Die vorliegende Arbeit widmet sich dem populären Begriff sogenannter Soft Skills und fokussiert die Ausprägung dieser Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern in Abschlussklassen von Oberschulen und Schulen zur Lernförderung. Es wurde hierbei untersucht, ob Unterschiede zwischen den befragten Schülerinnen und Schülern der jeweiligen Schulart beschrieben werden können. Den Ausgangspunkt dieser Überlegungen bilden zum einen die Erziehungs- und Bildungsaufträge beider Schularten, die sich neben der allgemeinen Bildung und Erziehung vordergründig auf die Berufsvorbereitung und -orientierung konzentrieren. Andererseits lässt sich aufgrund der scheinbar ›besonderen Stellung‹ der Schule zur Lernförderung im deutschen Schulsystem mit Blick auf die didaktisch-methodische Ausrichtung des Unterrichts die Annahme generieren, dass hierdurch eine stärkere Förderung dieser Soft Skills vorhanden sein könnte.
Empirisch soll sich den genannten Schwerpunkten mit einer Schülerbefragung mittels eines für diese Arbeit entworfenen Fragebogens gewidmet werden, mit welchem die Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen selbst die individuelle Ausprägung der Dimensionen einschätzen, die das Konstrukt der Soft Skills bilden. Hierbei wird sich gleichermaßen dem Thema der Berufsorientierung der Jugendlichen anhand der Exploration von Berufen, die die Schüler potenziell nach Abschluss ihrer Schulzeit anstreben, zugewendet.
Als Voraussetzung für die empirische Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit wird in den folgenden Abschnitten zunächst ein theoretisches Fundament geschaffen. So erfolgt in eine Annäherung an das Konstrukt der Soft Skills über die Darstellung der historischen Entwicklung des Kompetenzbegriffes sowie verschiedener Modelle hierzu. Hieran anschließend werden Bedingungsfaktoren für den Erwerb sozialer und berufsrelevanter Kompetenzen aufgezeigt, bevor anschließend die berufliche Orientierung während der Schulzeit sowie die Bedeutung der Soft Skills beim Übergang zwischen Schule und Beruf und damit verbundene Herausforderungen betrachtet werden. Die sich aus den theoretischen Überlegungen ableitenden Fragestellungen münden in einem folgenden Schritt in die Kapitel der empirischen Untersuchung der oben genannten Aspekte. Hierbei werden die Konzeption des hiesigen Vorgehens sowie die Durchführung der eigenen Untersuchung beschrieben, bevor die Ergebnisse präsentiert und ausgewertet sowie abschließend die zentralen Fragestellungen beantwortet werden.
Inhalt
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Zum Begriff Soft Skills
2.1.1 Historische Entwicklung des Kompetenzbegriffes
2.1.2 Das Modell arbeitsrelevanter Kompetenzen nach Salvisberg
2.1.3 Hard Skills vs. Soft Skills - eine Arbeitsdefinition
2.2 Der Erwerb von Soft Skills
2.2.1 Allgemeine Bedingungen für den Erwerb von Soft Skills
2.2.2 Der Beitrag der Schule
2.2.3 Schulformspezifische Einflussgrößen
2.3 Der Übergang zwischen Schule und Berufsleben
2.3.1 Das Bildungssystem und das duale Berufsausbildungssystem in Deutschland
2.3.2 Maßnahmen zur Berufsorientierung während der Schulzeit
2.3.3 Herausforderungen beim Übergang Schule Beruf
3 Fragestellungen und Hypothesen
4 Empirische Untersuchung
4.1 Konzeption
4.1.1 Methodisches Vorgehen
4.1.2 Erhebungsinstrument
4.1.3 Auswertungsmethoden
4.2 Eigene Untersuchung
4.2.1 Durchführung der Befragung
4.2.2 Stichprobenbeschreibung
4.3 Ergebnisdarstellung
4.3.1 Reliabilitätswerte der Skalen
4.3.2 Ergebnisse zum Bereich der Soft Skills
4.3.3 Ergebnisdarstellung des Mann-Whitney-U-Tests
4.3.4 Ergebnisse zum Bereich der Berufsorientierung
Schule zur Lernförderung - Abgangszeugnis
Schule zur Lernförderung - Hauptschulabschluss
Oberschule - Hauptschulabschluss
Oberschule - Realschulabschluss
4.3.5 Darstellung freiwilliger Angaben
4.4 Auswertung und Interpretation der Ergebnisse
4.4.1 Ausprägung der Soft Skills
4.4.2 Berufsorientierung
4.4.3 Auswertung der freiwilligen Angaben
5 Zusammenfassung und Ausblick
5.1 Beantwortung der Fragestellungen
5.2 Diskussion der Ergebnisse
5.3 Reflexion des eigenen Vorgehens
5.4 Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
»In der zeitgenössischen Arbeitswelt genügen Schulwissen und Fachkompetenz immer weniger, um den komplexer werdenden und sich zunehmend schneller wandelnden Anforderungen gerecht zu werden. Fachunspezifische Fähigkeiten, soziale Kompetenzen und persönliche Stärken gewinnen an Bedeutung. Sie sind in steigendem Maß entscheidend für den individuellen Erfolg auf dem Arbeitsmarkt und müssen deshalb gezielt gefördert werden.« (Salvisberg 2010, 7)
Die Auseinandersetzung mit den in diesem Zitat angedeuteten sogenannten Soft Skills, Schlüsselqualifikationen bzw. fachunspezifischen Kompetenzen erscheinen mit Blick auf wissenschaftliche und nicht wissenschaftliche Literatur zum Übergang zwischen Schule und Berufsleben oder Bewerbungsprozessen als äußerst populär (vgl. Vonken 2011, 21). So beschrieb u.a. ZEIT ONLINE am 08.05.2014, dass die sogenannten Soft Skills in Bewerbungsverfahren als Essentials angesehen werden müssten und hiermit die erforderlichen Fachkenntnisse überholt hätten (vgl. Gala 2014 - Online im Internet). Diese Entwicklung wurde gleichermaßen bereits im Jahr 2009 in einer Untersuchung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum Thema des Rekrutierungsverhaltens von Unternehmen skizziert. Hierin wurde verdeutlicht, dass die sich verändernden beruflichen Anforderungen seitens der Bewerber und Arbeitnehmer solche Essentials im Sinne von »Kompetenzen [...] wie Kommunikations- und Konfliktlösefähigkeit oder Teamfähigkeit« erfordern (vgl. BMBF 2009, 33).
