Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Darstellung der gegenläufigen Entwicklung von Alfred Ill
und der Gemeinde Güllen. Im Mittelpunkt der Analyse steht dabei nicht die Mordtat selbst,
sondern die Bewußtseinsreaktion der Mörder. Um innerhalb der Auseinandersetzung die
beiden Entwicklungsstränge detailliert darlegen zu können, wird im Zuge der Gliederung der
Arbeit eine isolierte Betrachtung im Sinne einer Gegenüberstellung gewählt. Aufgrund der thematischen Eingrenzung ist eine Analyse der zentralen Figur Claire
Zachanassian nicht möglich. Sie wird lediglich in Bezug auf ihre Auslöserfunktion und ihren
Einfluß auf die Entwicklungen diskutiert.
Die vorliegende Arbeit ist wie folgt gegliedert:
Im Rahmen der Einleitung wird zunächst eine kurze Einführung in den historischen
Entstehungshintergrund des Stückes gegeben (Kapitel 1.2.).
Im folgenden Hauptteil der Arbeit (Kapitel 2) steht die Darstellung der kontrastiven
Entwicklungsstränge im Vordergrund. Zunächst wird die Entwicklung der Kollektivhandlung
diskutiert (Kapitel 2.1.). Ausgehend von der Eingangssituation der Gemeinde soll an dieser
Stelle die Frage geklärt werden, welche Motive die Güllner veranlassen, zu Mördern im
Namen der Gerechtigkeit zu werden und inwieweit sie bewußt Schuld an dem Verlauf der
Ereignisse tragen. Dabei steht nicht so sehr die Käuflichkeit der Moral im Mittelpunkt,
sondern vielmehr der Bewußtseins- bzw. Umdeutungsprozeß, der zur Mordtat führt (Kapitel
2.1.1. - 2.1.2). In einem gesonderten Kapitel wird auf einzelne Figuren der Gemeinde (Lehrer
und Pfarrer) näher eingegangen, die sich im Laufe der Entwicklung aus der
Kollektivhandlung herausheben (Kapitel 2.1.3.).
Im Anschluß wird die Entwicklung Ills vom schuldigen Mitbürger der Gemeinde zum
ausgestoßenen Opfer skizziert. Dabei ist die Frage zu klären, inwieweit sein Tod einen
Heldentod darstellt (Kapitel 2.2.).
In der Schlußbetrachtung werden nicht nur die Ergebnisse der Arbeit zusammengefaßt,
sondern es findet auch eine kurze Diskussion der Frage statt, inwieweit dieses Drama von
Friedrich Dürrenmatt heute noch Aktualität besitzt bzw. wie die europäische Gesellschaft
Anfang des 21. Jahrhunderts in einem solchen Fall handeln würde.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Ziel und Gliederung der Arbeit
1.2. Komödie der Hochkonjunktur
2. Die kontrastive Entwicklung der zentralen Protagonisten
2.1. Die Güllner: Mörder im Namen der Gerechtigkeit
2.1.1. Ihre Entwicklung
2.2.1. Der Umdeutungsprozeß
2.1.1. ‚Sonderlinge’ innerhalb der Gemeinde
2.2. Alfred Ill: Vom Schuldigen zum Helden
2.2.1. Die Figur Ill und seine Vorgeschichte
2.2.2. Seine Entwicklung
3. Schlußbetrachtung
4. Literaturverzeichnis
4.1. Primärliteratur
4.2. Sekundärliteratur
1. Einleitung
Mit diesem 1955 geschriebenen, 1956 uraufgeführten und gedruckten Stück Der Besuch der alten Dame begründete Friedrich Dürrenmatt seinen Weltruhm. Noch heute zählt es neben Den Physikern zum Standardrepertoire der Bühnen. Es ist, in alle Weltsprachen übersetzt, über viele große Bühnen der Welt gegangen, darunter in einer sinnveränderten Fassung unter der Regie von Peter Brook als New Yorker Bearbeitung. Das Stück wurde verfilmt (Regie: Bernhard Wicki), zum Libretto umgearbeitet, avancierte zur Lektüre in Schweizer und deutschen Schulen und stellt noch heute das Drama für ältere Schauspielerinnen dar, die gern die Rolle der Claire Zachanassian als Paraderolle besetzten (vgl. KNOPF 1996: 71).
