In dieser Arbeit werden die Voraussetzungen, die Inhalte und der Verlauf des „Geburtsfests teutscher Nation“ beschrieben. Es wird die Frage gestellt, weshalb die Euphorie, die das erste Volksfest bestimmte, bereits nach kurzem verflogen war und das Fest im Laufe der Zeit aus dem kollektiven Gedächtnis verschwand. Dazu skizziere ich die Entwicklung in Preußen sowie den Verlauf im Großherzogtum Hessen-Darmstadt, ohne dass diese Beispiele stellvertretend für die anderen deutschen Staaten stehen können.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Völkerschlacht bei Leipzig
3. Die deutsche Nationalbewegung
4. Öffentliche Festkultur des 19. Jahrhunderts
5. Die Initiatoren des Nationalfestes
5.1 Friedrich Ludwig Jahn
5.2 Ernst Moritz Arndt
6. Arndts Festentwurf
7. Umsetzung des Entwurfs
8. Festsymbolik
8.1 Feuer
8.2 Verbrüderungssymbolik
8.3 Eichenlaub
9. Das Wartburgfest
10. Ludewig I. von Hessen-Darmstadt und die Nationalbewegung im Großherzogtum
11. Die Entwicklung in Preußen
12. Der Deutsche Bund und die Karlsbader Beschlüsse
13. Der Traum vom Bund mit den Fürsten
14. Das Ende des „Teutschen Nationalfests“
15. Fazit
Literaturnachweis
1. Einleitung
Als sich in der Nacht des 18. Oktober 1814 der Himmel über weiten Teilen Deutschlands in ein Flammenmeer verwandelte, feierten die Menschen im ehemaligen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ein Geschehen, das genau ein Jahr zurück lag und das als „Völkerschlacht bei Leipzig“ in die Geschichte eingehen sollte. Die unzähligen Freudenfeuer waren Teil eines Festes, das die Zeitgenossen als „Fest aller Teutschen“, als das „Geburtsfest teutscher Nation“ oder als „Nationalfest der Teutschen“ bezeichneten.1
Vier Tage im Oktober 1813 hatte die große Schlacht gedauert, in der eine Allianz zwischen Preußen, Schweden, Russland und Österreich die Truppen Napoleons besiegte und damit wesentlich zum Ende der französischen Hegemonie auf dem Kontinent beitrug.
Durch eine alljährliche Feier sollte diesem Sieg ein Denkmal gesetzt werden. Verbunden damit waren große Hoffnungen des Volkes auf eine Neugestaltung der politischen Strukturen. Die vielen Kriegsteilnehmer hatten nicht nur für die Befreiung von der französischen Besatzungsmacht, sondern auch für den Traum von einem einheitlichen Vaterland mit liberalen Verfassungsformen gekämpft. Mit den deutschen Fürsten sollte ein neuer Bund geschlossen werden, der die politische Partizipation des Volkes beinhalten sollte.
Doch die Entwicklung ging in eine andere Richtung. Die Erwartungen, die die Menschen bei den Freudenfeuern des ersten Nationalfestes gehegt hatten, wurden enttäuscht. Die anfängliche Euphorie war schon bald verschwunden. Die Feiern zum Jahrestag der Leipziger Schlacht wurden seltener, bis sie letztendlich überhaupt nicht mehr stattfanden. Zweihundert Jahre später ist das Nationalfest in der deutschen Gedenk- und Erinnerungskultur kaum mehr zu finden. Eine wesentliche Forschungsquelle ist die Sammlung von Festberichten, die 1815 der Rödelheimer Justizrat Dr. Karl Hoffmann zusammenstellte und veröffentlichte. Die Forschungsliteratur bezieht sich hauptsächlich auf die von Dieter Düding, Peter Friedmann und Paul Münch 1988 herausgegebene Beschreibung, die in „Öffentliche Festkultur“ publiziert wurde.2 Einen aktuelleren Beitrag leistet Karen Hagemann 2002, in dem sie sich in einem Kapitel in „Mannlicher Muth und Teutsche Ehre“ mit dem „Nationalfest aller Teutschen“ beschäftigt, wobei der Fokus auf der Geschichte Preußens liegt.3 Während Düding und Hagemann die Texte Hoffmanns unkritisiert wiedergeben, bezweifelt Ute Schneider deren Wahrheitsgehalt. Sie stellt die Frage in den Raum, ob das Nationalfest, so wie es in den Hoffmannschen Protokollen dargestellt wird, nicht eine „intellektuelle Konstruktion“4 sei. Die beschriebene Euphorie der Bevölkerung habe es in diesem Ausmaße eventuell nicht gegeben. Das Geschehen sei von den damaligen Publizisten „zur Herstellung einer kollektiven Identität“5 hochstilisiert worden und erst durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung der letzten Jahre mit der Entwicklung der Nationalbewegung habe sich die heutige Sichtweise ergeben.6
In dieser Arbeit werden die Voraussetzungen, die Inhalte und der Verlauf des „Geburtsfests teutscher Nation“ beschrieben. Es wird die Frage gestellt, weshalb die Euphorie, die das erste Volksfest bestimmte, bereits nach kurzem verflogen war und das Fest im Laufe der Zeit aus dem kollektiven Gedächtnis verschwand. Dazu skizziere ich die Entwicklung in Preußen sowie den Verlauf im Großherzogtum Hessen-Darmstadt, ohne dass diese Beispiele stellvertretend für die anderen deutschen Staaten stehen können.
