Die vorliegende Arbeit bietet eine genaue Analyse der inhaltlichen Problematik des Buches "Ins Nordlicht blicken". Darüber hinaus die Beschreibung des Aufbaus, der Struktur, der formalen Besonderheiten des Textes. Außerdem eine Bewertung, was die poetische Qualität von Cornelia Franzens Buch angeht.
Dieser Roman ist sowohl Entwicklungsroman mit Adoleszenzproblematik als auch Kriminalroman. Gleichzeitig ist er eine Utopie und erzählt eine Lovestory. Außerdem enthält er Elemente des ‚Historischen Romans‘.
Erzählt wird auf zwei Zeitebenen. Einmal wird aus dem Jahr 2011, dann wieder aus dem Jahr 2020 berichtet.
Interpretation von ‚Ins Nordlicht blicken‘[1]
Dieser Roman, ist sowohl Entwicklungsroman mit Adoleszenzproblematik als auch Kriminalroman. Gleichzeitig ist er eine Utopie und erzählt eine Lovestory. Außerdem enthält er Elemente des ‚ Historischen Romans‘.
Erzählt wird auf zwei Zeitebenen. Einmal wird aus dem Jahr 2011 dann wieder aus dem Jahr 2020 berichtet.
Mit jedem der 48 Kapitel des Buches wechselt die Zeitebene. Also Kapitel 1 spielt im Jahre 2011, die Handlung von Kapitel 2 ereignet sich im Jahre 2020, in Kapitel 3 agiert der Protagonist wieder im Jahre 2011 und so fort. Dieser zeitlichen Zweiteilung entspricht eine örtliche. Deutschland und Grönland sind die beiden antagonistischen Pole. Dazu kommt der Weg von Grönland nach Deutschland und die Reise von Deutschland nach Grönland.
Schon sehr früh ahnen wir als Leser/in, dass die beiden Erzählstränge zu einer Lebensgeschichte gehören, dass also der Ich-Erzähler von Kapitel 2 das Alter Ego von Jonathan Querido in Kapitel 1 ist.
Eine der Rollen, die die Autorin uns zugeschrieben hat, ist die des Detektivs, der Detektivin. Beim Lesen sind wir dazu aufgefordert, herauszufinden, inwiefern z. B. der Ich-Erzähler in Kapitel 2 etwas mit Jonathan Querido aus Kapitel 1 zu tun hat.
Ein erster Verdacht, dass die beiden zusammengehören, kommt auf, wenn wir folgende Textstellen nebeneinander besehen:
1. „Doch das grenzenlose Flimmern dort oben, diese Weite, die einen aufsaugte, wenn man zu lange hinaufschaute, hatte nichts mit dem Hamburger Großstadthimmel gemeinsam. Es war ein Himmel, wie er ihn in einem anderen Leben gekannt hatte.“ (S. 5, Kapitel 1)
2. „Ja irgendwann würde ich diesen wahnsinnigen Himmel nicht mehr sehen , diesen Himmel, der in Gelb, Orange, Rot und Violett leuchtete, von schwarzen Wolkenfetzen durchzogen, ein Himmel wie kein Maler der Welt ihn malen konnte.“ (S. 19, Kapitel 2)
Dann ist da die Rede vom „letzten Morgen in Grönland“, an dem eine Maalia dem Protagonisten ins Ohr flüstert: „Du kommst zurück.“
Unser Verdacht erhärtet sich, wenn Jonathan Querido zu einer vermeintlichen Inuit auf der Alaska im Halbschaf „Inuugujok, kumoor“ (S. 7) und „Uteqqissinnaaviuk“ (S.8) sagt, was er als „ein paar Brocken Grönländisch “ bezeichnet.
Außerdem will der Jonathan Querido des ersten Kapitels in Nuuk, einer Stadt im Süden Grönlands, die Alaska für eine Zeit lang verlassen. Gleich zu Beginn trinkt der Ich-Erzähler von Kapitel 2 im Café Crazy Daisy in Nuuk kein Bier. Er bevorzugt Kaffee. Mit Kaffee, Milchkaffee beginnt auch das Gespräch am Frühstückstisch, das Jonathan Querido mit Shary auf der Alaska in Kapitel 3 führt. Shary ist schwarzhaarig, ist eine wie die schwarzhaarige Maalia, jene Grönländerin, die nach Jonathans Aussage nur eine Statistin in seinem früheren Leben war, von der er aber lange Zeit immer wieder träumte.
