In Deutschland wächst mit der stetigen Verbesserung und Erhöhung der Lebenserwartung auch der Gesamtanteil der älteren Menschen. Die Anzahl der jüngeren Generationen wird geringer werden, als die der älteren Generationen. Die deutlichsten Auswirkungen werden sich ab 2020 zeigen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge (Ende der 50er bis Anfang der 70er Jahre) in Rente gehen.
Allerdings wird immer noch kaum über Partnerschaft und Sexualität in diesem Lebensabschnitt gesprochen. Nichtsdestotrotz ist Sexualität ein angeborener, ureigener
Trieb des Menschen, der in jedem enthalten ist und nicht mit einer bestimmten Altersgrenze nachlässt. Der Umgang mit dieser elementaren Funktion war im Laufe der Evolution des Menschen sehr unterschiedlich. Er unterlag im Laufe der Geschichte den Vorstellungen der jeweilig existierenden Gesellschaftsformen und Kulturen mit deren Normen- und Werteverständnis. Die Gesellschaft hat Regeln und Normen für den Umgang mit Sexualität aufgestellt, die zwischen „normalem“ und „nicht-normalem“ Verhalten von Mitglieder einer Gesellschaft unterscheidet. Tauschen alte Menschen
Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit aus, so wird dies von der Mehrheit der Bevölkerung als abweichendes, nicht normgerechtes Verhalten betrachtet.
Doch ist es wirklich so abwegig, sich auch als alter Mensch noch in der Öffentlichkeit zu küssen? Als sterbliches Wesen ist der Mensch nicht nur ein Wesen, welches nach dem Bedürfnis des eigentlichen Geschlechtsverkehrs zielt, sondern vielmehr auch geliebt werden zu wollen, egal welchen Alters.
Es stellt sich deshalb die Frage, wie die gesellschaftliche Sicht auf Alterssexualität ist und inwiefern sie Einfluss auf die sexuelle Aktivität alter Menschen nimmt. Dabei ist genauso wissenswert, wie Sexualität im Alter überhaupt gelebt und von welchem Einflussfaktoren das Sexualverhalten bestimmt wird.
Wie wichtig ist Sexualität im Alter? Bezieht sich Sexualität nur auf den Koitus? Schon aufgrund des demografischen Wandels und des stetig wachsenden Anteils der älteren Bevölkerung wird der Sozialen Arbeit eine wichtigere Bedeutung im Kontext
der Altenarbeit zukommen. In der Arbeit mit alten Menschen wird auch demzufolge Sexualität immer mehr ein Thema sein, weshalb es bedeutsam ist, sich in der Sozialen Arbeit damit auseinander zu setzen, um gegebenenfalls Möglichkeiten zu
Veränderungen zu schaffen. Um diese Fragen zu beantworten, beschäftige ich mich in der vorliegenden Bachelor-Arbeit ausführlich mit dem Thema Sexualität im Alter.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Alter
2.1 Biologisches Alter
2.1.1 Biologische Erklarungstheorien des Altems
2.1.1.1 DieFehlertheorie
2.1.1.2 Die Programmtheorie
2.2 Psychologisches Alter
2.3 Soziologisches Alter
2.4 Soziales Alter
2.4.1 Sozialwissenschaftliche Alternstheorien.
2.4.1.1 Die Aktivitatstheorie
2.4.1.2 Die Disengagementtheorie
2.5 Gerontologisches Alter
3 Sexualitat
3.1 Alterssexualitat.
3.2 Formen und Haufigkeit des Sexualverhaltens im Alter
3.2.1 Masturbation
3.2.2 Zartlichkeiten.
3.2.3 Petting
3.2.4 Koitus.
3.2.5 Orgasmus
3.3 Sexuelle Motivation im Alter
3.4 Sexuelle Attraktivitat im Alter
4 Gesundheit, Krankheiten und Sexualitat
4.1 Korperliche Ursachen.
4.2 Rheuma.
4.3 Herzkreislauferkrankungen
4.4 Krebserkrankungen
4.5 Neurologische Erkrankungen
4.6 Psychische Erkrankungen
4.7 Abhangigkeitserkrankungen oder Sex & Drugs & Rock'n Roll.
4.8 Psychosoziale Ursachen.
4.9 Demenz und Sexualitat
4.10 Unterschiedlicher geschlechtsspezifischer Alterungsprozess
4.10.1 Der sexuelle Alterungsprozess der Frau
4.10.2 Der sexuelle Alterungsprozess des Mannes
5 Soziale und gesellschaftliche Einflussfaktoren
5.1 gesellschaftliche Werte und Normen.
