Wer sich mit zentralen Begriffen der römischen Elitenpflichten auseinandersetzt, wird notwendigerweise auf amicitia, beneficium und gratia stoßen. Besonders Plinius und Seneca sind relevant für dieses Feld und geben Aufschluss über den Gabentausch in der antiken Gesellschaft. Die Ideologie dahinter ist komplex und sehr ausdifferenziert, sodass der reziproke Austausch schon bei den genannten Autoren nicht einheitlich gebraucht wird. Während die Reziprozität für Seneca den Austausch zwischen Nicht-Verwandten ähnlichen Status' darstellt, findet sich dies bei Plinius durch alle sozialen Schichten hinweg (Bernstein 2013: 92; hierzu am Beispiel der caritas gegenüber Zosimus, Plinius 1968: 297ff).
Dieser Essay wird sich mit dem code of practice in Plinius' Briefen beschäftigen. Crook spricht von drei Arten der Reziprozität: der symmetrischen, zwischen Bürgern gleichen Ranges, des Weiteren von der asymmetrischen Reziprozität zwischen Personen ungleichen sozialen Status' und zuletzt von der negativen Reziprozität, bei der eine Ungleichverteilung das beneficium zwischen den Akteuren herrscht (Crook 2013: 66). Diese Ausarbeitung wird seinen Fokus auf die symmetrische Reziprozität legen, also die Gleichheit von Status und dem Wert der Gaben.
Ausgehend von den kurzen Ausführungen über die amicitia an sich wird im Folgenden der Gabentausch definiert. Im Anschluss daran sollen die Formen der amicitia und die Gründe, warum das beneficium solch eine Relevanz in der römischen Gesellschaft hatte, beleuchtet werden. Zum Schluss soll ein Bild der Reziprozität in Plinius' Briefen skizziert werden, welches die Relevanz der Gabe in der römischen Gesellschaft widerspiegelt.
„In short, the Romans could hardly conceive of friendship without reciprocal exchange“
(Saller 1982: 15)
Wer sich mit zentralen Begriffen der römischen Elitenpflichten auseinandersetzt, wird notwendigerweise auf amicitia, beneficium und gratia stoßen. Besonders Plinius und Seneca sind relevant für dieses Feld und geben Aufschluss über den Gabentausch in der antiken Gesellschaft. Die Ideologie dahinter ist komplex und sehr ausdifferenziert, sodass der reziproke Austausch schon bei den genannten Autoren nicht einheitlich gebraucht wird. Während die Reziprozität für Seneca den Austausch zwischen Nicht-Verwandten ähnlichen Status' darstellt, findet sich dies bei Plinius durch alle sozialen Schichten hinweg (Bernstein 2013: 92; hierzu am Beispiel der caritas gegenüber Zosimus, Plinius 1968: 297ff). Der Begriff amicus ist so weitreichend, dass für diesen erst eine Basisdefinition gefunden werden muss, von der aus die Reziprozität der römischen Gesellschaft bestimmt werden kann. Nach Saller ist der amicus ein vom sozialen Status unabhängiger Begriff, auch wenn sich dort wieder Unterteilungen in amicitiae inferiores und amicitiae minores bestimmen lassen (Saller 1982: 11). Im Ideal basierte eine amicitia auf Tugenden und nicht auf dem Nutzen, der aus einer Freundschaft gezogen werden könne. Des Weiteren war die amicitia Teil des Alltags, da es keine Trennung des öffentlichen und privaten Lebens der römischen Elite gab (Saller 1982: 13f;26). Die amicitia ist ein dynamischer Prozess intersubjektiver Handlungen und dementsprechend in absoluter Relation der Handlungen. Da nicht nur die amicitia, sondern auch das beneficium zum alltäglichen Leben gehört, ist der reziproke Austausch zwischen den Akteuren basal. Während sich für Crook amicitia und Reziprozität gegenseitig bedingen (Crook 2013: 70), spricht Saller von einer Manifestation im Term amicus ( Saller 1982: 24). Der Kern beider Definitionen besteht jedoch in der engen Verknüpfung zweier Freunde und deren Gabentausch. Bernstein fasst dies wie folgt zusammen: „Members of the Roman elite gave and received benefits according to a sophisticated code of practice“ (Bernstein 2013: 92).
