Kriemhild nimmt eine zentrale Stellung im „Nibelungenlied“ ein. So wird einleitend zunächst auf sie eingegangen: Kriemhild, ein 'vil edel magedîn', eine junge, unverheiratete, adelige Frau, wächst im Burgundenland auf und besitzt eine schœnde, eine Schönheit, wie keine andere Frau auf der Welt. In der zweiten Strophe wird sie als zentrale Figur präsentiert, die in einer höfischen Welt mit matriarchalischen Strukturen aufwächst. Kriemhild unterliegt somit zwar patriarchalisch der Abhängigkeit der Königsbrüder, da der eigentliche Patriarch, der Vater, verstorben ist, sie tritt jedoch an die erste Stelle der repräsentativen frouwe am Wormser Hof.
Kriemhild gehört als adelige frouwe, geborene Königstochter und spätere künegîn, Königin, einem Stand an, der sie zunächst zu bestimmten Handlungsweisen und einem rollenkonformen Sozialverhalten verpflichtet. Doch die Ermordung Siegfrieds lässt sie entgegen ihrem Status handeln und erste Sozialkonflikte bahnen sich an. In ihrer Trauer heiratet sie schließlich erneut, um ihr altes leit, Leid, zu rächen. Sie sieht dies nicht als Chance, denn auch das Glück wieder Mutter zu sein bedeutet ihr nichts. Am Ende löst sie jegliche familiäre Bindung.
Doch wie es zu der Wandlung „Von der höfischen 'frouwe' zur grausamen Rächerin“ kommt und welche Beweggründe der Dichter der Figur zuschreibt, gilt es in dieser Arbeit zu untersuchen. Da meine Arbeit ausschließlich von der Erforschung der Kriemhild-Figur handelt und ich somit nicht handlungschronologisch vorgehe, setze ich Kenntnisse des Plots des „Nibelungenliedes“ voraus.
Überblickshalber ist meine Arbeit in vier große Themenbereiche unterteilt: Im ersten Teil gehe ich darauf ein, wie sich Kriemhild die ihr angeborene Schönheit und den Sozialstatus der Königstochter durch prunkvolle Kleider und übermäßige Schenkerei zunutze macht, um ihr Ansehen und damit ihre Macht- und Besitzverhältnisse auszubauen, alles für ihr späteres Lebensziel, die Rache. Anschließend gehe ich auf den Wandel ihrer sozial-familiären Bindungen zu ihrem Mann Siegfried, ihrer Mutter Ute, ihren Söhnen Ortlieb und Gunther, ihren Brüdern Gunther, Gernot und Giselher, ihrer Schwägerin Brünhild und ihren Vertrauten Hagen und Rüdiger ein. Kriemhilds Träume und ihr Glaube zeigen weitere Facetten der Figur. Der Umschlag von leit zu Rache rundet die Kriemhild’sche Wandlung ab.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung ... 3
II: Die schöne Kriemhild: Wie sie die Statussymbole Ansehen, Macht und Besitz nutzt ... 5
III: Die soziale Kriemhild: Wie Treue und Leid ihre engsten Bindungen beeinflussen ... 13
3.1 Bindung zu Siegfried ... 13
3.2 Bindung zu Mutter Ute ... 18
3.3 Bindung zu den Söhnen ... 19
3.3.1 Der Erstgeborene ... 19
3.3.1 Der Zweitgeborene ... 20
3.4 Bindung zu Bruder Gunther ... 21
3.5 Bindung zu Bruder Gernot ... 23
3.6 Bindung zu Bruder Giselher ... 23
3.7 Bindung zu Brünhild ... 25
3.8 Bindung zu Hagen ... 28
3.9 Bindung zu Rüdiger ... 31
IV. Die mystische Kriemhild: Wie Traum und Glaube ihre Handlungsweisen bestimmen ... 32
V. Die grausame Kriemhild: Wie aus gekränktem Leid unerbittliche Rache wird ... 37
5.1 Erste Stufe ... 42
5.2 Zweite Stufe ... 43
5.3 Dritte Stufe ... 43
5.4 Vierte Stufe ... 44
5.5 Fünfte Stufe ... 45
VI. Schlussbetrachtung ... 47
Quelle ... 49
Literaturverzeichnis. 49
I. Einleitung
Die vorliegende Bachelorarbeit befasst sich mit der Figur der Kriemhild aus dem Nibelungenlied.
