Schulsozialarbeit als neues Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit steht heutzutage vermehrt im Interesse der gesellschaftlichen und politischen Diskussionen um Bildung und Erziehung. Viele Menschen sehen in ihr einen vielversprechenden Lösungsansatz zur Beseitigung bzw. zur Vorbeugung von sozialen Problemen und Notlagen von Kindern und Jugendlichen. Vor diesem Hintergrund befindet sich die Schulsozialarbeit in einem Spannungsfeld von unterschiedlichen Erwartungen und Forderungen seitens der Familie, Schule und Jugendhilfe. Sie nimmt, indem sie die unterschiedlichen pädagogischen Kompetenzen unterstützt und sie zum Wohl der Kinder und Jugendlichen miteinander zu verbinden versucht, zwischen diesen drei wichtigsten Sozialisationsinstanzen im Jugendalter eine „Scharnierfunktion“ (Stickelmann 2002, S. 806) ein.
Die Praxis zeigt, dass gesellschaftliche Entwicklungen wie hohe Scheidungsraten, auffälliger Rückgang der Eheschließungen, steigende Anzahl der Alleinerziehenden-Haushalte, zunehmend geschwisterloses Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen, subjektive „Wertungen“ anstelle von gültigen „Werten“ usw. an der aufwachsenden Generation nicht spurlos vorüber gehen. Kinder und Jugendliche stehen heute zwar wie noch nie zuvor im Blickpunkt des gesellschaftlichen Interesses und stellen eine beliebte Zielgruppe für Werbung und Industrie dar, doch sie selbst, ihre Persönlichkeit und Bedürfnisse, leiden oft an Vernachlässigung, Einsamkeit und Orientierungslosigkeit. Dadurch können einige Defizite auftreten, die im schulischen Verhalten besonders deutlich werden und durch kompetente Jugendhilfe, z.B. in Form von Schulsozialarbeit, kompensiert werden müssen.
In der vorliegenden Diplomarbeit sollen deshalb die Notwendigkeit, Bedeutung und konzeptionelle Gestaltung der Schulsozialarbeit sowie der Bedarf einer Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe deutlich gemacht und diskutiert werden.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Veränderte Sozialisationsbedingungen von Kindern und Jugendlichen heute
1.1 Gestaltung und Entwicklungsaufgaben der heutigen Jugendphase
1.2 Begriffliche Vorabklärungen
1.2.1 Sozialisation
1.2.2 Sozialisationsinstanzen
1.3 Veränderungen der familialen Bedingungen
1.3.1 Funktionen und Aufgaben der Familie
1.3.2 Der gesellschaftliche Wandel und die strukturellen Veränderungen
1.3.3 Auswirkungen auf die Sozialisation der Jugendlichen
1.4 Bedeutung und Sozialisationswirkung der Peergroup
1.5 Zwischenbilanz
1.6 Schule als dominierende Sozialisationsinstanz
1.6.1 Funktionen des Schulsystems
1.6.2 Sozialisationsprozesse in der Schule
2 Konsequenzen für Schule und Jugendhilfe
2.1 Aktuelle Problemlagen der Schulen
2.1.1 Belastungen des Schülerseins
2.1.2 Überlastungssituation der Lehrkräfte
2.1.3 Neue Anforderungen an die Jugendhilfe
2.2 Notwendigkeit und Begründung der Schulsozialarbeit
2.2.1 Argumente aus der Schulpädagogik
2.2.2 Argumente aus der Sozialpädagogik
3 Theoretische Reflexion und Praxis der Schulsozialarbeit
3.1 Begriffsdefinitionen und geschichtlicher Hintergrund
3.2 Schulsozialpädagogische Profilbildung
3.2.1 Zielgruppen und Zielsetzung
3.2.2 Rechtliche Grundlagen
3.2.3 Aufgaben und Inhalte
3.3 Handlungsorientierung der Schulsozialarbeit
3.3.1 Handlungsmaximen
3.3.2 Prinzipien und Strategien methodischen Handelns
3.3.3 Grundsätze der schulsozialpädagogischen Arbeit
3.3.3.1 Prävention
3.3.3.2 Ressourcenorientierung
3.3.3.3 Beziehungsarbeit
3.3.3.4 Prozessorientierung
3.3.3.5 Methodenkompetenz
3.3.3.6 Systemorientierung
3.4 Entwicklung von Modellen und Konzepten
4 Qualitätsentwicklung in der Schulsozialarbeit
4.1 Erwartungen und Anforderungen an Schulsozialarbeiter
4.2 Mindeststandards als Qualitätskriterien
4.3 Ebenen der Qualitätssicherung
4.3.1 Strukturqualität
4.3.2 Prozessqualität
4.3.3 Ergebnisqualität
5 Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule
5.1 Strukturelle Unterschiede
5.2 Anknüpfungspunkte und Hindernisse
5.3 Mögliche Kooperationsverhältnisse
5.3.1 Organisationsmodelle zur Umsetzung von Schulsozialarbeit
5.3.1.1 Integrations- und Subordinationsmodell
5.3.1.2 Distanzmodell
5.3.1.3 Kooperationsmodell
5.3.2 Formen der Trägerschaft
5.3.2.1 Freier Träger
5.3.2.2 Schule als Träger
5.3.2.3 Behörde als Träger
5.3.3 Ebenen der Kooperation
5.4 Voraussetzungen erfolgreicher Kooperation
5.4.1 Erforderliche Rahmenbedingungen
5.4.1.1 Aufgaben der Jugendhilfe
5.4.1.2 Aufgaben der Schule
5.4.1.3 Aufgaben der Jugendhilfe und Schule
5.4.2 Prinzipien gelingender Kooperationsprozesse
5.5 Beteiligungsmöglichkeiten der Familie
5.5.1 Informiertheit der Eltern über Schulsozialarbeit
5.5.2 Familienorientierte Schülerhilfe
Zusammenfassung und Ausblick
Anhang
Literaturverzeichnis
Einleitung
Schulsozialarbeit als neues Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit steht heutzutage vermehrt im Interesse der gesellschaftlichen und politischen Diskussionen um Bildung und Erziehung. Viele Menschen sehen in ihr einen vielversprechenden Lösungsansatz zur Beseitigung bzw. zur Vorbeugung von sozialen Problemen und Notlagen von Kindern und Jugendlichen. Vor diesem Hintergrund befindet sich die Schulsozialarbeit in einem Spannungsfeld von unterschiedlichen Erwartungen und Forderungen seitens der Familie, Schule und Jugendhilfe. Sie nimmt, indem sie die unterschiedlichen pädagogischen Kompetenzen unterstützt und sie zum Wohl der Kinder und Jugendlichen miteinander zu verbinden versucht, zwischen diesen drei wichtigsten Sozialisationsinstanzen im Jugendalter eine „Scharnierfunktion“ (Stickelmann 2002, S. 806) ein.
Mein persönliches Interesse für die Bereiche Familie, Jugend und Schule motivierte mich zur Bearbeitung des vorliegenden Diplomthemas. Schon im Rahmen des Feldprojektes hatte ich ein halbes Jahr lang die Möglichkeit, gemeinsam mit meiner Kommilitonin das Berufsfeld Schulsozialarbeit an der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Detmold kennen zu lernen und dort einen Mädchenkreis aufzubauen und durchzuführen. Diese Zeit war für mich sehr erfahrungsreich und hat mein berufliches Interesse für die Schulsozialarbeit geweckt. Außerdem leite ich ehrenamtlich eine Gruppe von Jugendlichen in meiner Kirchengemeinde und versuche ihnen wichtige Hilfestellungen und Wertorientierungen für ihre Lebensgestaltung zu vermitteln. Aus diesem Grund interessiere ich mich sehr für die veränderten und erschwerten Aufwachsbedingungen in der modernen Gesellschaft und die aktuellen strukturellen Veränderungen der Familien in Deutschland.
Die Praxis zeigt, dass gesellschaftliche Entwicklungen wie hohe Scheidungsraten, auffälliger Rückgang der Eheschließungen, steigende Anzahl der Alleinerziehenden-Haushalte, zunehmend geschwisterloses Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen, subjektive „Wertungen“ anstelle von gültigen „Werten“ usw. an der aufwachsenden Generation nicht spurlos vorüber gehen. Kinder und Jugendliche stehen heute zwar wie noch nie zuvor im Blickpunkt des gesellschaftlichen Interesses und stellen eine beliebte Zielgruppe für Werbung und Industrie dar, doch sie selbst, ihre Persönlichkeit und Bedürfnisse, leiden oft an Vernachlässigung, Einsamkeit und Orientierungslosigkeit. Dadurch können einige Defizite auftreten, die im schulischen Verhalten besonders deutlich werden und durch kompetente Jugendhilfe, z.B. in Form von Schulsozialarbeit, kompensiert werden müssen.
