Gerade durch das Pflegestärkungsgesetz hat die unabhängige Pflegeberatung einen größeren Stellenwert als jemals zuvor erreicht. Beratende Berufe in der Pflege befinden sich durch die Neuregelung in einem Spannungsfeld zwischen neutraler Begutachtung und einfühlsamer Anspruchsdurchsetzung für ihre Klienten. Auch in einem Beratungskontext wird in Fach- und Weiterbildungen erwartet, Grundzüge der Pflegebegutachtung, zumindest im Bereich der Pflegeeinstufung, zu beherrschen.
In jahrzehntelanger Dozententätigkeit, auch schon zu Zeiten, als Pflegesachverständiger noch ein völlig neuer Berufsstand war, zeigte sich, dass Pflegebegutachtung auch in ihrer Methodik lehr- und lernbar ist, und die Erstellung von Gutachten nicht nur auf die Erfahrung des Sachverständigen und seine berufliche Fachkunde gestützt werden muss. Ganz besonders Gutachten, die dem Gericht als Beweismittel des Strengbeweises nutzen sollen, sind für das Gericht nachvollziehbar aufzubereiten. Ähnliches gilt in einem Beratungskontext, um dem Klienten eine Entscheidungsgrundlage zu bieten. Hierfür gibt es einige Aufbautechniken, methodische Besonderheiten und sprachliche Hinweise, die es dem angehenden Pflegesachverständigen leichter machen, sich angemessen schriftlich wie mündlich bei Gericht und gegenüber Privatauftraggebern zu präsentieren.
In dieser Arbeit wird daher pflegefachliches Fachwissen zwar in einem Kapitel erwähnt werden, wesentlich ist jedoch die Rechtstellung des gerichtlich bestellten Sachverständigen, des Privatsachverständigen, die Methodik der Gutachtenerstellung und Handlungsanleitungen für den Sachverständigen.
Die vorliegende Publikation soll dem Leser ermöglichen nach der Lektüre sorgfaltsgerecht die Bedeutung der Gutachten aus den beiden wichtigen Bereichen der Pflege (Pflegeeinstufung und Pflegehaftung) zu erkennen und seine berufliche Stellung zu wahren. Der Leser soll weiterhin in der Lage sein, ein Gutachten unternehmerisch und kostentechnisch zu beurteilen.
Pflegebegutachtung findet aufgrund der Vielfalt ihrer potentiellen Anwender in einem sehr heterogenen Berufsfeld statt, dem aber gemeinsam ist, dass der Sprung vom praktischen Pflegealltag in die Autorenschaft eines Gutachtens, auch hinsichtlich der Sprachebene gelingen soll.
Deshalb ist diese Publikation auch für diejenigen bestimmt, die nicht bei Gericht auftreten, aber behörden- oder hausintern pflegefachliche Einschätzungen abzugeben haben.
Inhaltsverzeichnis
Der Sachverständige
Teil 1: Das Berufsbild des Pflegsachverständigen
A. Begriff des Sachverständigen
I. Abgrenzungsfragen im System der Beweismittel
1. Der Zeuge
2. Der sachverständige Zeuge
3. Der Sachverständige
4. Sonstige Beweismittel
5. Abgrenzung Beweis: Parteivorbringen, Parteieinvernahme, Sachvortrag
II. Umgang mit dem Wissen des Sachverständigen durch das Gericht
1. Freibeweis und Strengbeweis
2. Amtsermittlung und Beibringungsgrundsatz
3. Grundsätze der Beweiswürdigung
a) Denkgesetze der Logik
b) Indiz/Beweis: Abgrenzung
c) Transparenzgebot in den Urteilsgründen
III. Umgang mit dem Wissen des Sachverständigen durch die Parteien
1. Sachvortrag und Darlegungspflicht (substantiiert)
2. Formen des Bestreitens
3. Beweisangebote und Beweisantritte
4. Beweislastverteilung und „non liquet“
IV. Folgerungen für das Berufsbild des Sachverständigen
1. Auftragserteilung und Auftragsumfang: Bedeutung des Beweisbeschlusses
2. Selbstverständnis des Sachverständigen in seiner Funktion als Beweismittel
3. Behandlung des Auftrags durch den Sachverständigen
4. Die Persönlichkeit des Sachverständigen
a) Reicht die pflegefachliche Beurteilungskompetenz aus?
