Diese Bachelorarbeit verfolgt das Ziel, herauszufinden, ob durch die Implementierung der plusKITA eine bedarfsorientiere Finanzierung sichergestellt wird. Es wird danach gefragt, wie die finanziellen Mittel, die das Land NRW zur Verfügung stellt, weiter verteilt werden und ob die gewählten Quoten sinnvolle Indikatoren für einen besonderen Unterstützungsbedarf sind. Weiterhin soll die Frage beantwortet werden, welche Bedarfsindikatoren von den Jugendämtern gewählt werden, um die finanziellen Ressourcen weiter zu verteilen. Ist dadurch eine bedarfsorientierte Finanzierung der Einrichtungen gewährleistet, die einen hohen Anteil von Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf aufweisen?
Durch den PISA Schock wurde das belegt, was viele schon vermuteten: der soziale Hintergrund eines Kindes hat einen Einfluss auf den Bildungsweg und die Schulleistung. Dies war der Anlass von vielfältigen Reformen im deutschen Bildungssystem. Dabei rückt neben den Qualitätsstandards, auch die Finanzierung der institutionellen Bildungsangebote in den Vordergrund. In den wissenschaftlichen Diskursen wird die bedarfsorientierte Finanzierung von Kindertageseinrichtungen als adäquates Instrument thematisiert, um finanzielle Ressourcen gezielt dort einzusetzen, wo ein hoher Förderungsbedarf besteht.
Allerdings wird auch deutlich, dass es dazu gerade im deutschsprachigen Raum, wenig empirisches Material gibt. Durch die zweite Revision des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) in Nordrhein-Westfalen (NRW) vom 04.06.2014 wurden zusätzliche finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt, um Einrichtungen zu unterstützen, in denen überwiegend Kinder aus benachteiligten Familien betreut werden.
Dafür wurden sogenannte plusKITAs eingeführt, die diese Kinder besonders unterstützen sollen (vgl. § 16 KiBiz). Für diese Einrichtungen stellt das Land NRW pro Jahr 45 Millionen Euro zur Verfügung. Anhand des Indikators „u7 Kinder aus Familien mit SGB II Bezug“ (§ 21a KiBiz 2014: 23) werden die finanziellen Mittel an die Jugendämter weitergeben. Die Jugendämter verteilen dann die Ressourcen anhand von verschiedenen Indikatoren weiter. Durch dieses Politikinstrument und seine Implementierung vor Ort, soll der prägende Einfluss eines nachteiligen Familienumfeldes abgebaut werden. Die Ressourcen werden dort eingesetzt, wo sie am nötigsten gebraucht werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
2. Finanzierungspraxis der frühkindlichen Bildung in Deutschland
2.1 Finanzierung durch Bund, Land und Kommune
2.2 Umsetzung in NRW
2.2.1 Früher - Finanzierung „sozialer Brennpunkte“
2.2.2 Finanzierung von Familienzentren
3. Bedarfsorientierte Finanzierung zum Abbau von sozialen Disparitäten
3.1 Theoretische Grundlagen der bedarfsorientierten Finanzierung
3.2 Die bedarfsorientierte Finanzierung von Kitas in Deutschland
3.3 Rolle der Bedarfsindikatoren
3.3.1 Beschreibung von Bedarfsindikatoren
3.3.2 Diskussion von Indikatoren auf unterschiedlichen Ebenen
3.3.2.1 Sozialräumliche Ebene
3.3.2.2 Einrichtungsspezifische Ebene
3.3.2.3 Kindbezogene Ebene
3.4 Einführung der plusKITA als Beispiel für bedarfsorientierte Finanzierung
3.4.1 Aufgaben der plusKITA
3.4.2 Ebene: Land - Jugendamt
3.4.3 Ebene: Jugendamt - Einrichtungen
4. Empirische Untersuchung: plusKITA in NRW
4.1 Methodische Vorgehensweise
4.2 Aufbau und Inhalt der Studie
4.3 Auswahl der Interviewpartner
4.4 Vorbereitung und Durchführung der Interviews
4.5 Vorgehensweise bei der Auswertung der Interviews
4.6 Analyse und Interpretation der Interviewergebnisse
4.7 Diskussion (Limitation der Studie)
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1. Angebote von Familienzentren
Abbildung 2. Bestandteile einer formelbasierten Finanzierung
Abbildung 3. Bedarfsindikatoren auf verschiedenen Ebenen
Abbildung 4. Finanzierung von plusKITA
Abbildung 5. Gewählte Jugendämter
Abbildung 6. Thematische Hauptkategorien
Danksagung
Ich möchte mich an dieser Stelle bei all denjenigen bedanken, die mich während der Anfertigung dieser Bachelorarbeit „plusKITA – Vom Gießkannenprinzip zur bedarfsorientierten Finanzierung?“ unterstützt und motiviert haben. Insbesondere möchte ich mich bei den Experten und Expertinnen bedanken, die durch ihre fachliche Unterstützung dazu beitragen haben, dass diese Arbeit geschrieben werden konnte
Besonders möchte ich mich bei Dr. Nina Hogrebe bedanken, die diese Arbeit und mich umfangreich betreut hat. Sie unterstützte mich sehr durch ihre hilfreichen Ratschläge und Hinweise. Zudem möchte ich mich bei der ELF der Erziehungswissenschaftliche Lehr- & Forschungswerkstatt an der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster bedanken. Die Mitglieder der Forschungswerkstatt standen mir in der ganzen Zeit mit wertvollen Anregungen und Tipps zur Seite
Daneben gilt mein Dank meinen Freunden, die viel Zeit investiert haben, um diese Arbeit Korrektur zu lesen. Sie haben ebenfalls mit vielen hilfreichen Vorschlägen zu dieser Arbeit beigetragen
Abschließend möchte ich mich bei meiner Mutter und meiner Schwester bedanken. Während meines Studiums konnte ich immer auf ihre Unterstützung zählen
„ We are guilty of many errors and many faults, but our worst crime is abandoning the children, neglecting the fountain of life. Many of the things we need can wait. The child cannot. Right now is the time his bones are being formed, his blood is being made, and his senses are being developed. To him we cannot answer ‘Tomorrow’, his name is today.” - Gabriela Mistral[1]
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
Der PISA Schock hat in Deutschland für Furore gesorgt. Die Leistungen der Schüler[2] im Lesen, als auch in der Mathematik und den Naturwissenschaften waren unterdurchschnittlich. Das Bildungsniveau der deutschen Schüler lag somit im internationalen Vergleich, im unteren Drittel (vgl. Diller o.J.: 1). Allerdings haben die Ergebnisse auch eins gezeigt: „Nur in einem Punkt lag Deutschland vorn: in der Bildungsungerechtigkeit“ (vgl. Artikel der Zeit: PISA Schock). Durch den PISA Schock wurde das belegt, was viele schon vermuteten: der soziale Hintergrund eines Kindes hat einen Einfluss auf den Bildungsweg und die Schulleistung. Dies war der Anlass von vielfältigen Reformen im deutschen Bildungssystem. Allerdings betraf das nicht nur den Bereich der Schule, sondern auch den Bereich der frühkindlichen Bildung. Insbesondere werden die Kindertageseinrichtungen (Kitas) seit ein paar Jahren vermehrt in den Fokus von Wissenschaft und Politik gerückt. Sie sind die erste Stufe des Bildungsweges und ihnen wird eine hohe Bedeutung für den individuellen Bildungs- und Teilhabeprozess der Kinder zugeschrieben (vgl. Bock-Famulla/Hogrebe/Keinert 2010:135). Insbesondere sollen die frühen institutionellen Bildungsangebote Nachteile kompensieren, die Kinder unter bestimmten Umständen, in ihrem familiären Lernumfeld vorfinden (vgl. Wößmann 2010: 73). Dabei rückt neben den Qualitätsstandards, auch die Finanzierung der institutionellen Bildungsangebote in den Vordergrund. In den wissenschaftlichen Diskursen wird die bedarfsorientierte Finanzierung von Kindertageseinrichtungen als adäquates Instrument thematisiert, um finanzielle Ressourcen gezielt dort einzusetzen, wo ein hoher Förderungsbedarf besteht.