In der vorliegenden Diplomarbeit sollen deshalb die Notwendigkeit, Bedeutung und konzeptionelle Gestaltung der Schulsozialarbeit sowie der Bedarf einer Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe deutlich gemacht und diskutiert werden. An dieser Stelle möchte ich den sogenannten „roten Faden“ dieser Arbeit aufzeigen und eine kurze Kapitelübersicht geben.
Zu Beginn sollen im Kapitel 1 die gegenwärtigen veränderten Sozialisationsbedingungen von Kindern und Jugendlichen betrachtet werden. Dabei sollen zunächst die Gestaltung und Entwicklungsaufgaben des Jugendalters und die Definitionen der Begriffe Sozialisation und Sozialisationsinstanzen kurz erläutert werden. Anschließend werden die Sozialisationsinstanzen Familie, Peergroup und Schule auf ihre Funktionen, Bedeutung und Veränderungen infolge des gesellschaftlichen Wandels sowie deren Auswirkungen auf die Sozialisation der Kinder und Jugendlichen untersucht. Dabei möchte ich besonders auf die Rolle der Familie im Sozialisationsprozess und auf die zunehmend dominierende Sozialisationswirkung der Schule eingehen.
Aus diesen Zusammenhängen ergeben sich notwendige Konsequenzen für die Schule und Jugendhilfe, die im Kapitel 2 dargestellt werden. Zuerst sollen die aktuellen Problemlagen der Schulen, wie z.B. Belastungen der Schüler und Überforderung der Lehrkräfte sowie die neuen Anforderungen an die Jugendhilfe im Mittelpunkt der näheren Betrachtung stehen. Die daraus erkennbare Notwendigkeit der sozialen Arbeit an Schulen soll anschließend pädagogisch und schulpädagogisch begründet werden.
Nach einem kurzen geschichtlichen Hintergrund folgen in Kapitel 3 einige Definitionsversuche des Arbeitsbegriffes „Schulsozialarbeit“ sowie ein zusammengefasster Überblick über Profilbildung, Handlungsorientierung und Entwicklung von Modellen und Konzepten in der Schulsozialarbeit.
Entscheidend für die Anerkennung und Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit sind die Ergebnisse und die Qualität der bisherigen Schulsozialarbeitsprojekte. In Kapitel 4 sollen deshalb die Mindeststandards und Methoden der Qualitätssicherung in der Schulsozialarbeit thematisiert werden.
Das umfangreiche Kapitel 5 baut auf den bisher geschaffenen Grundlagen auf und befasst sich detailliert mit der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule. Dabei möchte ich zunächst die wichtigsten strukturellen Unterschiede dieser beiden Systeme herausarbeiten und mögliche Hindernisse und Anknüpfungspunkte einer Kooperation schildern. Im Weiteren werden einige Organisationsmodelle, Formen der Trägerschaft und notwendige Rahmenbedingungen der Schulsozialarbeit differenziert vorgestellt, da diese Faktoren die Kooperationspraxis stark beeinflussen. Für die einzelnen Schüler hängt der Erfolg der Schulsozialarbeit im hohen Maße auch von der Zusammenarbeit ihrer Eltern mit den Schulsozialpädagogen ab. Deshalb möchte ich im letzten Teil des 5. Kapitels beispielhaft eine Möglichkeit der Einbeziehung der Familie in die Arbeitsprozesse der Schulsozialarbeit aufzeigen.
Abschließend fasse ich die Hauptgedanken dieser Diplomarbeit zusammen und gebe einen kurzen Ausblick zur Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit.
Im Rahmen dieser Diplomarbeit konnte ich auf einige angrenzenden Thematiken und Problemstellungen nicht näher eingehen bzw. diese nicht weiter vertiefen und habe daher auf weitererführende Literatur verwiesen.
Kurz möchte ich noch auf drei Formsachen eingehen. Erstens: Diese Diplomarbeit ist nach der Grammatik der neuen Rechtschreibung geschrieben worden. Zweitens: Die Berufsbezeichnungen „Sozialpädagoge“ und „Sozialarbeiter“ bzw. „Schulsozialpädagoge“ und „Schulsozialarbeiter“ werden synonym gebraucht, da auch im Studium keine fachlichen Differenzierungen vorgenommen werden. Drittens: Ich habe bei der Bezeichnung von Personengruppen, um den Lesefluss nicht zu behindern, die kürzere d.h. die männliche Endungsform gewählt (z.B. Schulsozialpädagoge, Lehrer, Schüler usw.), wobei die weiblichen Vertreter dieser Personen- bzw. Berufsgruppe selbstverständlich vorurteilsfrei miteingeschlossen sind. An manchen Stellen werden jedoch zwecks besseren Verständnisses beide Endungsformen gebraucht (z.B. Schülerinnen und Schüler).
1 Veränderte Sozialisationsbedingungen von Kindern und Jugendlichen heute
Erwachsenwerden ist ein Prozess, der nicht einfach ist, besonders nicht in unserer Zeit. Die „berufenen Erzieher“ – Eltern, Lehrer und Sozialpädagogen klagen vermehrt über Schwierigkeiten im Umgang mit der nachwachsenden Generation (vgl. Mühlum 1995, S. 218). Dieses Kapitel gibt einen kurzen Überblick über die Gestaltung der heutigen Jugendphase und über die weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen und soll das Spannungsfeld zwischen den wichtigen Sozialisationsinstanzen Familie, Peergroup und Schule aufzeigen.
1.1 Gestaltung und Entwicklungsaufgaben der heutigen Jugendphase
Die Jugendphase hat eine gravierende und lebensprägende Bedeutung für jeden Menschen. In den letzen Jahren hat gerade diese Lebensphase eine entscheidende Veränderung und strukturellen Wandel erlebt. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wird Jugend als selbstständige Phase im Verlauf des menschlichen Lebens begriffen. Sie stellt eine besondere Entwicklungsphase der Persönlichkeit dar, die den jeweils aktuellen gesellschaftlichen Bewertungsmaßstäben unterliegt (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 10). In den letzen Jahrzehnten ist es immer schwieriger geworden, die Abgrenzung der Jugendphase zu der Kindheit und dem Erwachsensein zu definieren. Es ist einleuchtend, dass „weder ein 4jähriger noch ein 53jähriger Mensch dieser Phase zugerechnet wird“ (Butz 1998, S. 24), jedoch ist die Altersspanne, die dieser Lebensphase zugeordnet wird, nicht eindeutig zu bestimmen (vgl. Butz 1998, S. 24). Meistens wird jedoch die Altersspanne zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr als das Jugendalter bezeichnet. Manche Autoren unterteilen die Jugendzeit in unterschiedliche Phasen, wie z. B. Vorpubertät, Pubertät und Adoleszenz (vgl. Giesen 2002, S. 507) oder in pubertäre Phase (13-18jährige), nachpubertäre Phase (18-21jährige) und Nachjugendzeit (ab 21 Jahren). Bei den Jugendlichen, die schnell ins Berufsleben einsteigen, stellt die Jugendphase eine Übergangsphase dar und ist darum relativ kurz. Bei der sogenannten „Bildungsjugend“, z.B. Studenten, die lange Ausbildungszeiten haben, ist diese Lebensphase relativ lang, man kann sogar von einer „postadoleszenten“ Lebensform sprechen (vgl. Münchmeier 2001, S. 22f). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Übergang vom Kind zum Jugendlichen an den Beginn der Pubertät geknüpft ist, jedoch der Wechsel vom Jugendlichen zum Erwachsenen sich sehr individuell gestaltet und schwierig zu bestimmen ist (vgl. Butz 1998, S. 24f). Als oberste Grenze des Übergangs zum Erwachsensein wird das Alter von ungefähr 30 Jahren angesetzt mit der Begründung, dass spätestens dann in der Regel die meisten Studiengänge abgeschlossen worden sind und eine endgültige Loslösung vom Elternhaus auch in finanzieller Hinsicht erfolgt (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S.11).
Die Jugendphase ist eine Entwicklungsperiode, in der Mädchen und Jungen gleichermaßen stark gefordert werden und sich in einem Spannungs- und Konfliktzustand befinden, der aus der Ungleichheit zwischen der biologischen und der psychosozialen Entwicklung entsteht. Dieser Spannungszustand muss individuell gelöst werden, damit die Voraussetzung für eine „gesunde“ Weiterentwicklung der Persönlichkeit erfüllt wird. Wenn dieser Lösungsprozess im Jugendalter nicht gelingt, hat das meist krisenhafte Folgen, die sogar zu einer abweichenden Verhaltensentwicklung führen können. Diese Lösung kann jedoch nur dann letztendlich zustande kommen, wenn der Jugendliche sich von seinen Eltern innerlich ablöst und sich außerfamiliären Bezugspersonen und Anforderungen zuwenden kann (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 11f). Kennzeichnend für die Jugendzeit als eine eigenständige Lebensphase sind die sogenannten „psychosozialen Entwicklungsaufgaben“, die erfolgreich bewältigt werden müssen.