b) Abgrenzung des Pflegesachverständigen vom sonstigen medizinischen Sachverständigen
c) Unparteiische Aufgabenerfüllung
5. Ordnungsgemäße Gutachtenerstattung
a) Schweigepflicht-Auskunftspflicht
b) Fortbildungspflicht
6. Werbebeschränkungen
7. Vom Auftrag zum Gutachten
a) Gerichtsgutachten
b) Aktenstudium
c) Ortstermin
d) Vergleichsbereitschaft der Parteien
e) Wichtiges zu Privatgutachten
aa) Pflicht zur Gutachtenerstattung bei privaten Aufträgen
bb) Unparteiische Aufgabenerfüllung
cc) Besonderheiten des Privatgutachtens
B. Berufsethos des Sachverständigen
I. Privatgutachten
II. Gericht als Auftraggeber
III. Staatsanwaltschaft als Auftraggeber
IV. Verhalten des Sachverständigen als Ausdruck des Berufsethos
1. Unparteilichkeit und Unabhängigkeit
2. Sach- und Fachkunde
3. Erscheinen vor Gericht
4. Mündliche und schriftliche Gutachten
5. Eidesleistung und Schweigepflicht
C. Die als (gerichtliche) Sachverständige in Betracht kommenden Rechtspersonen
I. Einzelunternehmer
II. Behörden
III. Private Organisationen: Rechtsformen
IV. Sachverständigengruppe
D. Der selbständige Sachverständige
I. Zivilrechtliche Grundlagen der Tätigkeit
1. Privatgutachten: Entstehung und Erlöschen des Honoraranspruchs
2. Gerichtsgutachten: Entstehung und Erlöschen des Honoraranspruchs
II. Zeugen- und Sachverständigenentschädigung
1. Geltungsbereich des JVEG
2. Höhe der Leistung
III. Entschädigung von Privatgutachten
1. Versagung des Honorars bei pflichtwidrigem Verhalten des Sachverständigen - Abgrenzung zur Haftung des Sachverständigen
a) aus Vertrag
b) aus Delikt
E. Die Neutralität des Sachverständigen und seine Befangenheit - Ablehnung des Sachverständigen durch die Parteien und das Gericht
I. Ablehnung
Gründe
Folgen
Teil 2: Methodenlehre und Gutachtenerstellung
A. Arbeitsweise: Grundsätze und Methodik
I. Umgang mit Gesetzestexten: Auslegungsmethoden
II. Umgang mit Urteilen
III. Umgang mit Parteivorbringen
IV. Umgang mit juristischer Literatur
V. Umgang mit nicht-juristischer Literatur
B. Arbeitsschritte bei der Gutachtenerstellung
I. Vorarbeiten
1. Aktenstudium und Aktenvortrag
2. Interpretation des Beweisbeschlusses /Gutachtenauftrages
3. Hilfsmittel bei der Gutachtenerstellung
4. Recherche
II. Gutachtenerstellung
1. Sachbericht
2. Aufbau und Inhalt des schriftlichen Gutachtens
III. Nachbereitung
1. Zusammenfassung des Gutachtens
2. Gutachtenerstattung: schriftlich und mündlich
C. Qualitätserfordernisse an das Gutachten
I. Aufbau
II. Sprache und Stil
III. Bedarfsorientierung
IV. Häufige Fehler: Ergebnisorientierung statt Gutachtenstil
1. Wertung statt Schlussfolgerung
2. Fremd- und Eigenmeinung nicht trennbar
Einleitung
Gerade durch das Pflegestärkungsgesetz hat die unabhängige Pflegeberatung einen größeren Stellenwert als jemals zuvor erreicht. Beratende Berufe in der Pflege befinden sich durch die Neuregelung in einem Spannungsfeld zwischen neutraler Begutachtung und einfühlsamer Anspruchsdurchsetzung für ihre Klienten. Auch in einem Beratungskontext wird in Fach- und Weiterbildungen erwartet, Grundzüge der Pflegebegutachtung, zumindest im Bereich der Pflegeeinstufung, zu beherrschen.
