In diesem Essay soll die Frage erörtert werden, inwiefern sich der Umgang mit Sexualität in der Bundesrepublik Deutschland seit der Nachkriegszeit verändert hat und ob es zu einer Liberalisierung durch neuaufkommende Tendenzen in der Sexualerziehung und der Sexualaufklärung kam. Ein besonderer Fokus soll dabei auf die gesellschaftlichen Faktoren und Motive gelegt werden, die zu dieser Liberalisierung beigetragen haben.
Zunächst erscheint es sinnvoll, eine Definition und Einordnung der Begriffe Sexualerziehung und -aufklärung vorzunehmen. So stellt Sexualerziehung „die Praxis der kontinuierlichen und intendierten Einflussnahme auf die Entwicklung sexueller Motivationen, Ausdrucks- und Verhaltensformen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“ dar. Im Mittelpunkt der Sexualerziehung stehen somit intentional gelenkte Lernprozesse. Sexualaufklärung ist ein Teil der Sexualerziehung und bezeichnet die vorwiegend sachlichen Informationen über biologische Prozesse der Zeugung und Fortpflanzung, sowie Fakten und Zusammenhänge zu allen anderen Themen der menschlichen Sexualität. Meist handelt es sich dabei um ein einmaliges Geschehen, welches mehr oder weniger zielgruppenorientiert ist.
Während des NS-Regimes galt Sexualerziehung als „Privileg der Familienerziehung“ . Die gemeinsame Aufklärung vor der Klasse galt als „verfehlte Sexualpädagogik“ . Stattdessen wurde großen Wert auf das Wissen über Vererbungslehre, Rassenkunde, Rassenhygiene, Familienkunde und Bevölkerungspolitik gelegt, welches im Fach Biologie erteilt wurde und pflichtmäßiger Bestandteil von Abschlussprüfungen darstellte. Koch ist überzeugt, dass unter der Herrschaft der Nationalsozialisten „das Problembewußtsein für sexuelle Fragen auf den Stand des 19. Jahrhunderts zurückgeschraubt“ worden war.
In diesem Essay soll die Frage erörtert werden, inwiefern sich der Umgang mit Sexualität in der Bundesrepublik Deutschland seit der Nachkriegszeit verändert hat und ob es zu einer Liberalisierung durch neuaufkommende Tendenzen in der Sexualerziehung und der Sexualaufklärung kam. Ein besonderer Fokus soll dabei auf die gesellschaftlichen Faktoren und Motive gelegt werden, die zu dieser Liberalisierung beigetragen haben.
Zunächst erscheint es sinnvoll, eine Definition und Einordnung der Begriffe Sexualerziehung und -aufklärung vorzunehmen. So stellt Sexualerziehung „die Praxis der kontinuierlichen und intendierten Einflussnahme auf die Entwicklung sexueller Motivationen, Ausdrucks- und Verhaltensformen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“[1] dar. Im Mittelpunkt der Sexualerziehung stehen somit intentional gelenkte Lernprozesse.[2] Sexualaufklärung ist ein Teil der Sexualerziehung und bezeichnet die vorwiegend sachlichen Informationen über biologische Prozesse der Zeugung und Fortpflanzung, sowie Fakten und Zusammenhänge zu allen anderen Themen der menschlichen Sexualität.[3] Meist handelt es sich dabei um ein einmaliges Geschehen, welches mehr oder weniger zielgruppenorientiert ist.[4]
Während des NS-Regimes galt Sexualerziehung als „Privileg der Familienerziehung“[5]. Die gemeinsame Aufklärung vor der Klasse galt als „verfehlte Sexualpädagogik“[6]. Stattdessen wurde großen Wert auf das Wissen über Vererbungslehre, Rassenkunde, Rassenhygiene, Familienkunde und Bevölkerungspolitik gelegt, welches im Fach Biologie erteilt wurde und pflichtmäßiger Bestandteil von Abschlussprüfungen darstellte.[7] Koch ist überzeugt, dass unter der Herrschaft der Nationalsozialisten „das Problembewußtsein für sexuelle Fragen auf den Stand des 19. Jahrhunderts zurückgeschraubt“[8] worden war.