Dieser Essay wird sich mit diesem code of practice in Plinius' Briefen beschäftigen. Crook spricht von drei Arten der Reziprozität: der symmetrischen, zwischen Bürgern gleichen Ranges, des Weiteren von der asymmetrischen Reziprozität zwischen Personen ungleichen sozialen Status' und zuletzt von der negativen Reziprozität, bei der eine Ungleichverteilung das beneficium zwischen den Akteuren herrscht (Crook 2013: 66). Diese Ausarbeitung wird seinen Fokus auf die symmetrische Reziprozität legen, also die Gleichheit von Status und dem Wert der Gaben.
Ausgehend von den kurzen Ausführungen über die amicitia an sich wird im Folgenden der Gabentausch definiert. Im Anschluss daran sollen die Formen der amicitia und die Gründe, warum das beneficium solch eine Relevanz in der römischen Gesellschaft hatte, beleuchtet werden. Zum Schluss soll ein Bild der Reziprozität in Plinius' Briefen skizziert werden, welches die Relevanz der Gabe in der römischen Gesellschaft widerspiegelt.
Der Begriff Gabentausch wurde in starkem Maße von Marcel Mauss' Werk Essai sur le don. Forme et raison de l'échange dans les sociétés archaïques geprägt. In diesem Essay soll nicht weiter auf Mauss' Ausführungen eingegangen werden, lediglich die Kerngedanken sind hilfreich für das Verständnis der Reziprozität.
„The originality of Mauss's analysis lay in his showing that these ritual gift practices implied three inseparable obligations: to give, to accept the gift, and to reciprocate it“ (Henaff 2013: 14)
Diese Gabe ist durch den Austauschakt obligatorisch und von Handelsgütern zu unterscheiden. Diese Immaterialität ist von Bedeutung, da auch Plinius' Ideal des Benefiz ohne finanziellen Austausch arbeitet (Bernstein 2013: 92f). Freunde sollen sich durch ihr Wesen ähnlich sein und dieselbe Vorzüge teilen. Plinius' Brief ep. 6,33 ist ein Beispiel für dieselben Vorlieben zweier Freunde (Plinius 1968: 369ff). Darin schildert Plinius Voconius Romanus die Ereignisse vor Gericht und preist sich wegen seiner Rede. Romanus scheint ihm hierfür ein geeigneter Adressat zu sein, da beide die Vorliebe für eine gelungene oratio teilen. Trotz der Selbstdarstellung Plinius' bittet er Romanus weder um eine Korrektur, noch um eine Reflexion der Rede, sondern lässt ihm diese aus reinem Interesse zukommen. Hinter dieser Geste verbirgt sich offenbar keine Intention, sondern lediglich die Teilhabe am Leben des Anderen. Diese Art der amicitia gibt es in der römischen Gesellschaft, doch ist, wie oben erwähnt, das beneficium Normalität unter Freunden. Das Gegenstück zur skizzierten innocentia aus ep. 6,33 ist komplizierter.
Wenn ein Freund einen Gefallen erweist, soll er in angemessener Weise und zur rechten Zeit wiedergegeben werden. Daraus ergibt sich jedoch eine paradoxe Situation: die amicitia basiert nicht auf einem Nutzen, da die Freundschaft um der ethischen Belohnung willen eine zu starke Nähe zur reinen utilitas der amicitia birgt, andererseits ist das Nicht-Erwidern eines beneficium dem Konzept der Reziprozität unwürdig (Saller 1982: 14; Bernstein 2013: 95). Die Erfüllung eines Gefallens für einen Freund ist also nur dann ehrenwert, wenn der Geber nicht auf eine
Erwiderung hofft, obwohl er weiß, dass er diese erhalten wird. Die Reziprozität, wie sie Saller an vielen Stellen nutzt, ist eine normative Struktur des intersubjektiven Handelns (oftmals wird der Begriff reciprocity ethic benutzt, welcher den Komplex des Gabentauschs als Determinante des gesellschaftlichen Lebens besser darstellt; Saller 1982: 15). Dieses weitreichende, ethische System wurde von der römischen Elite problemlos inkorporiert und im gesellschaftlichen Umgang angewandt. Die Arten des beneficium und der Zeitpunkt sind dabei nicht definiert. Plinius' Briefe zeigen die Bandbreite des beneficium, die geleistet werden, nicht nur für sich, sondern für den amicus, cliens oder libertus (Saller 1982: 25). Ep. 5,19 und die Briefreihe ep. 10,5/6/7 sind Beispiele für den beneficium, die Personen niederen sozialen Ranges geleistet werden sollen. Im ersten Beispiel schreibt Plinius seinem Freund Paulinus und bittet ihn, „liberti mei Zosimi“ bei sich auf seinen