5.2 Religiose und moralische Einschrankungen.
5.3 Alterwerden und seine Auswirkungen auf die Sexualitat
5.4 Alterssexualitatheute
5.5 Besondere Lebenslagen beeinflussen die Sexualitat im Alter
5.5.1 Besonderheiten und Einflussfaktoren bei Alleinlebenden
5.5.2 Besonderheiten und Einflussfaktoren bei Mehrgenerationsfamilien.
5.5.3 Besonderheiten und Einflussfaktoren in Alten- und Pflegeheimen
5.5.3.1 Prostitution im Alter
5.5.3.2 Sexuelle Assistenz in Pflegeheimen
6 Soziale Arbeit mit alten Menschen und Sexualitat
6.1 Sexualitat und Partnerschaft im Alter - Ein Arbeitsschwerpunkt bei profamilia.
7 Fazit
II Literaturverzeichnis
1 Einleitung
In Deutschland wachst mit der stetigen Verbesserung und Erhohung der Lebenserwartung auch der Gesamtanteil der alteren Menschen. Die Anzahl derjungeren Generationen wird geringer werden, als die der alteren Generationen. Die deutlichsten Auswirkungen werden sich ab 2020 zeigen, wenn die geburtenstarken Jahrgange (Ende der 50er bis Anfang der 70er Jahre) in Rente gehen.1
Allerdings wird immer noch kaum uber Partnerschaft und Sexualitat in diesem Lebensabschnitt gesprochen. Nichtsdestotrotz ist Sexualitat ein angeborener, ureigener Trieb des Menschen, der in jedem enthalten ist und nicht mit einer bestimmten Altersgrenze nachlasst. Der Umgang mit dieser elementaren Funktion war im Laufe der Evolution des Menschen sehr unterschiedlich. Er unterlag im Laufe der Geschichte den Vorstellungen der jeweilig existierenden Gesellschaftsformen und Kulturen mit deren Normen- und Werteverstandnis. Die Gesellschaft hat Regeln und Normen fur den Umgang mit Sexualitat aufgestellt, die zwischen „normalem“ und „nicht-normalem“ Verhalten von Mitglieder einer Gesellschaft unterscheidet. Tauschen alte Menschen Zartlichkeiten in der Offentlichkeit aus, so wird dies von der Mehrheit der Bevolkerung als abweichendes, nicht normgerechtes Verhalten betrachtet.2
Doch ist es wirklich so abwegig, sich auch als alter Mensch noch in der Offentlichkeit zu kussen? Als sterbliches Wesen ist der Mensch nicht nur ein Wesen, welches nach dem Bedurfnis des eigentlichen Geschlechtsverkehrs zielt, sondern vielmehr auch geliebt werden zu wollen, egal welchen Alters.3
Die aktuelle Gesellschaft ist auffallend am Jugendkult orientiert und vermittelt die defizitare Ansicht, dass Menschen uber 50 Jahren blofi noch einer stetigen Abnahme psychischer und physischer Fahigkeiten entgegenblicken. In unserer heutigen postmodernen Gesellschaft treten die Aspekte Sexualitat, Attraktivitat und Leistungsfahigkeit immer mehr in den Fokus der Offentlichkeit. Ein gesellschaftlicher Wertewandel, welcher von Individualisierung und Enttabuisierung gepragt ist, nimmt Einfluss auf die sexuelle Attraktivitat und ihre Erscheinungsformen. Sexualitat gestaltet Doch gilt dieser Wertewandel auch fur die Sexualitat im Alter? Denn gerade das Thema ,,Sexualitat im Alter“ ist mit grofien Tabus, Abwehrgefuhlen und Vorurteilen belegt. Vor allem junge Menschen haben Probleme im Umgang mit dieser Thematik.4 Doch warum ist das so? 1st es die Angst vor der eigenen Zukunft? So gibt es falsche Vorstellungen von der Alterssexualitat wie ,,Manner konnen nicht mehr“ und „Frauen wollen nicht mehr“.
Besonders viele der aktuell alten beziehungsweise hochaltrigen Menschen sind in ihrer freien sexuellen Entfaltung gestort, da das Thema Sexualitat in ihrer Jugend extrem tabuisiert war. Vor den 1970er Jahren und der damit verbundenen sexuellen Revolution war es nicht ublich sich innerhalb der Familie nackt zu sehen. Die eigenen Genitalien anzufassen war verboten, schon gar nicht uber Masturbation zu sprechen, beziehungsweise dieses Bedurfnis auszuleben. So galt Masturbation lange als etwas unmoralisch und lasterhaftes.5 Religiose Werte definierten noch mehr als zur heutigen Zeit das Leitbild des Lebens. Sexualitat diente lediglich zur Fortpflanzung.6 In der heutigen Zeit wird offen und freizugig mit der menschlichen Sexualitat umgegangen. Sexualitat stellt kein, wie es in einigen Zeitepochen ublich war, ins Interesse der Offentlichkeit zu ruckendes dunkles Geheimnis mehr dar.
Sexualitat ist ein wesentlicher Bestandteil von Paarbeziehungen, und zwar keineswegs allein zur Erfullung des Kinderwunsches. Auch in langjahrigen Beziehungen spielen korperliche Zartlichkeiten und Sexualitat eine wichtige Rolle.7
Neben einigen Kinofilmen wie Wolke 9 oder Wie beim ersten Mai, gibt es weniger bekannte Dokumentationen wie Frauenzimmer oder Die Lust der Frauen und Die Lust der Manner. Nacktbadestrand von Elfriede Vavrik war mehrere Wochen auf der Bestsellerliste Sachbuch im Spiegel, die bereits mit Badewannentag erneut die Thematik der Sexualitat im Alter auf den Markt brachte. Allmahlich findet nun die Alterssexualitat ihren Stellenwert in der wissenschaftlichen Forschung und Literatur sowie in der Gesellschaft.
Mein Thema fur diese Arbeit wahlte ich aufgrund von Erfahrungen im Bezug auf das Modul 100 wahrend des Studiums. Das Jahr absolvierte ich in einem Pflege-und Therapiezentrum fur alte Menschen. Der Leiter des Altenheims nahm sich oft nach unseren Psychomotorikstunden Zeit fur uns. In diesem Rahmen konnten auch Themen wie Sexualassistenz oder Prostitution angesprochen werden. Die augenscheinlich offene Art gegenuber der Sexualitat von alten Menschen beeindruckte mich, was allerdings in Gesprachen mit anderen Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen in Altenheimen eher eine Seltenheit darstellt. Belegte Seminare uber Sexualitat verstarkten das Interesse. Weiterhin ist es spannend, wie Menschen auf dieses Thema reagieren. Ob sie zuerst peinlich beruhrt sind, das Thema mit Scham ignorieren oder offen daruber sprechen. Aufgrund der Bandbreite meines Themas, konnen auf Bereiche wie Sexualitat und Trauer, Gewalterfahrungen und Alterssexualitat, Migration und Alterssexualitat sowie auf die gleichgeschlechtliche Alterssexualitat nicht eingegangen werden, obwohl diese ebenso wichtig zu erforschen sind.
Es stellt sich deshalb die Frage, wie die gesellschaftliche Sicht auf Alterssexualitat ist und inwiefern sie Einfluss auf die sexuelle Aktivitat alter Menschen nimmt. Dabei ist genauso wissenswert, wie Sexualitat im Alter uberhaupt gelebt und von welchem Einflussfaktoren das Sexualverhalten bestimmt wird.
