Diese Untersuchung möchte zur Diskussion einen Beitrag liefern, indem sie sowohl eine eigene Analyse wie auch einen Überblick über den Forschungsstand enthält. Zwei Fragen werden behandelt: Lässt sich die 1960 gefundene Beziehung auch heute noch signifikant nachweisen, und wie weit ist die Forschung im Verständnis der Ursachen.
Mit seinem Buch „Political Man – The Social Bases of Politics“ hat Seymour Martin Lipset im Jahr 1960 eine wesentliche Grundlage der modernen empirischen Politikforschung geschaffen. Seine Beobachtung eines Zusammenhangs zwischen sozioökonomischen Größen und der Stabilität von Demokratie führte zur Entwicklung der Modernisierungstheorie, die von vielen Politikwissenschaftlern mit unterschiedlichen Methoden vertieft wurde. Tatsächlich wurde diese Strömung so einflussreich, dass sie von einer Reihe anderer Forscher kritisiert wurde. Bei aller Attraktivität dieser Theorie stellten sie infrage, ob zwischen den Größen eine Kausalität bestünde.
Die Modernisierungstheorie hatte einen großen Einfluss auf die Politik der von der Dominanz der Demokratie überzeugten Länder, die Demokratisierung förderten und Diktaturen sanktionierten. Denn sie brachte das Verbreiten von Demokratie mit scheinbar simpel zu generierender oder zu unterstützender Wirtschaftsentwicklung in Verbindung. Bis heute kann der im 20. Jahrhundert begonnene Prozess, die gesamte Welt mit friedenssichernden Demokratien zu überziehen, als nicht erfüllt gelten.
Angesichts massiv gesteigerter internationaler Wirtschafts- und Globalisierungsbeziehungen sollte die Hypothese eigentlich durch eine Anzahl an empirischen Beispielen bestätigt sein. Die Existenz von Nicht-Demokratien lässt begründete Zweifel an der Theorie selbst, wie auch an ihren Wirkmechanismen entstehen. Folglich findet man in der aktuellen Literatur keine allgemein akzeptierte Begründung gefundener Zusammenhänge.
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Modernisierungstheorie nach Lipset und Überprüfung durch Diamond
3 Untersuchung bivariater Zusammenhänge
3.1 Bivariate Korrelationen nach Diamond
3.2 Analyse der Zusammenhänge für das Jahr
3.2.1 Demokratiemessung
3.2.2 Demokratie und Bruttoinlandsprodukt
3.2.3 Demokratie und Human Development
3.2.4 Demokratie und Bildung
3.3 Zeitlicher Verlauf des Zusammenhangs
3.4 Vergleich der Ergebnisse für 2012 mit denen von Diamond für
4 Aktueller Stand multivariater Studien
5 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang: Zusätzliche Abbildungen und Tabellen..
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Linearer Zusammenhang zwischen dem BIP/Kopf und dem Freedom House Index für das Jahr 2012
Abbildung 2: Logarithmischer Zusammenhang zwischen dem BIP/Kopf und dem Freedom House Index für das Jahr 2012
Abbildung 3: Logarithmischer Zusammenhang zwischen BIP/Kopf und Freedom House Index ohne Rentierstaaten für das Jahr 2012
Abbildung 4: Zusammenhang zwischen dem Human Development Index und dem Freedom House Index für das Jahr 2012
Abbildung 5: Zusammenhang zwischen BIP/Kopf und Human Development Index
Abbildung 6: Zusammenhang zwischen dem Education Index des „Knowledge for Development“ Programms der Weltbank und dem Freedom House Index 2012
Abbildung 7: Zusammenhang zwischen log(BIP/Kopf) und dem Education Index des „Knowledge for Development“ Programms der Weltbank
Abbildung 8: Logarithmischer Zusammenhang zwischen dem BIP/Kopf und dem Polity Index für das Jahr 2012
Abbildung 9: Logarithmischer Zusammenhang zwischen dem BIP/Kopf und dem KID für das Jahr 2012
Abbildung 10: Logarithmischer Zusammenhang zwischen dem BIP/Kopf und dem EIU Index für das Jahr 2012
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Lineare Korrelationskoeffizienten zwischen den verschiedenen Demokratiemaßen
Tabelle 2: Korrelationskoeffizienten für den Zusammenhang zwischen log(BIP/Kopf) und verschiedenen Demokratiemaßen
Tabelle 3: Korrelationskoeffizienten für den Zusammenhang zwischen Human Development Index und Demokratiemaß, für alle Länder und für Länder mit weniger als 10% Erdölrente
Tabelle 4: Zusammenhang zwischen Bildungsindex und Freedom House Index
Tabelle 5: Korrelation zwischen log(BIP/Kopf) und den Freedom House Indizes in drei verschiedenen Jahren
Tabelle 6: Liste der in dieser Analyse verwendeten Länder, ihre Kürzel sowie die wichtigsten für 2012 benutzten Variablen
Tabelle 7: Liste der in dieser Analyse nicht berücksichtigten Länder
1 Einleitung
Mit seinem Buch „Political Man – The Social Bases of Politics“ hat Seymour Martin Lipset im Jahr 1960 eine wesentliche Grundlage der modernen empirischen Politikforschung geschaffen. Seine Beobachtung eines Zusammenhangs zwischen sozioökonomischen Größen und der Stabilität von Demokratie führte zur Entwicklung der Modernisierungstheorie, die von vielen Politikwissenschaftlern mit unterschiedlichen Methoden vertieft wurde. Tatsächlich wurde diese Strömung so einflussreich, dass sie von einer Reihe anderer Forscher kritisiert wurde. Bei aller Attraktivität dieser Theorie stellten sie infrage, ob zwischen den Größen eine Kausalität bestünde.