Eine Personengruppe, für die der Komplex des Berufseinstieges bedeutend erscheint, wird aus den Schülern gebildet, die sich am Ende ihrer Schulzeit und somit im beginnenden Prozess des Überganges zwischen Schule und Beruf befinden. Neben der Vorbereitung auf fachlicher und inhaltlicher Ebene erscheint aus diesen Überlegungen von Interesse, wie die Sozialisationsinstanz der Schule die Schüler hinsichtlich der Entwicklung von sozialen und berufsrelevanten Kompetenzen, sogenannten Soft Skills, fördert.
Die vorliegende Arbeit widmet sich diesem Aspekt und fokussiert die Ausprägung von Soft Skills bei Schülerinnen und Schülern in Abschlussklassen von Oberschulen und Schulen zur Lernförderung. Der Einbezug dieser Schularten erscheint dahingehend von Bedeutung, als dass im Zuge des hiesigen Vorgehens untersucht werden soll, ob Unterschiede zwischen Schülern dieser Schularten hinsichtlich der Ausprägung ihrer Soft Skills beschrieben werden können. Den Ausgangspunkt dieser Überlegungen bilden zum einen die Erziehungs- und Bildungsaufträge beider Schularten, die sich neben der allgemeinen Bildung und Erziehung vordergründig auf die Berufsvorbereitung und -orientierung konzentrieren. Andererseits lässt sich aufgrund der scheinbar ›besonderen Stellung‹ der Schule zur Lernförderung im deutschen Schulsystem mit Blick auf die didaktisch-methodische Ausrichtung des Unterrichts die Annahme generieren, dass hierdurch eine stärkere Förderung dieser Soft Skills vorhanden sein könnte.
Empirisch soll sich den genannten Schwerpunkten mit einer Schülerbefragung mittels eines für diese Arbeit entworfenen Fragebogens gewidmet werden, mit welchem die Schüler der Abschlussklassen selbst die individuelle Ausprägung der Dimensionen einschätzen, die das Konstrukt der Soft Skills bilden. Hierbei wird sich gleichermaßen dem Thema der Berufsorientierung der Jugendlichen anhand der Exploration von Berufen, die die Schüler potenziell nach Abschluss ihrer Schulzeit anstreben, zugewendet. Als Voraussetzung für die empirische Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit wird in den folgenden Kapiteln und Abschnitten zunächst ein theoretisches Fundament geschaffen. So erfolgt in Kapitel 2 eine Annäherung an das Konstrukt der Soft Skills über die Darstellung der historischen Entwicklung des Kompetenzbegriffes sowie verschiedener Modelle hierzu. Hieran anschließend widmet sich Abschnitt 2.2 Bedingungsfaktoren für den Erwerb sozialer und berufsrelevanter Kompetenzen, bevor in Abschnitt 2.3 die berufliche Orientierung während der Schulzeit sowie die Bedeutung der Soft Skills beim Übergang zwischen Schule und Beruf und damit verbundene Herausforderungen betrachtet werden. Die sich aus den theoretischen Überlegungen ableitenden Fragestellungen münden in einem folgenden Schritt in die Kapitel der empirischen Untersuchung der oben genannten Aspekte. Hierbei werden die Konzeption des hiesigen Vorgehens sowie die Durchführung der eigenen Untersuchung in den Abschnitten 4.1 und 4.2 beschrieben. In Kapitel 4 erfolgen zudem die Präsentation und Auswertung der gewonnenen Ergebnisse. Den Abschluss der vorliegenden Arbeit liefert Kapitel 5, in welchem die aufgeworfenen Fragestellungen beantwortet und die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung diskutiert werden.
Die Institution der Mittelschule, die den Haupt- und Realschullehrgang anbietet, erhielt mit Beginn des Schuljahres 2013/14 im Freistaat Sachsen die offizielle Bezeichnung Oberschule. Sämtliche in der vorliegenden Arbeit verwendeten Quellen, die bezogen auf diese Schulform genutzt werden, besitzen mehrheitlich die Bezeichnung der Mittelschule als Geltungsbereich. Nach § 2 der sächsischen Schulordnung für Mittel- und Abendschulen gelten die Regelungen der Oberschulen äquivalent.
Aus Gründen einer besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten, insofern dies nicht explizit anders ausgewiesen ist, gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Zum Begriff Soft Skills
Einen Einstieg in den Versuch einer Definition des Konstrukts sogenannter Soft Skills soll über eine einfache Übertragung ins Deutsche geschehen. Soft Skills können somit - einfach übersetzt - als ›weiche Fertigkeiten‹ bzw. ›weiche Kompetenzen‹ bezeichnet werden.
Bei der Auseinandersetzung mit einschlägiger Literatur speziell zum Begriff der Kompetenz wird zunächst deutlich, dass dieser besonders im Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften »in aller Munde [zu sein scheint], er durch die Wiederholung in zahlreichen Berichten, Aufsätzen und Büchern allerdings nicht [deutlicher] geworden« ist (Vonken 2011, 21). Im Folgenden soll sich demnach in einem ersten Schritt diesem Begriff der Kompetenz gewidmet werden, bevor auf Grundlage dessen anschließend das Konstrukt ›weicher Kompetenzen‹ bzw. jenes der Soft Skills für den empirischen Teil der vorliegenden Arbeit betrachtet wird.
2.1.1 Historische Entwicklung des Kompetenzbegriffes
Wie eingangs erwähnt, kann die Nutzung des Begriffs der Kompetenz in der Literatur der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften als populär bezeichnet werden. Allerdings besteht hinsichtlich einer Definition gegenwärtig keinerlei Konsens (vgl. Tenorth & Tippelt 2007, 413). Dennoch kann eine Begriffsbestimmung durch die in verschiedenen Ansätzen unterschiedlicher Autoren verwendeten Klassifizierungen zu den Facetten des Kompetenzbegriffes in einem ersten Schritt zur Beschreibung angeführt werden. Nach Weinert 2001 beschreiben Kompetenzen demnach »die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.« (Weinert 2001, 27f.)
Tenorth & Tippelt 2007 beschreiben hierzu, dass besonders in den Erziehungswissenschaften die Klassifizierung des Begriffs in die Bereiche der Fach-, Sozial- und Methodenkompetenz »keine allseitige Anerkennung gefunden« habe (Tenorth & Tippelt 2007, 413). Dennoch spiegelt die Definition nach Weinert 2001 den zumindest in diesem Bereich akzeptierten Konsens wider, den Bereich der Kompetenzen in sogenannte »fachbezogene und fachübergreifende Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Lösung bestimmter Probleme« zu beschreiben (ebd.).