Wie wichtig ist Sexualitat im Alter? Bezieht sich Sexualitat nur auf den Koitus?
Schon aufgrund des demografischen Wandels und des stetig wachsenden Anteils der alteren Bevolkerung wird der Sozialen Arbeit eine wichtigere Bedeutung im Kontext der Altenarbeit zukommen. In der Arbeit mit alten Menschen wird auch demzufolge Sexualitat immer mehr ein Thema sein, weshalb es bedeutsam ist, sich in der Sozialen Arbeit damit auseinander zu setzen, um gegebenenfalls Moglichkeiten zu Veranderungen zu schaffen. So ist vor allem in Pflegeheimen zu beachten, die Turen der Klientenzimmer zu schliefien, um ein geringes Mafi an Privatsphare zu gewahren.
Um diese Fragen zu beantworten, beschaftige ich mich in der vorliegenden Bachelor- Arbeit ausfuhrlich mit dem Thema Sexualitat im Alter.
Zunachst wird in dem folgenden Kapitel die unterschiedlichen wissenschaftlichen Definitionen des Begriffes Alter naher erlautert. Es ist fur diese Bachelor-Arbeit enorm wichtig zu betonen, dass es die spezielle Altersgrenze nicht gibt. Ab einer bestimmten Lebensphase andert sich nicht vollstandig das Sexualverhalten, aber es gibt einige
Faktoren, die eben darauf einwirken konnen. Aufklarung kann auch hier einigen Problemen zuvor kommen.
Das dritte Kapitel wird die Begriffe Sexualitat, Alterssexualitat sowie die Formen und Haufigkeit des Sexualverhaltens voneinander abgrenzen, um somit auch gesellschaftlichen Vorurteilen zu widersprechen. Hierzu wird ruckblickend der gesellschaftliche Wandel skizziert, um dann die Sexualitat in der heutigen modernen Gesellschaft zu beschreiben, anschliefiend wird die Erscheinung der heutigen Alterssexualitat herausgearbeitet.
Im darauf folgenden vierten Kapitel werden die haufigsten Krankheiten im Alter in Bezug zur Sexualitat gesetzt, was sich verandert und wie geholfen werden kann. Auch hier muss betont werden, dass im Alter nicht zwangslaufig eine dieser genannten Krankheiten auftreten muss. Die Pravalenz besagt, dass im erhohten Alter diese Krankheiten haufiger auftreten konnen.
Im funften Kapitel werden differenzierte soziale und gesellschaftliche Einflussfaktoren auf die Sexualitat im Alter herausgearbeitet. So konnen beispielsweise religiose und moralische Einschrankungen die Sexualitat behindern. Aber auch die Medizin hat sich auf dem Markt mit Potenzmitteln etabliert. Ebenso gibt es besondere Lebenslagen, die die Sexualitat im Alter beeinflussen.
Das sechste Kapitel behandelt die Soziale Arbeit mit alten Menschen und Sexualitat. Hier geht es darum, welchen Stellenwert die Soziale Arbeit im Bereich mit alten Menschen hat und inwiefern sie unterstutzenden Leistungen, wie die Angebote von profamilia, erbringt.
Im siebten Kapitel werden die Erkenntnisse in einem Fazit letztlich zusammengefasst.
2 Alter
Ab wann gelten Menschen als alt? Vor einigen Jahrzehnten begann das Alter aus gesellschaftlicher Sicht mit der Verrentung. Jene Spanne war deutlich kurzer als heute und wurde mit Armut und Krankheit gleichgesetzt.8 Laut der Definition der WHO gilt deshalb ein Mensch als alt, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet hat.9 Allerdings ist es schwierig das Alter durch das kalendarische Alter zu bestimmen, denn der Alterungsprozess weist eine individuelle Variabilitat auf.10 Zunachst einmal ist zu
verdeutlichen, dass das Alter nicht grundlegend durch die Messung des Alters in Lebensjahren, also das kalendarische Lebensalter, festzumachen ist. Es gibt differenzierte Betrachtungsweisen und Einflussfaktoren, die bestimmen und darauf wirken, ob und wann ein Mensch „alt“ ist. Biologische, psychische sowie soziologische Aspekte nehmen Einfluss darauf, ,, (...) dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig verschieden alt sein kann“11. Deshalb ist es eben schwierig von dem Alter zu sprechen. Trotzdem ist eine grobe Einteilung notig, allerdings mussen im individuellen Fall immer alle Faktoren ganzheitlich betrachtet werden12.Aktuell gilt ein Mensch zwischen 82 oder 85 Lebensjahren als hochaltrig13.Diese Zeitspanne hat sich in den letzten Jahren auch mithilfe der Medizin nach hinten verschoben, was bedeutet, dass die Grenze des hohen Alters deutlich niedriger war.
In den folgenden Kapiteln geht es vor allem um die Begriffe Alter und Altern. Das Alter bezieht sich auf einen Abschnitt im Lebenslauf, dessen Beginn und Bedeutung kulturell recht unterschiedlich wahrgenommen wird, wahrend das Altern auf die individuellen Veranderungsprozesse im Lebenslauf der Lebensspanne eingeht.[14]
,,Wenn der Begriff Alter verwendet wird, stehen die alteren Menschen und das Resultat des Altwerdens im Vordergrund, das Alter als Lebensperiode und die Alten als Bestandteil der Gesellschaft. Wenn dagegen von Altern gesprochen wird, liegt der Schwerpunkt auf der Untersuchung von Prozessen und Mechanismen, die zum Alter fuhren und die dem Altwerden zugrunde liegen.“[15]
2.1 Biologisches Alter
Das biologische Alter zeigt sich an den Veranderungen von Korper und Nervensystem. Wann diese Veranderungen eintreten, ist zeitlich nicht vorhersehbar, jedoch lasst mit zunehmendem Alter die Widerstandskraft des Korpers nach. Krankheiten treten somit haufiger auf, Multimorbiditat[16] kann ofters vorkommen samt der Veranderung der
Erkrankungsdauer.