Allerdings wird auch deutlich, dass es dazu gerade im deutschsprachigen Raum, wenig empirisches Material gibt. Durch die zweite Revision des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) in Nordrhein-Westfalen (NRW) vom 04.06.2014 wurden zusätzliche finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt, um Einrichtungen zu unterstützen, in denen überwiegend Kinder aus benachteiligten Familien betreut werden.
Dafür wurden sogenannte plusKITAs eingeführt, die diese Kinder besonders unterstützen sollen (vgl. § 16 KiBiz). Für diese Einrichtungen stellt das Land NRW pro Jahr 45 Millionen Euro zur Verfügung. Anhand des Indikators „u7 Kinder aus Familien mit SGB II Bezug“ (§ 21a KiBiz 2014: 23) werden die finanziellen Mittel an die Jugendämter weitergeben. Die Jugendämter verteilen dann die Ressourcen anhand von verschiedenen Indikatoren weiter. Durch dieses Politikinstrument und seine Implementierung vor Ort, soll der prägende Einfluss eines nachteiligen Familienumfeldes abgebaut werden. Die Ressourcen werden dort eingesetzt, wo sie am nötigsten gebraucht werden.
1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Diese Bachelorarbeit verfolgt das Ziel, herauszufinden, ob durch die Implementierung der plusKITA eine bedarfsorientiere Finanzierung sichergestellt wird. Es werden dabei drei Fragen zugrunde gelegt:
1. Wie werden die finanziellen Mittel, die das Land NRW zur Verfügung stellt, weiter verteilt? Sind die gewählten Quoten sinnvolle Indikatoren für einen besonderen Unterstützungsbedarf?
2. Welche Bedarfsindikatoren werden von den Jugendämtern gewählt, um die finanziellen Ressourcen weiter zu verteilen?
3. Ist dadurch eine bedarfsorientierte Finanzierung der Einrichtungen gewährleistet, die einen hohen Anteil von Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf aufweisen?
Aufbau der Arbeit
Im zweiten Kapitel „Finanzierungspraxis der frühkindlichen Bildung in Deutschland“ wird im ersten Abschnitt eine systematische Einordnung der Finanzierung der frühkindlichen Bildung vorgenommen. Im Abschnitt 3.2 wird auf die Umsetzung in NRW genauer eingegangen. Dabei wird unter anderem auf die Finanzierung von Familienzentren, die frühere Finanzierung von „sozialen Brennpunkten“ und auf die Umstellung auf Quoten eingegangen.
Im dritten Kapitel „Bedarfsorientierte Finanzierung zum Abbau von sozialen Disparitäten“ wird der theoretische Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit gesetzt. Dabei werden die Grundlagen und die verschiedenen Formen der bedarfsorientierten Finanzierung erläutert. Ein besonderer Fokus liegt auf der Rolle der Bedarfsindikatoren. Dafür wird der Begriff der Bedarfsindikatoren definiert und verschiedene Indikatoren werden erläutert. Im Anschluss daran wird die plusKITA, als ein Beispiel für die bedarfsorientierte Finanzierung, vorgestellt. Es werden die unterschiedlichen Ebenen beschrieben, die bei der Finanzierung der plusKITA eine wichtige Rolle spielen.
Das vierte Kapitel „Empirische Untersuchung: plusKITA in NRW“ erläutert die methodische Vorgehensweise. Das strukturierte Leitfadeninterview als Methode und die Strukturierung des Fragebogens werden vorgestellt. Danach die Auswahl der Interviewpartner, sowie die Vorbereitung und Durchführung der Interviews. Im Anschluss wird die Methode erläutert, die gewählt wurde, um die Interviews auszuwerten. Anhand von verschiedenen Kategorien werden die Ergebnisse präsentiert. Der empirische Teil ist der Schwerpunkt dieser Bachelorarbeit, die ersten vier Kapitel legen die theoretische Grundlage.
Im fünften Kapitel „Fazit und Ausblick“ werden die Herangehensweise und die Wahl der Methoden reflektiert. Im Anschluss daran werden die Herausforderungen aufgezeigt. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick ab.
2. Finanzierungspraxis der frühkindlichen Bildung in Deutschland
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen innerhalb der drei politischen Ebenen in Deutschland (Bund, Land und Kommune). Im Anschluss daran wird auf die Finanzierung in NRW genauer eingegangen, weil die empirische Untersuchung sich konkret auf das Konzept der plusKITA in NRW bezieht. Darüber hinaus wird die Finanzierung von sogenannten „sozialen Brennpunkten“ und Familienzentren genauer dargestellt.
2.1 Finanzierung durch Bund, Land und Kommune
Kindertageseinrichtungen werden in Deutschland sowohl vom Bund, als auch von den Ländern finanziert. Ebenfalls tragen Kommunen einen großen Anteil zur Finanzierung von Kindertageseinrichtungen bei (vgl. Bildungsfinanzbericht, 2013:47). Auch die Eltern tragen durch Elternbeiträge zur Finanzierung von Kindertageseinrichtungen bei.
Bund
Im Kinder- und Jugendhilfe Gesetz (KJhG) des achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII) wird die Finanzierung von Kindertageseinrichtungen geregelt (vgl. SGB VIII 1990: 15). Die direkte Finanzierung von Kindertageseinrichtungen ist durch den Bund nicht möglich, da in Deutschland das Kooperationsverbot gilt (vgl. Art.91b GG). Der Bund hat in dem Bereich der frühkindlichen Betreuung keine eigenständige Aufgabenverantwortung, sodass er sich nur an den Investitions- und Betriebskosten der Einrichtungen beteiligen kann. Ebenfalls stellt der Bund zusätzliche Mittel für den Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren zur Verfügung und wählt aus verfassungsrechtlichen Gründen, den Weg der Finanzierung über ein Sondervermögen (vgl. BmFSFJ 2013: 21).
Länder
Die Finanzierung von Kindertageseinrichtungen obliegt den Bundesländern, denn in den Aufgabenbereich der Landesverfassungen fällt das Bildungswesen. Es gehört wie das Kultur- und Polizeiwesen in das sogenannte „Hausgut“ der Länder[3]. Es gibt 16 verschiedene Gesetze, die diesen Bereich in Deutschland regeln. In NRW wird die Finanzierung von Kindertageseinrichtungen durch das Kinderbildungsgesetz (KiBiz) geregelt (vgl. Münder/Wehrmann 2013: 17). Die Einrichtungen werden pro Kindergartenjahr über die Kindpauschalen finanziert, die in §19 KiBiz festgeschrieben sind. Die Finanzierung der Einrichtungen variiert im Hinblick auf die Gruppenform, Buchungszeiten, Anzahl der Kinder und Anzahl der Kinder mit Behinderungen. Darüber hinaus gibt es die U3-Pauschale (vgl. §21 (4) KiBiz), bei der das Land den Jugendämtern für jedes Kind, welches im Alter von unter drei Jahren betreut wird, einen zusätzlichen Zuschuss pro Kindergartenjahr gewährt. Darüber hinaus beteiligt sich das Land NRW an dem U3 Ausbau, indem es zum Beispiel die Jugendämter dauerhaft bei den Betriebs- und Investitionskosten für den U3 Ausbau unterstützt (vgl. § 1(2) 4 BAG-JH).
Kommunen
Je nach Bundesland unterscheiden sich auch die Finanzierungsbeiträge und Zuschüsse der Kommunen. In NRW beteiligen sich die kommunalen Jugendämter an der Finanzierung der Einrichtungen. Die Träger erhalten Zuschüsse des Jugendamtes. Kirchliche Träger erhalten 88%, andere freie Träger 91%, Elterninitiativen 96% und kommunale Träger 79% (vgl. § 20 KiBiz 2014: 19). Die Jugendämter werden darüber hinaus vom Land NRW bezuschusst (vgl. §21 KiBiz 2014: 21).