Historisch betrachtet lässt sich eine derartige Unterscheidung in fachbezogene und fachübergreifende Fertigkeiten bereits bei Dahrendorf 1956 verorten. Der Autor stellt mit der Unterscheidung der für einen Arbeitsprozess notwendigen Fähigkeiten in die Bereiche funktional und extrafunktional den »Ausgangspunkt für die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit fachunspezifischen Qualifikationen« (vgl. Salvisberg 2010, 29). Bezogen auf den Kontext beruflicher Bildung umfasst der Bereich funktionaler Fähigkeiten und Kenntnisse solche, die unmittelbar technisch unabdingbar zur Durchführung bestimmter Prozesse sind. Demgegenüber ergeben sich extrafunktionale Fähigkeiten aus den mit dem Arbeitsprozess verbundenen Anforderungen in einem organisationellen und sozialen Kontext. (vgl. ebd.)
Wenngleich die von Dahrendorf 1956 aufgestellte Unterteilung auf Kritik hinsichtlich der Benennung der Bereiche stieß - u.a. die Missinterpretation des Begriffes ›extrafunktional‹ als ›nicht nötig‹ oder bezüglich einer mangelnden Trennschärfe beider Bereiche (vgl. Kuhn 1980 in Salvisberg 2010, 29) - lieferte der Autor hiermit die grundlegende Ansicht weiterführender Betrachtungen, »dass jeder Arbeitsprozess in einen organisationell-sozialen Kontext eingebunden ist« (Salvisberg 2010, 29).
Eine in einschlägiger Literatur ebenfalls verbreitete Ansicht zur Entwicklung des heutigen Verständnisses von Kompetenz ist die des Einflusses Heinrich Roths. Jenewein 2012 beschreibt,
»dass die systematische Verwendung des Kompetenzbegriffs auf Heinrich Roth zurückgeht, der in seiner Pädagogischen Anthropologie gegen Ende der 1960er Jahre einen ›Wechsel von einem traditionellen zu einem emanzipatorischen Erziehungsbegriff‹ vollzogen hat« (Jenewein 2012, 46).
Roth verwendet hierbei den Begriff der Mündigkeit, den er »als Kompetenz für verantwortliche Handlungsfähigkeit« definiert, die wiederum aus der Ablösung einer Fremd- durch die Selbstbestimmung einer Person entsteht (vgl. Roth 1971, 180). Der Autor schlägt hierzu die Strukturierung des Begriffes der Mündigkeit in die folgenden Bereiche vor:
Selbstkompetenz - die Fähigkeit, für sich selbst verantwortlich handeln zu können,
Sachkompetenz - die Fähigkeit, für Sachbereiche urteils- und handlungsfähig und damit zuständig sein zu können, sowie
Sozialkompetenz - die Fähigkeit, für sozial, gesellschaftlich und politisch relevante Sach- und Sozialbereiche urteils- und handlungsfähig und damit ebenso zuständig sein zu können. (vgl. ebd.)
Die Ausbildung der genannten Kompetenzbereiche findet in der Theorie Roths durch kognitive, soziale und moralische Lernprozesse statt. Kognitive Lernprozesse besitzen das Ziel der Vermittlung von Sacheinsichtigkeit und soziale Lernprozesse jenes der Vermittlung von Sozialeinsichtigkeit. Im Bereich der moralischen Lernprozesse steht die Werteinsichtigkeit im Vordergrund, wobei abschließend zu beschreiben ist, dass »in kognitiven und sozialen Lernprozessen unweigerlich auch immer Wertvorstellungen vermittelt« werden und somit eine Förderung der drei Bereiche stets simultan stattfindet. (vgl. Salvisberg 2010, 39)
Die von Roth konzipierte Theorie der Entwicklung der Kompetenzbereiche kann unterstützend zu den erfolgten Beschreibungen in Abbildung 1 betrachtet werden.
Zusammenfassend zum Modell des Kompetenz- und Mündigkeitsbegriffs nach Roth 1971, »das sich bis heute durch die pädagogische Kompetenzdiskussion zieht«, lässt sich festhalten, dass dieses auf einem breiten Spektrum basiert, das sich zum einen aus Kenntnissen und Fertigkeiten zusammensetzt sowie andererseits »auch affektive Verhaltensdispositionen wie motivationale und volitionale Aspekte mit« einschließt. (Jenewein 2012, 46f.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 - Handlungsfähigkeit als Ergebnis von Lernprozessen nach Roth 1971 (vgl. Salvisberg 2010, 39)
Ein letzter Aspekt, der zur Behandlung des Kompetenzbegriffs bedeutend erscheint und für die Entwicklung einer Definition, wie sie nach Weinert 2001 genutzt wird und heute ebenfalls im Kontext von (Berufs-)Bildung häufig Verwendung findet, ist der der Schlüsselqualifikationen nach Mertens 1974. Hierunter wird »ein Bündel dekontextuierter, entspezialisierter und funktionalautonomer Eignungen« verstanden, welche »als funktionales Merkmal der Befähigung einer Person« dienen (Hasselhorn & Gold 2009, 134). Nach Mertens 1974 gewährleisten die Schlüsselqualifikationen
»a) die Eignung für eine große Zahl von Positionen und Funktionen als alternative Optionen zum gleichen Zeitpunkt, und
b) die Eignung für die Bewältigung einer Sequenz von (meist unvorhersehbaren) Änderungen von Anforderungen im Laufe des Lebens.« (Mertens 1974, 40)
Auch an dieser Stelle kann die von Kuhn 1980 angebrachte Kritik einer fehlenden Operationalisierung des Terminus der Schlüsselqualifikation angebracht werden. Hasselhorn & Gold 2009 beschreiben diese Qualifikationen als »eine gesellschaftlich- wie bildungspolitisch mit einer hohen positiven Valenz [besetzten] Begrifflichkeit« (Hasselhorn & Gold 2009, 134) und führen zur näheren Eingrenzung die Untersuchung von Didi et al. 1993 an, die zu diesem Zweck eine Sichtung deutschsprachiger berufspädagogischer Literatur durchführten. Die genannte Forschergruppe stellt in ihren Ergebnissen den Begriff der Schlüsselqualifikationen als »›Zauberwort‹ zeitgenössischer bildungspolitischer Debatten sowie bildungspraktischer Bemühungen« heraus (Didi et al. 1993, 2). Hierbei wurden insgesamt 654 Nennungen wünschenswerter Schlüsselqualifikationen ausgemacht, deren Spektrum sich von allgemeinen intellektuellen Fähigkeiten (z.B. logisches Denken) über erlernbare bereichsspezifische Kenntnisse und Fertigkeiten (z.B. Fremdsprachenkenntnisse) bis zu strukturellen Persönlichkeitsausprägungen (z.B. Flexibilität) erstreckt (vgl. Hasselhorn & Gold 2009, 134). Die Abbildung 2 auf der folgenden Seite stellt hierzu die 25 meist genannten Schlüsselqualifikationen der Untersuchung von Didi et al. 1993 dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 - Die 25 am häufigsten genannten Schlüsselqualifikationen nach Didi et al. 1993 (vgl. Hasselhorn & Gold 2009, 135)
Wie die vorangegangenen Entwicklungsschritte des Begriffs der Kompetenz verdeutlichen, kann abschließend für den historischen Abriss dessen angebracht werden, dass hierzu zwar zahlreiche Theorien und Modelle vorhanden sind, eine einheitliche Definition allerdings nicht zu finden ist und ebenfalls nicht zu finden sein kann. Als Grund hierfür ist anzubringen, dass der Terminus der Kompetenz in schier unendlich vielen Sachbereichen genannt wird und aus diesem Grund eine einheitliche Definition nicht sinnvoll erscheint. Da folglich nicht die Kompetenz beschrieben werden kann, könnte dies gleichermaßen eine Legitimierung dafür sein, dass hinsichtlich unterschiedlicher Fachbereiche der Begriff der Kompetenz stets im Plural genutzt wird, so zum Beispiel mathematische Kompetenzen, soziale Kompetenzen, fachliche Kompetenzen u.a.