2.1.1 Biologische Erklarungstheorien des Alterns
Jeder Mensch erkennt es fruher oder spater am eigenen Leib. Die Tatsache, dass jedes Individuum altert, geht an niemandem vorbei. Der Korper verandert sich kontinuierlich seit seiner Geburt. Es gibt einige Theorien in der Wissenschaft, die versuchen, diese Tatsache bei alien Lebewesen zu erklaren. Welche Theorie das Altern korrekt validiert, daruber streitet die Wissenschaft. Laut der Wissenschaft ist es vermutlich eine Kombination aus dem chemischem Verschleifi der Zelle und der genetischen Programmierung. In den folgenden Abschnitten werden kurz zwei Theorien vorgestellt: die Fehlertheorie und die Programmtheorie.[17]
2.1.1.1 DieFehlertheorie
Die Fehlertheorie oder auch Error-Theorie genannt, wurde von Medvedev begrundet. Er lehnt die Theorie an die Mutationstheorie an und verknupft sie mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft.
Dieser Theorie zufolge ist Altern das Resultat des Verschleifiens von Zellen und ihrer Erbsubstanz.[18] Injeder Zelle wird standig Nahrung mit Sauerstoff in den Mitochondrien zu Energie verbrannt. Dieser Prozess wird auch Stoffwechsel genannt.[19] Nebenbei entstehen unterschiedliche Abfallprodukte, vor allem aber freie Sauerstoffradikale, die das Erbgut, insbesondere die DNA in den Chromosomen jeder Zelle schadigen. Freie Radikale enthalten Sauerstoff in hochkonzentrierter Form und verandern die Struktur und Funktion von Enzymen und Proteinen. Durch die zunehmende Schadigung im Alter jedes Menschen kann die DNA nur noch fehlerhaft gelesen werden[20], weshalb auch der Stoffwechsel immer schlechter verlauft.[21] Die Zelle altert.
2.1.1.2 Die Programmtheorie
Nach dieser Theorie altem alle Zellen nicht durch Verschleifi, wie bei der Fehlertheorie, sondem nach einem festgelegten Genprogramm, einer angeborenen inneren Uhr.
Mit der Geburt lauft injeder Zelle ein solches gentypisches Alterungs-Programm ab. So hat ,,jede Zelle eine zwar unterschiedliche, aber auf jeden Fall begrenzte Anzahl von Zellteilungen“.22 Normalerweise baut der Korperjene abgestorbenen Zellen wieder auf, allerdings verlauft diese Zellerneuerung mit dem Alterwerden nicht mehr zu 100% korrekt. Am Ende der Chromosomen fanden Forscher Eiweifiverbindungen, sogenannte Telomere. Sie umschliefien Endstucke der DNA als Schutzkappe und bei jeder Zellteilung werden sie etwas kurzer. Sind sie zerstort, ist die Erbsubstanz ungeschutzt, die Zelle stirbt. Der Korper verliert an Leistungskraft, Muskeln reduzieren sich, Knochen werden sprode und das Immunsystem wird anfalliger. Dieser biologische Alterungsprozess verlauft bei allen Lebewesen vergleichbar ab.23
2.2 Psychologisches Alter
Das psychologische Alter hingegen basiert darauf, welches Selbstbild der Mensch von sich im Alter hat und wie er seinen altersbedingten Zustand selbst erfahrt und damit umgeht. Die Gerontopsychologie, also die Psychologie des Alterns, nimmt Bezug auf lebenslange Entwicklungs- und Veranderungsprozesse des Menschen und bezieht ihre Bezugsdisziplinen aus verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel der Soziologie, Medizin, Biologie und der Demografie mit ein. Hierbei fokussiert sie sich auf den Altersbereich von uber 60-jahrigen Menschen.24
Das Altern stellt sich nicht als einheitlicher, linearer und gleichmafiig verlaufender Prozess dar. So kann deutlich in einem Bereich, zum Beispiel in der Wahrnehmung, ein Altersabbau stattfinden und zugleich eine Leistungszunahme in einem anderen Bereich eintreten (Fremdsprachenkenntnisse, Wortschatzumfang, etc.). Es ist kaum moglich, auf altersbezogene Veranderungen zu schliefien, da die Unterschiede zwischen den Personen sehr grofi sind. Es gibt kaum Durchschnittswerte, deshalb interpretieren auch Psychologen gleiche empirische Ergebnisse unterschiedlich und entwickeln kontrare Theorien.
Uber das Altem gibt es in der Psychologie zwei extreme Ansichten, wobei die uberwiegende Mehrheit der Theorien zwischen diesen Extremen angesiedelt ist.
2.3 Soziologisches Alter
Charakterisiert wird das soziologische Alter durch die Position des Individuums innerhalb der Gesellschaft. Hierbei geht es um die Teilhabe an der Gemeinschaft, sei es in familiaren, beruflichen oder kulturellen Bereichen. Durch diese gesellschaftliche Bewertung wird dem Individuum seine Position zugeschrieben.25 Die Wirkungsrelevanz der Gesellschaft auf das Alter des Individuums und die konstante Veranderung der gesellschaftlichen Perspektive auf das Alter, ist anhand einer Skizze der historischen Entwicklung gut zu verdeutlichen.
Im Zeitalter der Aufklarung im 17. bis 18. Jahrhundert kam es zu einer Idealisierung des Altenbildes. Es waren Manner, die durch uneingeschrankte Autoritat gesellschaftliche Werte an die Jugend vermittelten, um somit die Gesellschaft in ihrer Kontinuitat zu erhalten.26
Ende des 19. Jahrhunderts begann die Abwertung des Alters durch das neue Bild der Jugendlichkeit, da die industrielle Gesellschaft nun mehr vom Aufbruch und Fortschritt bestimmt war. Alt war derjenige, der durch die Einschrankung seiner korperlichen und geistigen Fahigkeiten nicht mehr seiner Arbeit nachgehen konnte. Die Industrialisierung gilt als die Entwicklungsphase in der das Alter zu einer eigenstandigen Lebensphase wurde und die alten Menschen somit zu einer soziokulturell bestimmbaren gesellschaftlichen Gruppe.