2.2 Umsetzung in NRW
Wie oben bereits dargestellt wurde, beteiligt sich das Land NRW an den Kosten der Kindertageseinrichtungen. In diesem Abschnitt wird auf die frühere Finanzierung von „sozialen Brennpunkten“ eingegangen und die Umstellung auf Quoten wird erläutert. So kann später aufgezeigt werden, dass sich das Land NRW an eine bedarfsorientierte Finanzierung annähert.
2.2.1 Früher - Finanzierung „sozialer Brennpunkte“
Vor der zweiten Revision des KiBiz (2014) wurden in §20(3) Einrichtungen in sozialen Brennpunkten gesondert finanziert (vgl. KiBiz Stand 30.10.2007: 466). Bei sozialen Brennpunkten handelt es sich um:
Orte spezifischer Problemakkumulation. Neben der Konzentration sozial benachteiligter Gruppen, die überproportional häufig von staatlichen Transferleistungen abhängig sind, handelt es sich in aller Regel um Gebiete mit hoher Bevölkerungsfluktuation, einer unterdurchschnittlichen Infrastrukturausstattung, hohen verkehrlichen und Umweltbelastungen usw. Überlagern sich mehrere dieser Faktoren, kann hieraus ein Milieu der Benachteiligung, ein sozialer Brennpunkt entstehen (Anhut/Heitmeyer 2000: 28–29).
Für Einrichtungen in diesen Gebieten, konnte bis zu 15.000 Euro abgerufen werden. Dafür musste der Träger der Einrichtung einen Antrag an das Jugendamt stellen und das Jugendamt entschied zusammen mit dem Träger, über diesen Antrag. Dies hatte zur Folge, dass nicht überall Einrichtungen in „sozialen Brennpunkten“ die finanziellen Mittel erhalten haben, da diese 15.000 Euro von den Kommunen mitfinanziert werden mussten. Der Begriff des „sozialen Brennpunktes“ wurde ebenfalls sehr kritisch gesehen, denn er ist mit negativen Assoziationen verbunden und führt zu einer Stigmatisierung, sowohl der Einrichtungen, als auch der Kinder, die eine Kita in einem „sozialen Brennpunkt“ besuchten. Ebenfalls war bisher „weitestgehend unklar, ob die Belastung von Kindertageseinrichtungen sich tatsächlich treffend über den Sozialraum beschreiben lässt“ (Hogrebe 2014: 189). Bei der zweiten Revision des KiBiz (2014) sind diese Mischfinanzierung und der Begriff „sozialer Brennpunkt“ durch die plusKITA ersetzt worden, um dem Phänomen einer sozialräumlich begründeten Bildungsbenachteiligung, zielgerechter entgegenzuwirken.
2.2.2 Finanzierung von Familienzentren
Durch das Landespilotprojekt „Familienzentren NRW“ von 2006 wurden Familienzentren in der Betreuungslandschaft in NRW etabliert. Dabei handelt es sich um Einrichtungen, die Familien mit vermehrtem Beratungs- und Unterstützungsbedarf, bei der Bildung und Erziehung von Kindern unterstützen sollen. Dazu gehören unter anderem Sprachdefizite von Kindern festzustellen und diese durch individuelle Förderung abzubauen. Eltern sollen in Fragen zur Erziehung und Bildung beraten werden und dies soll möglichst niederschwellig geschehen (vgl. MFKJKS 2013: 47). Die Familienzentren wurden nach der zweiten Revision gestärkt, denn sie haben ähnliche Aufgaben wie eine plusKITA (vgl. Kapitel 3.4.1).
Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Familienzentren in NRW (vgl. Anhang 1 Abbildung Familienzentren: 53). Kindertageseinrichtungen, die Familienzentrum werden wollen, müssen gemäß § 16 KiBiz das anerkannte Gütesiegel „Familienzentrum NRW“ (§16 KiBiz) beantragen und somit spezifische Auflagen erfüllen. Die Zertifizierung für ein Familienzentrum ist aufwendig und gliedert sich in zwei verschiedene Teilbereiche, die in folgender Abbildung aufgeführt werden.
Die jährliche Förderung von Familienzentren beträgt 13.000 Euro pro Kindergartenjahr. Einrichtungen, die „besonderen Unterstützungsbedarf“ (§ 21 (5) KiBiz 2014: 23) aufweisen, können 1000 Euro zusätzlich erhalten. Seit dem Kindergartenjahr 2012/2013 sollen Familienzentren bedarfsgerecht ausgebaut werden, dafür wird ein Sozialindex mit den Indikatoren Kinder unter sieben Jahren in SGB II Bezug und Abgänger ohne Schulabschluss zugrunde gelegt.
Die Landesregierung hat deshalb die Verteilung der neuen 150 Familienzentren auf die Jugendämter anhand eines Sozialindexes festgelegt, dem die Messgrößen ʽKinder unter 7 in Bedarfsgemeinschaften nach SGB IIʼ und ʽAbgänger ohne Schulabschlussʼ zu Grunde liegen. Beide Kriterien wurden gleich gewichtet. Damit soll der Fokus auf Standorte gelegt werden, die ein höheres Bildungs- und Armutsrisiko tragen (vgl. Anhang 2 Kleinräumige Auswahlkriterien o.J.: 3).
Im Folgenden wird die bedarfsorientierte Finanzierung als eine Möglichkeit zum Abbau von sozialen Disparitäten vorgestellt. Im ersten Teil werden die verschiedenen theoretischen Grundlagen erläutert. Verschiedene Erklärungsmodelle, vorwiegend aus dem englischsprachigen Raum, werden dargestellt. Im Anschluss daran werden verschiedene Bedarfsindikatoren definiert. Als konkretes Beispiel für die bedarfsorientierte Finanzierung wird die plusKITA mit den Zielen und Aufgaben aufgeführt.
3. Bedarfsorientierte Finanzierung zum Abbau von sozialen Disparitäten
In diesem Kapitel werden verschiedene Formen der Finanzierung im Bildungsbereich beschrieben. Im Anschluss daran wird die theoretische Grundlage zur bedarfsorientierten Finanzierung dargestellt. Ferner werden die verschiedenen Bedarfsindikatoren, die es auf unterschiedlichen Ebenen geben kann, vorgestellt.
3.1 Theoretische Grundlagen der bedarfsorientierten Finanzierung
Vor allem im englischsprachigen Raum gibt es mehrere Studien und Artikel über Finanzierungsmöglichkeiten im Bildungsbereich. So werden in dem Aufsatz von Gloria Agyemang „Accounting for needs? Formula funding in the UK schools sector“ verschiedene Ansätze genannt, nach denen die finanziellen Ressourcen verteilt werden können: The incremental approach, political method, the activity-led approach und den formula-funding approach (vgl. Agyemang 2008: 85).
Beim „incremental approach“ basiert die Verteilung der finanziellen Mittel auf historisch gewachsenen Strukturen. Ein Beispiel dafür ist die Förderung von „sozialen Brennpunkten“, die in der Stadt Köln auf historischen Strukturen gewachsen ist und nun keiner Förderung mehr bedürfen würden (vgl. Anhang 3 Vorlage Nr. 1744/2014 Stadt Köln: 8).
Bei der „political method“ wird die Verteilung der finanziellen Mittel durch politische Entscheidungsprozesse festgelegt. So können Themen, die auf der politischen Agenda stehen, in Finanzstrukturen implementiert werden. Beispiele für diese politische Setzung sind unter anderem, die Einführung der plusKITA und zusätzliche finanzielle Ressourcen für die Sprachförderung von Kindern.
Bei dem „activity-led approach“ werden die finanziellen Ressourcen anhand der Höhe der individuellen Angebote verteilt: „Die Verteilung von Ressourcen basiert auf der Höhe der Angebote, der lokalen Leistungserbringer – in Deutschland wären dies die Kommunen oder die Einrichtungsträger (…)” (Hogrebe 2013: 170).