Zunächst wird die Völkerschlacht bei Leipzig als erinnerungswürdiges Geschehen beschrieben, anschließend die Entstehung der damaligen Nationalbewegung. Kapitel 4 beschäftigt sich mit der öffentlichen Festkultur der Zeit. Danach befasse ich mich mit den beiden Hauptinitiatoren Arndt und Jahn. Kapitel 6 beschreibt Arndts Entwurf, Kapitel 7 dessen Umsetzung. Die wesentlichen Festsymbole werden in Kapitel 8 genannt. Hierbei stelle ich gleichbedeutend neben die in der Literatur immer wieder genannten Symbole „Feuer“ und „Eichenblatt“ die symbolischen Zeichen der Verbrüderung, wie den Bruderkuss, Umarmungen oder gemeinsamer Gottesdienst.
Ausschlaggebend für die weitere Entwicklung des Nationalfests war das studentische Wartburgfest des Jahres 1817. Deshalb wird es in Kapitel 9 ausführlich beschrieben. Das Großherzogtum Hessen-Darmstadt gehörte zu den deutschen Staaten, in denen die Nationalbewegung besonders ausgeprägt war. Darum befasst sich Kapitel 10 mit dem damaligen Landesherrn Ludewig I. und dessen Verhalten in Bezug auf das Nationalfest und die Forderung der national-patriotischen Bewegung nach einer neuen Verfassung.
Nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon entwickelte sich die geschlagene Großmacht zur führenden Kraft im deutschen Widerstand. Der Einfluss der Aufklärung, das revolutionäre Geschehen in Frankreich und das Desaster der Schlacht bei Jena und Auerstedt führten zu den Stein-Hardenbergschen Reformen, die letztendlich die preußischen Eliten und das Volk - als „Nation“ vereint - zum gemeinsamen Kampf gegen die Okkupationsmacht Frankreich und zum wirtschaftlichen Wiedererstarken des Landes führen sollten. In diesem Zusammenhang wurden Verfassungsversprechen gegeben und nicht eingehalten. Diese Entwicklung beschreibt Kapitel 11.
Als nach dem Ende der Befreiungskriege die europäischen Mächte das politische und territoriale Bild des Kontinents neu entwarfen, war ihnen die Nationalbewegung zur Bedrohung geworden. Der beim Wiener Kongress geschaffene „Deutsche Bund“ stärkte die Macht der Fürsten. Die „Karlsbader Beschlüsse“ von 1819 verboten alle national-patriotischen Veranstaltungen und stellten die freie Meinungsäußerung unter Strafe. Dies ist das Thema von Kapitel 12.
Die während der napoleonischen Kriege von den Regierenden versprochenen Verfassungen als Ausdruck eines neuen Bundes zwischen Fürsten und Volk wurden nur zögerlich umgesetzt. Der Glaube an eine liberale Zukunft und die Gerechtigkeit der Herrschenden wurde grundlegend erschüttert. Die gravierende Enttäuschung führte zur Resignation der politisch engagierten Bürgerschicht und teilweise zu einem vorläufigen Rückzug ins Private. Mit diesem gescheiterten national-patriotischen Traum befasst sich Kapitel 13.