Die soziale Konstruktion des Alters als eigenstandige Lebensphase wurde durch das Ruhestandsalter in der Mitte des 20. Jahrhunderts gepragt, da die Einfuhrung des Rentenversicherungsgesetzes im Jahr 1957 erfolgte.27
2.4 Soziales Alter
Bestimmt wird die Lebensphase Alter heute durch soziale Faktoren, wie die Alterssicherung oder durch den Arbeitsmarkt. In der Soziologie ist dieses Phanomen als Institutionalisierung des Lebenslaufs bekannt.28
Es ist kaum moglich, die Lebensphase Alter heute genau abzugrenzen. Die nachberufliche Zeit ist sehr unterschiedlich, die korperliche Alterszeichen werden hinausgezogen. Durch die zunehmende Individualisierung und Pluralisierung sowie den damit verbundenen Modernisierungsprozess wird auch die Lebensphase Alter immer starker erfasst und vor immer neue Anforderungen gestellt. Die Selbstwahrnehmung alterer Menschen verandert sich. So sind Menschen erst ab dem 75. Lebensjahr bereit, sich selbst als alt zu bezeichnen.29
2.4.1 Sozialwissenschaftliche Alternstheorien
Die bedeutendsten gerontologischen Theorien des Alterns sind seit den 1960er Jahren entstanden. Sie spiegeln in der Literatur die klassischen modernen Alterstheorien wieder. Die Wissenschaft ist sich einig, dass keine Theorie allein die Vielschichtigkeit des menschlichen Alterungsprozess erklaren kann. Der Disengagementtheorie zum Trotz, erwahnt keine weitere Theorie den Tod.30
Die folgenden Theorien entstanden demnach durch verschiedene wissenschaftliche Studien, die erklaren sollen, wie sich das Altern des Menschen am optimalsten mit grofitmoglicher Zufriedenheit gestaltet.31
2.4.1.1 Die Aktivitatstheorie
Die Aktivitatstheorie ist in den 1960er Jahren weitestgehend in den USA von Havighurst (1953) und spater von Lemon, Bengstson und Peterson (1972) entwickelt worden. ,,Ihre Grundannahme lautet, dass das Wohlbefinden im Alter mit dem verbliebenen oder aber neu zu schaffenden Aktivitatsniveau positiv korreliert.32 Wie der Name schon vermuten lasst, besagt diese Theorie, dass nur die aktive Gestaltung des Lebens, die Zufriedenheit und das Glucksgefuhl positiv beeinflussen kann. Die Theorie postuliert einen engen Zusammenhang zwischen sozialen Aktivitaten (Intensitat und Intimitat der sozialen Kontakte) und der Lebenszufriedenheit. Sie geht von der Annahme aus, dass jeder Mensch in der Gesellschaft, in der er lebt, spezifische soziale Rollen, wie Berufliche oder im privaten Bereich die Rolle des Ehepartners erfullt Die Rollen werden uberwiegend durch soziale Interaktion erfullt. Aufgrund von Pensionierung, Tod einer Bezugsperson oder eigenen gesundheitlichen Abbau ist das Altern oftmals mit einem Funktionsverlust verbunden.33
„Durch raumliche Distanz, zum Beispiel das Leben im Altenheim, werden Kontaktmoglichkeiten auch mit der Familie begrenzt. Dieser Rollenverlust bewirkt ein geringeres Selbstwertgefuhl und schrankt die Aktivitat des alten Menschen immer mehr ein. Er wird zu Inaktivitat gezwungen und unzufriedener. Um die Rollen- und Kontaktverluste auszugleichen, braucht der alte Mensch zum Beispiel Hobbys, einen Freundeskreis oder Zuwendung durch praxisorientierte Altenarbeit, die an Stelle des Verlustes treten. So kann er sein Aktivitatsbedurfnis wieder befriedigen.34
Seit einigen Jahren wird zunehmend der Versuch gestartet, die sozialen Kontakte alter Menschen zu verbessern und diese zu aktivieren, indem verschiedene Einrichtungen wie Seniorentagesstatten gegrundet werden.
Wenn die Beziehungen und ihre Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit beschrieben werden, so darf die Betrachtung der individuellen Personlichkeitsstruktur jedes Einzelnen nicht unbeachtet bleiben. Jeder Mensch hat ein unterschiedliches Bedurfnis nach sozialen Kontakten.
2.4.1.2 Die Disengagementtheorie
Diese Theorie steht im Gegensatz zur Aktivitatstheorie und wurde von Elaine Cumming und W. Henry (1961) begrundet. Zwar geht sie auch von dem Standpunkt aus, dass alte Menschen weniger soziale Kontakte pflegen, allerdings gehen Befurworter der Theorie davon aus, dass alte Menschen „Sich-Selbst-Zuruckziehen“.35 Die
Disengagementtheorie ist demnach auch als Ruckzugstheorie bekannt. „Der Ruckzug wird als unvermeidbarer Prozess angesehen, der mit der Abnahme von Fahigkeiten beginnt. Mit dem Bewusstwerden des nahenden Todes konne sich ein Mensch allmahlich auf sein Lebensende vorbereiten. Dieser Prozess gilt erst mit dem Tod des alten Menschen als abgeschlossen.36
Neueste Untersuchungen konnten keine der beiden Theorien allein verifizieren. Im Altenhilfebereich wird nun starker auf die individuellen Bedurfnisse einzelner alten Menschen eingegangen. Die individuellen Eigenschaften sind auch das Resultat der Vergangenheit, inwiefern ein alter Mensch aktiv sein wird oder ob er sich eher zuruckzieht.
