Der Titel des Essays verweist auf das Kernanliegen der Argumentation: die Anerkennung und Nutzbarmachung der Potenziale der Sozialen Landwirtschaft für den Bereich der Pädagogik und Therapie von verhaltensgestörten Kindern und Jugendlichen.
Anstoß dazu gibt die deutliche Diskrepanz zwischen der sich rasant entwickelnden modernen Industriegesellschaft und der zunehmenden Entfremdung des Einzelnen von elementaren Selbsterfahrungen im natürlichen Raum. Es handelt sich um ein, meiner Meinung nach, derzeit äußerst relevantes Thema, das kreative Lösungsansätze für den pädagogischen Bereich bietet und auch verstärkt in das Bewusstsein von pädagogisch und therapeutisch Arbeitenden gerückt werden sollte.
Soziale Landwirtschaft als pädagogisch-therapeutisches Feld bei Störungen des Sozialverhaltens bei Kindern und Jugendlichen
oder:
Was fehlt dem modernen Menschen zur Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit?
Der Titel des Essays verweist auf das Kernanliegen meiner Argumentation: die Anerkennung und Nutzbarmachung der Potenziale Sozialer Landwirtschaft für den Bereich der Pädagogik und Therapie von verhaltensgestörten Kindern und Jugendlichen. Anstoß dazu gibt die deutliche Diskrepanz zwischen der sich rasant entwickelnden modernen Industriegesellschaft und der zunehmenden Entfremdung des Einzelnen von elementaren Selbsterfahrungen im natürlichen Raum. Es handelt sich um ein, meiner Meinung nach, derzeit äußerst relevantes Thema, das kreative Lösungsansätze für den pädagogischen Bereich bietet und auch verstärkt in das Bewusstsein von pädagogisch und therapeutisch Arbeitenden gerückt werden sollte.
Es eröffnen sich zwei Perspektiven auf das Terrain – bei einer steht der Mensch im Mittelpunkt und mit ihm die „Soziale Arbeit“, bei der anderen die Umwelt, in dem Fall die Landwirtschaft. Nun bleibt zu ermitteln, welches Potenzial sich an der Schnittstelle beider Perspektiven eröffnet. Meiner Meinung nach kann die Verknüpfung von ökologischer Landwirtschaft und sozialer Arbeit langfristige und nachhaltige Synergieeffekte schaffen, die auch gesellschaftlich wirksam sind.
Dazu soll der für diese Betrachtung relevante Begriff kurz umrissen werden.
Im DSM-IV finden sich die Begriffe „Störung des Sozialverhaltens“, „Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten“, im ICD-10 die Bezeichnung „Störungen des Sozialverhaltens“ mit 6 Unterkategorien.
Allen Störungsbildern gemein ist ein normabweichendes Verhalten, welches sich in feindseligem oder aggressivem Auftreten zeigt. Dieses kann verbal, körperlich, psychisch geschehen oder sich in Sachbeschädigungen äußern. Aggressives Verhalten im Kindes- und Jugendalter tritt häufig in Verbindung mit Schuldistanz, Lügen und Verstößen gegen das Strafrecht auf. Angesichts des erheblichen Anteils von Heranwachsenden mit diesen Verhaltensmustern an Zuweisungen in kinder- und jugendpsychiatrische Einrichtungen wird die Notwendigkeit von wirksamen pädagogischen und therapeutischen Maßnahmen deutlich.
Derzeit sind die Antworten auf Störungen des Sozialverhaltens vielfältiger Natur – fraglich nur, ob sie langfristig gesehen auch der Natur des Menschen entsprechen oder allzu häufig von einseitigen und eingefahrenen Ökonomiegedanken geleitet sind. Die Behandlungsangebote reichen von ambulanter über teilstationärer bis stationärer Betreuung. Präventionsprogramme und Trainings/Therapien für verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche werden vorwiegend in (Förder-)Schulen, in therapeutischen Settings oder in Kinder- und Jugendpsychiatrien durchgeführt, wobei diese zum überwiegenden Teil auf verhaltenstherapeutischen Konzepten basieren. Auch die Behandlung mit Psychopharmaka gehört zu den möglichen Interventionen.
Um geeignete Maßnahmen entwickeln zu können, müssen die vielfältigen Ursachen von Verhaltensstörungen betrachtet werden. Unumstritten ist in den meisten Fällen ein Geflecht von mehreren Risikofaktoren für die Entwicklung einer frühen Verhaltensstörung verantwortlich. Dazu gehören zu einem geringeren Teil kindbezogene Faktoren, beispielsweise ein schwieriges Temperament. Von Relevanz sind ebenfalls biologische Bedingungen im prä-, peri- und postnatalen Bereich.