In Kapitel 14 wird das Ende der offiziellen Feiern des „Fests aller Teutschen“ beschrieben. Im Fazit werden alle Faktoren zusammengestellt, die dazu führten, dass das „Geburtsfest der teutschen Nation“ im Dunkel der Geschichte verschwand.
2. Die Völkerschlacht bei Leipzig
Am 18.Oktobers 1813 standen sich bei Leipzig Armeen von einer Stärke gegenüber, wie sie Europa bisher nicht erlebt hatte. Etwa eine halbe Million7 Soldaten kämpften in einer Schlacht, die der preußische Generalfeldmarschall August Neidhardt von Gneisenau (1760-1831) in einem Brief an seine Frau als eine „Schlacht, wie sie in der Weltgeschichte kaum gefochten ist […] die über das Schicksal Europas entscheiden wird“ bezeichnete.8
Die napoleonische Armee traf auf Gegner, die mit der Nordarmee unter Führung des schwedischen Kronprinzen Bernadotte (1763-1844), der Schlesischen Armee unter Generalfeldmarschall von Blücher (1742-1819), der russischen Armee unter General Bennigsen (1745-1826) und der Hauptarmee unter Feldmarschall von Schwarzenberg (1771-1820) ein gewaltiges Verbündetenheer mit Soldaten aus Schweden, Preußen, Russland und Österreich aufgestellt hatte.9
„Es war eine Schlacht, als wenn die Erde untergehen und der jüngste Tag kommen sollte“10 so beschrieb Ernst Moritz Arndt das Grauen. Als am 19. Okto-ber die Entscheidung gefallen war, zählte man mehr als 91.000 Tote11 und unzählige Verwundete.
Die insgesamt 4-tägige Schlacht war eine tiefgreifende Zäsur im politischen Geschehen Europas. Sie hatte zwar nicht den endgültigen Sieg über Napoleon und das Ende der damit im Zusammenhang stehenden französischen Hegemonie auf dem Kontinent gebracht, aber sie war ein wesentlicher Baustein auf dem Weg zur europäischen Umstrukturierung. Der französische Kaiser hatte, auch bedingt durch den desaströsen Russlandfeldzug, seinen Nimbus als siegreicher Feldherr verloren. Der große Heerführer war besiegbar, seine Stärke gebrochen worden.
Während in Deutschland die Völkerschlacht als ausschlaggebendes Ereignis der antinapoleonischen Kriege wahrgenommen wurde, steht sie in der Geschichtsschreibung Frankreichs nur als eine Schlacht unter den vielen dieser Zeit. Im Nachbarland geht Napoleons Niedergang mit der Schlacht von Waterloo einher.12
Der französische Kaiser selbst machte für die Katastrophe nicht seine Kriegskunst verantwortlich, sondern bezichtigte die unter seiner Flagge kämpfenden Sachsen und Württemberger des Verrats und der Desertion. Die Truppen dieser Rheinbund-Staaten waren am 18. Oktober, dem ausschlaggebenden Tag der Schlacht, zu den Alliierten übergelaufen und hätten, laut Napoleon, mit dieser Fahnenflucht seine Armee so entscheidend geschwächt, dass der greifbar nahe Sieg sich in eine Niederlage verwandelte.13
Der zur politischen Neuordnung führende Krieg hatte einen Doppelcharakter. Er war „Freiheitskrieg“ für die einen und „Befreiungskrieg“ für die andern. Als Befreiungskrieg wurde er von denen bezeichnet, die die politischen Strukturen der vornapoleonischen Zeit wieder zum Leben erwecken wollten. Durch den Beitritt Österreichs zur Allianz am 11.08.1813 kristallisierte sich heraus, dass es der politischen Elite nicht ausschließlich um die Befreiung der von Napoleon besiegten Völker ging, sondern es ging ebenso um die Restauration der alten Ordnung. Im Vordergrund standen die Interessen der Monarchien und deren Stabilisierung. Für diese Ziele wurden Heere in einer bis dahin nicht vorstellbaren Größe zusammengestellt, die der preußische Oberst von Müffing (1775-1851) – vermutlich ausgehend von dem militärischen Begriff „Kriegsvolk“14 - als „Heervölker“15 bezeichnete. Die Bezeichnung „Völkerschlacht“ war geboren. Ein Freiheitskrieg war es für diejenigen, die für den Traum von einem nicht nur von der französischen Herrschaft befreiten, sondern auch für ein durch die Kraft des Volkes geeinten deutschen Vaterland mit einer liberalen Gesetzgebung kämpften.16