In jahrzehntelanger Dozententätigkeit, auch schon zu Zeiten, als Pflegesachverständiger noch ein völlig neuer Berufsstand war, zeigte sich, dass Pflegebegutachtung auch in ihrer Methodik lehr- und lernbar ist, und die Erstellung von Gutachten nicht nur auf die Erfahrung des Sachverständigen und seine berufliche Fachkunde gestützt werden muss. Ganz besonders Gutachten, die dem Gericht als Beweismittel des Strengbeweises nutzen sollen, sind für das Gericht nachvollziehbar aufzubereiten. Ähnliches gilt in einem Beratungskontext, um dem Klienten eine Entscheidungsgrundlage zu bieten. Hierfür gibt es einige Aufbautechniken, methodische Besonderheiten und sprachliche Hinweise, die es dem angehenden Pflegesachverständigen leichter machen, sich angemessen schriftlich wie mündlich bei Gericht und gegenüber Privatauftraggebern zu präsentieren.
In dieser Arbeit wird daher pflegefachliches Fachwissen zwar in einem Kapitel erwähnt werden, wesentlich ist jedoch die Rechtstellung des gerichtlich bestellten Sachverständigen, des Privatsachverständigen, die Methodik der Gutachtenerstellung und Handlungsanleitungen für den Sachverständigen.
Die vorliegende Publikation soll dem Leser ermöglichen nach der Lektüre sorgfaltsgerecht die Bedeutung der Gutachten aus den beiden wichtigen Bereichen der Pflege (Pflegeeinstufung und Pflegehaftung) zu erkennen und seine berufliche Stellung zu wahren. Der Leser soll weiterhin in der Lage sein, ein Gutachten unternehmerisch und kostentechnisch zu beurteilen.
Pflegebegutachtung findet aufgrund der Vielfalt ihrer potentiellen Anwender in einem sehr heterogenen Berufsfeld statt, dem aber gemeinsam ist, dass der Sprung vom praktischen Pflegealltag in die Autorenschaft eines Gutachtens, auch hinsichtlich der Sprachebene gelingen soll.
Derzeit gültige Weiterbildungsrichtlinien bilden diesen Bedarf angehender Sachverständiger und Gutachter, schon allein wegen des geringen Stundenkontingents nicht ab.
Deshalb ist diese Publikation auch für diejenigen bestimmt, die nicht bei Gericht auftreten aber behörden- oder hausintern pflegefachliche Einschätzungen abzugeben haben. (z. B. Landratsamt, Heimaufsicht, MdK, Pflegekassen, Gesundheitsamt, Versicherungswirtschaft, Pflegeberater, Case-Manager, Überleitungsfachkräfte im Krankenhaus, die ihren Klienten weiterhelfen, und hierfür einen Ansatz von gutachterlicher Kompetenz brauchen, Sachbearbeiter der Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, all diejenigen, die „plötzlich“ mit Pflege zu tun haben).
Vom Sachverständigen wird regelmäßig erwartet, eine Bedarfsprognose zu erstellen oder aber komplexe medizinische und pflegerische Zusammenhänge zu erläutern. Er vermittelt dem Gericht oder dem Klienten Sachkunde über genau diese Zusammenhänge. Er muss also in der Lage sein, sprachlich und fachlich Kausalzusammenhänge zu erkennen und so darzustellen, dass sie einer juristischen Beurteilung oder biographischen Entscheidung zugänglich werden.