Die Modernisierungstheorie hatte einen großen Einfluss auf die Politik der von der Dominanz der Demokratie überzeugten Länder, die Demokratisierung förderten und Diktaturen sanktionierten. Denn sie brachte das Verbreiten von Demokratie mit scheinbar simpel zu generierender oder zu unterstützender Wirtschaftsentwicklung in Verbindung. Bis heute kann der im 20. Jahrhundert begonnene Prozess, die gesamte Welt mit friedenssichernden Demokratien zu überziehen, als nicht erfüllt gelten. Angesichts massiv gesteigerter internationaler Wirtschaftsund Globalisierungsbeziehungen sollte die Hypothese eigentlich durch eine Anzahl an empirischen Beispielen bestätigt sein. Die Existenz von Nicht-Demokratien lässt begründete Zweifel an der Theorie selbst, wie auch an ihren Wirkmechanismen entstehen. Folglich findet man in der aktuellen Literatur keine allgemein akzeptierte Begründung gefundener Zusammenhänge.
Diese Untersuchung möchte zur Diskussion einen Beitrag liefern, indem sie sowohl eine eigene Analyse wie auch einen Überblick über den Forschungsstand enthält. Zwei Fragen werden behandelt: Lässt sich die 1960 gefundene Beziehung auch heute noch signifikant nachweisen, und wie weit ist die Forschung im Verständnis der Ursachen.
Nach einer Darstellung der Untersuchungen von S. M. Lipset, sowie eines Überblicks über den Stand der fachwissenschaftlichen Diskussion 1992 durch Larry Diamond, werden für das Jahr 2012 in einer eigenen Korrelationsanalyse zwischen dem Grad der Demokratisierung und dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung 151 Länder untersucht. Ebenfalls betrachtet diese Analyse den von manchen Autoren favorisierten Human Development Index, und diskutiert den Einfluss von Bildung. Es schließt sich ein Kapitel an, in dem der aktuelle Stand der fachwissenschaftlichen Diskussion dargestellt wird. Empirische Studien verwenden heute oft multivariate Regression als Methode, um unter Bewahrung von Validitätsansprüchen möglichst tiefe Einblicke zu erzielen. Der in Studien überwiegend als positiv gefundenen Evidenz für Wohlstand als Ursache von Demokratie stehen auch Nachweise des Fehlens von Zusammenhängen gegenüber. Eine umgekehrte Richtung der Kausalität wird ebenso als möglich angenommen, wie auch der Einfluss verborgener Variablen wie z.B. Bildung oder Kultur, auch kann ein Mix aus verschiedenen Mechanismen für die Transition hin zur Demokratie verantwortlich sein.
2 Modernisierungstheorie nach Lipset und Überprüfung durch Diamond
Lipsets erster Beitrag (Lipset 1959), legte schon Ende der 50er Jahre den Grundstein für die quantitative Untersuchung eines Zusammenhangs, den die spätere Modernisierungstheorie zu ihrer wichtigsten Gesetzmäßigkeit deklarieren würde. Zwar hatte er nicht die Intention, einer der Begründer dieser Schule zu werden, doch kann er aufgrund seiner bahnbrechenden frühen Veröffentlichungen zweifelsfrei dazu gezählt werden. In einer von den Nachwehen des zweiten Weltkrieges geprägten und keinesfalls von der Dominanz friedensstiftender Demokratien überzeugten Welt machte er sich wie viele andere Forscher auf die Suche nach den alles überzeugenden Grundvoraussetzungen (prerequisites), die für die Existenz einer Demokratie maßgeblich seien. Er postulierte früher als andere Autoren einen generellen Zusammenhang von steigenden Entwicklungsniveaus und sich daraus ergebenden stabilen Demokratien. Seine Leistung bestand nicht nur im Postulieren dieser Regelmäßigkeit, sondern besonders auch im Aufzeigen der die Veränderung bewirkenden Prozesse. Endpunkt der Entwicklung eines Staates sollte eine Demokratie sein, in der ein möglichst großer Teil der Bevölkerung die wichtigsten Entscheidungen beeinflussen könne, und die verstanden werden könnte „[…]as a political system which supplies regular constitutional opportunities for changing the governing officials“ (Lipset 1960: 45). Dieses Zitat weist sein Demokratieverständnis als das einer elektoralen Demokratie aus, die lediglich die Möglichkeit eines Regierungswechsels und den Wettbewerb beachtet; eine vorsichtige Formulierung, die ihm bei einer dadurch größeren Länderauswahl helfen sollte. Die Lipset vorschwebende Idee war demnach eine Verwirklichung von Freiheit, die den Fokus auf die Beherrschten legt und ihnen neue Möglichkeiten öffnet. Sie zu erreichen und dauerhaft zu etablieren galt zu seiner Zeit, vor dem Hintergrund des sich bildenden Ost-West-Kontrasts, als großes Ziel. Es wird hier bereits deutlich, dass Lipset eigentlich die Demokratie als Zustand auffasst; sie hat stabil zu sein. Der vorgelagerte Prozess wird von ihm weniger untersucht, das heißt, ein Land, dass stets demokratisch gewesen ist, geht mit genau dem gleichen Gewicht in seine Ergebnisse ein, wie eines, das vor kurzer Zeit eine von Revolten begleitete Transition vollendet hat. Die von ihm aufgestellte Vermutung über den Zusammenhang von Ursache und Wirkung geht von nicht mehr aus, als dass in als Staaten verfassten Ländern wirtschaftliche Prosperität mit dem politischen System der Demokratie einhergeht. Wird das Konzept der ökonomischen Entwicklung jedoch nur auf Materielles beschränkt, greift es zu eng. Eine Steigerung imsozioökonomischenLevel nämlich würde sich positiv auf die Demokratiestabilität auswirken. „The more well to-do a nation, the greater the chances it will sustain democracy“ (Lipset 1960: 49-50), lautet sein viel zitierter, einprägsamer und doch wegen dem Wort „sustain“ zu Spekulation Anlass gebender Satz. Dass dem nun so wäre, führt er auf einige Ursachen zurück. Obwohl nicht weiter die politische Kultur betrachtend, geht er von Auswirkungen auf die Demokratie tragenden Gesellschaftsgruppen aus. So ändere sich das Denken über politisches Geschehen und vor allem die eigenen Möglichkeiten bei den sozial Schwachen, der „lower strata“ (ebd.: 61) enorm, wenn sie einer sichereren Zukunft entgegen schauten. Aufgrund gesunkener Einkommensungleichheiten entschärfe sich dadurch zudem der Klassenkampf. Überhaupt wüchsen die Mittelschichten durch den zunehmenden Wohlstand, deren gesteigerte Zufriedenheit führe zur Unterstützung gemäßigter politischer Orientierungen und, im Falle von Gleichgültigkeit, zumindest zur Ablehnung stabilitätsgefährdender extremistischer Sichten. Damit nimmt er bereits den Gedanken einer kongruenten politischen Kultur vorweg, die Almond und Verba aber erst 1963 ausarbeiten sollten (siehe dazu Almond: 1963, 21). Lipset warnt allerdings vor einem zu schnellen wirtschaftlichen Wachstum. Eine rasant wachsende Arbeiterschaft niedriger Qualifikation habe in vielen Beispielen zur Stärkung der extremen Linken geführt und damit die Demokratie behindert (Lipset 1960: 68-72).
