Kurze Darlegung einiger übereinstimmender Aussagen jüngerer Forschung (seit ca. 2000) zum berühmten Bild "La tempesta". Zusätzlich werden einige eigene Beobachtungen zeitgenössischer Malerei gemacht, die eine neue These zum Motiv des Bildes ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Beobachtungen zum Gemälde „Das Gewitter“ von Giorgione: Die Figuren
2. Die Architektur und der Hintergrund
3. Die zwei Cassone – Malereien
4. Eine Anekdote aus dem geführten Stadtrundgang in Cittadella
5. Die Deutung
6. Verwendete Literatur:
Vorwort
Das Gemälde „la tempesta“ – „das Gewitter“ von Giorgio da Castelfranco, genannt Giorgione, zählt zu den bedeutendsten Gemälden der venezianischen Malerei und nach Urteil vieler Kunstistoriker auch zu den berühmtesten Gemälden der europäischen Kunst. Kaum ein Gemälde hat zu mehr kontroversen Deutungen, seriösen kunstgeschichtlichen Abhandlungen, hobbypsychologischen Betrachtungen, „Rätselspielen“ und halbesoterischen Exkursen Anlaß gegeben als dies kleine, suggestive Bild.
Wer sich mit der ernsthaften Forschung über das Bild auseinandersetzt, sieht sich mit gut anderthalb Jahrhunderten sehr ausgreifender akademischer Deutungsversuche und einander widersprechenden Thesen, Mutmaßungen und deren Widerlegungen konfrontiert.
Wer mit neuen Erklärungsversuchen zu diesem Bild ernsthaft das Wort ergreift, muß registrieren, daß das besprochene Gemälde durch die seit Jahrhunderten andauernde Forschung und Deutung mittlerweile bezüglich kunsthistorischem Rang und künstlerischem Tiefgang extrem prätentiös aufgeladen ist. Unleugbar hat es auch, speziell in Europa, persönliche Befindlichkeiten unter internationalen Kunsthistorikern oder Institutionen bezüglich Deutungshoheit und Beurteilungskompetenz etc. entwickelt.
Die Deutungsdifferenzen auch betreffs anderer Giorgione-Gemälde sind unter Kunsthistorikern immer noch beträchtlich. Es dürfte daher wohl auf absehbare Zeit gar nicht möglich sein, eine auch noch so stichhaltige fundierte Deutung oder Erklärung des „Gewitter“- Bildes zur allgemeinen oder gar wissenschaftlichen Akzeptanz zu bringen.
Bei aller Divergenz der bisherigen professionellen Erklärungsversuche zeichnen sich jedoch meistens gewisse Gemeinsamkeiten in der Herangehensweise an das Bild und in der endgültigen „Themenfindung“ (was die italienischsprachige Forschung die „favola“ nennt) ab:
Obwohl das Bild eine faszinierende Ganzheit ausstrahlt, zerlegt die Deutung es in aller Regel in die auffällig isolierten Elemente – die Frau mit Kind, der Mann, die „Stadt“, der Blitz, das Gewässer, das Säulenpaar etc. Die Elemente werden in Einzeldeutungen dann regelrecht zu einem Puzzle zusammengetragen, das logisch-stimmig sein muß, aber als solches objektiv nicht resultieren will.
Ferner kommen fast alle Deutungen in die Nähe einer Mann-Frau-Liebesbeziehung, sei es religiöser allegorischer oder antik-mythologischer Natur.
Das vorliegende Dokument weicht von diesen Linien nicht wirklich ab, kann aber aufgrund der Unsicherheit der Quellenlage und der bisherigen Deutungen mindestens ein auffälliges Einzelelement nur streifen: die Backsteinmauer mit den Lunettenbögen.
Das Dokument möchte lediglich jüngere Untersuchungen und Aussagen zu Giorgiones berühmtem Gemälde zusammentragen, die in der Summe eine neue Perspektive zulassen. Die wichtigsten hier herangezogenen Hinweise durch europäische Wissenschaftler sind schon seit einigen Jahren veröffentlicht. Einige Quellen sind nach streng wissenschaftlichem Maßstab „nicht zitierfähig“, der Verfasser ist sich jedoch sicher, daß die „seriösen“ Quellen keine nennenswert abweichenden Aussagen machen. Die hier zusammengestellten Fakten und Meinungen ergeben ein Indizienbild, das mit Sicherheit eine Schlußfolgerung fern jeder esoterischen oder mit der Brechstange erzwungenen Assoziation nahelegt.
Auch hochrangige Veröffentlichungen und renommierte Forscher sprechen von diesem Bild mitunter noch als einem „Bilderrätsel“ oder als einem Bild „ohne Sujet“.
Zweifellos hat die Komposition des „Gewitter“-Bildes dank Giorgiones neuartigem, intuitivem Umgang mit Raumflucht, Tiefenstaffelung, Tonalität, Lichtführung, Naturbetrachtung und Farbpsychologie eine anhaltende Suggestionskraft. Immer wieder weckt das Bild neue Assoziationen an Rollenspiel, Somnambulanz, eine vertrackte Zauberbühne oder die Aufklärung eines Mysteriums.
Der Verfasser ist allerdings der dezidierten und von der gängigen Interpretation abweichenden Ansicht, daß dieses Bild nicht vom Maler vorsätzlich verrätselt wurde oder außergewöhnliche Komponenten freier „renaissancekünstlerischer“ Willkür enthält. Der Verfasser vertritt die Ansicht, daß in der Bildkomposition kleine künstlerische Freiheiten im damals üblichen Rahmen enthalten sein können, aber das Gemälde eine gut zusammengehörige, zeittypische Ikonologie enthält, die sich der heutigen Forschung nur noch in Details verschließt. Unabhängig von der kaum zu überschätzenden Bedeutung des Malergenies Giorgione für die Innovation italienischer Malerei darf die Vermutung im Raum stehen, daß das kleine „Gewitter“-Bild nicht objektiv ein Hauptwerk seiner Epoche ist, sondern gut vierhundert Jahre nach seiner Entstehung von der Forschung sukzessive dazu gemacht wurde.
