Foucault reflektiert in „Die Wahrheit und die juristischen Formen“ die Geschichte der archaisch-griechischen Rechtspraxis und belegt oder illustriert zumindest – sehr präzise belegt werden historische Eckdaten bei Foucault nicht – ihre Weiterentwicklung zur demokratischen Rechtsprechung im 5. Jahrhundert v. Chr. anhand des Mythos des Ödipus. Weiter beschreibt er die germanische versus die römische Form der Rechtspraxis, sowie feudalistische und kapitalistische Praxen. Folgende juristische Formen oder Einrichtungen, wie sie von Foucault im historischen Kontext behandelt werden, werden im Folgenden von mir zusammengefasst:
I. Die Probe und das Symbolon anhand des Oidipous tyrannos;
II. Die Untersuchung, franz. Enquete;
III. Feudalismus: Die lettres de cachet und der procureur du roi;
IV. Die Sequestrierungsinstitutionen;
Als Punkt V. ist eine kurze Kritik an Foucaults Terminologie enthalten.
Inhaltsverzeichnis
I. Die Probe und das Symbolon anhand des Oidipous tyrannos
II. Die Untersuchung, franz. enquete
III. Feudalismus: Die lettres de cachet und der procureur du roi
IV. Die Sequestrierungsinstitutionen
Die Wahrheit und die juristischen Formen
Foucault reflektiert in Die Wahrheit und die juristischen Formen die Geschichte der archaisch-griechischen Rechtspraxis und belegt -oder illustriert zumindest, sehr präzise belegt werden historische Eckdaten bei Foucault nicht- ihre Weiterentwicklung zur demokratischen Rechtssprechung im 5. Jahrhundert v. Chr. anhand des Mythos des Ö dipus. Weiters beschreibt er die germanische versus die römische Form der Rechtspraxis, sowie feudalistische und kapitalistische Praxen. Folgende juristische Formen oder Einrichtungen, wie sie von Foucault im historischen Kontext behandelt werden, werden im Folgenden von mir zusammengefasst:
Als Punkt V. ist eine kurze Kritik an Foucaults Terminologie enthalten.
I. Die Probe und das Symbolon anhand des Oidipous tyrannos
Vorab erwähnt Foucault die in den 1970ern aktuelle Einbettung in den erneuten Diskurs über den Ö dipuskomplex innerhalb der Psychoanalyse. Er verweist auf Guattaris und Deleuzes Forschungs- und Interpretationsarbeit zur Psychoanalyse, veröffentlicht in L'Anti-Oedipe (Paris, 1972):
"Ödipus ist danach keine Wahrheit der Natur, sondern ein Zwangsmittel, das die Psychoanalytiker seit Freud einsetzen, um dem Begehren Schranken zu setzen und es in eine von unserer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit festgelegten Familienstruktur zu integrieren. Nach Deleuze und Guattari ist Ödipus also nicht der geheime Inhalt unseres Unbewussten, [...] sondern ein Machtinstrument, mit dessen Hilfe Ärzte und Psychoanalytiker Macht über das Begehren und das Unbewusste auszuüben versuchen1." Foucault betont, dass weder Deleuze, Lyotard, noch Guattari oder er Strukturanalyse betrieben, also "Strukturalisten" seien:
"In einem Wortspiel mit den griechischen Ausdrücken dynamis dynasteia könnte ich auch sagen, wir treiben Dynastieforschung; [...] Seltsamerweise sind die ökonomischen Strukturen unserer Gesellschaft besser bekannt, erfasst und erforscht, als die politischen Machtstrukturen. Ich möchte in dieser Vortragsreihe zeigen, wie die politischen Verhältnisse entstanden sind und sich tief in unsere Kultur eingegraben haben, wobei sie eine Reihe von Erscheinungen hervorbrachten, die sich nur erklären lassen, wenn man sie nicht mit den ökonomischen Strukturen, den ökonomischen Produktionsverhältnissen in Zusammenhang bringt, sondern mit den politischen Verhältnissen, die unser ganzes Leben bestimmen2. "
Die Tragödie des Ödipus nach Sophokles wird von Foucault als Beispiel für einen kollektiven, gesellschaftlichen Komplex herangezogen.
„(...) er betrifft nicht unser Unbewusstes und unser Begehren und auch nicht das Verhältnis zwischen dem Begehren und dem Unbewussten. Wenn es einen Ödipuskomplex gibt, so entfaltet sich seine Wirkung nicht auf individueller, sondern auf kollektiver Ebene; nicht im Blick auf Begehren und Unbewusstes, sondern auf Macht und Wissen3.“
Foucault analysiert die Tragödie des Ödipus, die er als „erstes Zeugnis griechischer Gerichtspraxis4 “ bezeichnet, also auf zwei Aspekte hin- auf Macht und Wissen. Es geht Foucault darum, die Tragödie des Sophokles "zu restituieren, sie ein wenig zu analysieren, denn darin zeigt sich sehr deutlich, dass gar nicht von Schuld oder Unschuld die Rede ist, und dass es letztendlich auch nicht um die Frage des Inzest geht5 ". Foucault interpretiert Ödipus nicht als jemanden, der zuwenig wusste oder sich seiner selbst unbewusst war, sondern als einen, der zuviel wusste: Ödipus ist bei Foucault nicht Opfer, sondern Tyrann und es geht ihm in keiner Situation um Schuld oder Unschuld, sondern stets um seine Macht.