Aus diesem Grund soll für das weitere Vorgehen dieser Arbeit das Verständnis des Kompetenzbegriffs nach Weinert 2001 sowie die Modelle nach Roth 1971 und Mertens 1974 für die Betrachtung sogenannter Soft Skills zugrunde gelegt werden.
2.1.2 Das Modell arbeitsrelevanter Kompetenzen nach Salvisberg
Auf Grundlage der im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Begriffsentwicklung von Kompetenzen - speziell hinsichtlich auf deren Vorkommen in der (Berufs-)Bildung und Arbeitswelt - stellt der schweizerische Autor Alexander Salvisberg ein Modell zur Operationalisierung der einzelnen Kompetenzbereiche vor. Dieses diente als theoretisch fundierte Grundlage zur Bestimmung, welche Bedeutung sogenannte Soft Skills auf dem Arbeitsmarkt einnehmen bzw. wie sich deren Einfluss auf beruflichen Erfolg und den Berufseinstieg im Zeitraum zwischen 1950 und 2006 veränderte. Hierzu führte der Autor eine empirische Untersuchung von rund 40.000 Stellenausschreibungen unterschiedlicher Branchen durch, auf deren Ergebnisse in Punkt 2.3.3 näher eingegangen werden soll.
Salvisberg 2010 beschreibt bezüglich der Schaffung einer theoretischen Grundlage seiner Arbeit verschiedene Studien im EU-weiten sowie englischsprachigen Raum (vgl. OECD 2002, SCANS-Report 1991/1992, ACT 2000, European Commission 1995, CEDEFOP 1999, Eurydice 2002), welche sich der Ermittlung berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen widmen. Dieser thematische Fokus liegt allen genannten Studien zugrunde, allerdings stellt Salvisberg ebenso heraus, dass es auffallend sei, »dass sich schon die einzelnen Berichte kaum um eine theoretisch begründete und kohärente Taxonomie bemühen« und bezeichnet das gewonnene Kategorienschema der relevanten Kompetenzen in den einzelnen Studien als »primär induktiv gewonnen« (Salvisberg 2010, 35).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 - Modell arbeitsrelevanter Kompetenzen nach Salvisberg 2010 (119)
Aus den Ergebnissen seiner Studie resultierend sowie unter Einbezug der in Abschnitt 2.1 beschriebenen Auffassungen zu Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen erstellt der Autor das Modell arbeitsrelevanter Kompetenzen. Dieses ist grundlegend eingeteilt in die Kompetenzbereiche Sach- und Methodenkompetenz, Sozialkompetenz sowie Selbstkompetenz. Die Bildung der Kompetenzbereiche geschieht maßgeblich anhand der Zusammenführung der Theorien nach Roth 1971 und Mertens 1974, die zur näheren Bestimmung dieser Bereiche angebracht werden. In Abbildung 3 auf der vorherigen Seite können zum einen die Kompetenzbereiche sowie deren nähere Bestimmung durch die Ausführungen nach Roth 1971 und Mertens 1974 in der linken Spalte betrachtet werden.
Zur Beschreibung des vorliegenden Modells muss - zusätzlich zu den bereits erwähnten - gleichermaßen kurz die Theorie des kommunikativen Handelns nach Habermas 1988 herangezogen werden, da diese zur Definierung der einzelnen Kompetenzbereiche gleichermaßen genutzt wird. Nach Habermas 1988 werden unter dem Begriff des kommunikativen Handelns drei grundlegende Weltbezüge menschlichen Handelns unterschieden:
die objektive Welt - die Feststellung von Fakten und die Verständigung über verschiedene Sachverhalte,
die soziale Welt - der normative Bezug des Handelns und die Koordinierung der Handlungen beteiligter Personen sowie
die subjektive Welt - die Dimension des individuellen Erlebens und die daraus resultierende moralische Sozialisation der beteiligten Personen. (vgl. Habermas 1988, 208ff.)
Zur Entwicklung seines Modells verbindet Salvisberg diese Weltbezüge mit den Kompetenzbereichen nach Roth, was zur Bildung der Funktionen der kulturellen Reproduktion, der sozialen Integration sowie der Sozialisation führt. Die kulturelle Reproduktion beschreibt »die Weitergabe von Bildungswissen« auf Grundlage individueller Sachkompetenz. Die Ebene der sozialen Integration umfasst die Reproduktion der sozialen Welt durch Muster sozialer Zugehörigkeit. Als Sozialisationsfunktion wird »die Heranbildung moralisch zurechnungsfähiger Personen« durch die Verbindung der subjektiven mit der objektiven Welt beschrieben. (Salvisberg 2010, 40f.)
Auf Grundlage der Einteilung arbeitsrelevanter Kompetenzen in die drei oben genannten Bereiche – Sach- und Methodenkompetenzen, soziale Kompetenzen sowie Selbstkompetenzen – konnten nun Verhaltensweisen und Eigenschaften von Personen, die in den untersuchten Stellenausschreibungen untersucht wurden, zugeordnet werden, sodass das Konstrukt der Soft Skills anhand der Stellenausschreibungen beschrieben werden konnte. Dies geschah in der Studie nach Salvisberg 2010 durch die Anzahl der Nennungen, die sich den drei entsprechenden Kompetenzbereichen zuordnen ließen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1 - Kategorien von Soft Skills (vgl. Salvisberg 2010, 120)
Die Tabelle 1 zeigt die hieraus entstandenen Kategorien der einzelnen Kompetenzbereiche mit entsprechenden in der Studie am häufigsten vorkommenden Beispielnennungen.