Aus Sicht der europäischen Großmächte waren die Befreiungs- oder Freiheitskriege keine Volkskriege, sondern Kabinettskriege. Sie galten als Teil der Auseinandersetzung zwischen Großbritannien und Frankreich um die Vormachtstellung auf dem Kontinent17. Uwe Puschner erkennt in den antinapoleonischen Schlachten eine „konventionelle Kriegführung der Koalition.“18 Die Definition als Volkskrieg gehöre in den Bereich der nationalen Propaganda. Eine Volkserhebung waren sie keinesfalls.19
Schriftsteller wie Ernst Moritz Arndt und Theodor Körner20 hatten bereits vor 1813 die Kriege als einen Konflikt propagiert, in dem das deutsche Volk seine nationale Freiheit erringen sollte. Der Gegner war zwar primär das napoleonische Frankreich, im weiteren Sinne jedoch die deutschen Fürsten und deren absolutistisches Herrschaftssystem. Deutlicher formuliert wurden diese innenpolitischen Ziele allerdings erst nach Kriegsende.21
3. Die deutsche Nationalbewegung
Für das absolutistische Herrschaftssystem des 18.Jahrhunderts war zur Aufrechterhaltung seiner Administrationsaufgaben im Laufe der Zeit eine Beamtenschaft erforderlich geworden, die nicht allein aus der Adelsklasse generiert werden konnte. Die in den neu geschaffenen Bildungsanstalten geschulte junge Intelligenz formierte sich zu einer elitären Gesellschaftsklasse, die ihre Ämter und Berufe auf Grund der selbst erworbenen akademischen Bildung – also aus eigener Kraft - und nicht auf Grund einer Standeszugehörigkeit ausübte. Die seit Jahrhunderten bestehende stabile Ständeordnung von Adel, Bürger und Bauern wurde dadurch aufgebrochen. In dem entstandenen Bildungsbürgertum entwickelte sich ein Identitäts- und Nationalgefühl, das sich von allem Nichtdeutschen scharf abgrenzte. Die Abgrenzung vollzog sich nicht auf innerdeutsche Bereiche. Man konnte sich sowohl als Bayer als auch als Sachse oder Preuße durchaus als „Teutscher“ fühlen. Unter „Nation“ oder „Vaterland“ wurde sowohl das gesamte Deutschland als auch der einzelne Territorialstaat verstanden. Mit dem Begriff der Nation verband man weniger die Vorstellung von einem einheitlichen Staatsgebilde, sondern man bezog ihn auf die gemeinsame Sprache, Kultur und Geschichte.22 Nach der Niederlage Napoleons bei der Völkerschlacht und der damit gewonnenen äußeren Freiheit entwickelte sich im Bildungsbürgertum der Wunsch nach Schaffung der nationalen Einheit, dem Ende des Partikularismus und die Forderung nach politischer Mitsprache.23
Tief ins Volk hineingetragen wurde das Bewusstsein, zu einer gemeinsamen Nation zu gehören, durch die Literaten der Romantik. Jakob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859) Grimm, die Autoren des 1854 erstmals erschienenen „Deutschen Wörterbuchs“, stellten eine Sammlung der meist mündlich überlieferten Volksmärchen und alten Sagen zusammen. Ihre „Kinder- und Hausmärchen“ wurden 1812 publiziert, die „Deutschen Sagen“ folgten 1816. Und unter dem Titel „Des Knaben Wunderhorn“ veröffentlichten Clemens Brentano (1772-1842) und Achim von Armin (1781-1831) zwischen 1806 und 1808 deutsche Volksliedtexte.24