„Unter einer Entwicklungsaufgabe werden in der psychologischen Diskussion die kulturell und gesellschaftlich vorgegebenen Erwartungen und Anforderungen verstanden, die an Personen einer bestimmten Altersgruppe gestellt werden. Sie definieren für jedes Individuum in bestimmten situativen Lebenslagen objektiv vorgegebene Handlungsprobleme, denen es sich stellen muss“ (Hurrelmann u.a. 1985, S. 12).
Robert J. Havighurst (1982) stellte als erster die These auf, dass jedes menschliche Handeln auf Zielen basiert, an denen sich ein junger Mensch orientieren kann. Diese Ziele entsprechen den sogenannten Entwicklungsaufgaben, die nicht statisch sind, sondern sich in unterschiedlichen Situationen verschieden darstellen (vgl. Drilling 2001, S. 32). Erfolgreiche Bewältigung der Entwicklungsaufgaben führt zur inneren Zufriedenheit und motiviert zum Lösen auch späterer Aufgaben, während Scheitern die Jugendlichen verunsichert werden und die Missbilligung der Gesellschaft zu spüren bekommen. Dadurch werden Schwierigkeiten auch beim Lösen zukünftiger Aufgaben begünstigt (vgl. Drilling 2001, S 32). Für die Adoleszenzphase werden nach Meinung mehrerer Autoren[1] folgende Entwicklungsaufgaben, die hier kurz zusammengefasst dargestellt werden sollen, klassifiziert und als Messpunkte gelingender Sozialisation verstanden (vgl. Butz 1998, S. 25; Hurrelmann u.a. 1985, S. 12f; Giesen 2002, S. 507 und Drilling 2001, S.32ff):
- Entwicklung und Übernahme der eigenen Geschlechtsrolle durch Verarbeitung und Akzeptanz der stattfindenden körperlichen Reifungsprozesse. Jugendliche müssen ihren sich während der Pubertät verändernden Körper neu kennen und annehmen lernen. Dabei sind besonders gleichgeschlechtliche Erwachsene wichtig, die als positive Vorbilder Hilfestellungen geben. Die Inszenierung des eigenen Körpers steht oft im Mittelpunkt von Jugendkulturen. Mit ihrem Auftreten wollen die Jugendlichen Reaktionen der Umwelt auslösen, bauen dadurch ihr Selbstwertgefühl auf und nehmen sich als Persönlichkeit wahr.
- Entwicklung von persönlichen Beziehungen zu Gleichaltrigen des eigenen und des anderen Geschlechts; Aufbau einer Partnerschaft, die langfristig die Basis für spätere eigene Familiengründung bilden kann.
- Fortschreitende Ablösung von der Herkunftsfamilie. Die Abhängigkeit von den Eltern nimmt ab und macht einer partnerschaftlichen Beziehung Platz, was jedoch meistens nicht ohne schmerzhafte Auseinandersetzungen zwischen den Jugendlichen und ihren Eltern gelingt. Junge Menschen lernen dadurch, autonom von eigenen Eltern und auch von anderen Erwachsenen zu werden.
- Entwicklung einer intellektuellen und sozialen Kompetenz durch schulische und anschließend berufliche Qualifikationen, um im späteren beruflichen Leben eigene ökonomische und materielle Selbstständigkeit sichern zu können.
- Aufbau eines persönlichen mit dem eigenen Gewissen übereinstimmenden Werte- und Moralsystems. Jugendliche sollen sich sozial verantwortungsvoll verhalten und an kulturellen und politischen Bereichen der Gesellschaft partizipieren können. Doch eine Autonomie der Werte wird nur von einer Minderheit erreicht, denn in der Zeit des raschen sozialen Wandels und des Wertepluralismus sind unterschiedliche Verhaltensweisen erlaubt, was jedoch die Angst der Jugendlichen vor Ungewissheit, Beliebigkeit und Sinnentleerung erhöht.
- Entwicklung einer eigenen Identität: Jugendliche müssen sich mit sich selber auseinandersetzen, um zu wissen, was sie wollen, welche Ziele sie verfolgen und was sie in der Zukunft und in ihrem Leben erreichen möchten. Besonders stark suchen sie nach dem Sinn des Lebens allgemein und nach dem Sinn des eigenen Daseins. Gleichzeitig hinterfragen sie auch die existierenden Sozial- und Wertstrukturen nach ihrem Sinn und Bedeutung und suchen nach Antworten, die ihnen bei ihrer Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung weiter helfen.
- Entwicklung eigener Handlungsmuster im Umgang mit Medien und mit den Angeboten des Konsumwaren- und Freizeitmarktes mit dem Ziel, zu einem eigenen Lebensstil und zum bewussten und bedürfnisorientierten Umgang mit den entsprechenden Angeboten zu kommen.
Über diese Konstruktion von Entwicklungsaufgaben lässt sich die Jugendphase vom Erwachsenenalter abgrenzen. Laut K. Hurrelmann, B. Rosewitz und H. K. Wolf ist der Übergang ins Erwachsenenalter erst dann möglich, wenn alle jugendaltersspezifischen Entwicklungsaufgaben bewältigt worden sind (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 13). Jedoch wird in der Realität kaum eine dieser Entwicklungsaufgaben mit dem 20. Lebensjahr vollständig abgeschlossen[2]. So ist das Jugendalter z.B. eine Phase der intensiven Identitätssuche, aber nur selten der endgültigen Identitätsfindung (vgl. Giesen 2002, S. 507).
„Wir gehen davon aus, dass es zu krisenhaften Belastungen im Jugendalter kommt, wenn diese spannungsreichen Anforderungen nicht in Balance gehalten werden können. Gelingt die Balance, dann stellt die Jugendphase von ihrer strukturellen Anlage her eine besonders stimulations- und anregungsreiche Phase im menschlichen Lebenslauf dar“ (Hurrelmann u.a. 1985, S. 27).
Die erfolgreiche Bewältigung der obengenannten Entwicklungsaufgaben hängt von dem „sozialen Umfeld, der erworbenen Handlungskompetenz und den kognitiven Fähigkeiten ab“, das bedeutet, dass gelingende Sozialisation immer multifaktoriell bedingt ist (vgl. Schwendemann u.a. 2001, S. 39). Außerdem haben die primären Sozialisationsinstanzen Familie, Peergroup und Schule einen sehr hohen Einfluss auf die Bewältigung der psychosozialen Entwicklungsaufgaben und tragen viel zu einer erfolgreichen Entwicklung der Identität und des Selbstbewusstseins der Jugendlichen bei. Diese Sozialisationsinstanzen und deren Bedeutung für die Entwicklung der Jugendlichen sollen im Folgenden näher betrachtet werden.
1.2 Begriffliche Vorabklärungen
Bevor jedoch auf die Wirkung, Veränderung und Bedeutung der einzelnen Sozialisationsinstanzen im Jugendalter eingegangen wird, sollen zunächst die Begriffe Sozialisation und Sozialisationsinstanzen erörtert werden.
1.2.1 Sozialisation
Alfred und Ingeborg Pressel definieren den Sozialisationsbegriff als einen Prozess, in dem der mit „rudimentären Instinkten“ geborene, aber für vielfältige Lernprozesse offene Mensch „durch die allgemeinen sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse wie durch spezielle Sozialisationsagenturen der jeweiligen Gesellschaft so geformt wird, dass er ihnen gemäße Einstellungen und Verhaltensweisen entwickelt“ und letztendlich selber als Erwachsener zum arbeitsteiligen Reproduktionsprozess seiner Gesellschaft beitragen kann (vgl. Pressel 2002, S. 889).
Der Mensch ist durch seine soziale Umgebung formbar und das ganz besonders im Kindes- und Jugendalter (vgl. Pressel 2002, S. 892). Klaus Hurrelmann vertritt die Auffassung, Sozialisation sei ein Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt (vgl. Hurrelmann 1985, S. 24). Das bedeutet, dass das Individuum im Verlauf einer gelungenen Sozialisation zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt wird und während dieses Prozesses seine Identität entwickelt. Diese Annahme beruht auf dem sogenannten „interaktiven Modell“[3], welches besagt, dass menschliche Entwicklungen und die Veränderung der sozialen Umwelt in einer wechselseitigen Abhängigkeit gesehen werden. Der Mensch kann seine eigene Situation bewusst reflektieren, selbstständig Ziele setzen, Mittel wählen, um diese zu erreichen und auch die Folgen seines Handelns bedenken. Als das wichtigste Kriterium für eine gelingende Entwicklung gilt nach diesem Modell der „Erwerb von bestimmten Grundqualifikationen des Handelns und der allgemeinen Kompetenz, in der gesellschaftlichen Umwelt autonom handlungsfähig zu sein und über eine eigene Identität zu verfügen“ (Hurrelmann 1985, S. 23f).
