahrnehmung, der Abnahme der Muskelmasse, des Durstantriebs und des Flüssigkeitsvolumens, die Zunahme der Trockenmasse des Körpers, die Verminderung elastischer Fasern und die allgemeine geistige und körperliche Verlangsamung. Zwar sind ältere Menschen durch diese Veränderungen nicht automatisch in der Selbständigkeit eingeschränkt, dennoch können diese im Zusammenhang mit einer Erkrankung zu Problemen führen (vgl. Förstl 2011, S. 440–441).
Nur weil die Pflege dementer Patienten nicht zu dem wünschenswerten Erfolg der Erhaltung der Selbständigkeit führt, bedeutet dies nicht, dass eine intensive Pflege sinnlos wäre. Erfolglosigkeit bedeutet nicht Sinnlosigkeit. Veranschaulichen lässt sich dies mit der Musik. Für den künstlerischen Gehalt ist die Frage, ob eine Melodie in Dur oder Moll gesetzt ist, irrelevant, und auch unvollendete Symphonien gehören zu den wertvollsten Musikstücken (vgl. Frankl 1979, S. 247–248). Bei einem Demenzkranken ist die Lebensqualität und nicht die lebensverlängernden Maßnahmen vordergründig. Kann beispielsweise bei dem dementen Patienten durch eine Medikamentengabe die Chance verbessert werden, dass dieser in zehn oder fünfzehn Jahren weniger gefährdet ist, einen Herzinfarkt zu erleiden, dann quält er sich ggf. über Monate oder Jahre mit vielen Medikamenten und deren Nebenwirkungen ohne jemals von dem vermeintlichen Effekt profitieren zu können. Eine Priorität ist hierbei das kritische Überdenken der therapeutischen Interventionen und der Medikation, und das nicht erst in der letzten Lebensphase des Betroffenen (vgl. Zieschang 2011, S. 4).
2.3.1 Besonderheiten der Ernährung dementer Patienten
Bei vielen Demenzpatienten kommt es im Laufe der Erkrankung zu einer unzureichenden Nahrungsaufnahme. Zu den Folgen zählen nicht nur Dehydrierung und Mangelernährung, sondern auch Entkräftung, erhöhte Sturzgefahr, die Neigung zur Aspirationspneumonie und Dekubitalgeschwüren und eine Abschwächung des Immunsystems mit dem Risiko von Sekundärinfektionen. Diesen „Gefahren“ kann man durch eine verständnisvolle, motivierende und geduldige Hilfe bei der Nahrungsaufnahme begegnen (vgl. Helmchen et al. 2006, S. 209–210). Ursächlich für die unzureichende Nahrungsaufnahme ist unter anderen die Hirnschädigung im fortgeschrittenen Stadium, die bei vielen Demenzkranken beispielsweise zu Schluckproblemen führt. Aspirationen können zu rezidivierenden Pneumonien führen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob eine regelmäßig wiederkehrende Pneumonie jedes Mal antibiotisch behandelt werden muss, da Antibiosen bei wiederholter Gabe an Wirkung verlieren. Eine Alternative wäre die rein palliative Behandlung zur Verhinderung der Luftnot. Die Pneumonie ist ein häufiger Weg älterer Menschen, aus dem Leben zu gehen, und dieser natürliche Weg sollte nicht grundsätzlich versperrt werden. Mit den Schluckstörungen tritt häufig auch eine Unterernährung der Patienten auf, welche die Indikation zur Anlage einer PEG-Sonde zur Folge hat. Allerdings konnte mittlerweile in Studien nachgewiesen werden, dass die Anlage einer PEG-Sonde weder die Lebensqualität noch die Lebenserwartung verbessern. Auch das Aspirations- und Dekubitusrisiko werde hierdurch nicht gesenkt. Auch Patient die keine Nahrung zu sich nehmen, können sich verschlucken. Aspirationen können durch die PEG-Sonde gegebenenfalls sogar vermehrt auftreten, etwa wenn der Magen mit Nahrung gefüllt wird, welche erbrochen werden kann und somit durch Verschlucken in die Lunge transportiert wird. Es entsteht ein besserer Nährboden für Entzündungen als bei Speichel (vgl. Zieschang 2011, S. 1–4).
[...]
[1] Dag Schütz – Geriater, Direktor der Klinik für Geriatrie in Werden
[2] Ingo Füsgen – Prof. für Geriatrie, Internist, Lehrstuhl für Geriatrie der Universität Witten / Herdecke
[3] Henry Brodaty - Professor für Ageing and Mental Health, Director of the Dementia Collaborative Research Centre an der Universität New South Wales und in Sydney.
[4] Jean-Joseph Menuret (*1733 ᶧ1815) - Arzt und Autor
[5] Jean Razoux (*1723 ᶧ1798) - Arzt, Magistrat, Publizist
[6] Viktor von Weizsäcker (*1886 ᶧ1957) - habilitierter Mediziner und Leiter der neurologischen Abteilung an der Medizinischen Klinik in Heidelberg
[7] Karl Theodor Jaspers (*1883 ᶧ1969) - Psychiater und Philosoph
[8] Thomas von Aquin (*1225 ᶧ1274) - Dominikaner Mönch, Philosoph und Theologe
[9] Martin Heidegger (*1889 ᶧ1976) - Philosoph
[10] Reimer Gronemeyer – Theologe, Soziologe und Hochschullehrer
[11] Im Anhang 2 ff. befinden sich wichtige Skalen und Scores zur Diagnostik einer Demenz
[12] Immanuel Kant (*1724 ᶧ1804) - Philosoph
[13] Jens Bruder – Gerontologe, Gründungsmitglied der Deutschen Alzheimer Gesellschaft
[14] G-AEP: German Appropriateness Evaluation Protocol - ein Kriterienkatalog zur Überprüfung der Angemessenheit stationärer Behandlung
[15] Victor Frankl (*1905 ᶧ1997) - Psychiater, Neurologe, Begründer der Existenzanalyse und der Logotherapie
- Quote paper
- Kerstin Brauer (Author), 2015, Der demenzkranke Patient im Akutkrankenhaus. Herausforderungen und Handlungsempfehlungen aus ethischer, gesellschaftlicher, pflegerischer und ökonomischer Sicht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316233
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