Ein zusätzlicher Aspekt, der im Modell der arbeitsrelevanten Kompetenzen nach Salvisberg 2010 definiert wird, ist die Unterscheidung der relevanten Kompetenzen in die Bereiche statisch und dynamisch. Diese Unterscheidung wird an dieser Stelle nur komprimiert dargestellt, da sie für den weiteren Verlauf dieser Arbeit eine untergeordnete Rolle einnimmt. Die Unterteilung in die beiden genannten Bereiche resultiert aufgrund der Forschungsergebnisse der Studie von Salvisberg 2010 zum Gehalt dieser Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt und im Prozess des Berufseinstieges im Zeitraum 1950 bis 2006. Als statisch werden demnach Kompetenzen bezeichnet, die überwiegend im Zeitraum bis ca. in die 1980er Jahre in Arbeitsstellenbeschreibungen vorherrschend waren und ebenfalls noch in aktuellen Inseraten vorhanden sind. Salvisberg schreibt diese statischen Kompetenzen einer sogenannten fordistisch-tayloristischen Arbeitswelt zu, die sich ungefähr zwischen 1945 und den 1970er bzw. 1980er Jahren verorten lässt. Dynamische Kompetenzen sind folglich jene, die ab dem Übergang in die sogenannte postfordistische Arbeitswelt in Stellenbeschreibungen erscheinen. Diese Phase ist von der Emanzipation der Arbeitskräfte aber auch von höheren Anforderungen an die Beschäftigte im Sinne einer Flexibilisierungstendenz geprägt (vgl. Voß & Pongratz 1998) und erstreckt sich seit dem Beginn der 1980er Jahre. (vgl. Salvisberg 2010)
2.1.3 Hard Skills vs. Soft Skills - eine Arbeitsdefinition
Anhand des beschriebenen Kompetenzmodelles nach Salvisberg 2010 kann an dieser Stelle schlussendlich der Frage nachgegangen werden, was unter sogenannten Soft Skills verstanden wird und worin eine Abgrenzung zum eingangs aufgeworfenen Begriff der Hard Skills gesehen werden kann. Beide Bezeichnungen werden besonders im Bereich der beruflichen Bildung sowie der Personalbeschaffung und -entwicklung in Unternehmen verwendet und werden in diesen zur Bewertung bzw. Beschreibung des verfügbaren Potenzials von Personen genutzt. Rückgreifend auf die Abbildung 3 auf Seite 12, in der die Bereiche berufsrelevanter Kompetenzen nach Salvisberg 2010 abgebildet sind, kann zunächst der für die vorliegende Arbeit untergeordnete Begriff der Hard Skills beschrieben werden. Diese ›harten Fähigkeiten und Fertigkeiten‹ sind in der besagten Abbildung grau hinterlegt und werden im genannten Kompetenzmodell dem Bereich der Sach- und Methodenkompetenz zugeordnet. Als solche werden die von Unternehmen geforderten Qualifikationen hinsichtlich fachlicher Kenntnisse sowie berufsübergreifender Sachkenntnisse, die dem Verständnis arbeitsorganisatorischer Zusammenhänge dienen, bezeichnet. Diese sogenannten harten Fähigkeiten können klar überprüft werden und beinhalten bspw. die Schul-, Berufs-, Weiteroder Spezialbildung von Personen. (vgl. Kolb 2008, 483)
Folglich kann der Begriff der Soft Skills mithilfe des Modells nach Salvisberg 2010 sowie den Beschreibungen von Hossiep & Paschen 2003 umfasst werden. Letztere sind die Autoren des Bochumer Inventars zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP), bei dem es sich um ein Verfahren der Personaldiagnostik handelt und welches in zahlreichen Anwendungsfeldern zum Einsatz kommt. Dieses Instrument wird in Abschnitt 4.1.2 näher beschrieben, liefert allerdings hier die Operationalisierungen zu den Dimensionen, die letztendlich das Konstrukt der Soft Skills bilden. In Tabelle 2 auf der vorangegangenen Seite sind die einzelnen Dimensionen von Soft Skills sowie deren übergeordnete Bereiche nach Hossiep & Paschen 2003 erfasst. Hierin können gleichermaßen Parallelen zum Modell nach Salvisberg 2010 genannt werden, was in Abbildung 4 dargestellt wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 - Vergleich der Modelle nach Salvisberg 2010 und Hossiep & Paschen 2003
Schlussendlich liefert die folgende Tabelle 3 die einzelnen Dispositionen mit entsprechenden Erklärungen und Operationalisierungen nach Hossiep & Paschen 2003. Diese Dispositionen bilden in ihrer Gesamtheit die Arbeitsdefinition für das zu untersuchende Konstrukt der Soft Skills im weiteren Verlauf dieser Arbeit.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3 - Definitionen der Verhaltensdispositionen (Soft Skills) (Hossiep & Paschen 2003, 22)
2.2 Der Erwerb von Soft Skills
Der Erwerb und Ausbau sozialer und damit verbunden berufsrelevanter Kompetenzen »ist maßgeblich durch Erfahrungen mit der Umwelt determiniert« (Drössler 2009, 15). Als bedeutendste Sozialisationsinstanzen, die im Kindes- und Jugendalter diesbezüglich auftreten, können die Familie und die Schule betrachtet werden. Im Folgenden werden die Beiträge dieser Bereiche für den Erwerb von Soft Skills beschrieben, wobei in einem ersten Schritt grundlegende individuelle Voraussetzungen hierfür erläutert werden. Die Auswahl der Bedingungsfaktoren geschieht in Anlehnung an Jerusalem & Klein-Heßling 2002 und stellt die für den empirischen Teil dieser Arbeit relevanten Bedingungsfaktoren dar. In diesem Abschnitt werden weiterhin aufgrund der thematischen Ausrichtung sowie des Umfangs der vorliegenden Arbeit die Soft Skills als gesamtheitliches Konstrukt betrachtet, sodass keine Einflussgrößen auf die in Punkt 2.1.3 genannten einzelnen Dimensionen beschrieben werden können.
