Indem die Schülerinnen und Schüler den fiktiven Brief eines Klosterschülers im Mittelalter zusammenfassen und der dort geschilderten Situation ihren eigenen Schulalltag gegenüberstellen, erkennen sie zentrale Charakteristika mittelalterlicher Bildungs- und Erziehungspraxen. Sie erweitern ihre historische Sachkompetenz.
[...]
Die Auseinandersetzung mit „Lebenswelten in der Ständegesellschaft“ im Mittelalter ist – im Rahmen der durch den KLP G8 festgesetzten Obligatorik des Geschichtsunterrichts in der Orientierungsstufe – Teil des 4. Inhaltsfelds „Europa im Mittelalter“.
Die Unterrichtsstunde greift sich aus diesem Inhaltsfeld das Kloster als Teil mittelalterlicher Lebenswelten heraus und thematisiert diesen unter dem Aspekt von Erziehung und Bildung. Dieser Aspekt wurde gewählt, da er den SuS Möglichkeiten zur Perspektivübernahme sowie zum Vergleich mit ihrer eigenen schulischen Lebenswelt bietet. Indem die SuS sich in die Lage eines Klosterschülers hineinversetzen und mit ihrer eigenen Situation vergleichen, lernen sie nicht nur die Eigenarten einer mittelalterlichen Klosterschule kennen, sondern können auf dieser Basis (in Ansätzen) Bildungschancen und Möglichkeitsspielräume von Kindern im Mittelalter reflektieren. Der Zugewinn an Sachwissen soll auf dieser Weise zumindest Perspektiven für die Bildung eines historischen Werturteils eröffnen.
Thema der Unterrichtsstunde:
Erziehung und Bildung in der mittelalterlichen Klosterschule – Zwang oder Privileg?
Kernanliegen der Stunde:
Indem die Schülerinnen und Schüler den fiktiven Brief eines Klosterschülers im Mittelalter zusammenfassen und der dort geschilderten Situation ihren eigenen Schulalltag gegenüberstellen, erkennen sie zentrale Charakteristika mittelalterlicher Bildungs- und Erziehungspraxen. Sie erweitern ihre historische Sachkompetenz.
Die Stunde leistet einen Beitrag zum längerfristigen Aufbau folgender Kompe-tenzen:
Sachkompetenz: Die SuS
- beschreiben wichtige Gruppen in den jeweiligen Gesellschaften, ihre Funktionen, Rollen und Handlungsmöglichkeiten.
- nehmen einfache Vergleiche zwischen „früher“ und „heute“ sachgerecht vor.
Methodenkompetenz: Die SuS
- beschreiben in Bildquellen Einzelheiten, stellen deren Zusammenhänge dar und erklären ansatzweise, welche Wirkung die Darstellung hat.
- entnehmen gezielt Informationen aus Texten niedriger Strukturiertheit und benennen in elementarer Form die Hauptgedanken eines Textes.
Urteilskompetenz: Die SuS
- vollziehen Motive, Bedürfnisse und Interessen von betroffenen Personen und Gruppen nach (Fremdverstehen).
I) Darstellung der längerfristigen Unterrichtszusammenhänge
I) 1. Lernausgangslage
Lerngruppe ist eine 6. Klasse, die ich bereits aus meinem BdU im Fach Musik recht gut kenne und seit Anfang März auch im Rahmen meines Geschichts-Ausbildungsunterrichts als interessiert, lernwillig und leistungsstark erlebt habe. Aus Gründen der Seminarorganisation konnte ich nur eine von zwei Wochenstunden besuchen.
Die Lerngruppe ist mit den zentralen Methoden der Stunde bereits in Grundzügen vertraut. Die Bildbeschreibung im Einstieg muss bzw. darf zu Beginn aber stark gelenkt werden, da hier nicht die Methodenkompetenz im Fokus stehen soll. Vielmehr soll das Augenmerk auf die Situation des Jungen auf dem Bild gelenkt werden, so dass für die SuS ein Anlass entsteht, sich mit der Problematik dieser Situation auseinanderzusetzen.
Die SuS können auch bereits recht sicher Texten aspektgeleitet relevante Informationen entnehmen. Auch konnte ich feststellen, dass sie insgesamt durchaus effektiv in Paaren zusammenarbeiten können.
Fiktive Quellen kamen im Reihenverlauf bereits vor, doch sollte beim Vorlesen des Arbeitsauftrags kurz darauf hingewiesen werden, was damit gemeint ist.