Das Nibelungenlied wurde um 1200 verfasst. Festzumachen ist dies an der Reimtechnik, die in der mittelhochdeutschen Literatur erst ab den frühen 1190er Jahren gebraucht wird. Zudem wird im Parzival-Roman Wolfram von Eschenbachs, gedichtet um 1204/5, ein Zitat verwendet, das auf den Rat der Burgunden des Nibelungenliedes anspielt. Die Schriftdialektik des anonymen Dichters des Nibelungenliedes verweist auf den bayrisch-österreichischen Sprachraum.[1]
Die Figur der Kriemhild zu erforschen ist von besonderem Interesse, da Kriemhilds skandalöser Verrat an ihren Brüdern erst die Konsequenz aus einem Werk ist, an deren Anfang das Bild einer höfischen jungen frouwe, Frau, steht und das erst über viele Zwischenstationen zum Schlussbild der grausamen Rächerin führt.
Das Nibelungenland, ein mythologischer Ort, ist beherrscht von dem Gesetz der Gewalt als gesellschaftlich-sozialem Ordnungsprinzip. Die Schwachen unterwerfen sich dem Stärksten, der durch Sieg und Macht öffentliche Anerkennung findet. Im Zentrum der auf Erbfolge und Gefolgschaftstreue aufbauenden Herrschaft steht zunächst der Wormser Hof. Geprägt von einer patriarchalen Struktur wird hier auch Kriemhild kontrolliert. Gleichzeitig findet sie in Worms jedoch Raum, um friedliche Gefühle wie Freude, Liebe und Trauer zu entfalten.[2]
Kriemhild fungiert als Bindeglied zwischen den zwei großen Teilen des Nibelungenliedes. Der erste Teil handelt von Kriemhilds Liebe zu Siegfried und endet mit dessen Ermordung. Der zweite Teil wird von Kriemhilds Racheimpetus getragen und endet mit dem Untergang der Burgunden am Etzelhof. Die Wandlung von der unterwürfigen Schwester zur liebenden Ehefrau und trauernden Witwe und schließlich zur grausamen Rachegöttin bestimmt den roten Faden dieser Bachelorarbeit. Nach dem Philologen Werner Hoffmann sollte man eher von Kriemhilds Wandlung als fälschlicherweise von ihrer Entwicklung sprechen, da in ihr keine psychologisch-personale Entwicklung zu erkennen sei.[3]
Die Faszination für diese Figur, die teilweise auch abschreckende Züge hat, hängt für mich damit zusammen, dass Kriemhild zu den ersten literarischen Figuren in mittelalterlichen Texten gehört, denen Individualität zugeschrieben werden kann.