Smith et al. (2001) argumentieren allerdings, dass alle drei Methoden nicht dazu geeignet sind, die finanziellen Mittel bedarfsorientiert weiter zu verteilen: „It goes without saying that all three methods contain the potential for gross inequality of treatment“ (Smith/Rice/Carr-Hill 2001: 218). Die Verteilung nach historisch gewachsenen Strukturen (incremental approach), ist nach Smith et al. (2001) nicht geeignet, da dieses System willkürlich sei (vgl. ebd. 2001: 218). Bei der zweiten Option (political method) wird Korruption ermöglicht: “The second option (based on political patronage) leads to ʽpork barrelʼ politics and all the accompanying potential for corruption and preceptions of unfairness“ (ebd. 2001: 218). Auch der dritte Ansatz (activity-led approach) birgt die Gefahr, dass der Bedarf gezielt durch beteiligte Akteure überschätzt oder übertrieben wird.
Eine weitere Möglichkeit, die Verteilung der finanziellen Mittel theoretisch zu erklären, ist der „formula-funding approach“. Dabei werden anhand von bestimmten Indikatoren, die finanziellen Mittel verteilt. Die Transparenz der Verteilung der finanziellen Ressourcen steht im Vordergrund. Durch die im Vorhinein festgelegten Indikatoren, verstehen die Empfänger (hier insbesondere die Träger bzw. Kommunen), warum sie bestimmte finanzielle Ressourcen erhalten haben: „The formula approach through the use of specified indicators best handles issues of equity and fairness (Mayston, 1998; Smith, 2003)“ (Agyemang 2008: 86).
Eine weitere Variante stellt der Ansatz „needs-based formula-funding“ von Levačić und Ross (1999) dar. Levačić und Ross benutzen dabei die Terminologie “needs-based resources allocation” im Kontext von Schule. Allerdings wird dieser Begriff schon länger im Bereich der Gesundheit in Großbritannien verwendet und kann auch auf den frühkindlichen Bildungsbereich angewandt werden. Bei dieser formelbasierten Finanzierung handelt es sich um den folgenden Ansatz:
Needs-based formula funding is a specific approach to designing a funding formula so that the amount which is allocated is directly derived from an analysis of what the school needs to spend in order to provide a specified quality of education for students (Levačić and Ross, 1999, p. 26) (Agyemang 2008:86).
Bei diesem Ansatz werden die benötigten finanziellen Ressourcen anhand von bedarfsabhängigen Kriterien verteilt, um so eine auskömmliche Finanzierung von Bildung zu ermöglichen. In Edwards et al. (1996) werden folgende Regeln aufgelistet, die bei diesem Ansatz relevant sind:
- simple, clear and predictable outcomes;
- funding based on objective needs not historic patterns;
- funding largely based on age-weighted pupil numbers;
- a limited number of other funding factors (Edwards 1996: 10).
Daran wird deutlich, dass die Verteilung der finanziellen Ressourcen nach Edwards et al. (1996) eben nicht auf historisch gewachsenen Strukturen basieren sollte. Die Verteilungsprinzipien können auch als mathematische Formel dargestellt werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2. Bestandteile einer formelbasierten Finanzierung (vgl. Hogrebe 2013: 173)
Wie aus Abbildung 2 zu erkennen ist, besteht die Formel aus unterschiedlichen Variablen: Gesamtsumme, Basisfinanzierung (b), Bedarfsindikatoren (i1, i2,..in) und zusätzlichen Elementen (z). Die Gesamtsumme setzt sich „aus der Summe der Kosten, die pro Kind k berechnet werden“ (Hogrebe 2013: 173) zusammen. Bei der Basisfinanzierung erhält jedes Kind den gleichen finanziellen Betrag. Durch die verschiedenen Bedarfsindikatoren können, die finanziellen Ressourcen auf der Grundlage von transparenten Kriterien erhöht werden (bei Edwards et al. (1996) sind das die weiteren „funding factors“):
Die Basisfinanzierung kann anschließend bei Vorliegen einer sozialen und/oder ethnischen Benachteiligung des Kindes erhöht werden. Sie wird also für Personengruppen mit starken Bedarfen erhöht (gewichtet) (Hogrebe 2013: 173).
Ebenfalls können zusätzliche Elemente zum Tragen kommen, wenn bestimmte pädagogische Konzepte vorliegen (vgl. Hogrebe 2013: 174)[4].
In diesem Abschnitt wurden die verschiedenen Formen von Finanzierungverfahren im Bildungsbereich vorgestellt. Dabei wurde herausgestellt, dass einige Ansätze, wie
incremental approach, political method und der activity-led approach sich als nicht umsetzungsfähig erwiesen haben, um eine bedarfsorientiere Finanzierung im Bildungsbereich sicherzustellen (vgl. Smith et al. 2001: 218). Im folgenden Kapitel wird auf die bedarfsorientierte Finanzierung im frühkindlichen Bereich genauer eingegangen.
3.2 Die bedarfsorientierte Finanzierung von Kitas in Deutschland
Die bedarfsorientierte Finanzierung von Kitas in Deutschland wird zwar immer wieder thematisiert, allerdings kann festgestellt werden, dass es im wissenschaftlichen Bereich, gerade in Deutschland, wenig empirisches Material dazu gibt. Bei der bedarfsorientieren Finanzierung handelt es sich um die Umsetzung des vorher beschrieben Needs-based formular funding Approach. Einrichtungen, die einen höheren Anteil von Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf aufweisen, erhalten höhere finanzielle Ressourcen.
Der bedarfsorientierten Ressourcenausstattung im frühkindlichen Bereich liegt folgende Annahme zugrunde:
(…) die jeweiligen Strukturen und Mechanismen der Ressourcenallokation nicht nur erhebliche Auswirkungen auf die Angebotsstruktur und -vielfalt sowie die Rahmenbedingungen der Einrichtungen haben, sondern auch die Handlungsbestimmungen mitbestimmen, innerhalb derer die pädagogische Praxis und damit die Bildungsprozesse der Kinder stattfinden. Die Gestaltungsspielräume für professionelles pädagogisches Handeln werden danach sowohl von der Höhe der eingesetzten Ressourcen als auch von der Wahl des Finanzierungsinstruments geprägt (Bock-Famula/Hogrebe/Keinert 2010:137).
Die Forderung, dass Kindertageseinrichtungen bei der Verteilung materieller und finanzieller Ressourcen ungleich behandelt werden sollten, ist nicht neu. Der Einführung der plusKITA liegt die Einsicht zugrunde, dass bereits in der frühen Kindheit, erhebliche bildungsbezogene Ungleichheiten zwischen Kindern unterschiedlicher kultureller Hintergründe und sozioökonomischen Gegebenheiten festgestellt werden können (vgl. Beyer 2013: 32.). Diese Ungleichheiten können allerdings nicht reduziert werden, sondern sogar verstärkt werden, wenn die Mittel nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden. Mit dem Gießkannenprinzip werden finanziellen Mittel gleichmäßig und ohne Rücksicht auf die jeweiligen Bedarfe verteilt:
Eine weiterhin bestehende gleichmäßige Verteilung von Ressourcen und zusätzlichen Mitteln nach dem Gießkannenprinzip kann nicht zu einem strukturellen Abbau der sozialen Ungleichheiten im Bildungsbereich beitragen (Groos 2014, 4).
Um die finanziellen Mittel verteilen zu können, werden verschiedene Indikatoren (wie oben bereits erwähnt) gewählt, die den Mehrbedarf an Ressourcen belegen. Diese Indikatoren werden im nächsten Abschnitt genauer erläutert.
3.3 Rolle der Bedarfsindikatoren
Um die Rolle der Bedarfsindikatoren bei der Verteilung der finanziellen Mittel genauer zu beschreiben, ist es notwendig, den Begriff der Bedarfsindikatoren zu definieren.