In der Klasse ist ein Schüler mit dem Förderschwerpunkt Hören: Mithilfe seines starken Hörgeräts und aufgrund seiner guten Fähigkeit zum Lippenlesen gestaltet sich der unterrichtliche Umgang meist unproblematisch – er ist einer der besten Schüler in der Klasse.
Zu Beginn des Halbjahres ist ein Schüler aus der 7 in die Klasse gewechselt, der noch nicht sehr gut in die Klassengemeinschaft integriert ist, gelegentlich den Unterricht stört und in kooperativen Arbeitsphasen oft unkonzentriert ist. Darauf ist in der Regel – da er in der gut eingespielten Klassengemeinschaft wenig „Publikum“ findet – gut durch Blickkontakt, kurze Zurechtweisungen oder zusätzliche Hilfestellungen bei Arbeitsphasen zu reagieren.
II) 2. Leitgedanken und Intention der Unterrichtsreihe
Die Auseinandersetzung mit „Lebenswelten in der Ständegesellschaft“ im Mittelalter ist – im Rahmen der durch den KLP G8 festgesetzten Obligatorik des Geschichtsunterrichts in der Orientierungsstufe – Teil des 4. Inhaltsfelds „Europa im Mittelalter“. Im schulinternen Curriculum deckt die Unterrichtssequenz die Bereiche „Grundherrschaft/Lehnswesen“, „Das bäuerliche Leben“ sowie „Burgen und Ritter; Klöster und Orden“ ab.
Da der Geschichtsunterricht an unserem Gymnasium erst in Klasse 6 einsetzt, hat diese Thematik einen fachhistorischen „Spagat“ zu leisten: Einerseits stellt die subjektive Lebenswelt der SuS zu diesem Zeitpunkt – nach weniger als einem Jahr Geschichtsunterricht – noch den zentralen Bezugspunkt für eine Beschäftigung mit Vergangenem dar, so dass immer wieder punktuell Gegenwartsbezüge notwendig und erwünscht sind. Diese sollen und können aber kaum als Sinn- und Ursachenzusammenhänge (vgl. Bergmann 2008, 33) erfahrbar werden: Vielmehr geht es darum, Geschichte in ihrer Andersartigkeit und Fremdheit als „Frage“ zu verstehen (Jeismann 1992, 564). Dieser Zugang macht „Geschichte selbst zum Ziel der Erkenntnis“ (ebd.), ohne dass sie in erster Linie einer Erklärung von Gegenwärtigem zuarbeitet. Dies zeigt sich insbesondere am Gegenstand der UB-Stunde (Schule im mittelalterlichen Kloster): Zwar wird hier auch ein Gegenwartsbezug hergestellt, doch dient dieser der Verdeutlichung der Besonderheit des Damaligen, nicht der kausalen Erklärung des Heutigen.
In dieser Reihe erwerben die SuS in erster Linie Sachkompetenz dadurch, dass sie Epochenmerkmale mittels eines ersten Orientierungswissens charakterisieren und „wichtige Gruppen in den jeweiligen Gesellschaften, ihre Funktionen, Rollen und Handlungsmöglichkeiten“ (KLP G8, 24) beschreiben. Punktuell werden immer wieder (so auch in der anstehenden Stunde) Beiträge zur Urteilskompetenz geleistet insofern, als die SuS „Motive, Bedürfnisse und Interessen von betroffenen Personen und Gruppen“ nachvollziehen sowie „Möglichkeiten, Grenzen und Folgen zeitgenössischen Handelns“ (ebd.) reflektieren.
Längerfristig wird der Erziehungsauftrag des Faches inhaltlich wie methodisch realisiert: inhaltlich durch den Aufbau eines Wissens um Grundlagen sozialen und kulturellen Zusammenlebens in Europa als Grundlage der Entwicklung der eigenen Identität; methodisch durch die Einübung kooperativer Lernformen und damit kommunikativer und sozialer Kompetenzen als Grundlagen demokratischer Diskussionskultur.
Eine Überprüfung des Lern- und Kompetenzzuwachses im Rahmen der länger-fristigen Unterrichtszusammenhänge ist dabei nicht vorgesehen.