Keinesfalls banal sind in diesem Zusammenhang Themenstellungen wie effizientes Aktenstudium, Dokumentenmanagement, Datensicherheit und ein besonderer Blickwinkel für relevante Informationen.
Der Sachverständige
Teil 1: Das Berufsbild des Pflegsachverständigen
A. Begriff des Sachverständigen
I. Abgrenzungsfragen im System der Beweismittel
1. Der Zeuge
Die Behauptung von Tatsachen, die unter den Parteien strittig sind und die für eine richterliche Entscheidung bedeutsam sind, bedürfen des Beweises, das heißt dem Richter muss die Überzeugung verschafft werden, dass die Behauptung richtig. Ein wichtiges Beweismittel hierbei ist der Zeugenbeweis.
Gegenstand des Zeugenbeweises sind Wahrnehmungen über vergangene Tatsachen und Zustände. Als die Person, die dabei war, sagt der Zeuge über seine konkrete Wahrnehmungen aus. Er kann insoweit nicht durch beliebige andere Personen ersetzt werden. Der Zeuge hat auf Ladung des Gerichts vor Gericht zu erscheinen, eine Aussage zu machen und gegebenenfalls die Aussage mit Eid zu bekräftigen. Zeuge kann nicht sein, wer im Prozess Partei, als Kläger oder Beklagter ist. Der Zeuge ist nicht durch eine andere Person beliebig austauschbar .
2. Der sachverständige Zeuge
Der sachverständige Zeuge, dessen Stellung im § 414 ZPO geregelt ist, ist eine Person, die über die Wahrnehmung vergangener Tatsachen berichtet und daraus Schlüsse zieht. Die Besonderheit dieses Beweismittels liegt darin, dass er über vergangene Tatsachen und Zustände berichtet, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde notwendig ist.
Beispielsweise kommt als sachverständiger Zeuge ein Arzt in Betracht, der über früher bei der Untersuchung festgestellte Krankheitssymptome berichtet und daraus Schlüsse auf Ursache und Wirkung der Erkrankung zieht.
3. Der Sachverständige
Der Sachverständige vermittelt dem Richter Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen. Außerdem stellt er, soweit dazu eine besondere Sachkunde erforderlich ist, Tatsachen fest und zieht im Wege der Wertung aus den zugrunde zu legenden Tatsachen in Anwendung seines Fachwissens konkrete Schlussfolgerungen.
Ein Sachverständiger ist allgemein eine natürliche Person, die auf einem abgrenzbaren Gebiet der Geistes- oder Naturwissenschaften, der Technik, der Wirtschaft, der Kunst oder einem sonstigen Bereich überdurchschnittliche Kenntnisse und Erfahrungen hat und diese besondere Sachkunde jedermann auf Anfrage persönlich, unabhängig, unparteilich und objektiv zur Verfügung stellt.
Ein gerichtlicher Sachverständiger ist diejenige Person, deren Ausführungen im Einzelfall als prozessual zulässiges Beweismittel vom Richter zur Entscheidung in einem gerichtlichen Verfahren herangezogen wird.
4. Sonstige Beweismittel
Im zivilgerichtlichen Verfahren sind außer den bereits genannten Beweismitteln Zeuge und Sachverständiger noch folgende Beweismittel möglich: Augenschein, Urkunden und die Parteivernahme.
Durch Augenschein wird ein Gegenstand betrachtet, dessen Vorhandensein eine Tatsache beweisen kann. Dies kann z.B. ein Gebäude sein, wobei dann die Augenscheinnahme dorthin verlegt werden muss, möglich ist aber auch ein beweglicher Gegenstand, der im Gerichtssaal bei der Verhandlung in Augenschein genommen werden kann.
Das Gericht kann auch anordnen, dass bei der Einnahme des Augenscheins ein Sachverständiger zuzuziehen ist.