2.5 Gerontologisches Alter
Professor Dieter Otten ist in seinem Buch Die 50+ Studie der Meinung, ,,dass es heute fast schon absurd wirke, das sechste Jahrzehnt uberhaupt noch mit dem Begriff 'Alter' in Verbindung zu bringen.37 Hauptthese seines Buches lautet: ,,Die vermeintlich revolutionaren Alten erweisen sich als nicht alt.38
Um dennoch statistische und empirische Erhebungen vornehmen zu konnen, wird in der Gerontologie39 unterschieden „ (...) zwischen dem dritten Lebensalter, das mit 60, und dem vierten, das mit 75 beginnt, (...) ein 94- jahriger ist hochbetagt, wer noch alter ist, zahlt zu den 'Uberlebenden'.“40 Die Gerontologie als multi- und interdisziplinare sowie praktische Wissenschaft setzt sich mit den vielfaltigen Einflussen auseinander, die auf das Altern und den Alterungsprozess wirken.41 „Es ist sinnvoll, individuelles Altern als Prozess vom Alter als Lebensphase und Kollektiv (die 'Alten') zu, unterscheiden.42
3 Sexualitat
Der Begriff der Sexualitat leitet sich in seinem Ursprung vom lateinischen Wort „sexus“, also Geschlecht ab und fasst die Gesamtheit aller Lebensaufierungen eines Menschen, bezogen auf seine erlebte und gelebte Lust-und Fortpflanzungsfunktion,
zusammen. Jedes sexuelle Erleben und Verhalten eines Individuums ist ein Resultat aus einem komplexen, individuellen Prozess, „(...) der sich uber die gesamte Lebensspanne eines Menschen vollzieht und beispielsweise in historische, gesellschaftliche und kulturelle Kontexte eingebunden ist.“43
Aber auch biologisch-physiologische und psychologische Faktoren wirken auf das Sexualverhalten. Sexualitat ist somit einerseits angeboren und andererseits erlernt. Motiviert wird das sexuelle Verhalten durch den Trieb, die Bedurfnisse und den Anreiz.
Sexualitat umfasst nicht nur den realen Geschlechtsverkehr, der sich zwischen heterosexuellen und homosexuellen Geschlechtspartnern unter anderem vollzieht, sondern ist ebenso Fantasie, Zartlichkeit, korperliche Nahe und Warme sowie Masturbation. In der Soziologie wird Sexualitat vorwiegend nach der gemeinschaftsbildenden Funktion betrachtet.44
Der Beginn der Moderne impliziert den Diskurs der Aufklarung und der Vernunft. Begriffe wie beispielsweise Demokratie, Subjekt sowie der Sexualitat entwickelten sich und bedingen sich existentiell gegenseitig. Sexualitat wurde erst ab dem 19. Jahrhundert mit Begriffen wie Liebe, Leidenschaft und Liebesvergnugen gleichgesetzt.
Vorher kennzeichnete Sexualitat die Geschlechtlichkeit von Pflanzen. Den Bedeutungswandel des Sexualitatsbegriffes fuhrt Jos van Ussel auf die Verburgerlichung der Gesellschaft zuruck. Sexualitat und alle ihre Koeffizienten wie Zartlichkeit, Sprache und Wollust wurden ins Private verbannt. Der Diskurs nahm im 20. Jahrhundert mit der Liberalisierung der Sexualitat eine Wende.45 In der Vergangenheit wurde Sexualitat nur als Zeugungs- und Fortpflanzungssexualitat verstanden, die ausschliefilich dem Zweck der Reproduktion der Gesellschaft diente. Selbst in der heutigen Zeit wird sie in einzelnen Kulturen, Subkulturen und Religionen verdrangt und ignoriert. Mit diesem Verstandnis unterscheidet sich die menschliche Sexualitat kaum von der Fortpflanzung hoherer Tierarten. Doch die menschliche Sexualitat ist im Gegensatz dazu von einer relativen Instinktarmut gepragt. Des Weiteren zeigt sich in der menschlichen Sexualitat eine hohe Variabilitat sexueller Verhaltensweisen, die in Kapitel 3.3 exemplarisch aufgefuhrt werden.46
Der Aufbau einer Partnerschaft zwischen zwei Menschen ist von unterschiedlichen Faktoren abhangig. So spielen utilitaristische Erwagungen uber die Auswahl eines geeigneten Partners/ einer Partnerin oder auch Ahnlichkeitskalkulationen eine wesentliche Rolle.47
Aber auch ,,die sinnliche, korperliche Anziehung der beiden Personen und die erotisch- sexuelle Bindung (spiegelt) ein wesentliches Fundament der Partnerschaft (wieder).“48 Sexualitat dient nicht allein nur zur Erfullung des Kinderwunsches. Zartlichkeiten und Sexualitat ist ebenso in langjahrigen Beziehungen wichtig. Allerdings verschieben sich hier einige Aktivitatsfaktoren, die in den kommenden Kapiteln thematisiert werden.
Sexualitat ist gekennzeichet durch ihre Mulidimensionalitat sowie der Multifunktionalitat.49 Es gibt 3 Dimensionen der Sexualitat und verschiedene Funktionen, die in enger gegenseitiger Wechselbeziehung zueinander stehen. Die reproduktive Dimension ist die historisch gesehen alteste. Sie beschrankt sich auf die Zeit zwischen der Pubertat bis zur Menopause und ist von individuellen und optionalen Entscheidungen abhangig. Die Verfugbarkeit von Kontrazeptionsmethoden50 bietet einen relativ verlasslichen Schutz vor Schwangerschaft auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist mit Hilfe der fortschreitenden Reproduktionsmedizin eine Trennung dieser Dimension von der beziehungsorientierten sowie der Lustdimension moglich.