3.3.1 Beschreibung von Bedarfsindikatoren
Indikatoren geben empirisch belastbare Informationen über einen bestimmten Sachbereich wieder. Im Bereich der Bildung wären das zum Beispiel Informationen über die Lebenslagen von Kindern, Jugendlichen und Familien (vgl. Tippelt 2009:10). Eine Definition aus dem Bereich der Jugendhilfe nähert sich am ehesten den Bedarfsindikatoren im Bereich von Kindertageseinrichtungen an:
Als Bedarfsindikatoren werden hier jene Indikatoren bezeichnet, die plausibel begründete Jugendhilfebedarfe erwarten lassen, ohne dass diese Bedarfsanforderungen aus den jeweiligen Jugendhilfeaktivitäten abgeleitet werden. Derartige Bedarfsindikatoren können auf der Ebene sozialstruktureller Ungleichheiten und Benachteiligung bestimmt werden…(Institut für soziale Arbeit, 1999: 65).
Für die Verwendung dieser Indikatoren, können verschiedene Quellen, zum Beispiel aus der Volkszählung oder aus dem Mikrozensus, verwendet werden. Dabei muss beachtet werden, dass die Datenvielfalt in unterschiedlicher Qualität vorliegen kann. Nicht alle Daten sind geeignet, um „Benachteiligungsstrukturen und –Prozessen tatsächlich realitätsnah und handlungsorientiert abzubilden“ (Alisch/ Dangschat 1998: 43).
3.3.2 Diskussion von Indikatoren auf unterschiedlichen Ebenen
Es gibt eine Vielzahl verschiedene Bedarfsindikatoren vor allem in der Stadt- und Regionalsoziologie (vgl. Alisch/Dangschat 1998: 45). Im Bereich der frühkindlichen Bildung hingegen gibt es nur wenige. Im Folgenden wird auf Indikatoren eingegangen, die auf sozialräumlicher, einrichtungsspezifischer und individueller Ebene vorliegen. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die verschiedenen Indikatoren.
3.3.2.1 Sozialräumliche Ebene
Der Sozialraum bezieht sich nicht nur auf den physischen Charakter eines bestimmten Gebietes oder eines Stadtteils, vielmehr bezieht der Sozialraum das gesamte Lebensumfeld mit ein:
Mit dem Begriff Sozialraum wird dabei ein Verständnis von Raum markiert, das Raum nicht mit Territorium gleichsetzt, das vielmehr physisch-materielle Räume in Relation zur sozialen Struktur der Gesellschaft betrachtet und die Gestalt dieser Räume als Produkt der Handlungen von sozialen Akteuren sieht (vgl. Bourdieu 1991; Löw 2001)“ (Liebau, Zirfas, 2008:182)
Der Sozialraum[5] stellt eine wichtige Quelle für die Entwicklung von Kindern dar (vgl. Bruhns/Mack, 2001:9). Gerade in der Bildungsforschung ist er zu einer wichtigen Bezugsgröße für die Abbildung von Armuts- und Benachteiligungsproblematiken geworden. Die Veränderung des Sozialraums ist eine Folge der sozialen und ökonomischen Umstrukturierung der Gesellschaft (Alisch/Dangschat, 1998: 80). Um einen Sozialraum zu beschreiben, können mehrere Indikatoren herangezogen werden. Im Bereich der frühkindlichen Bildung wären das zum Beispiel, der sozioökonomische Status der Eltern, insbesondere der Kinder unter sieben Jahren in SGB II Bezug oder Kinder mit Migrationshintergrund (da diese Indikatoren sowohl auf sozialräumlicher- als auch auf Einrichtungesebene vorliegen können, werden die zwei Indikatoren in Kapitel 3.3.2.2 genauer erläutert).
Anteil von Arbeitslosen
Ebenfalls kommt der Anteil von Arbeitslosen in Betracht: „Arbeitslosigkeit ist mit starken Beschränkungen der Teilhabe- und Verwirklichungschancen verbunden. Dabei korrespondiert die Armutsrisikoquote insbesondere mit der Erwerbsbeteiligung der Eltern“(Anhang 2 Kleinräumige Auswahlkriterien: 6).
Hilfen zu Erziehung
Familien, bei denen ein „erzieherischer Bedarf“(§28(2)SGBVIII:18)[6] vorhanden ist, erhalten Hilfen zur Erziehung[7]. Dieser Indikator wird als geeignet bezeichnet, weil ein Zusammenhang zwischen der Armutslage und der Inanspruchnahme dieser Hilfen besteht:
(…) die Aufbereitung der Inanspruchnahmedaten sowie der Angaben zum ALG II Bezug auf der Jugendamtsebene bestätigen die Befunde für die Kreise und kreisfreien Städte und zeigen für die 129 Jugendamtsbezirke folgenden Zusammenhang: Je höher die ALG II-Quote, desto höher ist auch die Zahl der jungen Menschen, die im Rahmen von Hilfen zur Erziehung bei Pflegefamilien oder in einem Heim leben (vgl. Abb. 32). Rechnerisch ergibt sich für die Kommunen auf einer Skala von -1 bis +1 ein Korrelationswert von r = .462 (Rauschenbach et al. 2009: 108).
Die Indikatoren auf sozialräumlicher Ebene beschreiben das Umfeld, in dem die frühkindliche Bildung stattfindet.
3.3.2.2 Einrichtungsspezifische Ebene
Es gibt Indikatoren, die auf Einrichtungsebene vorliegen: „Diese Bedarfsindikatoren sind im Kontext von Bildungsgerechtigkeit von besonderem Interesse (…)“ (Hogrebe 2013: 177). Einrichtungsbezogene Indikatoren können verschiedene Merkmale der Einrichtung umfassen: Der Anteil von Kindern unter sieben Jahren in SGB II Bezug, Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, Eltern, die vom Beitrag befreit sind und der Anteil der Kinder mit Sprachförderbedarf. Der Wechsel von der Stadtteilebene (Sozialraum) hin zur Einrichtungsebene, wird vollzogen.
Soziale Status der Familie (Kinder unter sieben Jahren mit SGB II Bezug)
Der sozioökonomische Status ist in der Wissenschaft einer der wichtigsten Bezugsgrößen:
Socioeconomic status (SES) is one of the most widely studied constructs in the social sciences. Several ways of measuring SES have been proposed, but most include some quantification of family income, parental education, and occupational status (Bradley/Corwyn 2002: 371).
Wie aus dieser Beschreibung hervorgeht, bezieht sich der Sozioökonomische Status vornehmlich auf das Einkommen, die Bildung oder auf den beruflichen Status der Eltern: „Die Einkommenssituation ist ein zentraler Faktor zur Differenzierung der Lebenslagen von Familien“ (MFKJKS o.J.: 5). Im SGB II wird die Grundsicherung von Arbeitssuchenden geregelt, damit die Berechtigten ein „menschenwürdiges Leben“ (SGBII 2003: 6) führen können. Im SGB II werden verschiedene Indikatoren angewendet, um den Hilfebedarf der Menschen zu erläutern. Ein Indikator ist die „Bedarfsgemeinschaft“, die in § 7 III SGB II geregelt ist. In einer Bedarfsgemeinschaft gibt es mindestens einen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und weitere im Haushalt lebende Personen[8]. Kinder, die in Bedarfsgemeinschaften leben, erhalten das sogenannte „Sozialgeld“ (SGB II 2005: 29). Kinder im Alter von null bis fünf Jahren erhalten seit dem 01.01.2015 234 Euro. Kinder von sechs bis 13 Jahren erhalten 267 Euro und Jugendliche von 14 bis 17 Jahren erhalten 302 Euro (vgl. Anhang 4 Hartz IV Regelsatz für Kinder: 72). Bei dem Indikator Kinder u7 mit SGB II Bezug handelt es sich insofern um einen Sozialstrukturindikator, durch den sich besondere Bedarfe abbilden lassen, denn:
Aus alltäglichen Erfahrungen wie auch empirischen Untersuchungen ist bundesweit der Sachverhalt belegt, dass in Regionen mit hohem Sozialhilfebedarf [hier noch einmal konkretisiert auf minderjährige Sozialhilfeempfänger] höhere Jugendhilfeleistungen im Bereich der Hilfe zur Erziehung ausgelöst werden als dies in Regionen mit niedrigen Werten in diesem Bereich der Fall ist (Institut für Soziale Arbeit 1999: 67).