Zu unterscheiden hiervon ist der Urkundsbeweis, bei dem Gericht auch ein Gegenstand, nämlich das Blatt Papier, aus dem die Urkunde besteht, vorgelegt wird.
Anders als beim Augenschein geht es bei der Urkunde aber nicht um den Gegenstand selbst, sondern um den Inhalt, den die Urkunde ausdrückt.
Eine Urkunde im Sinne der ZPO ist „die Verkörperung einer Gedankenäußerung in Schriftzeichen“. Es kommt also allein darauf an, was auf dem Blatt Papier geschrieben steht.
Es gibt öffentliche Urkunden, also solche von staatlichen Gewaltträgern wie den Behörden oder Gerichten und private Urkunden, die nur dann Beweiskraft entfalten, wenn sie von den jeweiligen Ausstellern unterschrieben worden ist.
Schließlich gibt es noch die Parteivernahme, also die Vernehmung des Gegners über die zu beweisende Tatsache. Ein Anspruch darauf, den Gegner zu hören, hat man allerdings nicht. Wenn sich dieser weigert, vernommen zu werden, dann entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung der Gründe, die für die Weigerung vorgebracht wurden, ob der Gegner vernommen wird oder nicht.
Es ist auch eine Vernehmung der beweispflichtigen Partei möglich, aber nur dann, wenn der Gegner damit einverstanden ist. Die Vernehmung einer Partei muss vom Gericht durch Beweisbeschluss angeordnet werden.
5. Abgrenzung Beweis: Parteivorbringen, Parteieinvernahme, Sachvortrag
Von der oben beschriebenen Parteivernahme sind abzugrenzen das Parteivorbringen sowie der Sachvortrag.
Der Sachvortrag umfasst das Vorbringen des gesamten tatsächlichen Geschehens, also wodurch der Anspruch entstanden ist, seit wann er besteht, warum er durchsetzbar ist und ähnliches.
Dieser Sachvortrag, auf den sich der begehrte Anspruch stützt, muss durch (die oben genannten Arten von) Beweise belegt werden.
Das bedeutet, eine Tatsache im Sachvortrag gilt als wahr, wenn der Gegner dieser nicht widerspricht. Tut er dies aber, so muss die Tatsache mit Beweisen belegt werden, damit sie vor Gericht anerkannt wird.
Erst wenn sämtliche für den Anspruch relevanten Tatsachen anerkannt oder bewiesen sind, hat die Klage und damit der Anspruch Erfolg.
Das Parteivorbringen ist derjenige Sachvortrag, der von einer Partei dargelegt wird.
Eine Partei wird immer nur die für sie vorteilhaften Tatsachen darlegen, so dass oftmals zwei verschiedene sich gegenseitig widersprechende Sachvorträge von den beiden Parteien dem Gericht vorliegen.
Beweispflichtig für die im Sachvortrag behaupteten Tatsachen ist jeweils die Partei, für die diese vorteilhaft ist, also der Kläger, wenn die Tatsache den Anspruch stützt und der Beklagte, wenn die Tatsache den Anspruch zunichtemacht oder erschwert.
II. Umgang mit dem Wissen des Sachverständigen durch das Gericht
1. Freibeweis und Strengbeweis
Grundsätzlich gilt im Zivilverfahren der Strengbeweis, das heißt, nur die oben genannten Beweismittel Zeuge, Sachverständiger, Augenschein, Urkunde und Parteivernahme sind als solche zulässig. Ein Beweis in anderer Form ist nicht möglich.
Im Unterschied dazu gibt es den Freibeweis, bei dem jedweder mögliche Beweis als solcher anerkannt wird, wenn dieser die volle Überzeugung des Gerichts zum Nachweis der Tatsache erbringt.
Ein Freibeweis ist aber nur in ganz bestimmten Situationen zulässig, oder wenn das Gesetz diesen ausdrücklich zulässt, z.B. bei der Feststellung ausländischen Rechts oder für die Prozess- und Rechtszugvoraussetzungen.