„Kriemhild steht als eine der herausragenden Gestalten mittelalterlicher Literatur für die von einer Männerwelt betrogene und verletzte Frau schlechthin und zwar in einer Verletztheit, die nicht mehr korrigierbar ist durch herkömmliche Riten oder eine stellvertretende männliche Schutzhandlung, sondern die sich als solche in der maßlosen Zerstörung und einem orgiastischen Hinschlachten von Helden ein Denkmal setzt.“ [4]
Kriemhild nimmt eine zentrale Stellung im Nibelungenlied ein. So wird einleitend zunächst auf sie eingegangen: Kriemhild, einvil edel magedîn, eine junge, unverheiratete, adelige Frau, wächst im Burgundenland auf und besitzt eine schœ nde, eine Schönheit, wie keine andere Frau auf der Welt. In der zweiten Strophe wird sie als zentrale Figur präsentiert, die in einer höfischen Welt mit matriarchalischen Strukturen aufwächst. So steht Kriemhild unter dem Schutz ihrer drei mächtigen Königsbrüder, den Recken Gunther und Gernot sowie dem Ritter Giselher. Strophe fünf gibt dem Leser Aufschluss über Kriemhilds Eltern, ihre Mutter Ute und den verstorbenen Vater Dankrat, welcher der Familie Land und Besitz vererbt hat. Kriemhild unterliegt somit zwar patriarchalisch der Abhängigkeit der Königsbrüder, da der eigentliche Patriarch, der Vater, verstorben ist, sie tritt jedoch an die erste Stelle der repräsentativen frouwe am Wormser Hof. Doch nach dieser traumhaften Einführung nimmt der Dichter das vermeintlich glückliche Ende vorweg und bereitet den Leser auf einen inhaltlichen Umbruch vor: Wegen der schönen Kriemhild sollten viele Ritter sterben. Und so endet das Epos mit ihrem Tod. Dadurch wird offensichtlich, dass Kriemhild von Anfang bis Ende im Zentrum des Geschehens steht. Auch stellt der Dichter auf diese Weise eine Verbindung zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des Nibelungenliedes her. Schließlich verweist er bereits zu Beginn auf das Ende, welches auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen Siegfrieds Tod und Kriemhilds Rache deutet. Die kausale Verknüpfung weiblicher schœnde und des Todes des Helden wird im Verlauf dieser Arbeit ebenfalls einer eingehenden Betrachtung unterzogen. Kriemhild gehört als adelige frouwe, geborene Königstochter und spätere künegîn, Königin, einem Stand an, der sie zunächst zu bestimmten Handlungsweisen und einem rollenkonformen Sozialverhalten verpflichtet. Doch die Ermordung Siegfrieds lässt sie entgegen ihrem Status handeln und erste Sozialkonflikte bahnen sich an. In ihrer Trauer heiratet sie schließlich erneut, um ihr altes leit, Leid, zu rächen. Sie sieht dies nicht als Chance, denn auch das Glück wieder Mutter zu sein bedeutet ihr nichts. Am Ende löst sie jegliche familiäre Bindung.
Doch wie es zu der Wandlung „Von der höfischen 'frouwe' zur grausamen Rächerin“ kommt und welche Beweggründe der Dichter der Figur zuschreibt, gilt es in dieser Arbeit zu untersuchen. Da meine Arbeit ausschließlich von der Erforschung der Kriemhild-Figur handelt und ich somit nicht handlungschronologisch vorgehe, setze ich Kenntnisse des Plots des Nibelungenliedes voraus.
Überblickshalber ist meine Arbeit in vier große Themenbereiche unterteilt: Im ersten Teil gehe ich darauf ein, wie sich Kriemhild die ihr angeborene Schönheit und den Sozialstatus der Königstochter durch prunkvolle Kleider und übermäßige Schenkerei zunutze macht, um ihr Ansehen und damit ihre Macht- und Besitzverhältnisse auszubauen, alles für ihr späteres Lebensziel, die Rache. Anschließend gehe ich auf den Wandel ihrer sozial-familiären Bindungen zu ihrem Mann Siegfried, ihrer Mutter Ute, ihren Söhnen Ortlieb und Gunther, ihren Brüdern Gunther, Gernot und Giselher, ihrer Schwägerin Brünhild und ihren Vertrauten Hagen und Rüdiger ein. Kriemhilds Träume und ihr Glaube zeigen weitere Facetten der Figur. Der Umschlag von leit zu Rache rundet die Kriemhild’sche Wandlung ab.
II: Die schöne Kriemhild: Wie sie die Statussymbole Ansehen, Macht und Besitz nutzt
Kriemhilds schœnde ist oftmals Thema im Nibelungenlied[5] und muss deshalb einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Anfang der dritten Âventiure wird Siegfried erstmals mit Kriemhilds schœnde konfrontiert: Sein Beweggrund, sie als zukünftige Gemahlin auszuwählen, ist von Anfang an ir unmâzen schœne (47,2). Ihm wird, geprägt durch sein Standesbewusstsein, klar, dass Kriemhild eine Bereicherung für sein Ansehen wäre:
daz ist mir wol bekannt,
nie keiser wart sô
rîche,
der wolde haben wîp,
im zæme wol ze minnen
der rîchen kuneginne lîp (47,2
‒
4).