Diesen Prozess beschreibt Hurrelmann als Individuation und Integration (vgl. Butz 1998, S. 49). Unter Integration wird der Prozess der „Vergesellschaftung“ der menschlichen Natur verstanden, das bedeutet die Anpassung an gesellschaftliche Normen, Werte, Verhaltensmuster usw. Diese „Vergesellschaftung“ bietet eine Basis für die Entwicklung einer sozialen Identität der Jugendlichen, sie können sich dadurch subjektiv als ein anerkanntes Gesellschaftsmitglied begreifen. Unter der Individuation wird der Prozess der individuellen Persönlichkeitsentwicklung verstanden, d.h. Aufbau von kognitiven, motivationalen, sprachlichen, moralischen und sozialen Merkmalen und Kompetenzen und des subjektiven Selbstbildes als einzigartige Persönlichkeit (vgl. Hurrelmann 1985, S. 28).
Der Sozialisationsprozess kann dann als gelungen betrachtet werden, wenn aus der personalen und sozialen Identität eine ausgewogene Ich-Identität entsteht. Wenn Jugendliche in ihrer Umwelt selbstständig Entscheidungen treffen und handeln können, in eine sichere soziale Beziehungsstruktur eingebunden sind, in ihrer sozialen Umwelt anerkannt werden und über ein gesundes Selbstwertgefühl verfügen, haben sie diese Ich-Identität erreicht. Im weiteren Sinne schließt die Sozialisation nicht mit dem Erreichen des Erwachsenenstatus ab, sondern vollzieht sich lebenslang weiter. Sie umfasst alle weiteren Formungs- und Lernprozesse, besonders bei biographischen Veränderungen, wie z.B. Schulwechsel, Ausbildungsbeginn, Eheschließung, Pensionierung usw. (vgl. Pressel 2002, S. 891f).
1.2.2 Sozialisationsinstanzen
Die Gesellschaft begegnet Kindern und Jugendlichen natürlich nicht als etwas Ganzes und Einheitliches, sondern in der Form von den sogenannten Sozialisationsinstanzen (vgl. Butz 1998, S. 50). Darunter werden soziale Systeme, die zwischen gesellschaftlichen Strukturen und den Jugendlichen eine vermittelnde Funktion einnehmen, verstanden (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 62). Durch die zunehmende Arbeitsteilung der Sozialisation in unserer Gesellschaft erleben Kinder und Jugendliche Koordinationsschwierigkeiten, weil an sie von der Erwachsenenwelt unterschiedliche Erwartungen herangetragen werden. Familie, Kindergarten, Schulen aller Art, Betriebe und Massenmedien, staatliche Institutionen, Parteien und Verbände haben teils ergänzende, aber teils auch miteinander konkurrierende Ansprüche im Sozialisationsprozess (vgl. Pressel 2002, S. 890). Einerseits müssen die Sozialisationsinstanzen ihre Integrationsfunktion in die bestehende Gesellschaft wahrnehmen, anderseits müssen Jugendliche selbstständig eigene Deutungen und Sichtweisen entfalten und den Einfluss dieser sozialen Systeme subjektiv verarbeiten (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 62).
Von besonderer Wichtigkeit sind die sogenannten primären Sozialisationsinstanzen, weil sie die Persönlichkeitsbildung der Kinder und Jugendlichen sehr stark und unmittelbar beeinflussen. Dazu zählen Familie, Peergroup und Schule (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 62), deren Bedeutung und Wirkung in der Jugendphase im Folgenden kritisch betrachtet werden sollen.
1.3 Veränderungen der familialen Bedingungen
Zu den Grundbedürfnissen, nach denen sich die Kinder von Anfang an sehnen und die zum Teil auch noch im Jugendalter befriedigt werden müssen, gehören: Bedürfnis nach Liebe, Sicherheit, Lob, Anerkennung, Verantwortung und neuen Erfahrungen (vgl. Hamann 2000, S. 109). Die Befriedigung dieser Bedürfnisse geschieht in erster Linie in den primären Sozialisationsinstanzen Familie, Schule und Peergroup, wobei die Familie eine besonders wichtige Rolle einnimmt (vgl. Hamann 2000, S. 109). Sie ist nämlich der Ort, an dem die Kinder ihre ersten Erfahrungen machen, ihre frühesten sozialen und kognitiven Fähigkeiten erlernen und durch Beziehungen zu anderen Familienmitgliedern vieles über sich selbst und über andere Menschen lernen (vgl. Butz 1998, S. 61f). In den letzten Jahrzehnten hat die Institution Familie im Zuge des Individualisierungsprozesses und des gesellschaftlichen Wertewandels eine bedeutende Veränderung erlebt. Auch wenn sich ihre Formen, Muster und Beständigkeit stark verändert haben, wird sie von der großen Mehrheit immer noch positiv gesehen und erlebt (vgl. Münchmeier 2001, S. 23f).
1.3.1 Funktionen und Aufgaben der Familie
Vor einigen Jahren war es noch üblich, von „der Familie“ zu sprechen. Heute ist es zunehmend schwieriger geworden, Familie verbindlich zu definieren (vgl. Granitzka/ Gravenhorst 2002, S. 312), denn der soziale Wandel der Gesellschaft spiegelt sich auch im Wandel der Familie bzw. der Familienbildung wider. Die früher selbstverständliche Familienform, die „Normalfamilie“, bestehend aus zwei miteinander verheirateten Eltern und ihren leiblichen Kindern, ist in unserer Gesellschaft nicht mehr die einzig anerkannte Familienform. Rosemarie Nave-Herz unterscheidet insgesamt 14 verschiedene Familientypen, die theoretisch und formalrechtlich auf Grund von unterschiedlichen Rollenzusammensetzungen (Eltern-,/Mutter-,/Vater-Familien) und unterschiedlichen Familienbildungsprozessen (Scheidung, Wiederheirat usw.) möglich sind (vgl. Nave-Herz 1997, S. 6f):[4]
Tabelle 1: Typologie von Familienformen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Nave-Herz 1997, S.7.
Die heute in verschiedenen Formen gelebte Familie wird in ihrer Wirkungskraft trotz einigen unübersehbaren Defiziten hoch geschätzt. Das hängt mit den Leistungen zusammen, die sie als „Solidargemeinschaft, Lern- und Erfahrungsraum, Zelle der Gesellschaft und Integrationsfaktor des Menschen“ gegenüber dem einzelnen Individuum und der Gesellschaft erbringt (vgl. Hamann 2000, S. 14). Die Familie steht sogar unter einem besonderen Schutz des Gesetzgebers:
„Pflege und Erziehung ist das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“ (Art. 6, Abs. 1-2 GG).
Auf die Frage nach Wirkungen und Leistungen der Familie für das Individuum und die Gesellschaft können ihre folgenden Funktionen, die miteinander sehr eng verknüpft sind, genannt werden:
- biologische Reproduktion der Gesellschaft,
- soziale Platzierung der Kinder,
- physische Erhaltung der Familienmitglieder,
- Spannungsausgleich,
- Haushalts- und Freizeitfunktion,
- Erziehungsfunktion (vgl. Hamann 2000, S.14).
Barbara und Michael Pieper fassen diese Familienfunktionen teilweise zusammen und unterscheiden zwischen Reproduktion, Haushalt, Regeneration und Sozialisation (vgl. Pieper/Pieper 1975, S. 11ff).
Jede Gesellschaft hat ein natürliches Interesse an der Reproduktion ihrer Mitglieder. Die Reproduktionsfunktion wird von der Familie durch Kinderzeugung, Verantwortung für ihre Erziehung und Versorgung und letztendlich durch ihre Eingliederung in die Gesellschaft wahrgenommen. Eng damit verbunden ist die Haushaltsfunktion, d.h. die Familie wird als eine Wirtschaftseinheit mit dem Ziel der materiellen Versorgung aller ihrer Mitglieder betrachtet. Eine Besonderheit dieser Wirtschafteinheit ist, dass unter den Familienmitgliedern eine einzigartige Solidarität herrscht. Die Räumlichkeiten und Gegenstände des Haushalts werden weitgehend als „allen gehörend“ betrachtet. Zur Regenerationsfunktion gehören alle diejenigen Aktivitäten der Familie, die sie zur „physischen und psychischen Erholung und zur emotional-affektiven Befriedigung ihrer Mitglieder“ beitragen (vgl. Pieper/Pieper 1975, S. 19). Dazu gehören Gestaltung der Freizeit (z.B. Wochenenden, Urlaub, gemeinsame Familienfeste usw.) und bestimmte Verhaltensweisen, die sehr viel zur Erhaltung und Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls beitragen. Familie stellt also einerseits einen besonderes geschützten sozialen Raum dar, in den man sich zurückziehen kann, jedoch andererseits auch einen spannungsreichen Ort, an welchem eine Vielzahl von Konflikten zusammenkommt und gelöst werden muss. Die vierte Familienfunktion, die besonders hoch gewertet wird, ist die Sozialisationsfunktion. Für eine gesunde Entwicklung eines Kindes sind emotionale Zuwendung, Wärme und Liebe lebensnotwendig. Sie prägen das sogenannte „Ur-Vertrauen“ und die „Gesellschaftsfähigkeit“ des Kindes und sind somit die „ersten Schritte“ der Sozialisation. Wenn das Kind nicht genügend Zuwendung besonders seitens der Mutter oder einer anderer Pflegeperson erfährt, so kann es zu schweren Entwicklungsstörungen und teils irreparablen Schäden kommen (vgl. Pieper/Pieper 1975, S. 14).