In der vierten Rede seiner „Reden an die deutsche Nation“ bezeichnete der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) das deutsche Wesen im Vergleich zu anderen europäischen Völkern als ursprünglich und unverfälscht, denn die Deutschen seien „in den ursprünglichen Wohnsitzen des Stammvolkes“25 geblieben und hätten „die ursprüngliche Sprache des Stammvolkes“ behalten.26 Fichte forderte auf, sich gegen die kulturelle und militärische Übermacht Frankreichs zu wehren, um somit die eigene Identität zu wahren und die Freiheit zu erlangen.27
Je länger die französische Besatzung dauerte, desto mehr entwickelte sich ein überregionales Zusammengehörigkeitsgefühl. Die ersehnte Freiheit wurde als Freiheit von der Okkupationsmacht verstanden. Der Widerstand gegen Frankreichs Vormundschaft wurde immer stärker.28
Ein Zentrum des Widerstands war das von Napoleon in die Knie gezwungene Preußen. In Königsberg konstituierte sich 1806 die „Gesellschaft zur Übung öffentlicher Tugend“. Der sogenannte „Tugendbund“ unterstützte die preußischen Reformpläne29 und befürwortete einen liberalen deutschen Gesamtstaat mit einem Kaiser als Souverän. Ebenso wie bei der 1811 von Friedrich Ludwig Jahn ins Leben gerufenen „Turngesellschaft“ trafen sich seine Mitglieder zum körperlichen Training, um für den erwarteten Konflikt mit der Besatzungsmacht gerüstet zu sein.
Zwar war in erster Linie das Bildungsbürgertum und der liberale Adel Träger des Freiheitsgedankens, aber durch die immer zahlreicher werdenden Turnvereine breiteten sich deren Ideen über diese Bereiche hinaus aus.
In Berlin gründeten 1810 der Student Friedrich Friesen (1784-1814) und der Lehrer Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) den „Deutschen Bund“, zu dessen wesentlicher Zielsetzung die Einheit des deutschen Volkes gehörte. Friesen verfasste im Februar 1812 die Denkschrift „Ordnung und Einrichtung der deutschen Burschenschaften“, in der er die Vereinigung aller bisher landsmannschaftlich organisierten Studentengruppen forderte und damit den Grundstein für die 1818 gegründete „Allgemeine Deutsche Burschenschaft“ legte.30
Das Fanal zum offenen Widerstand gegen die Okkupationsmacht war deren verlustreiche Niederlage gegen Russland im Herbst 1812. Der preußische König sagte sich von Frankreich los31, verbündete sich mit Russland und erklärte Napoleon am 16. März 1813 den Krieg. Intellektuelle riefen zum Freiheitskampf auf. Preußen wurde zur führenden Kraft im Kampf gegen Napoleon32, der Traum von einer freien deutschen Nation entwickelte sich zu einer Massenbewegung.
4. Öffentliche Festkultur des 19. Jahrhunderts
Bestimmte Ereignisse durch ein öffentliches Fest aufzuwerten und dadurch im gesellschaftlichen Gedächtnis zu verankern, scheint charakteristisch für Menschen zu sein.
Unterschieden wird zwischen religiösen, kulturellen und politischen Festen. Bei religiösen Festen feiern Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft die für ihr Bekenntnis wichtigen Daten innerhalb des jahreszeitlichen Verlaufs oder des persönlichen Lebens. Bei kulturell und politisch verankerten Festen treffen sich die Angehörigen verschiedener Konfessionen, um Gegebenheiten zu feiern, die die gesamte Gesellschaft betreffen.