Gütern aufzunehmen (Plinius 1968: 297ff). Hierbei hebt Plinius die Eigenschaft Zosimus' hervor, die ihn nach außen hin ebenfalls stark repräsentieren soll: frugalitas (Plinius 1968: 297ff,9). Den materiellen Vorteil, den Plinius aus dieser Bitte erwarten kann, ist eher gering, weil Zosimus ein libertus ist, der ihm im Haus dient, aber bei der Förderung seiner Stellung nicht weiterhelfen kann. Nicols führt den entscheidenden Faktor hinsichtlich des patronus-cliens- Verhältnisses folgendermaßen aus: „[...] the motivating factor for the patron was primarily prestige“ (Nicols: 1980: 383). Plinius schreibt Paulinus, weil er in dem Ruf steht, sich um seine Diener kümmert. („Video, quam molliter tuos habeas“; Plinius 1968: 297,1) Durch diese scheinbar selbstlose Geste gegenüber Zosimus kann sich Plinius eine Reputation als humanitärer pater familias erwerben. Ein weiteres Beispiel für eine asymmetrische reziproke Handlung ist die Briefserie mit Kaiser Trajan (Ep. 10,5/6/7; Plinius 1968: 563ff). Darin erbittet Plinius zuerst die römische civitas für den peregrinischen Masseur Harpocras, welcher ihn während seiner Genesung in Ägypten kurierte. Das Konzept dieser Briefe ist geprägt von der gratia. Die bekundete Dankbarkeit und das geleistete beneficium binden Plinius eng an Trajan und verpflichten ihn zu Loyalität (Saller 1982: 35). Im Gegensatz zu Domitian ist Trajan ein amicus Plinius' und wird in seinen Briefen als optimus princeps dargestellt. Diese Form der positiven Fremddarstellung ist in gewisser Weise die reziproke Rückgabe des geleisteten Gefallens.
Nicols spricht von vier Kategorien der Patronage:
„There is the relationship between the patron and his libertus, between the patron and free-born individuals of lower social standing, the patronage acquired by the advocate (patronus causae), and the patronage of communities“ (Nicols 1980: 366).
Die ersten beiden Arten wurden bereits behandelt, kommen wir nun zur Form des
patronus causae. Plinius' advokarische Tätigkeiten sind ein Teilaspekt aus dem Spektrum der beneficium, die er einem amicus zur Verfügung stellen kann (Saller 1982: 29). Als Beispiel sei hier nur Ep. 4,17 genannt, in welchem Plinius seine Dienste als Anwalt der Tochter seines Patrons Corellius zur Verfügung stellt. (Plinius 1968: 235). Plinius ist in der Lage, mehr als nur seine juristischen Fähigkeiten anzubieten.
„Pliny's exchanges serve instead to promote his clients, reaffirm social ties, and provide publicly visible testimony to both his and his recipient's moral goodness“ (Bernstein 2013: 93).
Der kurze Brief des Plinius an Tacitus (ep. 9,14) soll hier nur als Illustration für die moralische Standhaftigkeit dienen, die Tacitus als Schreiber erreichen soll, da sein Werk der Nachwelt würdig ist (Plinius 1968: 517).
Bevor wir uns der Frage nach den beneficium unter Freunden widmen, sollen noch einige Anmerkungen zum schwierigen Verhältnis patronus-cliens fallen. Nach Saller folgt die Konstellation des Patrons mit seinem Protégé einer simplen Logik: Der Patron hilft seinem Schützling durch finanzielle Zuwendung und politische Förderung, während der Protégé nach dem Tod des patronus das Andenken der Familie und die Familie selbst schützt (Saller 1982: 27). Nach Crook wird hier jedoch ein Problem aufgeworfen: „People involved in a relationship of dependence cannot really be friends, for there is neither equality of status nor equality of exchange“ (Crook 2013: 72). Crook spricht zwar nicht im Kontext des Patrons und seines Klienten, dennoch verbirgt sich hinter dieser Problematisierung die Tatsache, dass amicitia nicht auf das patronus-cliens- Konzept zutrifft. Der Patron und sein Protégé folgen der utilitas und führen kein Verhältnis auf Basis der innocentia. In Plinius' Nachruf auf Verginius Rufus (ep. 2,1) spricht er von „ adfectum parentis“, aber der Begriff amicus taucht nicht auf (Plinius 1968: 67,7). Dennoch ist dieser Brief ein gutes Exempel für das Verhältnis von Patron und Protégé, denn Verginius Rufus lässt Plinius suffragatio zuteil werden, während sich Plinius der memoria („vivit enim vivetque semper“; Plinius 1968: 68,11) widmet.