Die Familie als primäre Erziehungs- und Sozialisationsinstanz vermittelt Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltags und zur Gestaltung tragfähiger zwischenmenschlicher Beziehungen und Tugenden, wie Lern- und Leistungsbereitschaft, Arbeitsmotivation, Verantwortung, Kooperationswillen und Eigenverantwortung. Sie gibt außerdem Hilfestellungen bei der Identitäts- und Wertebildung und vermittelt den Jugendlichen die Fähigkeiten, die sie brauchen, um in der Gesellschaft selbstständig zu leben und sie mit zu gestalten (vgl. Hamann 2000, S. 14-16). Die Wirkung der Familie als Sozialisationsinstanz ist stark von der ökologischen und ökonomischen Position der Familie abhängig, d.h. der Umfang der Lern- und Sozialerfahrungen wird durch die materielle und soziale Position der Familie bestimmt. Weitere Beeinflussungsfaktoren der Sozialisation können z. B. Erziehungsstil der Eltern, die Beziehung der Eltern untereinander und das Familienklima sein. In der Kindheitsphase hat die Herkunftsfamilie eine unumstrittene Position als Umweltvermittler.
Mit dem fortschreitenden Jugendalter entwickeln sich jedoch verschiedene Ablösungsprozesse, die auf kultureller (z.B. persönlicher Lebensstil), räumlicher (z.B. Auszug aus dem Elternhaus) und materieller (d.h. finanzielle Unabhängigkeit) Ebene zeitlich versetzt erfolgen können (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 63f). Durch die gesellschaftlichen Strukturveränderungen hat sich der Ablösungsprozess in verschiedene Dimensionen auseinandergezogen. Während im kulturellen Bereich, z.B. beim Medienkonsum, die Ablösung bereits in der Kindheit geschieht und auch die räumliche Ablösung recht früh einsetzt, verlängert sich die materiell-finanzielle Abhängigkeit durch den späteren Übergang in das Erwerbsleben. Die Familie bleibt auch im Jugendalter eine sehr wichtige Sozialisationsinstanz, wobei ihre Bedeutung vielmehr in Richtung materieller Sicherung und Unterstützung verlagert wird.
1.3.2 Der gesellschaftliche Wandel und die strukturellen Veränderungen
Eine der auffälligsten Erscheinungen im Strukturwandel der Familien ist, wie bereits schon erwähnt, die Pluralisierung der Haushalts- und Familienformen. Neben der sogenannten „klassischen“ Familie sind besonders Single-Haushalte, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Ein-Eltern-Familien und Stieffamilien zu berücksichtigen (vgl. Hamann 2000, S. 40). Je nach Entstehungsursachen ergeben sich komplexe Familienkonstellationen mit einem erweiterten Netzwerk an Verwandtschaftsbeziehungen (siehe Tabelle 1, S. 13). Deshalb werden zur Beschreibung dieser Familienformen oft Begriffe, wie „Heirats- und Scheidungsketten, Fortsetzungsehen, Mehrelternfamilien und Patchworkfamilien“ verwendet. Trotz der großen Zunahme anderer Familientypen in den letzen 15 Jahren ist die Zwei-Eltern-Familie mit formaler Eheschließung immer noch die dominante Familienform geblieben (83% aller Familien in Deutschland). Demnach wachsen nach Angaben des Familien-Surveys des Deutschen Jugendinstitutes 87,5% der Kinder unter 18 Jahren in den alten Bundesländern und 82% der Kinder in den neuen Bundesländern bei ihren leiblichen Eltern auf (vgl. Hamann 2000, S. 40; Nave-Herz 1997, S. 13)[5].
Eine weitere gesellschaftliche Entwicklung, die schon Ende des 19. Jahrhunderts zu einem immer häufiger werdenden gesellschaftlichen Trend wurde, ist die Zunahme von Scheidungen. Die Gründe dafür sind sehr vielfältig und individuell, wie z.B. gestiegene Selbstwertorientierungen, Zurückweisung traditioneller Vorgaben, Emanzipation der Frau und veränderte Einstellung der Bevölkerung der Ehe gegenüber. Wenn eheliche Beziehungen unharmonisch werden oder wenn einer der Ehepartner vom anderen enttäuscht wird, dann sind die meisten Paare heutzutage weniger bereit an ihrer Beziehung zu arbeiten und lösen die Ehe schneller auf. So endet in Deutschland jede vierte bis dritte Ehe und in Großstädten zunehmend jede zweite durch Scheidung, wobei die Scheidungsquote im Norden Deutschlands höher liegt als im Süden (vgl. Hamann 2000, S. 45f). Die kinderreichen Ehen werden am seltensten und die kinderlosen Ehen am häufigsten geschieden. Es werden auch relativ viele Ehen in der sogenannten „nachelterlichen Phase“, d.h. wenn die Kinder über 18 Jahre alt sind, geschieden (vgl. Nave-Herz 1997, S. 14).
Damit verbunden ist die Zunahme der Alleinerziehendenhaushalte. Scheidung kann natürlich nicht als alleinige Ursache dafür gesehen werden, auch wenn sie in den letzten Jahren sehr viel zu dieser Entwicklung beigetragen hat. So können ledige Mutterschaft, Trennung und Verwitwung als weitere Entstehungsgründe für die steigende Entwicklung der Ein-Eltern-Familien angeführt werden (vgl. Nave-Herz 1997, S. 11).
„Waren beispielsweise 1982 in den alten Bundesländern bei 10,8 Mio. Familien mit Kindern unter 18 Jahren etwas über 15% allein erziehend, so waren es 1998 in Deutschland bei 13,0 Mio. Familien immerhin schon 21,8%“ (Rauschenbach/Züchner 2001, S. 76).
Bei den meisten Alleinerziehenden handelt es sich um Frauen, das Verhältnis von Mutterfamilien zu Vaterfamilien beträgt 85% zu 15%. Besonders häufig sind Alleinerziehende unter Eltern, die noch keine 25 Jahre alt sind, vertreten. Demzufolge stellt das Alleinerziehen oft eine Übergangsform dar. Die meisten Alleinerzeihenden heiraten wieder, so dass der Anteil der Kinder, die ständig in einer Ein-Eltern-Familie aufwachsen, sehr gering, ca. 1%, ist (vgl. Hamann 2000, S. 46).
Durch die Einstellungsänderung gegenüber Ehe und Familie in der heutigen Gesellschaft hat die Zahl der Eheschließungen seit den 70er Jahren konstant abgenommen und zusätzlich ist das Heiratsalter angestiegen. 1970 lag das Heiratsalter der Männer durchschnittlich bei 25,6 Jahren und das der Frauen bei 24 Jahren, während 1990 das Heiratsalter bei den jungen Männern auf 28,4 Jahre und bei den Frauen auf 25,9 Jahre angestiegen ist (vgl. Bertram 1996, S. 261f). Ein Grund dafür sind die verlängerten Ausbildungszeiten und damit verbundene spätere ökonomische Selbstständigkeit und die Veränderung der Moralvorstellungen, z.B., dass das Ausleben der Sexualität nicht länger an die Ehe gebunden gesehen wird.
Diese Einstellungsänderung ist auch einer der Gründe für die Zunahme von nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die sich als eine selbstständige Lebensform neben Ehe und Familie herausgebildet hat. Seit 1972 hat sich beispielsweise die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften in West-Deutschland verachtfacht. Nichteheliche Lebensgemeinschaften sind besonders stark in der Nach-Adoleszenz-Phase in der Altersgruppe der 20- bis 35-Jährigen vertreten und unterscheiden sich von der Ehe dadurch, dass oft noch keine lebenslange Partnerschaft angestrebt wird, wechselnde Partnerbeziehungen möglich sind und Rückzugsmöglichkeiten offen gehalten werden (vgl. Onnen-Isemann 2000, S. 9; Hamann 2000, S. 44).