Die Tragödie des Oidipous tyrannos, Οἰδίπους τύραννος, Königödipus verfasst von Sophokles in den Jahren 429-425 v. Chr. bezeichnet Foucault als eine "Geschichte der Wahrheitssuche, die der Gerichtspraxis der Zeit Sophokles' genauestens entspricht6 ".
Der archaische Typus der Gerichtspraxis, die Probe vor den Göttern (epreuve) ist als Form der Gerichtspraxis bei Sophokles noch enthalten, siehe den Streit Menelaos versus Antilochos- Zeugen sind hier irrelevant. Es tritt aber noch ein anderes, neueres Verfahren auf- das symbolon, das Symbol, das als Instrument und Technik zum Transfer von Wissen und somit zur Ausübung von Macht verwendet wird.
"Jemand, der über ein Geheimnis oder über Macht verfügt, zerbricht einen beliebigen, meist aus Keramik gefertigten Gegenstand und behält die eine Hälfte für sich, während er die andere jemandem übergibt, der die Botschaft übermitteln oder deren Echtheit bestätigen soll. Fügt man die beiden Hälften zusammen, erkennt man die Echtheit der Botschaft, das heißt die Kontinuität der ausgeübten Macht7 ".
Wissenstransfer wird bei Foucault also mit Machtausübung gleichgesetzt und er erkennt in der Geschichte des Oidipous das Zerbrechen dieses Gegenstandes. Die Boten und Botschaften, die ausgeschickt werden und zurückkehren, beglaubigen ihre Verbindung zur Macht, also zu Ödipus selbst durch die Tatsache, dass jeder von ihnen ein Fragment des Stückes besitzt. Die Ödipusgeschichte gehorcht also diesem symbolon, jener gerichtlichen, politischen und religiösen Technik, "einer nicht rhetorischen, sondern eben politisch-religiösen, beinahe magischen Ausübung von Macht8 ". Das Zusammenfügen der Hälften in der Geschichte des König Ödipus lässt Foucault eines Erkennen: eine Analogie zwischen den Propheten bzw. Göttern und den Sklaven bzw. Knechten, sowie eine Verschiebung der Ebenen: der empirische Anteil, die Zeugenaussagen der Hirten, die aus der untersten gesellschaftlichen Kaste kommen, erhält eine Aufwertung. Foucault erkennt hierin eine Verschiebung von der Prophetie hin zum Zeugnis, weg von der prophetisch-göttlichen Wahrheit hin zum empirisch-alltäglichen Blick.
Als reales Vorbild für die Figur des Oidipous nennt Foucault jene Dynastien von Assyrerkönigen, deren Umgebung wie sie selbst über ein Wissen verfügten, "das den übrigen gesellschaftlichen Gruppen nicht vermittelt werden konnte oder durfte9 ". Diese Einheit von Macht und Wissen, folgt man der Logik Foucaults, verschwand ab dem 5. Jahrhundert, also mit dem Anbrechen der griechischen Klassik, der Epoche in der Sophokles das Drama des Ödipus niederschrieb. Die neue Gesellschaft die im 5. Jhd. entsteht, bricht mit dem magisch-religiösen Tyrannen-Komplex und so "funktioniert Oidipous wie der blinde Machtmensch, der nicht weiß und der deshalb nicht weiß, weil er zuviel Macht hat. [...] Seither ist der Westen von dem Mythos beherrscht, die Wahrheit gehöre niemals der politischen Macht, die politische Macht sei blind, und wirkliches Wissen besitze man nur, wenn man mit den Götter in Verbindung stehe oder sich an etwas erinnere, wenn man die grosse ewige Sonne anschaue oder den Blick auf die Vergangeheit richte10 ".
Platons Definition von Wissen -nur wer auf Macht verzichte, könne Wissen erlangen, "wo Wissen und Wissenschaft zur reinen Wahrheit finden, könne es politische Macht nicht geben11 "- nennt Foucault in Rekurs auf Nietzsche einen Mythos und verkehrt diese ins Gegenteil:
"Wissen ist nie frei von politischer Macht, sondern eng mit ihr verwoben12."
[...]
1. FOUCAULT, Michel: 2002. Die Wahrheit und die juristischen Formen. Suhrkamp, Frankfurt am Main, S. 29. Vgl.: DELEUZE, G. und GUATTARI, F.: Capitalisme et Schizophrenie. Band I: L'Anti-Oedipe, Paris 1972 ; dt. Anti-Oedipus, Frankfurt am Main, 1974.
2. FOUCAULT, Michel: 2002. Die Wahrheit und die juristischen Formen. Suhrkamp, Frankfurt am Main, S. 30
3. Ebenda, S. 31.
4. Ebenda, S. 31.
5. Ebd., S. 131
6. Ebd., S. 31
7. Ebd., S. 37f
8. Ebd., 37ff
9. Ebd., S. 49
10. Ebd., S. 50f
11. Ebd., S. 51
12. Ebd., S. 51
- Citation du texte
- Sahra Gabriele Foetschl (Auteur), 2008, Souveränität und Rechtsstaatlichkeit. Eine kurze Kritik an Foucaults Terminologie in "Die Wahrheit und die juristischen Formen", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315523
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