Bei politischen Gedenkfeiern unterscheidet man zwischen monarchisch-dynastischen Festen, zum Beispiel der Geburtstagsfeier des Landesherrn, und den Festen zur Erinnerung an ein wichtiges politisches Ereignis, wie etwa einen gemeinsam errungenen militärischen Sieg. Feierlichkeiten dieser Art wurden im 19. Jahrhundert „Nationalfest“ genannt. Zur Zielgruppe dieser Feste gehörten die Gesellschaftsschichten, die bisher kaum Zugang zum politischen Geschehen gefunden hatten und deren Politisierung nur in Schüben erfolgte.33
Die Möglichkeit, Volksfeste als Mittel der politischen Erziehung einzusetzen, wurde von Friedrich Jahn in seinem, 1810 veröffentlichten Buch „Deutsches Volksthum“ beschrieben. Dieser Gedanke griff auf eine Anregung Jean-Jaques Rousseaus (1712-1778)34 zurück. In einem öffentlichen Brief hatte er die Bürger der Stadt Genf aufgefordert, sich „in frischer Luft, unterm Himmel […] versammeln und euch den lieblichen Gefühlen eures Glücks hingeben! Eure Feste […] sollen frei sein und edel wie ihr.“35 Dieser Vorschlag wurde ab 1790 in Frankreich von der bürgerlich-revolutionären Gesellschaft zur Daseinslegitimation vielfach umgesetzt..36 Düding bezeichnete die National- und Freiheitsfeste als „originäre Frucht der Französischen Revolution“.37
Feste ermöglichen einer durch Krisen verunsicherten Gesellschaft, soziale Ängste zu verarbeiten und politische Visionen zum Ausdruck zu bringen.38 Beim gemeinsamen Feiern kann für den Einzelnen ein Gruppenzugehörigkeitsgefühl entstehen, das Geborgenheit und Sicherheit vermittelt. Beim „Fest aller Teutschen“ entwickelte sich bei den allen Gesellschaftsschichten angehörenden Festteilnehmern ein Gemeinschaftsgefühl, das bisher so nicht erlebbar gewesen war und das die erträumte nationale Einheit und Gleichheit versinnbildlichte.
Volksfeste sollen sie seyn, und von allen […] mit dem Volke gefeiert werden, und nicht in abgeschlossenen Gesellschaften, nicht in geheimen Winkeln, nicht von einzelnen Haufen, wie Rang, Stand oder Beschäftigung die Menschen trennt.39
Die Organisatoren des Nationalfestes versuchten durch die Festinhalte ihre politischen Ziele populär zu machen. Die Feier sollte das erzeugen, was sie angeblich repräsentierte: eine deutsche Nation.40 Da noch kein fester Staatskörper vorhanden war, diente das Fest zur „emotionalen Selbstvergewisserung“.41
In Friedrich Jahns Vorschlag verbanden sich religiöse Elemente, wie Dankgottesdienst und Prozession, mit weltlichen Elementen, wie Musikveranstaltungen und Tanz. Der nationale Aspekt kam hinzu. Die Freudenfeuer bezeugten die Verbundenheit des Volkes durch die gemeinsame Kultur, in den patriotischen Festreden erinnerte man an die gemeinsamen geschichtlichen Wurzeln.
Während einerseits in den Festen ein identitätsstiftendes Potential gesehen wurde, glaubte man andererseits, dass solche Volksvergnügen der sittlichen Ordnung schaden und die wirtschaftliche Leistung mindern würden. Dem gegenüber stand jedoch die Einsicht, dass das Leistungspotential der Bevölkerung nicht ununterbrochen beansprucht werden könne, sondern dass Tage der Erholung erforderlich seien, um Arbeitskraft und -motivation zu erhalten.42
Düding nannte das 1814 stattfindende Nationalfest den „Archetypus“43 der deutschen Nationalfeste, denn dabei sei zum ersten Mal eine breite bürgerlich-politische Öffentlichkeit entstanden.44 Er bezeichnet die Feier nicht nur als nationales Integrations- und Freudenfest, sondern ebenso als ein religiöses Dank-und Opferfest.45 Luden sprach von „frommem Jubel“,46 die Völkerschlachttage bezeichnete er als „heilige Tage“.47 Arndt verglich die Befreiungskriege mit den Kreuzzügen, denn „sie (die Kriegsteilnehmer – Anm. d. Verf.) zeichneten ihre Brust und Stirn mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes, und gelobten, daß sie, dieses Zeichens froh, für das Vaterland siegen oder sterben wollten“.48
Der Matrix des Nationalfestes entsprach auch das Hambacher Fest vom 27. Mai 1832. Dieses Treffen war jedoch kein Dank- oder Freudenfest, sondern eine antifeudale Demonstration der bürgerlich-oppositionellen Bewegung, die durch die französische Julirevolution von 1830 neue Impulse erhalten hatte.49
5. Die Initiatoren des Nationalfestes
Die euphorische Stimmung und tiefe emotionale Begeisterung, die in den Tagen nach der Völkerschlacht überall im Lande herrschte, nahmen Friedrich Ludwig Jahn (1778 - 1852) und Ernst Moritz Arndt (1769-1860) zum Anlass, einen nationalen Gedächtnistag ins Leben zu rufen. Beide wirkten 1814 in Frankfurt am Main. Jahn arbeitete bei der preußischen General-Kommission für die deutschen Bewaffnungsangelegenheiten, Arndt unter Freiherr vom Stein50 für das Zentralverwaltungsdepartement der Alliitierten. Bei einem Treffen in Rödelheim wurde über die Etablierung eines Volksfestes zum Jahrestag der Völkerschlacht diskutiert.51
[...]