Zwar wurde das Thema Sexualität nach 1945 von den rassistischen Ideologien der Nationalsozialisten befreit, trotzdem blieb Sexualität ein Tabuthema.[9] Bei der Befragung von Zeitzeuginnen zum Thema Sexualität in den Nachkriegsjahren stellte Kral fest, dass mehrheitlich keine Aufklärung durch die Eltern aufgrund der Tabuisierung stattgefunden hatte.[10] Folglich herrschte überwiegend sexuelle Unaufgeklärtheit und Unwissenheit, sowie „ein generell empfundenes Peinlichkeits- und Schamgefühl gegenüber der Sexualität“[11]. Insgesamt können die ersten Nachkriegsjahre als eine Zeit der Unterdrückung sexueller Bedürfnisse angesehen werden. Resultierend aus diesem repressiven Umgang mit Sexualität hatten sexuelle Themen oder Probleme in der Schule keinen Platz.[12] Allerdings veröffentlichten selbsternannte Sexualaufklärer wie Pastoren, Priester, Ärzte sowie Lehrer zahllose Broschüren und Kleinschriften und erreichten damit Millionenauflagen, obwohl sie sich inhaltlich und methodisch hinsichtlich der Aufklärung an Modellen des 18. Jahrhunderts bedienten.[13] Laut Koch waren die meisten der sexualpädagogischen Aufklärungsschriften bis in die 60er Jahre hinein christlicher Herkunft und somit identisch mit den sexualmoralischen Praxistheorien, die sie als allgemeingültige sexualmoralische Werte ausgaben.[14] Durch diese Schriften versuchten die kirchlichen Instanzen bis in die 70er Jahre das überlieferte Sexualtabu, das bereits in den 60er Jahren erste Risse bekam, so lange wie möglich aufrecht zu erhalten.
Herzog wertet den Sexualkonservatismus der 50er Jahre als eine Reaktion auf die Sexualpolitik des Nationalsozialismus, die entgegen der gängigen Meinung zumindest für die arische Bevölkerung einen „sexuell befreienden Charakter“[15] hatte. Vielmehr haben die Nationalsozialisten sexuelle Freizügigkeit gefördert und diese sexuelle „Unmoral“ sei sogar untrennbar mit den begangenen barbarischen Taten verbunden.[16] Demzufolge geht sie davon aus, dass die deutsche Gesellschaft Sittlichkeit deswegen eine enorme Wichtigkeit zuschrieb, um sich nicht (öffentlich) mit der eigenen Verantwortung für die Kriegsverbrechen auseinandersetzen zu müssen.[17] Folglich waren „der sexuelle Konservatismus und der moralische Konformismus“[18] der 50er Jahre eine Gegenreaktion auf die lockeren Sitten des Dritten Reiches gewesen. Allerdings habe die Protestgeneration von 1968 irrtümlicherweise in der sexuell-konservativen Nachkriegsgesellschaft die Fortsetzung einer familienbetonten und sexualfeindlichen Politik des NS-Regimes gesehen, außer Acht lassend, dass sich diese als Gegenreaktion zum Nationalsozialismus entwickelt hatte.[19] Infolgedessen verstanden sie die sogenannte „sexuelle Revolution“ als Aufbegehren gegen die NS-Sexualmoral.