2.2.1 Allgemeine Bedingungen für den Erwerb von Soft Skills
Wie oben bereits angedeutet, kann für die Entwicklung berufsrelevanter bzw. sozialer Kompetenzen angemerkt werden, dass die hierfür veröffentlichten Modelle keinerlei Konsens widerspiegeln. Grundsätzlich kann allerdings davon ausgegangen werden, dass der Erwerb von Soft Skills durch Lernprozesse erfolgt, die wiederum aufgrund individueller Reize in unterschiedlichen Lern- oder Lebensbereichen auftreten. Crick & Dodge 1994 beschreiben im Modell der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung, dass diese sogenannten externalen Hinweisreize durch bei den Heranwachsenden vorhandene kognitive Fähigkeiten (soziale Kognitionen) erfasst, enkodiert und in mehreren Stufen verarbeitet werden müssen. Mit diesem Prozess sollen »Handlungsmöglichkeiten generiert und auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden (Jerusalem & Klein-Heßling 2002, 165). Drössler 2009 beschreibt diesbezüglich, »dass Entwicklungen in der Informationsverarbeitung durch den Erwerb kognitiver Fertigkeiten und durch zunehmende Verarbeitungskapazitäten hervorgerufen werden« (Drössler 2009, 12). Weiterhin räumt die Autorin den sozialen Kognitionen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung sozialer Kompetenzen und sozialer Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und somit der Regulation sozialer Interaktionen ein (vgl. Drössler 2009, 12). Crick & Dodge 1994 beschreiben hierbei allerdings weiterhin, dass kognitive Fertigkeiten nicht nur Voraussetzungen für soziale Interaktion sind, sondern gleichermaßen deren Folge. Somit tragen Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen in ihren Lebensumwelten zu qualitativen und quantitativen Veränderungen im sozialen Wissen bei (vgl. Crick & Dodge 1994; zit. nach: Drössler 2009, 12).
Die Autoren Jerusalem & Klein-Heßling 2002 beschreiben, ausgehend vom oben beschriebenen Modell der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung nach Crick & Dodge 1994, dass »die Entwicklung sozialer Kompetenzen [...] bereits im Vorschulalter große Fortschritte macht« (Jerusalem & Klein-Heßling 2002, 165).
In den von ihnen beschriebenen Entwicklungstrends sozialer Kompetenzen arbeiten sie weitere hierfür grundlegende »und besonders wichtige Einflussgrößen« sozialer Anforderungssituationen und damit des Kompetenzerwerbs heraus (ebd.). Diese werden im Anschluss näher betrachtet. Hierbei ist zu verdeutlichen, dass die im Folgenden beschriebenen Faktoren hauptsächlich auf die Dimensionen der Soft Skills einwirken, die den Bereichen Soziale Kompetenzen (Sensitivität, Kontaktfähigkeit, Soziabilität, Teamorientierung und Durchsetzungsstärke) sowie Psychische Konstitution (emotionale Stabilität, Belastbarkeit und Selbstbewusstsein) zuzuordnen sind.
Soziale Perspektivübernahme
Für jeden Menschen besteht alltäglich die Aufgabe, »zwischenmenschliche Situationen zu interpretieren und zwischenmenschliche Konflikte zu bewältigen« (Keller & Becker 2008, 108). So bestehen diese Anforderungen gleichermaßen für Kinder und Jugendliche im schulischen und außerschulischen Kontext unabhängig ihres Alters. Eine Grundlage zur Bewältigung dieser sozialen Anforderungen kann in der kognitiven Fertigkeit der sozialen Perspektivübernahme gesehen werden. Diese beschreibt die Fähigkeit, »faktische Gegebenheiten einer Situation und die Perspektiven der beteiligten Personen« zu erfassen (ebd.). Hiernach erfolgt ein Prozess moralischen Urteilens und die Bewertung der Situation unter den »moralischen Gesichtspunkten richtig und falsch«. Letztendlich werden auf dieser Grundlage konkrete Handlungsstrategien abgeleitet und umgesetzt. (vgl. ebd.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5 - Entwicklung der sozialen Perspektivübernahme nach Selman 1981 und Jerusalem
Die Entwicklung der Fähigkeit sozialer Perspektivübernahme geschieht in Anlehnung an Selman 1981 in fünf Stufen (vgl. Abbildung 5). Auf erster Ebene (ca. drei bis acht Jahre) dominieren bei den Kindern undifferenzierte Vorstellungen über die Gedanken und Gefühle ihrer Mitmenschen. Zwar können sie diese bspw. anhand von Gesichtsausdrücken korrekt erkennen, »wissen jedoch noch nicht, dass eine andere Person dieselbe Situation ganz anders interpretieren kann« (Jerusalem & Klein-Heßling 2002, 165). Auf der zweiten Stufe (ca. fünf bis neun Jahre) gelingt den Kindern die Unterscheidung zwischen psychischen Charakteristika anderer Personen, die sichtbar oder verborgen sind. Im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren beginnen die Kinder sich selbstreflexiv aus der Sicht anderer Personen zu betrachten. Auf der vierten Stufe der Entwicklung von sozialer Perspektivübernahme (ca. zehn bis 15 Jahre) verstehen die Kinder bzw. Jugendlichen ihre Mitmenschen als Systeme, die aus Werten und Einstellungen bestehen. Auf der fünften Stufe, die ca. ab dem zwölften Lebensjahr beginnt und bis ins Erwachsenenalter reicht, entwickeln die Jugendlichen eine »tiefenpsychologische und gesellschaftlich-symbolische Perspektivübernahme« (ebd., 166). Diese ist dadurch bestimmt, dass »nicht alle Motive und Emotionen selbstreflexiv erschlossen werden können« (ebd.). (vgl. ebd., 165f.; Selman 1981, 409f.)
