Diese Seminararbeit bietet einen kurzen interpretativen Überblick über Alexis de Tocquevilles Beschreibung der englischen Stadt Manchester in seinem Werk "Journeys to England and Ireland" von 1835.
Alexis de Tocqueville beschreibt im Abschnitt „Manchester“, seiner Reisebeschreibung „Journeys to England and Ireland“, seine Eindrücke, die er am 2. Juli 1835 dort sammeln konnte.
Im ersten Absatz beschreibt er die geographischen Begebenheiten, welche die Region um Manchester bestimmen. Hier gibt er die ersten Hinweise, auf was er im Folgenden abzielen möchte. Er schreibt von Palästen und Hütten, die er sinnbildlich für die Industrieanlagen und die Behausungen der dort eingesetzten Arbeiter verwendet. In der äußeren Erscheinung Manchesters fehle jegliches Anzeichen gesellschaftlichen Fortschritts, es gebe keine Spur einer Zielgerichteten Einflussnahme der Regierung auf die Entwicklungen. Alles zeuge lediglich von der individuellen Schaffenskraft des Menschen. Tocqueville gibt einen Einblick in das Manchester des 19. Jahrhunderts und eine Stadt inmitten der Umbrüche, die die Industrielle Revolution mit sich brachte.
Alexis de Tocqueville beschreibt im Abschnitt „Manchester“, seiner Reisebeschreibung „Journeys to England and Ireland“, seine Eindrücke die er am 2. Juli 1835 sammeln konnte. Im ersten Absatz beschreibt er die geographischen Begebenheiten, welche die Region um Manchester bestimmen. Hier treffen sich 2 Flüsse (Medlock und Irk) und 3 künstlich angelegte Kanäle, die alle durch den Irwell in die Irische See münden. Hier gibt er die ersten Hinweise, auf was er im Folgenden abzielen möchte. Er schreibt von Palästen und Hütten, die er sinnbildlich für die Industrieanlagen und die Behausungen der dort eingesetzten Arbeiter verwendet. In der äußeren Erscheinung Manchesters fehle jegliches Anzeichen gesellschaftlichen Fortschritts, es gebe keine Spur einer Zielgerichteten Einflussnahme der Regierung auf die Entwicklungen. Alles zeuge lediglich von der individuellen Schaffenskraft des Menschen.
Manchester wurde im Laufe der Industrialisierung, begünstigt durch seine geographisch-geologischen Strukturen, zum Zentrum der Textilindustrie Englands. Das milde atlantische Klima sorgte für gute Bedingungen bei der Viehhaltung. Die vielen wasserreichen Flüsse Englands und der Ausbau eines großen Kanalnetzes führten zu reduzierten Transportkosten. Ein vom Duke of Bridgewater bereits 1761 eröffneter Kanal, der das so genannte „Kanalzeitalter“ einläutete, verband sein Kohlenrevier bei Worsley mit Manchester. Die reichen Steinkohle und Eisenerzvorkommen, aber auch die zahlreichen Naturhäfen Englands, begünstigten ebenfalls das rasche Voranschreiten der Industrialisierung. Die Oligarchie der Land besitzenden Aristokraten, mit Gentry und Großbürgertum, zielte lediglich auf die Vertretung ihrer Eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen. Wobei das Fehlen ständischer Beschränkungen, der Schutz des Einzelnen vor staatlicher Willkür, der Schutz des Eigentums und die Möglichkeit gesellschaftlichen Aufstiegs, den Anreiz für privates Unternehmertum noch weiter erhöhten. Dies meint Tocqueville mit der kreativen, individuellen Schaffenskraft des Menschen. Sie richtete sich jedoch nur auf die Erzielung möglichst hoher Gewinne unter Verwendung der drei Faktoren Boden, Arbeit und Kapital. Dies ist Teil des von Adam Smith, mit seinem 1779 veröffentlichten Werk „An Inquiry into the nature and causes of the Wealth of Nations“, mitbegründeten Wirtschaftsliberalismus. Er untersucht in diesem, oft als „Bibel des Kapitalismus“ bezeichneten Werk, das Verhältnis von Arbeit, Kapital, Lohn, Preis und Grundbesitz. Es verfolgt das umfassende Prinzip des „laissez faire“, bei dem staatliche Eingriffe in Wirtschaftsprozesse weitestgehend vermieden werden. Die Verfolgung von Eigeninteressen fördere dabei indirekt das Gesamtwohl nachhaltiger, als die Verfolgung des Gesamtinteresses. Es ist die Zeit des Individualismus, der die mittelalterlichen und merkantilistischen Gesellschaftsauffassungen ablöst.