Soviel scheint jetzt schon einigermaßen klar zu sein. Der auch Deutsch sprechende Jonathan Querido könnte in einem früheren Leben der Ich-Erzähler namens Pakku sein, der familiäre Wurzeln in Grönland hat.
Und natürlich wollen wir das ganz genau wissen. Scheibchenweise, von Kapitel zu Kapitel mehr – so hält Cornelia Franz die Leser in Spannung - finden wir Beweise dafür, dass sich unser Anfangsverdacht bestätigt.
In Kapitel 8 schaut Pakku aus dem Fenster und sieht im Vordergrund ein paar bunt gestrichene Holzhäuser, im Hintergrund die hässlichen Plattenbauten, in denen Aqqaluk wohnte. In Kapitel neun sieht Jonathan aus dem Fenster seines Hotels und konstatiert, „… dass die Wohnblocks nicht mehr da waren.“ (S. 61)
Wir kombinieren (ratiocination), der, der sich jetzt Jonathann nennt, war vor Zeiten hier, er könnte damals Pakku geheißen haben.
Noch deutlicher wird dies auf Seite 108. Jonathan sucht die Rasmussenvej und findet das, was davon noch übrig geblieben ist: „…das Straßenschild. Doch die Straße, in der er acht Jahre seines Lebens gewohnt hatte, suchte er vergeblich. Es gab sie nicht mehr. Dort, wo sich in seiner Kindheit der Weg mit den bunten Holzhäusern den Hügel hinaufgezogen hatte, befand sich jetzt eine Baustelle. Schief und verloren hing das Schild mit dem Namen Rassmusenvej am Rande eines gewaltigen Kahlschlags, der das felsige Land aufgerissen hatte. Ein Bagger hatte die roten und blauen und gelben Holzteile zu einem Haufen zusammengeschoben….“ (S. 108)
Ziemlich sicher sind wir, dass Jonathan Querido Pakkutaq Wildhausen sein muss, wenn sich Jonathan auf den Seiten 88 und 89 die Frage stellt: „Wie hatte er es fertiggebracht, seinen Vater so viele Jahre glauben zu lassen, dass er seinen Sohn auf dem Friedhof von Nuuk begraben hatte?“ Und, wenn er beschließt, „… wieder Pakkutaq Wildhausen [zu]werden.“ Und: „.. seinem Vater die Wahrheit sagen.“
Endgültige Gewissheit haben wir erst auf Seite 270 in Kapitel 47.
Hier, in Nuuk, meißelt Jonathan den Namen Jonathan Querido in den Grabstein, auf dem bisher Pakkutaq Wildhausen stand. Die Buchstaben von Pakkutak Wildhausen meißelt er aus dem Granit heraus.
Hier endet die Existenz, die Pakkutak Wildhausen unter dem falschen Namen Jonathan Querido viele Jahre lang in Deutschland führte. Pakku ist nicht tot an Land gespült worden, das war, in seinen Kleidern, jener philippinische Junge, der versuchte, ihn, den blinden Passagier nach Deutschland, beim Schiffskapitän zu verraten, das war der, den Jonathan im Zweikampf – man kann sagen in Notwehr - tötete und in seinen, Pakkus Kleidern, ins Meer warf.
Übrigens, auch Shary hegt in Kapitel 3 den gleichen Verdacht wie die Leser. Sie fragt Jonathan: „Stammst du von den Philippinen?“ Und fügt hinzu: „Ich dachte, dass du Grönländer bist.“ (S. 24)
Auf Seite 46 frägt Shary noch einmal nach. Jonathan zuckt auf ihr „Du bist also doch Grönländer?“ nur mit den Schultern. Immerhin gibt er zu, Verwandte in Nuuk zu haben. Dass er hier eine Zeitlang gelebt haben muss, wird klar, wenn Jonathan in Gedanken das Nuuk im Sommer 2020 – er und Shary haben die Alaska gemeinsam verlassen – mit jenem Nuuk vergleicht, das er von früher her kennt. In einer Art innerem Monolog stellt er fest, dass z. B. hässliche Wohnblocks verschwunden sind, dass auch Kaianlagen verlegt wurden. (S.47, Kapitel 7) Wie schon erwähnt, in Kapitel 8 beklagt der Ich-Erzähler namens Pakku beim Blick aus dem Fenster[2]: „Im Vordergrund ein paar bunt gestrichene Holzhäuser, im Hintergrund die hässlichen Plattenbauten …“.