Wie muss sich der Leser die unbeschreibliche schœnde Kriemhilds vorstellen? Zunächst ist zu erwähnen, dass Kriemhild eine natürliche schœnde besitzt (589) und allem Anschein nach ungeschminkt auftritt. Den Gebrauch von trügerischen Schönheitsmaßnahmen lehnt der Dichter des Nibelungenliedes wiederholt ab:
Gevelschet froun varwe vil lützel man dâ vant (1651,1).
Somit ist Kriemhilds makelloses Äußeres keine Täuschung des menschlichen Auges. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt ist: Warum? War Schminke einem bestimmten Frauentyp vorbehalten? Ziemte sich das Schminken für adelige Damen nicht? Handelt es sich um den seinerzeit herrschenden Zeitgeist bei Hofe? Offenbar ist die Tatsache, dass Kriemhild nicht geschminkt ist, ein Zeichen ihrer Unschuld, und zwar im doppeldeutigen Sinne: Sie ist nicht nur jungfräulich, sondern auch gänzlich ohne jeden Makel, hat demnach also nichts zu verbergen.
Als weiteres Beispiel für die natürliche schœnde Kriemhilds greift der Dichter auf einen direkten Vergleich mit der Natur zurück, indem er sie mit der schœnde der täglichen Morgenröte und des nächtlichen Mondscheins vergleicht:
Nu gie diu minnecliche,
alsô
der morgenrôt
tuot
ûz den tr
ü
eben wolken (279,1
‒
2).
Sam der liehte m
â
ne
vor den sternen stât,
der schîn sô
lûterliche
ab den wolken gât,
dem stuont si nu gel
î
che
vor manger frouwen guot (281,1
‒
3).
Man könnte daraus schließen, dass Kriemhilds schœnde Tag wie Nacht vorhanden ist und sich von der aller anderen abhebt.
Schließlich setzt sich die schœnde der Natur hier in beiden Metaphern gegen die Wolken, Sinnbild für das Unvorhersehbare und
Ungewisse, durch.
Im Anschluss werden dem Leser die Lebhaftigkeit ihres Gesichtes und die sich darin spiegelnden Gefühlsregungen vor Augen geführt:
Ir schœnez antl
ü
tze, daz wart rôsenrôt (239,1) und
dâ
wart [
…
] vröudenrôt, [
…
] iuwer swester (767,1
‒
2).
Da Kriemhilds Gefühle sich in der rosaroten Verfärbung ihres Gesichtes widerspiegeln, ist davon auszugehen, dass sie einen sehr hellen Hautton besitzt. Auch wird Kriemhilds Gesicht mit Gold als Symbol für das wertvollste Edelmetall verglichen:
ir varwe gegen dem golde
den glanz vil hêrlichen truoc (796,4) und
[
…
] ir varwe wolgetân, diu lûht ir
ûz dem golde (1348,1
‒
2).
So wie der Glanz des Goldes strahlt, so strahlt auch ihre Haut:
ir rôsenr ôtiu varwe vilminneclichen schein (280,2).
Doch welche symbolische Bedeutung kann es haben, dass Kriemhilds Erscheinungsbild mit den wertvollsten Materialien und der Schönheit der Rose verglichen wird? Vordergründig ist es fraglos die für die Entstehungszeit des Epos typische Emblematik, an der sich die Beschreibung von Kriemhilds Schönheit orientiert. Im übertragenden Sinn könnte das wertvollste Edelmetall Gold jedoch für Kriemhilds unermesslichen Reichtum stehen. Die Rose, die auch Dornen besitzt, symbolisiert offenbar Kriemhilds Bereitschaft zu verletzen. Aus dem Stich an der Dorne einer Rose resultiert Schmerz, so wie ihn später die Burgunden und Nibelungen erfahren werden.