Im zusätzlichen Kapitel zur zweiten Auflage des „Political Man“ unterstützt Lipset diese These durch den Hinweis, dass in demokratischen Staaten der sozioökonomische Status Einfluss auf politische Überzeugungen und das Wahlverhalten haben (Lipset 1981: 468-469). Während dieser Mechanismus bei den Bürgern ansetzt, sieht Lipset einen Vorteil der Entwicklung auch auf der Seite der Autoritäten, die in die Lage versetzt würden, eine funktionierende Verwaltung aufzubauen. Eine wirksame Bürokratie, die die alten Praktiken des Nepotismus (Lipset 1960: 66) durch Verlässlichkeit ersetze, hätte eine nicht von der Hand zu weisende stabilisierende Wirkung für freiheitliche Staaten. Dazu führte er auch in einer historischen Analyse der USA 1963 weitergehend aus, wie sich Demokratien durch Legitimität stabilisieren, wenn sie ihre wirtschaftliche Effektivität beweisen (Lipset 1963: 245-247). Als zusätzliche Folge des Wohlstands sieht er die wachsende Zahl gesellschaftlicher Gruppen an, die sich zu Organisationen manifestieren. Deren demokratieförderlicher Charakter bestünde im steten Kontrollieren der mit Entscheidungen beschäftigten Instanzen und deren Verhaltens.
Da Lipset für die ökonomische Modernität eine Reihe von positiven Wirkungen angibt, scheint dieser Zusammenhang einen komplexeren Wirkmechanismus zu besitzen (Lipset 1960: 74). Für ihn gehört besonders das Bildungsniveau einer Gesellschaft zu diesen Mechanismen, und er widmet ihm mehrere Seiten im „Political Man“ (ebd,: 54-57). Durch das längere Auseinandersetzen mit schulischen Inhalten werden die Bürger in die Lage versetzt, rationale Präferenzen zu setzen, die Bedeutung toleranter Umgangsformen einzusehen, ja, darüber hinaus ihre Existenz in einem gemeinschaftlichen Ganzen zu verstehen: „Education presumably broadens man´s outlook…“ (ebd.: 56). So kommt er zum Schluss, dass ein gewisses Bildungsniveau einer notwendigen Bedingung für Demokratie nahekommt. Indem er auf den Effekt schulischer Ausbildung auf die einzelnen Bürger, ihre politische Orientierung und Einstellung, auch auf die Regeltreue zu Verfahren, die auf demokratische Weise abgehalten werden sowie und vor allem das gelernte Festhalten an derlei Werten verweist, ist aus heutiger Sicht zu sehen, wie sehr Lipset den Anfangspunkt einer Reihe fruchtbarer wissenschaftlicher Untersuchungen bildete.
Die Religion geht als besonderer kultureller Faktor ein: Der Protestantismus hatte laut Lipset eine große Bedeutung für das Entstehen liberalen Gedankenguts. Durch das Betonen individueller Verantwortung wurden Kapitalismus und demokratische Werte früh gefördert (Lipset 1959: 165). Der Katholizismus dagegen unterstützte, insbesondere vor dem 2. Weltkrieg, die Demokratie nicht, der Islam sei wegen unterschiedlicher Traditionen und Wertvorstellungen schwer vereinbar (Vatikiotis 1988; zit. nach Lipset 1993: 169-170). Auch Eisenstadt sieht Islam und Konfuzianismus mit demokratiefeindlichen Eigenschaften verbunden (Eisenstadt 1968: 25-27).
Neben diesen theoretischen Überlegungen gilt sein Werk als bahnbrechende empirische Analyse in diesem Bereich. Interessant ist das Vorgehen bei Lipsets Untersuchung. Der Leser kann dahinter seine Auffassung von Modernität erkennen. Was er sich damals unter dem Konzept der ökonomischen Entwicklung vorstellte, war eine Auffächerung in vier Komponenten. Bildung bedeutete für Lipset, sich die Analphabetenrate anzusehen, während als Indikatoren für den Wohlstand Versorgungskennzahlen (wie Ärzte pro 1000 Einwohner) und das Bruttonationaleinkommen pro Kopf begutachtet wurden. In Ergänzung zu diesen sah er noch zwei beschreibende Dimensionen vor, die das Entwicklungsniveau charakterisieren: Der Urbanisierungsgrad sowie die Industrialisierung. Während heutige Forscher auf eine umfassendere Datenvielfalt zurückgreifen können, musste Lipset bei seinen Ansätzen dem Problem entgegensehen, dass er sich am Anfang der quantitativen Datenanalyse befand. Ersichtlich ist dies besonders bei seiner Länderauswahl. Die erwähnte Demokratiedefinition erlaubte es ihm, seinen Wunsch, einen Zusammenhang, den er in Englisch sprechenden Staaten fand, auch in anderen Kulturkreisen und Ländern prüfen zu können, trotz der gegebenen raren Datenlage. So verglich er die Regionen Europa und Lateinamerika, wobei er jeweils anhand eigener Einschätzung eine dichotome Länderunterteilung in „demokratisch“ und „diktatorisch“ vornahm. Instabile Regime fasste er im Nachkriegs-Europa mit den meist kommunistischen Diktaturen zusammen, in Lateinamerika zählte er sie zu den Demokratien (ebd.: 30). Denn um die Kausalität prüfen zu können, war eine Einteilung in zwei Gruppen nötig; dabei bemühte er sich, sie auf ein gemeinsames Merkmal, die Demokratie, hin auszusuchen.