Kommen wir nun zu den Freunden des Plinius. Hierbei wird nach folgendem Konzept operiert: „The exchange of gifts conversely refers to exchanges between status equals with the ability to reciprocate with something equally valuable“ (Crook 2013: 66). Es begegnen sich also Bürger gleichen sozialen Ranges und tauschen
Güter reziprok. Dieser Akt kann auch ohne beneficium stattfinden, wie sich aus der Briefserie ep. 7,7/8/15 entnehmen lässt (Plinius 1968: 385;397). Hierbei steht die gratia im Vordergrund, die zwischen Plinius, Priscus und Saturninus ausgetauscht wird. Dabei war Plinius das Medium, durch welches sich die letztgenannten Männer kennen- und einander schätzen lernten. Die gegenseitige Respektbekundung und das Entstehen einer amicitia zwischen Priscus und Saturninus entstand wohl ohne Kalkül, doch ist Plinius derjenige, welcher sich durch die Vermittlung in einer Position befindet, ein beneficium beider Männer zu erhalten. Die gratia ist gewissermaßen eine Vorstufe zum Gefallen, die Gabe der ersten Stufe.
Die bekanntesten Beispiele für die Erfüllung eines beneficium sind die Briefe ep. 1,14, ep. 2,13 und ep. 10,4. (Plinius 1968: 39ff; 99ff; 561ff). In ep. 1,14 vermittelt Plinius Minicius Acilianus als Ehemann an die Nichte Mauricus', welcher ihn um diesen Gefallen bat. Für diese Heiratsvermittlung bot Plinius Minicius Acilianus die Möglichkeit, in die Familie des Arulenus Rusticus zu gelangen, eines Konsul der domitianischen Ära, und somit im sozialen Rang aufzusteigen. Mauricus wird Plinius mit der Intention angeschrieben haben, einen Ehemann zu finden, den Plinius mit seiner Einschätzung als würdig empfindet. Minicius Acilianus wird von ihm mit denselben Attributen beschrieben, die auch er an sich selbst schätzt: frugalitas und rusticitas (in dieser Situation ist rusticitas positiv besetzt; Plinius 1968: 38,4). Mauricus erwartet also einen Ehemann für seine Nichte, der dieselbe severitas pflegt wie Plinius. Diese doch überaus wichtige beneficium, die hier erwiesen wird, trifft auf die in der Einleitung entworfene Definition der amicitia zu. Plinius verbessert den sozialen Rang und den Ruf seines Freundes Minicius Acilianus durch die Vermittlung. Dieser Akt ist kein käuflicher, da bei der Suche nach einem geeigneten Ehemann ein Urteil von Nöten ist, welches Geld nicht kaufen kann. Mauricus scheint das Wesen Plinius' zu schätzen und auf sein Urteil zu vertrauen, der amicus ist dementsprechend ähnlichen Charakters. Dieses beneficium, der Minicius Acilianus zuteil wird, wird in angemessener Weise reziprok zurückgezahlt, indem er Plinius einen Teil seines Vermögens vermacht (Plinius 1968: 105).
Ein weiteres und das wohl bekannteste Beispiel ist die amicitia zwischen Plinius und Voconius Romanus, welche seit ihrer Jugend miteinander verbunden sind. In ep. 10,4 (Plinius 1968: 561) bittet Plinius Kaiser Trajan um eine Förderung seines Freundes Voconius Romanus. Dieser hatte aufgrund juristischer Unklarheiten den Zugang zum Senatorenstand nicht erhalten können. Da diese Probleme jedoch behoben wurden, bittet Plinius Trajan, sich seiner anzunehmen und seinem amicus einen Gefallen zu erweisen. Wie wir später aus ep. 2,13 erfahren, belehnte Trajan Voconius Romanus mit dem ius trium liberorum (Plinius 1968: 98ff). Diese Auszeichnung, welche nur vom princeps verliehen werden konnte, war für den sozialen und politische Aufstieg äußerst wichtig und wurde nicht grundlos von Plinius in seinem Brief an Priscus erwähnt. In besagtem Brief preist Plinius Voconius Romanus stilistisch an, indem er sich selbst als arm an Freunden darstellt, verecundus, aber wenn er einen Freund hat, dann ist dies Voconius Romanus (Plinius 1968: 98,3). Seit ihrer Jugend verbindet sie eine enge Freundschaft und Plinius konnte sogar die eben erwähnte Förderung durch den princeps erzielen. Aus diesen Gründen bittet er Priscus, Voconius Romanus nach seinen Möglichkeiten im Militär zu fördern.