Der Besuch der alten Dame ist eine Tragikkomödie in drei Akten. Die Milliardärin Claire Zachanassian, mit bürgerlichem Namen Klara Wäscher, kehrt in ihre Heimatstadt Güllen zurück, aus der sie einmal schmachvoll ausgestoßen wurde, und rächt sich an ihrem früheren Geliebten Alfred Ill, der Claire einer bürgerlichen Partie wegen verlassen hat, obwohl Claire schwanger war. Sie bietet den verarmten Bürgern der Stadt eine Milliarde, wenn sie Ill umbringen. Die Güllner weisen das Ansinnen zunächst empört zurück, um dann doch den Verlockungen des mit der Milliarde verbundenen Wohlstands immer mehr zu erliegen und nach ein paar Tagen den Auftragsmord zu begehen. Verbunden mit dem allmählichen Entschluß der Güllner, den Mord zu begehen, ist der wirtschaftliche Aufstieg der Stadt.
In der Handlung des Stückes werden zwei zentrale Themen miteinander verknüpft: Die Verführung des Geldes und der damit verbundene Abfall der Güllner Bürger von moralischen Konventionen einerseits, und der Entwicklungsprozeß eines Schuldigen, der seine Schuld schließlich eingesteht und bereut andererseits.
1.1. Ziel und Gliederung der Arbeit
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Darstellung der gegenläufigen Entwicklung von Alfred Ill und der Gemeinde Güllen. Im Mittelpunkt der Analyse steht dabei nicht die Mordtat selbst, sondern die Bewußtseinsreaktion der Mörder. Um innerhalb der Auseinandersetzung die beiden Entwicklungsstränge detailliert darlegen zu können, wird im Zuge der Gliederung der Arbeit eine isolierte Betrachtung im Sinne einer Gegenüberstellung gewählt.
Aufgrund der thematischen Eingrenzung ist eine Analyse der zentralen Figur Claire Zachanassian nicht möglich. Sie wird lediglich in Bezug auf ihre Auslöserfunktion und ihren Einfluß auf die Entwicklungen diskutiert.
Die vorliegende Arbeit ist wie folgt gegliedert:
Im Rahmen der Einleitung wird zunächst eine kurze Einführung in den historischen Entstehungshintergrund des Stückes gegeben (Kapitel 1.2.).
Im folgenden Hauptteil der Arbeit (Kapitel 2) steht die Darstellung der kontrastiven Entwicklungsstränge im Vordergrund. Zunächst wird die Entwicklung der Kollektivhandlung diskutiert (Kapitel 2.1.). Ausgehend von der Eingangssituation der Gemeinde soll an dieser Stelle die Frage geklärt werden, welche Motive die Güllner veranlassen, zu Mördern im Namen der Gerechtigkeit zu werden und inwieweit sie bewußt Schuld an dem Verlauf der Ereignisse tragen. Dabei steht nicht so sehr die Käuflichkeit der Moral im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Bewußtseins- bzw. Umdeutungsprozeß, der zur Mordtat führt (Kapitel 2.1.1. - 2.1.2). In einem gesonderten Kapitel wird auf einzelne Figuren der Gemeinde (Lehrer und Pfarrer) näher eingegangen, die sich im Laufe der Entwicklung aus der Kollektivhandlung herausheben (Kapitel 2.1.3.).
Im Anschluß wird die Entwicklung Ills vom schuldigen Mitbürger der Gemeinde zum ausgestoßenen Opfer skizziert. Dabei ist die Frage zu klären, inwieweit sein Tod einen Heldentod darstellt (Kapitel 2.2.).
In der Schlußbetrachtung werden nicht nur die Ergebnisse der Arbeit zusammengefaßt, sondern es findet auch eine kurze Diskussion der Frage statt, inwieweit dieses Drama von Friedrich Dürrenmatt heute noch Aktualität besitzt bzw. wie die europäische Gesellschaft Anfang des 21. Jahrhunderts in einem solchen Fall handeln würde.
1.2. Komödie der Hochkonjunktur
Friedrich Dürrenmatts Drama Der Besuch der alten Dame steht im Zeichen der Hochkonjunktur nach dem Krieg, des politischen und moralischen Konservatismus. Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg konnte durch den Frieden in Europa, harte Arbeit in einzelnen westeuropäischen Ländern und die US-Marschallplan-Hilfe einen unvorstellbaren wirtschaftlichen Aufschwung und einen wachsenden Konsumerismus erzielen, den man in der Bundesrepublik Deutschland als Wirtschaftswunder bezeichnet. Von dieser Hochkonjunktur profitierten insbesondere die Kapitalbesitzer. Den kritischen Ton in diesem Zusammenhang kann man deutlich an diesem Stück Dürrenmatts erkennen, das ursprünglich den Untertitel „Komödie der Hochkonjunktur“ tragen sollte. Mit diesem Untertitel stellt Dürrenmatt zunächst die ökonomische Perspektive in den Vordergrund, die Güllen als eine Industriegesellschaft zeigt. Wirtschaftsaufschwung, Wohlstand, Bestechung und Käuflichkeit sind neben Gerechtigkeit und Rache dabei zentrale Motive dieses Dramas (vgl. GROßE: 1998: 67 / 77).