Als Methode nahm er bivariate Zusammenhangsmaße zur Hand, wobei die Variablenausprägungen durch schlichte Mittelwerte innerhalb der Gruppen gebildet wurden. Diese Arbeitsweise mag zwar heute als zu einfach erscheinen, war aber vor dem Hintergrund damaliger Möglichkeiten völlig angemessen und zudem in der Lage, die zu überprüfende Hypothese zwischen zunehmender Wirtschaft und steigender Wahrscheinlichkeit für Demokratie zu belegen. In Kürze beschrieben, fand Lipset ein deutlich höheres Entwicklungsniveau der von ihm untersuchten demokratischen Staaten, die europäischen hatten dabei mit Abstand die höchsten Bedingungen vorzuweisen, was die These erstmal bestätigte. Interessanterweise waren diese aber nicht von den lateinamerikanischen Demokratien gefolgt. Jene waren an dritter Stelle, hinter den Diktaturen Europas platziert. Die Stärke der europäischen Demokratien schlug sich auf die wichtigsten Indikatoren aus, zum Beispiel besaßen diese ein Prokopfeinkommen von 308 USD, wohingegen es in Amerika bei 171 USD lag. Den südamerikanischen Demokratien gelang es nur bei der Zahl der PKW-Besitzer sowie der Urbanisierung die zweite Stelle einzunehmen.
Den schon 1960 publizierten Zusammenhang sieht Lipset in einer 1993 veröffentlichten Studie grundsätzlich bestätigt, in der er zusätzlich fand, dass die Wahrscheinlichkeit für die Transition zur Demokratie nur bis zu einem Prokopfeinkommen von 5000 USDN-förmigansteigt, oberhalb dessen aber konstant ist; auch ohne Berücksichtigung einiger Ölstaaten (Lipset 1993: 163). Er befürwortet, neben dem reinen Einkommen auch andere, die Lebensqualität messende Größen heranzuziehen (ebd: 166), die besser als Geld die Situation der Menschen in den Regionen der Erde beschreiben. Deren Verbesserung führe zur Stärkung der Mittelschicht, die ihrerseits nach mehr Freiheit fragt.
Generell ist Lipsets Gedanke eher als Wahrscheinlichkeitsaussage zu verstehen, als „Wenn-Dann“-Aussage, die von höheren Stabilitäten ausgeht, und nicht als deterministisch geltend verstanden wissen will. Auch Lipset gibt bei Übergängen hin zur Demokratie Pakten zwischen Herrschenden und der Opposition Bedeutung. Doch die sozialen Bedingungen legen für ihn das Fundament für deren erfolgreiche Umsetzung (Lipset 1993: 158). In seiner „presidential address” als Präsident der American Sociological Association stellt Lipset klar, dass die von ihm präsentierten Faktoren zwar die Wahrscheinlichkeit für die Ausbildung einer Demokratie formen, aber es kein deterministisches Endergebnis gibt, keine allgemeingültige Formel, mit der die Zukunft eines Landes berechenbar sei (Lipset 1994: 17). Er unterstreicht daneben auch die Bedeutung der politisch Handelnden, deren Fähigkeiten und Taktiken einen bedeutenden Einfluss auf die Ausprägung des Regimes in ihrem Land zu ihrer Zeit haben. Für ihn gibt es keinen Gegensatz zwischen der Untersuchung von wichtigen Bedingungen und den Akteurstheorien – beideergänzensich (ebd.: 16).
Gleichwohl ist Lipsets Satz im Rahmen der Modernisierungstheorie in den Stand eines Gesetzes gestiegen, andere Erklärungsmechanismen haben mit ihren Erwei-terungen zu einem breiteren Blick geführt. Seine Veröffentlichungen haben eine breite Resonanz in der fachwissenschaftlichen Literatur hervorgerufen, die von Anhängerschaft bis zu schroffer Ablehnung reichte. Die ganze Diskussion hier darzustellen würde ausufern, und ist für die Jahre vor 2000 zum Beispiel von Wolfgang Muno vorgelegt worden (siehe auch Muno 2001). Anstelle dessen betrachten wir nun die Zusammenfassung der Diskussion der ersten 3 Jahrzehnte nach Lipset, die Larry Diamond, ein Schüler Lipsets, 1992 vorgelegt hat (Diamond 1992). Deren Kernaussage würdigt Muno als die Quintessenz der optimistischen Hypothese (Muno 2001: 22). Diamonds eigene Analysen werden später vorgestellt, hier deshalb zuerst nur seine Übersicht über den Stand der Diskussion um 1990.