Eine weitere gesellschaftliche Tendenz ist Rückgang der Geburten. Diese Entwicklung ist zu einem Teil auf generell zunehmende Kinderlosigkeit der Paare zurückzuführen, jedoch ist der ausschlaggebende Grund dafür die geringere Kinderzahl pro Familie. Während um 1900 jede Frau durchschnittlich 4 Kinder hatte, hat heute jede Frau statistisch gesehen nur noch 1,3 bis 1,4 Kinder. Es gibt immer weniger Drei- und Mehr-Kinderfamilien und die Ein-Kind-Familie ist zu der mehrheitlichen Form unter allen Familien mit Kindern geworden. Statistisch gesehen wachsen heute als Einzelkinder 24,4% der Kinder in Deutschland auf, 48,4% haben einen Bruder bzw. eine Schwester und nur 19,1% wachsen in größeren Geschwistergemeinschaften auf (vgl. Onnen-Isemann 2000, S. 10; Münchmeier 2001, S. 24). Der Grund für diese Entwicklung ist in erster Linie nicht der fehlende Kinderwunsch der Paare, sondern mangelnde öffentliche Unterstützung und zunehmende Schwierigkeiten bei der Vereinbarung der Berufstätigkeit der Frauen und der Familienbildung (vgl. Hamann 2000, S. 44). Schon Mitte der 80er Jahre hat der Kinder- und Jugendpsychiater R. Lempp vor dem „geschwisterlosen Aufwachsen“ gewarnt, unter anderem weil die Kinder der heutigen Einzelkindergeneration ohne Onkeln, Tanten, Cousinen usw. werden aufwachsen müssen (vgl. Münchmeier 2001, S. 24f).
Zunehmende Erwerbstätigkeit der Mütter ist eine weitere gesellschaftliche Herausforderung an Familien heute. Während 1950 nur jede vierte Frau mit Kindern unter 18 Jahren berufstätig war, traf das 1997 schon auf mehr als jede zweite Frau zu. Die Doppelorientierung auf Familie und Beruf scheint ein Frauenproblem zu bleiben und besonders stark davon betroffen sind die alleinerziehenden Mütter, die in beiden Bereichen physisch und psychisch sehr stark gefordert werden (vgl. Onnen-Isemann 2000, S. 11)[6].
Die oben genannten strukturellen Veränderungen der Familie insbesondere das Fehlen von Geschwisterbeziehungen, mehrfach wechselnde Bezugspersonen infolge von Scheidung bzw. Trennung der Eltern und Bildung neuer Partnerschaften und verstärkte Abwesenheit der Mütter aufgrund der Erwerbstätigkeit haben wichtige Folgen für die Entwicklung und Sozialisation von Kindern und Jugendlichen, die im folgenden Abschnitt dargestellt werden sollen.
1.3.3 Auswirkungen auf die Sozialisation der Jugendlichen
Die erhöhte Zahl der Scheidungen und allein erziehenden Personen bedeutet für viele Kinder zumindest zeitweiliges Aufwachsen in einer unvollständigen Familie mit möglicherweise wechselnden Bezugspersonen. Allein diese Tatsache bedeutet aber nicht, dass diese Kinder zwangsläufig den Kindern der vollständigen Familien gegenüber benachteiligt sind. Jedoch erfahren diese Kinder oft nicht die Sicherheit, Geborgenheit und Zuwendung, die in einer gutfunktionierenden Familie erlebbar sind. Unter Umständen hat das Auswirkungen auf ihre emotionale Stabilität und ihre Selbstwahrnehmung. Außerdem sind Alleinerziehende statistisch gesehen einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt. Das hat zur Folge, dass unter anderem die Funktionen der Familie (siehe 1.3.1) nur eingeschränkt wahrgenommen werden können, beispielsweise die Finanzierung der Freizeitmöglichkeiten (vgl. Rauschenbach/Züchner 2001, S. 77).
Die Verringerung der Familiengröße und der Rückgang der Geburten hat auch für den Alltag der Kinder Folgen.
„ Der [...] rein quantitative Vorgang der Veränderung der Familiengröße durch Reduktion der Geburtenzahl hat nämlich ebenfalls qualitative Auswirkungen auf die innerfamilialen Interaktionsbeziehungen, da gruppendynamische Prozesse auch durch die Gruppengröße bestimmt werden“ (Nave-Herz 1997, S. 20).
Für die meisten Kinder ist es zu einer typischen Erfahrung geworden, die ersten Lebensjahre in enger Beziehung nur zu Erwachsenen, meistens zu den eigenen Eltern, zu verbringen. Einzelkinder werden innerhalb des gesamten „Familienverbandes“, d.h. Eltern und beide Großelternfamilien, zu einer Minorität. Meistens hat das zur Folge, dass diese Kinder einerseits besondere Wertschätzung und Aufmerksamkeit bekommen, anderseits jedoch einem enormen Leistungsdruck seitens der Erwachsenen ausgesetzt werden. Durch diesen Leistungsdruck sowie auch durch die extreme Verwöhnung kann es zu Defiziten in der psycho-sozialen Entwicklung dieser Kinder kommen (vgl. Nave-Herz 1997, S. 26-27). So wird in letzter Zeit die Einzelkindproblematik häufig im Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Schule, besonders in der Grundschule, diskutiert. Diese Schülerinnen und Schüler haben auffallende Anpassungsschwierigkeiten und neigen eher zu einem egoistischen und streitsüchtigen Verhalten (vgl. Nave-Herz 1997, S. 66-68). Auch das durch die Zunahme der Ein-Kind-Familien entstehende Fehlen der Geschwistergemeinschaft hat beachtliche Auswirkungen auf die Dynamik des Familienlebens. Die Geschwisterforschung hat ergeben, dass durch die natürlichen sozialen Kontakte unter Geschwistern unterschiedlichen Alters und Geschlechts viele soziale Kompetenzen, wie z.B. gegenseitige Rücksichtsnahme, Zusammenarbeit und Korrekturfähigkeit gefördert werden und wichtige Lern- und Prägeprozesse entstehen, die für die Persönlichkeits- bzw. Gesamtentwicklung der Kinder und Jugendlichen sehr wichtig sind (vgl. Hamann 2000, S. 54). Zusätzlich hat der Geburtenrückgang noch die Konsequenz, dass es auch häufig an einer nachbarschaftlichen Spielgruppe für die Einzelkinder mangelt, so dass die Mütter die notwendigen sozialen Kontakte „organisieren“ müssen und auf institutionelle Angebote der Kinder- und Jugendhilfe oder auf kommerzielle Angebote wie „Freizeit- und Spielfarmen“, Sport- und Kulturangebote angewiesen sind; man spricht in diesem Zusammenhang von der „Institutionalisierung der Kindheit“ (vgl. Nave-Herz 1997, S. 27f).
Aus den in 1.3.2 genannten Veränderungen ergeben sich für Kinder und Jugendliche vielfache Problemlagen, nicht nur bezüglich des Familienlebens, sondern auch in Fragen der Identitätsfindung, moralischer Wertevorstellungen, Lebensziele und Zukunftsperspektiven. Angesichts der vorherrschenden Pluralität in allen Lebensbereichen fehlen jungen Menschen heutzutage lebensnahe Vorbilder, die ihnen auf dem Weg des Erwachsenwerdens Hilfestellungen geben. Die Resignation und Perspektivlosigkeit der jungen Generation findet oft Ausdruck in ihrem Freizeitverhalten (z.B. Vandalismus, Aggression, Gewalttätigkeit) und übersteigertem Medienkonsum. Die Informations- und Kommunikationstechnik nimmt immer mehr Einfluss auf das alltägliche Leben der Familien. So setzt sich z.B. der Trend zum gemeinsamen Fernsehen in der Kleinfamilie zunehmend stärker durch (vgl. Münchmeier 2001, S. 26). Die Sozialisationswirkung der Medien auf Kinder und Jugendliche, besonders die des Fernsehens, wird jedoch sehr kontrovers diskutiert. Als positive Wirkungen werden die von den Medien erwartenden Funktionen, wie Informieren, Unterhalten und Bilden gewertet. Fernsehen kann also als Mittel zur Wissenserweiterung, besseren Erlebnisverarbeitung und zur individuellen Bedürfnisbefriedigung dienen (vgl. Hamann 2000, S. 56f). Als sozialisationsgefährdende Folgen, die durch das Fernsehen und besonders durch die Videos hervorgerufen werden können, sind Ablenkung von den Problemen des Alltags, Verzerrung der Realität, Vermittlung von Scheinwelten, falsche Konsumhaltung, Verleitung zur Passivität, Hinderung der Kreativität, Vermittlung von sozial unerwünschte Werten und Verhalten und gesundheitliche Beeinträchtigungen zu nennen. Zusätzlich können auch psychische Traumatisierungen entstehen, die durch aggressiv-destruktive Inhalte, welche das Gewaltpotential der Jugendlichen fördern, hervorgerufen werden (vgl. Hamann 2000, S. 57). Besonders wenn Kinder und Jugendliche einen unkontrollierten Umgang mit Fernsehen und Videos pflegen, z. B. aufgrund der Abwesenheit der Eltern, Langeweile und Einsamkeit, besteht erhöhte Gefahr, dass mehrere von den genannten negativen Folgen zusammenkommen und dadurch ihrer kognitiven und emotionalen Entwicklung schaden.
