Für die Süddeutsche Zeitung arbeiten hunderte fest angestellter Redakteure
und ein Vielfaches an freien Mitarbeitern. Jeden Tag füllen
sie, aufgeteilt in Ressorts wie Politik, Wirtschaft, Feuilleton, Sport,
Lokales, Medien, Wissenschaft oder Reise an die 60 Seiten1. Zahlreiche
eigenständige wöchentliche Beilagen (SZ Extra, SZ-Magazin, SZ
Wochenende) und Sonderseiten ergänzen dieses Angebot. Gut 40
Korrespondenten und mehrere Dutzend vor Ort angesiedelte Autoren
beobachten unterstützt von freien Mitarbeiter das deutsche und internationale
Geschehen. Insgesamt stehen fast 10.000 Journalisten auf den Gehalts- und Honorarlisten der Süddeutschen Zeitung. Wie
bringt dieser riesige Apparat mit seinen unzähligen Verzweigungen es
fertig, fast jeden Tag ein neues Produkt, die aktuelle SZ-Ausgabe, zu
produzieren? Eine Frage, die von der Kommunikationswissenschaft
lange Zeit kaum und auch heute im Vergleich zu anderen Forschungsfeldern
eher stiefmütterlich behandelt wurde bzw. wird. Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über die bisherigen Versuche,
die „Black box“ (Print-)Redaktion auszuleuchten, ihre Mechanismen
offen zu legen. In Frage-Antwort-Form werden die wichtigsten
Aspekte der Redaktionsforschung vorgestellt. Dazu gehört die geschichtliche
Entwicklung der Redaktion und deren Analyse, die Auswirkungen
auf die Themenagenda, die Folgen des technischen Fortschritts
in der jüngeren Vergangenheit sowie aktuelle Konzepte in der
deutschen Presselandschaft zur Umstrukturierung der Redaktionen.
Als Grundlage für diese Betrachtungen erfolgt zu Beginn eine genaue
Darstellung des Systems Redaktion bzw. dessen Funktionsweise.
Diese stützt sich im wesentlichen auf die Arbeiten von Manfred
Rühl und Ulrich Hienzsch. Rühl benutzte bei seiner Pionierstudie über
die Nürnberger Nachrichten den funktional-strukturellen Ansatzes
Niklas Luhmanns, Hienzsch wiederum bediente sich der Theorie der
Kybernetik. 1 62 Seiten am 8.7.2003
Inhalt
1. Einleitung
2. Wie funktionieren Redaktionen?
2.1. Die Redaktion in der Systemtheorie
2.1.1. Und wie funktioniert das auf der praktischen Ebene? - Das Entscheidungshandeln
2.2. Die Redaktion in der Theorie der Kybernetik
3. Wie ist die Redaktion modernen Typs entstanden?
4. Warum hat sich die Ressortaufteilung in Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Lokales durchgesetzt?
5. Was bedeutet diese Aufteilung für die Themenbehandlung?
6. Wie kann dieser Zustand überwunden werden? – NeueFormen der Redaktionsorganisation
7. Was lernen wir aus all dem? – Schlussbetrachtung
8. Literatur
1. Einleitung:
Für die Süddeutsche Zeitung arbeiten hunderte fest angestellter Redakteure und ein Vielfaches an freien Mitarbeitern. Jeden Tag füllen sie, aufgeteilt in Ressorts wie Politik, Wirtschaft, Feuilleton, Sport, Lokales, Medien, Wissenschaft oder Reise an die 60 Seiten[1]. Zahlreiche eigenständige wöchentliche Beilagen (SZ Extra, SZ-Magazin, SZ Wochenende) und Sonderseiten ergänzen dieses Angebot. Gut 40 Korrespondenten und mehrere Dutzend vor Ort angesiedelte Autoren beobachten unterstützt von freien Mitarbeiter das deutsche und internationale Geschehen. Insgesamt stehen fast 10.000 Journalisten auf den Gehalts- und Honorarlisten der Süddeutschen Zeitung. Wie bringt dieser riesige Apparat mit seinen unzähligen Verzweigungen es fertig, fast jeden Tag ein neues Produkt, die aktuelle SZ-Ausgabe, zu produzieren? Eine Frage, die von der Kommunikationswissenschaft lange Zeit kaum und auch heute im Vergleich zu anderen Forschungsfeldern eher stiefmütterlich behandelt wurde bzw. wird.
Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über die bisherigen Versuche, die „Black box“ (Print-)Redaktion auszuleuchten, ihre Mechanismen offen zu legen. In Frage-Antwort-Form werden die wichtigsten Aspekte der Redaktionsforschung vorgestellt. Dazu gehört die geschichtliche Entwicklung der Redaktion und deren Analyse, die Auswirkungen auf die Themenagenda, die Folgen des technischen Fortschritts in der jüngeren Vergangenheit sowie aktuelle Konzepte in der deutschen Presselandschaft zur Umstrukturierung der Redaktionen.
Als Grundlage für diese Betrachtungen erfolgt zu Beginn eine genaue Darstellung des Systems Redaktion bzw. dessen Funktionsweise. Diese stützt sich im wesentlichen auf die Arbeiten von Manfred Rühl und Ulrich Hienzsch. Rühl benutzte bei seiner Pionierstudie über die Nürnberger Nachrichten den funktional-strukturellen Ansatzes Niklas Luhmanns, Hienzsch wiederum bediente sich der Theorie der Kybernetik.
2. Wie funktionieren Redaktionen?
2.1. Die Redaktion in der Systemtheorie:
Ende der 60er Jahre schwenkte die Massenmedienforschung in Deutschland von der normativ-hermeneutischen auf die empirisch-deskriptive und empirisch-analytische Vorgehensweise um. Für die Redaktionsforschung bedeutete dies, dass das Bild vom Journalisten als publizistische Persönlichkeit, der individuell und unabhängig von der Organisation um ihn herum agiert, entsorgt wurde. Stattdessen rückte die Redaktion als Teilsystem einer komplexen Gesellschaft in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Als Pionier auf diesem Forschungsgebiet tat sich Manfred Rühl hervor.[2]
Als theoretischen Bezugsrahmen für seine Beobachtungen in der Redaktion der Nürnberger Nachrichten (NN) wählte er den funktional-strukturellen Systemtheorie-Ansatz Niklas Luhmanns. Luhmann zufolge haben sich aufgrund der Komplexität moderner Gesellschaften einzelne Teilsysteme herausdifferenziert, die exklusiv eine gesellschaftliche Funktion übernehmen.[3] Der Journalismus sorgt laut Rühl für die „organisatorische Herstellung und Bereitstellung durchsetzungsfähiger thematisierter Mitteilungen zur öffentlichen Kommunikation.“[4] 1992 modifiziert er dies etwas. Nun heißt es: „Der Journalismus reduziert die Komplexität und Veränderlichkeit der Weltereignisse durch thematisierte Mitteilungen auf Ausmaße, die eine sinnvoll informierende Kommunikation erlauben.“[5] Und im Jahre 2000 korrigiert er sich abermals und beschreibt die Funktion des Journalismus nun als „organisatorische Produktion und schematische Distribution programmierter Programme zur öffentlichen Kommunikation.“[6] Neben Rühls Versuchen einer Funktionsbestimmung existieren noch viele weitere Ansätze, die miteinander nicht kompatibel sind.[7] In Bezug auf seine Studie fällt neben der umstrittenen Funktionszuweisung als Kritikpunkt noch die Nichtnennung eines binären Codes ins Gewicht. Um analysieren zu können wie die anderen gesellschaftlichen Teilsysteme mit dem Journalismus kommunizieren, muss man den binären Code kennen, mit dessen Hilfe der Journalismus die Kommunikationsversuche erfasst und verarbeitet. Es macht einen großen Unterschied, ob man an dieser Stelle einen Mechanismus aktuell vs. nicht aktuell annimmt[8] oder etwa öffentlich vs. nicht öffentlich[9]. Um vom Journalismus registriert zu werden, müssten die anderen Systeme je nach binärem Code verschiedene „Sprachen“ sprechen. Es stellt sich hier die Frage, ob es Sinn macht, die Kommunikation zwischen Systemen zu analysieren, wenn man wie Rühl den Grundbaustein dieser Kommunikation, den binären Code, nicht bestimmen kann. Erst 2000 entschied sich Rühl für programmiertes Programm vs. nicht programmiertes Programm, jedoch auf der Basis seiner letzten Funktionsbestimmung des Journalismus als „organisatorische Produktion und schematische Distribution programmierter Programme zur öffentlichen Kommunikation“. Diese kann daher nicht seiner NN-Studie übertragen werden, da dieser ein anderer Funktionsbegriff zugrunde liegt (siehe oben).