Die amicitia zwischen Plinius und Voconius Romanus wurde oben bereits in ep. 6,33 als Beispiel für eine Verbundenheit ohne utilitas genannt. Über Voconius Romanus ist nicht viel bekannt, lediglich, dass er ein Studienfreund Plinius' aus Hispania war. Jedoch wurden zahlreiche Briefe an ihn adressiert und Plinius setzte sich stark für seinen Freund ein. Sie teilten gemeinsame Interessen, beispielsweise die Vorliebe für eine kunstfertige oratio und Villenarchitektur. Diese amicitia lässt sich als die für Plinius ideale Form beschreiben, da die innocentia gering gehalten wurde und die Förderung aus Sympathie heraus entstand. Das beneficium, die Plinius aus dieser Freundschaft hätte ziehen können, wurde noch nicht angesprochen. Neben unter Anderem dem sozialen Aufstieg ist die Absicherung, die eine amicitia mit sich bringen kann., eine andere Form der Gabe (Saller 1982: 25). Diese Fasson bezieht sich auf Rückschläge, sei es finanzieller oder immaterieller Art, welche für die römische Elite nicht planbar waren. Nach Henaff sind ein Vertrag und eine Gabe antithetische Konzepte, welche miteinander nicht vereinbar sind (Henaff 2013: 18). Im Falle eines Unglücks können juristische Maßnahmen nicht greifen, da sich auf diese nicht vorbereitet wurde, aber das Netzwerk der Freunde, welches durch den code of practice der reziproken Ethik in einem dynamischen Wechselverhältnis mit dem Mitglied der römischen Elite steht, kann sich der Problematik annehmen und Abhilfe schaffen.
Wie sich anhand von Plinius' Briefen gezeigt hat, ist die Reziprozität eine komplexe Struktur, die fest in der römischen Gesellschaft verwurzelt ist. Die Gaben der Römer sind facettenreich und haben viele Funktionen. Sie können den sozialen Aufstieg eines Freundes fördern (ep. 2.13) oder die bereits geleistete Unterstützung eines ehemaligen patronus würdigen und seine memoria wahren (ep. 2,1). Der Aufbau einer Freundschaftsstruktur bedarf jedoch auch seiner Zeit und bildet sich langsam heraus, wie es der etwas inhaltsleere Briefwechsel zwischen Plinius, Saturninus und Priscus zeigt, welcher vorrangig aus der gegenseitigen Bekundung der gratia besteht und keinem anderen Zweck dient (ep. 7,7/8/15). Die Forderung oder Leistung eines beneficium ist jedoch keineswegs nur in direkter Form zu finden. Die mediatorische Funktion Plinius' in seinen Briefen zeugt von einer Gabe, die nicht nur direkt für bekannte Personen gedacht ist, sondern auch für den cliens oder amicus von Plinius, wie es die Briefe ep. 2,13, ep. 5,19 und die Briefserie ep. 10,5/6/7 zeigen. Das beneficium ist ein essentielles Element der römischen Gesellschaft und basiert auf einem wechselseitigen Verständnis, das ohne eine materielle Fasson die soziale Umwelt als dynamischen Raum intersubjektiver Kommunikation bereichert. Das reziproke Verhalten nach dem Erhalten einer Gabe eines amicus liegt in der Natur der Sache und ist für den Nehmer obligatorisch, da dies der Kern dieses code of practice ist, auf welchem die römische Gesellschaft basiert. Die Plinius-Briefe sind somit nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft, sondern geben durch die Aufdeckung der Mechanismen Einblick in die Funktionsweise selbiger.
Literaturverzeichnis
Primärquellen
Helmut Kasten (Hrsg.): Plinius: Briefe. Lateinisch-Deutsch (ed. von Helmut Kasten). München 1968.
Sekundärquellen
Zeba Crook: Fictive Kinship and Fictive Friendship in Greco-Roman Society. In: Michael L. Satlow (Hg.): The Gift in Antiquity. Malden 2013. 61-76. Marcel Henaff: Ceremonial Gift-Giving: The Lessons of Anthropology from Mauss and Beyond. In: Michael L. Satlow (Hg.): The Gift in Antiquity. Malden 2013. S. 12- 23.
John Nicols: Pliny and the Patronage of Communities. Hermes 108 (1980) 365385.
Richard P. Saller: Personal patronage under the early Empire. Cambridge 1982. Neil W. Bernstein: Ethics, Identity, and Community in Later Roman Declamation. Oxford 2013.
- Arbeit zitieren
- Maximilian Wilms (Autor:in), 2014, Reziprozität bei Plinius. Die römischen Elitenpflichten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311363
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