Fur die heutige Gesellschaft ist die beziehungsorientierte Dimension ein Hauptbestandteil der Sexualitat. Von Geburt an ist der Mensch ein soziales Wesen, welches nach der Befriedigung seiner Bedurfnisse strebt. Neben den nicht-genitalen Erfahrungsmoglichkeiten, sind auch die genital-sexuellen Erfahrungen eine Komponente interaktioneller und korpersprachlicher Kommunikation, die die Grundbedurfnisse nach Geborgenheit, Nahe und Zartlichkeit erfullen konnen.51 „Die sexuelle Lustdimension gibt der Sexualitat durch das einzigartige sinnliche Erleben von sexueller Erregung und Orgasmus eine Qualitat, die sie von anderen menschlichen Erfahrungsmoglichkeiten abhebt.“52
,,Sexualitat ist in hohem MaBe an biologische Ablaufe gebunden. Sie ist von zentralnervosen und peripheren neuronalen Verschaltungen, die in engem Zusammenspiel mit hormonalen Prozessen stehen, getragen (...). Sie alle wirken auf die einzelnen Korperorgane und auf funktionelles Zusammenspiel regeln Kreislauf, Atmung, und insbesondere die Aktivierung der Sexualdrusen und Sexualorgane. (...) Aber Sexualitat ist wesentlich mehr als ein biologischer Ablauf; sie ist vor allem ein Sich-Beziehen, ein Erleben durch Geben und Nehmen, Ausdruck von Innerlichkeit und Vitalitat.“53
Aus psychologischer Sicht ist Sexualitat geschlechtsbezogenes Erleben und Verhalten. Sexualverhalten wird teils durch den biologisch veranlagten Trieb sich sexuell zu verhalten und teils durch die Umwelt, die, die uns dazu veranlassenden Reize bereithalt, gesteuert.
3.1 Alterssexualitat
In der Sexualwissenschaft wird Alterssexualitat als letzte Phase menschlicher Sexualitat bezeichnet.54 Der Eintritt in diese Phase wird lediglich durch das kalendarische Alter bestimmt und festgelegt. Es ist bei dem Ubergang von Sexualitat zur Alterssexualitat deshalb nicht konstitutiv mit einer plotzlichen Veranderung des Sexualverhaltens oder sexuellen Aktivitat zu rechnen. Zwar ergeben sich biologische Veranderungen mit dem Alter,jedoch sind diese keine festgelegten Merkmale fur die Alterssexualitat.
Vielmehr ,,(...) erscheint sie dem Individuum nicht erst am Ende einer bereits gelebten Sexualitat mit sechzig Jahren oder mehr, sie ist dann vielmehr sechzig Jahre oder alter. Das Wesen der Alterssexualitat ist das Echo der bisher gelebten Sexualitat.“55
Die heutigen Generationen, welche der mittleren und hoheren Altersphase zuzuschreiben sind, wuchsen noch in einer Zeit auf, in der Sexualitat nur in Zusammenhang mit der Fortpflanzung gesehen wurde. Menschen, aber vor allem Frauen nach der Menopause galten auBerhalb der reproduktiven Dimension als asexuelle Wesen.
Es ist ebenso wichtig sich mit sich mit Sexualitat (im Alter) in langjahrigen Partnerschaften auseinander zu setzen, da sexuelle Probleme in der Ehe den haufigsten Scheidungsgrund darstellen.56
3.2 Formen undHaufigkeit des Sexualverhaltens im Alter
Im Wesentlichen unterscheiden sich die Formen des Sexualverhaltens im Alter kaum im Vergleich von dem Verhalten in der Adoleszenz und im mittleren Erwachsenenalter. Was sich allerdings verandert, sind die verschiedenen intimen Phasen der Sexualitat im Laufe eines Lebens. Mit dem Alter tritt die Phase des Vorspiels wie Zartlichkeiten wieder verstarkt in den Vordergrund. Die psychischen wie auch die physischen Veranderungen mussen beim Alterwerden von beiden Geschlechtern wahrgenommen und verstanden werden, um Sexualitat auch weiterhin positiv anzuerkennen. Eine verzogerte Erektion im Alter ist beispielsweise biologisch begrundet und erweist sich nicht als schwindende Zuneigung dem Partner gegenuber. So kann es dazu fuhren, dass der Wunsch jeden sexuellen Akt mit einem Orgasmus zu erledigen, mit steigendem Alter geringer wird. Sexualitat, sexuelle Wunsche und Bedurfnisse lassen sich vielmehr auf verschiedenste Weise erfullen. Indes ist entscheidend, wie zufrieden die Partner sind. So hat Sexualitat weder in der Adoleszenz noch im Alter mit einer Erfullung der Normen und Pflichten zu tun.57
Neben dem Tabu der Alterssexualitat in der Gesellschaft, ist innerhalb dieser Thematik im deutschen Sprachraum auch bisher wenig empirische Forschung betrieben worden.58 Die Gesellschaft hat bis heute das Vorurteil, altere Menschen sind asexuelle Wesen. ,,Von diesem Tabu ist auch die Forschung betroffen, indem sie sich selber einschrankte und altere Menschen bei ihren Fragestellungen oft nicht berucksichtigte oder, wenn sie sich ihnen annahm, bei besonders tabuisierten Themen wie z.B. der Selbstbefriedigung keine Antwort erhielt.“59
Europaische Studien uber Sexualforschung haben zwei Ausrichtungen. Entweder sind es jungere, meist durch Studenten durchgefuhrten Stichproben oder es stehen diagnostische sowie therapeutische Aspekte im Vordergrund der Forschung.60
Eine Ausnahme allerdings stellt hier eine mehrjahrige Studie der Universitat Rostock, die, veroffentlicht durch die Deutsche Presse-Agentur (dpa), auch im Darmstadter Echo vorgestellt wurde. In drei Erhebungswellen wurden 194 Senioren im Alter von 63, 67 und 73 Jahren in drei deutschen Stadten befragt. Alle Teilnehmer lebten in stabilen Partnerschaften und gaben an, dass es sehr viel Zartlichkeiten ohne Sexualitat gebe. Wenngleich die sexuelle Aktivitat hinsichtlich des Koitus abnehme, so blieben die sexuellen Zufriedenheitswerte stabil. Die Forscher gehen davon aus, dass die ,,psychischen Anpassungsprozesse bei Menschen in langjahrigen Partnerschaften besonders gut gelingen.“61
In den folgenden Unterkapiteln werden die wichtigsten Formen und Haufigkeit des jeweiligen Sexualverhaltens vorgestellt.