Bei der Anmeldung für einen Kindergartenplatz kann ein Fragebogen zur Datenermittlung über die wirtschaftlichen und kulturellen Familienverhältnissen informieren (vgl. Anhang 5 Erklärung über die Einkommensverhältnisse:73). So kann dann die Quote der Kinder unter sieben Jahren mit SGB II Bezug teilweise einrichtungsgenau bestimmt werden, dies ist allerdings abhängig von der jeweiligen Stadt und dem Jugendamt. Der SGB II Bezug kann sowohl ein einrichtungsspezifischer Indikator, als auch ein Sozialraumindikator sein. Es ist umstritten, ob der Indikator Kinder unter sieben Jahren in SGB II Bezug geeignet ist, um besonderen Unterstützungsbedarf aufzuzeigen. Denn nicht jeder mögliche Empfänger stellt einen Antrag auf Sozialhilfe:
Da diese Verwaltungsvollzugsdaten nur über diejenigen Haushalte und Personen geführt werden, die einen Antrag auf Sozialhilfebezug gestellt haben, der bewilligt wurde, ist über diejenigen die – aus welchen Gründen auch immer – keine Sozialhilfebezüge erhalten, obwohl sie dazu berechtigt wären, kaum etwas bekannt (Dunkelziffer) (Alisch/Dangschat, 1998: 48).
Migrationshintergrund des Kindes
Ebenfalls kann so der Migrationshintergrund des Kindes abgefragt werden. Der Migrationshintergrund[9] stellt einen weiteren Indikator für einen erhöhten Bedarf von finanziellen Mittel dar, denn Kinder mit Migrationshintergrund bringen Nachteile aus ihrem familiären Umfeld mit (vgl. Diefenbach 2009: 83). In Deutschland leben rund ein Drittel der Kinder mit einem Migrationshintergrund (vgl. Cinar/Otremba/Stürzer/Bruhns 2013: 24). Für Kinder mit Migrationshintergrund ist die frühzeitige institutionelle Bildung, eine wichtige Voraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Auch hier können die Daten, sowohl auf der Ebene der Einrichtung, als auch auf der Ebene des Sozialraums erhoben werden.
Befreiung von Elternbeiträgen
Ein weiterer Indikator für einen besonderen Unterstützungsbedarf sind Eltern, die vom Beitrag für Kindertageseinrichtungen befreit sind. Sei es nun weil sie SGB II Bezug beziehen, oder Leistungen nach dem AsylbLG (Asylbewerberleistungsgesetz) erhalten oder knapp über der Grenze von SGB II Leistungen liegen (vgl. Anhang Vorlage Nr.278/14, S.80: s 4).
Sprachförderbedarf
Der Erwerb der Sprache ist ein komplexer, langjähriger Prozess und eine zentrale Entwicklungsaufgabe in der Kindheit (vgl. Weinert 2006: 91). Sprachliche Fähigkeiten gelten in unserer heutigen Zeit, als die Schlüsselkompetenzen schlecht hin. Sie ist die Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben. Die Sprachförderung hat sich zu einer zentralen Aufgabe der Kindereinrichtungen entwickelt (vgl. Jampert 2009: 26). Der Sprachförderbedarf von Kindern in Einrichtungen kann somit als ein weiterer Indikator für besonderen Unterstützungsbedarf angesehen werden.
3.3.2.3 Kindbezogene Ebene
Bei Indikatoren auf der kindbezogenen Ebene handelt es sich um solche Indikatoren, die das individuelle Kind beschreiben. Das wäre zum einen das Alter des Kindes. Kinder unter drei Jahren brauchen einen erhöhten Zeitaufwand der Erzieherinnen, dies geht mit einem erhöhten Ressourcenaufwand einher. Die Betreuung von kleineren Kindern führt zu einer Ausweitung der Tätigkeiten des Personals in Kindertageseinrichtungen: „Für Säuglinge und Kleinkinder sind besondere Anforderungen an Pflege, Ernährung, Hygiene, Infektionsschutz und Sicherheit zu erfüllen. In der Krippe muss eine adäquate Säuglings- und Kleinkindergrundpflege gewährleistet sein“ (Horacek/Böhm/Klein/Thyen/Wagner n.b. Abschnitt: Allgemeine gesundheitliche Bedürfnisse der Altersgruppe). Ebenfalls kann der zeitliche Betreuungsumfang als ein weiterer Indikator genannt werden. In NRW haben Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder 25, 35 oder 45 Stunden in Kitas betreuen zu lassen. Je nach Betreuungsumfang werden ebenfalls höhere Personalstunden und dementsprechend auch mehr Ressourcen benötigt. Kinder, die eine Behinderung aufweisen, brauchen eine intensivere Betreuung und bedingen so erhöhten Personalaufwand.
Es bleibt abschließend festzuhalten, dass Indikatoren sowohl auf Einrichtungs- als auch auf Sozialraumebene erhoben werden können. Auf welcher Ebene die Indikatoren Anwendung finden, ist abhängig von der vorhandenen Datenvielfalt der kommunalen Verwaltung.
Nach neuen Forschungsergebnissen anhand der Stadt Münster ist allerdings fraglich, ob sozialräumliche Daten die „tatsächliche Belastung der einzelnen Einrichtungen“ (Hogrebe 2014:256) beschreiben. Der Forschung lag die Fragestellung zugrunde, ob Sozialraumdaten geeignet sind, um Kindertageseinrichtungen bedarfsorientiert zu finanzieren. Dafür wurden Daten aus der SMS[10] und der SEU[11] aus Münster verglichen (vgl. Hogrebe 2014:229). Aus den Ergebnissen geht hervor, dass einige stark belastete Einrichtungen in Sozialräumen liegen, deren Belastung relativ gering ist. Das hat zur Folge, dass manche Indikatoren auf der Ebene des Sozialraums nicht geeignet sind, um besonderen Unterstützungsbedarf zu erklären:
Das Hauptergebnis der Untersuchung ist, dass die in der kleinräumigen Sozialraumstatistik vorliegenden Indikatoren zur Beschreibung sozialer, ethnischer und demografischer Differenzen zwischen Stadtteilen die Bedarfslage von Kindertageseinrichtungen nur unzureichend erfassen (Hogrebe 2014:269).
3.4 Einführung der plusKITA als Beispiel für bedarfsorientierte Finanzierung
Seit der zweiten KiBiz Revision werden Einrichtungen unterstützt, die einen hohen Anteil von Kindern mit „besonderem Unterstützungsbedarf des Bildungsprozesses“(§ 16a KiBiz 2014: 16) aufweisen. Das Land stellt jedem Jugendamt einen gewissen finanziellen Betrag zur Verfügung, insgesamt beträgt die jährliche Summe 45 Millionen Euro.
3.4.1 Aufgaben der plusKITA
Die Aufgaben und Ziele der plusKITA werden in §16a KiBiz genauer erläutert:
(2) Die plusKITA hat in besonderer Weise die Aufgabe,
1. bei der individuellen Förderung der Kinder deren Potenziale zu stärken, die alltagskulturelle Perspektive zu berücksichtigen und sich an den lebensweltlichen Motiv- und Problemlagen der Familien zu orientieren,
2. zur Stärkung der Bildungschancen auf die Lebenswelt und das Wohnumfeld der Kinder abgestimmte pädagogische Konzepte und Handlungsformen zu entwickeln,
3. zur Stärkung der Bildungschancen und zur Steigerung der Nachhaltigkeit, die Eltern durch adressatengerechte Elternarbeit und -stärkung regelmäßig in die Bildungsförderung einzubeziehen,
4. sich über die Pflichten nach § 14 hinaus in die lokalen Netzwerkstrukturen durch jeweils eine feste Ansprechperson aus der Kindertageseinrichtung einzubringen,
5. sich zur Weiterentwicklung der individuellen zusätzlichen Sprachförderung, über die Pflichten nach § 13c hinaus, zum Beispiel durch die regelmäßige Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu qualifizieren und die Bildungs- und Erziehungsarbeit den speziellen Anforderungen anzupassen,
6. die Ressourcen ihres pädagogischen Personals durch konkrete Maßnahmen beispielsweise regelmäßige Supervision, Schulung und Beratung, Fort- und Weiterbildung oder größere Multiprofessionalität im Team zu stärken (KiBiz, 2014: 16).