Ein nachweisbar hoher Einfluss wird den familiären Gegebenheiten zugeschrieben. Ein gestörter Bindungsaufbau in den ersten 18 Lebensmonaten, häufige familiäre Konflikte, ein autoritärer, strafender oder inkonsequenter Erziehungsstil, unklare Regeln usw. wirken sich ungünstig auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes aus. Vernachlässigung und selbsterlebte Gewalt lassen Opfer statistisch gesehen häufiger zu Tätern werden. Bezogen auf den ausgewählten Personenkreis von Kindern und Jugendlichen bedeutet Aufwachsen in vielen Fällen, statt in funktionierenden (Groß-)Familien, mit überforderten alleinerziehenden Elternteilen zusammenzuleben oder vor allem die Väter häufiger ab- als anwesend zu erleben. Außerdem lässt sich das Stereotyp des aggressiven Jugendlichen aus dem Kiez nicht von der Hand weisen – Armut, häufig gekoppelt mit Kinderreichtum und fehlende Zukunftsaussichten aufgrund geringer Schulbildung und der Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen Milieu sind maßgebliche Ursachen für die Entwicklung einer Störung des Sozialverhaltens. Die gefühlte Isolation in einer sozialen Randgruppe potenziert sich häufig durch den Anschluss an eine deviante Gleichaltrigengruppe und bildet einen Teufelskreis, der vom Heranwachsenden allein kaum zu durchbrechen ist.
Leistungsdruck dominiert sowohl das Leben der Eltern, als auch der Kinder. Es macht den Anschein, als solle der Mensch analog einer hochleistungsfähigen Maschine funktionieren, und das möglichst von frühester Kindheit an. Unklar geworden ist das Wertesystem, dafür steigt die Konsumorientierung. In Familien steht häufig dem Überfluss an materiellen Gütern ein Defizit im emotionalen Bereich gegenüber – und dies nicht nur in der Ober- und Mittelschicht. Das Bestreben, einen Mangel an Aufmerksamkeit und Fürsorge, Zeit und Wertschätzung durch Materielles auszugleichen, ist, angepasst an die jeweiligen sozio-ökonomischen Verhältnisse, in allen gesellschaftlichen Schichten zu erkennen.
Dazu kommt die fortschreitende Virtualisierung der Lebenswelt – Freizeitaktivitäten spielen sich immer häufiger vor Bildschirmen ab, es wird gechattet statt gesprochen.
Schaffen wir uns unsere Verhaltensstörungen also selbst?
Da die Erörterung dieser Fragestellung eher eine soziologische Betrachtung erfordert, soll sie lediglich als Bezugspunkt dienen, um die Relevanz der Landwirtschaft in Bezug auf Therapie und Pädagogik bei Störungen des Sozialverhaltens zu begründen.
Historisch betrachtet hatte die Landwirtschaft schon immer auch soziale Funktion, durch die fortschreitende Technisierung verlor dieser Aspekt jedoch an Bedeutung. Aus dem Blickwinkel der Pädagogik lassen sich gewisse Meilensteine erkennen, die abseits vom Mainstream Inseln bildeten und neue Entwicklungen anstießen. Bedeutsam, wenn auch nicht ohne Kritik, erscheint Makarenkos Werk in der „Gorki-Kolonie“, in der verwahrloste Jugendliche aus der puren Not heraus durch landwirtschaftliche Arbeit resozialisiert wurden. Erziehung zur Selbsterziehung, Selbstbestimmung und Verantwortung war Makarenkos erklärtes Ziel, zu seiner Zeit stark motiviert durch politische Hintergründe. Methodisch bediente er sich der Erziehung im bzw. eben auch durch das Kollektiv, in dem keiner einen Überlegenheitsanspruch besaß und man gemeinsame Traditionen und Rituale pflegte. Makarenkos Auffassung war, dass Kinder ein Recht auf Freude und die Pflicht zur Verantwortung haben. Daher waren Spiele fester Bestandteil des Alltags, der Anspruch an Einheit, Ordnung und das Erbringen von Leistungen aber auch sehr hoch. Aus heutiger Sicht untragbar erscheinen die stark militärischen Züge der Disziplinierung, die Akzeptanz von Gewaltanwendung gegenüber Widerstand leistenden Jugendlichen. Trotz aller Kritik galt und gilt er als Wegbereiter einer neuen Pädagogik, wobei vor allem seiner Verknüpfung von theoretischem Unterricht mit praktischer Arbeit Bedeutung beigemessen wurde.