Kriemhilds Augen werden thematisiert, wenn sie Tränen vergießt, sich also in einem traurigen Gemütszustand befindet (552). Im Normalzustand beschreibt der Dichter sie als glänzend, beim Klagen als trüb (840 u. 1066).
Der helle Hautton Kriemhilds, ein typisches Schönheitsattribut jener Zeit, wird vom Dichter nicht nur an der Farbe ihres Gesichtes, sondern wiederholt auch an der Beschreibung ihrer Hände verdeutlicht: Erstmals als Kriemhild den toten Siegfried entdeckt und wiederholt, als sie den Leichnam Siegfrieds aus dessen Sarg anhebt:
si huop sîn houpt schœne mit ir vil wîzen hant (1008,2 u. 1066,2).
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Dichter Kriemhilds Hände bereits zu Anfang mit ihrer Liebe zu Siegfried in Verbindung bringt:
Wart iht dâ
friuwentliche getwungen wî
ziu hant
von herzenlieber minne, daz ist mir niht bekant.
doch enkan ich niht gelouben, daz ez wurde l
â
n.
sie het im holden willne kunt vil schiere get
â
n (292).
Kriemhilds Hände spiegeln indirekt ihre Gefühle wider: Das Händedrücken mit Siegfried kann als Symbol der Zuneigung und Gemeinschaft angesehen werden und das Anheben seines Kopfes als ein Zeichen dafür, dass sie ihn durch ihre Berührung im Auftrag Gottes segnet. Immerhin ist Kriemhild sehr gläubig, was später noch in Kapitel IV. thematisiert wird. Kriemhilds natürliche schœnde wird durch ihren Hang zu schöner Kleidung unterstrichen:
Jâ lûhte ir von ir wæte vil manec edel stein (280,1).
Wie es ihr niemand in ihrer schœnde gleichtun kann, so trägt auch keine andere solch prachtvolle Kleidung:
dô
was ouch sô
gezieret
der kuneginne lîp,
daz dâ hôher wunsche vil maneger wart verlorn (298,1
‒
2).
Auch besitzt sie Seidenkleider aus Marokko und Libyen, mehr als sonst eine königliche Familie hätte aufbringen wollen (362). Der Text lässt auf einen zeittypischen Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Schönheit schließen. Kriemhild tritt individuell in ihrem Erscheinungsbild, ihrem Aussehen und ihrer Ausstattung auf. Ihr Wesen verändert sich, während ihr Äußeres sich verändert.
Deutlich erkennbar wird diese Wandlung nach der Todesnachricht Siegfrieds:
dô
truoc man sie von dannen; sine kunde niht gegân.
dô
vant man sinnelôse daz hêrliche wîp.
vor leide moht ersterben der ir vil wunneclicher lîp (1067,2
‒
4).
Hier bringt der Dichter erneut Kriemhilds Gefühle mit ihrer schœnde in Verbindung. Jedoch zeichnet sich hier ebenfalls erstmals
ein Gegensatz ab: Das herrliche Äußere hält Kriemhilds Innerem nicht stand und führt zu körperlichen Gebrechen wie Ohnmacht und fast tödlichem Schmerz.
Kriemhilds trauriges Inneres spiegelt sich folglich in ihrem Äußeren wider. Legt sie zuvor Wert auf prächtige Kleidung und ihr damit verbundenes Ansehen,
so ändert sich dies schlagartig während ihrer langjährigen Trauerzeit um Siegfried. Eingeführt als die schönste und am prachtvollsten ausgestattete
Königstochter, mit deren Erscheinungsbild sich keine Frau im gesamten Land messen kann, ist Kriemhild nun eine Witwe, der es anscheinend gleichgültig ist,
dass selbst ihre Untergebenen besser gekleidet sind als sie.