Die plusKITA soll Kindern, die in nachteiligen Lebensverhältnissen aufwachsen, individuell und besonders unterstützen. Dabei werden zwei konkrete Ziele verfolgt: Die Stärkung der Bildungschancen und der Abbau von Benachteiligung. Sowohl das Wohnumfeld der Kinder, als auch die Eltern, sollen verstärkt mit in die Bildungsförderung einbezogen werden. Ein weiterer Fokus liegt auf der Weiterbildung des Personals der speziellen Kindertageseinrichtung. Die nächsten zwei Abschnitte thematisieren die verschiedenen Ebenen der Finanzierung der plusKITA, denn gerade die Finanzierung soll den besonderen Ansprüchen des Konzeptes der plusKITA gerecht werden.
3.4.2 Ebene: Land - Jugendamt
Die Finanzierung von plusKITA kann in zwei Ebenen unterteilt werden: Von Land zu Jugendamt und von Jugendamt zu Einrichtungen. Bei den Mitteln für die plusKITA handelt es sich um 100%ige Landesmittel, somit müssen Kommunen keine eigenen finanziellen Auswirkungen befürchten. Für die Bemessung der finanziellen Mittel wurden sowohl auf Landes-, als auch auf Jugendamtsebene verschiedene Indikatoren gewählt. Das Land NRW hat sich für die Verteilung der finanziellen Ressourcen für die Einrichtung von plusKITA für einen Sozialstrukturindikator entschieden. Kinder unter sieben Jahren mit SGB II Bezug werden als Verteilungsmaßstab für die finanziellen Mittel verwendet. Die Anzahl der Kinder in SGB II Bezug wird im Verhältnis zur Gesamtzahl der u7-Kinder im SGB II-Bezug in NRW gestellt. Das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat einen entsprechenden Erlass für die Verteilung der finanziellen Mittel an die Jugendämter erteilt. Die Mittel reichen von 3.175.000 Euro (für die Stadt Köln), bis zu 25.000 Euro (Schmallenberg) (vgl. Anhang 7 Liste der Landeszuschüsse: S.89, s.5 und S.91, s.7). In § 21b KiBiz wird der entsprechende Landeszuschuss für plusKITAs konkretisiert. Die Mittel werden für fünf Jahre beschlossen und sind für „pädagogisches Personal einzusetzen“ (KiBiz 2014: 24). Diese Mittel werden über das Landesjugendamt an die entsprechenden Kreis- und Jugendämter weiter verteilt.
3.4.3 Ebene: Jugendamt - Einrichtungen
Die örtliche Jugendhilfeplanung entscheidet anhand von weiteren Quoten oder Indikatoren, welche Kindertageseinrichtung die minimale Summe von 25.000 Euro erhalten. Das Land achtet darauf, dass keine bestimmten Trägergruppen benachteiligt oder bevorzugt werden. Die Entscheidung, welche weiteren Indikatoren für die Verteilung der finanziellen Mittel gewählt wurden, obliegt dem Jugendamt und den politischen Gremien, also dem Rat oder dem Jugendhilfeausschuss (JHA)[12]. Dieses Verfahren wurde gewählt, weil nur vor Ort der besondere Handlungs- oder Unterstützungsbedarf bezogen auf die Stadtteile und Kindertageseinrichtungen festgemacht werden kann:
Deshalb kann die Entscheidung darüber, welche Kindertageseinrichtung künftig plusKITA ist und als solche in die örtliche Jugendhilfeplanung aufgenommen wird, auch am besten vor Ort getroffen werden. Dabei sollen sich die Jugendämter neben der eigenen örtlichen kleinräumigen Sozialplanung auch an den ʽKleinräumigen Auswahlkriterien zur Förderung von Kindertageseinrichtungen und Familienzentren mit besonderem Unterstützungsbedarfʼ orientieren (MMD16-5293, 2014: 90).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 zeigt die unterschiedlichen Ebenen, die bei der Verteilung der finanziellen Mittel der plusKITA zur Anwendung kommen.
In diesem Abschnitt wurden die verschiedenen Formen der Finanzierung im Bildungsbereich dargestellt. Durch die bedarfsorientierte Finanzierung können begrenzte finanzielle Ressourcen dort eingesetzt werden, wo ein erhöhter Unterstützungsbedarf besteht. Die Bedarfsindikatoren spielen dabei eine wichtige Rolle, denn durch sie können die erhöhten Bedarfe ausfindig gemacht werden. Dabei ist zu beachten, dass die Daten über diese Indikatoren auf verschiedenen Ebenen und von unterschiedlicher Qualität vorliegen können. Insbesondere wurden Indikatoren auf sozialräumlicher, einrichtungsspezifischer und kindbezogener Ebene vorgestellt. Eine Mischung von Indikatoren auf diesen Ebenen ist ebenfalls möglich. Es wurde dargestellt, dass neue Forschungsergebnisse daran zweifeln lassen, dass der Sozialraum geeignet ist, um besonderen Unterstützungsbedarf auszumachen.
Die plusKITA wurde als ein Beispiel für die bedarfsorientierte Finanzierung gewählt. Die verschiedenen Ebenen und Bedarfsindikatoren wurden beschrieben, die für die Verteilung der finanziellen Ressourcen gewählt wurden. Es bleibt festzuhalten, dass die plusKITA eingeführt wurde, um ungleiche Startbedingungen von Kindern nicht mehr gleich, sondern ungleich zu behandeln. Bei den Mitteln handelt es sich um Mittel die zu 100% vom Land bereitgestellt werden. Diese werden über zwei Ebenen-Land und Jugendamt-(Verteilung erfolgt durch kleinräumige Auswahlkriterien) an die Einrichtungen verteilt.
In dem nächsten Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, wie die finanziellen Mittel von den Jugendämtern konkret weiterverteilt werden. Die Untersuchung geht insofern auf die lokale Ebene und widmet sich möglichen Ausprägungen der kleinräumigen Ausgestaltung von der Finanzierung von plusKITA. Die Indikatoren, die dafür gewählt wurden, werden dargestellt. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, ob durch dieses neue Finanzierungsverfahren eine bedarfsorientierte Finanzierung von Einrichtungen gewährleistet wird, die einen hohen Anteil von Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf aufweisen.
4. Empirische Untersuchung: plusKITA in NRW
4.1 Methodische Vorgehensweise
Für die Durchführung der empirischen Untersuchung wurde eine qualitatives Forschungsdesign gewählt. Es wurden leitfadengestützte Experteninterviews durchgeführt. Mit Hilfe eines strukturellen Fragebogens wurden jugendamtsspezifische Daten erhoben. Die Interviews wurden mit Experten aus Verwaltungen geführt. Bei Experten handelt es sich um Personen, die über ein spezielles Wissen, in einem bestimmten Bereich verfügen:
Der Experte verfügt anscheinend über einen ausgesonderten Wissensbestand, der dem Nicht-Experten – jedenfalls in seiner Gesamtheit – nicht (ohne weiteres) zugänglich ist, der von diesem aber nachgefragt wird, auf den sich dieser im Hinblick auf bestimmte (und symptomatischer: auf immer mehr) lebenspraktisch relevante Fragen ver- und angewiesen sieht (bzw. glaubt). Der Experte wird vom Laien typischerweise konsultiert. (Hitzler, 1994: 26; Hervorh. i. O. zit.n. Huber, 2014: 29).
Dies wird den Verwaltungsangehörigen in diesem Fall unterstellt, weil sie im Bereich der Kindertageseinrichtungen für die konkrete Umsetzung von plusKITA zuständig sind.
4.2 Aufbau und Inhalt der Studie
Leitfadeninterview
Die Methode des Leitfadeninterviews wurde gezielt ausgewählt, weil die qualitative Datenerhebung es ermöglicht, komplexe Einzelfälle in den jeweiligen sozialen Zusammenhängen zu verstehen. Ebenfalls gibt diese Methode der Interviewerin eine gewisse Flexibilität hinsichtlich der festgelegten Fragen und der konkreten Gestaltung des Interviews. Ebenfalls bietet es die Möglichkeit, die persönlichen Meinungen und Ansichten der Experten, herauszufiltern. Dadurch, dass allen Interviewpartnern die gleichen Fragen gestellt werden, können die Aussagen bei der Auswertung gut miteinander verglichen werden.