Aus den obendargestellten Veränderungen ergeben sich diverse Handlungsaufträge und -möglichkeiten für Jugendhilfe und Schulen, die zu einem späteren Zeitpunkt Gegenstand der näheren Betrachtung sein werden. Im Folgenden soll es um die Bedeutung und Sozialisationswirkung der Bereiche Peergroup und Schule gehen.
1.4 Bedeutung und Sozialisationswirkung der Peergroup
Die Gleichaltrigengruppe bzw. die Peergroup übernimmt schon zu einem frühen Zeitpunkt in der Jugendphase sozialisierende Funktionen. Der Aufbau von regelmäßigen sozialen Beziehungen stellt eine bedeutsame Entwicklungsaufgabe im Jugendalter dar und trägt viel zu einer erfolgreichen Identitätsbildung der Jugendlichen bei (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 71). In dem Maß, wie die Ablösung von der Familie stattfindet, gewinnt die Peergroup im Leben der Jugendlichen an Bedeutung. Ihre Funktionen können zusammenfassend wie folgt darstellt werden ( vgl. Schwendemann u.a. 2001, S. 47):
- Peergroup kann zur Orientierung und Stabilisierung der Jugendlichen beitragen und ihnen helfen, das Gefühl der Einsamkeit, welches viele Jugendliche aufgrund der einsetzenden Selbstreflexion entwickeln, zu überwinden.
- Peergroup bietet Möglichkeiten für Aktivitäten, deren Unternehmung außerhalb der Gruppe riskant wäre, und ermöglicht Erprobung neuer Verhaltensweisen.
- Peergroup hat eine wichtige Rolle beim Ablösungsprozess von den Eltern.
- Peergroup kann zur Identitätsbildung durch Identifikationsmöglichkeiten, Lebensstile und Bestätigung der Selbstdarstellung beitragen.
„Einflüsse von Gleichaltrigen und Freunden werden mit zunehmendem Alter wichtiger und drängen in manchen Bereichen die elterlichen Einflüsse in den Hintergrund“ (Matsche 2001, S. 41). Gleichaltrigengruppen entstehen oft zum Zweck der gemeinsamen Freizeitgestaltung und verstehen sich eindeutig als nicht von Erwachsenen initiiert und kontrolliert (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 70). Alle Jugendliche befinden sich in derselben psychosozialen Lage: sie stehen in einem Ablösungsprozess von den eigenen Eltern, besonders im emotionalen Bereich, suchen nach Vorbildern, setzen sich mit dem Übergang ins Erwachsenenleben und mit den damit verbundenen Rollenerwartungen auseinander, hinterfragen jede Autorität und wollen autonom sein (vgl. Drilling 2001, S. 22f). In der sozialen Welt der Gleichaltrigen konfrontieren sich Ebenbürtige mit ihren gegenseitigen Erwartungen, Sichtweisen und Wünschen und entwickeln beim Versuch diese zu begründen und durchzusetzen Einfühlungsvermögen und Verhandlungsgeschick. Diese Funktion der Gleichaltrigengruppe ist besonders wichtig angesichts der immer seltener werdenden Geschwister. Bisher galt die „Geschwisterrivalität“ als psychologischer Lernort für die Fähigkeit, eigene Interessen zu verfolgen und gleichzeitig die konkurrierenden Interessen zu respektieren und so Kompromisse zu schließen. Im Gegensatz zu Eltern- und Geschwisterbeziehungen beruhen die Peer-Beziehungen auf Freiwilligkeit. Kinder und Jugendliche müssen lernen die anderen Gruppenmitglieder für ihre Vorhaben und für sich selbst zu gewinnen, eventuell auftretende Spannungen konstruktiv zu klären, Argumente für ihre Anliegen zu entwickeln, aber auch die anderen zu akzeptieren und ihnen zuzuhören.
Für eine Peergroup sind bestimmte Verhaltensmuster, Gruppenregeln und gemeinsame Strukturen charakteristisch (vgl. Matsche 2001, S. 41f). Manche dieser Gruppen können aus einem bestimmten Anlass heraus entstehen und wieder zerfallen, wenn dieser Anlass nicht mehr besteht. Andere wiederum münden in sogenannte jugendliche Subkulturen und können zum Teil auch radikale und kriminelle Formen annehmen (vgl. Schwendemann u.a. 2001, S.49)[7]. Innerhalb der gemischtgeschlechtlichen Gleichaltrigengruppe erfahren Jugendliche Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und Anerkennung und fühlen sich angenommen und wichtig. Neben ihrer Bedeutung als sozialer Kontaktrahmen spielen Gleichaltrigengruppen für Jugendliche auch eine wichtige Rolle beim Prozess der Erschließung und Aneignung von Lebens- und Erfahrungsräumen (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 77).
Jedoch können Peergroups trotz ihrer stützenden Funktion auch Problemlagen bilden, und zwar dann, wenn Kinder und Jugendliche durch ihre Gleichaltrigen ausgegrenzt und „gemobbt“ werden. Gerade in der Schule, wo eine Vielzahl an unterschiedlichsten Gruppen und Haltungen zu finden ist, besteht diese große Gefahr der Ausgrenzung (vgl. Schwendemann u.a. 2001, S. 48). Ablehnung durch eine Gruppe, „Außenseiter“ sein, stellt eine bedeutende Gefährdung der normalen Entwicklung dar. Deshalb können Schulschwierigkeiten und Probleme bei der sozialen Anpassung unmittelbar mit dem Fehlen von Beziehungen und Freundschaften im Kindesalter zusammenhängen.
„Die Fähigkeit, Freundschaften selbstständig aufzubauen und zu erhalten, ist als notwendiger Entwicklungsschritt anzusehen und muss gegebenenfalls unterstützt werden. Das Fehlen von Freundschaften und Beziehungen zu Gleichaltrigen sollte deshalb ein Signal sein für Eltern und Lehrer, hier genauer nachzufragen“ (Schwendemann u.a. 2001, S. 49).
Die Funktion der Gleichaltrigengruppe darf allerdings nicht überschätzt werden, denn ihr Einfluss richtet sich primär nur auf den Freizeit- und Konsumbereich. Daher wirken die Peergroups als alltägliche Verhaltensvorbilder z.B. im Umgang mit Alkohol- und Drogenkonsum, während die Eltern einen starken Einfluss auf die grundsätzliche Norm- und Wertorientierung haben (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 73f; Schwendemann u.a. 2001, S. 47). Eltern und Peergroups prägen die Jugendlichen demnach nicht in demselben Bereich, doch die jeweiligen Normen und Haltungen können auch im Widerspruch zu einander stehen.
Leider eskaliert die Beziehung zwischen den Eltern und der Peergroup oft zu einem Konkurrenzverhältnis, wo sie sich doch sinnvollerweise zu einem Ergänzungsverhältnis entwickeln sollte (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 74). Deshalb ist es für eine positive Sozialintegration der Kinder und Jugendlichen sehr wichtig, dass die Eltern ihnen genügend Freiraum im Entscheiden und Handeln gewähren und ihre sozialen Beziehungen unterstützen, wobei sie gleichzeitig auch gut über ihre Freunde informiert sein sollten. Denn einerseits bietet die „puffernde Funktion“ der Peergroups den Jugendlichen Rückzugsmöglichkeiten, andererseits kann sie die elterliche Autorität schwächen. Das kann besonders bei Peergroups mit „kriminellen Energien“ zum Problem werden. Es ist wichtig festzuhalten, dass Eltern keine „Peergroup-Rollen“ einnehmen können, und dass die Gleichaltrigengruppen nicht über ausreichend Handlungsmacht verfügen und deshalb außerhalb der eigenen Gruppengrenzen den Jugendlichen keine Hilfestellungen bieten können. Die sozialisierende Wechselbeziehung zwischen der Gleichaltrigengruppe und den Eltern ist demnach nur als ein gut ausbalanciertes System denkbar (vgl. Schwendemann u.a. 2001, S. 50f). Es ist eine wichtige Aufgabe der Eltern, die Sozialbereiche Familie und Gleichaltrigenwelt aufeinander abzustimmen und die richtige Balance dabei zu finden (vgl. Hamann 2000, S. 108).