Im zweiten Absatz beginnt Alexis de Tocqueville mit einer genaueren Beschreibung der riesigen Fabriken und der sie umgebenden Arbeitersiedlungen. Das Land und die Menschen seien den industriellen Notwendigkeiten unterworfen. Vor allem der Bau einer Infrastruktur zwischen den sich zufällig entwickelnden Stadtteilen, trage die Anzeichen einer eilig vorangetriebenen, unvollendet gebliebenen Arbeit. Die Zweckgerichtete Aktivität einer Gewinnorientierten Gesellschaft, die auf ihrem Weg dorthin allen Annehmlichkeiten des Lebens entsagt habe. In den meist ungepflasterten, mit Dung, faulig abgestandenen Tümpeln und Bauschutt übersäten Straßen der Arbeitersiedlungen gebe es keine Spur städteplanerischer Arbeit. Des Weiteren beschreibt Alexis de Tocqueville den drastischen Gegensatz zwischen den Behausungen der Armen und den Villenvierteln der Reichen. Bei dem Anblick der großen Steingebäude mit ihren korinthischen Säulen, könne man sich in einer mittelalterlichen Stadt wähnen, welche jedoch die „Wunder“ des 19. Jahrhunderts in ihrer Mitte trage. Diese offenbaren sich mit den eingeschossigen Häusern der Arbeiter, die Alexis de Tocqueville mit der letzten Zuflucht, welche ein Mensch zwischen Armut und Tod finden kann, vergleicht. Aber sogar diese Menschen werden von ihren Schicksalsgenossen beneidet, die zu Zwölft oder zu Fünfzehnt in kleinen, feuchten Erdkellern ihr Dasein fristen müssen.
Das explosive Bevölkerungswachstum mit Beginn des 18. Jahrhunderts, begünstigt durch medizinisch-hygienische Fortschritte, gute Ernten zwischen 1690 und 1740, verbesserte Anbaumethoden und die Aufhebung ständisch-feudaler Heiratsbeschränkungen, führte zwischen 1700 und 1850 zu einer mehr als Verdreifachung der Bevölkerung von England und Wales. Dies erzeugte eine stark wachsende Nachfrage für Produkte aus Landwirtschaft und Handwerk, wie z.B. Fleisch, Getreide, Wolle, Leder und Stoffe. Dies erschuf eine grundlegende Voraussetzung für die Industrielle Revolution, da es zu fundamentalen Veränderungen im Bereich der Landwirtschaft und des Handwerks kommen musste, damit diese erhöhte Nachfrage befriedigt werden konnte. Mitte des 18. Jahrhunderts begannen die Großgrundbesitzer damit, eine Art Flurbereinigung im Parlament durchzusetzen. Die se Private Acts of Parliament ermöglichten den Großgrundbesitzern, gegen eine Gebühr von 5000 bis 7000 Pfund Sterling, die kleinen verstreut liegenden Felder der Kleinbauern und das Gemeindeland (die Allmende), in riesigen Besitzungen zusammenzufassen. 5289 solche Private Acts wurden in den Jahren zwischen 1760 und 1815 erlassen. Durch den General Enclosure Act von 1801 wurden einige tausend mehr von diesen landwirtschaftlichen Großflächen (enclosures) geschaffen. Das Land konnte nun von etwa 10000 Pächtern, nicht zuletzt durch den Einsatz von Maschinen, effizienter bewirtschaftet werden. Viele der, bei dieser Agrarrevolution, besitzlos gewordenen Kleinbauern wanderten aus. Die Mehrheit jedoch bildete die Arbeiterschaft der beginnenden Industrialisierung. Die von Tocqueville beschriebenen Fabriken (Zeile 11) waren bereits vorwiegend mit von Dampfmaschinen betriebenen Webstühlen bestückt. Es wurde vor allem Baumwolle verarbeitet, die , im Zuge des transatla ntischen Dreieckshandels, aus den Kolonien eingeführt wurde. Die Textilindustrie wuchs wesentlich schneller als alle anderen Industriezweige und war somit Motor der gesamten industriellen Entwicklung. So kann man dem englischen Historiker Hobsbawm nur beipflichten, wenn er konstatiert: „Wer Industrielle Revolution sagt, meint Baumwolle.“ (Hobsbawm 1968:55). Einen weiteren Anstoß erhielt die wirtschaftliche Entwicklung Englands mit der eigentümlichen Auslegung der calvinistischen Prädestinationslehre durch einige strenggläubige Konfessionsgemeinschaften. Diese schrieben unter anderem vor, dass vor allem der wirtschaftliche Erfolg ausschlaggebend sei, ob man Gnade vor Gott fände. Die Puritaner, als eine dieser Gruppen, wurden 1763 von allen Staatsämtern ausgeschlossen, so konnten sie ihre Erwerbsethik , in den Bereichen Handel, Handwerk, Wirtschaft und später in der Industrie , voll entfalten. Dies und die allgemeine Erwerbsmentalität der Engländer, bei der erwirtschaftetes Kapital stets neu investiert wird, meint Tocqueville in den Zeilen 21 bis 24 seiner Reisenotiz. Der schnelle persönliche Gewinn und der Gedanke der Rentabilität machte Investitionen für die Gesellschaft (z.B. Straßen- und Wohnungsbau) nebensächlich.