2. Amtsermittlung und Beibringungsgrundsatz
Im Zivilverfahren gilt der Beibringungsgrundsatz, das bedeutet, das Gericht darf nur diejenigen Tatsachen verwenden, die von den Parteien vorgetragen wurden. Wenn also eine Tatsache erwiesenermaßen falsch ist, dann gilt sie vor Gericht als richtig, wenn beide Parteien die Richtigkeit dieser Tatsache vortragen.
Das Gericht ist also an die Darlegungen der Parteien gebunden und auch darauf beschränkt.
Anders ist es beim Amtsermittlungsgrundsatz, der bei den Verwaltungs- und Sozialgerichten gilt. Hier darf und muss das Gericht den gesamten zur Entscheidung erforderlichen Sachverhalt von Amts wegen ermitteln. Es kann demnach unabhängig vom Vorbringen der Parteien selbst Beweise einfordern und auch einvernehmliches Parteivorbringen nicht beachten, wenn dessen Unrichtigkeit feststeht.
Das Gericht hat hier eine sehr viel weitere Prüfungskompetenz und auch –pflicht. Der Grund hierfür liegt darin, dass bei den Zivilverfahren Bürger gegen Bürger streitet, also ein Streit auf gleicher Ebene.
Bei Verwaltungs- und Sozialsachen streitet aber der Bürger gegen eine Behörde, also staatliche Gewalt. Da hier im Kräfteverhältnis ein Ungleichgewicht herrscht, muss dem Bürger vonseiten des Gerichts geholfen werden. Dies wird unter anderem durch den Amtsermittlungsgrundsatz zum Ausdruck gebracht.
3. Grundsätze der Beweiswürdigung
a) Denkgesetze der Logik
Die Beweisangebote der Parteien müssen vom Gericht gewürdigt werden. Das bedeutet, das Gericht muss nach logisch nachvollziehbaren Gesichtspunkten die dargebrachten Beweise würdigen.
Es liegt also im Ermessen des Gerichts, ob es den Beweisen Glauben schenkt oder nicht. Wenn es dies nicht tut, muss es aber genau erläutern, warum es dem Beweis keinen Glauben schenkt, z.B. warum die Aussage des Zeugen dem Gericht nicht wahr erscheint.
b) Indiz/Beweis: Abgrenzung
Ein Beweis hat die Aufgabe, eine Tatsache zu beweisen, also ihre Wahrheit zu bestätigen. Im Gegensatz dazu kann ein Indiz nur einen Hinweis darauf geben, dass eine bestimmte Tatsache wahr sein könnte oder wahrscheinlich wahr ist.
Wenn also ein Beweis als wahr angesehen wird, dann wird auch die dadurch bewiesene Tatsache als wahr angesehen. Wird aber ein Indiz als wahr angesehen, hat dies nicht automatisch zur Folge, dass auch die Tatsache, auf die durch das Indiz hingewiesen wird, als wahr angesehen wird.
Vielmehr wird dadurch lediglich dem Gegner erschwert, die Tatsache zu widerlegen, ihn trifft also eine substantiiertere Bestreitenspflicht, er muss darlegen, warum die behauptete Tatsache trotz des Indizes nicht zutrifft.
Ein Beispiel für das Indiz und den Beweis des ersten Anscheins: findet sich in BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 13.12.2001, B 3 KR 11/01 R
Leitsätze
1. Der durch die Entscheidung des Krankenhausarztes begründete Anscheinsbeweis der Notwendigkeit und Dauer einer bestimmten Krankenhausbehandlung kann nicht dadurch erschüttert werden, dass die Krankenkasse auf eine statistisch festgestellte allgemeine Überschreitung der durchschnittlichen Verweildauer verweist.