Übrigens, auch Shary befindet sich in einer ähnlichen Rolle wie wir Leser/innen. Wie wir rätselt sie herum, will wissen, warum Jonathan nicht wie die anderen Schiffspassagiere an der touristischen Wanderung entlang von Grönlands Westküste teilnimmt, warum sonst er dann in Nuuk von Bord gegangen ist.
Inzwischen sind Shary und Jonathan einander besser bekannt. Und uns interessiert, ob die beiden ein Paar, ein Liebespaar werden. Das ist spannend. Denn am Anfang verhält sich Jonathan schroff, abweisend. „Abrupt wendete er sich [von ihr] ab.“ (S.9) Nach einem gemeinsamen Frühstück, bei dem Shary versucht, mit Jonathan zu flirten, ergreift dieser die Flucht, da er deren Nähe nicht aushält. Aber „…es tat ihm … leid, wie brüsk er zu ihr war.“ (S.25) In Kapitel fünf noch lügt Jonathan Shary an, wenn er behauptet, zum 1. Mal auf Grönland zu sein. Aber, „ … es fiel ihm schwer zu lügen.“ (S.38) Auf Seite 46 schafft „… er es nicht, sie anzulügen.“
Und auf der Treppe zum Oberdeck legt er „… ihr leicht die Hand auf den Rücken. … Nach dieser ersten Berührung dann, bei der Einfahrt in den Hafen legt Shary „wie selbstverständlich … ihm den Arm um die Schultern.“ (S. 48)
Als Stilfigur benannt, heißen diese Szenen Klimax. Es liegen steigernd angeordnete Textteile vor, Höhepunkt: Heirat.
Wenn man Spannung als nicht befriedigtes Informationsbedürfnis auf Seiten der Leserschaft definiert, dann sind wir vierfach gespannt, Informationen zu erhalten.
Nämlich, Antwort auf folgende Fragen.
1 Ist Jonathan Querido das Alter Ego von Pakku?
2 Warum, wovor, hat Jonathan Querido Angst?
3 Warum geht er in Nuuk an Land?
Zunächst ein paar Zeilen, zur Beantwortung der Frage
4 Werden Jonathan und Shary ein Paar?
Gemeinsamkeiten, was den Lebenslauf angeht, haben die beiden ja. Shary Enoksens Eltern stammen aus Sisimiut (Grönland). Im Alter von vier Jahren zieht Shary mit ihren Eltern nach Kopenhagen. Sie spricht Grönländisch und Deutsch wie Jonathan/Pakkutaq. Und sie hat in der Schule wie Jonathan ‚Hesse‘ gelesen. Sie kennt Hesses Maxime: „Allem Ende wohnt ein Anfang inne.“ (S. 24)
Auch Pakku wurde, als seine Mutter, eine Inuit, starb (allerdings schon als Baby) von Grönland weg, nach Deutschland gebracht. Dort lebte er 9 Jahre lang bei seiner Großmutter in Danneberg (Niedersachsen). Nach deren Tod kurze Zeit bei seinem Großonkel in Hamburg, danach bei seinem Vater (Peter Wildhausen) in Nuuk.
Shary und Jonathan/Pakku haben also gemeinsame grönländische Wurzeln. So verwundert es nicht, dass sie sich immer näher kommen.
Im Folgenden skizziere ich neben den schon genannten frühen Phasen der Annäherung ein paar weitere Schritte, die Shary und Pakku/Jonathan aufeinander zugehen.