Diamond macht drei Schulen aus, die Lipsets Modernisierungstheorie und damit für abzuleitende Handlungen die Option, gezielt Autokratien durch Geld zu Fall zu bringen, nicht teilen (ebd.: 114-116). Als Erstes führt er die Theorie der abhängigen kapitalistischen Entwicklung an („Dependency School“): Staaten, die sich wirtschaftlich entwickeln wollten, müssten im Wettbewerb Gewerkschaften entmachten und mit repressiven Methoden ein niedriges Lohnniveau erreichen, deshalb führe wirtschaftliche Entwicklung zu einem Abbau von Demokratie (siehe dazu über lateinamerikanische Länder O’Donnel 1973). Die zweite Richtung sieht das Problem, dass die drei Ziele Wachstum, Gleichheit und Partizipation in verschiedenen Entwicklungsphasen im Widerspruch zueinander stünden. Länder müssten sich zwischen populistischen Demokratien oder aber bürokratischen Autokratien entscheiden (siehe dazu Huntington 1976, zit. nach Diamond 1992: 114)[1]. Die dritte Kritikrichtung bemerkt, dass sich die frühen Demokratien, wie z.B. die USA und Frankreich, bei sehr geringer Wirtschaftsleistung gebildet hätten, mithin könnte die sozio-ökonomische Entwicklung nicht Ursache sein (siehe dazu Rustow 1970: 352). Vielmehr sei die Ursache, dass die damalige Elite eine Demokratie als die für sie beste Lösung einer bestehenden Konfliktsituation angesehen habe. Danach hätten diese den Vorteil einer graduellen Entwicklung gehabt, in der sich die Institutionen entwickelten und die politische Teilhabe weitere Kreise der Bevölkerung umfassen konnte, eine solche gemächliche Entwicklung sei aber heute aufgrund der schnellen Kommunikation und weltweiten Verflechtung nicht mehr möglich. Diamond meint dazu, dass Theorien, die sich hauptsächlich mit dem historischen Handeln von Eliten beschäftigten, die langfristigen Effekte sozioökonomischer Entwicklung häufig übersähen (Diamond 1992.: 116). Um die sozioökonomische Entwicklung als Ursache von Demokratie zu testen, unterscheidet Diamond die Kategorien „Politische Kultur“, „Klassenstruktur und internationale Einflüsse“, „Staat und Gesellschaft“ und „Zivilgesellschaft“.
In den Bereich der politischen Kultur (ebd.: 117-119) rechnet er zuvorderst die Bildung und zitiert Quellen, die belegen, dass das Bildungsniveau den größten Einfluss auf die politische Haltung der Bevölkerung hat. Bildung und Medien führen zu aktiven Bürgern, die auf Wirksamkeit des Staates, aber auch auf Achtung von Minderheitswie auch Freiheitsrechten bestehen und Autorität in Frage stellen. Am unteren Ende der politischen Kultur findet man, dass in wenig entwickelten Ländern mehr politisch motivierte Gewalt herrscht. Diese behindert die Entwicklung von Demokratie.
Sozioökonomische Entwicklung verändert die Klassenstruktur, sie führt zur Bildung eines Handelssowie eines industriellen Bürgertums, Bildung von Gewerkschaften und einer Einkommenssteigerung der Arbeiter, verbunden mit einer allgemeinen Reduzierung der Radikalität (ebd.: 119-121). Häufig geht sie einher mit einer erheblichen Wanderungsbewegung der Landbevölkerung in die Ballungszentren, diese bewirkt eine Auflösung der feudalistischen Herrschaftsstrukturen[2]. Eine Eigenschaft der sich bildenden Mittelschicht sei es häufig, zuerst auf der Seite der Herrschenden zu stehen, aber im Laufe der Zeit zunehmend eigenen strategischen Interessen zu folgen, so fördere die sozioökonomische Entwicklung die Demokratisierung. Weltweiter Handel und immer breitere Kommunikationsmöglichkeiten führen zudem zu einer Internationalisierung von Eliten. Dazu führt auch, dass diese häufig an Universitäten Großbritanniens oder der USA einen Teil ihrer Ausbildung absolvieren und dadurch westliche Werte annehmen (als Beispiel siehe Parr 2013).
In der Ära nach dem zweiten Weltkrieg hätten unterentwickelte neue Länder oft große Staatsapparate anschwellen lassen, die über die meisten Ressourcen verfügten und diese verteilten (ebd.: 121-123). Es entstand eine neue politische Klasse, diese nahm den Staat in Besitz und verteilte die Güter (meist unter sich). Aus-scheiden aus dem Machtapparat bedeutete in der Regel auch Verlust der materiellen Versorgung und wurde mit allen verfügbaren Mitteln vermieden; politische Gewalt, Machtmissbrauch, Korruption, Wahlbetrug, ethnische Konflikte und daraus folgender wirtschaftlicher Stillstand hatten laut Diamond nach der Entkolonialisierung oft das Scheitern von Demokratien zur Folge und behinderten die Bildung eines autonomen, produktiven Bürgertums, was wiederum zur Verarmung der Länder beitrug.
Diamond unterstreicht (ebd.: 123-125) die Bedeutung der Zivilgesellschaft, nicht staatlicher Organisationen und Strukturen, die ein Gegengewicht zu staatlicher Macht bilden. Sie eröffnen ihren Mitgliedern Möglichkeiten der Betätigung, dadurch dienten sie auch dazu, zukünftige politische Eliten auszubilden. Auch wenn nicht alle nichtstaatlichen Organisationen das Ziel der Demokratisierung verfolgen und manche sogar dagegen arbeiten, hat ihre wachsende Anzahl und Pluralität nach Diamonds Meinung eine wesentliche Bedeutung für das Ansteigen der weltweiten Demokratie. Ursache für die Entwicklung einer Zivilgesellschaft aber sei vor allem die sozioökonomische Entwicklung der Länder.
Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen, untermauert durch seine eigenen, in Kapitel 3.1 vorgestellten Untersuchungen, leitet Diamond fünf Schlussfolge-rungen ab (Diamond 1992:125-127):
1. Wachsender Wohlstand hat in bestehenden Demokratien die Folge, dass er diesen eine zusätzliche Legitimation verschafft und sie damit stabilisiert. In undemokratischen Ländern aber führt er früher oder später schließlich zur erfolgreichen Errichtung einer Demokratie, wobei der Zeitpunkt nicht vorhersehbar ist und auch von den Umständen, den Institutionen und politischen Entscheidungen der Führung abhängt, „Where democracy does not exist, it leads (sooner or later) to the eventually (if not initially)successfullestablishment of democracy.“ (zit. ebd,; 125)
2. Sozioökonomischer Erfolg legitimiert mehr die Demokratien als Diktaturen.
3. Es ist nicht die wirtschaftliche Entwicklung an sich, die Demokratisierung fördert, sondern die dadurch bewirkten sozialen Veränderungen und Verbesserungen. Es liegt in der Natur des Menschen, sich zuerst um grundlegende Bedürfnisse der Sicherheit zu kümmern. Sind diese abgedeckt, wird es wahrscheinlicher, dass er weitergehende (soziale) Rechte für wertvoll hält. Diese Argumentation sei nach Inglehart und Welzel auch die Erklärung für den zeitgenössischen Postmaterialismus (Inglehart 1997).
4. Ökonomische Entwicklung fördert die politische Kultur, die Klassenstruktur durch Bildung eines Bürgertums, die Beziehung zwischen Staat und Gesell-schaft und die Zivilgesellschaft.
5. Demokratie kann sich auch in armen Ländern entwickeln, wenn die unter 4. gelisteten Parameter dort genügend entwickelt sind; eine Aussage, die viele seiner Kritiker nicht bestreiten würden (s. Przeworski 1997: 178).
Die erste These geht über Lipsets Aussagen hinaus. Während dieser nur über Wahrscheinlichkeiten redet, bringt Diamond einen Determinismus ins Spiel, bei dem nur der Zeitpunkt der letztendlich erfolgreichen Transition nicht bestimmbar ist.
Im Gegensatz zur hier skizzierten Modernisierungstheorie steht die Akteurstheorie, die Strategien, Handlungen und Entscheidungen politischer Akteure in den Mittelpunkt stellt. (siehe dazu z.B. Schwanitz 1997: 18). „Entscheidend sind hier nicht in erster Linie die bestehende Struktur oder die vorgefundenen Rahmenbedingungen, sondern die Art und Weise, wie die relevanten Akteure mit diesen umgehen.“ (Zitat ebd.: 18) Die politisch Handelnden, zum Beispiel das Regime und Parteien, schließen Pakte ab, die sie für sich als günstig ansehen; die Analyse des Verhaltens von Eliten beim Entstehen dieser Pakte und nicht der Rahmenbedingungen sei wesentlich für die Untersuchung demokratischer Transitionen (Karl 1991: 270-271). Diesem Ansatz widerspricht Lipset (Lipset 1993: 16): „I disagree.“ Für ihn sind Pakte einMittel, Demokratie zu institutionalisieren, die Wahrscheinlichkeiten aber, dass sie zuerst zustande kommen und dann auch erfolgreich sind, hängen von den (sozioökonomischen) Voraussetzungen ab. Die sozioökonomischen Einflüsse und ihre Unterpunkte sind unter den Faktoren zu finden, welche die Begründung der Handlung Einzelner kausal beschreibt, so dass etwa die politische Kultur den agierenden Akteuren als Rahmengeber vorgelagert ist. Dass die Rahmenbedingungen somit implizit Entscheidungen verändern, ist daran das Bedeutsame – ohne bedeutenden Akteuren ihre großen Verdienste absprechen zu wollen.
3 Untersuchung bivariater Zusammenhänge
Zusammenhänge zwischen zwei Variablen lassen sich untersuchen, indem man Korrelationen betrachtet. Eine solche quantitative Untersuchung hat Larry Diamond (Diamond 1992) ca. 30 Jahre nach Lipsets grundlegender Arbeit veröffentlicht, die Ergebnisse dieser Analyse sollen hier als Ausgangspunkt für die folgenden Analysen vorgestellt werden. In einer eigenen Analyse wird dann die Frage beantwortet, ob die von Diamond bestätigten Gesetzmäßigkeiten heute noch gelten.
3.1 Bivariate Korrelationen nach Diamond
Die von Diamond im Jahr 1989 durchgeführten „cross-tabulations“ zwischen der Regimeausprägung und der wirtschaftlichen Entwicklung interpretierte er als eine Bestätigung der von Lipset in den 60ern gefassten Aussage. Während Lipset noch auf schlichte Weise die Länder der Welt in Demokratien und Nicht-Demokratien einteilte, konnte Diamond auf die viel umfangreichere Freedom House Ländereinteilung zurückgreifen. Die Gewichtung freiheitlicher Prinzipien geschah durch Punktevergabe, auf Basis derer er eine 7-stufige Regimetyp-Messung gestaltete, mit liberalen Demokratien auf der einen, und hegemonischen, geschlossenen Staaten auf der anderen Seite. In einer bivariaten Korrelationsanalyse betrachtete er nun den Zusammenhang zwischen den Freedom-House-Werten als unabhängiger und dem Prokopfeinkommen als abhängiger Variable für das Jahr 1989. Für letztere bezog er seine Daten von der Weltbank, wobei er hier eine Unterteilung in vier Einkommensintervalle vornahm. In jener Zeit gab es viele Staatsneubildungen. Mangels Wirtschaftsdaten wurden einige (nicht näher spezifizierte) kommunistische Länder aus der Analyse ausgeschlossen. Trotz dieser Einschränkung, aus den 118 Zahlen seiner Tabelle schließt Diamond (wiederum) auf einen offensichtlichen bidirektionalen Zusammenhang zwischen ökonomischer Entwicklung und Demokratie. Im Einzelnen beobachtet er, dass es nur einen moderaten Unterschied der beiden Gruppen „obere Mittelklasse und untere Mittelklasse“ gab. Zwar seien mehr „fully democracies“ (Diamond 1992: 100) in der oberen Klasse zu finden (11% gegen 2%), aber dennoch sei der AutokratieAnteil mit 11 % (gegen 4%) dort ebenfalls mehr als doppelt so hoch. Neben dieser leichten Abweichung von Lipsets These, erscheint es aber wiederum völlig konform, dass in der „low-income“-Gruppe die wenigsten Länder demokratisch sind, neben sehr kleinen Ländern auch das große Indien. Diese bilden die Ausnahmen von der hier sehr ersichtlichen Struktur, wonach die beiden autoritärsten Formen mit je ca. 70% am häufigsten in der einkommensschwächsten Länderauswahl vorkommen. Auch gelingt es Diamond mit der Analyse, den demokratieförderlichen Einfluss von Wohlstand aufzuzeigen. Nicht weniger als 83% der reichsten Länder gehören zu den drei stärksten Demokratietypen und bilden damit ein starkes Fundament für Lipsets Aussage. Allerdings sei gesagt, dass zwar erstaunliche 83% der liberalen Demokratien auch beim Einkommen Spitze sind, allerdings der Wert bei der zweitstärksten (pluralistischen) Demokratiegruppe viel geringer ist. Hier sind nur 21% (fünf Länder) auch wirtschaftlich stark, viel mehr Länder dieses Typs, 54% liegen gar in einem der niedrigen Einkommensbereiche. Diese Beobachtung deckt sich ebenfalls mit einer von Huntington im Jahr 1991 gemachten Untersuchung (siehe Huntington 1991). Bei den von ihm untersuchten Demokratisierungen (dritte Welle) fand dieser, dass zwei Drittel davon in der ärmeren Gruppe von 300-1300 USD geschahen. Zwar waren damit immer noch 33,3% unter den reicheren Ländern, dennoch hätte Lipset dies sicher nicht vorausgesehen.