Dürrenmatt wollte nach eigenen Aussagen in der dargestellten Verwandlung der Mangelgesellschaft Güllen in eine Überflußgesellschaft nicht den wirtschaftlichen Aufschwung eines bestimmten Landes widerspiegeln, sondern – ohne den erhobenen Zeigefinger – dem Zuschauer ein Phänomen der Moderne präsentieren (vgl. SOTIRAKI 1983: 24). Auf die Frage, wofür die Güllner stehen, antwortet der Autor: für die Zeitgenossen, denn sie sind „Menschen wie wir alle (...) ihre Mitglieder sind Rollenträger unserer Zeit“ (Dürrenmatt in SOTIRAKI 1983: 24).
Mitte der 50ziger Jahre des letzten Jahrhunderts beginnt Dürrenmatt – zwar auf Distanz – mit diesem Drama also Fragen und Probleme der sich etablierenden westlichen Wohlstandsgesellschaft aufzugreifen und in seinem Stück zu thematisieren. Der allgemeine Wiederaufbau nach den Trümmern des Zeiten Weltkrieges verband sich nicht nur mit dem konsumorientierten Lebensstil, sondern auch mit kleinbürgerlich verlogener Moral (vgl. KNOPF 1983: 73). Die damalige Gesellschaft wollte die faschistische Vergangenheit vergessen.
Dürrenmatt wechselte diesen Untertitel später in die Gattungsbezeichnung „Tragische Komödie“ (DÜRRENMATT 1985[1] ). Auf tragische und zugleich auch komische Weise wird demnach von der konjunkturellen Entwicklung eines Ortes erzählt, der sich den Wohlstand durch einen Mord erkämpft.
2. Die kontrastive Entwicklung der zentralen Protagonisten
In der Forschungsliteratur wird allgemein zwischen der Kollektivhandlung der Güllner und der Privathandlung Ills unterschieden, die eine konträr aufeinander bezogene Tendenz aufweisen (vgl. u.a. KNOPF 1996). Während die Kollektivhandlung aufsteigend ist und als Komödie im „Welt-Happy-end“ (32) endet, verläuft die ihr entgegengesetzte Ill-Handlung absteigend und endet in einem tragischen Finale (vgl. KNOPF 1996: 77).
Aufgrund der in Kapitel 1.1. festgelegten Zielsetzung wird die Handlungsebene der Claire Zachanassian im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande thematisiert bzw. in ihrer Auslöserfunktion diskutiert.
2.1. Die Güllner: Mörder im Namen der Gerechtigkeit
Dürrenmatt präsentiert zu Beginn des Dramas die Gemeinde Güllen als ganz gewöhnliche Menschen, spießbürgerlich, traditionsbewußt und verarmt. Schon in der Exposition zeichnet er einen charakteristischen Querschnitt seiner zentralen dramatischen Figur, die Gemeinde Güllen. Die Güllner sind durchschnittliche mittelständische Kleinbürger; sie sind nicht böse, sondern repräsentieren eine durchschnittliche Gemeinde an einem Schauplatz irgendwo in Mitteleuropa (vgl. 141).
Die im Personenverzeichnis gelisteten Bürger, die Dürrenmatt unter dem Sammelbegriff „Die Besuchten“ (11) kategorisiert, werden bis auf Ill lediglich entsprechend ihrer Funktion genannt. Auch ‚Der Erste’ bis ‚Der Vierte’ (11) treten als dramaturgische Mehrzweckwaffe auf. In gewisser Weise individualisiert sie Dürrenmatt in beschränkten Maße: Der Erste verkörpert beispielsweise den Metzger Hofbauer, der Zweite zeitweilig den arbeitslosen Helmsbreger. Ebenso wie Ills Frau Mathilde, Sohn Karl, Tochter Ottilie, den Maler, Fräulein Luise mit dem lockeren Lebenswandel und zwei Kundinnen des Illschen Krämerladens sind auch sie, wie bereits erwähnt, nicht böse, sondern lediglich schwache Menschen. Sie handeln im Kollektiv und sind als solches in der folgenden Auseinandersetzung zu betrachten (vgl. FRITZEN 1983³: 35).