Sprachliche Fähigkeiten
Wie oben aufgezeigt, werden Entwicklungsprozesse sozialer Kompetenzen durch externale Hinweisreize, die in Interaktionen mit anderen Menschen auftreten, gefördert bzw. in Gang gesetzt. Eine hierfür zentrale Bedingung stellt die Fähigkeit dar, dass die Heranwachsenden mit ihren Mitmenschen in Kontakt treten können und somit soziale Beziehungen initiieren. Damit können sprachliche Fähigkeiten als eine weitere grundlegende kognitive Fertigkeit angesehen werden, die Menschen zur Ausbildung von Soft Skills benötigen und durch welche die Kinder und Jugendlichen ein soziales Eingebundensein in Gruppen wahrnehmen können. Ein Zusammenhang zwischen sprachlichen und sozialen Kompetenzen konnte in einer Studie von Jerusalem 1992 nachgewiesen werden, in der die Akkulturation ausländischer Jugendlicher zwischen 16 und 21 Jahren betrachtet wurde (vgl. Jerusalem 1992 - zit. nach: Jerusalem & Klein-Heßling 2002, 166). Es konnte in dieser herausgestellt werden, dass die Fähigkeit, mit anderen Jugendlichen sprachlich zu interagieren, soziale Kontakte und hiermit die soziale Integration förderte, während Sprachdefizite diese hemmten. Zusammenfassend und unter Rückbezug auf das Modell sozial-kognitiver Informationsverarbeitung nach Crick & Dodge 1994 können sprachliche Fähigkeiten als grundlegende Ressource für den Erwerb und die Entwicklung sozialer Kompetenzen und somit von Soft Skills angesehen werden. (vgl. Jerusalem & Klein-Heßling 2002, 166)
Die Familie
Als primäre Sozialisationsinstanz neben der Schule und den Gleichaltrigen ist die Familie der Kinder und Jugendlichen zu nennen. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung sozialer Kompetenzen kann somit die Eltern-Kind-Beziehung beschrieben werden, da die Jugendlichen »im Normalfall von Geburt an« von ihren Eltern begleitet werden (vgl. Schmid et al. 2008, 197). Hervorzuheben ist nach Jerusalem & Klein-Heßling 2002 die Qualität der Eltern-Kind-Bindung, da diese »die Basis für eine weitere positive kognitive, emotionale und soziale Entwicklung« stellt, die bereits durch »unmittelbare, kontingente und einfühlsame elterliche [Reaktionen] auf die Signale des Säuglings« begünstigt wird (Jerusalem & Klein-Heßling 2002, 166). Die Sozialisationsinstanz der Familie beinhaltet gleichermaßen das Erziehungssystem der Eltern, welches sich umso positiver auf die Ausbildung sozialer Kompetenzen der Kinder auswirkt, je autoritativer dieses in der Eltern-Kind-Beziehung geprägt ist. Hierbei sind die Merkmale »emotionale Wärme und Zuwendung (Unterstützung, Einfühlung, Verständnis) bei gleichzeitig klaren Anforderungen (hohe Erwartungen, Autonomie innerhalb klar gesetzter Grenzen)« (ebd.) zu nennen. Dem gegenüber können in der Sozialisationsinstanz der Familie gleichermaßen Risikofaktoren benannt werden, die die Entwicklung sozialer Kompetenzen behindern. Zu diesen Kriterien können nach Lochman et al. 2008 unter anderem elterliche Kriminalität, Drogenkonsum, Konflikte zwischen den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten sowie negative Lebensereignisse aufgezeigt werden (vgl. Lochman et al. 2008, 15).
2.2.2 Der Beitrag der Schule
Nachdem grundlegende, individuelle vorhandene Einflussgrößen der Entwicklung von Soft Skills erläutert wurden, soll in diesem Abschnitt der Beitrag der Sozialisationsinstanz Schule auf diesen Komplex betrachtet werden. Die Schule stellt für die Kinder und Jugendlichen einen Ort dar, an dem sie einerseits einen überwiegenden zeitlichen Anteil ihrer Jugend verbringen. Seitens der Ausbildung sozialer Kompetenzen stellt der Lernort Schule gleichermaßen den Rahmen zahlreicher sozialer Kontakte und Beziehungen. Die Sozialisationsinstanz Schule kann dahingehend »auch objektiv [als] der wichtigste Lebensbereich zum Aufbau von Freundschaften sowie anderer, dauerhafter sozialer Beziehungen« angesehen werden (vgl. Krappmann & Oswald 1995, zit. nach Jerusalem & Klein-Heßling 2002, 166). Hiervon ausgehend werden im Folgenden besonders der Einfluss der Gleichaltrigengruppe (Peer-Beziehungen) sowie der Einfluss der Lehrer-Schüler-Interaktion auf den Erwerb und Ausbau von Soft Skills beschrieben.
Da sich der empirische Teil der hiesigen Arbeit auf die Schülergruppen der Schulen zur Lernförderung und Schülern von Oberschulen stützt, soll in einem zusätzlichen Punkt auf den Einfluss schulformspezifischer Aspekte der jeweiligen Schulart auf den Erwerb sozialer und berufsrelevanter Kompetenzen eingegangen werden.
Peer-Beziehungen
Im Jugendalter und der Adoleszenz beginnen die Schüler die Beziehungen zu Gleichaltrigen (sogenannten Peers) auf- und auszubauen, die den Beziehungen zu ihren Eltern »an Intensität häufig nicht nachstehen und die Rolle der Eltern als bislang wichtigster Gesprächspartner relativieren« (Wild & Walper 2015, 239). Nach Beierle 2013 existieren als Peer-Gruppen »individuelle Freundschaften, Paarbeziehungen aber auch informelle und institutionelle Gruppen (z.B. Cliquen, Mitschüler/innen, Mit-Auszubildende)« (Beierle 2013, 8 - Online im Internet). In der Schule bildet sich so vor allem in Form der Klassengemeinschaft eine Gruppe, die vorrangig aus Gleichaltrigen besteht und in welcher Schüler täglich mit ihren Peers interagieren. Aufgrund der stattfindenden Interaktionen erweitern und differenzieren die Schüler aus Sicht des sozialen Lernens ihre sozialen Kompetenzen. Diese Vorgänge verlaufen bilateral, da die Schüler zum einen durch ihre bereits verfügbaren Kompetenzen entscheiden, ob und mit welchen Gleichaltrigen sie wie interagieren. Andererseits erfolgt ein Einfluss der Gruppe auf die Entwicklung der »Interessen, Einstellungen und Werte«, was sich wiederum förderlich auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen auswirkt. (Jerusalem & Klein-Heßling 2002, 167)
Hierbei scheint einerseits die Art und Weise, wie die Peer-Gruppe mit den einzelnen Mitgliedern interagiert von Bedeutung, da die Interaktion sowohl begünstigend als auch ungünstig auf die Entwicklung von Soft Skills einwirken kann. So kann die soziale Ablehnung oder gar eine Viktimisierung durch Gleichaltrige Entwicklungsrisiken mit sich bringen, die bspw. in der Folge in sozialem Rückzug oder Angst münden. Positiv auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen wirken sich Faktoren wie gefühlte Akzeptanz der Peers oder eine wahrgenommene soziale Unterstützung der Gleichaltrigen aus, auf die die Schüler in schwierigen Situationen zurückgreifen können. (ebd.; Hattie 2013, 126)
Im Gegenzug zur Qualität der Interaktion seitens der Gleichaltrigengruppe ist für die Entwicklung der Soft Skills bedeutend, wie die Schüler den Verhaltensweisen ihrer Peers begegnen. So können die Heranwachsenden u.a. über ein Repertoire sozial kompetenter Verhaltensweisen verfügen, um sich negativen Faktoren wie bspw. sozialen Konflikten zu widersetzen und durch diese Verhaltensweisen ihre sozialen Kompetenzen fördern. Jerusalem & Klein-Heßling 2002 beschreiben, dass eine Auseinandersetzung mit »Meinungen, Sicht- und Verhaltensweisen von Peers [...] den Aufbau eines angemessenen Selbstbildes unterstützt« (Jerusalem & Klein-Heßling 2002, 167). Im Gegensatz hierzu beschreiben die Autoren, dass Schüler, die bezweifeln, »selbst sozial kompetent handeln zu können«, eher dazu neigen, vor diesen sozialen Anforderungen zurückzuschrecken und sich zurückzuziehen. (vgl. ebd.)