2. Wird das zur Überprüfung der Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung vereinbarte Verfahren von der Krankenkasse nicht eingehalten, ist sie nach Fälligkeit der Krankenhausforderung nicht mehr berechtigt, die Unwirtschaftlichkeit der Behandlung geltend zu machen; eine gerichtliche Sachaufklärung der Behandlungsnotwendigkeit findet nicht mehr statt.
c) Transparenzgebot in den Urteilsgründen
In den Gründen des Urteils, die zusammen mit dem Tenor (der eigentlichen Entscheidung) und dem Sachverhalt (aus Sicht des Gerichts) schriftlich verfasst werden, muss auch die Beweiswürdigung dargelegt werden.
Sie müssen also die Begründung enthalten, warum ein Beweis für glaubhaft gehalten wird, dies kann meist sehr kurz geschehen, z.B.: „Das Gericht hält die Aussage des Zeugen X für glaubhaft/den Zeugen X für glaubwürdig, weil…“
Wenn das Gericht einem angebotenen Beweis keinen Glauben schenkt, muss die Begründung dafür sehr viel ausführlicher ausfallen, z.B.: „Der Urkunde ..kann keine Beweiskraft zukommen, da sie vom Aussteller nicht unterschrieben wurde und der Beweisführer nicht anderweitig die Echtheit der Urkunde darlegen konnte.“
III. Umgang mit dem Wissen des Sachverständigen durch die Parteien
1. Sachvortrag und Darlegungspflicht (substantiiert)
Die Parteien können den Inhalt des Gutachtens des Sachverständigen oder seiner Aussage zum Beweis für eine Tatsache heranziehen, für die sie beweispflichtig sind.
Dies stellt dann grundsätzlich eine substantiierte (ausführliche, gut belegte) Beweisführung dar.
Diese Tatsache gilt dann erst einmal als wahr. Der Gegner kann diesen Beweis selbst nur substantiiert bestreiten, also durch genaue und explizite Darlegungen widerlegen.
Er muss z.B. bei einem Sachverständigengutachten erläutern, warum der Schluss, zu dem der Sachverständige gekommen ist, nicht richtig ist, oder warum der Sachverständige nicht neutral war bei seinem Gutachten (dies geschieht meist anhand der Formulierungen, die im Gutachten verwendet wurden, z.B. wenn im Gutachten steht: „ Ich bin der Meinung, der Begutachtete ist ein Simulant.“).
2. Formen des Bestreitens
Eine behauptete Tatsache ohne angebotenen Beweis kann einfach bestritten werden, z.B. durch den Satz: „Die behauptete Tatsache ... wird (mit Nichtwissen) bestritten.“
Dann ist der Beweisführer für die Tatsache beweispflichtig, er muss also einen Beweis für die Richtigkeit der behaupteten Tatsache anbieten.
Dies kann auch ein Sachverständigengutachten sein. Wenn nun der Sachverständige in seinem Gutachten zu dem Ergebnis kommt, die behauptete Tatsache trifft zu, dann gilt diese als bewiesen.
Der Gegner kann sie nun nur noch durch einen Gegenbeweis ihrer Beweiskraft berauben. Dieser Gegenbeweis muss dann aber detailliert und substantiiert vorgetragen werden, s. oben.
3. Beweisangebote und Beweisantritte
Ein Beweisangebot kann jede Partei machen für eine Tatsache, die für sie vorteilhaft ist.
Für gewöhnlich werden solche Angebote bereits mit der Begründung der Klageschrift gemacht. Zu diesem Zeitpunkt ist die Einholung des Beweises aber noch nicht nötig.
Erst wenn der Gegner die behauptete Tatsache bestreitet, muss von der beweispflichtigen Partei der Beweis angetreten werden. Dies ist aber auch nur dann der Fall, wenn die vorgebrachte Tatsache für den Anspruch überhaupt notwendig ist. Ist dies nicht der Fall, findet trotz Angebots und Bestreitens kein Beweisantritt statt, da ein solcher Beweis für die Entscheidung des Gerichts unerheblich wäre und somit überflüssig ist.