1.5 Zwischenbilanz
Im Blick auf die obengenannten Entwicklungsaufgaben und auf das umfassende Verständnis von Sozialisation wird deutlich, dass die hier vorgestellten Überlegungen zu den Sozialisationsinstanzen Familie und Peergroup nur bruchstückhaft die Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen widerspiegeln können. Die Rolle der Familie verändert sich in dem Maß, wie sie tatsächlich fähig ist, mit den Reizen und Anforderungen der Gesellschaft und Umwelt umzugehen. Dabei spielen diverse Faktoren, wie z.B. soziale und finanzielle Situation der Eltern, ihr Bildungsniveau und auch ihre eigene Sozialisationsgeschichte eine wichtige Rolle. Auch die Peergroup als Ausweichraum der Kinder und Jugendlichen, als „Gruppe von Gleichgesinnten und Gleichausgestatteten“, kann über unterschiedliches sozialisierendes Potenzial verfügen, je nachdem, welche sozialen und materiellen Ressourcen die Mitglieder der jeweiligen Gruppe mit sich bringen. Im Hinblick auf die Problemlagen der Schule als Sozialisationspartner und -instanz ist festzustellen, dass die Eltern einen großen Einfluss auf das Verhältnis der Schüler zur Schule und auch auf ihre Schulleistungen haben. Besonders Eltern aus sozial benachteiligten Milieus neigen dazu, Bildung abzuwerten und schnelle Berufstätigkeit aufzuwerten (vgl. Schwendemann u.a. 2001, S. 55). Durch solche Einstellungen fehlt es den Kindern und Jugendlichen oft an frühzeitiger Förderung ihrer Begabungen und an der Motivation, gute Schulabschlüsse zu erreichen. Die Wechselbeziehungen zwischen der sozialisierenden Rolle der Familie, der Auswirkung der Peergroup auf das Verhalten der Jugendlichen und der Schule als eine fordernde gesellschaftliche Institution stellen ein Spannungsfeld dar, welches nach innovativen Lösungen, Zukunftsperspektiven und Handlungsmöglichkeiten sucht.
1.6 Schule als dominierende Sozialisationsinstanz
Der Schule als Sozialisationsinstanz im Jugendalter kommt eine sehr wichtige und zentrale Bedeutung zu. Allein schon vom alltäglichen Lebensrhythmus der Kinder und Jugendlichen her nimmt die Schule eine herausragende Stellung ein (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 80). Im Gegensatz zu Familie und Gleichaltrigengruppe stellt Schule eine gesellschaftliche Institution dar, deren Auftrag und organisatorische Struktur direkt auf die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet sind. Bedingt durch die in Deutschland gültige allgemeine Schulpflicht ist Schule ein Ort, an dem sich Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Lebenslagen zwecks Unterricht zusammenfinden (vgl. Schwendemann u.a. 2001, S. 56). Einerseits werden die Eltern durch die Schule von einem großen Teil der Sozialisationsaufgaben entlastet, andererseits können Staat und Gesellschaft, die für die schulischen Lernprozesse Verantwortung tragen, in die bestehenden Vorprägungen aus der familialen Sozialisation eingreifen und diese ausgleichen, indem z.B. bisher unentdeckte Begabungen und Fähigkeiten gefördert werden (vgl. Hurrelmann u.a. 1985, S. 80). Durch die im Abschnitt 1.1 aufgezeigte Verlängerung der Jugendphase und die damit einhergehende Verlängerung der Schulzeit ist das wichtigste Charakteristikum der heutigen Jugendphase das „Schülersein“ (vgl. Münchmeier, 2001, S. 31). Das bedeutet für die Schule, dass ihre Bedeutung für das spätere Leben erheblich gestiegen ist, und dass sie zunehmend mit einer Vielzahl von neuen Herausforderungen konfrontiert wird. Im folgenden Abschnitt soll eine kurze Beschreibung der Funktionen der Schule erfolgen und anschließend werden die im schulischen Erfahrungsraum stattfindenden Sozialisationsprozesse kurz dargestellt und kritisch beleuchtet.
1.6.1 Funktionen des Schulsystems
Bereits 1964 definierte der amerikanische Soziologe Talcott Parsons in seinem Aufsatz „Schulklasse als soziales System“ mit Sozialisation und Selektion zwei Funktionen der Schule (vgl. Fend 1974, S. 64; Drilling 2001, S. 24). In den 70er Jahren vervollständigte Helmut Fend diese Differenzierung und formulierte drei Reproduktionsfunktionen des Schulsystems, Qualifizierung, Selektion und Integration, die auch in den modernen wissenschaftlichen Theorien über die Schule unterschieden werden (siehe Anhang I; vgl. dazu Fend 1974, S. 58-196; Tillmann 2000, S. 38; Drilling 2001, S. 24-25; Hurrelmann u.a. 1985, S. 89-95).
1. Qualifizierung
Im Sinne von H. Fend wird unter der Qualifizierungsfunktion der Schule die Vermittlung von Fähigkeiten und Kenntnissen verstanden, „die zur Ausübung konkreter Arbeit und zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erforderlich sind“ (Fend 1974, S. 65). Das bedeutet, dass schulischer Unterricht junge Menschen auf das gesellschaftliche Leben und das Berufsleben durch Vermittlung von erforderlichem Basiswissen vorbereiten soll, angefangen bei der Sprache und Schrift, die in jeder Generation gelehrt und dadurch reproduziert wird, bis hin zum Erwerb spezifischer Berufsqualifikationen (vgl. Olk u.a. 2000, S. 14; Tillmann 2000, S. 38f; Fend 1974, S. 65; Drilling 2001, S. 24).
2. Selektion
Die zweite Reproduktionsfunktion bezieht sich direkt auf die Sozialstruktur der Gesellschaft, d.h. auf die Reproduktion von sozialen Positionsverteilungen aufgrund der beruflichen Tätigkeiten und deren personellen Besetzungen (vgl. Fend 1974, S. 65). Diese Selektionsfunktion der Schule wird ausgedrückt durch Prüfungen und Vergabe von Noten und Zeugnissen (vgl. Fend 1974, S. 64). Selektion orientiert sich weniger am Individuum mit seinen spezifischen Begabungen und Vorstellungen, sondern an dem für alle Schüler einheitlichen Curriculum (vgl. Schwendemann u.a. 2001, S. 60). Dadurch wirkt sie sich sehr stark auf den weiteren beruflichen und sozialen Lebenslauf der Schüler aus. So begrenzt z.B. der jeweilige Schulabschluss die individuell möglichen Berufschancen und damit verbunden auch den sozialen Status, den materiellen Wohlstand und das persönliche Selbstwertgefühl (vgl. Olk u.a. 2000, S. 14; Tillmann 2000, S. 38f; Drilling 2001, S. 24).
[...]
[1] Siehe Fußnote 2
[2] Diese Thematik wird im Folgenden nicht ausführlicher dargestellt, denn das würde sonst den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Zur weiteren Vertiefung wird folgende Literatur empfohlen: Hurrelmann, Klaus, u.a., Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung, München 1985; Butz, Petra, Familie und Jugend im sozialen Wandel. Dargestellt am Beispiel Ost- und Westberlins, Hamburg 1998; Bertram, Hans, Kindheit in einer individualisierten Gesellschaft, in: Edelstein, Wolfgang u.a. (Hrsg.), Ergebnisse der Jugend- und Sozialisationsforschung. Familie und Kindheit im Wandel, Potsdam 1996.
[3] Diese Modellvorstellung ist nur eine von vielen in der Literatur bekannten theoretischen Modellen der Sozialisation, denn in den letzten Jahrzehnten haben sich Psychologie und Soziologie sehr stark mit den Sozialisationsprozessen im Jugendalter beschäftigt. Weiterführende Literatur: Hurrelmann, Klaus, u.a., Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung, München 1985, S. 22-32; Butz, Petra, Familie und Jugend im sozialen Wandel. Dargestellt am Beispiel Ost- und Westberlins, Hamburg 1998, S. 49-75.
[4] Im Rahmen dieser Arbeit kann leider nicht auf die Merkmale der Familie, die in allen Kulturen und zu allen Zeiten die Familie von anderen Lebensformen unterschieden haben, eingegangen werden. Zu dieser Fragestellung wird das Buch von Rosemarie Nave-Herz, Familie heute. Wandel der Familienstrukturen und Folgen für die Erziehung, Darmstadt 1997, empfohlen.
[5] Im Rahmen dieser Arbeit kann leider auf Veränderungen der familialen Interaktionsbeziehungen, der Erziehungsziele und der Eltern-Kind-Beziehungen nicht eingegangen werden. Zur Vertiefung dieser Aspekte wird das Buch von Bruno Hamann: Familie und Familienerziehung in Deutschland, Donauwörth 2000, S.50-55 und S. 97-110, empfohlen.
[6] Die Problematik der zunehmenden Erwerbstätigkeit der Mütter kann in dieser Diplomarbeit nicht näher ausgeführt werden. Zur thematischen Vertiefung eignet sich folgende Literatur: Nave-Herz, Rosemarie (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der Familie in Deutschland. Eine zeitgeschichtliche Analyse, Stuttgart 2002; Nave-Herz, Rosemarie, Familie heute. Wandel der Familienstrukturen und Folgen für die Erziehung, Darmstadt 1997.
[7] Zur weiterführenden Beschäftigung mit dem Thema „Jugendliche Subkulturen“ eignet sich folgende Literatur: Farin, Klaus, generation kick.de. Jugendsubkulturen heute, München 2001 und Hafeneger, Benno, Subkultur, in: Fachlexikon der sozialen Arbeit, Frankfurt am Main, 2002, S. 952.
- Citation du texte
- Elisabeth Keller (Auteur), 2004, Schulsozialarbeit im Spannungsfeld zwischen Familie, Schule und Jugendhilfe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31563
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