Einleitung
1.1 New Hollywood?
Narrative Kohärenz und Kontinuität sind neben moralischer Integrität die wichtigsten Merkmale des klassischen Hollywoodkinos. In den ersten fünfzig Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts verkaufte sich Hollywood als ein plastisches und realistisches Abbild des american way of life oder zumindest dessen Implikationen.
Die Geradlinigkeit jener Filme wurde durch stereotypisierte Produktionsmechanismen (die ihrerseits wiederum in den Kapitalismus, die Grundlage des amerikanischen Selbstverständnisses, eingebettet waren und sind) gewährleistet. Sogenannte Anschlußfehler und Achsensprünge waren Tabus, denn sie durchbrachen die Kontinuität der Handlung und zerstörten die Realität des filmischen Raums, der dem Zuschauer Unterhaltung, wenn nicht sogar einen gewissen Eskapismus bieten sollte. Auf der anderen Seite regelte der Hays office code auf bürokratische Art und Weise das Wertesystem, das Hollywood
zu vermitteln hatte und bescheinigte damit –ungewollt- der Leinwand ihre Funktion als Meinungsmedium.
[...]
Inhalt
1 Einleitung
1.1 New Hollywood ?
1.2 Slaughterhouse Five
2 Analyse
2.1 Die Auflösung der linearen Narration und ihre stilistische Umsetzung
2.2 Die Auflösung der Genretypen
2.3 Der Protagonist als Identifikationsfigur
3 Zusammenfassung
4 Literatur:
1 Einleitung
1.1 New Hollywood ?
Narrative Kohärenz und Kontinuität sind neben moralischer Integrität die wichtigsten Merkmale des klassischen Hollywoodkinos. In den ersten fünfzig Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts verkaufte sich Hollywood als ein plastisches und realistisches Abbild des american way of life oder zumindest dessen Implikationen.
Die Geradlinigkeit jener Filme wurde durch stereotypisierte Produktions-mechanismen (die ihrerseits wiederum in den Kapitalismus, die Grundlage des amerikanischen Selbstverständnisses, eingebettet waren und sind) gewähr-leistet. Sogenannte Anschlußfehler und Achsensprünge waren Tabus, denn sie durchbrachen die Kontinuität der Handlung und zerstörten die Realität des filmischen Raums, der dem Zuschauer Unterhaltung, wenn nicht sogar einen gewissen Eskapismus bieten sollte. Auf der anderen Seite regelte der Hays Office Code auf bürokratische Art und Weise das Wertesystem, das Hollywood zu vermitteln hatte und bescheinigte damit –ungewollt- der Leinwand ihre Funktion als Meinungsmedium.
Doch „so wie der liberale Konsens in der US-Gesellschaft geht Ende der sechziger Jahre (zumindest scheinbar/kurzfristig) auch die Selbstverständlichkeit in Brüche, mit der sich das Hollywoodkino gemeinhin als ein realistisches anbietet.“[1] Deutlich beeinflußt von der nouvelle vague um Godard, Truffaut und andere, begannen amerikanische Filmemacher sich nicht nur kritisch mit ihrem eigenen Kontext (Vietnam, Watergate, allgemeine Emanzipation) sondern auch mit ihrem Medium (Auteurtheorie, Genrebindung, kritisches Potential) auseinanderzusetzen und schufen damit ein New Hollywood, das nicht nur der damaligen Gesellschaft ein visuelles Zentral-organ bot, sondern dessen Einfluß sich bis in die aktuellen amerikanischen Produktionen abzeichnet.
In dieser Arbeit werde ich versuchen, darzulegen, inwiefern New Hollywood die Tradition des klassischen Hollywood-Textes durchbrochen hat. Dabei werde ich mich auf die folgenden Betrachtungspunkte konzentrieren:
- Die Auflösung der linearen Narration und ihre stilistische Umsetzung,
- Die Auflösung der Genretypen,
- Der Protagonist als Identifikationsfigur.
1.2 Slaughterhouse Five
Die Literatur der sechziger Jahre stellte Filmemachern kritische und damit populäre Inhalte bereit. Mit The Graduate (1968) und Catch 22 (1970) bannte Mike Nichols zwei Romanadaptionen auf die Leinwand, die bis heute als Musterbeispiele des New Hollywood – Kinos gelten.
„ Read the book first !“ - Diesen Ratschlag erteilen acht von zehn Hobbykritiker auf einer Internetseite[2] zum Verständnis des Films Slaughter-
house Five (1972) von George Roy Hill.
Er basiert auf dem gleichnamigen Roman[3] von Kurt Vonnegut,
„A fourth-generation German-American, ... who as an
American Infantry Scout, ... as a Prisoner Of War
witnessed the fire-bombing of Dresden, Germany,
„The Florence of the Elbe“ a long time ago, and survived
to tell the tale. This is a novel somewhat in the telegraphic
schizophrenic manner of tales of the planet Tralfamadore,
where the flying saucers come from. Peace.“
Diese „schizophrene“ Erzählweise und der, zumindest teilweise, dokument-arische Inhalt machen den Film, der dadurch gewissermaßen „von Haus aus“ genretechnisch heterogen und narrativ nicht-linear konstruiert ist, zu einem idealen Studienobjekt für die in I.1 von mir aufgeworfene Frage.