Trotz dieses Mankos legt Rühl, ein komplettes Modell der System-Umwelt-Kommunikation vor: Die Redaktion vereinfacht ihre Umwelt auf Ausmaße, die ein sinnvolles Reagieren auf Ereignisse ermöglicht. Dazu braucht sie Strukturen und findet sie in Form generalisierter Handlungserwartungen: Redakteure - gemeint sind Redakteure als Rollenakteure, nicht als ganzer Mensch, denn nur bestimmte Handlungen des Menschen sind in das System integriert, alle anderen Handlungen gehören zur Umwelt - erwarten von der Umwelt bestimmte und bestimmbare Ereignisse. Auf diese reagieren sie nicht ad hoc und beliebig. Dafür haben sie vielmehr wieder Erwartungen, die ihrerseits in der Umwelt auf neue Erwartungen stoßen, so dass auch diese schon von der Redaktion als Erwartungen der Umwelt erwartet werden. An diesen Erwartungen halten die Redakteure auch fest, wenn sie in Einzelfällen enttäuscht werden.[10]
Um die Informationen aus der komplexen Umwelt angemessen verarbeiten zu können, müssen auch die Strukturen der Redaktion differenziert werden. Die Redaktion als ganzes schafft es nicht, sich mit allen Umweltsphären zugleich und in gleicher Weise zu beschäftigen. „Die Ressorts schaffen sich deshalb Ausschnitte aus der redaktionellen Umwelt und damit eine je eigene Umwelt. Sie nehmen für die Redaktion den Verkehr mit diesem besonderen Umweltbereich wahr.“[11]
[...]
[1] 62 Seiten am 8.7.2003
[2] Manfred Rühl: Die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales System. Freiburg/Schweiz 21979.
[3] Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Frankfurt a.M. 1988.
[4] Manfred Rühl: Theorie des Journalismus. In: Roland Burkart/Walter Hömberg (Hg.): Kommunikationstheorien. Ein Textbuch zur Einführung. Wien 1992, S. 117-133. Hier S. 127.
[5] Manfred Rühl: Theorie des Journalismus: In: Burkart/Hömberg 1992, S. 117-133, hier S.129
[6] zit. nach Klaus Meier: Ressort, Sparte, Team. Wahrnehmungsstrukturen und Redaktionsorganisation im Zeitungsjournalismus. Konstanz 2002, S.86.
[7] vgl. Göhrke, Alexander/Kohring, Matthias: Unterschiede, die Unterschiede machen. Neuere Theorieentwürfe zu Publizistik, Massenmedien und Journalismus. In: Publizistik, 41/1996, S.15-31.
[8] wie dies Spangenberg tut. Vgl Göhrke/Köhring 1996, S. 15-31, hier S.21.
[9] die Variante Marcinkowskis. Vgl Göhrke/Köhring 1996, S. 15-31, hier S.19.
[10] Rühl 1979, S. 73.
[11] Rühl 1979, S. 233.
- Arbeit zitieren
- Steffen Becker (Autor:in), 2003, Redaktionsforschung über Printmedien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30479
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