Es handelt sich um eine weit verbreitete Annahme, dass sich in den Nachkriegsjahren eine scharfe Trennung von zwei Phasen vollzog und die lange repressive Phase erst durch die sozialen Veränderungen im Jahr 1968, das als Auftakt für Liberalisierung und sexuelle Befreiung und den Beginn einer aufgeklärten toleranten Gesellschaft betrachtet wird, beendet wurde.[20] Stattdessen nennt Steinbacher die Vorstellung von den prüden 50er Jahre und den wilden 60er ein Klischee.[21] Es handelt sich sogar um einen Trugschluss zu glauben, die 50er Jahre seien „muffig und verklemmt“ und „eine Epoche der Prüderie und Lustfeindlichkeit“[22] gewesen. Stattdessen war Sexualität ein großes Thema in politischen wie sozialen Diskussionen.[23] Überdies hinaus entwickelte sich Sexualität aufgrund der Veränderung der deutschen Gesellschaft zu einer Konsum- und Mediengesellschaft zu „einem Terrain gesellschaftlicher Selbstthematisierung“[24]. Als Gründe für die öffentliche Thematisierung von Sexualität nennt Steinbacher das verstärkte Aufkommen der (Print-)Medien, die Amerikanisierung und die Ausbreitung der Populärkultur in den Nachkriegsjahren.[25] An dieser Stelle müssen die zwischen 1948 und 1953 veröffentlichten Berichte über das Sexualverhalten amerikanischer Bürger des Sexualforscher Alfred Charles Kinsey erwähnt werden, die auch in Deutschland Beachtung fanden. Außerdem die 1956 zum ersten Mal erschienene Jugendzeitschrift BRAVO, in deren Ratgeberkolumne zunächst Leserbriefe zu den Themen Liebe und Beziehung beantwortet wurden und später das Thema der sexuellen Aufklärung durch Dr. Jochen Sommer (das Pseudonym für den Arzt und Psychotherapeuten Dr. Martin Goldstein) immer mehr in den Fokus rückte.[26] Sowie der Journalist Oswalt Kolle, der in den 60er und 70er Jahren Aufklärungsbücher und –filme herausbrachte, die von einem breiten (erwachsenen) Publikum konsumiert wurden. Ebenfalls entgegen der gängigen Meinung, dass das Thema Sexualität nur einem bürgerlichen Fachpublikum zugänglich war, entdeckte zu Beginn der 50er Jahre die Erotikindustrie das Bedürfnis der breiten Bevölkerungsschicht nach sexueller Aufklärung als Marktlücke.[27] An dieser Stelle sei Beate Uhse als eine der zentralen Figuren zu erwähnen, die zunächst lediglich ihr Wissen über Geburtenkontrolle an andere Frauen weitergeben wollte, später Präservative durch einen Versandhandel vertrieb und 1962 das erste „Fachgeschäft für Ehehygiene“ eröffnete.[28]
[...]
[1] Sielert, Uwe: Einführung in die Sexualpädagogik, Weinheim und Basel 2005, S. 15.
[2] Ebd.
[3] Schröder Achim: Die Illusion der Sexualaufklärung, in: Funk, Heide/ Lenz, Karl (Hg.): Sexualitäten. Diskurse und Handlungsmuster im Wandel, Weinheim 2005, S. 352.
[4] Sielert, S. 15.
[5] Koch, Friedrich: Zur Geschichte der Sexualpädagogik, in: Schmidt, Renate-Berenike: Handbuch Sexualpädagogik und sexuelle Bildung, Weinheim 2013, S. 30.
[6] Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt (1934), 25. Jg., Berlin. S. 173.
[7] Koch, S. 30.
[8] Koch, Friedrich: Sexualität, Erziehung und Gesellschaft. Von der geschlechtlichen Unterweisung zur emanzipatorischen Sexualpädagogik, Frankfurt am Main 2000, S. 175.
[9] Koch: Zur Geschichte der Sexualpädagogik, S. 30.
[10] Kral, Silke: Brennpunkt Familie: 1945 bis 1965. Sexualität, Abtreibungen und Vergewaltigungen im Spannungsfeld zwischen Intimität und Öffentlichkeit, Marburg 2004, S. 48.
[11] Ebd.
[12] Koch: Zur Geschichte der Sexualpädagogik, S. 31.
[13] Koch: Sexualität, Erziehung und Gesellschaft , S. 176.
[14] Koch, Friedrich: Negative und positive Sexualerziehung. Eine Analyse katholischer, evangelischer und überkonfessioneller Aufklärungsschriften, Heidelberg 1971.
[15] Herzog, Dagmar: Die Politisierung der Lust: Sexualität in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, München 2005, S. 11.
[16] Ebd.
[17] Ebd.
[18] Ebd., S. 10.
[19] Ebd., S. 11.
[20] Steinbacher, Sybille: Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik, München 2011, S. 10.
[21] Ebd.
[22] Ebd., S. 7.
[23] Ebd.
[24] Ebd.
[25] Ebd., S. 11.
[26] Sauerteig, Lutz: Die Herstellung des sexuellen und erotischen Körpers in der westdeutschen Jugendzeitschrift BRAVO in 1960er und 1970er Jahren, in: Medizinhistorisches Journal, 42 (2007) 2, S. 143ff.
[27] Kral, S. 55.
[28] Ebd.
- Quote paper
- Daria Poklad (Author), 2015, Sexualerziehung und -aufklärung in der Bundesrepublik Deutschland im Wandel nach 1945, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310863
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