Er erzählt die Geschichte von dem Amerikaner Billy Pilgrim, der in der Zeit und in seinem Leben vor- und zurückspringt und keine Kontrolle darüber hat, wohin. Der Film konzentriert sich hauptsächlich auf drei Handlungskontinuen:
- Billys Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg und während der Bombardierung Dresdens.
- Billys bürgerliches Leben nach dem Krieg in seiner Heimatstadt Ilium, New York.
- Billys Flucht/Entführung auf den fernen Planeten Tralfamadore, wo er zusammen mit der Oben-Ohne-Berühmtheit Montana Wildhack in einer Art Zoo zur Schau gestellt wird.
Diese drei Handlungsstränge folgen keineswegs einem chronologischem Zeitpfeil, nach dem der Zuschauer den Protagonisten Billy von seiner Soldatenzeit bis zu seinem extraterristischen Abenteuer begleitet, sondern sie werden von dem Regisseur vielmehr „zerstückelt“, um schließlich wieder so zusammengefügt zu werden, daß eine zusätzliche Bedeutungsebene geschaffen wird: Billy´s Wahrnehmung seines eigenen Lebens.
Der Umgang mit den komplexen Themen Zeit und Erinnerung war in diesem Ausmaß ein Novum im amerikanischen Film. In dem bereits erwähnten Film Catch 22 von Mike Nichols kann ein Ansatz dieses Motifs zwar nachvollzogen, aber nicht als übergeordnete Idee – da durch die literarische Vorlage nicht impliziert? – festgestellt werden. In Europa hingegen experi-mentierte Alain Resnais bereits 1968 in seinem Film Je t` aime, je t`aime mit der Wiederholung von Szenen und der Zerstückelung des Handlungs-ablaufes[4], um die Komplexität von Vergangenheitsbewältigung und der Erinnerung als abstraktes Labyrinth visuell darzustellen.
2 Analyse
2.1 Die Auflösung der linearen Narration und ihre stilistische Umsetzung
Der Begriff Auflösung impliziert die „Linearität von Ursache und Wirkung im Rahmen einer geschlossenen Narration“[5] als status quo. Dies entspricht nicht
nur den Seherfahrungen und –erwartungen des Zuschauers, sondern vor Allem seinen Ansprüchen an die (außerfilmische) Realität, in der er lebt.
Bereits in den ersten vierzehn Minuten des Films, der Orientierungs-sequenz (siehe Anhang b), ersetzt G.R.Hill diese Linearität durch eine Parallelität von Ursache und Wirkung. Der Protagonist und seine Problematik („I have come unstuck in time“) werden vorgestellt, indem er in vier Settings gleichwertig präsent ist. Die Einstellung, in der Billy in seinem Haus im Jahre 1967 einen Brief an den Herausgeber der Ilium Daily News schreibt, kann dabei als Ausgangssetting betrachtet werden, denn hier erfährt der Zuschauer
Billy´s Problem und damit die logische Legitimation der gesamten Erzählung,
„Ich springe vor- und zurück in der Zeit,
ich springe vor- und zurück in meinem Leben,
und habe keine Kontrolle darüber, wohin.“
Gleichzeitig funktioniert diese Einstellung als „Sprungbrett“ für die Einführung der drei Handlungskontinuen, denn während Billy den Brief an die Zeitung tippt, springt er tatsächlich (d.h. für den Zuschauer visuell nachvollziehbar) in der Zeit, zunächst in einen verschneiten Wald an der deutschen Westfront im Winter 1943/44, wo er sich vor den deutschen Truppen versteckt, um wieder in das Jahr 1967 an seinen Schreibtisch sprichwörtlich zurückzufallen, dann auf den Planeten Tralfamadore, wo ihm seine Gespielin Montana vielversprech-end zuzwinkert und schließlich in die Hochzeitsnacht mit seiner Frau Valencia, kurz nachdem er seinen ältesten Sohn Robert gezeugt hat.
Auf der Bildebene gibt es keine nachvollziehbaren Übergänge zwischen den Handlungssprüngen[6], diese werden auf der Klangebene durch Tonüber-lappungen vorgenommen: noch während Billy in 0:01:52 über seine Zeitreisen berichtet, ertönt das Geräusch eines laufenden Motors, das sich in 0:01:54 als das Geräusch eines deutschen Panzers entpuppt; ein komisches Moment forciert diese Tonmontage in 0:08:34 bis 0:09:10, wenn Billy sich über Montanas Liebesangebot (einen „kleinen Kuß“) in einem solchen Ausmaß freut, daß er von seinem Kriegskameraden Lazzaro prompt mißverstanden wird („Du schwule Sau“).
[...]
[1] Horvath, Alexander (Hrg.): The last great American Picture Show. Wien 1995, S.11
[2] http://www.imd.com
[3] Vonnegut, Kurt: Slaughterhouse Five or The Children´s Crusade. New York 1966
[4] Monaco, James: Film verstehen. Hamburg 1980
[5] Hugo, Chris: New Hollywood:Ökonomie und Filmstil, in: Alexander Horvath(Hrg.):The last great American Picture Show. Wien 1995, S.256
[6] mit Ausnahme der Überblendung in 0:09:38, durch die Billy von dem Zweiten Weltkrieg in seine Flitterwochen springt.
- Citation du texte
- M.A. Daniel Daimler (Auteur), 2002, Die Auflösung des klassischen Hollywood-Textes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3153