Die Lehrer-Schüler-Beziehung
Neben der Klasse und deren Zusammensetzung als Einflussgrößen auf die Entwicklung von Soft Skills kann die Beziehung zwischen Schülern und ihren Lehrern angesehen werden. Drössler 2009 beschreibt, dass die Lehrer-Schüler-Beziehung eine »regulatorische Funktion zu haben [scheint], so dass von einem (positiven oder negativen) Einfluss dieser Beziehungen auf die Schüler ausgegangen werden kann« (Drössler 2009, 34). Grundlegend besteht weiterhin Einigkeit darüber, dass die Lehrer-Schüler-Beziehung sich umso positiver auf den Ausbau sozialer Kompetenzen auswirkt, desto besser die Qualität der Beziehung aus Sicht der Schüler wahrgenommen wird. Drössler 2009 beschreibt hierzu, dass mehrere Faktoren die Qualität der Lehrer-Schüler-Interaktion beeinflussen. Förderlich wirken sich eine als hoch wahrgenommene Fürsorglichkeit der Lehrer, ein hohes Maß an Unterstützung sowie ein wahrgenommenes Interesse an persönlichen Belangen der Schüler seitens der Lehrer aus (vgl. ebd.). Faktoren, die diesbezüglich ungünstige Auswirkungen besitzen können, bestehen u.a. in einer hohen Restriktivität, einem autoritären Führungsstil der Klasse, Aggression, der Bevorzugung oder Benachteiligung von Schülern und der Bezugsnorm, die Lehrer zur Bewertung heranziehen.
Zu letztgenanntem Punkt erläutern Jerusalem & Klein-Heßling 2002, dass diese Bezugsnormen das Klima innerhalb des Klassenverbandes stark beeinflussen können. Als förderlich werden hierbei individuelle Bezugsnormen beschrieben, die durch eine individuelle Anpassung der Anforderungen an die Kompetenzen der Schüler und einer individuellen Orientierung der Leistungsbewertung und -rückmeldung geprägt sind. Bei der Anwendung einer sozialen Bezugsnorm kann innerhalb der Klasse der Wettbewerbsdruck entstehen, der ein Klima der Konkurrenz zwischen den Schülern hervorbringen kann. Hieraus resultiert, dass »neben ungünstigen Auswirkungen auf das schulische Selbstvertrauen und die Lernmotivation von Schülern« eine soziale Bezugsnormorientierung ein Klassenklima zur Folge haben kann, »das die Entwicklung sozialer Kompetenzen erschwert«. (vgl. Jerusalem & Klein-Heßling 2002, 168)
Trainings und Programme im schulischen Kontext
Abschließend zu allgemeinen schulischen Faktoren für die Entwicklung von Soft Skills kann der Einsatz unterschiedlicher Programme und (Sozial-)Trainings beschrieben werden. Spezielle Programme, die auf Schulebene angeboten werden und hierdurch den Schulalltag der Kinder und Jugendlichen begleitend prägen, können exemplarisch im Streitschlichterprogramm nach Jefferys-Duden 1999 oder in der Trainingsraum-Methode nach Bündel & Simon 2013 angeführt werden. Ziele dieser Programme können in der Förderung einer gewaltfreien Konfliktlösung im Schulalltag sowie der Selbstreflexion über das eigene Verhalten der Schüler gesehen werden.
Anders als bei den zuvor genannten Schulprogrammen können Trainings in der Schule angewendet werden, um mit standardisierten Methoden und in Ergänzung zum Unterricht die Förderung der Schüler hinsichtlich ihrer Soft Skills zu verfolgen. Als ein Beispiel eines Sozialtrainings, das in seiner Anwendung im schulischen Alltag als sehr verbreitet beschrieben werden kann, ist das Sozialtraining in der Schule nach Petermann et al. 2012 zu erwähnen. Ziele dieses Trainings bestehen in der Förderung von Peer-Beziehungen, des Selbstmanagements, der schulischen Anpassungs- und Leistungsfähigkeit, der Kooperationsbereitschaft sowie des Selbstbewusstseins der Schüler.
Diese Zielsetzungen bestimmen neben den Soft-Skill-Bereichen der Sozialen Kompetenzen und Psychischen Konstitution ebenso die übrigen Dimensionen nach Hossiep & Paschen 2003, was gleichermaßen eine Überleitung zum nächsten Abschnitt anbietet.
2.2.3 Schulformspezifische Einflussgrößen
Im Folgenden werden Einflussgrößen auf die Entwicklung von Soft Skills der Schüler an Schulen zur Lernförderung sowie Oberschulen mit dem Haupt- und Realschulgang aufgezeigt. Diesen soll sich auf der Ebene der Bildungsstandards, den in den Lehrplänen beschriebenen Zielen und Aufgaben[1] sowie ggf. den didaktischen Prinzipien der jeweiligen Schulart angenähert werden. Anknüpfend an den Einfluss von Trainings wie dem Sozialtraining in der Schule nach Petermann et al. 2012 wirken sich die im Folgenden dargestellten Faktoren auf die Dimensionen von Soft Skills aus, die den Bereichen der Beruflichen Orientierung (Leistungsmotivation, Gestaltungsmotivation und Führungs-motivation) sowie Arbeitsverhalten (Gewissenhaftigkeit, Flexibilität und Handlungsorientierung) zugeordnet werden können.
[...]
[1] Als Grundlage für die Beschreibung der Ziele und Aufgaben der jeweiligen Schulart werden die Lehrpläne für das Fach Deutsch der Sekundarstufe in Sachsen verwendet.
- Citar trabajo
- Martin Ettel (Autor), 2015, Die Bedeutung von Soft Skills beim Übergang zwischen Schule und Beruf, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305115
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