Schon bei flüchtigem Vergleich des Gemäldes mit zeitgenössischer Porträit- und Historienmalerei zeigt sich, daß im „Gewitter“-Bild diverse Elemente oder Attribute logisch untergebracht sind, die zu den ikonographischen Standards von Giorgiones Epoche zählen.
Dieses Dokument erbringt keine Beweisführung, sondern kann nur Indizien zusammentragen. Die Übernahme der Deutung aus dem Kapitel 5 in andere Veröffentlichungen ohne ausdrückliche Quellenangabe wird jedoch urheberrechtlich verfolgt. Botanisch-physiognomische Bestimmungen der Vegetation im besprochenen Bild sowie einzelne Fakten zu Pflanzensymbolik bezieht der Verfasser teilweise nicht aus der Literatur, sondern aus den Kontakten mit botanischen Fachleuten und allgemein kulturell-pflanzenkundlich Interessierten. Der Verfasser bedauert, daß die Heranziehung sämtlicher Abbildungsrechte für die hier erwähnten Bilder nur mit unangemessenem Aufwand möglich gewesen wäre. Die strengen Restriktionen bezüglich Reproduktion und medialer Verwendung sind bei einigen literarischen Veröffentlichungen mitunter mehr als nur etwas hinderlich. Das Dokument muß infolgedessen bis auf weiteres leider in rein schriftlicher Form bleiben. Bonn, im August 2015
1. Beobachtungen zum Gemälde „Das Gewitter“ von Giorgione: Die Figuren
Die männliche Figur links im Bild, die Marcantonio Michiel, der die erste schriftliche Erwähnung des Bildes hinterließ,[1] im Jahr 1530 als „Soldat“ bezeichnet, trägt ein rot-weißes Kostüm mit geschlitzten Hosen, die dem Hosenkostüm der Landsknechte nicht unähnlich sind. Die Bekleidung von Hirtenfiguren in der zeitgenössischen ital. Malerei ist in der Regel sehr abweichend, siehe Darstellungen in der Malerei Tizians, Jacopo Bassanos, Jacopo Palmas oder Mantegnas. Ihre festen Attribute sind i.d.R. Gürtel aus Stricken, graue, enge Hosen, ein Fellwams oder eine Flöte.
Die Oberkörperbekleidung der Männerfigur ähnelt eher der Mode jugendlicher italienischer Adeliger des ausgehenden Mittelalters oder der frühen Renaissance. Die Farben des Wappens der Familie Da Carrara sind rot und weiß.
Kaiserliche „Landsknechte“ des deutschen Reiches waren noch im Jahr 1529, zu Michiels Zeiten, in Nord- und Mittelitalien in großen Trupps unterwegs. Ihre deutsche Bezeichnung, ihre Kleidung und Bewaffnung waren auch im nahen Ausland so bekannt und charakteristisch, daß der Begriff im Italienischen zu „Lanzichenecco“ verballhornt worden ist. Eine schlüssige etymologische Herkunft dieses Begriffes in Verbindung mit „Land“ ist bis heute unsicher. Die englische Bezeichnung „Lancequenet“ (Lanzenritter) genauso wie die italienische Verballhornung weisen darauf hin, daß sie durch die Hauptwaffe der damaligen Feldschlacht, die Lanze, charakterisiert sind. Die Illustrationen von der Schlacht bei Pavia, des Kampfes um Wien Anfang des 16. Jh. oder das Gemälde „Alexanderschlacht“ von A. Altdorfer sowie hunderte von Grafiken deutscher Künstler bezeugen das und legen nahe, daß die deutsche Bezeichnung „Landsknecht“ vermutlich weniger mit „Landesknecht“ zu tun hat, sondern ihrerseits eher eine Verfremdung des Waffengattungsbegriffs „Lanzenknecht“ ist.
Zahlreiche Grafiken eizelner Landsknechte, u.a. auch Werke von Albrecht Dürer und Albrecht Altdorfer zeigen die Männer mit der typischen Geste der linken Hand auf dem Rücken oder in die linke Hüfte gestützt. Es ist vielleicht ein Zitat einer antiken Skulptur, vielleicht auch eine Soldatenpose, die das Schwert vorzeigt, die zweite Waffe, die ausnahmslos links an der Hüfte getragen wurde.
Die Genealogie der Famile Da Carrara gibt an, daß dieses Geschlecht im frühen Mittelalter aus einem Stamm von „Waffenmännern“ lombardischen Ursprungs hervorgegangen ist.[2]
Im langobardischen Mittelalter, als die Region dem hl. Röm Reich angehörte, kannte man bei Männern den Status des „Arimanno“, eines Zivilbürgers, der das Recht hatte, zur Gemeindeverteidigung Waffen, in der Regel eine Lanze, zu tragen. Arimanno bedeutet soviel wie „Heeresmann“, was verwandt ist mit dem deutschen Vornamen Hermann.
[...]
[1] Michiel, Marcantonio: Anonymo Morelliano, S. 107.
[2] https://it.wikipedia.org/wiki/Da_Carrara (vom 21.6.2015)
- Quote paper
- Robert Otten (Author), 2015, Beobachtungen zum Gemälde "Das Gewitter" (1508) von Giorgione, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/304568
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