Um diese die Behauptung Lipsets etwas revidierenden Ergebnisse zu entkräften, nimmt Diamond die Untersuchung der Abhängigkeit von einer weiteren, für ihn wichtigeren Variable vor. Dafür führt er an, dass die schlichte Mittelung des Einkommens einer Nation, wie es viele Untersuchungen vormachten, nur wenig über dessen (möglicherweise extrem ungleiche) Verteilung sagte. Zudem sei die Erfassung mitunter schwer, etwa in kommunistischen Systemen oder im Fall der als übertrieben angenommenen Entwicklungslevel in ölexportierenden Staaten. Mit der Begründung, dass das mittlere BIP/Kopf im Gegensatz zu Größen wie Bildung oder Lebenserwartung nichts über die Gleichheit der Verteilung innerhalb eines Landes aussagt[3], schaut er sich zusätzlich die Abhängigkeit vom Human Development Index, der vom United Nations Development Program herausgegebenen wird, an. Er bevorzugt diesen daher, weil er besonderen Fokus auf das menschliche Wohlergehen (ebd.: 100) legen und eben nicht nur das Monetäre betrachten wollte. Der HDI erfüllt mit seiner gleichen Gewichtung der drei Maße Alphabetisierungsrate, Lebenserwartung und BIP genau diese Forderung. Methodisch genau wie beim Einkommen vorgehend, liefert die Korrelation zwischen den sieben Regimetypen und diesmal fünf HDI-Gruppen in den „extremen“ Bereichen gleiche Befunde. 85% der Länder mit hohem HDIWert finden sich in der höchsten Demokratiegruppe, hin zu den geringeren Werten flacht der Anteil wieder ab; dort besitzen knapp 77% der Länder die beiden am stärksten hegemonischen Regime. Unter den 57 schwach entwickelten Staaten ist 1990 nur eines eine volle Demokratie, das nächsthöhere Level hat tendenziell mehr Demokratien. Mehr von diesen finden sich dagegen im Mittelbereich, weswegen Diamond im Vergleich zum BIP bei diesem Index ein akkurateres Raster sieht. Bei mittleren Niveaus der Entwicklung ist der stufenweise Zusammenhang zum Grad der Demokratie besser. Trotzdem ist aber kein einfaches lineares Ansteigen zu sehen. Darum ist die Gesamtkorrelation zwischen Regimeform und dem HDI auch nur 0,71; muss demnach also auch Ausreißer haben. Dieser hohe Wert leitete ihn dennoch dazu an, von einer bedeutend größeren Aussagekraft der humanen Entwicklung auszugehen, vor allem, da die Beziehung von BIP und Demokratie mit 0,51 niedriger ausfiel.
Londregan und Keith zeigten 1996, dass der Zusammenhang zwischen Einkommen und Demokratie bescheiden, aber noch signifikant ist, wenn man aus der Analyse die OECD-Länder entfernt (Londregan 1996: 21), um zu zeigen, dass diese nicht allein die Korrelation bewirken. In dieser umfangreichen Analyse gehen sie auf die Kritik an Lipset ein, dass der von ihm gefundene Zusammenhang durch nicht berücksichtigte Variablen vermittelt sei, und führen länderspezifische Effekte als zusätzliche Variable in ihre Regression ein, da z.B. das Alter des Herrschers oder sein politisches Umfeld einen kausalen Einfluss auf das Überleben eines Regimes haben könne (ebd.: 25ff). Einmal im Amt, hänge die Fortune eines Herrschers von seinem wirtschaftlichen Erfolg ab.
3.2 Analyse der Zusammenhänge für das Jahr 2012
Die hier vorgestellte Analyse untersucht die Korrelation zwischen Entwicklung und Demokratisierung für das Jahr 2012. Zum Zeitpunkt der Arbeit lagen Daten für das Jahr 2012 für praktisch alle Länder vor, Daten aus dem Jahr 2013 nur teilweise. Durch das Auslassen dieser Länder könnten Ergebnisse beeinflusst worden sein.
3.2.1 Demokratiemessung
Während Lipset in seiner grundlegenden Arbeit (Lipset 1960) seine 52 untersuchten Staaten in vier Regime-Gruppen einteilte, gibt es heute verfeinerte Instrumente, den Grad der Demokratie eines Regimes zu messen. Verschiedene Demokratieindizes stehen zur Verfügung, weshalb für die Auswahl im Folgenden zuerst einige gängige Indizes kurz beschrieben werden.