Krimhilt diu hêre und vil trûrec gemuot,
[
…
] in der wæte, di si alle tage truoc.
dâ bî
truoc ir gesinde rîcher kleider genuoc (1222,1, 3
‒
4).
Das eigene Ansehen scheint ihr nichts mehr wert zu sein.
Der Mediävist Joachim Heinzle führt diese Überlegung weiter: Zu einem hochoffiziellen Anlass ein Alltagskleid zu tragen zeigt zum einen Kriemhilds ungebrochene Trauer um Siegfried und zum anderen erzeugt das Kleidermotiv eine Atmosphäre von leit und Trauer. Durch ihre triuwe, Treue, zu Siegfried demonstriert Kriemhild, dass sie noch nicht bereit für eine erneute Heirat ist. [6] Auf diese Weise stilisiert sie sich zur Märtyrerin ‒ ein Aspekt, der für eine gläubige Christin sicher nicht bedeutungslos ist.
klagen und weinen mir immer zæ
me baz.
wi sold ich vor recken dâ
ze hove gân?
wart mîn lîp ie schône, des bin ich
âne getân (1242,2
‒
4).
Sie ist sich ihres äußerlichen Verfalls und des damit verbundenen Ansehensverlustes bewusst. Erst als ihr Leben für sie wieder einen Sinn ergibt, nämlich Siegfrieds Tod durch die Heirat mit König Etzel zu rächen, wird auf ihre Kleidung erneut eingegangen: Ûf ructe si ir gebende (1348,1), um König Etzel in ihrem Hochzeitkleid mit langer Schleppe einen Kuss zu geben. Im Gegensatz zu Kriemhilds früherer unschuldiger Schönheit, die Reinheit und Unbeflecktheit personifizierte, gleicht ihr Aussehen nun einer Maskerade: Es ist nur noch ein Bemühen darum, den äußeren Schein zu wahren.
Kriemhild, Königstochter der Burgunden und spätere künegîn der Nibelungen und Hunnen, ist stets auf ihr Ansehen bedacht. Dieses Ansehen steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihrem Status, ihrem Rang und ihrer Macht. So wird sie im Nibelungenlied auch ehrfürchtig als hohe, edle künegîn und Herrin angeredet. Kriemhild hat eine feine höfische Bildung genossen, die auch Fremden außerhalb des Burgundenlands bekannt ist (43). So ist sie der Näh-(360) und auch der Reitkunst (1334) mächtig. Diese Ausbildung ist idealtypisch für adelige Frauen jener Zeit. Kriemhild verkörpert diese durch ihre vorbildliche höfische Haltung, ihre hoheitsvolle Gangart (346) sowie Begrüßungen und Ansprachen gemäß der höfischen Etikette (584). Sie ist diejenige, mit der die hohe höfische Haltung verbunden wird, auch außerhalb ihres Reiches (784). Um die Prachtentfaltung höfischer Kultur zu demonstrieren, trägt sie zu Empfängen die besten Kleider. Das ihr entgegengebrachte Lob und die Anerkennung von Gästen ist Kriemhild wichtig (565). Sie weiß, welche Wirkung ihr Auftreten nach außen hat und dass sie damit die kollektive Macht der Burgunden symbolisiert. So muss sie auch den Königinnenstreit durch prächtige Kleidung bestehen, welche Ausdruck ihrer Macht und Repräsentation der höfischen Herkunft ist (828).
Sie wendet die höfische Begrüßungsform des Kusses, trotz ihrer anhaltenden Gefühle für Siegfried, auch bei König Etzel an (1347) ‒ hier allerdings
kalkuliert, da sie die folgende Heirat aus Berechnung vollzieht. Zuvor eignet sie sich das Wissen zahlreicher österreichischer Bräuche an (1338), wohl
auch, um in einem ihr unbekannten Reich vorbildlich als repräsentative künegîn bestehen zu können. Als
rachsüchtige künegîn hält sie sich später nicht mehr an die ihr auferlegten höfischen Verhaltensnormen. So
begrüßt sie ihre Brüder nicht gemäß der bei Hofe üblichen Rangfolge. Dieses Verhalten ist als Zeichen der Friedensverweigerung zu interpretieren. Dennoch
ist es ihr wichtig, ihren Feinden als künegîn, mit der Krone als Zeichen ihrer Macht, gegenüberzutreten
(1767). Mit dem Kniefall vor ihrem Lehnsmann Rüdiger wirft sie schließlich alle höfische Bildung als Symbol für ihr Ansehen fort und degradiert sich selbst
zu seiner Untergebenen.