Im dritten Absatz beschreibt Alexis de Tocqueville die Atmosphäre, der sich die Menschen in Manchester ausgesetzt sahen. Das Wasser in den Kanälen und Flüssen verwandelt sich in eine stinkende, schlammige, von den Abwässern der Fabriken verfärbte Brühe. Die Häuser reichen bis an die steilen Uferbänke der unbefestigten Flüsse, so sucht sich das Wasser immer wieder neue Wege, zerstört dabei die Fundamente der Häuser und reist sie mit sich. Alexis de Tocqueville vergleicht diese Szenerie mit der der antiken Unterwelt und deren Fluss Styx. Man hört die Geräusche der Schmelzöfen und das Pfeifen des Dampfes. Die riesigen Paläste der Industrie herrschen über die Stadt und hüllen sie in ständigen Nebel. Die Gesellschaft habe das Missverhältnis von Reich und Arm noch nicht überwunden. Immer noch arbeitet die in Armut lebende Mehrheit für den Profit der in Wohlstand lebenden Minderheit. Auf der einen Seite der Sklave, auf der Anderen der Meister. Die Schwäche des Individuums scheint hier stärker durchzudringen, als Inmitten einer Wildnis.
Die Industriestädte Englands wucherten mit dem Wachsen der Industriearbeiterschaft ins Uferlose. Die immense Umweltverschmutzung, vor allem durch die Textil- und Hüttenindustrie, ist mit heutigen Maßstäben nicht im Entferntesten zu vergleichen. Die Menschen waren ständig von Rauch und Schmutz umgeben und lebten in unbeschreiblichen sanitären Verhältnissen. Sie mussten sich gegen Seuchen wie Cholera und Typhus behaupten und litten an schweren Atemwegserkrankungen. Die große Armut trieb viele Menschen in den Alkoholismus , bzw. in die Kriminalität. Die vielen Armengesetzte (Poor Laws) veränderten die Situation nicht im Geringsten. Eher drückten sie den Armen das Stigma des Versagens auf und bestimmten sie zu Parasiten der Gesellschaft. Sie wurden in gefängnisartige Armenhäuser, die so genannten „work houses“, nach Geschlechtern getrennt einkaserniert, damit sich die Armut nicht auch noch fortpflanzen könne. Jeder zehnte Brite lebte in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts am Rande des Existenzminimums. Die Handweber traf es am massivsten, ihre Löhne sanken in den Jahren 1805 bis 1833 von durchschnittlich 23 auf 6 Schilling pro Woche. Die Konkurrenz mit den immer schneller, präziser und kostengünstiger produzierenden, maschinell betriebenen Webereien, zwang die Handweber ihre Arbeiten immer billiger zu verkaufen und führte in den vierziger Jahren, den „hungry forties“, dazu, dass eine halbe Million Weber buchstäblich verhungerte. Der beständig wachsende Vermögensunterschied zwischen Arm und Reich prägte sich in den Industriestädten am deutlichsten aus, so auch in Manchester.
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- Quote paper
- Markward Kufleitner (Author), 2003, Interpretation des Abschnitts "Manchester" aus "Journeys to England and Ireland" von Alexis de Tocqueville (1835), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/307044