Aufbau
Bei dem Aufbau des Interviewleitfadens wurden die Regeln für die Durchführung von strukturierten Leitfadeninterviews beachtet (vgl.Dresing/Pehl 2013:9). Der Leitfaden enthält allgemeine Informationen über das Gespräch: Datum, Uhrzeit, Ort, Jugendamtsbezirk und den Ansprechpartner/in (vgl. Anhang 8 Leitfadeninterview: 94). Danach folgt eine kurze Einführung in das Thema. Der Leitfaden besteht insgesamt aus acht Fragen. Während der Erstellung des Leitfadens hat sich die Anzahl der Fragen von zwölf auf acht reduziert, da Fragen bezüglich der verschiedenen Quoten und finanziellen Mittel bereits im strukturellen Fragebogen thematisiert wurden.
Inhalt
Zu Beginn des Interviews wurde eine Frage zur Berufswahl der Experten gestellt. Die zweite und dritte Frage handelt von der konkreten Zuweisungsgrundlage vom Land und wie die finanziellen Mittel, bezogen auf die Jugendämter, weiter verteilt werden. Die vierte Frage bezieht sich auf das neue Finanzierungsverfahren und ob dadurch eine bedarfsorientierte Finanzierung von Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf gesichert wird. Bei der Frage fünf wird nach der Konsequenz gefragt, wenn Einrichtungen dieses Geld nicht bekommen. Frage sechs bezieht sich auf die Rückmeldungen von den Kitas zum Verfahren. Die siebte und achte Frage beschäftigt sich mit dem Gesamturteil zum Verfahren.
Struktureller Fragebogen
Die entsprechenden Interviewpartner bekamen darüber hinaus im Vorfeld einen Fragebogen zugeschickt (vgl. Anhang 9 Struktureller Fragebogen: S.95), mit der Bitte ihn ausgefüllt zurück zuschicken. So konnten die bereits erhobenen Daten mit in das folgende Experteninterview einfließen. Wenn der Fragebogen nicht zurückgeschickt wurde, wurden die Daten vor dem Interview mit dem Experten durchgegangen. Mit Hilfe des strukturellen Fragebogens wurden jugendamtsbezogene Daten erhoben. Acht verschiedene Fragen sollten beantwortetet werden. Unter anderem wurde abgefragt: Anzahl der Kindertageseinrichtungen, u7-Quote von Kindern in SGB II Bezug, Fördermittel nach §16a KiBiz und die Höhe der Verteilung der finanziellen Ressourcen.
4.3 Auswahl der Interviewpartner
Für die Auswahl der verschiedenen Interviewpartner wurde die Liste „Landeszuschüsse für plusKita- Einrichtungen und zusätzlichen Sprachförderbedarf- Verteilung an die Jugendämter“ herangezogen (vgl. Anhang 7 Liste der Landeszuschüsse: 85). In dieser Liste werden die finanziellen Mittel, die das Land den einzelnen Jugendämtern zur Verfügung gestellt hat, aufgelistet. Folgende Jugendämter wurden ausgewählt: Dortmund, Köln, Wuppertal, Kreis Steinfurt und Rheine. Dortmund und Köln erhalten die jeweils höchsten finanziellen Mittel. Die Stadt Rheine wurde gewählt, weil es sich dabei um eine kreisangehörige und im ländlichen Raum liegende Stadt handelt. Wuppertal wurde zunächst nicht weiter beachtet, durch Recherchenergebnisse wurde die Stadt dann allerdings doch mit in die Auswahl der Interviewpartner aufgenommen, denn in Wuppertal liegt eine detaillierte kommunale Sozialdatenanalyse vor, welche die soziale Situation von Kindern und Jugendlichen genauer beleuchtet. Folgende Abbildung stellt die gewählten Städte bzw. Kreise dar:
4.4 Vorbereitung und Durchführung der Interviews
Vorbereitung der Interviews
Die Erstellung des strukturierten Fragebogens und die Erstellung des Leitfadens wurden mit der Betreuerin Dr. Nina Hogrebe rückgekoppelt. Die Auswahl der konkreten Interviewpartner fand durch Recherchen im Internet statt. Die so ausgewählten Ansprechpartner wurden dann per E-Mail angeschrieben und gefragt, ob sie für das Interview zur Verfügung stehen. Es wurden individuelle Termine mit den Gesprächspartner vereinbart. Über den Inhalt und das Ziel der Interviews wurde in der E-Mail informiert. Das strukturierte Leitfadeninterview, der strukturelle Fragebogen und ein Schreiben der betreuenden Dozentin wurde im Vorfeld an die Experten geschickt.
[...]
[1] Gabriela Mistral ist die erste Literaturnobelpreisträgerin Lateinamerikas. Mit ihrer Sonetos de la Muerte, die Sonette vom Tode, wurde sie berühmt (vgl. Portrait von Gabriela Mistral).
[2] Zur besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit bei Personenbezeichnungen lediglich die männliche Form verwendet. Die weibliche Form ist selbstverständlich eingeschlossen.
[3] Eine gute Übersicht über die verschiedenen Finanzierungsmodelle der Bundesländer bietet die Länderübersicht Kita: FINANZIERUNGSREGELUNGEN (vgl. Länderübersicht Kita)
[4] Eine ähnliche Vorgehensweise ist in Bayern zu beobachten. Dort erfolgt eine kindbezogene Förderung. Dabei wird der jährliche staatliche Förderbetrag: „aus dem Produkt des Basiswertes mit dem Qualitätsbonus, dem Buchungszeit- und Gewichtungsfaktor“ gebildet (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration).
[5] In dieser Arbeit wird der Sozialraum als ein bestimmtes Stadtgebiet oder ein Stadtteil verstanden
[6] „Der Begriff "erzieherischer Bedarf im Einzelfall" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang von Problemdefinition und Interventionsstrategie; d.h. es gibt auch keine eindeutigen Kriterien für die Zuordnung einer bestimmten Hilfe“ (bmfsfj 2015:1).
[7] Zu den verschiedenen Angeboten gehören: Erziehungsberatung (§ 28 SGB VIII); Soziale Gruppenarbeit (§ 29 SGB VIII); Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer (§ 30 SGB VIII); Sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31 SGB VIII); Erziehung in einer Tagesgruppe (§ 32 SGB VIII); Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII); Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform (§ 34 SGB VIII); Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (§ 35 SGB VIII) (vgl. SGB VIII, 1990: 18f.)
[8] Es gibt weitere Bedarfsgemeinschaften: Alleinerziehende-Bedarfsgemeinschaft, Single-Bedarfsgemeinschaften oder Paare mit und ohne Kinder (vgl. SGBII 2005: 11).
[9] Zu den Menschen mit Migrationshintergrund zählen „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“ (vgl. Definition Migrationshintergrund).
[10] SMS ist die Statistik für Münsters Stadtteile (vgl. SMS-Statistik für Münsters Stadtteile)
[11] Bei der SEU handelt es sich um die Schuleingangsuntersuchung, diese Untersuchung findet vor der Einschulung statt (vgl. SEU)
[12] Der JHA bildet zusammen mit der Verwaltung das Jugendamt. Die Kompetenzen und Aufgaben des JHA werden in § 71 Abs.1 SGB VIII geregelt:„(3)1Er hat Beschlussrecht in Angelegenheiten der Jugendhilfe im Rahmen der von der Vertretungskörperschaft bereitgestellten Mitteln, der von ihr erlassenden Satzung und der von ihr gefassten Beschlüsse“ (Recht der Kinder- und Jugendhilfe 2013:.66).
- Citation du texte
- Sarah Böhme (Auteur), 2015, "plusKITA". Vom Gießkannenprinzip zur bedarfsorientierten Finanzierung?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314209
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