II) 3. Überblick über die Reihe (Synopse)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Da bereits klar ist, dass ich die Lerngruppe nach dem UB nicht weiter begleiten werde, sind in dieser Synopse keine weiteren Stundenplanungen skizziert)
III) Begründung der wesentlichen Planungsentscheidungen der Unterrichts-stunde (Didaktisch-methodischer Kommentar)
Die Unterrichtsstunde greift sich aus dem Inhaltsfeld 4 des KLP (s.o.) das Kloster als Teil mittelalterlicher Lebenswelten heraus und thematisiert diesen unter dem Aspekt von Erziehung und Bildung. Dieser Aspekt wurde gewählt, da er den SuS Möglichkeiten zur Perspektivübernahme sowie zum Vergleich mit ihrer eigenen schulischen Lebenswelt bietet. Indem die SuS sich in die Lage eines Klosterschülers hineinversetzen und mit ihrer eigenen Situation vergleichen, lernen sie nicht nur die Eigenarten einer mittelalterlichen Klosterschule kennen, sondern können auf dieser Basis (in Ansätzen) Bildungschancen und Möglichkeitsspielräume von Kindern im Mittelalter reflektieren. Der Zugewinn an Sachwissen soll auf dieser Weise zumindest Perspektiven für die Bildung eines historischen Werturteils eröffnen.
Die Wahl des Gegenstands der Erarbeitung zielt ebenfalls auf die Ermöglichung von Empathie und damit Motivation. Die Stunde vor dem UB hat gezeigt, dass nicht nur das Kloster als Lebensraum, sondern auch Begriffe aus christlicher Glaubenspraxis („Sakristei“, „Krypta“, „Seelenheil“) ihnen fremd sind (bzw. waren). Mit der fiktiven Beschreibung eines Klosterschülers[1], der sich in einem ähnlichen Alter wie die SuS befindet, wird ein Zugang geschaffen zu der für 11-12jährige Kinder in doppelter Hinsicht fremden Welt (1. Kloster, 2. noch dazu Kloster im Mittelalter). Gleichzeitig ist der Inhalt fachlich relevant, da an ihm sowohl die Funktion des Klosters als Bildungsinstitution als auch die Problematik ungleicher Bildungschancen exemplarisch deutlich werden kann. Sprachlich bietet die fiktive Quelle wesentlich weniger Hürden als viele reale mittelalterliche Quellen, von denen zudem keine einzelne mit einem vergleichbaren Informationsgehalt auffindbar ist. Auch bei den Arbeitsaufträgen wurde auf Genauigkeit sowie auf kindgerechte Formulierung geachtet. Das Fremdwort „Privileg“ aus der Problemfrage ist daher auf dem abschließenden Arbeitsauftrag erläutert. Das Bild von der Klosterschule auf dem AB dient für die Kinder lediglich der visuellen Veranschaulichung des Themas, wird in der Stunde aber selbst nicht thematisiert.
Mit der Entscheidung für den Erziehungs- bzw. Bildungsaspekt bleiben natürlich viele weitere wichtige Facetten klösterlichen Lebens unberücksichtigt. Gleichwohl vermittelt der ausgewählte Text durchaus auch einen Eindruck von den Tagesabläufen im Kloster und dem alle Bildungsbemühungen durchziehenden Streben nach Gottgefallen und theologischer Erkenntnis. Ein Überblick über die vielfältigen Bereiche und Funktionen mittelalterlicher Klöster wurde bereits in der vorangegangenen Stunde anhand des St. Gallener Klosterplans erarbeitet. Ein hier vernachlässigter Aspekt ist der Vergleich mittelalterlichen und heutigen klösterlichen Lebens: Selbst der in diesem Zusammenhang wichtigste Unterschied – dass Kinder heute nicht mehr zwangsweise ins Kloster gegeben werden – wird in der Stunde vernachlässigt, da er nochmal (und für die SuS verwirrend) eine neue Ebene eröffnen würde (historische Veränderungen des Klosterlebens im Zusammenhang mit sozialen Entwicklungen).
Die Planung der Stunde orientiert sich an Prinzipien problemorientierten Geschichtsunterrichts. Wohlwissend, dass Prozesse der historischen Urteilsbildung in einer 6. Klasse nur im Hinblick auf einen überschaubaren sachlichen Kontext und unter einem gewissen Grad an Steuerung der Fragerichtung sinnvoll erfolgen können, bieten sowohl der Vergleich Damals-Heute als auch die Gegenüberstellung von erstem Bildeindruck (Einstieg) und Ergebnissen aus der Erarbeitungsphase Potentiale für den Transfer des angeeigneten Sachwissens. Insgesamt lernen die Kinder in dieser Stunde aber primär etwas über den Unterricht in einer Klosterschule, erweitern also vor allem ihre historische Sachkompetenz. Daher erscheint es legitim, die Problemfrage nicht (als Ertrag der Einstiegsphase) zu formulieren, an der Tafel festzuhalten und so permanent gegenwärtig zu halten, sondern erst später zum Zwecke des Transfers darauf zurückzukommen, nachdem die SuS sich erst einmal ein Bild von dem klösterlichen Unterricht machen konnten.