1 Vergl. Düding, Dieter: Das deutsche Nationalfest von 1814: Matrix der deutschen Nationalfeste im 19. Jahrhundert, in: Düding, Dieter/Friedemann, Peter/Münch, Paul (Hrsg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Hamburg 1988, S.68.
2 Düding: Nationalfest, S.67-88.
3 Hagemann, Karen: Mannlicher Muth und Teutsche Ehre, Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn u.a. 2002 (=Krieg in der Geschichte, Bd.8).
4 Schneider, Ute: Die Feier der Leipziger Schlacht am 18. Okt. 1814 – eine intellektuelle Konstruktion“, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 1997, Bd. 133, S. 238.
5 Ebd.
6 Vergl. ebd. S. 219-238.
7 Lorenzen, Jan N. : Die großen Schlachten, Mythen, Menschen, Schicksale, Frankfurt/New York 2006, S. 103.
8 Vergl. Graf, Gerhard: Die Völkerschlacht bei Leipzig in zeitgenössischen Berichten, Leipzig 1988, S. 87.
9 Vergl. Thamer, Hans-Ulrich: Die Völkerschlacht bei Leipzig, Europas Kampf gegen Napoleon, München 2013, S. 43.
10 Arndt, Ernst Moritz: Ein Wort über die Feier der Leipziger Schlacht, Frankfurt am Main 1814, S. 6 http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10717889_00007.html.
11 Thamer: Die Völkerschlacht, S. 7. Bezüglich der Opferzahlen schwanken die Angaben in der Literatur. Hagemann spricht von mehr als 150.000 Toten, Puschner schreibt von über 80.000 Toten und Verwundeten, während Lorenzen Thamers Angaben bestätigt. In der zeitnahen Veröffentlichung „Ein Wort über die Feier der Leipziger Schlacht“ schrieb Ernst Moritz Arndt auf Seite 7: „Napoleon verlor in dieser Schlacht […] mehr als 100.000 Mann an Verwundeten, Todten, Gefangenen und Versprengten“.
12 Vergl. Lorenzen: Die großen Schlachten, S. 13.
13 Vergl. Lorenzen: Die großen Schlachten, S. 130.
14 Im militärischen Sprachgebrauch der absolutistischen Herrscher stand der Begriff „Kriegsvolk“ für die Truppen, die im Rahmen von Kabinettsbeschlüssen zusammengestellt wurden.
15 Thamer: Die Völkerschlacht, S. 9.
16 Vergl. Lorenzen: Die großen Schlachten, S. 106 f.
17 Vergl. Thamer: Die Völkerschlacht, S. 114.
18 Puschner, Uwe: 18. Oktober 1813: „Möchten die Deutschen nur alle und immer dieses Tagesgedenken!“- die Leipziger Völkerschlacht, in Francois, Etienne/Puschner, Uwe (Hrsg.): Erinnerungstage, Wendepunkte der Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 2010, S. 148.
19 Vergl. ebd. S. 147 f..
20 Körner, Carl Theodor (1791-1813), deutscher Dichter und Dramatiker, bekannt durch seine Lieder mit patriotischem und antifranzösischem Inhalt. Er kämpfte im Lützowschen Freikorps und fiel am 26.08.13 in einem Gefecht. Körner wurde zu einer Identifikationsfigur der Nationalbewegung.
21 Vergl. Thamer: Die Völkerschlacht, S.90.
22 Vergl. Schulze, Hagen: Der Weg zum Nationalstaat. Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, München 1985, S. 60 ff. (= Deutsche Geschichte der neuesten Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart).