Ein früher Index zur Bestimmung des Grades der Demokratie wurde von Tatu Vanhanen entwickelt (Vanhanen 1990), der aus den Parametern Partizipation und Wettbewerb einen Wert für jedes Land errechnete. Da diese Berechnungen nur bis zum Jahr 2000 reichen, können sie für diese Untersuchung nicht verwendet werden.
Der Polity Index wird vom „Center for Systematic Peace“ herausgegeben, einer non-profit Gesellschaft mit Sitz in Vienna, VA USA (Center for Systematic Peace 2014). Das Polity Projekt wird jährlich aktualisiert und weitergeführt (Polity 2014). Von vielen Ländern wurde der Index sogar zwischen 1800 und 2013 ermittelt, was es ermöglicht, mit diesen Daten auch Langzeitstudien durchzuführen. Bewertet werden die formalen Kriterien der Auswahl der Exekutive, der Begrenzung exekutiver Macht und des politischen Wettbewerbs (Marshall 2014: 13). Daraus ergibt sich eine Skala, die von -10 (entspricht einer Erbmonarchie) bis +10 (vollständig institutionalisierte Demokratie) reicht.
Der Freedom House Index hingegen, frei zugänglich im Internet (Freedom House 2014), wird von einer unabhängigen Organisation erstellt, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Freiheit in der Welt zu vergrößern. Dazu verwenden sie zwei Unter-Indizes, einen, der die politischen Rechte der Menschen beschreibt und aus zehn Fragen der Bereiche Wahlprozess, Pluralismus und Teilhabe sowie dem Funktionieren der Regierung gebildet wird, sowie einen Index für 15 Fragen nach bürgerlichen Freiheiten aus den Bereichen Glaubensund Meinungsfreiheit, Versammlungsund Organisationsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit sowie persönlicher Autonomie und individueller Bürgerrechte (Freedom House 2012). Beide Indizes, die ab dem Jahr 1973 zur Verfügung stehen, können ganzzahlige Werte zwischen eins und sieben annehmen, wobei eine eins für eine vollständig institutionalisierte Demokratie bzw. Freiheit, eine sieben für uneingeschränkte Autokratie bzw. Unfreiheit steht.
Die Autoren des EIU-Indexes wiederum begründen die Schaffung ihres neuen Indexes damit, dass der Polity Index nur eine minimale Definition von Demokratie teste, und der Freedom House Index ebenfalls lediglich politische Rechte und Grundfreiheiten berücksichtige, aber nicht Aspekte der Gesellschaft und der politischen Kultur in den demokratischen Ländern (EIU 2012: 1). Ausmaß der Korruption, Transparenz der Regierungsarbeit, Einfluss der Sicherheitskräfte auf die Regierung, und Wahlbeteiligung sind Beispiele für bei ihnen mit berücksichtigte zusätzliche Faktoren. Deren umfangreicher Fragenkatalog von 60 Fragen ist in der Veröffentlichung des Indexes enthalten (EIU 2012: 9-11).
Beide klassischen Indizes kritisiert der Würzburger Politikwissenschaftler Hans-Joachim Lauth (Lauth 2012). Er bemängelt am Freedom House Index, dass die Trennung der beiden Indizes „Politische Rechte“ und „Bürgerliche Freiheit“ keine trennscharfe Messung erlaubten und nicht klar sei welche Frage zu welchem Index beitrage. Auch könne man aufgrund der publizierten Daten die Zuordnung nicht nachvollziehen (Lauth 2012: 11-12). Der Polity Index sei schwer einzuschätzen, da er sein Verständnis von Demokratie nicht definiere und daher die Überprüfung der Validität erschwert sei. Zuletzt erhalte die Freiheitsdimension ein höheres Gewicht als die Gleichheitsdimension. Für eine differenzierte Erfassung der Demokratiequalität in etablierten demokratischen Systemen sei diese Operationalisierung kaum geeignet (ebd.: 11).
H.-J. Lauth schlägt einen neuen Index vor, der als geometrisches Mittel gebildet wird, und aus dem Freedom House Index „Politische Rechte“, dem Polity Index und dem WGI-Index „Rechtstaatlichkeit“ besteht. Seit 1996 veröffentlicht die Weltbank alle 2 Jahre, seit 2004 jährlich Datensätze, die Worldwide Government Indicators (WGI), die Regime anhand sechs Dimensionen überprüft: Wahlfreiheit und Rechenschaftspflicht, politische Stabilität und Gewaltfreiheit, Effektivität der Regierung, Qualität der Regulierung, Rechtstaatlichkeit sowie die Kontrolle der Korruption (Kaufmann 2010: 4). In diesem Datensatz wird kein zusammenfassender Index angegeben; die online verfügbaren Daten (WGI 2014)stellen für die Forschung wichtiges Rohmaterial zur Verfügung.Dieses wurde auch von Forschern wie Lijphart (Lijphart 2012: 269) oder Inglehart und Wenzel (Welzel 2008: 128) verwendet.
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[1]Mark Gasiorowski untersuchte 49 unterentwickelte Länder im Zeitraum von 1968 und 1991 und fand einen negativen Zusammenhang zwischen Demokratie und wirtschaftlicher Performanz. Er führt dies auf die häufigen Wünsche nach höheren Löhnen und mehr Staatsausgaben zurück, die in Demokratien eher erfüllt würden (Gasiorowski 2000).
[2]In der gleichzeitigen Stärkung der Arbeiterklasse und Schwächung der Klasse der Landbesitzer sieht auch Rueschemeyer eine demokratiefördernde Wirkung von wirtschaftlicher Entwicklung (Rueschemeyer 1992).
[3]Diamond verweist für das Stichwort „Physical Quality of Life Index“ auf Morris 1979.
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- Martin Reisener (Autor), 2015, Die Modernisierungstheorie nach S. M. Lipset. Gilt sie noch heute und welche kausalen Zusammenhänge liegen zugrunde?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305624
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