4. Beweislastverteilung und „non liquet“
Wie bereits weiter oben dargelegt, trägt die Beweislast immer die Partei, für die die zu beweisende Tatsache günstig ist. Zunächst genügt ein bloßes Darlegen im Sachvortrag. Wenn der Gegner nicht (einfach) bestreitet, gilt die Tatsache als erwiesen.
Wird die Behauptung vom Gegner aber bestritten, so ist ein Beweisantritt nötig, um die Tatsache nachzuweisen.
Dieser Beweis kann durch einen Gegenbeweis von der Gegenpartei erschüttert werden, womit dann die Tatsache wieder nicht bewiesen wäre. Es wäre auch möglich, dass das Gericht in der Beweiswürdigung dem Beweis keinen Glauben schenkt. Auch dadurch wäre die Tatsache nicht erwiesen.
Wenn aber keines von beiden vorliegt, dann gilt die Tatsache als bewiesen.
Immer wenn es strittig oder zweifelhaft ist, ob ein Beweis für eine Tatsache vorliegt oder ausreicht, zum Beispiel, wenn sowohl Beweis als auch Gegenbeweis glaubhaft sind, ist ein so genanntes „non liquet“ gegeben. Dies bedeutet: „es ist nicht klar“, also die Wahrheit über die behauptete Tatsache lässt sich nicht ermitteln.
In einem solchen Fall geht der Nicht-Nachweis der Tatsache zu Lasten der Partei, die die Tatsache behauptet hat, also wieder für denjenigen, für den der Nachweis der Tatsache vorteilhaft wäre.
IV. Folgerungen für das Berufsbild des Sachverständigen
1. Auftragserteilung und Auftragsumfang: Bedeutung des Beweisbeschlusses
Zumindest im Zivilprozess ist der Sachverständige streng an die Fragestellung im Beweisthema des Beweisbeschlusses gebunden. Da aber meist dem Gericht die entsprechende Sachkunde fehlt, kann das dem SV vorgegebene Beweisthema unter Umständen Lücken, Ungereimtheiten oder Unverständliches enthalten. In einem solchen Fall ist der SV verpflichtet, von sich aus das Gericht bzw. den Auftraggeber auf diese Mängel im Beweisthema aufmerksam zu machen und auf eine Ergänzung bzw. Richtigstellung desselben zu dringen (s. § 407a Abs. 3 S. 1 ZPO).
2. Selbstverständnis des Sachverständigen in seiner Funktion als Beweismittel
Der Sachverständige muss sein Gutachten bzw. seine Stellungnahme neutral und objektiv erstellen. Er darf sich nicht von persönlichen Gefühlen oder Aversionen leiten oder bloß beeinflussen lassen.
Der Sachverständige nimmt Stellung zu den ihm angetragenen Fragen und geht nicht über diese hinaus mit Ausnahme der oben beschriebenen Situationen. Er darf auch nur über sein Fachgebiet Stellung nehmen, jede weitergehende Äußerung würde über seine Sachverständigenkompetenz hinausgehen und ihn diesbezüglich auf die Stufe eines Zeugen herabsetzen, dessen Aussage wohl wenig bis keinen Wert hätte.
Er ist eine Möglichkeit, eine Tatsache zu beweisen und damit zugunsten oder zu Lasten einer Partei Stellung zu nehmen. Allerdings wird er vom Gericht ausgewählt und bestellt, um eine größtmögliche Objektivität zu gewährleisten.
Der Sachverständige ist also keiner der Parteien gegenüber verpflichtet, sondern allein dem Gericht gegenüber, um ein neutrales und wertfreies Gutachten zu erstellen bzw. eine solche Aussage zu tätigen.
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- Arbeit zitieren
- Dr. Anette Oberhauser (Autor:in), 2015, Pflegesachverständige und Beratungsberufe in der Pflege, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/312125
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