23 Vergl. Puschner: 18. Oktober 1813, S. 149.
24 Vergl. Schmitz-Emans, Monika: Einführung in die Literatur der Romantik, Darmstadt 2004, S. 25.
25 Vergl. Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die Deutsche Nation, Hamburg 51978, S. 60 (= Philosophische Bibliothek, Bd. 204).
26 Ebd.
27 Vergl. Schulze: Der Weg zum Nationalstaat, S. 63.
28 Vergl. Timmermann, Heiner (Hrsg.): Die Entstehung der Nationalbewegung in Europa 1750-1849, Berlin 1993, S. 3 (= Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen, Bd. 71).
29 Preußische Reformen (Stein-Hardenbergische Reformen): 1.)Verwaltungsreform unter Karl von und zum Stein und Karl Aug. Freiherr von Hardenberg. Ausgehend von dem 1794 geschaffenen Allgemeinen Landrecht war ein verfassungsähnliches, einheitliches Landrecht 1807 vom Stein eingeleitet und von Hardenberg weitergeführt worden. 2.) Bildungsreform unter Wilhelm von Humboldt , 3.) Heeresreform unter Gerhard Joh. David von Scharnhorst, August Neidhardt von Gneisenau und Herrmann von Boyen.
30 Vergl. Schulze: Der Weg zum Nationalstaat, S. 58 ff.
31 In der Schlacht bei Jena und Auerstedt (1806) unterlag Preußen dem französischen Heer. Bei den an-schließenden Friedensverträgen wurde das preußische Territorium um etwa die Hälfte reduziert. Das Land wurde zu hohen Kontributionszahlungen verpflichtet, die Armee musste auf ein Sechstel reduziert werden. Die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich dramatisch. 1812 wurde ein Militärbündnis mit Frankreich geschlossen. Für Napoleons Feldzug mussten Truppenkontingente bereitgestellt werden. Nachdem im Dezember 1812 der preußische Generalleutnant von Yorck in der Konvention von Tauroggen mit der russischen Armee eigenmächtig einen Waffenstillstand geschlossen hatte, entschied sich auch Friedrich Wilhelm III. für einen politischen Seitenwechsel.
32 Vergl. Thamer: Die Völkerschlacht, S. 31.
33 Vergl. Schneider: Politische Festkultur im 19. Jahrhundert. Die Rheinprovinz von der französischen Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1806-1918), Essen 1995, S. 12 (=Düsseldorfer Schriften zur neueren Landesgeschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 41).
34 Vergl. ebd. S. 17.
35 Zit. n. Düding: Einleitung. Politische Öffentlichkeit-politisches Fest-politische Kultur, in: Düding u.a. (Hrsg.): Öffentliche Festkultur, S. 14.
36 Vergl. Ebd. S. 14.
37 Ebd. S. 14.
38 Vergl. Hettling, Manfred/Nolte, Paul: Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993, S.17.
39 Luden, Heinrich (Hrsg.): Nemesis: Zeitschrift für Politik und Geschichte, Bd. 3, Weimar 1814, S. 137, (http://ds.uni-bielefeld.de/viewer/image/2233757_003/134).
40 Vergl. Hettling/Nolte: Bürgerliche Feste, S. 22.
41 Ebd. S.16.
42 Vergl. Schneider: Politische Festkultur, S. 9 ff.
43 Düding: Nationalfest, S. 85..
44 Vergl. Düding: Einleitung, in: Düding u.a. (Hrsg,): Öffentliche Festkultur. S 16.
45 Vergl. Düding: Nationalfest, S. 74.
46 Luden: Nemesis, S. 137.
47 Luden: Nemesis, S. 132.
48 X.Y.Z: Beherzigungen vor dem Wiener Kongreß, (kein Verlagsort angegeben) 1814, S. 3.
49 Vergl. Foerster, Cornelia: Das Hambacher Fest 1832, Volksfest und Nationalfest einer oppositionellen Massenbewegung, in: Düding u.a. (Hrsg.): Öffentliche Festkultur, S. 113-131.
50 Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757-1831): preußischer Staatsmann und Reformer.
51 Vergl. Puschner: 18. Oktober 1813, S. 147.
- Citation du texte
- Gudrun Kahles (Auteur), 2015, Das Nationalfest 1814. Das „Fest aller Teutschen“ zwischen Euphorie und Resignation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/307580
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