Morgens, nach der ersten Nacht an Land, in Nuuk, im Hotel, sah Jonathan Shary an einer Bushaltestelle stehen. „Plötzlich freute sich Jonathan, sie wiederzusehen und mit ihr zu sprechen… sie [kam] ihm wie eine gute Bekannte vor. (S. 69)
Vor dem Häuschen; in dem Shary bei ‚Bed and Breakfast‘ untergebracht ist, wird Jonathan/Pakku klar: „ Er mochte sie, so unkompliziert und offen, wie sie war. Sie brachte ihn zum Lachen, und das war das Beste, was ihm im Moment passieren konnte.“ (S. 94)
Als retardierendes Element, das uns wieder rätseln lässt darüber- wird das was mit den beiden oder nicht? – fügt die Autorin ganz im Sinne von ‚ mystification ‘ im Kriminalroman ein: „Plötzlich waren ihm [Jonathan/Pakku] diese Frau, ihr forschender Blick und ihre ewigen Fragen ein gewaltiges Stück zu nahe. Am liebsten hätte er sie hier sitzen gelassen und wäre davongerannt.“ (S. 110/111)
Dem Konjunktiv – Irrealis – ‚wäre‘ entspricht: Es dauert nicht lange, bis die beiden gemeinsam an der Reling eines Schiffes stehen, diesmal des Frachters Ivalu.
„… und er [Pakku/Jonathan] umschloss ihre [Sharys] Hand, die trotz des kühlen Winds warm war, und steckte sie zusammen mit der seinen in die Tasche seiner Jacke.“ ( S- 142)
Wir erinnern uns, Shary ist wie wir als Leser in der Position, das Geheimnis des Protagonisten ergründen zu wollen. Sie ist eine Art Detektivin. Ihre Fragen, auf die wird später noch genauer eingegangen, typisch ‚ raciocination‘, bohrten sich in Pakkus/Jonathans Innerstes und ließen seinen Panzer brüchig werden. (vergl. S. 143)
Jonathans Panzer, der brüchig wird, seine Distanziertheit, die mit Hilfe von Shary überwunden wird, hat eine Entsprechung. Auch der Eispanzer, der Grönland einst ganz bedeckte, schmilzt. Als Stilfigur Symbol oder Parallelismus signalisiert das Schmelzen des Eises den Vorgang: Jonathan lässt sich immer mehr Gefühle zu, steht immer mehr zu sich selbst. Er war sich verlorengegangen, so wie die Tradition der Inuit, das traditionelle Leben mit Hundeschlitten und Robbenjagd in Grönland immer mehr verlorengeht.
Inzwischen weiß Shary auch, dass ihr Freund auf der Suche nach seinem Vater ist. Sie geht mit ihm auf die Suche nach Peter Wildhausen. Unterwegs, auf einem Felsen in Qaqortoq liegt Shary dann mit dem Kopf auf Jonathans Bauch. (S. 154)
Solcherlei Intimität kann nur dazu führen:
Bald werden die beiden ein Paar sein, verheiratet, und ihr Sohn heißt Minik. (S. 276)
Shary, eine Detektivin par excellence, stellt die richtigen Fragen, um herauszufinden, wer Jonathan tatsächlich ist, um den zu identifizieren, der sich am Ende selbst überführt. Aber Jonathan/ Pakku hält sie zunächst hin, antwortet ausweichend, verschweigt, verrätselt, mystifiziert.
Die Fragen Sharys
„Querido, ist das nicht spanisch?“ S. 24
„Stammst du von den Philippinen?“ S.24
„Bist du das erste Mal in Grönland?“ S. 38
„Du bist also doch Grönländer, oder?“ S. 46
„Holen dich deine Verwandten ab?“ S. 48
„Wirst du erwartet?“ S. 48
Vor dem Grabstein, auf dem Pakkutaq Wildhausen steht, fragt Shary: „Wer ist das? War er ein Freund von dir?“ S. 86
[...]
[1] Im Folgenden zitiere ich nach: Cornelia Franz, Ins Nordlicht blicken, deutscher Taschenbuchverlag, München 2012
[2] Vergl. „Die Kaianlagen waren offenbar verlegt worden; die Wohnblocks, die den Ort mit ihrer Hässlichkeit gequält hatten, waren nicht zu sehen…“ (S.47)
- Citation du texte
- Gert Singer (Auteur), 2015, Interpretatorisches zu 'Ins Nordlicht blicken' von Cornelia Franz. Vorbereitung auf die Deutschprüfung (Realschule) zur Mittleren Reife, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/312960
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