3.2.1 Masturbation
,,Im angloamerikanischen Sprachraum wird das Wort 'Masturbation'= Selbstbefriedigung auf beide Geschlechter gleichermaBen angewendet. Im deutschen Sprachgebrauch wird damit vorwiegend die Selbstbefriedigung beim weiblichen Geschlecht bezeichnet. Fur das mannliche Geschlecht hat sich der Ausdruck 'Onanieren' eingeburgert, (...).“62
Masturbation ist eine Selbststimulation, die dem Zweck der Selbstbefriedigung dient. Die sexuelle Lust kann mit dem Erleben eines Orgasmus enden. Selbstbefriedigung findet auf verschiedene Art und Weise statt. Sie kann mit der Beruhrung durch die Hand, mit dem Mund oder auch mit einem Hilfsmittel63 erlebbar werden, gleichwohl aber auch ohne, beispielsweise durch das Zusammenpressen der Oberschenkel.64 Lust am eigenen Korper auszuprobieren, kann deshalb eine wichtige Voraussetzung fur SpaB am Sex mit dem Partner/der Partnerin sein.
[...]
1 Vgl. Bundesministerium fur Familien, Senioren, Frauen und Jugend 2013
2 Vgl. Sdun, 2001, S. 26
3 Vgl. Trappe, 2006, S. 17 sich somit offener und freizugiger.
4 Vgl. Etschenberg 1992, S. 13
5 Vgl. Sdun 2001, S. 84
6,,Die rigide Position vor allem der katholischen Kirche verhinderte bis in die 1960er-Jahre hinein alle Ansatze einer Aufklarung.“ (Grond2011, S.14)
7 Vgl. Brahler & Berberich 2009, S.15
8 Vgl. Hammer2007,S.16
9 Vgl. Grond 2011, S. 12
10 Vgl. Tummers 1976, S.34
11 Sdun 2001, S.11
12 Vgl. Hammer 2007, S.16
13 Wahl & Rott 2002, zit. n. Tesch-Romer 2010, S.19
14 Wahl & Heyl 2004, zit. n. Tesch-Romer 2010, S. 18
15 Baltes & Baltes 1994, zit.n. Tesch-Romer 2010, S.18
16,,Multimorbiditat ist die Bezeichnung fur das gleichzeitige Auftreten mehrerer Krankheiten.“ (Antwerpes 2009)
17 Vgl. Ennker/ Pietrowski 2006, S.12
18 Vgl. Ennker/ Pietrowski 2006, S.15
19 Vgl. Herz As Media & Communications
20 Vgl. Ennker/Pietrowski 2006, S.15
21 Vgl. Herz As Media & Communications
22 Vgl. Ennker/Pietrowski 2006, S.13
23 Vgl. Ennker/Pietrowski 2006, S.13
24 Vgl. Martin/Kliegel 2010, S.15
25 Vgl. Sdun 2001, S.13f
26 Vgl. Peters 2004, S.32
27 Vgl. Peters 2004, S.31ff
28 Vgl. Kohli 1985, S.2
29 Vgl. Backes/Clemens 2008, S.21-29
30 Vgl. Schneider 2010, S.90
31 Vgl. Sdun 2001, S.14
32 Schneider 2005, S.90
33 Vgl. Tesch-Romer 2010, S.52ff
34 Onida 1999
35 Vgl. Tesch-Romer 2010, S.46ff
36 Sdun 2001, S.15
37 Baier-D'Orazio 2012, S.100
38 Otten/Dieter2008, S.251
39 Gerontologie ist ein „Fachgebiet, auf dem die Alterungsvorgange im Menschen unter biologischem, medizinischem, psychologischem und sozialem Aspekt erforscht werden; Alternsforschung.“ (Duden)
40 Baier-D'Orazio 2012, S.101
41 Vgl. Tews 1996, S.144ff
42 Tews 1996, S.144
43 Bamler 2008, S.181
44 Vgl. Sowinski 2011, S.2
45 Vgl. Gorgens 1992, S.249ff
46 Vgl. Kluge 1992, S.50f
47 Lenz 2009 zit. n. Tesch-Romer 2010, S.127
48 Lenz 2009 zit. n. Tesch-Romer 2010, S.127
49 Vgl. Beier/Bosinski/Hartmann/Loewit2001, S.90
50 Als Kontrazeption bezeichnet man Empfangnisverhutung im Sinne der individuellen Familienplanung oder auf staatlicher Ebene zur Lenkung der Geburtenzahlen. Kontrazeption dient dazu, den Geschlechtsverkehr zu ermoglichen und gleichzeitig eine Schwangerschaft zu vermeiden bzw. das Risiko einer Schwangerschaft moglichst gering zu halten. (Vgl. Antwerpes et al. 2013)
51 Vgl. Beier/ Bosinski/ Hartmann/ Loewit 2000, S.4f
52 Beier/ Bosinski/ Hartmann/ Loewit 2000, S.4f
53 Langle 2011, S.14
54 Vgl. Sdun 2001, S.18
55 Ebberfeld 2005, S.18
56 Vgl. Dreisinger Scheingold/Wagner 1976, S.13
57 Vgl. Sdun 2001, S.56f
58 Vgl. Bucher/ Hornung/ Gutzwiller/ Buddeberg 2001, S.31
59 Bucher/ Hornung/ Gutzwiller/ Buddeberg 2001, S.31
60 Vgl. Bucher/ Hornung/ Gutzwiller/ Buddeberg 2001, S.32
61 Vgl. Darmstadter Echo Artikel 06.01.2015 S.28
62 Reinisch 1990, S.118
63 Sogenannte Sextoys
64 Vgl. Sdun 2001, 58
- Quote paper
- Laura Sudheimer (Author), 2015, „Früher haben wir nur geübt“. Sexualität im Alter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/304194
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