Kennzeichnend ist, daß sie zum größten Teil in numerischer Reihenfolge agieren, in syntaktisch verkürzten Sätzen sprechen und erst im kommunikativen Zusammenspiel der Wortfetzen ihre Aussage einen Sinn ergibt:
DER ERSTE: Alles von Freimaurern abgekartet.
DER ZWEITE: Von Juden gesponnen.
DER DRITTE: Die Hochfinanz lauert dahinter.
DER VIERTE: der internationale Kommunismus zieht seine Fäden. (21)
Zusammenfassend lassen sich folgende Merkmale des Kollektivs nennen:
- Sie zählen und agieren als eine dramatische Figur
- Keine Individualität
- Sie treten wie Typen auf
- Werden schon im Personenverzeichnis numerisch kategorisiert
- Zeigen sich als gesichtslose Masse mit dem Wesen der Anonymität
- Blasse, konturlose Bürger
Aus der gesichtslosen Masse erheben sich im Laufe der Handlung lediglich Figuren wie der Lehrer und der Pfarrer, die entsprechend ihrer ‚Sonderstellung’ auch in einem eigenen Kapitel behandelt werden sollen (siehe Kapitel 2.1.3).
Wirtschaftsaufschwung und Wohlstand sind die zentralen Motive in diesem Drama. Bereits am Anfang des Stückes bekommt der Rezipient einen Eindruck über die Isolation der Gemeinde und die Szenerie des Stückes. Die vorbeirasenden Züge sind ein Symbol des allgemeinen weltlichen Wohlstandes, den diese verfallene Stadt seit Jahren vermißt. Die Eröffnungsszene demonstriert bildhaft die katastrophale Verarmung der Gemeinde Güllen. Schon zu Beginn arbeitet Dürrenmatt mit Kontrasten; er stellt der verarmten Stadt und ihren Bürgern die reiche, glanzvolle, weltgewandte Claire Zachanassian gegenüber.
Inwieweit der moralische Verfall der Stadt schon durch die Ereignisse der 45 Jahre zurückliegenden Vergangenheit initiiert wurde, soll im weiteren Verlauf geklärt werden. Eine dieser Arbeit zugrundeliegende These sei schon an dieser Stelle formuliert: Der moralische Verfall der Güllner beginnt nicht erst mit dem Besuch und dem Angebot der alten Dame, sondern hat bereits seinen Anfang mit dem grausamen Verstoß Klara Wäschers genommen.
Schon zu Beginn des Stückes wird klar, daß die Gemeinde aus ihren Fehlern der Vergangenheit nicht gelernt hat. Im Rahmen ihres allgemein praktizierten Verdrängungsmechanismus beschönigen und verherrlichen sie die vergangene Zeit mit dem Ziel, die einst verbannte Claire Zachanassian in ihre Gemeinde wieder aufzunehmen und damit ihr Dorf zu retten. Sie inszenieren einen prunkvollen Empfang am Bahnhof und verfolgen damit nur ein Ziel, der einst verstoßenen Mitbürgerin die rettende Finanzspritze zu entlocken. Alfred Ill hat bei dem verlogenen Empfang eine zentrale Funktion: Er, der einstige Betrüger und Verächter Claires, soll als Vermittler und Retter für die Gemeinde fungieren.
2.1.1. Ihre Entwicklung
Die Entwicklung der Gemeinde Güllen findet auf zwei verschiedenen Ebenen statt. Offensichtlich ist neben der zunehmenden Konsumbereitschaft der Bürger die Modernisierung und der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt, die sich schon in der Exposition andeuten und am Ende der tragischen Ereignisse ihren absoluten Höhepunkt erreichen. Aus dem armen, häßlichen, von der Welt isolierten Dorf wird am Ende eine moderne Stadt im Zentrum des öffentlichen Interesses.
[...]
[1] Im weiteren Verlauf der Arbeit werden bei Zitaten aus dem Primärtext lediglich Seitenverweise in Klammern genannt.
- Citation du texte
- Anonyme,, 2001, Friedrich Dürrenmatt "Der Besuch der alten Dame": Die Entwicklung der Zentralfigur und der Gesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31386
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