Die Aufgaben sind so konstruiert, dass sie von reproduktiver Texterschließung (in EA) über einen Vergleich (in PA) zu einer Urteilsbildung (im UG) führt. Die Einzelarbeit ermöglicht den SuS, dem Text in Ruhe Sachinformationen zu entnehmen, die für den weiteren Stundenverlauf zentral sind. So wird – in Verbindung mit der Zwischensicherung – sichergestellt, dass alle über die nötige Wissensbasis für den folgenden Vergleich verfügen. Dieser Vergleich soll in Partnerarbeit erfolgen, da die SuS hier mehr Spielraum bei der Aufgabenlösung haben: Sie bringen jeweils andere Perspektiven auf Schule mit und sie müssen aus einer Vielzahl von Eindrücken das für die Fragestellung Wesentliche auswählen, so dass es hilft, wenn sie sich auf eine gemeinsame Lösung verständigen müssen. Außerdem entlastet der Sozialformwechsel die SuS nach einer längeren Phase der Stillarbeit und eröffnet ihnen Räume, sich untereinander über die Unterschiedlichkeit ihres eigenen Schulalltags von dem klösterlichen Unterricht auszutauschen. Das Partnergespräch scheint auch für die letzte Phase – den Transfer bzw. das Urteil – vorteilhaft zu sein, da die SuS hier ja letztlich ihr gemeinsames Ergebnis (den Vergleich) noch einmal unter einer neuen Fragestellung reflektieren sollen.
Schwierigkeiten sind insbesondere an der Gelenkstelle zur letzten Phase (dem Rückbezug auf den Stundenanfang und die Beschäftigung mit der Frage „Zwang oder Privileg?“ zu erwarten. Ob die SuS nach einer recht langen Erarbeitungsphase diesen Schritt noch mitgehen können hängt u.a. von einer gelungenen Sicherung ab, die den SuS die wesentlichen Punkte vor Augen führt (die Ergebnisse werden per Beamer veranschaulicht, da dies schneller möglich ist als die Erstellung eines Tafelbilds).
Indikatoren für das Erreichen des Kernanliegens sind die sachgemäße Heraus-arbeitung von Unterschieden zwischen denjenigen Aspekten früherer und heutiger Bildungspraxen, nach denen in der Tabelle auf dem AB gefragt ist. Das Kernanliegen nutzt bewusst den Operator „gegenüberstellen“ aus AFB II, während der Operator „vergleichen“ auf dem Schülerarbeitsblatt dem AFB III entstammt: Die SuS sollen durchaus bereits in der zweiten Erarbeitungsphase „vergleichen“ im alltagssprachlichen Sinne (im Sinne von „Unterschiede herausarbeiten“), doch lässt sich mit der gewählten Sicherungsmethode nicht gewährleisten, dass die SuS nicht einfach die Leitfragen mit Blick auf ihren Schulalltag beantworten und die erarbeiteten mittelalterlichen Besonderheiten unberücksichtigt lassen. Zwar sollen die SuS nach der zweiten Erarbeitungsphase noch einmal gewichtend zusammenfassen („Was sind für euch die wichtigsten Unterschiede zwischen damals und heute?“), doch entspricht dies ebenfalls eher dem Operator „gegenüberstellen“. Die Qualität eines „Vergleichs“ im fachdidaktischen Sinne wird erst mit der Transfer- bzw. Beurteilungsaufgabe angestrebt, in der beide Tabellenspalten unter einer Problemfrage aufeinander bezogen werden sollen.
[...]
[1] Der Text ist eine leicht veränderte Fassung des fiktiven Briefes in: Berger, Jutta (u. a.) (2012): Stationentraining Mittelalter. Materialien zum Erstellen eines Lernzirkels, 2. Auflage Donauwörth (Auer), S. 46
- Citation du texte
- Dr. Malte Sachsse (Auteur), 2015, Erziehung und Bildung in der mittelalterlichen Klosterschule. Zwang oder Privileg?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308680
-
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X.