Andere wichtige Impulse kamen aus dem Bereich der Antroposophie um Rudolf Steiner, die wiederum heilpädagogische Bewegungen wie die Camphill-Communities entstehen ließen. Camhillgemeinschaften – die erste 1939 von Karl König in Schottland gegründet – existieren heute noch in über 20 Ländern. In dorfähnlichen Gemeinschaften mit familiären Strukturen leben und arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen, wobei die biologisch-dynamische Landwirtschaft eine bedeutsame Säule des Gefüges darstellt. Zwar werden in Camphill-Communities vorwiegend Menschen mit einer geistigen Behinderung aufgenommen, dies steht dem Grundgedanken dieser Argumentation jedoch nicht im Weg. Auch in diesen Gemeinschaften stellt die Arbeit einen zentralen Punkt für das Leben dar. Aktiv schaffend, dabei seinem individuellen Vermögen entsprechend, erlangt der Mensch Kompetenzen, erfährt Wertschätzung und erlebt sich als wertvollen Teil der Gemeinschaft. Kritisch gesehen werden muss die selbstauferlegte Isolation dieser Gemeinschaften und die damit nicht gegebene Integration in die Gesellschaft.
Natürlich lassen sich auch Negativbeispiele aus der Geschichte der sozialen Landwirtschaft anbringen. So wurden speziell in der Zeit nach dem II. Weltkrieg Kinder und junge Erwachsene unter dem Deckmantel der Betreuung, Erziehung und Resozialisierung in bäuerlichen Hofgemeinschaften unter unwürdigsten Bedingungen als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Diese Beispiele entbehrten jeglichen Anspruchs an pädagogische Arbeit und sind insofern hier nicht von Belang.
Keine der vorgenannten Bewegungen kann also kultur- oder zeitunabhängig beurteilt werden. Aus heutiger pädagogischer Sicht sind viele Aspekte nicht mehr zeitgemäß, die ihnen gemeinsamen Nenner jedoch bieten wertvolles und entwicklungsfähiges Potenzial für die Arbeit mit verhaltensgestörten Kindern und Jugendlichen.
Betrachtet man die Entwicklung der sozialen Landwirtschaft in Deutschland und Europa, zeichnet sich eine neue Herangehensweise ab und auch ein vermehrtes Interesse am Gegenstand. Es geht nicht mehr nur darum, durch die Verankerung sozialer Arbeit in der Landwirtschaft positive Effekte für Menschen mit Behinderung, Drogenabhängige oder delinquente Jugendliche zu schaffen. Vielmehr sieht man das ökologische, nachhaltige Einwirken des Menschen auf die Natur als Schaffung eines nachweisbaren und bedeutsamen Mehrwerts für die Gesellschaft.
Die Zahl an Publikationen zum Thema zeigt sich gering bemessen, jedoch seit einigen Jahren in einer neuen Qualität. Die Gründung der europäischen Arbeitsgemeinschaft „Farming for Health“ im Jahr 2004 führte zu weiteren Initiativen, unter anderem zum EU-Forschungsprojekt SoFar - Social Farming. Hierfür fand von 2006 – 2008 in den beteiligten europäischen Ländern eine Bestandsaufnahme der existierenden Projekte, Institutionen und Netzwerke statt, welche auf Stärken und Schwächen hin analysiert wurden, um im Nachgang Strategien zur Weiterentwicklung Sozialer Landwirtschaft zu entwickeln. Diese Strategieentwicklung vollzog sich einerseits auf Länder-, als auch auf europäischer Ebene. Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang das „Witzenhäuser Positionspapier“, das auf einer der SoFar-Tagungen entstand. Es stellt eine multifunktional verstandene Landwirtschaft in den Fokus, die Perspektive bietet für sozial schwache Menschen, für straffällige oder lernschwache Jugendliche, Drogenkranke, Langzeitarbeitslose und aktive Senioren, Schul- und Kindergartenbauernhöfe und vieles andere mehr. Sehr klar wird auch, dass, während in den anderen beteiligten Ländern eine Aufbruchstimmung zu spüren ist, in Deutschland noch sehr schwache bzw. nur vereinzelte Initiativen zu verzeichnen und die Leistungen Sozialer Landwirtschaft in Politik und Öffentlichkeit wenig anerkannt sind. Daraus resultiert letztlich auch ein abschließender Forderungskatalog an Politik, Wissenschaft und Verbraucher unter der Perspektive, Soziale Landwirtschaft nicht nur als eine weitere Spezialisierungsmöglichkeit für landwirtschaftliche Betriebe zu verstehen, sondern darüber hinaus als möglichen Baustein für eine sozialere Zukunft.
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