Kriemhilds Macht wird zudem durch ihr Auftreten verdeutlicht: So lässt man ihr bei der ersten Begegnung mit Siegfried überall den Weg freimachen (297).
Auch wird sie anfangs offenbar geschätzt, da sie täglich viele Edelleute aufsuchen (317).
Ihre Macht demonstriert sie auch auf ihren Reisen. So wählt sie für ihre Rückkehr nach Xanten 32 Mädchen und 500 Männer als edle Begleitung (697). Bei ihrer Reise nach Worms führt sie so viel kostbare Kleider mit wie niemand zuvor (775). Als Kriemhild ins Hunnenland reist, begleiten sie neben Rittern 104 kostbar gekleidete Mädchen (1291). Nach der Vermählung mit König Etzel werden ihr die Verwandten des Königs und deren Gefolgsleute unterstellt, die ihr bis in Tod dienen müssen (1382). So wird Kriemhild die größte Herrscherin, die nach Meinung des Dichters bis dato regiert hat. Bis es zum grässlichen Morden kommt, kann Kriemhilds Dienerschaft durch ihr Wirken lange Zeit in Freude leben, so gut wie unter keiner anderen künegîn (1376, 1379). In Kriemhilds Wandel von der angesehenen, freigebigen künegîn zur grausamen Rächerin wird jedoch auch ihre Dienerschaft involviert.
[...]
[1] Vgl. Heinzle, Joachim, „In Buchstaben“ ‒Entstehung und Überlieferung, in: Die Nibelungen. Lied und Sage, hg. von Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, Primus 2005, S. 46 ‒ 70, hier S. 46.
[2] Vgl. Gephart, Irmgard, Liebe und Haß, Scham und Wut: eine verwirrende Doppelhochzeit, in: Der Zorn der Nibelungen. Rivalität und Rache im 'Nibelungenlied', hg. von Irmgard Gephart, Köln, Weimar, Wien, Böhlau 2005,
S. 63 ‒ 77, hier S. 77.
[3] Vgl. Hoffmann, Werner, Kriemhild, in: Grundlagen und Gedanken zum Verständnis erzählender Literatur. Das Nibelungenlied, hg. von Hans-Gert Roloff, 1. Aufl., Frankfurt a. M., Moritz Diesterweg 1987, S. 46 ‒ 60, hier S. 47.
[4] Zit. Gephart, Irmgard, Totenklage, ambivalente Bindungen und aufgeschobene Rache, in: Der Zorn der Nibelungen. Rivalität und Rache im 'Nibelungenlied', hg. von Irmgard Gephart, Köln, Weimar, Wien, Böhlau 2005, S. 94 ‒ 102, hier S. 102.
[5] Im Folgenden zit. u. vgl. nach: Das Nibelungenlied, Mhd./Nhd., nach der Handschrift B, hg. von Ursula Schulze, ins Neuhochdeutsche übers. u. komm. von Siegfried Grosse, Stuttgart, Reclam 2010.
[6] Vgl. Heinzle, Joachim, „Verfeinerung“? – Höfisches und Unhöfisches, in: Die Nibelungen. Lied und Sage, hg. von Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, Primus 2005, S. 80 ‒ 92, hier S. 81.
- Arbeit zitieren
- B.A. Nadine Mallmann (Autor:in), 2013, Die Figur der Kriemhild im 'Nibelungenlied'. Von der höfischen 'frouwe' zur grausamen Rächerin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314096
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